Stellungnahme zu einem Kirchenaustritt - Kairos
Stellungnahme zu einem Kirchenaustritt - Kairos
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KLARTEXT: NICHT SCHWEIGEN – DOCH BLEIBEN:<br />
(M)ein langer Brief – ein persönlicher Einspruch <strong>zu</strong> <strong>einem</strong> Kirchenausstritt:<br />
Es treibt mich um, was ich um Kirche ringsum erlebe. Weil es manchen (z. B. Christiane) so geht, wage ich<br />
(Peter) als persönlichen Brief dieses öffentliche Nachdenken. Und bitte Euch um geduldiges Lesen.<br />
Am 6. Mai erhielt ich folgende Mail. Der Absender ist mir wichtig und kostbar:<br />
Lieber Peter, danke für deine liebe mail. Ja, mir geht es gott sei dank wieder gut und ich arbeite<br />
auch wieder voll. ... ich habe mich entschlossen, aus der kirche aus<strong>zu</strong>treten ...<br />
Lange haben wir gemeinsam gekämpft für eine liebenswürdige, zärtliche Kirche; mit KAIROS; und Du an d<strong>einem</strong><br />
Ort in der Gemeinde. Ich kenne Dich suchend, liebend; offen, andere <strong>zu</strong> hören, ihnen bei<strong>zu</strong>stehen. Mit Dir habe<br />
ich manches gewagt. Du steigst aus, scheint es? Wohin gehst Du - ? Warum - ? Was ist geschehen?<br />
Zugleich: Was Du wie nebenbei ankündigst, verstehe ich nur <strong>zu</strong> gut. Manchmal möchte ich auch am liebsten –<br />
was eigentlich? „Den Laden“ und die Menschen, die Vertrauen, Kraft, Hoffnung investiert haben und investieren<br />
– alleine lassen? Resignieren, weil ... ! Ich weiß nicht, was mir näher ist – Tränen oder Wut. Und ich spüre die<br />
stummen Fragen manch anderer um mich: „Warum bleibst du eigentlich noch? Du siehst doch, ....?“<br />
Deshalb <strong>zu</strong>erst einmal der Versuch eines sachlichen Blickes.<br />
o CHRISTUS�� Kirche(n)? Die Gleichung stimmt nicht. CHRISTUS steht der Kirche gegenüber – als Norm, Maß,<br />
auch Gericht. Kirche ist vor-läufig. Bei Gott, im „Himmel“ gibt es keine Kirche(n) mehr; keinen Papst,<br />
Bischof, Kirchenleitung und Aufseher, welche Farbe und Titel auch immer sie tragen. Am Ziel angelangt, ist<br />
das Fahrzeug verschrottet. Was bleibt: Dass wir gemeinsam um IHN sein werden, weil wir – lieben.<br />
o Kirche muss sich fragen (lassen): Verweist ihr konkretes Antlitz auf CHRISTUS? Ist sie hilfreich, herzöffnend?<br />
Oder handeln wir (solidarisch wage ich das gefährliche „wir“) manchmal so „anders“ und verdunkeln IHN<br />
unserer Zeit, hindern andere auf ihrem Weg der Gott-Suche? Könnte dann das Hinausgehen, das<br />
„Austreten“, notwendig sein wie ein prophetischer Protest?<br />
o Im therapeutischen Feld kennt man die „ekklesiogene Neurose“: ein schrecklicher Fachbegriff. Wenn Kirche<br />
(genauer: „Kirchenanteile“) krank macht, gar Krankheitsursache wird, ist der Ansteckungsherd <strong>zu</strong> isolieren.<br />
Quarantäne kann dann eine „Therapie der Wahl“ sein. Bei manchen Klienten bin ich dem begegnet.<br />
„Kränken“ und „krank“ bedingen einander. Ist das kirchliche Binnenklima kränkend, ausschließend,<br />
verurteilend – christusfern? Unser Dienst ist: Barmherzigkeit und Versöhnung, nicht mehr. Das Verurteilen:<br />
hat ER sich vorbehalten – und im Alleingang auch ein für allemal das Urteil bereits für uns gelöscht.<br />
