209 Jahre im Dienste des Aargauer Volks - Urs Hofmann
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<strong>209</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>im</strong> <strong>Dienste</strong> <strong>des</strong> <strong>Aargauer</strong> <strong>Volks</strong><br />
Referat an der Abschiedsfeier der Bezirksämter vom 17. Dezember 2012 von Regierungsrat<br />
Dr. <strong>Urs</strong> <strong>Hofmann</strong>, Vorsteher Departement <strong>Volks</strong>wirtschaft und Inneres<br />
Sehr geehrte Damen und Herren<br />
Heute gilt es Abschied zu nehmen von einer Institution in unserem Kanton, die während<br />
mehr als <strong>209</strong> <strong>Jahre</strong>n Bestand hatte. Grund genug, einen Rückblick auf die lange Geschichte<br />
der aargauischen Bezirksämter zu werfen.<br />
Mit dem Einmarsch Napoleons in die Schweiz <strong>im</strong> <strong>Jahre</strong> 1798 brach die Alte Eidgenossenschaft<br />
zusammen. Unter dem Diktat <strong>des</strong> französischen Kaisers entstand von 1798 bis 1803<br />
die Helvetische Republik. Diese bestand aus 18 Kantonen und war als zentralistischer Einheitsstaat<br />
ausgestaltet. Geführt wurde sie von einem fünfköpfigen Direktorium, das seinen<br />
Sitz zunächst für sechs Monate <strong>im</strong> gleich gegenüber gelegenen Haus zum Schlossgarten<br />
hatte. Im <strong>Jahre</strong> 1801 wurde in der „Verfassung von Malmaison“ der Kanton Aargau endgültig<br />
vom Kanton Bern abgetrennt. Das heutige Staatsgebiet <strong>des</strong> Aargaus bestand zur damaligen<br />
Zeit aus drei Kantonen: dem Kanton Frickthal, dem Kanton Aargau und dem Kanton Baden.<br />
Der nach französischem Vorbild geformte Einheitsstaat mit den Kantonen als blosse Verwaltungsdistrikte<br />
stand in krassem Gegensatz zur Struktur der Alten Eidgenossenschaft mit der<br />
Souveränität der einzelnen Gliedstaaten. Dies musste selbst der Diktator <strong>im</strong> fernen Paris<br />
schon nach wenigen <strong>Jahre</strong>n erkennen. In der <strong>im</strong> Februar 1803 erlassenen Mediationsverfassung<br />
unterteilte Napoleon die Schweiz neu in 19 Kantone, die ihrerseits in Bezirke, Kreise<br />
und Gemeinden gegliedert wurden. Das Wallis, Neuenburg und Genf fehlten damals noch.<br />
Für den Aargau wurden von Napoleon 11 Bezirke, 50 Kreise und 229 Gemeinden vorgegeben.<br />
Die dabei entstandenen "Schweissnähte" sind zum Teil heute noch sichtbar. Auch wenn<br />
der Bezirkseinteilung keine historischen Gegebenheiten zugrunde lagen, wurde doch auf die<br />
geografischen und vor allem konfessionellen Begebenheiten Rücksicht genommen. Die Einteilung<br />
von 1803 hat sich trotz verschiedener Anläufe zu Änderungen bis heute fast unverändert<br />
erhalten. Als einziger früherer Bezirk wurde der Bezirk Sarmenstorf aufgehoben. Einzelne<br />
Kantonsgebiete wurden schon einige Wochen nach der Mediationsakte noch einem<br />
anderen Kanton zugeteilt und Grenzregionen anderer Kantone gingen an den Aargau über.<br />
So kamen das bernische Amt Aarburg zum Bezirk Zofingen und das luzernische Amt Me-
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renschwand zum Bezirk Muri. Abgetreten wurde das Hitzkircher Amt (zuvor <strong>im</strong> Bezirk Sarmenstorf)<br />
an den Kanton Luzern. Die Dorfschaften Dietikon, Schlieren, Oetwil und Hüttikon<br />
(zuvor <strong>im</strong> Bezirk Baden) gingen an den Kanton Zürich.<br />
An der Spitze der Bezirksbehörde stand in jedem Bezirk ein Bezirksamtmann. In der Mediationsverfassung<br />
wurden die Aufgaben <strong>des</strong> Bezirksamtmanns nicht ausdrücklich erwähnt.<br />
Diese wurden <strong>im</strong> Gesetz vom 7. Juli 1803 über die Organisation der Bezirksgerichte und in<br />
