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Zwillinge - klein-putz

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<strong>Zwillinge</strong><br />

Ein Leitfaden für Schwangerschaft, Geburt<br />

und die erste Zeit danach<br />

von:<br />

Dr. Claudio Nedden-Boeger<br />

Dipl. Päd. Sabine Boeger<br />

Stand: 04.01.2008


2a<br />

2b<br />

Inhalt<br />

Vorwort (4)<br />

Erstes Kapitel: Schwangerschaft (4)<br />

1. Entstehung von <strong>Zwillinge</strong>n (5)<br />

Eineiige <strong>Zwillinge</strong> • Zweieiige <strong>Zwillinge</strong> • Polkörperchen-<strong>Zwillinge</strong> und <strong>Zwillinge</strong><br />

aus zweikernigen Eizellen • Wie sind die eigenen <strong>Zwillinge</strong> entstanden • Höhergradige<br />

Mehrlinge • Siamesische <strong>Zwillinge</strong> • Fruchtbarkeitsbehandlung und<br />

künstliche Befruchtung<br />

2. Diagnose der Mehrlingsschwangerschaft (9)<br />

3. Bildung der Eihäute und Einnistung in die Gebärmutter (10)<br />

Eineiige <strong>Zwillinge</strong> • Zweieiige <strong>Zwillinge</strong> • Höhergradige Mehrlingsschwangerschaften<br />

• Bedeutung der Klassifizierung<br />

4. Vorsorgeuntersuchungen, Mutterpass (12)<br />

5. Vorgeburtliche Diagnostik (14)<br />

6. Abtreibung einzelner Mehrlinge (18)<br />

Der Arzt ist kompetent für die Diagnose und Behandlung,<br />

die Patientin ist kompetent für ihr Wertesystem<br />

und verantwortlich für ihre Lebensgestaltung.<br />

Günter Virt<br />

7. Risiken und Komplikationen einer Mehrlingsschwangerschaft (19)<br />

Allgemeine Schwangerschaftsbeschwerden • Unzureichende Mutterkuchenfunktion<br />

(Plazentainsuffizienz) • Vorzeitige Wehen und Muttermundschwäche • Gestose,<br />

hypertensive Schwangerschaftserkrankung • Blasensprung • Besondere Störungen<br />

bei eineiigen <strong>Zwillinge</strong>n • Fehlgeburt, Totgeburt<br />

8. Schwangerschaftsgymnastik und Geburtsvorbereitung (30)<br />

9. Besorgungen während der Schwangerschaft (31)<br />

Anschaffungen • Ein Name für die Kinder • Vorbereitungen für einen vorzeitigen<br />

stationären Klinikaufenthalt • Anmeldung bei der Nachsorgehebamme • Bescheinigungen<br />

für das Mutterschaftsgeld • Arbeitslosengeld II / Sozialhilfe / BAföG •<br />

Bundesstiftung „Mutter und Kind“<br />

10. Endphase der Schwangerschaft (37)<br />

Stationäre Überwachung zum Ende der Schwangerschaft auch ohne besondere<br />

Komplikationen • Künstliche Einleitung der Geburt


3a<br />

3b<br />

Zweites Kapitel: Geburt und Wochenbett (42)<br />

1. Geburt (42)<br />

Geburtsort • Kaiserschnitt oder vaginale Geburt als Standard • Kaiserschnitt<br />

wegen besonderer Risiken oder Komplikationen • Geburtsverlauf bei Kaiserschnitt<br />

• Geburtsverlauf bei vaginaler Geburt • Kaiserschnitt für das zweite Kind<br />

2. Nach der Geburt (50)<br />

Zustand der Mutter • Zustand der Kinder<br />

3. Stillen (55)<br />

Stillen von Mehrlingen • Stillen nach Kaiserschnitt • Milchpumpe<br />

4. Erste Zeit daheim: Hilfe im Haushalt (60)<br />

Gesetzliche Krankenkasse • Jugendamt • Bundesstiftung „Mutter und Kind“ •<br />

Kirchen und Wohlfahrtsverbände • Au-pair • Steuerliche Anerkennung einer privaten<br />

Haushaltshilfe<br />

Fünftes Kapitel: Frühgeburt (80)<br />

1. Neugeborenen-Intensivmedizin (80)<br />

Künstliche Beatmung • „minimal handling“ • Weitere Entwicklung und Überwachung<br />

• Stillen von Frühgeborenen • Elterliche Zuwendung • Nach der Entlassung<br />

• Erfolglose Behandlung • Von vornherein nicht behandelbare Kinder • Einen<br />

Verlust verarbeiten<br />

2. Mögliche Spätfolgen einer Früh- oder Mangelgeburt (87)<br />

Zerebralparesen und psychomotorische Störungen • Lernschwierigkeiten und<br />

Minderbegabung • Seh- und Hörstörungen • Chronische Lungenerkrankung •<br />

Plötzlicher Kindstod<br />

3. Finanzielle Hilfen für Frühgeborene mit Entwicklungsverzögerungen und für behinderte<br />

Kinder (90)<br />

Drittes Kapitel: Säuglingsalter (66)<br />

1. Aktivitäten mit anderen Eltern und Kindern (66)<br />

2. Finanzielles (67)<br />

Elterngeld • Mutterschaftsgeld • Entbindungsgeld • Kindergeld • Weitere Förderungsmöglichkeiten<br />

• Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung • Kinderzuschlag,<br />

Arbeitslosengeld II und andere Sozialleistungen • Krankenversicherung<br />

für die Kinder • Mütter- und Väterkur<br />

3. Weitere Anschaffungen (73)<br />

Tragetuch, Kindertragen • Sportwagen und Buggy<br />

Ausblick (92)<br />

Anhang I: Medizinisches Wörterbuch und Glossar (93)<br />

Anhang II: Berechnung der Schwangerschaftswochen (99)<br />

Anhang III: Schema zur Bestimmung der Ein- oder Zweieiigkeit (100)<br />

Anhang IV: Adressen (101)<br />

Anhang V: Gesetzestexte (104)<br />

Anhang VI: Literaturhinweise (107)<br />

Anhang VII: Mehrlinge in anderen Sprachen (112)<br />

Viertes Kapitel: Familiensituation und weitere Entwicklung der Kinder im Säuglings-<br />

und Kleinkindalter (76)<br />

1. Allgemeine Entwicklungsverzögerung (76)<br />

2. Sprachentwicklung (77)<br />

3. Ältere Geschwister (78)<br />

4. Sozialverhalten der Kinder (79)


4a<br />

4b<br />

Liebe Leserin, lieber Leser,<br />

Vorwort<br />

es freut uns, dass Sie sich für unseren Zwillings-Ratgeber interessieren.<br />

Sie lesen hier ein Buch, das Sie nicht im Buchladen gekauft, sondern als Textdatei<br />

aus dem Internet heruntergeladen haben. Vielleicht haben Sie den Ausdruck oder<br />

die Textdatei auch von einer befreundeten Familie erhalten.<br />

Sie haben dafür bisher nichts bezahlen müssen. Denn wir vertreiben dieses Buch<br />

nach dem Shareware-Prinzip: Wenn Ihnen der Ratgeber gefällt, bitten wir um ein <strong>klein</strong>es<br />

Autorenhonorar. Wenn er Ihnen nicht zusagt, brauchen Sie nichts zu zahlen.<br />

dem individuellen Rat Ihres Frauenarztes, der auch solche, möglicherweise<br />

nicht zwillingstypischen Besonderheiten Ihrer Schwangerschaft berücksichtigen<br />

kann, auf die dieses Buch nicht eingeht. Holen Sie in Zweifelsfällen die<br />

Meinung eines zweiten Arztes ein. Die Darstellungen dieses Buches dürfen<br />

nicht als individuelle Handlungsanweisungen oder -vorschläge missverstanden<br />

werden. Eine rechtliche Haftung hierfür müssen wir deshalb ausschließen.<br />

Dieses Buch wird etwa halbjährlich aktualisiert. Sie können die jeweils aktuelle<br />

Version unter www.zwillingsschwangerschaft.info downloaden.<br />

Und nun wünschen wir Ihnen eine interessante Lektüre!<br />

Dr. Claudio Nedden-Boeger<br />

Dipl.-Päd. Sabine Boeger<br />

Bitte seien Sie so fair und denken an eine angemessene Anerkennung unserer<br />

Mühe, wenn Sie mit unserer Leistung zufrieden sind. Geben Sie soviel, wie Ihnen der<br />

Ratgeber wert ist, und wie es Ihrer Leistungsfähigkeit entspricht. Unsere Empfehlung<br />

liegt bei 5,- bis 10,- EUR pro Leserfamilie; egal ob Sie den Text selbst aus dem Internet<br />

heruntergeladen oder von einer befreundeten Familie erhalten haben. Bitte überweisen<br />

Sie den Betrag an: Dr. Claudio Nedden-Boeger, Konto-Nr. 142921, Bankleitzahl<br />

360 605 91 (Sparda-Bank West eG) – bzw. für den EU-Zahlungsverkehr:<br />

IBAN: DE67 3606 0591 0000 1429 21, BIC: GENODED1SPE.<br />

Bitte beachten Sie außerdem unsere Nutzungsbedingungen:<br />

- Sie dürfen den Text kostenlos an andere Zwillingseltern weitergeben, jedoch<br />

nur in ungekürzter Version und mit unverändertem Inhalt. Auch diese Seite<br />

muss vollständig enthalten sein! Sie dürfen den Text jedoch nicht gegen<br />

Geld an andere Leser verkaufen.<br />

- Sie dürfen den Text nicht gewerblich nutzen oder anderweitig veröffentlichen,<br />

auch nicht auszugsweise. Der Inhalt des Ratgebers bleibt unser geistiges<br />

Eigentum und ist urheberrechtlich geschützt.<br />

- Dieses Buch ist in dem Bemühen verfasst, den aktuellen Stand der medizinischen<br />

Wissenschaft bis in eine bestimmte Tiefe richtig und vollständig und<br />

zugleich in verständlicher Sprache wiederzugeben. Gleichwohl kann dieser<br />

allgemein gehaltene Ratgeber niemals eine fachärztliche Beratung und<br />

Betreuung während der Schwangerschaft ersetzen. Folgen Sie deshalb immer


5a<br />

Erstes Kapitel: Schwangerschaft<br />

1. Entstehung von <strong>Zwillinge</strong>n<br />

Wahrscheinlich haben Sie dieses Buch in der Hand, weil Sie selbst <strong>Zwillinge</strong> erwarten.<br />

Vielleicht sogar Drillinge oder Vierlinge. Wie kam es dazu Warum nicht nur<br />

ein einzelnes Kind, wie es die meisten Frauen bekommen Ganz unterschiedliche<br />

Gründe kommen als Ursache für die Zwillingsentstehung in Betracht. Einige sind<br />

genetisch vorbestimmt, andere hängen von äußeren Einflüssen ab.<br />

Über die Entstehung eines Kindes wissen wir, dass sich nach dem Geschlechtsverkehr<br />

eine herangereifte Eizelle und ein männlicher Samenfaden vereinigen, in die<br />

Gebärmutter einnisten und zu einem Embryo fortentwickeln. Ähnlich beginnt auch die<br />

Zwillingsschwangerschaft, doch nimmt sie an einem bestimmten Punkt der Entwicklung<br />

gleich zu Beginn der Schwangerschaft einen abweichenden Verlauf. An welchem<br />

Punkt sich was genau ändert, hängt von der Art der Zwillingsentstehung ab. Es gibt<br />

vier unterschiedliche Entstehungsarten, von denen die klassischen „eineiigen“ und<br />

„zweieiigen“ <strong>Zwillinge</strong> am bekanntesten und zugleich mit Abstand am häufigsten sind.<br />

Daneben gibt es jedoch auch noch Polkörperchen-<strong>Zwillinge</strong> und solche aus zweikernigen<br />

Eizellen.<br />

a) Eineiige <strong>Zwillinge</strong><br />

Eineiige <strong>Zwillinge</strong> entstehen zunächst genauso wie einzelne Kinder (Einlinge):<br />

Eine herangereifte Eizelle wird von einem Samen befruchtet. Bei Einlingen würde sich<br />

dann das befruchtete Ei in einem geschlossenen Verband weiterentwickeln. Bei eineiigen<br />

<strong>Zwillinge</strong>n jedoch teilt sich das Ei innerhalb der ersten dreizehn Tage nach der<br />

Befruchtung in zwei Teile, die sich fortan getrennt je zu einem Kind weiterentwickeln.<br />

Da beide Teile aus derselben Eizelle und demselben Samen entstanden sind, sind sie<br />

genetisch gleich, d.h. sie verfügen über dieselben Erbanlagen und haben deshalb immer<br />

auch dasselbe Geschlecht. Man bezeichnet diese <strong>Zwillinge</strong> als „eineiig“, weil sie<br />

aus einer einzigen befruchteten Eizelle hervorgegangen sind.<br />

Der Auslösungsmechanismus für die Zwillingsteilung ist bis heute ungeklärt; als<br />

Ursache vermutet man Normabweichungen im biochemischen Milieu der Gebärmutter.<br />

Es scheint außerdem, als werde die Entstehung eineiiger <strong>Zwillinge</strong> durch besonders<br />

lange Menstruationszyklen und durch eine besonders späte Befruchtung der Eizelle<br />

begünstigt. Man hat nämlich festgestellt, dass eineiige <strong>Zwillinge</strong> häufig bei Paaren auftreten,<br />

die natürliche Verhütungsmethoden anwenden, die also nur in der Zeit um den<br />

Eisprung auf unverhüteten Geschlechtsverkehr verzichten. Falls die Schwangerschaft<br />

dann trotzdem eintritt, findet die Befruchtung in aller Regel nach Beendigung der „Verhütungsphase“<br />

statt und liegt damit sehr spät im Menstruationszyklus.<br />

b) Zweieiige <strong>Zwillinge</strong><br />

Bei zweieiigen <strong>Zwillinge</strong>n findet keine Teilung statt, sondern es reifen von vornherein<br />

zwei anstelle nur einer Eizelle innerhalb desselben Menstruationszyklus heran.<br />

Beide Eizellen entwickeln sich eigenständig, können von je einem männlichen Samenfaden<br />

befruchtet werden, sich in der Gebärmutter einnisten und zu je einem Kind heranreifen.<br />

Es handelt sich um zwei eigenständige Befruchtungsvorgänge, die nicht einmal auf<br />

demselben Geschlechtsakt beruhen müssen. Es ist sogar schon vorgekommen, dass<br />

zweieiige <strong>Zwillinge</strong> von verschiedenen Vätern gezeugt wurden. Der Eisprung beider<br />

Eizellen und deren Befruchtung liegen jedoch immer in demselben Monatszyklus. Es<br />

kann also normalerweise nicht passieren, dass eine bereits schwangere Frau im nächsten<br />

Monatszyklus noch einmal eine Eizelle entwickelt, die wiederum befruchtet wird und<br />

sich ebenfalls einnistet mit einer Entwicklungsverzögerung von vier Wochen gegenüber<br />

dem ersten Embryo 1 .<br />

„Zweieiige“ <strong>Zwillinge</strong> bezeichnet man so, weil sie aus zwei verschiedenen Eizellen<br />

entstanden sind. Ihre Entwicklung verläuft vom ersten Augenblick an unabhängig voneinander.<br />

Obwohl die Kinder zur gleichen Zeit ausgetragen werden, sind sie zueinander<br />

ebenso verschieden wie gewöhnliche, nacheinander ausgetragene Geschwisterkinder.<br />

Die Wahrscheinlichkeit, ein gleich- oder verschiedengeschlechtliches Paar zu bekommen,<br />

ist bei zweieiigen <strong>Zwillinge</strong>n etwa gleich hoch.<br />

1 Eine solche „Überbefruchtung“ (Superfetation) ist im Tierreich allerdings möglich und wird<br />

vor allem bei Schweinen beobachtet sowie bei Raubkatzen. Bei Menschen kommt die Überbefruchtung<br />

normalerweise nicht vor; als extreme Ausnahme wurde allerdings im Jahre 2007 ein<br />

einzelfall in England dokumentiert.<br />

5b


6a<br />

6b<br />

Verschiedene Ursachen können die Entstehung zweieiiger <strong>Zwillinge</strong> begünstigen.<br />

Ein wichtiger Faktor ist die erbliche Veranlagung. Die Neigung zur gleichzeitigen<br />

Heranreifung mehrerer Eizellen wird an Frauen rezessiv vererbt. Die Wahrscheinlichkeit,<br />

<strong>Zwillinge</strong> zu bekommen, ist also größer, wenn in der Familie der Mutter bereits<br />

<strong>Zwillinge</strong> vorgekommen sind. Manche sprechen auch dem werdenden Vater einen<br />

geringen erblichen Einfluss zu, doch geht man heute überwiegend davon aus, dass die<br />

Zwillingsentstehung ausschließlich von der mütterlichen Seite gesteuert wird.<br />

Global betrachtet bestehen erhebliche Unterschiede bei der Zwillingshäufigkeit.<br />

So bekommen Schwarzafrikanerinnen fünfmal häufiger zweieiige <strong>Zwillinge</strong> als ostasiatische<br />

Frauen. Europäerinnen haben im internationalen Vergleich eine mittlere Zwillingswahrscheinlichkeit<br />

– bei einem leichten Nord-Süd-Gefälle innerhalb Europas.<br />

Auch diese regionalen Unterschiede lassen sich mit der weitervererbten Veranlagung<br />

erklären. Die größte Zwillingshäufigkeit findet sich beim Volk der Yoruba in Nigeria.<br />