o In der Kirche hinkt und krankt manches, das sehe ich und es bedrückt mich. Mir wurden auch Schläge<br />
<strong>zu</strong>gefügt. Ich weiß, wovon ich spreche. Doch weiß ich nicht, ob ich nicht selbst für andere auch ein Täter<br />
war – ungewollt und wirksam. Barmherzige Gerechtigkeit, die ich für mich erhoffe – die gilt auch anderen!<br />
In sieben Jahrzehnten habe ich durch die Kirche auch erlebt: Herzliche Solidarität, Aufatmen aus der<br />
Christusliebe – sie haben mein und anderer Leben durchpulst. Ohne die gute Zumutung vieler Menschen,<br />
die mich (er)trugen und mir „trotz und alledem“ trauten, wäre mein Leben anders – dünkler, trost- und<br />
heilloser – eingefärbt. Deshalb will ich auch anderen vom Raum der Liebe weiter erzählen.<br />
o „RAUM DER LIEBE“ – dieses Wort kommt mir eben neu für „Kirche“ in den Sinn. Es braucht, wir Menschen<br />
brauchen den „Erinnerungsort“, dass die Gottesahnung nicht verdämmert im Neonlicht der Einkaufszentren;<br />
den „Resonanzraum“, in dem Christen „um Gottes willen“ immer wieder das „Gottesgerücht“ von diesem<br />
CHRISTUS weiter erzählen und davon singen – selbst noch ins Angesicht der Sterbenden.<br />
o Barbara singt wöchentlich einige Stunden in der Palliativstation des Eggenfeldener Krankenhauses<br />
Sterbenden von Leben, Liebe und Hoffnung in Kinderliedern, Schlagern und Hymnen. Um standhalten <strong>zu</strong><br />
können der trostlosen Diagnose „braucht“ sie – den Kreis der MIT-HOFFENDEN. „Gemeinschaft der Heiligen“<br />
nannte man ihn in alter Sprache. Mutig und realistisch <strong>zu</strong>gleich spiegelt er die Erfahrung: Menschen wurden<br />
und werden in der Begegnung mit uns „heil“ – selbst wenn sie „sterben“. Trotzdem: Wir sind auch ärgerliche<br />
„Gemeinschaft der Sünder“. Das stimmt, ist nicht weg <strong>zu</strong> diskutieren.<br />
o Diese treue (wo finde ich sonst noch Treue?) Begleitung möchte ich nicht missen. Von Geburt an trägt sie<br />
lebenslang bis über den Tod. Der „Raum der Liebe“ soll auch anderen offen bleiben. Deshalb – trotz und<br />
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alledem – bleibe ich in der „Kirche“, in der wenigstens ab und <strong>zu</strong> der Gottesglanz („chawuot“, „doxa“, „gloria<br />
dei“) aufblitzt.<br />
Das mag ja sein, regt sich der Widerspruch in mir. Doch wo<strong>zu</strong> braucht es da das (Lehr)Amt, Papst, Bischöfe –<br />
und Macht, „unfehlbar“ genannt?<br />
o Zuerst einmal einfach: Weil Kirche eine Werdegemeinschaft ist und deshalb lebendige Streitkultur braucht.<br />
Das ist seit Petrus und Paulus und ihren heftigen, <strong>zu</strong>kunftsöffnenden Konflikten so. Wir „haben“ nicht den<br />
besten Weg. Wir suchen ihn – gemeinsam allerdings.<br />
o Das ist – <strong>zu</strong>gegeben – mühsam. In Versuch und Irrtum, in der Dialektik von „Zuspruch – Widerspruch –<br />
neuen Anspruch“ erfüllt sich das Versprechen JESUS: „Noch vieles habe ich euch <strong>zu</strong> sagen, ..., der Geist der<br />
Wahrheit (den ich euch senden werde) ... wird euch in die ganze Wahrheit einführen“ (Joh 16,12 gek.).<br />