der Instruktion vom 2. Augustmonat festgelegt. Der Bezirksamtmann war der oberste Vollziehungsbeamte<br />
<strong>des</strong> Bezirks und Präsident <strong>des</strong> Bezirksgerichts in einer Person. Ein Versuch<br />
<strong>des</strong> Kleinen Rates, der Kantonsregierung also, diese beiden Ämter <strong>im</strong> Sinne der Gewaltenteilung<br />
zu entflechten, wurde vom Grossen Rat aus finanziellen Gründen abgelehnt.<br />
Der Bezirksamtmann als oberster Beamter <strong>des</strong> Bezirks wirkte als Stellvertreter <strong>des</strong> Kleinen<br />
Rates und vollzog <strong>des</strong>sen Befehle und Aufträge. Er hatte für die öffentliche Sicherheit und<br />
die Einhaltung der Gesetze zu sorgen und bei Verletzung derselben von Amtes wegen einzuschreiten;<br />
in wichtigen Fällen unter Anzeigepflicht an den Kleinen Rat. Er führte die Aufsicht<br />
über alle öffentlichen Beamten <strong>des</strong> Bezirks. Zu diesem Zwecke musste der Bezirksamtmann<br />
alljährlich min<strong>des</strong>tens zwe<strong>im</strong>al alle Kreise und Gemeinden <strong>des</strong> Bezirks besuchen.<br />
Ihm oblag auch die Aufsicht über die Verwaltung der Gemeinden. Ferner war er der<br />
oberste Polizeibeamte <strong>des</strong> Bezirks. Ihm unterstand ein kantonaler Polizeiunteroffizier oder<br />
Polizeigefreiter, welcher die Landjäger <strong>des</strong> Bezirks führte. Um all diese Arbeiten erledigen zu<br />
können, durfte der Bezirksamtmann auf Staatskosten einen eigenen Sekretär anstellen.<br />
Daneben führte der Bezirksamtmann den Vorsitz <strong>im</strong> Bezirksgericht und übte alle Funktionen<br />
aus, die das Amt eines Gerichtspräsidenten ausmachten. Wahlbehörde <strong>des</strong> Bezirksamtmanns<br />
war – wie <strong>im</strong> Übrigen auch aller anderen Bezirksbeamten – der Kleine Rat, der ihn<br />
aus dem Kreise der Bezirksrichter ernannte und ihn in Eid nahm. Wählbar waren – wie bei<br />
den Bezirksrichtern – Männer, die älter waren als 25 und ein Vermögen von min<strong>des</strong>tens<br />
3'000 Franken besassen. Der demokratische Gedanke der <strong>Volks</strong>wahl der obersten Bezirksbeamten<br />
setzte sich erst viel später durch.<br />
Die Mediationsverfassung fusste ausschliesslich auf der Autorität Napoleons. Nach seiner<br />
Niederlage <strong>im</strong> Russlandfeldzug wurde sie am 22. Dezember 1812 durch den Grossen Rat<br />
ausser Kraft gesetzt. Die alten Geschlechter waren bestrebt, die Zustände vor der Helvetik
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wieder einzuführen. Nach der Absetzung Napoleons <strong>im</strong> April 1814 wurde die Restaurationsverfassung<br />
vom 4. Heumonat 1814 erlassen, die den bereits bestehenden undemokratischen<br />
Best<strong>im</strong>mungen der Mediationsverfassung noch neue hinzufügte.<br />
Die Gebietseinteilung hingegen blieb die gleiche wie in der Mediationsverfassung, mit Ausnahme<br />
weniger Änderungen in der Kreiseinteilung. Organisation und Wahl der Bezirksbehörden<br />
wurden nicht verändert. Einzig die Amtsdauer der Behörden wurde verlängert. Auch<br />
wurde der Bezirksamtmann in Oberamtmann umgetauft. Seine Amtsdauer betrug 12 <strong>Jahre</strong>.<br />
Als Vertreter der Regierung und oberster Polizeibeamter <strong>des</strong> Bezirks übte er dieselben Funktionen<br />
aus wie bis anhin. Neu <strong>im</strong> Gesetz über die Einrichtung der Oberämter war die ausdrückliche<br />
Ermächtigung <strong>des</strong> Kleinen Rates, einen Oberamtmann vor Ablauf seiner Amtszeit<br />
abzuberufen, "wenn es das Wohl <strong>des</strong> öffentlichen <strong>Dienste</strong>s erfordert". Der Oberamtmann<br />