Bei diesen Frauen findet sich zugleich ein erhöhter Follitropinspiegel, weshalb man<br />

diese Substanz, die man auch als FSH (follikelstimulierendes Hormon) bezeichnet,<br />

bereits seit längerem mit der Zwillingsentstehung in Zusammenhang bringt. Letztlich<br />

geklärt sind die Zusammenhänge jedoch nicht. Eine neuere Untersuchung der Universität<br />

München hat einen Zusammenhang zwischen der Zwillingswahrscheinlichkeit<br />

und einer bestimmten Enzym-Mutation aufgezeigt. Danach soll eine Mutation des<br />

MTHFR 1 -Gens, welche in Asien häufig und in Afrika selten auftritt, die Zwillingsentstehung<br />

verhindern.<br />

Andere Faktoren sind dagegen nicht erblich vorbestimmt. Beispielsweise erhöht<br />

sich die Zwillingswahrscheinlichkeit mit dem Alter der Schwangeren. 35jährige Frauen<br />

bekommen annähernd viermal häufiger zweieiige <strong>Zwillinge</strong> als 18jährige; mit weiter<br />

zunehmendem Alter nimmt die Häufigkeit allerdings wieder ab.<br />

Auch die Anzahl der vorangegangenen Geburten ist von Bedeutung: Bei einer<br />

30jährigen Zweitgebärenden ist die Zwillingswahrscheinlichkeit höher als bei einer<br />

gleichaltrigen Erstgebärenden. Mit jeder weiteren Geburt steigt die Wahrscheinlichkeit<br />

einer Zwillingsschwangerschaft weiter an, bis sie nach sieben Geburten ihr Maximum<br />

erreicht. Auch das Ernährungsverhalten wird neuerdings in Verbindung mit der Zwillingswahrscheinlichkeit<br />

gebracht 2 .<br />

Und schließlich scheint das Absetzen der Verhütungspille einen Einfluss auszuüben:<br />

Im ersten Monat danach wurde eine erhöhte Wahrscheinlichkeit festgestellt, zweieiige<br />

<strong>Zwillinge</strong> zu empfangen. Offenbar begünstigt die hormonelle Veränderung den<br />

Ausstoß mehrerer Eizellen; die ovulationshemmende Wirkung der Verhütungspille verkehrt<br />

sich sozusagen in ihr Gegenteil (sog. Rebound-Effekt). Nicht alle wissenschaftliche<br />

Untersuchungen bestätigen allerdings diesen Zusammenhang und deshalb ist die<br />

Frage unter Medizinern umstritten.<br />

1 Methylentetrahydrofolat-Reduktase<br />

2 Siehe im Einzelnen http://www.aerzteblatt-studieren.de/doc.aspdocId=102986.


7a<br />

c) Polkörperchen-<strong>Zwillinge</strong> und <strong>Zwillinge</strong> aus zweikernigen Eizellen<br />

Neben den klassischen eineiigen und zweieiigen <strong>Zwillinge</strong>n existieren noch Polkörperchen-<strong>Zwillinge</strong><br />

und <strong>Zwillinge</strong> aus zweikernigen Eizellen. Hierbei handelt es<br />

sich um zwei weitere Entstehungsarten von <strong>Zwillinge</strong>n, die jedoch nur selten vorkommen.<br />

Sie wurden erst in den letzten Jahrzehnten entdeckt und sind außerhalb der<br />

medizinischen Forschung kaum bekannt. Selbst in medizinischen Fachkreisen ist das<br />

Interesse an diesen Entstehungsarten nicht sehr groß, weil sich solche <strong>Zwillinge</strong> sowohl<br />

während als auch nach der Schwangerschaft kaum anders verhalten als zweieiige<br />

<strong>Zwillinge</strong>. Die Tatsache, dass es <strong>Zwillinge</strong> aus Polkörperchen und aus zweikernigen<br />

Eizellen überhaupt gibt, gehört eher in die Kategorie der medizinischen Kuriositäten<br />

und wird hier auch nur der Vollständigkeit halber erwähnt.<br />

Zunächst also die Polkörperchen-<strong>Zwillinge</strong>. Um sie zu verstehen, muss man etwas<br />

ausholen. Ursprung des ungeborenen Lebens sind die in den weiblichen Eierstöcken<br />

bevorrateten Ureier (Oogonien). Diese müssen bei dem Eisprung und während ihrer<br />

Wanderung durch den Eileiter zunächst zwei Reifeteilungen vollziehen (Meiosen),<br />

bevor sie zu einer fertigen Eizelle (Oozyte) herangereift sind und von einem Samen<br />

befruchtet werden können. Bei diesen beiden Reifeteilungen wird je ein (wesentlich<br />

<strong>klein</strong>erer) Polar-Körper abgestoßen (sog. „Polkörperchen“), welcher die Erbinformationen<br />

zwar ebenfalls vollständig enthält, jedoch über so gut wie keinen versorgenden<br />

Zellleib verfügt und daher normalerweise nicht entwicklungsfähig ist. Die Polkörperchen<br />

lösen sich in der Gebärmutter auf oder sie werden ausgestoßen. In seltenen Fällen<br />

verteilt sich der Zellleib jedoch gleichmäßiger sowohl um die eigentliche Eizelle als<br />

auch um das Polkörperchen, so dass beide überlebensfähig sind und von je einem<br />

Samen befruchtet werden können. Die daraus entstehenden <strong>Zwillinge</strong> sind dann hinsichtlich<br />

ihrer mütterlichen Merkmale weitgehend erbgleich, da sie aus dem selben<br />

Urei stammen; hinsichtlich ihrer väterlichen Merkmale sind sie jedoch erbverschieden.<br />

Ursachen und Häufigkeit dieser Erscheinung sind noch weitgehend unerforscht.<br />

Während der Schwangerschaft verhalten sich Polkörperchen-<strong>Zwillinge</strong> wie zweieiige<br />

<strong>Zwillinge</strong>. Auch sonst sind sie von zweieiigen <strong>Zwillinge</strong>n äußerlich nicht zu unterscheiden,<br />

weil sie – mit der väterlichen Erbsubstanz – letztlich unterschiedliche Erbmerkmale<br />

besitzen und damit völlig verschieden aussehen und auch verschiedengeschlechtlich<br />

sein können. Wird das Polkörperchen aus der zweiten Reifeteilung befruchtet,<br />

so haben die Kinder etwas mehr Ähnlichkeit, als wenn der Zwilling aus dem<br />

ersten Polkörperchen hervorgeht. Nur ein genetischer Test kann jedoch feststellen,<br />

dass die mütterliche Erbsubstanz tatsächlich aus demselben Urei stammt. Deshalb –<br />

und wegen ihres seltenen Auftretens – blieb diese Möglichkeit der Zwillingsentstehung<br />

lange Zeit unentdeckt. Für die Eltern und die Familie ändert sich durch die besondere<br />

Entstehungsart jedoch nichts: Polkörperchen-<strong>Zwillinge</strong> stehen in ihrer Eigenart und in<br />

ihren Wesensmerkmalen zweieiigen <strong>Zwillinge</strong>n gleich. Deshalb werden wir sie in den<br />

weiteren Kapiteln dieses Buches auch nicht mehr besonders erwähnen, sondern sie wie<br />

zweieiige <strong>Zwillinge</strong> behandeln.<br />

Dasselbe gilt für <strong>Zwillinge</strong> aus zweikernigen Eizellen, der letzten möglichen Entstehungsart.<br />

Hier finden sich innerhalb einer einzigen Eizelle ausnahmsweise zwei Zellkerne,<br />

die je von einem Samen befruchtet werden können. Wie solche Eizellen entstehen,<br />

ist noch nicht abschließend geklärt. Einerseits hält man es für möglich, dass sich<br />

bereits bei der Heranreifung der Eizelle in den Eierstöcken ausnahmsweise zwei Ureier<br />

(Oogonien) zu einem „Zwillingsfollikel“ zusammenfinden und anschließend zu einer<br />

einheitlichen Eizelle gemeinsam fortentwickeln. Andere Wissenschaftler sprechen davon,<br />

dass sich eine zunächst normal entwickelte Eizelle zwischen der ersten und der<br />

zweiten Reifeteilung zusätzlich noch einmal mitotisch teilt (also komplett verdoppelt).<br />

Strenggenommen entstehen also auch diese <strong>Zwillinge</strong> aus nur einem Ei. Der Unterschied<br />

zu den klassischen eineiigen <strong>Zwillinge</strong>n besteht aber darin, dass die Zwillingsteilung<br />

nicht erst nach der Befruchtung stattfindet, sondern bereits vorher. Die beiden entstehenden<br />

Tochter-Eizellen werden von zwei verschiedenen Samen befruchtet und sind<br />

damit genetisch verschieden. Man nennt sie zum Teil „halbidentische <strong>Zwillinge</strong>“. Auch<br />

auf diese spezielle Art von <strong>Zwillinge</strong>n werden wir im Folgenden nicht mehr besonders<br />

eingehen, da sie in ihrer weiteren Entwicklung den zweieiigen <strong>Zwillinge</strong>n gleichen.<br />

d) Wie sind die eigenen <strong>Zwillinge</strong> entstanden<br />

Dass Ihre eigenen <strong>Zwillinge</strong> aus einer zweikernigen Eizelle oder aus einem fortentwickelten<br />

Polkörperchen entstanden sein könnten, ist sehr unwahrscheinlich, da das<br />

nur sehr selten vorkommt. Für eine realitätsnahe Betrachtung sollten Sie davon ausgehen,<br />

dass es sich entweder um eineiige oder um zweieiige <strong>Zwillinge</strong> handelt.<br />

Zweieiige <strong>Zwillinge</strong> kommen in Europa doppelt bis dreimal so häufig vor wie eineiige<br />

<strong>Zwillinge</strong> (regional unterschiedlich). Welche dieser beiden Arten tatsächlich vorliegt,<br />

lässt sich manchmal schnell herausfinden: Verschiedengeschlechtliche <strong>Zwillinge</strong><br />

oder Kinder mit unterschiedlichen Blutgruppen sind zum Beispiel immer zweieiig. Denn<br />

7b


8a<br />

eineiige <strong>Zwillinge</strong> haben aufgrund ihrer genetischen Gleichheit immer dieselbe Blutgruppe<br />

und dasselbe Geschlecht 1 . Oft fehlen aber solche eindeutigen Unterscheidungsmerkmale,<br />

so dass man nach Aussehen, Entwicklungsparallelen und Verhaltensähnlichkeiten<br />

urteilen muss. Eineiige <strong>Zwillinge</strong> sind sich grundsätzlich ähnlicher als<br />

zweieiige <strong>Zwillinge</strong>.<br />

Für diejenigen, die es genau wissen wollen, stehen exakte Untersuchungsmethoden<br />

zur Verfügung, die die Blutgruppen in ihren verschiedenen Systemen (einschließlich<br />

der Untergruppen, Varianten und Rh-Haplotypen) sowie die Erbinformation selbst<br />

(DNA) untersuchen. Wie aufwendig die Untersuchung durchgeführt werden muss,<br />

hängt davon ab, wann sich erstmals ein genetischer Unterschied zeigt, der die Eineiigkeit<br />

ausschließt. Solche Untersuchungen sind inzwischen nicht mehr so teuer (ab ca.<br />

150 EUR), werden von den Krankenkassen jedoch nur bei medizinischer Notwendigkeit<br />

übernommen, z.B. bei festgestellten Erbkrankheiten.<br />

Während der Schwangerschaft gibt es noch ein weiteres Unterscheidungsmerkmal<br />

ein- und zweieiiger <strong>Zwillinge</strong>, nämlich die Anzahl und Anordnung der Eihäute und der<br />

Mutterkuchen innerhalb der Gebärmutter. <strong>Zwillinge</strong> mit einer gemeinsamen äußeren<br />

Eihaut und gemeinsamem Mutterkuchen sind immer eineiig (s. im Einzelnen Seite 10).<br />

e) Höhergradige Mehrlinge<br />

Bei höhergradigen Mehrlingen 2 kann es sich ebenfalls um eineiige oder um mehreiige<br />

Kinder handeln. Auch eineiige Vierlinge oder Fünflinge sind möglich, wenn<br />

sich die befruchtete Eizelle entsprechend häufig teilt. Außerdem gibt es Mischformen,<br />

bei denen z.B. zwei Kinder aus einer geteilten Eizelle und das dritte aus einer weiteren<br />

befruchteten Eizelle stammen. Dann lag zu Beginn nur eine zweieiige Zwillingsschwangerschaft<br />

vor, bei der sich eines der befruchteten Eier später noch einmal ge-<br />

1 Von dieser Regel gibt es eine einzige, sehr seltene Ausnahme: das sog. „Ullrich-Turner-<br />

Syndrom“, das wir auf Seite 28 behandeln.<br />

2 Unter dem Begriff „höhergradige Mehrlinge“ verstehen wir Drillinge, Vierlinge usw. Die<br />

einfache Bezeichnung „Mehrlinge“ benutzen wir für die Gesamtheit aus <strong>Zwillinge</strong>n und höhergradigen<br />

Mehrlingen.<br />

teilt hat. Es entstehen dadurch zwei erbgleiche (eineiige) Geschwister und ein erbverschiedenes<br />

(mehreiiges) Kind.<br />

f) Siamesische <strong>Zwillinge</strong><br />

Bei Siamesischen <strong>Zwillinge</strong>n handelt es sich um eineiige <strong>Zwillinge</strong>, die sich erst<br />

später als 13 Tage nach der Befruchtung geteilt haben. Zu diesem Zeitpunkt ist die Entwicklung<br />

der embryonalen Anlagen schon so weit fortgeschritten, dass die Teilung der<br />

Zellen nicht mehr vollständig verläuft. Es bilden sich zwei Individuen heraus, die an<br />

bestimmten Körperteilen, meist am Oberkörper, miteinander verwachsen bleiben und<br />

sich oft sogar ein oder mehrere innere Organe teilen – je nachdem, wie spät die Teilung<br />

stattfand und wie vollständig sie noch gelingen konnte. Sind alle lebenswichtigen Organe<br />

doppelt vorhanden, können Siamesische <strong>Zwillinge</strong> durch eine Operation voneinander<br />

getrennt werden und eigenständig weiterleben. Die meisten Siamesischen <strong>Zwillinge</strong><br />

versterben allerdings noch während der Schwangerschaft oder kurz nach der Geburt.<br />

Der Begriff „Siamesischer Zwilling“ beruht auf den bekannt gewordenen <strong>Zwillinge</strong>n<br />

Chang und Eng, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Siam (jetziges Thailand)<br />

lebten und über sechzig Jahre alt wurden. Mediziner verwenden eher die Bezeichnung<br />

„Doppelmissbildung“ als „Siamesischer Zwilling“. Mit einer Wahrscheinlichkeit unter<br />

1:50.000 kommen Siamesische <strong>Zwillinge</strong> insgesamt recht selten vor.<br />

Wenn Ihre Frauenärztin oder Ihr Frauenarzt bei der Ultraschalluntersuchung eine<br />

Zwillingsschwangerschaft festgestellt hat, brauchen Sie sich in aller Regel keine Sorgen<br />

zu machen, dass es sich um Siamesische <strong>Zwillinge</strong> handeln könnte. Ihr Frauenarzt wird<br />

nämlich zwei voneinander getrennte Embryos wahrgenommen haben, während Siamesische<br />

<strong>Zwillinge</strong> zu diesem frühen Zeitpunkt noch wie ein einzelnes Kind aussehen würden.<br />

Wenn die Zeitungspresse gelegentlich von Siamesischen <strong>Zwillinge</strong>n berichtet, die<br />

erst im späten Verlauf der Schwangerschaft erkannt wurden, so handelt es sich dabei fast<br />

ausnahmslos um solche Schwangerschaften, von denen man bis zum Erkennen der Fehlbildung<br />

glaubte, es handle sich um eine gewöhnliche Einlingsschwangerschaft. Die<br />

betroffenen Eltern waren bis dahin also noch gar nicht mit der Zwillingssituation konfrontiert.<br />

Nur bei den seltenen monochorialen-monoamnialen Zwillingsschwangerschaften<br />

(s. unten, Seite 11) lässt sich nicht immer sofort ausschließen, dass die Kinder miteinander<br />

verbunden sind. Diese Schwangerschaften müssen aber aus anderen Gründen<br />

ohnehin sehr engmaschig überwacht werden.<br />

8b


9a<br />

g) Fruchtbarkeitsbehandlung und künstliche Befruchtung (Reproduktionstechniken)<br />

Bei einer künstlichen Befruchtung werden aus dem Körper der Frau Eizellen entnommen,<br />

mit Samen befruchtet und zwei Tage später in die Gebärmutter eingesetzt.<br />

Diese Prozedur hat allerdings nur eine etwa 30%ige Erfolgswahrscheinlichkeit, weil<br />

sich rd. 70% der eingesetzten Eizellen nicht in die Gebärmutter einnisten, sondern mit<br />

der nächsten Regelblutung ausgeschieden werden. Um die Erfolgschancen der Behandlung<br />

zu erhöhen, setzt man deshalb nicht nur eine Eizelle ein, sondern gleich mehrere 1 .<br />

Dabei lässt sich natürlich nicht ausschließen, dass sich auch mehrere der eingesetzten<br />