Dieser Lernprozess einer globalen Großgruppe braucht eine klar strukturierte „gruppendynamische“ Gestalt.<br />
Damit wir uns auseinandersetzen können um heilsamere, christusförmige, <strong>zu</strong>kunftstaugliche Wege braucht<br />
es klare Orte des Gespräches, Termine des Treffens, akzeptierte Gesprächsleitung.<br />
o Katholisch meint „Unfehlbar“? Als Großgruppe „Kirche“ haben wir uns darauf verpflichtet, unbedingt auf<br />
einander <strong>zu</strong> hören und einander nicht mit „Mehrheiten“ <strong>zu</strong> überfahren. „Unfehlbar“ hält daran fest: alle<br />
Meinungsäußerungen sind fehlbar – ob sie von „mächtigen“ Patriarchen kommen oder der alten Frau; sie<br />
sind in Liebe <strong>zu</strong> hören und <strong>zu</strong> achten – denn jede/r kann als Getaufter und Gefirmter „Träger des Heiligen<br />
Geistes“ sein – so er/sie sich kompetent, d.h. mit Leidenschaft und Demut in den Gesprächsprozess<br />
einbringt.<br />
Die dann „unfehlbare“ Aussage des Papstes als Sprecher der Gesamtkirche bündelt die voraus gehende<br />
(meist stille und langsame) Consensbildung der ganzen Gemeinschaft und verdichtet diese <strong>zu</strong> einer<br />
Aussage, in der sich alle mit unterschiedlicher Identifikationsdichte finden. Das ist selten, geschah 1870 und<br />
1950, zweimal nur in den letzten Jahrhunderten, und beide Worte waren hilfreich für den globalen Diskurs.<br />
o Ebenso ist klar: Wenn einige – ja schließlich viele – aus dem Streitgespräch aussteigen (auch wenn<br />
Enttäuschung ihren Schritt verständlich macht!), überlassen sie die Meinungsbildung um den Kurs der<br />
Großgemeinschaft den Bleibenden – gerade denen, deren Meinung sie widersprechen? Dann wird der<br />
Streit nicht leiser – sondern bitterer; dann wird die Kraft der Liebe ausgezehrt, und manche resignieren dann<br />
erst recht.<br />
Das spüren wir aktuell in der Meinungsbildung um die Neustrukturierung der Seelsorgestrukturen und die<br />
Zusammenlegung von Pfarreien in der Erzdiözese München-Freising oder der Diözese Regensburg.<br />
Deshalb – das ist ein Novum, ein geistvoller Fortschritt – hat Erzbischof Marx alle Pfarreien eingeladen, in<br />
<strong>einem</strong> aktiven Meinungsbildungsprozess die eigenen Vorstellungen auf Gemeindeebene <strong>zu</strong> formulieren und<br />
in das Gesamtkonzept der Kirche München-Freising ein<strong>zu</strong>bringen. Noch nie in der Neuzeit war die<br />
„Mitwirkung“ der „untersten“ Gemeindeebenen an der Gestalt der „Kirche vor Ort“ so direkt und<br />
menschennahe.<br />
Wenn es so ist, widerspricht wieder der Aber-Geist in mir, was hat uns dann in den letzten Wochen und Monaten<br />
so verstört an dem, was aus „Rom“ und von Papst Benedikt XVI <strong>zu</strong> hören war? Denn dieser konkrete Konflikt<br />
habe bei manchen, vielleicht sogar bei vielen das Fass <strong>zu</strong>m Überlaufen gebracht und sie <strong>zu</strong>m „Austritt“ motiviert.<br />
o Eine erste Antwort ist wohl: Menschliche Enttäuschung. Nach der Wahl Kardinal Ratzingers <strong>zu</strong>m Papst<br />
Benedikt XVI. hofften 2005 viele, er werde auf die Gruppen in der Kirche <strong>zu</strong>gehen, die in den letzten<br />