blieb auch Vorsitzender <strong>des</strong> Bezirksgerichts.<br />
Mit der französischen Julirevolution von 1830 ergriff die freiheitliche Bewegung auch den<br />
Kanton Aargau. Die Zeit der Restauration war vorbei. Am 6. Mai 1831 wurde eine neue Verfassung<br />
angenommen. Es war die erste Kantonsverfassung, über die das Volk abst<strong>im</strong>men<br />
durfte. Sie war damit ein Meilenstein in der Verfassungsgeschichte unseres Kantons. Mit ihr<br />
begann der Ausbau der Demokratie.<br />
Der Grundsatz der Teilung der Gewalten rief nach einer Abschaffung der Personalunion <strong>des</strong><br />
Bezirksamtmanns mit dem Präsidenten <strong>des</strong> Bezirksgerichts. Weiterhin stand jedoch jedem<br />
Bezirk ein vom Kleinen Rat gewählter Bezirksamtmann vor, der seinen Amtssitz am Bezirkshauptort<br />
hatte. Das Min<strong>des</strong>talter betrug 30 <strong>Jahre</strong>.<br />
Die Aufgaben <strong>des</strong> Bezirksamtmanns als erstem Beamten <strong>des</strong> Bezirks und Vertreter <strong>des</strong> Kleinen<br />
Rates blieben <strong>im</strong> Wesentlichen dieselben wie bis anhin:<br />
1. Voruntersuchung und Verhaftung bei zuchtpolizeilichen und peinlichen Fällen<br />
2. Erhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit<br />
3. Oberaufsicht über die ihm <strong>im</strong> Bezirk untergeordneten Beamten<br />
Erst mit der neuen Kantonsverfassung vom 5. Januar 1841 waren das aktive und das passive<br />
Wahlrecht an keinen Vermögensbesitz mehr gebunden. Alle <strong>im</strong> Kanton ansässigen
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Schweizer männlichen Geschlechts – nicht mehr nur die Kantonsbürger – waren in allen öffentlichen<br />
Angelegenheiten gleichberechtigt. Ausgeschlossen vom passiven Wahlrecht waren<br />
jedoch die Personen aus dem geistlichen Stand. Die Verfassungsbest<strong>im</strong>mungen über<br />
den Bezirksamtmann st<strong>im</strong>mten mit denjenigen von 1831 fast wörtlich überein. Auch <strong>im</strong> Gesetz<br />
über die Einrichtung der Bezirksämter vom 27. Wintermonat 1841 wurde seine rechtliche<br />
Stellung nicht geändert.<br />
Mit der Kantonsverfassung vom 22. Februar 1852 begann – gestützt auf die Bun<strong>des</strong>verfassung<br />
von 1848 – eine Periode der weiteren Ausdehnung der <strong>Volks</strong>souveränität. Das obligatorische<br />
Gesetzesreferendum wurde eingeführt. Konnten die Bürger vorerst <strong>im</strong> Rahmen von<br />
Bezirkswahlversammlungen nur die Bezirksrichter wählen und für die Wahl <strong>des</strong> Bezirksamtmanns<br />
und <strong>des</strong> Präsidenten <strong>des</strong> Bezirksgerichtes Vorschläge unterbreiten, wurde in der<br />
<strong>Volks</strong>abst<strong>im</strong>mung vom 20. Juni 1869 die direkte <strong>Volks</strong>wahl auch dieser Bezirksbehörden<br />
beschlossen. Die Bezirkswahlversammlungen verschwanden.<br />
Die Aufgaben der Bezirksamtmänner hatten sich auch in diesen <strong>Jahre</strong>n kaum verändert,<br />
obwohl diese in einer Instruktion für die Bezirksamtmänner vom 3. August 1866 neu umschrieben<br />
worden waren. Eine Ausnahme bildete das Vormundschaftswesen, welches ihnen<br />
neu zugeteilt wurde. Das breite Portefeuille der bezirksamtlichen Aufgaben blieb in der Folge<br />
in seinen Grundzügen bis ins 21. Jahrhundert bestehen.<br />
Nicht nur die Bezirksämter, sondern auch die Bezirke als solche erwiesen sich seit 1803 als<br />
Konstante der aargauischen Verwaltungsorganisation. Die Verlagerung eines Teils der kantonalen<br />
Staatsverwaltung in die Bezirke – diese "Dezentralisation" – gab dem Staatsapparat<br />