Eizellen in die Gebärmutter einnisten könnten. Es entstehen dann <strong>Zwillinge</strong> oder sogar<br />

höhergradige Mehrlinge. Eine Obergrenze ist dadurch gesetzt, dass nach dem deutschen<br />

Embryonenschutzgesetz pro Eingriff höchstens drei befruchtete Eizellen oder<br />

Embryos eingesetzt werden dürfen. Allerdings können sich die eingesetzten Eizellen –<br />

wie jede gewöhnliche Eizelle – während der folgenden Tage noch einmal innerhalb der<br />

Gebärmutter eineiig teilen, wodurch es zu Vierlingen oder Fünflingen kommen kann.<br />

In vielen anderen Ländern gilt die Beschränkung auf höchstens drei Eizellen von<br />

vornherein nicht, so dass es dort bereits aufgrund der Anzahl der eingesetzten Eizellen<br />

zu hochgradigen Mehrlingsschwangerschaften kommen kann.<br />

schwangerschaften ist in Deutschland bereits auf 1:500 angestiegen; in anderen Ländern<br />

noch darüber hinaus. Vierlinge (natürliche Häufigkeit 1:600.000) und Fünflinge (natürliche<br />

Häufigkeit 1:52 Millionen) beruhen heutzutage ganz überwiegend auf Fruchtbarkeitsbehandlungen.<br />

2. Diagnose der Mehrlingsschwangerschaft<br />

Mit dem Einzug der Ultraschallgeräte in die Frauenarztpraxen haben sich die Möglichkeiten<br />

einer frühzeitigen Erkennung der Zwillingsschwangerschaft entscheidend<br />

verbessert. Bereits bei der ersten Ultraschalluntersuchung, die zwischen dem Beginn der<br />

neunten bis zum Ende der 12. SSW 2 vorgesehen ist, sind alle Embryos und die zugehörigen<br />

Fruchtblasen selbst mit älteren, niedrigauflösendenden Geräten deutlich zu erkennen.<br />

Nur selten „versteckt“ sich ein Zwilling so geschickt, dass er selbst bei aufmerksamer<br />

Untersuchung des gesamten Gebärmutterraumes nicht entdeckt werden kann.<br />

9b<br />

Auch medikamentöse Fruchtbarkeitsbehandlungen bei der Frau (Hormontherapien)<br />

können zu Mehrlingsschwangerschaften führen, indem sie das gleichzeitige<br />

Heranreifen entsprechend vieler Eizellen fördern. Insgesamt führt etwa jede vierte<br />

erfolgreiche Fruchtbarkeitsbehandlung (künstliche Befruchtung oder Hormontherapie)<br />

zu einer Mehrlingsschwangerschaft.<br />

Dadurch hat sich der Anteil der Zwillingsschwangerschaften, der zuvor leicht<br />

rückläufig war, seit den achtziger Jahren wieder deutlich erhöht und wird voraussichtlich<br />

weiter steigen. Von allen derzeitigen Schwangerschaften ist bereits mehr als jede<br />

dreißigste eine Zwillingsschwangerschaft; dagegen betrug die natürliche Häufigkeit<br />

nur 1:85 (siehe Grafik Seite 6). Bei den Drillingsschwangerschaften hat sich deren<br />

Anzahl durch die Fruchtbarkeitsbehandlungen sogar verzwanzigfacht. Der ursprünglich<br />

recht geringe Anteil von circa einer Drillingsschwangerschaft auf 7.000 Einlings-<br />

Ultraschallbild: <strong>Zwillinge</strong> mitgetrennten Fruchtblasen<br />

in der 8. SSW (älteres, niedrigauflösendes Gerät)<br />

1 Zunehmend wird allerdings diskutiert, von der Einsetzung mehrerer Eizellen zur Vermeidung<br />

von Mehrlingsgeburten Abstand zu nehmen.<br />

2 SSW = Schwangerschaftswoche; zur Berechnung der SSW siehe Anhang II, Seite 99


10a<br />

Zu diesem Zeitpunkt ist der Zwillingsbefund aber noch nicht endgültig. Bis zum<br />

Ende des ersten Schwangerschaftsdrittels wandeln sich viele Zwillingsschwangerschaften<br />

noch in eine Einlingsschwangerschaft um, indem einer der Embryos einfach<br />

„verschwindet“ (sog. spontane Reduktion). Von den Zwillingsschwangerschaften, die<br />

innerhalb der ersten sechs Wochen festgestellt werden, verwandeln sich bis zu drei<br />

Viertel(!) vorzeitig in eine Einlingsschwangerschaft. Die spontane Reduktion gilt als<br />

eine natürliche Abwehrreaktion der Gebärmutter, die vor allem dazu dient, das Überleben<br />

des anderen Embryos zu sichern.<br />

Viele Eltern sind über das Verschwinden des Zwillings traurig, weil sie sich über<br />

das doppelte Glück schon gefreut hatten. Manche haben in der Vorfreude vielleicht<br />

sogar schon die ersten Anschaffungen getätigt. Um beides zu verhindern hat man Ärzten<br />

in der Vergangenheit dazu geraten, den Zwillingsbefund eine Zeit lang vor den<br />

Eltern geheim zu halten. Man wollte bei den Eltern nicht zu früh eine Erwartung aufbauen,<br />

die schon bald widerrufen werden muss. Wir persönlich halten diese Art der<br />

Verheimlichung allerdings für unangebracht und plädieren für ein offenes Patientengespräch,<br />

in dem die werdenden Eltern sowohl über den Zwillingsbefund als auch über<br />

die Möglichkeiten des nachträglichen Verschwindens vollständig und korrekt aufklärt<br />

werden, um ihnen dadurch einen verantwortlichen Umgang mit dieser Situation zu<br />

ermöglichen.<br />

3. Bildung der Eihäute und Einnistung in die Gebärmutter<br />

a) Eineiige <strong>Zwillinge</strong><br />

Sofort nach der Befruchtung der Eizelle beginnt deren unaufhaltsame Vermehrung<br />

durch Zellteilung. Aus einer einzelnen Eizelle werden im Laufe der Schwangerschaft<br />

Abermillionen von Zellen, die schließlich den Menschen ausmachen. Am Ende<br />

der Schwangerschaft hat jede Zelle ihre durch den menschlichen „Bauplan“ festgelegte<br />

Funktion. Zu Beginn der Schwangerschaft sind es aber nach der ersten Teilung nur<br />

zwei, dann vier, dann acht Zellen, die zunächst einmal keinerlei innere Ordnung erkennen<br />

lassen. Erst etwa drei Tage nach der Befruchtung beginnen die Zellen sich zu<br />

spezialisieren und unterschiedliche Funktionen anzunehmen. Man spricht von einer<br />

ersten Zelldifferenzierung. Im Inneren des Gebildes entsteht eine Zellansammlung, die<br />

sich später zum eigentlichen Embryo entwickelt und Embryoblast genannt wird. Am<br />

äußeren Rand sammeln sich Zellen, die später den kindlichen Teil des Mutterkuchens<br />

und die äußere Eihaut ausbilden. Sie übernehmen also die ernährende Funktion und<br />

werden „Trophoblast“ genannt. Beide Zellgruppen bleiben über eine Brücke (sog. „Haftstiel“)<br />

miteinander verbunden, aus dem später die Nabelschnur entsteht. Diese funktionale<br />

Aufteilung in einen embryonalen und einen ernährenden Teil geschieht bei jeder<br />

Schwangerschaft, also auch bei Einlingsschwangerschaften, und hat mit der Zwillingsteilung<br />

zunächst einmal nichts zu tun.<br />

Embryoblast<br />

Trophoblast<br />

Nun besteht bei eineiigen <strong>Zwillinge</strong>n die Besonderheit, dass sich die befruchtete<br />

Eizelle bzw. das aus ihr bereits entstandene Gebilde innerhalb von dreizehn Tagen nach<br />

der Befruchtung in zwei Teile teilt und es dadurch zu einer kompletten Verdopplung der<br />

Anlagen kommt. Es überlagern sich hier also zwei grundverschiedene Teilungsvorgänge:<br />

zum einen die funktionale Aufteilung der befruchteten Eizelle in den Embryo und den<br />

Mutterkuchen (Zelldifferenzierung), zum anderen die Zwillingsteilung als komplette<br />

Verdopplung aller Anlagen.<br />

Da die Zelldifferenzierung hin zu Embryo und Mutterkuchen an einem genau festgelegten<br />

Zeitpunkt stattfindet (drei Tage nach der Befruchtung), die Zwillingsteilung<br />

jedoch irgendwann beliebig zwischen dem ersten und dem dreizehnten Tag der Schwangerschaft,<br />

ist die Reihenfolge der Teilungsvorgänge nicht von vornherein festgelegt: Die<br />

Zwillingsteilung kann entweder vor oder nach der Zelldifferenzierung stattfinden. Von<br />

der Reihenfolge dieser beiden Teilungsereignisse hängt es nun ab, mit welchen Eihautund<br />

Mutterkuchenverhältnissen die <strong>Zwillinge</strong> aufwachsen.<br />

aa) Teilung bis zum dritten Tag: dichoriale <strong>Zwillinge</strong><br />

Findet die Zwillingsteilung vor dem dritten Schwangerschaftstag statt, so verdoppelt<br />

sich die befruchtete Eizelle komplett. Anschließend kommt es dann am dritten Tag<br />

zur Zelldifferenzierung, bei der beide Zwillingsgebilde je einen embryonalen und je<br />

10b


11a<br />

einen ernährenden Teil ausbilden. Jeder Embryo verfügt dann über einen eigenen Mutterkuchen<br />

und eine eigene äußere Eihaut. Man nennt diese Konstellation „dichorial“<br />

(bzw. dichorisch, dichoriatisch), zusammengesetzt aus der griechischen Vorsilbe „di“<br />

= zwei und dem Wort „chorion“ als Bezeichnung für die äußere kindliche Eihaut. Wir<br />

verwenden diesen medizinischen Begriff auch im Weiteren, da es keine prägnante<br />

deutsche Übersetzung gibt 1 .<br />

Plazenta<br />

Chorion<br />

Amnion<br />

dichorial<br />

oblast), jedoch nicht mehr der ernährende Teil (Trophoblast). Daraus folgt, dass für<br />

beide Embryos nur ein einziger Mutterkuchen vorhanden ist und beide <strong>Zwillinge</strong> innerhalb<br />

derselben äußeren Eihaut aufwachsen. Die Schwangerschaft wird deshalb als monochorial<br />

bezeichnet (griechisch „mono“ = eins; „chorion“ wiederum für die äußere<br />

Eihaut).<br />

Der weitere Verlauf der monochorialen Schwangerschaft kann wiederum zwei verschiedene<br />

Formen annehmen, je nachdem ob sich der Embryoblast vor oder nach dem<br />

siebten Tag teilt. Am siebten Tag der Schwangerschaft bildet sich nämlich die Amnionhöhle,<br />

die später um den Embryo herum die innere Eihaut bildet. Dasselbe Spiel wiederholt<br />

sich: Teilt sich der Embryo vor diesem Zeitpunkt, können beide neu entstandenen<br />

Embryos noch je eine eigene Amnionhöhle ausbilden. Teilt sich der Embryo erst später,<br />

was selten vorkommt (weniger als 2%), so wachsen beide <strong>Zwillinge</strong> innerhalb derselben<br />

Amnionhöhle auf. Die monochorialen Schwangerschaften werden daher noch einmal<br />

unterteilt in diamniale und monoamniale Schwangerschaften, je nachdem ob eine oder<br />

zwei innere Eihäute vorhanden sind („di“ = zwei, „mono“ = eins, „amnion“ = innere<br />

Eihaut).<br />

11b<br />

Nicht immer sind beide Mutterkuchen (Plazenten) so deutlich voneinander abgegrenzt<br />

wie in der schematischen Zeichnung; manchmal liegen sie so nah beieinander,<br />

dass sie an den Rändern miteinander verwachsen. Jedoch besteht der dichoriale Mutterkuchen<br />

immer aus zwei unabhängigen Hälften, die jeweils eines der Kinder versorgen.<br />

Der Anteil dichorialer Schwangerschaften unter den eineiigen <strong>Zwillinge</strong>n beträgt<br />

etwa ein Drittel.<br />

bb) Teilung nach dem dritten Tag: monochoriale <strong>Zwillinge</strong><br />

Das Gegenteil zur dichorialen bildet die monochoriale Schwangerschaft: hier teilt<br />

sich das Ei nicht innerhalb der ersten drei Tage, sondern erst später. Die funktionale<br />

Aufteilung in einen embryonalen und einen ernährenden Teil ist dann bereits abgeschlossen.<br />

In diesem Stadium kann sich das Gebilde nicht mehr komplett durch eine<br />

Zwillingsteilung verdoppeln. Es teilt sich nur noch der embryonale Teil (Embry-<br />

1 Der Begriff „chorion“ wird ins Deutsche mit „Zottenhaut“ übersetzt; „dichorial“ bedeutet<br />

also wörtlich: „mit zwei Zottenhäuten“.<br />

monochorial-diamnial<br />

b) zweieiige <strong>Zwillinge</strong><br />

monochorial-monoamnial<br />

Bei zweieiigen <strong>Zwillinge</strong>n stellt sich die Frage der Eihautverhältnisse nicht, da sich<br />

beide befruchteten Eizellen unabhängig voneinander in die Gebärmutter einnisten. Beide<br />

Eizellen sind von Beginn an in der Lage, alle Anlagen für sich gesondert auszubilden.


12a<br />

Jeder Embryo verfügt über eine eigene innere und äußere Eihaut, eigenes Fruchtwasser<br />

und einen eigenen Mutterkuchen. Zweieiige <strong>Zwillinge</strong> sind also immer dichorial.<br />

c) höhergradige Mehrlingsschwangerschaften<br />

Höhergradige Mehrlingsschwangerschaften können ebenfalls tri-, di- oder monochorial,<br />

und innerhalb der jeweiligen Chorien di- oder monoamnial ausgestaltet sein.<br />

Auch Mischformen können vorkommen. Bei Drillingen können beispielsweise zwei<br />

Kinder innerhalb einer gemeinsamen Amnionhöhle aufwachsen (Teilung nach dem<br />

siebten Tag), während das dritte über eine eigenständige äußere Eihaut (Chorion)<br />

verfügen mag und sogar genetisch verschieden sein kann (zweites befruchtetes Ei).<br />

mehr so gut erkennen. Man behilft sich dann, indem man den Übergang der Plazenten<br />

beider Kinder betrachtet 1 .<br />

Außerdem lassen sich aus dem Eihautbefund auch noch Rückschlüsse ziehen, ob es<br />

sich um ein- oder zweieiige <strong>Zwillinge</strong> handelt. Da monochoriale Schwangerschaften nur<br />

bei eineiigen Geschwistern möglich sind, kann man, wenn nur eine äußere Eihaut vorhanden<br />

ist, schon früh den sicheren Rückschluss auf eine eineiige Zwillingsschwangerschaft<br />

ziehen. Umgekehrt bedeutet das Vorliegen getrennter Eihäute, dass es sich zu<br />

90% um zweieiige Geschwister handelt. Sollte in der Frühschwangerschaft versäumt<br />

worden sein, die Eihautverhältnisse festzustellen, können erfahrene Hebammen dies<br />

auch noch aus der Nachgeburt bestimmen.<br />

12b<br />

4. Vorsorgeuntersuchungen, Mutterpass<br />

d) Bedeutung der Klassifizierung<br />

Die Klassifizierung der vorgefundenen Eihautverhältnisse als eine di- oder monochoriale,<br />

gegebenenfalls noch di- oder monoamniale Schwangerschaft ist ein wichtiges<br />

Kriterium für die weitere medizinische Vorsorge. Bestimmte Schwangerschaftskomplikationen<br />

können nämlich überhaupt nur bei monochorialen Eihautverhältnissen<br />

auftreten, einige Komplikationen sogar nur dann, wenn eine monochorialmonoamniale<br />

Schwangerschaft vorliegt. Letztere kommt glücklicherweise nur sehr<br />

selten vor, ist aber mit einem besonders hohen Risiko für die <strong>Zwillinge</strong> verbunden und<br />

muss deshalb in allen Phasen besonders genau überwacht werden. Um solche Risiken<br />

frühzeitig erkennen und gezielt beobachten zu können, sollen die Eihautverhältnisse<br />

möglichst frühzeitig durch den betreuenden Frauenarzt bestimmt und auch im Mutterpass<br />

dokumentiert werden. Bei der frühen ersten Ultraschalluntersuchung sind die<br />

Eihautverhältnisse meist gut zu erkennen. In dem Ultraschallbild auf Seite 9 sieht man<br />

zum Beispiel die deutlich voneinander getrennten Fruchtblasen einer dichorialen Zwillingsschwangerschaft<br />

mit den hell hervortretenden Eihäuten. Bei späteren Ultraschalluntersuchungen,<br />

wenn die Kinder größer geworden sind, lassen sind die Eihäute nicht<br />

Als Zwillingsschwangere werden Sie regelmäßig zur Vorsorgeuntersuchung gebeten<br />

– viel häufiger als Einlingsschwangere, für die während der gesamten Schwangerschaft<br />

nur zehn Vorsorgeuntersuchungen mit insgesamt drei Ultraschalluntersuchungen<br />

vorgesehen sind. In welchen Zeitabständen der Frauenarzt Sie sehen will, hängt von<br />