Jahrzehnten mit Engagement und Liebe um ein neues, „menschenfreundliches“ Antlitz der Kirche gekämpft<br />
hatten; die im respektvollen Dialog mit „den anderen“ einen wechselseitigen Lernprozess versuchten – und<br />
dabei immer wieder als „links“ abgestempelt oder gar gemaßregelt wurden. Ihre ausdauernde, vielen<br />
unverständliche Trotzdem-Treue <strong>zu</strong>r Kirche würde, so erwarteten sie, nun endlich benannt und auch<br />
gewürdigt werden.<br />
Die frühe, viel beachtete Begegnung mit Prof. Hans Küng hatte diese Hoffnungen noch ermutigt. Ehemalige<br />
Priester, geschiedene Wiederverheiratete, die TrägerInnen der Aktion „Donum Vitae“, Vertreter der<br />
„Befreiungstheologie“ und der „Kirche der Armen“, Frauengruppen, Engagierte in Ökumene und Liturgie,<br />
Laientheologen und Mitarbeiter der Katholischen Aktion, die „Kirche von unten“ – um nur einige Gruppen <strong>zu</strong><br />
nennen – hofften auf Anerkennung und auf Heilung des ausgedörrten Vertrauens. Manche meinten, der<br />
„alte“ Ratzinger, als „Panzerkardinal“ gefürchtet, werde nun als Papst <strong>zu</strong>m Versöhner. Dabei merkte man<br />
kaum, dass die Erwartungen an den „deutschen“, an „unseren“ Papst gerade durch die Medien ins<br />
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Unerfüllbare überhöht waren. „Minderwertigkeit“ und „Größenphantasien“ („wir sind Papst“) bildeten eine<br />
unheilvolle Melange vor dem Hintergrund: Man suchte sehnsüchtig das Antlitz des liebevollen, guten Vaters.<br />
o Dieses Antlitz zeigte Ratzinger/Benedikt XVI. dann auch – nur anderen, den „falschen“, wie man <strong>zu</strong><br />
erkennen meinte. Die vielen Enttäuschten und Verletzten, hoffend auf Worte und Gesten der Versöhnung –<br />
mussten miterleben, dass Benedikt XVI. diese Gaben verströmt – denen auf der „rechten“ Seite des<br />
kirchlichen Spektrums. Keine Forderung derer, die die Kirchenspaltung riskiert und durchgesetzt hatten,<br />
schien unerfüllt <strong>zu</strong> bleiben: Karfreitagsbitte, neue Betonung von Latein als Liturgiesprache,<br />
Handkommunion, Zulassung des „alten“ Ritus, ... Und Schülerinnen und Schüler des Konzils, bald als<br />
Vertreter des „linken“ Spektrums eingeordnet, die seit Jahrzehnten mit ihrer Lebenskraft für eine lebendige<br />
Kirche eingetreten waren und immer wieder <strong>zu</strong>rück gesteckt hatten, um aus Liebe <strong>zu</strong>r Kirche ja keine<br />
Kirchenspaltung <strong>zu</strong> riskieren, sahen sich um Hoffnung und Vertrauen gebracht. Die Situation wurde noch<br />
verschärft durch die Ernennung neuer Bischöfe, die sich weniger als Brückenbauer, denn als Polarisierer<br />
verstanden .<br />
o Das Fass der Tränen und der Enttäuschung <strong>zu</strong>m Überlaufen brachte eine scheinbare Kleinigkeit. Die<br />
unselige Pius-Bruderschaft hatte unter dem Spalter-Erzbischof Lefebvre 1 ohne Rücksicht auf Verluste und<br />
gegen das ausdrückliche Verbot Roms nicht nur hunderte Priester geweiht, sondern 1988 auch vier<br />
Bischöfe. Kirchenrechtlich war damit natürlich die automatische Exkommunikation gegeben. Und es<br />
bestand die Gefahr, dass durch die irreguläre – aber kirchenrechtlich-sakramental gültige! – Weihe dieser<br />