Gelegenheit, sich den örtlichen Verhältnissen anzupassen. Deshalb spielten die Bezirke<br />
be<strong>im</strong> föderalen Auf- und Ausbau <strong>des</strong> jungen Staatswesens und für die Akzeptanz <strong>des</strong> künstlichen<br />
Konstrukts Aargau <strong>im</strong> Volk eine nicht zu unterschätzende Rolle.<br />
Paragraf 27 der Kantonsverfassung von 1831 gab dem Grossen Rat zwar die Kompetenz,<br />
eine zweckmässigere Bezirks- und Kreiseinteilung bis zur künftigen Verfassungsrevision<br />
vorzunehmen. Von dieser Kompetenz wurde nur in einem kleinen Rahmen Gebrauch gemacht,<br />
indem die Zahl der Kreise von 48 auf 50 erhöht wurde. Der Kreis Aarburg war gegenüber<br />
den andern Kreisen viel zu gross, die Gemeinde Brunegg wünschte zum Bezirk Brugg<br />
geschlagen zu werden. Kleiner und Grosser Rat waren sich darin einig, dass sich die beste-
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hende Bezirks- und Kreiseinteilung von 1803 bewährt hatte. Im Bericht <strong>des</strong> Kleines Rats vom<br />
8. Januar 1840 zu einem Gesetz über die Festsetzung der Bezirks- und Kreiseinteilung kam<br />
man zur Einsicht, dass weder eine Vermehrung noch eine Verminderung der Bezirke anzuraten<br />
sei, "indem die bisherige Einteilung sich sowohl durch ihre geographische Lage, als auch<br />
durch ihren geschichtlichen <strong>Urs</strong>prung anempfehle und jede Veränderung nur Übelstände<br />
herbeiführen würde". Das Gesetz über die Bezirks- und Kreiseinteilung vom 6. Mai 1840<br />
blieb denn auch, mit Ausnahme zahlreicher formeller Änderungen wegen Gemeindetrennungen<br />
und -fusionen, bis am 30. Juni 2011 in Kraft. An der Bezirksstruktur änderte sich jedoch<br />
bis zum heutigen Tage nichts. Dies obwohl eine Neueinteilung der Bezirke, die vor allem von<br />
finanzpolitischen Motiven geleitet war und unter der Bezeichnung "Vereinfachung <strong>des</strong><br />
Staatshaushaltes" segelte, <strong>im</strong>mer wieder Gegenstand von Debatten <strong>im</strong> Grossen Rat und in<br />
der Regierung war.<br />
Erste Fusionsbestrebungen in den 1890er <strong>Jahre</strong>n wurden <strong>im</strong> Grossen Rat verworfen. Eine<br />
Bezirksverschmelzung sei eine hochwichtige politische Frage, so wurde argumentiert, und<br />
von Seiten <strong>des</strong> Volkes mache sich heftiger Widerstand dagegen breit. Niemand wollte sich<br />
<strong>des</strong>halb die Finger an einer Bezirksreform verbrennen.<br />
1921 wurden die Verschmelzungsbestrebungen durch eine Motion <strong>des</strong> Freiämter BGB-<br />
Grossrats Roman Abt wiederum unter dem Titel "Vereinfachung <strong>des</strong> Staatshaushaltes" neu<br />
lanciert.<br />
Am 21. Juli 1925 präsentierte Regierungsrat Emil Keller den verlangten Bericht. Dieser empfahl<br />
neben Einsparungsmöglichkeiten bei der Zentralverwaltung eine Reduktion der Bezirke<br />
von 11 auf 6. Gleichzeitig sollten Bezirksamtmänner und Präsidenten der Bezirksgerichte<br />
von der Voruntersuchung in Strafsachen entlastet und diese drei kantonalen Untersuchungsrichtern<br />
übertragen werden. Am 1. Dezember 1927 erschien ein Bericht der Grossratskommission<br />
für die Vereinfachung <strong>des</strong> Staatshaushaltes, mit dem Antrag auf eine Neueinteilung<br />
und Reduktion der Bezirke. Am 4. Januar 1928 referierte Roman Abt namens der Kommission<br />
<strong>im</strong> Grossen Rat. Er legte dabei dar, dass eine Bezirksverschmelzung zwar schon in den<br />
Behörden, mit Sicherheit aber auch <strong>im</strong> Volk auf grossen Widerstand stossen werde. Dennoch<br />
solle diese Frage dem Souverän nun endlich einmal zum Entscheid vorgelegt werden.<br />
