PDF Download - Filmstiftung Nordrhein-Westfalen
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Heinrich Breloer<br />
Heinrich Breloer: eine Würdigung<br />
Der große<br />
Doku-Dramatiker<br />
VON OLIVER BAUMGARTEN<br />
In welchem Medium auch immer: Dokumentaristen pflegen<br />
seit jeher eine Profession an der Nahtstelle zwischen Fiktion und<br />
Wirklichkeit. Beim Nacherzählen von Geschichte gelangt jeder<br />
Chronist zwangsläufig an Bereiche, die er mit Vermutungen füllen<br />
muss, an Punkte, an denen die Interpretation beginnt und<br />
er damit die Schwelle zur Fabel zu überschreiten droht. In den<br />
Bildungsformaten der ersten Jahrzehnte deutschen Fernsehschaffens<br />
wurde das zuweilen notwendige Übertreten dieser Schwelle<br />
stillschweigend in Kauf genommen, aber grundsätzlich doch<br />
als ungehörig gegeißelt. Erst zwei junge Journalisten haben diesen<br />
belegschwachen Moment der historischen Erzählarbeit Mitte<br />
der 1970er Jahre offensiv zu einer Stärke verkehrt: Sie verknüpften<br />
Bilddokumente mit inszeniertem Material und machten dadurch<br />
aus dem interpretatorischen Bereich der Historie eine Tugend,<br />
auf der ein bis heute extrem erfolgreiches Subgenre fußt.<br />
Heinrich Breloer und Horst Königstein selbst sprachen dabei<br />
zunächst von einer „offenen Form“, die jene strikte Trennlinie<br />
der Formate durchbrach und durch ihre Offenheit des Gestalterischen,<br />
also durch eine klare inszenatorische Transparenz in<br />
der Komposition Faktisches und Fiktionales offen legt. Und obwohl<br />
zuweilen das Gegenteil empfunden wurde, haben die beiden<br />
Dokumentaristen genau deshalb in der Kollision des so<br />
verschiedenen Materials die erwähnte Nahtstelle zwischen Fiktion<br />
und Wirklichkeit als gewissenhafte Journalisten auch nie<br />
überschritten: weil die fiktive Ausgestaltung als solche immer<br />
erkennbar war.<br />
Heute heißt eine solche erzählerische Form längst „Doku-Drama“,<br />
und zu den bis heute bekanntesten zählt „Das Beil von<br />
Wandsbek“ aus dem Jahre 1981. Der Film ist ein Glanzstück<br />
dieses Subgenres, das Breloer und Königstein in Koregie geschaffen<br />
haben. Heinrich Breloer, geborener Gelsenkirchener und<br />
seit Jahren überzeugter Südstadt-Kölner, hat Germanistik und<br />
Philosophie studiert und nach seiner literatur- und theaterwissenschaftlichen<br />
Dissertation zunächst als Film- und Fernsehkritiker<br />
gearbeitet. Mit Horst Königstein trifft er 1976 einen kongenialen<br />
Partner. Gemeinsam realisieren sie mit der Inge-Meysel-<br />
Dokumentation „Mein Leben war auch kein Spaß“ ihren ersten<br />
Film und beginnen anschließend, ihre „offene Form“ zu kreieren<br />
und sie – mal gemeinsam, mal jeder für sich – bis zu „Speer<br />
und er“ 2005 weiter zu entwickeln.<br />
„Das Beil von Wandsbek“ beschreibt auf diesem Weg einen Höhepunkt,<br />
weil hier das verschränkende Spiel mit Fiktion und Fakten<br />
zu erster Meisterschaft gerät. Der Film adaptiert Arnold<br />
Zweigs auf wahren Begebenheiten beruhenden Roman durch<br />
den Versuch, dem Geschehenen im Erdachten nachzuspüren –<br />
im Film repräsentiert durch schwarzweißes (Spielszenen) und<br />
farbiges Material (Dokumentaraufnahmen).<br />
Heinrich Breloers thematischer Schwerpunkt liegt vorrangig in<br />
Stoffen der jüngeren Zeitgeschichte, die er unter großer Beachtung<br />
in seinen Filmen und Mehrteilern wie „Kollege Otto“ oder<br />
„Wehner – Die unerzählte Geschichte“ umsetzt. Der 1997 entstandene<br />
Zweiteiler „Todesspiel“ über den Deutschen Herbst<br />
1977 zählt zu Breloers vielleicht konsequentesten Arbeiten, die<br />
aufgrund ihrer Pointierung und Verdichtung für Aufsehen gesorgt<br />
hat. „Die Manns – Ein Jahrhundertroman“ schließlich –<br />
hier wieder gemeinsam mit Horst Königstein – hat vier Jahre<br />