Bischöfe sich eine Abspaltung etablieren könnte, die u. a. auf dem ohnehin heftig umstrittenen afrikanischen<br />
Kontinent (� aggressive Missionstätigkeit der Freikirchen und des Islam) Resonanz hätte auslösen<br />
können.<br />
Kardinal Ratzinger hatte in seiner Amtszeit als Präfekt der Glaubenskongregation im Auftrag des Papstes<br />
die Gespräche mit der fundamentalistischen Bewegung geführt. Mit all s<strong>einem</strong> Charme, seiner sprachlichen<br />
Kompetenz und seiner theologischen Brillanz gelang es ihm nicht, die abgetrifteten Traditionalisten wieder<br />
in die kirchliche Solidarität ein<strong>zu</strong>binden. Es scheint dies, wenn ich die <strong>zu</strong>gänglichen Quellen richtig lese, für<br />
Josef Kardinal Ratzinger auch eine tiefe persönliche Kränkung gewesen <strong>zu</strong> sein. Dass die<br />
Kirchengeschichte unter seiner Amtsführung eine Kirchenspaltung notieren würde, hat ihn als Präfekten der<br />
Glaubenskongregation und als deutschen Theologen sehr bedrückt und verletzt. Das ist sicher nur ein<br />
Moment des vielfarbigen Motivspektrums. Aber aller Erfahrung nach spielen gerade die persönlichemotionalen<br />
Brüche in gesellschaftlichen Prozessen immer wieder eine <strong>zu</strong> wenig beachtete und doch<br />
entscheidende Rolle.<br />
o Am 21. Januar 2009, veröffentlicht am 24. Januar, hob Kardinal Giovanni Battista Re in seiner Eigenschaft<br />
als Präfekt der Kongregation für die Bischöfe die Exkommunikation der vier irregulär geweihten Bischöfe<br />
auf; er beruft sich dabei ausdrücklich auf die Zustimmung von Papst Benedikt XVI. Die Aufhebung der<br />
Exkommunikation bedeutet nicht, das halte ich ausdrücklich fest, dass diese Herren nun <strong>zu</strong>r Ausübung ihrer<br />
unrechtmäßig erworbenen Bischofsämter berechtigt wären, oder dass die Pius-Bruderschaft sich nun in die<br />
Katholische Kirche mit Rechten und Pflichten eingeordnet hätte.<br />
Seit der unerlaubten Weihe hat sich die Pius-Bruderschaft auf der ganzen Welt ausgebreitet: Nach<br />
römischen Informationen zähle sie derzeit 491 Priester, 215 Seminaristen, 6 Seminare, 88 Schulen, 2<br />
Universitätsinstitute, 117 Ordensbrüder und 164 Ordensfrauen. Der – bittere – Eindruck in der Öffentlichkeit<br />
kann eindeutig sein: Ungehorsam zahlt sich aus. Wenn sie nur lange genug, mit genug Geld und Publizistik<br />
verstärkt, tun was sie wollen – „Rom“ beuge sich mit der gleichen Konsequenz, mit der „nach links“<br />
reglementiert und diszipliniert wird. Eine Differenzierung der Motive schien kaum mehr möglich.<br />
Der Skandal eskalierte, weil praktisch zeitgleich ein Interview mit Herrn Williamson, <strong>einem</strong> der vier von der<br />
Exkommunikation entbundenen Bischöfe, veröffentlicht wurde, das dieser im Seminar der Pius-Bruderschaft<br />
gab, das in der Regensburgs liegt (ohne <strong>zu</strong>r Diözese <strong>zu</strong> gehören!). In diesem Interview leugnet Herrn<br />
Williamson schlichtweg die Judenvernichtung. Da dieses Interview <strong>zu</strong>m Zeitpunkt des römischen<br />
Begnadigungs-Dekrets bereits (allerdings erst kurz) über das Internet bekannt war, wird nun dem Papst eine<br />