Ihrem Gesundheitszustand, der Entwicklung der Kinder, dem Zustand des Muttermundes<br />

und Gebärmutterhalses sowie von den festgestellten Eihautverhältnissen ab. Vor allem<br />

im letzten Schwangerschaftsdrittel werden Sie in immer kürzeren Abständen untersucht<br />

werden. Die intensivere Betreuung hat ihren Grund darin, dass bei Mehrlingsschwangerschaften<br />

einige spezielle Komplikationen auftreten können, denen man am besten begegnen<br />

kann, wenn sie frühzeitig erkannt werden. Zum Ende der Schwangerschaft prüft<br />

der Frauenarzt vor allem, ob alle Kinder noch ausreichend versorgt sind und die Mutter<br />

nicht unter einer Schwangerschaftserkrankung leidet, da sonst die Geburt eingeleitet<br />

werden muss. Noch engmaschiger werden Drillings- und Vierlingsschwangere untersucht,<br />

denen im letzten Schwangerschaftsdrittel sogar ein stationärer Klinikaufenthalt<br />

empfohlen wird.<br />

1 Eine zipfelige Ausstülpung am Übergang der Mutterkuchen (Plazenten), die wie der griechische<br />

Buchstabe Lambda aussieht (Λ) spricht für dichoriale Eihautverhältnisse. Fehlt die Ausstülpung<br />

und sieht der Übergang eher spitzeckig wie der Buchstabe „T“ aus, so spricht dies für monochoriale<br />

Eihautverhältnisse


13a<br />

Nehmen Sie diese Vorsorgetermine gewissenhaft wahr, auch wenn sie während<br />

Ihrer Arbeitszeit liegen. Ihr Arbeitgeber muss Sie hierfür freistellen. Die Wahrnehmung<br />

der Vorsorgetermine ist unbedingt erforderlich, um die Entwicklung der Kinder<br />

kontinuierlich zu überwachen und im Falle eintretender Besonderheiten und Komplikationen<br />

rechtzeitig eingreifen zu können.<br />

Kinder gesondert dokumentiert, ebenso wie im späteren Verlauf der Schwangerschaft<br />

die CTG 2 - oder Dopplerbefunde 3 .<br />

13b<br />

Im Mutterpass wird die Mehrlingsschwangerschaft dokumentiert. Unter der Rubrik<br />

„Ultraschall-Untersuchungen“ wird bereits nach der ersten Untersuchung der Vermerk<br />

„V.a. Mehrlinge“ angekreuzt sein. Noch handelt es sich nur um einen „Verdacht“ auf<br />

Mehrlinge, da erst nach der 12. SSW mit einiger Gewissheit festgestellt werden kann,<br />

wie viele Embryos sich tatsächlich fortentwickeln. Schon bei der ersten Ultraschalluntersuchung<br />

sollte der Arzt jedoch nach Möglichkeit feststellen, welche Eihautverhältnisse<br />

vorliegen, da einige Schwangerschaftsrisiken hiervon abhängen. Der handschriftliche<br />

Zusatz „Gemini Diamniotisch Dichorial“ in unserem Beispiel bedeutet: <strong>Zwillinge</strong><br />

mit je einer eigenen inneren Eihaut (Amnion) und je einer eigenen äußeren Eihaut<br />

(Chorion) 1 .<br />

Bei den künftigen Ultraschalluntersuchungen findet sich anstelle der Rubrik „V.a.<br />

Mehrlinge“ nunmehr der Punkt „Einling“. Wird dieser Punkt verneint, zeigt das an,<br />

dass endgültig eine Mehrlingsschwangerschaft vorliegt.<br />

Bei den Eintragungen im Gravidogramm wird die Kindslage für jedes Kind gesondert<br />

angegeben. Die Kinder werden mit römischen Ziffern nach der Reihenfolge<br />

bezeichnet, in der sie geboren würden, wenn jetzt die Geburt unmittelbar bevorstünde:<br />

Das Kind, welches am tiefsten im Becken liegt (unmittelbar vor dem Muttermund),<br />

erhält die Ziffer I, das zweite Kind die Ziffer II. Auch die Herztöne werden für beide<br />

In unserem eingekreisten Beispiel liegt also das untere<br />

Kind (I) in „SL“ = Schädellage (Kopf nach unten). Das Kind darüber (II) liegt in<br />

„BE“ = Beckenendlage (Becken nach unten). Die Herztöne beider Kinder sind in Ordnung.<br />

Die übrigen Eintragungen im Gravidogramm enthalten keine zwillingstypischen<br />

Besonderheiten.<br />

Um die jeweiligen Kinder auch in der gesprochenen Sprache eindeutig zu kennzeichnen,<br />

verwendet man eine Kombination aus der hypothetischen Geburtsreihenfolge<br />

und der aktuellen Kindslage. In der Fachsprache würde das untere Kind aus unserem<br />

Beispiel mit „erste Schädellage“ und das darüber liegende Kind mit „zweite Beckenendlage“<br />

bezeichnet. Auch alle schriftlichen Untersuchungen und Befunde (CTG, Biometrie<br />

1 In der demnächst erscheinenden überarbeiteten Fassung des Mutterpasses wird dafür sogar<br />

ein besonderes Ankreuzfeld zur Verfügung stehen.<br />

2 CTG = Herzton-Wehenschreiber<br />

3 „Doppler“ = Doppler-Ultraschall-Untersuchung


14a<br />

etc.) werden durch die Kennzeichen „I SL“ und „II BE“ (bzw. „II BEL“) dem jeweils<br />

untersuchten Kind eindeutig zugeordnet.<br />

5. Vorgeburtliche Diagnostik<br />

Zur kontinuierlichen Überwachung der Schwangerschaft dienen die regelmäßigen<br />

Blutuntersuchungen und Urinproben, das Abtasten des Bauches, die Ultraschalluntersuchung<br />

und später das CTG oder der Doppler-Ultraschall. Diese Maßnahmen informieren<br />

den Frauenarzt über den Verlauf der Schwangerschaft sowie das Gedeihen der<br />

Ungeborenen und ermöglichen es ihm, bedenklichen Entwicklungen rechtzeitig entgegenzuwirken.<br />

Sie dienen damit dem Wohl der Schwangeren und dem Wohl der Kinder.<br />

Bestimmte Krankheitsbilder oder Behinderungen sind jedoch durch Chromosomen-Anomalien<br />

verursacht und liegen deshalb bereits zu Beginn der Schwangerschaft<br />

vor. Sie beruhen auf einer Schädigung des Erbgutes und lassen sich medizinisch nicht<br />

heilen, lediglich die Folgen lassen sich lindern. Zu den bekanntesten Schädigungen<br />

dieser Art gehören das Down-Syndrom (Trisomie 21, sog. „Mongolismus“) und der<br />

Spaltwirbel (spina bifida, sog. „offener Rücken“, eine Rückenmarksfehlbildung). Auch<br />

solche Schädigungen können im späteren Verlauf der Schwangerschaft durch Ultraschalluntersuchungen<br />

erkannt werden, wenn die äußerlich betroffenen Körperstellen<br />

des Kindes hinreichend herausgebildet sind. Mit den dadurch gewonnenen Untersuchungsergebnissen<br />

können die erforderlichen Maßnahmen frühzeitig geplant und unmittelbar<br />

nach der Geburt sofort veranlasst werden (z.B. eine Operation zum Verschluss<br />

des Spaltwirbels).<br />

Viele Eltern machen sich während der Schwangerschaft Gedanken, ob ihr(e)<br />

Kind(er) von einer solchen Behinderung betroffen sein könnten, und sehnen sich nach<br />

einer möglichst frühen Bestätigung, dass dieses nicht eintritt. Oft werden solche Sorgen<br />

auch von außen an die werdenden Eltern herangetragen. Manche Eltern sind von<br />

vornherein nicht bereit, ein behindertes Kind aufzuziehen, und würden die Schwangerschaft<br />

dann lieber abbrechen. Sie sind auf eine möglichst frühe Diagnose angewiesen,<br />

weil die körperliche und psychische Belastung eines Schwangerschaftsabbruchs mit<br />

zunehmender Schwangerschaftsdauer wächst.<br />

Embryos frühzeitig zu erkennen (vorgeburtliche genetische Diagnostik). Die Verfahren<br />

lassen sich methodisch in drei Gruppen unterteilen: (1) Untersuchung der kindlichen<br />

Zellen, (2) Untersuchung der mütterlichen Blutwerte, (3) Betrachtung des Kindes. Einen<br />

medizinischen Nutzen im Sinne besserer Heilungsmöglichkeiten haben diese Untersuchungen<br />

nicht; sie dienen nur der Information der Eltern.<br />

Grundsätzlich versprechen die Methoden der ersten Gruppe das genaueste Ergebnis,<br />

da hier das Erbgut der Ungeborenen unmittelbar untersucht wird. Sie sind allerdings<br />

zugleich auch am gefährlichsten durchzuführen, weil man entweder die Fruchtblase mit<br />

einer Hohlnadel durchstechen muss, um an die kindlichen Zellen heranzukommen, oder<br />

außerhalb der Fruchtblase an der Gebärmutterwand eine embryonale Gewebeprobe entnehmen<br />

muss. Solche Eingriffe bergen ein gewisses Infektionsrisiko und führen mit<br />

einer bestimmten Wahrscheinlichkeit zur anschließenden Fehlgeburt. Das Fehlgeburtsrisiko<br />

ist der Preis für die frühe genaue Information.<br />

Die Methoden der zweiten Gruppe (Untersuchung der mütterlichen Blutwerte) sind<br />

demgegenüber ungefährlich. Hintergrund dieser Untersuchungsmethoden ist, dass bestimmte<br />

Blutwerte der Mutter sich bei bestimmten genetischen Erkrankungen des Kindes<br />

verändern. Allerdings ist die Methode relativ ungenau, weil es auch noch andere Faktoren<br />

gibt, die dieselben Blutwerte verändern können.<br />

Die dritte Methode (Betrachtung des Kindes) bezieht sich auf die bildgebenden<br />

Verfahren, vor allem den Ultraschall. Ihre Möglichkeiten sind begrenzt, weil in dem<br />

frühen Entwicklungsstadium der ersten Schwangerschaftswochen noch nicht die typischen<br />

äußerlichen Merkmale der Erkrankung ausgebildet sind. So ist bisher auch nur ein<br />

einziger optisch darstellbarer Nachweis anerkannt, nämlich eine vergrößerte Nackenfalte<br />

sowie eine Verzögerung der Nasenbeinverknöcherung bei Vorliegen eines Down-<br />

Syndroms. Da es sich hier jedoch nur um eine minimale Abweichung von nur wenigen<br />

Millimetern handelt, ist die Vermessung schwierig. Ihre Ergebnisse allein gelten als<br />

nicht hinreichend aussagekräftig, weshalb man die Ultraschallmethode in aller Regel<br />

nicht isoliert anwendet, sondern noch mit einer Untersuchung der mütterlichen Blutwerte<br />

kombiniert.<br />

Auf diesen unterschiedlichen Methoden basierend werden folgende fünf Einzelverfahren<br />

derzeit in Deutschland angeboten:<br />

14b<br />

Um dem Bedürfnis nach früher Gewissheit nachzukommen, wurden spezielle Untersuchungstechniken<br />

entwickelt, die dem Zweck dienen, genetische Schädigungen des


15a<br />

- die Chorion(zotten)biopsie (ab ca. 10.-12. SSW 1 )<br />

- der Triple-Test / Quadruple-Test (ca. 15.-18.SSW)<br />

- das Erst-Trimester-Screening (11.-14. SSW)<br />

- die Fruchtwasseruntersuchung (ca. 15.-20. SSW 2 )<br />

- die Nabelschnurpunktion (ab 19. SSW 3 ).<br />

Die frühest mögliche Untersuchung ist also die Chorionzottenbiopsie bzw. Chorionbiopsie.<br />

Hierbei wird entweder ein Kunststoffschlauch durch den Geburtskanal oder<br />

eine Kanüle (Hohlnadel) durch die Bauchdecke eingeführt und mittels Unterdruck eine<br />

Gewebeprobe aus den Zotten der äußeren Eihaut (Chorion) entnommen. Dabei handelt<br />

es sich um das embryonale Nährgewebe, das in die Schleimhaut der Gebärmutter einwächst<br />

und sich zum Mutterkuchen (Plazenta) herausbildet. Einige der möglichen<br />

Chromosomenstörungen (z.B. das Down-Syndrom) sowie bestimmte angeborene Stoffwechselerkrankungen<br />

können mit dieser Methode erkannt werden, nicht aber z.B. der<br />

„offene Rücken“. Die Chorionzottenbiopsie muss für jedes Kind gesondert durchgeführt<br />

werden, es sei denn, aufgrund des Eihautbefundes stünde bereits fest, dass es<br />

sich um eineiige <strong>Zwillinge</strong> handelt. Bei etwa 5% der Entnahmen passiert es dann allerdings,<br />

dass versehentlich zweimal die Zotten desselben Kindes abgesaugt werden,<br />

was eine Wiederholung der Prozedur erforderlich macht. Die Chorionzottenbiopsie ist<br />

insgesamt die gefährlichste aller Untersuchungsmethoden. Die Wahrscheinlichkeit,<br />

dass die Chorionzottenbiopsie zu einer Fehlgeburt führt, wird für Zwillingsschwangerschaften<br />

mit bis zu acht Prozent(!) angegeben.<br />

Der sog. „Triple-Test“ (serum-screening) ist demgegenüber ein harmloser Bluttest,<br />

von dem keinerlei Gefahren für die Schwangerschaft ausgehen. Die gemessenen<br />

Blutwerte begründen oder entkräften den Verdacht einer Chromosomenschädigung.<br />

Geben die Blutwerte Grund zu der Besorgnis, dass eine Schädigung vorliegen könnte,<br />

so muss anschließend noch eine Fruchtwasseruntersuchung durchgeführt werden, um<br />

ein genaues Ergebnis zu erhalten. Da die Blutwerte nämlich außer durch Chromosomenschädigungen<br />

auch noch durch andere, unbedenkliche Faktoren verändert werden<br />

1 Z.T. auch noch früher möglich bei erheblich erhöhtem Schädigungsrisiko durch den Eingriff<br />

selbst.<br />

2 Seit einiger Zeit auch bereits ab der 11. SSW mit erheblich erhöhtem Fehlgeburtsrisiko.<br />

3 In Einzelfällen auch schon früher, ab ca. 15.SSW.<br />

können, schlägt der Triple-Test oft „Fehlalarm“. Vor allem bei Mehrlingen ergeben die<br />

Werte des Triple-Tests ein verfälschtes Bild, da die drei zu untersuchenden Substanzen<br />

aFP (alpha-Fetoprotein), hCG (human-Choriongonadotropin) und uE3 (freies Östriol)<br />

bei Mehrlingsschwangerschaften von vornherein in erhöhter Konzentration vorliegen.<br />

Der Triple-Test wurde daher bei Mehrlingsschwangerschaften lange Zeit als überhaupt<br />

nicht durchführbar angesehen. Erst nach und nach sind in Versuchsreihen aussagekräftige<br />

Vergleichswerte ermittelt worden, die die Durchführung des Triple-Tests zumindest<br />

bei <strong>Zwillinge</strong>n inzwischen möglich machen – wenn auch mit einer noch höheren Fehlerquote<br />

als bei Einlingen. Der Triple-Test führt nie zu einer letztlichen Gewissheit, sondern<br />

er ermittelt nur eine individuelle Wahrscheinlichkeit. Seit einiger Zeit wird sogar<br />

ein „Quadruple-Test“ angeboten, bei dem außer den drei herkömmlichen Substanzen<br />

auch noch die weitere Substanz „Inhibin A“ getestet wird, um die Treffsicherheit weiter<br />

zu erhöhen. Das Problem der höheren Fehlerquote bei Mehrlingsschwangerschaften wird<br />

dadurch jedoch nicht behoben.<br />

Das Erst-Trimester-Screening (Vermessung der Nackentransparenz und des Nasenbeins<br />

per Ultraschall) ist eine erst in der jüngeren Zeit entwickelte, sich jedoch zunehmend<br />

verbreitende Methode. Man hat festgestellt, dass bei Kindern mit Down-Syndrom,<br />

einigen anderen Chromosomenstörungen und einigen strukturellen Anomalien (Herzfehler<br />

u.ä.) in der Zeit zwischen der 11. und etwa der 14. SSW eine vergrößerte Nackenfalte<br />

im Ultraschall erkennbar ist. Sie rührt aus einer vermehrten Flüssigkeitsansammlung, die<br />

dort sonst nicht auftritt. Außerdem verzögert sich bei Kindern mit Down-Syndrom die<br />

Ausbildung des Nasenbeins. In der 10. bis 14. SSW „fehlt“ daher das Nasenbein im<br />

Ultraschall (Hypoplasie der Nase). Um diese minimalen Größenabweichungen messen<br />

zu können, bedarf es jedoch eines hochauflösenden Ultraschallgerätes, spezieller Berechnungssoftware<br />

und einiger Erfahrung. Kombiniert man die Ultraschallmethode mit<br />

einer zusätzlichen Untersuchung der Blutwerte „freies beta-hCG“ (eine Untereinheit des<br />

Hormons hCG), und „papp-A“ (schwangerschaftsassoziiertes Plasmaprotein A), so lässt<br />

sich bei Einlingen eine Trefferquote von über 90% erreichen 4 . Bei Mehrlingen liegt die<br />