In der Eintretensdebatte wurde zu Gunsten der Beibehaltung der bisherigen Bezirkseinteilung<br />
geltend gemacht, die geschätzte Einsparung von 100'000 bis 200'000 Franken sei bei
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einem Kantonsbudget von 27 Millionen Franken nicht von solcher Bedeutung, dass man dafür<br />
staatspolitische und volkswirtschaftliche Überlegungen, wie sie in der bisherigen Bezirkseinteilung<br />
zum Ausdruck kamen, ausser Acht lassen sollte.<br />
Während sage und schreibe sechs <strong>Jahre</strong>n, bis 1934, wurde diese Frage <strong>im</strong> Grossen Rat hin<br />
und her diskutiert. Schliesslich wurde der Kommissionsantrag auf eine Reduktion der Bezirke<br />
abgelehnt. Damit wurde es um die Frage einer Bezirksverschmelzung für Jahrzehnte ruhig.<br />
Erst bei der Vorbereitung der Totalrevision der Kantonsverfassung in den 70er <strong>Jahre</strong>n <strong>des</strong><br />
vergangenen Jahrhunderts wurde die bisherige Gebietseinteilung erneut in Frage gestellt.<br />
Eine spezielle Sachkommission urteilte in ihrem Schlussbericht vom 24. November 1974,<br />
dass "die geltende, auf historischem Herkommen beruhende Bezirkseinteilung, auch <strong>im</strong> Hinblick<br />
auf den organisatorischen Aufbau der Strafrechtspflege fragwürdig geworden ist" und<br />
<strong>des</strong>halb durch eine neue Einteilung ersetzt werden müsse. Insbesondere würden "die sehr<br />
grossen Unterschiede der Bezirke punkto Grösse und Bedeutung eine rationelle Organisation<br />
und Abwicklung der ihnen zugewiesenen Geschäfte verhindern".<br />
Schliesslich setzte sich jedoch auch dieses Mal die Kommissionsminderheit durch und die<br />
bestehenden elf Bezirke wurden in der vom Volke angenommenen Kantonsverfassung vom<br />
25. Juni 1980 unverändert beibehalten. Ihre Organisation sollte jedoch auf eine zeitgerechte<br />
Aufgabenstellung und -erfüllung ausgerichtet werden. Das wichtigste Argument dafür, die<br />
bestehenden Bezirksgrenzen beizubehalten, war deren lange Existenz und die daraus resultierende<br />
historische und identitätsstiftende Bedeutung. Die Kommissionsminderheit argumentierte,<br />
"dass die Bevölkerung sich an ihren Bezirk und ihren unschwer erreichbaren Bezirkshauptort<br />
gewöhnt und durch vielfältige Kontakte zu den verschiedensten Zweigen der<br />
Bezirksorganisation eine persönliche Beziehung gefunden habe". Gleichzeitig wurde jedoch<br />
festgehalten, dass die Bezirke ihre Aufgaben vor allem <strong>im</strong> Bereich der Strafverfolgung heute<br />
nicht mehr sinnvoll wahrzunehmen vermöchten. Es gelte <strong>des</strong>halb "den Aufgabenbereich der<br />
Bezirksverwaltungen grundsätzlich zu überdenken und zu prüfen, wie die Bezirksämter zum<br />
Nutzen von Kanton und Bevölkerung zeitgerecht organisiert werden könnten".<br />
Die Beharrungskraft der napoleonischen Bezirksstruktur und der den Bezirksämtern zugewiesenen<br />
Aufgaben war in der Folge trotz der Empfehlungen <strong>im</strong> Verfassungsrat zu gross.<br />
Grundlegende Anpassungen wurden zwar <strong>im</strong>mer wieder zur Diskussion gestellt und erwo-
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gen, zuletzt von meinem verehrten Vorgänger Kurt Wernli <strong>im</strong> Projekt Aargau 21. Mehrheiten<br />
liessen sich jedoch aus freien Stücken <strong>im</strong> demokratischen Prozess keine finden.<br />
Und so kam es, wie es kommen musste: Die vor <strong>209</strong> <strong>Jahre</strong>n auf der Basis der von Napoleon<br />
dekretierten Bezirke entstandenen Bezirksämter verschwinden auf Ende 2012. Zwar nicht<br />