direkte stillschweigende Zustimmung unterstellt; oder aber die Qualität seiner Amtsführung und die<br />
Kompetenz in der Auswahl seiner Mitarbeiter angezweifelt.<br />
1 Erzbischof Lefebvre hatte auf dem Konzil den von ihm später abgelehnten Konzilsdekreten bei den Abstimmungen und<br />
schriftlich <strong>zu</strong>gestimmt, wie sich aus Unterschriften auf den Konzilsdokumenten eindeutig ergibt. Dennoch hat er später seine<br />
Zustimmung <strong>zu</strong> diesen Beschlüssen geleugnet.<br />
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o Die daraus aufbrechenden Konflikte auf fast allen Ebenen der Weltkirche (z. B. Sonderhirtenbrief<br />
Regensburg, <strong>Stellungnahme</strong> der deutschen Bischofskonferenz, Volks-Petition für die Anerkennung des II.<br />
Vaticanums, Brief von Kurt Koch namens der Schweizer Bischofskonferenz, ... ) sind ungewöhnlich heftig<br />
und halten lange an. Die Verstimmung der jüdischen Gesprächspartner ist heftig. Die Meldungen über<br />
<strong>Kirchenaustritt</strong>e aus ganz Europa häufen sich. Es droht, sich eine „Abstimmung mit den Füßen“ in der Form<br />
<strong>zu</strong> entwickeln, dass immer mehr Menschen sich von der Kirche abwenden. Und – Rom scheint im Schock<br />
<strong>zu</strong> erstarren. Tagelang ist kein erklärender, versöhnlicher Kommentar <strong>zu</strong> erhalten.<br />
o In dieser Situation geschieht etwas Einmaliges. Am 10. März 2009 schreibt Benedikt XVI. einen<br />
persönlichen Brief an alle (!) Bischöfe der Katholischen Kirche (leider nicht an alle Mitchristen). Dieser Brief<br />
ist im Stil so privat und lässt die Betroffenheit des Menschen Josef Ratzinger/Benedikt XVI. so genau<br />
erspüren, dass ich wichtige Teile daraus wörtlich zitiere:<br />
Liebe Mitbrüder im bischöflichen Dienst!<br />
Die Aufhebung der Exkommunikation für die vier ... ohne Mandat des Heiligen Stuhles geweihten<br />
Bischöfe hat innerhalb und außerhalb der katholischen Kirche ... <strong>zu</strong> einer Auseinanderset<strong>zu</strong>ng von einer<br />
Heftigkeit geführt, wie wir sie seit langem nicht mehr erlebt haben. Viele Bischöfe fühlten sich ratlos vor<br />
<strong>einem</strong> Ereignis, das unerwartet gekommen und ... Verschiedene Gruppierungen ... beschuldigten den<br />
Papst ganz offen, hinter das Konzil <strong>zu</strong>rückgehen <strong>zu</strong> wollen: Eine Lawine von Protesten setzte sich in<br />
Bewegung, deren Bitterkeit Verlet<strong>zu</strong>ngen sichtbar machte, die über den Augenblick hinausreichen. ... Ich<br />
hoffe, (durch diesen Brief) <strong>zu</strong>m Frieden in der Kirche bei<strong>zu</strong>tragen.<br />
Eine für mich nicht vorhersehbare Panne bestand darin, dass die Aufhebung der Exkommunikation<br />
überlagert wurde von dem Fall Williamson. Der leise Gestus der Barmherzigkeit erschien plötzlich als<br />
etwas ganz anderes: als Absage an die christlich-jüdische Versöhnung, als Rücknahme des Konzils ... Aus<br />
einer Einladung <strong>zu</strong>r Versöhnung ... war auf diese Weise das Umgekehrte geworden: Ein scheinbarer<br />
Rückweg hinter alle Schritte der Versöhnung von Christen und Juden, die seit dem Konzil gegangen<br />