4 Soweit jedenfalls die Theorie. In der Praxis mischen sich zu der anfänglichen Euphorie über<br />

diese Methode zunehmend auch kritische Stimmen. Denn selbst für geübte Ärzte ist es nicht einfach,<br />

die Nackenfalte und das Nasenbein im Ultraschallbild korrekt zu bewerten. Um die Verlässlichkeit<br />

bei der Beurteilung einmal zu hinterfragen, wurden in einer Studie der Universität Paris<br />

657 Ultraschallaufnahmen jeweils drei erfahrenen Untersuchern unabhängig voneinander zur<br />

Prüfung vorgelegt. Bei der Frage, ob ein Nasenbein zu erkennen sei, stimmten die Beurteilungen<br />

der Untersucher in jedem vierten Fall nicht überein. Schlimmer noch: Anschließend sollten die<br />

Untersucher 100 Ultraschall-Videos, die sie bereits begutachtet hatten, ein zweites Mal beurteilen.<br />

Hierbei wichen sie in jedem dritten Fall von ihrer eigenen früheren Beurteilung ab! Diese Unsi-<br />

15b


16a<br />

Trefferquote deutlich darunter, einerseits wegen zwillingsspezifischer Besonderheiten<br />

bei der Entwicklung der Nackenfalte, andererseits wegen der weniger eindeutigen<br />

Blutwerte. Erste Auswertungen berichten von einer Trefferquote um die 80%.<br />

Bei der Fruchtwasseruntersuchung (Amniozentese) wird mithilfe einer Punktionsnadel<br />

durch die Bauchdecke hindurch Fruchtwasser aus den jeweiligen Fruchtblasen<br />

entnommen und auf Veränderungen der Erbsubstanz hin untersucht. Bei dichorialen<br />

<strong>Zwillinge</strong>n muss diese Prozedur für jedes Kind gesondert durchgeführt werden.<br />

Das vollständige Ergebnis liegt erst nach etwa zwei Wochen vor, weil zunächst eine<br />

Zellkultur mit kindlichen Zellen herangezüchtet werden muss. Mit einer Schnellmethode<br />

(sog. FISH-Test) kann man jedoch innerhalb von ein oder zwei Tagen bereits ein<br />

erstes Ergebnis erhalten, mit dem 90% der wichtigsten Chromosomenstörungen abgedeckt<br />

werden. Manchmal misslingt der Test allerdings auch komplett (methodische<br />

Versager), weil sich die Zellkultur nicht wie gewünscht heranzüchten lässt.<br />

Wie die Chorionzottenbiopsie bedeutet auch die Fruchtwasseruntersuchung einen<br />

erheblichen Eingriff in die Schwangerschaft. Neben der Gefahr einer Fehlgeburt oder<br />

Infektion, die allerdings nicht so hoch ist wie bei der Chorionzottenbiopsie, tritt hier<br />

noch die zusätzliche Gefahr einer mechanischen Verletzung des Kindes durch die<br />

Punktionsnadel selbst. Dieses Verletzungsrisiko wird zwar durch die gleichzeitige<br />

Ultraschallüberwachung minimiert, doch können bei Mehrlingen zusätzliche Risiken<br />

aus einer ungünstigen Lage der Kinder und durch eine erschwerte Überwachungsmöglichkeit<br />

entstehen, wenn sich verschiedene Kindsteile im Ultraschallbild überlappen.<br />

Ein weiteres Risiko besteht, wenn zur Kennzeichnung der zuerst punktierten Fruchtblase<br />

ein Farbstoff in das Fruchtwasser gespritzt wird, um bei der zweiten Entnahme<br />

feststellen zu können, ob eventuell versehentlich noch einmal dieselbe Fruchtblase<br />

angestochen wurde. Das früher verwendete Einfärbungsmittel Methylenblau ist bereits<br />

nicht mehr in Verwendung, weil seine Giftigkeit zu einer erhöhten Kindssterblichkeit<br />

beigetragen haben soll. Der derzeit gebräuchliche Farbstoff Indigokarmin steht dagegen<br />

im Verdacht, einen Dünndarmverschluss zu begünstigen; wissenschaftlich bewiesen<br />

ist ein solcher Zusammenhang allerdings noch nicht. Insgesamt geben die meisten<br />

Untersuchungen das Fehlgeburtsrisiko einer Fruchtwasseruntersuchung bei Mehrcherheiten<br />

bei der praktischen Durchführung des Verfahrens müssen bei der Verlässlichkeit der<br />

damit zu erzielenden Ergebnisse mit berücksichtigt werden.<br />

lingsschwangerschaften mit zwei bis vier Prozent an gegenüber bis zu einem Prozent bei<br />

Einlingsschwangerschaften 1 .<br />

Die erst ab der 19. SSW mögliche Nabelschnurpunktion (Chordozentese) gehört<br />

schon wegen ihres späten Zeitpunkts nicht mehr zu den Untersuchungsmethoden, die<br />

standardmäßig angeboten werden. Sie dient vor allem der endgültigen Abklärung, wenn<br />

die bereits durchgeführte Fruchtwasseruntersuchung einen unklaren Befund ergeben hat.<br />

Mittels einer Punktionsnadel wird durch die Bauchdecke der Schwangeren hindurch<br />

kindliches Blut aus der Nabelschnur entnommen und anschließend untersucht. Das Fehlgeburtsrisiko<br />

dieser Untersuchung entspricht etwa dem Risiko einer Fruchtwasseruntersuchung.<br />

Während im Ergebnis also der Triple-/Qaudruple-Test mit einer relativ hohen Fehlerquote<br />

behaftet ist, liegt in den genaueren Untersuchungsmethoden, die in den Mutterleib<br />

eingreifen (Chorionzottenbiopsie, Fruchtwasseruntersuchung, Nabelschnurpunktion),<br />

gerade bei Mehrlingen ein besonders hohes Fehlgeburts- und Schädigungsrisiko.<br />

Ungefährlich und einigermaßen treffsicher zugleich ist allein das Erst-Trimester-<br />

Screening, welches zunehmend Verbreitung findet, sich jedoch nur auf einige der möglichen<br />

Schädigungen bezieht, darunter allerdings das Down-Syndrom.<br />

Wegen des hohen Fehlgeburtsrisikos der genaueren Untersuchungsmethoden wird<br />

die vorgeburtliche Diagnostik nicht routinemäßig durchgeführt, sondern nur bei Vorliegen<br />

besonderer Verdachtsmomente nach entsprechendem Anraten des Arztes. Solche<br />

Verdachtsmomente können sich aus familiären Vorerkrankungen, aus dem Alter der<br />

Schwangeren und insbesondere aus den Ergebnissen der Ultraschall- und Blutwertuntersuchung<br />

ergeben. Lange Zeit wurde allen Schwangeren ab einem Alter von 35 Jahren –<br />

Zwillingsschwangeren sogar bereits ab 32 Jahren – routinemäßig eine Fruchtwasserun-<br />

1 Die Zahlen sind allerdings wohl deutlich zu optimistisch, worauf Prof. Kainer (in: Der Gynäkologe,<br />

Band 39 (2006), S. 854-859) hinweist. Denn das Fehlgeburtsrisiko hängt von der individuellen<br />

Erfahrung des Untersuchers ab. Die Daten zur Risikoeinschätzung stammen jedoch meist<br />

aus Zentren mit großer Erfahrung in Fruchtwasseruntersuchungen, wo die Fehlgeburtsrate entsprechend<br />

niedrig ist. Dagegen ist zu erwarten, dass die Fehlgeburtsrate in Zentren mit geringer<br />

Erfahrung deutlich höher liegt. Diese Daten werden aber zumeist nicht veröffentlicht und fließen<br />

deshalb nicht in die allgemeine Risikoabschätzung ein. Eine dieses berücksichtigende Studie der<br />

Alexandraklinik in Athen hat zuletzt Fehlgeburtsraten für Einlinge zwischen 2,5 und 5,1 % ergeben.<br />

Das könnte der Realität – auch in Deutschland – eher entsprechen. Dem gemäß noch höher<br />

anzusetzen wäre das Risiko bei <strong>Zwillinge</strong>n.<br />

16b


17a<br />

tersuchung nahegelegt 1 . Heute gilt das Alter nicht mehr als allein maßgeblich; besser<br />

errechnet man aus den Ergebnissen der ungefährlichen Untersuchungsmethoden im<br />

Zusammenspiel mit dem mütterlichen Alter ein individuelles Risikoprofil, auf das man<br />

die Entscheidung für oder gegen eine weitergehende Untersuchung stützt. Hierfür gibt<br />

es spezielle Berechnungsprogramme, über die entsprechend zertifizierte Frauenärzte<br />

verfügen.<br />

Alle diese Methoden der vorgeburtlichen Diagnostik werfen indes auch Fragen<br />

der ethischen Bewertung auf. Sie hat zu tun mit der Frage nach der Planbarkeit von<br />

Wunschkindern. Mit den Möglichkeiten der Empfängnisverhütung, der Abtreibung<br />

und auch der Reproduktionsmedizin ist es heute wie nie zuvor möglich, Geburten zu<br />

planen oder zu vermeiden. An diese Planungs- und Gestaltungsmöglichkeiten knüpft<br />

sich zunehmend auch eine besondere Erwartungshaltung an die Gesundheit und Entwicklung<br />

der Kinder. Mit den gegebenen Möglichkeiten der Frühdiagnostik und der<br />

Zulässigkeit eines darauffolgenden Schwangerschaftsabbruchs steigt der gesellschaftliche<br />

Druck, nur noch gesunde und leistungsfähige Kinder zur Welt zu bringen. Diese<br />

gesamtgesellschaftliche Entwicklung stellt letztlich den Lebenswert und das Lebensrecht<br />

behinderter Menschen in Frage und wird deshalb nicht nur von den Behindertenverbänden<br />

beargwöhnt. Der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe,<br />

kritisierte diese Tendenzen einmal als eine „Konsumenteneinstellung zum menschlichen<br />

Leben“.<br />

Auf jeden Fall sollte man die Angebote der genetischen Frühdiagnostik nicht als<br />

eine gesellschaftliche Verpflichtung missverstehen, sondern sich möglichst noch vor(!)<br />

1 Die Grenzziehung bei 35 Jahren war allerdings recht willkürlich. Sie hat keinen vernünftig<br />

medizinischen, sondern nur einen statistischen Hintergrund, noch dazu einen historischstatistischen:<br />

Vor 25 Jahren war es nach dem Stand der amerikanischen Geburtsmedizin so, dass<br />

ab der mütterlichen Altersschwelle von 35 Jahren das Risiko eines Down-Syndroms mindestens<br />

genauso hoch war wie das Risiko einer Fehlgeburt durch die Fruchtwasseruntersuchung. Und<br />

wenn die Risiken schon einmal gleich hoch waren, meinte man, der Frau besser das Fehlgeburtsrisiko<br />

als das Behinderungsrisiko zuzumuten. Damit trat ein einfaches statistisches Rechenexempel,<br />

welches zudem ein wenig an den Vergleich von Äpfeln mit Birnen erinnert, an<br />

die Stelle einer inhaltlich nachvollziehbaren oder gar ethisch begründeten Bewertung. Noch<br />

weniger einleuchtend ist die Herabsetzung der Altersschwelle bei Zwillingsschwangerschaften<br />

von 35 auf 32 Jahre: Zwar ist bei <strong>Zwillinge</strong>n das Risiko der Chromosomenerkrankung insofern<br />

verdoppelt, als beide Kinder je für sich das Risiko gesondert tragen. Aber es ist bei <strong>Zwillinge</strong>n<br />

doch auch das Untersuchungsrisiko mehr als verdoppelt! Wollte man die Äquivalenz von Erkrankungsrisiko<br />

und Fehlgeburtsrisiko aufrecht erhalten, so müsste man die Altersgrenze nicht<br />

niedriger, sondern höher ansetzen als bei Einlingen.<br />

einer solchen Untersuchung Gedanken darüber machen, ob man ein behindertes Kind<br />

tatsächlich abtreiben würde. Wenn man einen solchen Eingriff für sich ausschließt und<br />

bereit ist, auch ein behindertes Kind zur Welt zu bringen, sollte man abwägen, ob allein<br />

die beschleunigte Gewissheit es rechtfertigt, die Risiken einer pränatalen Diagnostik<br />

einzugehen. Hierbei darf man nicht übersehen, dass das Fehlgeburtsrisiko nicht nur die<br />

tatsächlich behinderten Kinder trifft, sondern in den allermeisten Fällen solche Kinder,<br />

die völlig gesund zur Welt gekommen wären.<br />

Die Pränatale Diagnostik dient nicht, wie andere Vorsorgeuntersuchungen, dem<br />

Wohl des Kindes. (Thea Vogel)<br />

Sie dient nicht der Vermeidung einer Behinderung, sondern der Vermeidung einer<br />

Geburt. (nach Stephan Krone)<br />

In ihrem selektiven Ansatz liegt die vorgeburtliche Diagnostik jenseits des ärztlichen<br />

Heilauftrages. (Frankfurter Erklärung zur vorgeburtlichen Diagnostik)<br />

Entscheiden sich die Eltern für eine vorgeburtliche Diagnostik und wird dabei tatsächlich<br />

eine genetische Erkrankung des Ungeborenen festgestellt, so ist es für einen<br />

gewöhnlichen Schwangerschaftsabbruch mit Beratungsschein allerdings fast immer<br />

schon zu spät, denn dieser ist nur bis zwölf Wochen nach der Empfängnis (= etwa 14.<br />

SSW 2 ) zulässig. Später darf die Schwangerschaft nur noch abgebrochen werden, wenn<br />

dies „nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um ... die Gefahr einer schwerwiegenden<br />

Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren<br />

abzuwenden“ (§ 218 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs [StGB]). Wenn die Erkenntnismöglichkeiten<br />

des Frauenarztes für die erforderlichen Feststellungen nicht ausreichen<br />

(etwa für die Beurteilung des „seelischen Gesundheitszustandes“), muss ein dafür zuständiger<br />

Facharzt hinzugezogen werden, der der Schwangeren bescheinigt, dass ihr das<br />

Austragen eines behinderten Kindes wegen erheblicher psychischer Beeinträchtigungen<br />

nicht zugemutet werden kann. Danach würde dann – sofern alle Mehrlinge betroffen<br />

sind – eine Geburt mit künstlichen Wehen eingeleitet, bei der die Kinder je nach erreichtem<br />

Entwicklungsstand entweder tot oder noch eine kurze Weile lebend geboren würden,<br />

um dann zu versterben. Ein Absaugen oder eine Ausschabung der Gebärmutter ist in<br />

diesem fortgeschrittenen Stadium der Schwangerschaft meist nicht mehr gefahrlos möglich.<br />

Ist dagegen nur ein einzelner Mehrling von der Krankheit betroffen, kommt eine<br />

2 zu Fragen der Berechnung von Schwangerschaftswochen siehe Angang II, Seite 99<br />

17b


18a<br />

selektive Abtreibung in Betracht, bei der die Schwangerschaft mit dem/den übrigen<br />

Ungeborenen fortgesetzt wird.<br />

6. Abtreibung einzelner Mehrlinge<br />

(Fetozid; Reduktion der Schwangerschaft)<br />

Medizinische Eingriffe, die die Weiterentwicklung einzelner Ungeborener gezielt<br />

beenden um die Schwangerschaft nur noch mit den übrigen Ungeborenen fortzusetzen,<br />

werden etwa seit den 80er Jahren durchgeführt. Man bezeichnet dies als eine Reduktion<br />

der Schwangerschaft oder auch als Fetozid. Solche Eingriffe werden aus unterschiedlichen<br />

Gründen durchgeführt:<br />

- Der bekannteste und ethisch am meisten umstrittene Grund: In der Gebärmutter<br />

wachsen mehr Embryos auf, als tatsächlich eine realistische<br />

Überlebenschance haben. Dann ist es aus medizinischer Sicht zu erwägen,<br />

die Schwangerschaft auf eine begrenzte Anzahl an Kindern zu reduzieren,<br />

um damit wenigstens einigen das Leben zu ermöglichen. Aufsehen<br />

erregte in 1996 die mit Achtlingen schwangere Mandy Allwood aus<br />

Großbritannien, die den Eingriff ablehnte, obwohl die Ärzte keine Chance<br />

sahen, alle Kinder auszutragen. Die Folge war, dass alle acht Ungeborenen<br />

durch Fehl- oder Totgeburt starben. Im medizinischen Alltag wird<br />

eine Reduktion der Schwangerschaft jedoch nicht erst bei Achtlingen,<br />

sondern bereits bei Fünflingen empfohlen, je nach Einzelfall auch schon<br />

bei Vierlingen. Diese Schwangerschaften werden dann auf eine Drillingsschwangerschaft<br />

hin reduziert. Drillinge selbst werden nur in besonders<br />

gelagerten Ausnahmefällen noch weiter reduziert. In jedem Fall muss hier<br />

eine individuelle Entscheidung getroffen werden, die auch den Körperbau<br />

und die Belastungsfähigkeit der Schwangeren berücksichtigt. Stellt sich<br />

im Laufe einer höhergradigen Mehrlingsschwangerschaft heraus, dass<br />

einzelne Kinder in ihrem Wachstum und ihrer Entwicklung im Vergleich<br />

zu den übrigen Geschwistern deutlich unterentwickelt sind, so kann dieses<br />

Ungleichgewicht ebenfalls einen medizinischen Grund zur gezielten<br />

Reduktion der Schwangerschaft darstellen.<br />

- Eines von mehreren Ungeborenen leidet an einer bestimmten Krankheit,<br />

die durch eine Fruchtwasseruntersuchung o.ä. festgestellt wurde. Das<br />

kranke Kind kann dann isoliert abgetrieben werden.<br />

- Es liegt eine monochorial-monoamniale Zwillingsschwangerschaft vor.<br />

Aufgrund einer Vielzahl von Einzelrisiken, die nur bei diesen Eihautverhältnissen<br />

auftreten, liegt die statistische Wahrscheinlichkeit, beide<br />

Kinder lebend zu gebären, deutlich niedriger als bei allen anderen Schwangerschaften.<br />