auf Geheiss einer ausländischen Macht, jedoch massgeblich beeinflusst durch die bun<strong>des</strong>rechtlichen<br />
Vorgaben <strong>im</strong> Strafprozessrecht und <strong>im</strong> Kin<strong>des</strong>- und Erwachsenenschutzrecht.<br />
Die Frage, ob die Idee moderner und neu konzipierter Bezirksverwaltungseinheiten, wie sie<br />
<strong>im</strong> Verfassungsrat vor 35 <strong>Jahre</strong>n diskutiert wurde, bei einem rechtzeitigen Handeln eine Zukunft<br />
gehabt hätte, ist heute müssig. Die Spezialisierung in der Verwaltungstätigkeit schritt in<br />
den letzten Jahrzehnten zügig voran. Letztlich blieb zu wenig Fleisch am Knochen, um mit<br />
einer multifunktionalen Bezirksverwaltung eine zukunftsträchtige Lösung zu schaffen. Mit den<br />
Familiengerichten und der administrativen Zuordnung der Mietschlichtung zu den Bezirksgerichten<br />
wurde jedoch eine andere Bezirksinstitution massgeblich gestärkt und auf Dauer lebensfähig<br />
gemacht. Mit den sechs regionalen Staatsanwaltschaften verzichtete der Gesetzgeber<br />
zudem auf eine noch weitergehende Zentralisierung in der Strafverfolgung.<br />
Dabei müssen wir uns bewusst sein: Das Leben und Denken in funktionalen Räumen – <strong>im</strong><br />
Kanton und über die Kantonsgrenzen hinweg – wird weiter zunehmen. Auch wenn die Bezirke<br />
als Einheiten für die territoriale Zuordnung von Aufgaben auch in Zukunft von Bedeutung<br />
sein werden, wird ihre identitätsstiftende Rolle weiter zurückgehen. Immerhin als Wahlkreise<br />
für die Wahlen in den Grossen Rat werden sie für die politischen Strukturen unseres Kantons<br />
ihre Funktion behalten, auch wenn der Doppelte Pukelshe<strong>im</strong> die Bedeutung der Bezirksgrenzen<br />
auch in diesem Bereich eingeschränkt hat. Ob die Bezirke weitere Jahrzehnte oder<br />
gar Jahrhunderte überdauern werden, muss hier offen bleiben. Denn heute wollen wir vor<br />
allem all jenen danken, die in den letzten <strong>Jahre</strong>n und Jahrzehnten auf den Bezirksämtern<br />
wertvolle und vor allem bürgerinnen- und bürgernahe Dienstleistungen für die <strong>Aargauer</strong>innen<br />
und <strong>Aargauer</strong> erbracht haben, in der Strafverfolgung, der Mietschlichtung, dem Sozialhilfeund<br />
Vormundschaftswesen, bei der Aufsicht über die kommunalen Wahlen und Abst<strong>im</strong>mungen<br />
und vielem mehr bis hin zur Ausstellung von Freianglerkarten und Leichenpässen. Keine<br />
andere kantonale Verwaltungseinheit war in einem derart breiten Spektrum tätig. Dass diese<br />
Arbeiten während mehr als zwei Jahrhunderten zur Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger<br />
erledigt wurden, ist wohl der zentrale Grund dafür, dass die Versuche für grundlegende<br />
Reformen <strong>im</strong>mer wieder <strong>im</strong> Sande verlaufen sind.
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Für den grossen Einsatz, den alle Bezirksamtmänner, deren Stellvertreterinnen und Stellvertreter<br />
und alle Mitarbeitenden der elf Bezirksämter geleistet haben, danke ich <strong>im</strong> Namen <strong>des</strong><br />
Regierungsrats herzlich. Auf Ihre Leistungen dürfen Sie alle stolz sein.<br />
Ich wünsche Ihnen schöne Feiertage und einen guten Start ins neue Jahr – zwar ohne Bezirksämter,<br />
aber mit vielen interessanten Aufgaben, die auf uns alle warten und die wir weiterhin<br />
gemeinsam für unsere Bevölkerung erfüllen werden. All jenen, die <strong>im</strong> verdienten Ruhestand<br />
stehen oder in den nächsten Wochen in diesen wechseln, wünsche ich alles Gute,<br />
eine gute Gesundheit und viele schöne Erfahrungen ausserhalb <strong>des</strong> Staatsdienstes. Machen<br />
Sie's alle gut!