wurden und die mit<strong>zu</strong>gehen und weiter<strong>zu</strong>bringen von Anfang an ein Ziel meiner persönlichen<br />
theologischen Arbeit gewesen war. Dass dies ... den Frieden zwischen Christen und Juden wie auch den<br />
Frieden in der Kirche ... gestört hat, kann ich nur <strong>zu</strong>tiefst bedauern. ... Ich lerne daraus, dass wir ... auf<br />
diese Nachrichtenquelle (Internet) in Zukunft aufmerksamer achten müssen. Betrübt hat mich, dass auch<br />
Katholiken, die es eigentlich besser wissen konnten, mit sprungbereiter Feindseligkeit auf mich<br />
einschlagen <strong>zu</strong> müssen glaubten.<br />
Eine weitere Panne, die ich ehrlich bedauere, besteht darin, dass Grenze und Reichweite der Maßnahme<br />
vom 21. 1. 2009 ... nicht klar genug dargestellt worden sind. ... Die Bruderschaft hat keinen kanonischen<br />
Status in der Kirche, ihre Amtsträger üben keine Ämter rechtmäßig in der Kirche aus.<br />
... ergibt sich dann von selbst, dass es um die Einheit der Glaubenden gehen muss. Denn ihr Streit, ihr<br />
innerer Widerspruch, stellt die Rede von Gott in Frage. Daher ist das Mühen um das gemeinsame<br />
Glaubenszeugnis der Christen – um die Ökumene – in der obersten Priorität mit eingeschlossen. Da<strong>zu</strong><br />
kommt die Notwendigkeit, dass alle, die an Gott glauben, miteinander den Frieden suchen, versuchen<br />
einander näher <strong>zu</strong> werden, um so in der Unterschiedenheit ihres Gottesbildes doch gemeinsam auf die<br />
Quelle des Lichtes <strong>zu</strong><strong>zu</strong>gehen – der interreligiöse Dialog. Wer Gott als Liebe bis ans Ende verkündigt,<br />
muss das Zeugnis der Liebe geben: den Leidenden in Liebe <strong>zu</strong>gewandt sein, Hass und Feindschaft<br />
abwehren – die soziale Dimension des christlichen Glaubens, von der ich in der Enzyklika Deus caritas<br />
est gesprochen.<br />
So gehören doch auch die kleinen und mittleren Versöhnungen mit da<strong>zu</strong>. Dass die kleine Gebärde einer<br />
hingehaltenen Hand <strong>zu</strong> <strong>einem</strong> großen Lärm und gerade so <strong>zu</strong>m Gegenteil der Versöhnung geworden ist ...<br />
War und ist es wirklich verkehrt, auch hier dem Bruder entgegen<strong>zu</strong>gehen und Versöhnung <strong>zu</strong> versuchen?<br />
Muss nicht auch die zivile Gesellschaft versuchen, Radikalisierungen <strong>zu</strong>vor<strong>zu</strong>kommen, ihre möglichen<br />
Träger – wenn irgend möglich – <strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>binden in die großen gestaltenden Kräfte des gesellschaftlichen<br />
Lebens, um Abkapselung und ihre Folgen <strong>zu</strong> vermeiden? Kann es ganz falsch sein, sich um die Lösung<br />
von Verkrampfungen und Verengungen <strong>zu</strong> bemühen und dem Raum <strong>zu</strong> geben, was sich an Positivem<br />
findet und sich ins Ganze einfügen lässt? Ich denke <strong>zu</strong>m Beispiel an die 491 Priester. Das Geflecht ihrer<br />
Motivationen können wir nicht kennen. Aber ich denke, dass sie sich nicht für das Priestertum<br />
entschieden hätten, wenn nicht neben manchem Schiefen und Kranken die Liebe <strong>zu</strong> Christus da gewesen<br />