Zum Teil wird daher angeraten, solche Schwangerschaften<br />

frühzeitig auf nur ein Kind zu reduzieren, um diesem bessere Entwicklungschancen<br />

einzuräumen.<br />

Wird gezielt ein bestimmtes Kind abgetrieben, weil es an einer Fehlbildung oder<br />

Erkrankung leidet, so bezeichnet man dies als selektive Reduktion. Wird dagegen ein<br />

beliebiges Kind abgetrieben, um die Gesamtanzahl zu verringern, spricht man von einer<br />

unselektiven Reduktion der Schwangerschaft. Zur Durchführung des Eingriffs stehen<br />

mehrere Methoden zur Verfügung.<br />

Nach der herkömmlichen Methode, die ab der 9. SSW möglich ist und auch noch<br />

bis nach der 20. SSW durchgeführt werden kann, wird mit einer Punktionsnadel Kaliumchlorid<br />

in den Blutkreislauf des ausgewählten Kindes gespritzt, woraufhin dieses abstirbt.<br />

Der Eingriff bedeutet allerdings auch für die übrigen Kinder immer eine Gefahr.<br />

Zunächst besteht die allgemeine Gefahr einer eingriffsbedingten Fehlgeburt, ähnlich wie<br />

bei der Fruchtwasseruntersuchung. Sodann besteht die Gefahr der gleichzeitigen Mitvergiftung<br />

eines anderen Kindes, wenn die Blutkreisläufe beider Kinder über eine Gefäßverbindung<br />

im Mutterkuchen miteinander verbunden waren. Um das zu verhindern, wird<br />

der Eingriff möglichst nicht an monochorialen <strong>Zwillinge</strong>n/Mehrlingen durchgeführt, wo<br />

Gefäßverbindungen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit auftreten. In diesen Fällen neigt<br />

man vielmehr dazu, die Nabelschnur des zur Abtötung ausgewählten Kindes abzubinden<br />

oder – eine neue Methode – durch den Beschuss mit Laserstrahlen oder durch Bipolarstrom<br />

zu verschließen.<br />

Als weiteres Risiko kommt hinzu, dass sich bei der anschließenden Resorption<br />

(Auflösung) des abgestorbenen Mehrlings Prostaglandin bildet, welches mit der Zeit<br />

eine Aufweichung des Muttermundes und damit eine vorzeitige Geburt bewirken kann.<br />

Und schließlich findet sich nach Durchführung einer Schwangerschaftsreduktion auch<br />

noch eine erhöhte Konzentration bestimmter Botenstoffe (Interleukine) in der Gebärmutter,<br />

von denen man ebenfalls annimmt, dass sie für die weitere Schwangerschaft eine<br />

Gefährdung darstellen, ohne jedoch den genauen Zusammenhang bisher zu kennen.<br />

Andererseits ist der Eingriff langfristig dazu geeignet, die Gefahr einer Frühgeburt<br />

erheblich zu verringern, weil die verbleibenden Kinder weniger Platz beanspruchen, als<br />

18b


19a<br />

wenn alle Ungeborenen weiter ausgetragen würden. In der Abwägung aller Gefährdungsmomente<br />

wird das Eingriffsrisiko ab Vierlingen für geringer gehalten als die mit<br />

dem Austragen aller Kinder verbundenen Schwangerschaftsgefahren.<br />

Eine weitere Methode ist das Absaugen einzelner Mehrlinge, bei der sie durch<br />

den Geburtskanal vollständig aus der Gebärmutter entfernt werden. Die Absaugmethode<br />

kann jedoch nur während der Frühschwangerschaft ab der 7./8. SSW bis etwa zur<br />

12. SSW durchgeführt werden. Daher eignet sie sich nicht für die selektive Abtreibung<br />

eines erkrankten Kindes, weil die Erkrankung in aller Regel noch nicht bis zu diesem<br />

frühen Zeitpunkt bekannt ist. Jedoch kann die Absaugmethode zur Verringerung der<br />

Anzahl der Kinder durchgeführt werden, wenn – vor allem nach einer Fruchtbarkeitsbehandlung<br />

– frühzeitig gezielt auf eine höhergradige Mehrlingsschwangerschaft hin<br />

untersucht wird.<br />

7. Risiken und Komplikationen einer Mehrlingsschwangerschaft<br />

Zwillingsschwangerschaften werden in der Medizin als „Risikoschwangerschaften“<br />

eingestuft. Worin diese Risiken im Einzelnen liegen und was die biologischen<br />

und medizinischen Besonderheiten einer Zwillingsschwangerschaft ausmacht, ist<br />

Thema des folgenden Kapitels. Dabei wollen wir nicht schwarz malen, aber auch nicht<br />

schönreden. Die meisten der nachfolgend beschriebenen Risiken bedeuten dann keine<br />

ernstliche Gefahr, wenn die Lage schnell erkannt und die erforderlichen medizinischen<br />

Maßnahmen rechtzeitig ergriffen werden. Auch deshalb ist es aus unserer Sicht wichtig,<br />

über die körperlichen Veränderungen und deren Bedeutung möglichst genau informiert<br />

zu sein. Nach wie vor kommen die allermeisten <strong>Zwillinge</strong> gesund zur Welt,<br />

und auch Drillinge und Vierlinge haben sehr gute Chancen. Durch einen verantwortungsvollen<br />

Umgang mit der Situation lässt sich die Ausgangslage der eigenen Kinder<br />

entscheidend verbessern.<br />

a) Allgemeine Schwangerschaftsbeschwerden<br />

Jede Schwangerschaft bedeutet für den Körper der Schwangeren eine hormonelle<br />

Umstellung, einen höheren Verbrauch an Nährstoffen, Vitaminen und Spurenelementen,<br />

sowie eine erhebliche Gewichtszunahme. Diese Veränderungen können zu körperlichen<br />

Beschwerden führen, die für sich genommen aber noch kein eigentliches Schwangerschaftsrisiko<br />

darstellen. Auch Einlingsschwangere leiden unter solchen Begleiterscheinungen,<br />

allerdings treten sie bei Mehrlingsschwangeren verstärkt auf.<br />

aa) Übelkeit und Erbrechen in der Frühschwangerschaft (Frühgestose)<br />

Eine häufige Begleiterscheinung der Frühschwangerschaft sind Übelkeit und Erbrechen,<br />

vor allem zwischen der 7. und der 12. SSW. Etwa jede fünfte Mehrlingsschwangere<br />

ist davon betroffen. Für viele Frauen sind dies – neben dem Ausbleiben der Monatsblutung<br />

– die ersten Anzeichen der begonnenen Schwangerschaft und oft ist das Vorliegen<br />

von Mehrlingen zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht bekannt. Manchmal kann es<br />

helfen, noch im Bett, eine halbe Stunde vor dem Aufstehen, eine Kleinigkeit zu essen<br />

(z.B. Obst) oder etwas zu trinken. Außerdem wird empfohlen, lieber viele <strong>klein</strong>e anstatt<br />

wenige große Mahlzeiten zu sich zu nehmen.<br />

Allgemein wird für die Dauer der Schwangerschaft zu vitamin- und mineralstoffreicher<br />

Nahrung geraten; tierische Fette sollten Sie jedoch nur in Maßen zu sich nehmen.<br />

Dass rohes Fleisch (Tatar, Salami, nicht durchgebratene Hackbällchen oder Steaks)<br />

sowie Rohmilchkäse und rohe Eier (Cremes, Kuchen und Desserts wie z.B. Tiramisu)<br />

während der Schwangerschaft wegen der Gefahr von Toxoplasmoseerregern verboten<br />

sind, ist weithin bekannt. Weniger bekannt ist, dass diese Verbote auch noch in der<br />

Stillzeit gelten. Dasselbe gilt für das selbstverständliche Tabak- und Alkoholverbot. Die<br />

früher übliche Empfehlung, generell salzarm zu essen, entspricht nicht mehr dem aktuellen<br />

Stand der medizinischen Forschung. Man versprach sich davon eine vorbeugende<br />

Wirkung gegen Bluthochdruck, während man heute weiß, dass der schwangerschaftsbedingte<br />

Bluthochdruck nicht mit dem Salzkonsum in Verbindung steht. Von besonderen<br />

Entwässerungsdiäten (Reis- oder Obsttagen) sollten Sie während der Schwangerschaft<br />

absehen, es sei denn, der Frauenarzt würde sie ausdrücklich empfehlen. Der Verzehr von<br />

gekochtem oder gebratenem Fisch ist zu empfehlen, insbesondere fettreiche Sorten wie<br />

Hering, Makrele, Lachs und Thunfisch. Es ist erwiesen, dass das darin enthaltene Fischöl<br />

zur Vermeidung einer Frühgeburt beiträgt. Dagegen birgt roher Fisch wiederum eine<br />

gewisse Toxoplasmosegefahr. Fisch an sich ist zwar frei von Toxoplasmoseerregern, er<br />

kann jedoch bei der Verarbeitung und Zubereitung mit den Erregern verunreinigt werden.<br />

Meiden Sie daher Sushi, Räucherlachs, Matjes und marinierten Hering.<br />

19b


20a<br />

bb) Folsäure-, Jod- und Kalziummangel<br />

Die heranwachsenden Kinder benötigen zum Aufbau ihrer Körperzellen Folsäure<br />

– ein Vitamin, welches vor allem in Blattgemüse, Leber, Hefe und Milch enthalten ist.<br />

Bei der Schwangeren selbst kann es während der Schwangerschaft zu einem Folsäuremangel<br />

kommen, weil die Ungeborenen dem mütterlichen Körper die benötigte Folsäure<br />

entziehen. Allen Schwangeren (auch Einlingsschwangeren) wird daher die zusätzliche<br />

Einnahme von Folsäure in Tablettenform empfohlen. Für Mehrlingsschwangere<br />

gilt diese Empfehlung in besonderem Maße, da die Kinder gleich die mehrfache<br />

Menge an Folsäure verbrauchen. Es genügt jedoch auch hier die für Einlingsschwangere<br />

vorgesehene und vom Arzt verschriebene Dosis.<br />

Außerdem gilt Deutschland mit Ausnahme der Küstenregionen als Jodmangelgebiet,<br />

so dass fast alle hier Lebenden insoweit unterversorgt sind. Selbst bei Verwendung<br />

von jodiertem Speisesalz und mit häufigen Seefischgerichten lässt sich der Tagesbedarf<br />

kaum vollständig decken. Da in der Schwangerschaft zusätzliches Jod benötigt<br />

wird, verschreiben viele Ärzte vorbeugend Jodid-Tabletten.<br />

Schließlich benötigt der Körper auch noch zusätzliches Kalzium für den Aufbau<br />

des kindlichen Gewebes und des Mutterkuchens. Normalerweise genügen ein halber<br />

bis ein Liter Milch am Tag, um den Mehrbedarf einer Schwangeren abzudecken. Auch<br />

Kohlgemüse und manche Mineralwässer enthalten ausreichende Mengen an Kalzium.<br />

Manche Frauenärzte verschreiben bei Zwillingsschwangerschaften jedoch zusätzliche<br />

Kalziumpräparate.<br />

die vorbeugende Einnahme solcher Eisenpräparate, ohne dass konkrete Mangelerscheinungen<br />

erkennbar sind. Andernfalls kann man zur Vorbeugung eisenhaltige Säfte aus<br />

dem Reformhaus zu sich nehmen, die unter der Bezeichnung „Kräuterblut“, „Eisenblut“<br />

usw. angeboten werden. Auch Rote-Beete-Saft (ebenfalls im Reformhaus erhältlich)<br />

enthält Eisen.<br />

dd) Zunahme der Blutmenge, Blutdruckerniedrigung<br />

Zu Unterscheiden von der Blutarmut, die sich auf die Konzentration der Blutkörperchen<br />

im Blut bezieht, ist die Blutmenge insgesamt, die durch den mütterlichen Körperkreislauf<br />

zirkuliert. Die Blutmenge steigt im letzten Schwangerschaftsdrittel auf gut<br />

150 % des normalen Volumens an (bei Einlingsschwangerschaften nur auf gut 125 %),<br />

d.h. das mütterliche Herz pumpt das Anderthalbfache der normalen Blutmenge durch<br />

den Körper. Dieser Anstieg der Blutmenge ist für gesunde Schwangere problemlos zu<br />

bewältigen, stellt jedoch für herzkranke Frauen eine besondere Belastung dar, die mit<br />

den behandelnden Ärzten besprochen werden sollte.<br />

Trotz der Zunahme der Blutmenge kann es während der Schwangerschaft zu einer<br />

Erniedrigung des Blutdruckes kommen. Zu jeder Vorsorgeuntersuchung gehört deshalb<br />

auch eine Blutdruckmessung, die in den Mutterpass eingetragen wird.<br />

20b<br />

ee) Einengung durch die Gebärmutter<br />

cc) Blutarmut (Anämie)<br />

Die Blutarmut ist eine typische Begleiterscheinung von Schwangerschaften. Sie<br />

tritt bei Mehrlingsschwangerschaften mit einer ca. 35%igen Wahrscheinlichkeit besonders<br />

häufig auf. Es handelt sich um eine Abnahme der Konzentration an roten Blutkörperchen<br />

im Blut, wodurch sich der Sauerstofftransport durch das Blut verringert.<br />

Für die Schwangere macht sich das durch Müdigkeit, Leistungsabfall und im Extremfall<br />

durch Schocksymptome bemerkbar. Falls solche Beschwerden vorliegen oder<br />

wenn die regelmäßigen Blutuntersuchungen auf eine drohende Blutarmut hinweisen,<br />

verschreibt der Arzt Eisenpräparate, um eine vermehrte Produktion der roten Blutkörperchen<br />

anzuregen. Manche Ärzte empfehlen bei Mehrlingsschwangerschaften sogar<br />

Bei Mehrlingsschwangeren erreicht die Gebärmutter im Laufe der Zeit einen noch<br />

extremeren Umfang als bei Einlingsschwangeren; sie beinhaltet mit den Kindern, den<br />

Mutterkuchen und dem Fruchtwasser gleich ein Doppeltes oder Vielfaches. Bereits in<br />

der 32. SSW nimmt die Gebärmutter einer Zwillingsschwangeren denselben Platz ein<br />

wie bei Einlingsschwangeren unmittelbar vor der Geburt. Diese Vergrößerung der Gebärmutter<br />

macht sich äußerlich durch einen imposanten Bauchumfang bemerkbar, aber<br />

auch in der Bauchhöhle der Schwangeren beansprucht die Gebärmutter erheblich mehr<br />

Platz als üblich und schiebt alle anderen Organe etwas beiseite. Die eingeengten Verhältnisse<br />

können der Schwangeren vor allem gegen Ende der Schwangerschaft einige<br />

Beschwerden bereiten: Der Druck gegen das Zwerchfell verursacht Kurzatmigkeit bis<br />

hin zur Atemnot, der Druck gegen den Magen kann Sodbrennen bewirken, der Druck


21a<br />

gegen die Blase drängt häufig und manchmal sehr plötzlich auf die Toilette während<br />

der Druck gegen die Darmschlingen Verstopfung bereiten kann. Die meisten dieser<br />

Beschwerden, die keineswegs bei allen Schwangeren eintreten müssen, sind medizinisch<br />

harmlos. Wenn Sie unsicher sind oder die Beschwerden besonders stark auftreten<br />

oder lang anhalten, fragen Sie Ihren Arzt. Den Arzt benachrichtigen sollten Sie<br />

auch dann, wenn sich Ihre Harnausscheidung deutlich verringert und Sie den Drang<br />

zur Toilette längere Zeit überhaupt nicht verspüren oder keinen Urin mehr ablassen<br />

können. Dann können die Nieren- und Harnwege vom Platzmangel betroffen und abgeschnürt<br />

sein.<br />

Auch innerhalb der Gebärmutter herrscht Enge, was bei den Kindern bestimmte<br />

Fehlstellungen begünstigen kann. <strong>Zwillinge</strong> kommen gelegentlich mit einem Klumpfuß<br />

oder einem Hackenfuß zur Welt, der sich durch geeignete Behandlungsmaßnahmen<br />

im Laufe der Kindheit jedoch meist wieder vollständig zurückbildet. Auch kommt es<br />

vor, dass sich die Kopfform der Kinder den engen Verhältnissen anpasst; das hat jedoch<br />

keine nachteiligen Auswirkungen auf die Hirnfunktionen.<br />

ff) Gewichtszunahme<br />

Schließlich führen Schwangerschaften zu einer vorübergehenden Gewichtszunahme.<br />

Zwillingsschwangere nehmen durchschnittlich 15 kg zu, das sind etwa 4 kg<br />

mehr als bei Einlingsschwangeren. Als Folge der Gewichtszunahme können sich<br />

Krampfadern bilden, denen man mit Stützstrümpfen vorbeugen kann. Auch Schwangerschaftsstreifen<br />

treten bei Zwillingsschwangeren stärker hervor.<br />

Während der Schwangerschaft werden die Kinder durch den Mutterkuchen (Plazenta)<br />

mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgt. Der Mutterkuchen entnimmt dem mütterlichen<br />