später den geprägten Erzählstil auch international auf höchster<br />
Ebene geadelt: Neben zahlreichen Ehrungen erhielt der aufwändige<br />
Mehrteiler 2002 den internationalen Emmy-Award.<br />
Am 17. Februar 2012 wird Regisseur und Autor Heinrich Breloer<br />
70 Jahre alt. Er gehört fraglos zu den wichtigsten gestaltenden<br />
Persönlichkeiten der jüngeren Fernsehgeschichte und darf<br />
sich zurecht als Geburtshelfer des heute so immens erfolgreichen<br />
Doku-Dramas und damit verbunden auch der blühenden<br />
Reenactment-Kultur bezeichnen. Er hat fünf Grimme-Preise,<br />
mehrere Deutsche und Bayerische Fernsehpreise sowie zahllose<br />
weitere Ehrungen für seine Verdienste um die bildende Unterhaltung<br />
bekommen. Seine vielleicht schönste Auszeichnung aber<br />
hat sich Heinrich Breloer selbst bereiten können: Mit „Buddenbrooks“<br />
hat er das Dokumentarische 2008 komplett hinter sich<br />
lassen können und einen ungemein aufwändigen und opulenten<br />
Kinofilm geschaffen, der von über 1,2 Millionen Besuchern begeistert<br />
aufgenommen wurde. Vom reinen Dokumentarfilm 1976<br />
stufenweise zur puren Kinofiktion 2008 – eine faszinierende<br />
Reise durch die filmischen Möglichkeiten, von unserer Welt zu<br />
erzählen. Wir sind gespannt, wohin sie weiter führen wird.<br />
Verena Kulenkampff,<br />
WDR-Fernsehdirektorin<br />
Lieber Heinrich Breloer<br />
anlässlich Ihres 70. Geburtstags gratuliere ich<br />
Ihnen zu Ihrer künstlerischen Lebensleistung,<br />
die in den meisterhaften Produktionen wie<br />
„Todesspiel“, „Die Manns – ein Jahrhundertroman“,<br />
„Speer und er“ und „Buddenbrooks“ –<br />
ein Publikumserfolg auch im Kino - kumulierte.<br />
Sie haben die Zuschauer auf eine neue und<br />
nur Ihnen eigene Art an Zeitgeschichte herangeführt.<br />
Denn mit Ihren Doku-Dramen haben<br />
Sie ein Format entwickelt, das, weil es Maßstäbe<br />
gesetzt hat, sich äußerst erfolgreich in der Fernsehlandschaft<br />
etabliert hat. Damit haben Sie<br />
auch zum Renommee des WDR und der<br />
ARD beigetragen. Es handelt sich dabei um<br />
Fernsehereignisse, die bei den Zuschauern noch<br />
lange nachwirken. Es ist Ihr Verdienst, dass<br />
Ihr reiches und bedeutendes Schaffen vielfach<br />
preisgekrönt wurde – national wie international.<br />
In Ihren Produktionen nehmen Sie sich<br />
brisanter politischer und zeitgeschichtlicher<br />
Themen an und agieren dabei als Multitalent.<br />
Sie führen nicht nur Regie, Sie verfassen auch<br />
die Drehbücher, sind Produzent und Mitwirkender.<br />
Ihrer stetigen Neugier und Ihrem Forscherdrang,<br />
einem unglaublichen Gedächtnis,<br />
das Ihnen von allen Seiten bescheinigt wird<br />
und einer fast seismografischen Voraussicht<br />
haben wir es zu verdanken, dass sie Themen<br />
finden und damit setzen, lange bevor das allgemeine<br />
Interesse an ihnen erwacht ist. Nicht zu<br />
vergessen Ihr großes Einfühlungsvermögen,<br />
ohne das sich die Protagonisten und Interviewpartner<br />
in Ihren Filmen nicht geöffnet hätten.<br />
Eine Königsdisziplin, die Sie perfekt beherrschen.<br />
Das System Breloer funktioniert also mit<br />
sehr viel Leidenschaft, mit enormer Willenskraft<br />
und mit einem großen persönlichen<br />
Interesse am Sujet. Vielleicht verraten Sie uns<br />
eines Tages das Geheimnis Ihres Erfolges. Bis<br />
es soweit ist, freue ich mich auf die weitere Zusammenarbeit<br />
mit Ihnen.<br />
Ich wünsche Ihnen alles Gute zu Ihrem großen<br />
Tag und hoffe, Sie nehmen sich ab und an trotzdem<br />
Zeit auf „Ihrer Insel“ Mallorca auszuspannen.<br />
Auf Ihre Art. Denn ein Büro mit Strandzugang<br />
gibt es ja dort schon für Sie, wie man<br />
lesen konnte.<br />
1,2 Millionen Kinobesucher sahen Breloers „Buddenbrooks“ von 2008. Foto: Bavaria Pictures / Stefan Falke