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wäre und der Wille, ihn und mit ihm den lebendigen Gott <strong>zu</strong> verkünden. Sollen wir sie einfach als<br />
Vertreter einer radikalen Randgruppe aus der Suche nach Versöhnung und Einheit ausschalten? Was wird<br />
dann werden?<br />
... aber sollte die Großkirche nicht auch großmütig sein können im Wissen um den langen Atem, den sie<br />
hat? Sollten wir nicht ... manches Ungute auch überhören können und ruhig aus der Enge heraus<strong>zu</strong>führen<br />
uns mühen? ... Manchmal hat man den Eindruck, dass unsere Gesellschaft wenigstens eine Gruppe<br />
benötigt, der gegenüber es keine Toleranz <strong>zu</strong> geben braucht; auf die man ruhig mit Hass losgehen darf. ...<br />
In den Tagen, in denen mir in den Sinn kam, diesen Brief <strong>zu</strong> schreiben, ergab es sich <strong>zu</strong>fällig, dass ich<br />
Gal 5,13-15 kommentieren musste: „Nehmt die Freiheit nicht <strong>zu</strong>m Vorwand ..., sondern dient einander in<br />
Liebe. ... Wenn ihr einander beißt und zerreißt, dann gebt acht, dass ihr euch nicht gegenseitig<br />
umbringt.“ Ich war immer geneigt, diesen Satz als eine der rhetorischen Übertreibungen an<strong>zu</strong>sehen, die<br />
es gelegentlich beim heiligen Paulus gibt. Leider gibt es „Beißen und Zerreißen“ auch heute in der<br />
Kirche als Zeichen einer schlecht verstandenen Freiheit. Ist es verwunderlich, dass uns die gleichen<br />
Versuchungen bedrohen? Dass wir den rechten Gebrauch der Freiheit immer neu lernen müssen? Und die<br />
Liebe?<br />
Der Herr behüte uns alle und führe uns auf den Weg des Friedens!<br />
Mit <strong>einem</strong> besonderen Apostolischen Segen verbleibe ich<br />
im Herrn Euer<br />
BENEDICTUS PP: XVI<br />
Vatikan; 10. März 2009<br />
Nicht alles überzeugt mich, was Papst Benedikt den Bischofskollegen schreibt. Zum Beispiel der Passus<br />
„Betrübt hat mich, dass auch Katholiken, die es eigentlich besser wissen konnten, mit sprungbereiter<br />
Feindseligkeit auf mich einschlagen <strong>zu</strong> müssen glaubten“. Ich habe keine „sprungbereite Feindseligkeit“<br />
bemerkt. Aber viel Trauer und ratlose Erstarrung. Ratzinger scheint nicht <strong>zu</strong> verstehen, dass Menschen aus<br />
tiefer Sorge, persönlicher Trauer und aus Liebe nicht mehr schweigen können. Wenn sie nicht reden,<br />
würden angesichts der Not die Steine <strong>zu</strong> schreien beginnen. Was mich aber sehr berührt – und versöhnt:<br />
Dass er viele Fragen stellt – sich einreiht in den Kreis der Fragenden und Suchenden. Es ist ein stiller, ein<br />
demütig-betroffener Brief. Eine Bitte des Papstes um Vergebung – wer hätte das erwartet?<br />
In dieser Demut bitte ich auch Euch: Bleibt! Geht nicht! Tretet nicht aus! Wir brauchen einander! Die Kirche<br />
braucht Dich und Euch. Dein Fragen und Deinen Widerspruch. Sonst wird es totenstill. Und das Lied des<br />
Lebens wird kläglich.<br />
Herzlich wünschen wir Euch einen frohen Frühsommer! Es grüßen Euch<br />
Peter F. Bock Christiane März<br />
1. Vorstand 2. Vorstand<br />
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