Blutkreislauf die lebensnotwendigen Substanzen und leitet sie an den kindlichen<br />

Kreislauf weiter. Jedoch verfügt der Mutterkuchen nur über eine begrenzte Austauschkapazität,<br />

die sich bei Mehrlingsschwangerschaften nicht proportional zur Anzahl<br />

der Kinder vervielfältigt. Wenn der Mutterkuchen nicht genügend Nährstoffe<br />

bereitstellen kann, tritt eine Mangelversorgung ein. Aus diesem Grunde liegt das Geburtsgewicht<br />

von Mehrlingen meist deutlich unterhalb der Durchschnittswerte von Einlingen,<br />

selbst bei gleich langer Schwangerschaftsdauer. Häufig sind die Versorgungskapazitäten<br />

der Mutterkuchen auch ungleich auf die einzelnen Kinder verteilt, so dass der<br />

eine Zwilling ausreichend versorgt sein kann, während der andere unter einer Mangelsituation<br />

leidet. Dies kann bei der Geburt zu einer Gewichtsdifferenz zwischen den einzelnen<br />

Geschwistern von bis zu 1000 Gramm und in seltenen Fällen sogar noch darüber<br />

führen.<br />

Da der kindliche Nährstoffbedarf mit zunehmender Schwangerschaftsdauer steigt,<br />

kommt es zu einem verminderten Wachstum vor allem im letzten Drittel der Schwangerschaft.<br />

In dieser Phase bleiben <strong>Zwillinge</strong> in ihrer Organ-, Gewichts- und Längenentwicklung<br />

gegenüber Einlingen zurück. Während bis zur 32. SSW noch vier von fünf Mehrlingen<br />

ebenso schwer sind wie altersentsprechende Einlinge, erreicht von den bis zum<br />

Geburtstermin ausgetragenen <strong>Zwillinge</strong>n nur jeder zweite das für Einlinge normale Geburtsgewicht<br />

von über 3.000 Gramm. In den meisten Fällen bedeutet diese Minderversorgung<br />

jedoch keine unmittelbare Gefahr für die <strong>Zwillinge</strong>, vielmehr gleicht sich der<br />

Ernährungsmangel im Laufe der nachgeburtlichen Zeit wieder aus. Trotzdem ist es<br />

wichtig, dass der Frauenarzt die Gewichtszunahme und den Entwicklungsfortgang regelmäßig<br />

kontrolliert, da das Unterschreiten einer bestimmten Mindestversorgung zu<br />

ernsten Schäden führen kann. In solchen Fällen muss eine vorzeitige Einleitung der<br />

Geburt erwogen werden. Ist die Versorgungslage schwer einzuschätzen, kann eine stationäre<br />

Überwachung in der Klinik erforderlich sein, wo auch die kindlichen Herztöne<br />

regelmäßig kontrolliert werden und bei einer akuten Verschlechterung der Versorgungssituation<br />

sofort eingegriffen werden kann. Solange es medizinisch vertretbar ist, sollten<br />

die Ungeborenen natürlich im Mutterleib verbleiben, da sie sich bei ausreichender Versorgung<br />

dort am besten entwickeln.<br />

21b<br />

b) Unzureichende Mutterkuchenfunktion (Plazentainsuffizienz)<br />

c) Vorzeitige Wehen und Muttermundschwäche<br />

Da Mehrlinge mitsamt ihren Fruchtblasen und Mutterkuchen das vielfache Volumen<br />

eines einzelnen Kindes einnehmen, ist die Gebärmutter stark gedehnt. Sie ist prall<br />

gefüllt und ihre gespannte Außenwand übt einen mechanischen Pressdruck auf den Inhalt<br />

aus. Dieser Druck lastet auf dem Muttermund, der den „Ausgang“ zum Geburtskanal<br />

verschließt. Gleichzeitig ruht bei aufrechter Haltung der Schwangeren ein vielfaches<br />

Gewicht auf dem Muttermund, wodurch dieser zusätzlich belastet wird. Diese beiden<br />

Faktoren können dazu führen, dass der Gebärmutterverschluss vorzeitig nachgibt. Zu-


22a<br />

nächst erweicht der mit dem Muttermund verbundene Gebärmutterhals, sodann verkürzt<br />

er sich und schließlich öffnet sich der Muttermund. Dies nennt man eine „Muttermundsschwäche“.<br />

Außerdem kann die pralle Füllung der Gebärmutter auch vorzeitige Wehen anregen.<br />

Der mütterliche Körper (miss-)interpretiert die starken Dehnungen als das Reifezeichen<br />

eines ausgewachsenen Einlings, obwohl es sich in Wahrheit um unausgereifte<br />

Mehrlinge handelt. Die Wehen ihrerseits üben einen zusätzlichen Druck auf den Muttermund<br />

aus, der die Verkürzung des Gebärmutterhalses weiter beschleunigt.<br />

Beide Körperreaktionen, Verkürzung des Gebärmutterhalses und Einsetzen der<br />

Wehen, gehören zum natürlichen Verlauf jeder Schwangerschaft – allerdings erst kurz<br />

vor der Geburt. Bei Mehrlingen besteht die erhöhte Gefahr, dass dieses Verhalten zu<br />

früh eintritt, dass also der Körper der Schwangeren die Kinder eher gebären will, als<br />

diese tatsächlich ausgereift sind. Wenn sich eine solche Entwicklung abzeichnet, muss<br />

alles daran gesetzt werden, eine drohende Frühgeburt zu vermeiden und die Schwangerschaft<br />

möglichst lange, bestenfalls noch bis in die Nähe des errechneten Geburtstermins<br />

fortzusetzen.<br />

Dazu sind absolute Ruhe und eine möglichst liegende Position der Schwangeren<br />

erforderlich, damit der Muttermund möglichst entlastet ist. Am ehesten ist dies mit<br />

einem stationären Klinikaufenthalt zu gewährleisten, wo auch wehenhemmende Medikamente<br />

gegeben werden können.<br />

Bei der Verabreichung von wehenhemmenden Mitteln unterscheidet man zwischen<br />

Kurzeit- und Langzeitbehandlung. Die Kurzzeitbehandlung hat zum Ziel, die<br />

Geburt um 48 Stunden hinauszuzögern, um in dieser Zeit die Kinder noch optimal auf<br />

die Geburt vorzubereiten. Dazu gehört insbesondere die Lungenreifebehandlung. Der<br />

Schwangeren wird ein Kortisonpräparat (Kortikosteroid) gespritzt, welches über den<br />

Mutterkuchen in den kindlichen Kreislauf gelangt und dort die Bildung von Surfactant<br />

anregt – eine oberflächenaktive Substanz, die die Lungenbläschen beim ersten Einatmen<br />

nach der Geburt entfalten lässt. Kommt es dann zur Frühgeburt, können die Kinder<br />

möglichst von Anbeginn selbständig atmen und müssen nicht künstlich beatmet<br />

werden, was die weitere Behandlung erheblich erleichtert. Außerdem vermindert das<br />

Kortisonpräparat auch die Gefahr einer späteren Hirnblutung des Frühgeborenen. Die<br />

Lungenreifebehandlung wird durchgeführt, wenn sich die Schwangerschaft noch vor<br />

etwa der 35. SSW befindet. Danach ist sie nicht mehr erforderlich, weil die Kinder das<br />

Surfactant selbst gebildet haben.<br />

Eine Langzeitbehandlung mit wehenhemmenden Mitteln ist praktisch nur in<br />

Deutschland verbreitet. Ihr Nutzen ist umstritten, die Nebenwirkungen dagegen erheblich<br />

und die psychische Belastung für die Schwangere evident, weshalb in vielen anderen<br />

Ländern weitgehend darauf verzichtet wird. In Deutschland ist die Langzeitbehandlung<br />

gleichwohl eher die Regel als die Ausnahme. Ein gängiges Mittel für die Langzeitbehandlung<br />

ist das unter dem Handelsnamen Partusisten vertriebene Fenoterol, welches<br />

heute nur noch als Infusion verabreicht werden sollte, nachdem man weiß, dass es<br />

in Tablettenform weitgehend wirkungslos ist. Als Nebenwirkung verursacht das Medikament<br />

bei vielen Frauen einen Anstieg der Herzfrequenz (Herzrasen), welches wiederum<br />

mit Betablockern reguliert wird. Zwillingsschwangere erleiden durch Partusisten<br />

aufgrund ihrer besonderen Belastungssituation außerdem häufiger ein Lungenödem<br />

("Wasser in der Lunge"), was ebenfalls nicht hilfreich ist. Deutlich weniger Nebenwirkungen<br />

als Fenoterol hat die Substanz Atosiban (Handelsname: Tractosile ), welche für<br />

Zwillingsschwangere in aller Regel das Mittel der Wahl darstellt. Leider kommt die<br />

Substanz in der Praxis noch zu selten zum Einsatz, weil sie um ein Vielfaches teurer ist<br />

als Fenoterol. Auch Magnesiuminfusionen und -tabletten dienen der allgemeinen Muskelgewebe-Entspannung<br />

und haben damit ebenfalls eine wehenhemmende Wirkung. Sie<br />

kommen vor allem dann zum Einsatz, wenn bereits Anzeichen einer Gestose vorliegen.<br />

Hatte der Frauenarzt bereits Eisenpräparate verschrieben, um die Bildung roter Blutkörperchen<br />

anzuregen, sollte man den Klinikarzt besonders darauf aufmerksam machen, da<br />

sich die Wirkung von Eisen- und Magnesiumpräparaten gegenseitig beeinflussen kann.<br />

Zunehmend Verbreitung findet die vorbeugende Verabreichung von Gestagenen (Progesteron)<br />

zur Verhinderung der Frühgeburt. Diese sollen die Gebärmutter auf hormoneller<br />

Basis ruhig stellen. Die Wirkung des Medikaments gilt – jedenfalls bei Einlingen –<br />

durch einige Studien als erwiesen, der genaue Wirkmechanismus ist indes noch unbekannt.<br />

Bei einer Muttermundsschwäche ohne merkliche vorzeitige Wehentätigkeit legen<br />

manche Kliniken eine sog. Zerklage an. Hierbei handelt es sich entweder um eine Naht<br />

oder um einen Kunststoffring (Pessar), mit deren Hilfe der Gebärmutterhals mechanisch<br />

umschlungen und verschlossen wird. Eine andere Methode ist das Vernähen oder Verkleben<br />

des Muttermundes selbst (sog. „totaler Muttermundsverschluss“). Der Nutzen<br />

solcher Maßnahmen ist unter Medizinern jedoch umstritten, weshalb viele Ärzte auf<br />

diese Behandlung verzichten. Gegen die Zerklage wird vorgebracht, dass sie den Beginn<br />

einer Geburt nicht wirklich aufhalten könne und ihre schwangerschaftsverlängernde<br />

Wirkung überschätzt werde, während der Eingriff seinerseits ein zusätzliches, vermeidbares<br />

Infektionsrisiko in sich berge. In Einzelfällen soll die Zerklage sogar das Gegen-<br />

22b


23a<br />

teil bewirkt, nämlich die Wehentätigkeit durch die mechanische Reizung angeregt und<br />

das Risiko einer vorzeitigen Geburt dadurch erhöht haben.<br />

Gebärmutter<br />

Zerklage<br />

Geburtskanal<br />

Ob es zu diesen medizinischen Maßnahmen kommen muss, hängt nicht nur vom<br />

Wachstum der Kinder und dem mütterlichen Körperbau ab, sondern auch von Ihrem<br />

Verhalten während der Schwangerschaft. Eine Muttermundsschwäche kann nämlich<br />

fast immer durch rechtzeitige konsequente Schonung verhindert oder zumindest hinausgezögert<br />

werden. Damit haben Sie als Schwangere es zu einem gewissen Teil auch<br />

selbst in der Hand, durch Anpassung Ihrer Lebensgewohnheiten eine Frühgeburt zu<br />

verhindern. Vermeiden Sie spätestens ab der zweiten Hälfte der Schwangerschaft<br />

sportliche Aktivitäten und andere körperliche Anstrengungen. Wenn Sie einem Beruf<br />

nachgehen, der Ihnen Stress verursacht oder Sie körperlich beansprucht, so sprechen<br />

Sie darüber mit Ihrem Frauenarzt. Er kann Ihnen Atteste ausstellen, die Ihrem Arbeitgeber<br />

bereits weit vor dem Beginn des Mutterschutzes verbieten, Sie mit bestimmten<br />

belastenden Tätigkeiten zu beschäftigen. Wenn es medizinisch erforderlich ist, kann<br />

der Frauenarzt sogar ein totales Beschäftigungsverbot aussprechen, an das sich der<br />

Arbeitgeber halten muss. Häufig bieten Frauenärzte dies ab etwa der 26. bis 30. SSW<br />

an. Nehmen Sie die Freistellung in Anspruch, auch wenn Sie sich noch „fit“ fühlen<br />

und die Belastungen als nicht so schlimm empfinden. Die Überbeanspruchung des<br />

Muttermundes kann man nämlich nicht spüren. Sie äußert sich erstmals mit dem vorzeitigen<br />

Beginn der Geburt, wenn es für schonende Maßnahmen bereits zu spät ist.<br />

Auch vorzeitige Wehen spürt man fast immer erst dann, wenn sie durch Schonung<br />

allein nicht mehr aufzuhalten sind. Reduzieren Sie daher in jedem Fall auch Ihre häusliche<br />

Belastung: Lassen Sie andere den Einkauf erledigen, vermeiden Sie Treppensteigen<br />

und anstrengende Putzarbeiten. Erledigen Sie soviel wie möglich im Sitzen. Machen Sie<br />

öfter eine Pause, in der Sie eine entspannte Position einnehmen, sich am besten sogar für<br />

eine Weile hinlegen. Eine leichte Seitenlage ist der ebenen Rückenlage vorzuziehen,<br />

weil die Gebärmutter sonst auf die darunter liegende Hohlvene drückt, was den Kreislauf<br />

erheblich beeinträchtigen kann.<br />

Wenn sich die notwendigen Schonungsmaßnahmen zuhause nicht ohne weiteres<br />

umsetzen lassen, kommt für Sie eventuell eine Schwangerschaftskur in Betracht. Die<br />

Schwangerschaftsbetreuung in der Form eines Kuraufenthalts war in der früheren DDR<br />

durchaus verbreitet, hat aber nach der Wende nur noch in der Form eines speziellen<br />

Kurheims für Risikoschwangere in Bad Saarow bei Berlin überdauert 1 . Informieren Sie<br />

sich z.B. auf der Webseite des Kurheims über das Angebot und fragen Sie Ihren Arzt, ob<br />

er den Kuraufenthalt befürwortet. Die Kosten der Kur werden von den gesetzlichen<br />

Krankenkassen übernommen bei einer üblichen Zuzahlung von 10,- EUR pro Tag. Nach<br />

Erreichen der Belastungsgrenze von 2% des Bruttojahreseinkommens können Sie sich<br />

von der Zuzahlungspflicht befreien lassen.<br />

Wenn Sie schon Kinder haben, dann bitten Sie so oft es geht andere Personen (z.B.<br />

Großeltern) um deren Betreuung. Wenn die Voraussetzungen für eine Fremdbetreuung<br />

nicht gegeben sind, beantragen Sie bei der Krankenkasse eine Haushaltshilfe. Nach<br />

§ 199 der Reichsversicherungsordnung (RVO) steht Ihnen eine Haushaltshilfe zu, wenn<br />

Ihnen wegen Schwangerschaft oder Entbindung die Weiterführung des Haushalts nicht<br />

möglich ist und eine andere im Haushalt lebende Person den Haushalt nicht weiterführen<br />

kann. Während eines Klinikaufenthalts gewähren die Krankenkassen eine Haushaltshilfe<br />

problemlos. Wenn Sie sich allerdings zuhause schonen wollen und dafür eine Haushaltshilfe<br />

benötigen, müssen Sie gegenüber der Krankenkasse darlegen können, dass es sich<br />

um einen „begründeten Ausnahmefall“ handelt. Aus unserer Sicht sollten Krankenkassen<br />

jedoch anstandslos anerkennen, dass es einen medizinisch begründeten Ausnahmefall<br />

darstellt, wenn die konsequente Schonung im häuslichen Umfeld entscheidend dazu<br />

beitragen kann, eine drohende Frühgeburt zu vermeiden. Fragen Sie Ihren Frauenarzt, ob<br />

auch er eine Haushaltshilfe für notwendig erachtet, und bitten Sie ihn um ein entsprechendes<br />

Attest. Am ehesten dürften die Krankenkassen bereit sein, eine Haushaltshilfe<br />

1 Haus an der Sonne, Lindenstr. 24, 15526 Bad Saarow, Tel. 033631-4370, Fax: 033631-43736;<br />

www.schwangerenkur.de; E-Mail: info@schwangerenkur.de.<br />

23b


24a<br />

zu finanzieren, wenn man ihnen vor Augen führen kann, dass die Alternative hierzu<br />

allein in der stationären Klinikaufnahme oder in einem Kuraufenthalt liegt, welche<br />

weit höhere Kosten verursachen würden.<br />

Planen Sie keinen Umzug während der Schwangerschaft, auch wenn Ihre bisherige<br />

Wohnung für den erwarteten Nachwuchs zu <strong>klein</strong> erscheint. Nicht nur das Ein- und<br />

Ausladen am Umzugstag selbst, sondern schon das Auf- und Abhängen von Regalen<br />

und Bildern, das Ein- und Auspacken des Hausrats in Umzugskisten sowie natürlich<br />

jegliche Renovierungsarbeit ist mit großen körperlichen Anstrengungen und meist<br />

auch mit einer gebeugten oder gestreckten Körperhaltung verbunden, die während der<br />

Schwangerschaft vermieden werden sollten. Bei Renovierungsarbeiten kommen Vergiftungsgefahren<br />

durch chemische Lösungsmittel in Farben u.ä. hinzu, auf die die<br />

Ungeborenen viel empfindlicher reagieren als der ausgewachsene Mensch. Selbst für<br />

diejenigen, die ein Umzugsunternehmen beauftragen, bleibt in der Regel ein gesundheitsbedenklicher<br />

Umfang an Vor- und Nacharbeit. Wenn sich ein Umzug unter keinen<br />

Umständen vermeiden lässt, sollten Sie ihn jedenfalls bis spätestens zur Mitte der<br />

Schwangerschaft abgeschlossen haben. Danach werden die Ungeborenen so schwer,<br />

dass die körperliche Anstrengung zu einer ernsten Belastung des Muttermundes wird<br />

und vorzeitige Wehen auslösen kann. Fragen Sie Ihren Frauenarzt, welche Belastung<br />

in Ihrer persönlichen Situation noch vertretbar ist.<br />

Beschränken Sie sich auch in Ihrem Sexualleben. Vermeiden Sie in der zweiten<br />

Schwangerschaftshälfte den Geschlechtsverkehr, und zwar aus zweierlei Gründen:<br />

Zum einen verursacht der eindringende Penis eine mechanische Reizung des Gebärmutterhalses<br />

und regt damit die Wehentätigkeit an. Zum anderen enthält die männliche<br />

Samenflüssigkeit Prostaglandine, die den Muttermund aufweichen können und zu<br />

dessen vorzeitiger Öffnung beitragen. Beide Effekte können eine Frühgeburt begünstigen.<br />

Besprechen Sie stattdessen miteinander, wie Sie Ihre geschlechtliche Beziehung<br />

auf andere Weise gestalten können, welche Formen des Liebesspiels für Sie in Betracht<br />

kommen, ohne dadurch eine Frühgeburt zu riskieren. Vermeiden Sie dabei auch<br />

eine starke Reizung der Brustwarzen, weil dadurch das wehenfördernde Hormon Oxytocin<br />

freigesetzt wird.<br />

Wenn Sie Schwierigkeiten damit haben, eine Zeit lang auf den Geschlechtsverkehr<br />

ganz zu verzichten, sollten Sie zumindest Kondome benutzen, um die Samenflüssigkeit<br />

vom Muttermund fernzuhalten. Vermeiden Sie Stellungen, bei denen der Penis<br />

besonders tief eindringt. Am schonendsten sind Stellungen, bei denen die Partner seitlich<br />

nebeneinander liegen oder bei denen die Frau sich in den Vierfüßlerstand begibt<br />

und der Mann von hinten eindringt. Unter allen Umständen sollten Sie bei Blutungen aus<br />

der Scheide und bei Blutergüssen vom Geschlechtsverkehr absehen.<br />

Erwarten Sie Drillinge oder Vierlinge, so sind die genannten Schonungsmaßnahmen<br />

nicht erst ab der Schwangerschaftsmitte angesagt, sondern gleich zu Beginn. Das gilt<br />

auch für den Geschlechtsverkehr. Der Erfolg einer höhergradigen Mehrlingsschwangerschaft<br />

steht und fällt mit einer konsequenten Schonung des gesamten Körpers von Beginn<br />

an.<br />

Vorzeitige Wehen verspürt man übrigens, indem sich die Muskeln der Gebärmutter<br />

für einen Augenblick zusammenziehen. Der Bauch wird für einen Moment hart und<br />

entspannt sich dann wieder. Dieses Zusammenziehen ist nicht schmerzhaft und man<br />

muss manchmal sehr aufmerksam sein, um es überhaupt wahrzunehmen. Nicht jede<br />

Kontraktion dieser Art ist jedoch gleich ein Grund zur Besorgnis. Es gehört zum normalen<br />

Verlauf der Schwangerschaft, dass die Gebärmutter ihre Wehenfunktion schon einige<br />

Wochen vor dem Geburtstermin zu „trainieren“ beginnt. Bis zu zehn spürbare Wehen je<br />

24 Stunden gelten in diesem Rahmen als normal. Auch die Senkwehen, bei denen sich<br />

die Kinder einige Zeit vor der Geburt in den Beckeneingang verlagern und die man<br />

meist als ein Ziehen im Kreuz verspürt, gehören zum normalen Verlauf der Schwangerschaft<br />

und sind für sich genommen nicht gefährlich. Trotzdem sollten Sie Ihren Frauenarzt<br />

über alle verspürten Wehen informieren, damit er Ihre Wehentätigkeit gezielt mit<br />

einem CTG-Gerät überprüfen und mit einer Ultraschalluntersuchung kontrollieren kann,<br />

ob die Wehen bereits „muttermundswirksam“ sind, ob also der Pressdruck auf den Muttermund<br />

bereits eine Verkürzung des Gebärmutterhalses bewirkt.<br />

d) Gestose, hypertensive Schwangerschaftserkrankung<br />

Etwa jede vierte Mehrlingsschwangere erkrankt – meist zum Ende der Schwangerschaft<br />

– an einer Gestose. Dabei handelt es sich um eine mit Bluthochdruck verbundene<br />

Stoffwechselstörung, die in unterschiedlichen Schweregraden auftritt. Außer dem Namen<br />

„Gestose“ sind noch eine Reihe weiterer Bezeichnungen für diese Art Schwangerschaftserkrankung<br />

eingeführt:<br />

- Schwangerschaftsvergiftung (im Volksmund)<br />

- Schwangerschaftshochdruck (selten gebräuchlich)<br />

24b


25a<br />

- Gestose, EPH-Gestose, Spätgestose (geläufige Bezeichnung in den meisten<br />

Frauenarztpraxen)<br />

- Toxikose<br />

- Präeklampsie (ohne Krämpfe), Eklampsie (mit Krämpfen)<br />

- hypertensive Schwangerschaftserkrankung, Gestationshypertension,<br />

schwangerschaftsassoziierte Hypertension (derzeit herrschende Bezeichnungen<br />

in der medizinischen Fachliteratur).<br />

Die verschiedenen Benennungen beruhen auf unterschiedlichen Interpretationen<br />

der Krankheit und veranschaulichen zugleich, dass die medizinische Diskussion über<br />

deren Ursachen und Therapie noch nicht abgeschlossen ist.<br />

Nachgewiesen wird die Erkrankung durch einen erhöhten Eiweißanteil im Urin.<br />

Charakteristisch ist jedoch ein permanent ansteigender Blutdruck, der letztlich auch<br />

die Gefährlichkeit der Erkrankung ausmacht. Beide Messwerte werden deshalb bei<br />

jeder Vorsorgeuntersuchung überprüft. Ein drittes Erkennungsmerkmal sind Wassereinlagerungen,<br />

von denen die Erkrankung fast immer begleitet ist. Diese sind zunächst<br />

als geschwollene Knöchel, später auch als geschwollene Hände, Unterschenkel und als<br />

geschwollenes Gesicht wahrzunehmen. Wenn Sie solche Anzeichen bei sich feststellen,<br />

sollten Sie umgehend Ihren Frauenarzt aufsuchen, um den Blutdruck und den<br />

Eiweißgehalt Ihres Urins einmal außer der Reihe testen zu lassen.<br />

Bei schwerem Verlauf der Erkrankung können Krampfanfälle auftreten, die zu einer<br />

vorübergehenden Unterversorgung der Kinder führen und deshalb eine ernste Gefahr<br />

darstellen. Solche Krampfanfälle kündigen sich meist durch zunehmende Kopfschmerzen,<br />

eine Verschlechterung des Allgemeinzustandes, äußerliche Unruhe, gesteigerte<br />

Reflexe, Schwindelgefühl, Flimmern oder Nebel vor den Augen, Ohrensausen,<br />

Bewusstseinseintrübung, Schmerzen in der Magengrube, Übelkeit oder Erbrechen und<br />

manchmal durch Hitzewallungen an. Wenn Sie solche Symptome feststellen und der<br />

Frauenarzt vielleicht sogar schon eine Neigung zur Gestose festgestellt hatte, müssen<br />

Sie sofort mit Ihrem Frauenarzt Rücksprache nehmen oder – falls dieser nicht erreichbar<br />

ist – die Geburtsklinik aufsuchen. Um einem so schwerwiegenden Krankheitsverlauf<br />

vorzubeugen, wird die einmal erkannte Gestose frühzeitig mit blutdrucksenkenden<br />

Mitteln und eiweiß- sowie kalorienreicher Ernährung behandelt. Bei drohenden<br />

Krampfanfällen wird außerdem – je nach dem erreichten Reifegrad der Kinder – eine<br />

vorzeitige Einleitung der Geburt erwogen.<br />

Eine seltenere Variante der Gestose ist das für Mutter und Kinder sehr gefährliche<br />

HELLP-Syndrom, das man in neun von zehn Fällen durch starke Schmerzen im rechten<br />

Oberbauch bemerkt, die bis in den Rücken ausstrahlen können. Die Ursachen des Syndroms,<br />

bei dem die Leberfunktion nachlässt und eine Gerinnungsstörung eintritt, sind<br />

noch unbekannt. Wird diese Erkrankung durch veränderte Blutwerte nachgewiesen,<br />

strebt man meist eine sofortige Entbindung an.<br />

Die Ursachen dieser Krankheitsbilder sind – wie gesagt – noch nicht ausreichend<br />

erforscht. Untersuchungen haben jedoch ergeben, dass das Auftreten der Erkrankung<br />

durch eine vorbeugende regelmäßige Einnahme von Acetylsalizylsäure (Aspirin ® ) in<br />

vielen Fällen vermindert werden kann. Frauen, die bereits bei früheren Schwangerschaften<br />

unter der Gestose gelitten haben, wird deshalb vorbeugend zur regelmäßigen Einnahme<br />

von niedrig dosiertem Aspirin ® ab der 12. SSW geraten. Bei Mehrlingsschwangeren,<br />

die fünfmal häufiger als Einlingsschwangere an einer Gestose erkranken, wird ebenfalls<br />

diskutiert, ob eine vorbeugende Gabe von Aspirin sinnvoll sein kann. Hierzu fehlen<br />

jedoch noch Fallstudien, weshalb die vorbeugende Aspirinbehandlung derzeit nicht<br />

standardmäßig durchgeführt wird. Wenn Sie das Thema interessiert, fragen Sie Ihren<br />

Frauenarzt danach. Kommen Sie aber bitte nicht auf den Gedanken, eigenmächtig eine<br />

vorbeugende Aspirinbehandlung vorzunehmen. Denn hierzu bedarf es der vorherigen<br />

Abklärung einiger Ausschlusskriterien (z.B. Nierenerkrankung, chronischer Bluthochdruck,<br />

Diabetes usw.) und außerdem einer speziellen Dosierung, die täglich nur etwa ein<br />

Zehntel bis ein Fünftel einer gewöhnlichen Kopfschmerztablette beträgt.<br />

e) Blasensprung<br />

Unter einem Blasensprung versteht man das vorzeitige Platzen der Fruchtblase. Als<br />

Schwangere stellen Sie fest, dass eine große Menge Fruchtwasser meist in einem<br />

Schwall, manchmal aber auch in einem kontinuierlichen Fluss oder in mehreren Portionen<br />

abgeht. Bei <strong>Zwillinge</strong>n kommt der vorzeitige Blasensprung anderthalb mal häufiger<br />

vor als bei Einlingen. Betroffen ist – wenn getrennte Fruchtblasen vorhanden sind –<br />

meist die Fruchtblase des vorn liegenden Kindes. Ein Blasensprung ist für sich genommen<br />

noch keine bedrohliche Situation. Trotzdem sollten Sie sofort die Geburtsklinik<br />

aufsuchen, da in aller Regel kurze Zeit später die Wehen einsetzen. Sollten die Wehen<br />

nicht einsetzen, muss eine künstliche Einleitung der Geburt erwogen werden, um Infektionen<br />

zu vermeiden. Sind die Kinder noch sehr <strong>klein</strong>, so wird vor der Geburt möglichst<br />

noch eine Lungenreifebehandlung durchgeführt. Einige Male ist es sogar schon gelun-<br />

25b


26a<br />

26b<br />

gen, das von der geplatzten Fruchtblase betroffene Kind allein zu gebären und die<br />

Schwangerschaft danach mit dem anderen Zwilling noch eine Zeit lang fortzusetzen.<br />

Diese Lösung empfiehlt sich aber nur, wenn die Fruchtblase schon sehr früh im Verlauf<br />

der Schwangerschaft platzt. Manchmal verschließen sich geplatzte Fruchtblasen<br />

übrigens auch wieder von selbst und das Fruchtwasser wird innerhalb kurzer Zeit<br />

nachgebildet. In jedem Fall ist aber eine ärztliche Kontrolle notwendig, auch wenn Sie<br />

keine weiteren Beeinträchtigungen verspüren.<br />

Gefäßverästelungen<br />

innerhalb der Plazenta<br />

Nabelschnur<br />

Kind II<br />

f) Besondere Komplikationen bei eineiigen <strong>Zwillinge</strong>n<br />

Während die bis hierhin geschilderten Komplikationen grundsätzlich bei allen<br />

Zwillingsschwangerschaften auftreten können, kommen einige weitere Störungen nur<br />

bei eineiigen <strong>Zwillinge</strong>n, andere nur bei monochorialen Eihautverhältnissen und wieder<br />

andere nur dann vor, wenn eineiige <strong>Zwillinge</strong> sich eine gemeinsame Fruchthöhle<br />

teilen (monochorial-monoamniale Eihautverhältnisse). Um die speziellen Risiken<br />

gezielt zu überwachen oder aber von vornherein ausschließen zu können, ist eine frühzeitige<br />

Bestimmung der vorliegenden Eihautverhältnisse erforderlich.<br />

aa) Gefäßverbindungen, Zwillingstransfusionssyndrom, akardischer Zwilling<br />

(betrifft: überwiegend eineiige <strong>Zwillinge</strong> mit monochorialen Eihautverhältnissen)<br />

Durch die Nabelschnüre führen Arterien und Venen, über die die Kinder versorgt<br />

werden. Sie münden in den Mutterkuchen (Plazenta), wo das zirkulierende Blut mit<br />

Sauerstoff und Nährstoffen versorgt wird. Normalerweise sollten sich die Nabelschnurarterien<br />

und -venen der Kinder innerhalb der Mutterkuchen so verzweigen, dass<br />

für beide Kinder je ein getrennter Blutkreislauf besteht:<br />

Nabelschnur<br />

Kind I<br />

Nabelarterie<br />

Nabelvene<br />

Nabelarterie<br />

zum Kind II<br />

getrennte Blutkreisläufe ohne Gefäßverbindungen<br />

Bei neun von zehn monochorialen Schwangerschaften bilden sich jedoch innerhalb<br />

des gemeinsamen Mutterkuchens Kurzschlüsse zwischen den Kreisläufen der Kinder, so<br />

dass die Blutkreisläufe miteinander verbunden sind (Gefäßanastomosen). Hierbei können<br />

z.B. die Arterie des einen Kindes mit der Arterie des anderen Kindes oder auch mit<br />

dessen Vene oder zwei Venen untereinander verbunden sein. Je nach Konstellation der<br />

Gefäßverbindung müssen sich die <strong>Zwillinge</strong> die Blutzufuhr teilen oder der eine Zwilling<br />

wird ganz oder zum Teil über den anderen Zwilling mitversorgt. Dadurch entsteht ein<br />

sog. „dritter Kreislauf“.<br />

Gefäßverbindung<br />

Gefäßverbindung zwischen den Blutkreisläufen


27a<br />

Während man früher davon ausging, dass Gefäßverbindungen ausschließlich bei<br />

monochorialen <strong>Zwillinge</strong>n vorkommen, und zwar vor allem bei monochorialen diamnialen<br />

<strong>Zwillinge</strong>n, wurden inzwischen sehr vereinzelt auch dichoriale Schwangerschaften<br />

festgestellt, bei denen eine Gefäßverbindung zustande kam, nachdem sich die<br />

ursprünglich voneinander getrennten Mutterkuchen an ihren äußeren Enden miteinander<br />

verschmolzen hatten.<br />

Die meisten dieser Gefäßverbindungen sind harmlos und behindern die <strong>Zwillinge</strong><br />

nicht in ihrer Entwicklung. Es kann lediglich passieren, dass der zweite Zwilling nach<br />

der Geburt des ersten Zwillings durch die Gefäßverbindung und die bereits abgetrennte<br />

Nabelschnur des ersten Zwillings Blut verliert. Das lässt sich aber leicht verhindern,<br />

indem man die Nabelschnur des ersten Zwillings nicht nur in Richtung des Kindes,<br />

sondern zusätzlich auch noch in mütterlicher Richtung abbindet. Manche Ärzte erwägen<br />

bei erkennbaren Gefäßverbindungen auch von vornherein einen Kaiserschnitt.<br />

Wenn jedoch die Blutkreisläufe der <strong>Zwillinge</strong> durch eine Verbindung zwischen<br />

der Arterie des einen und der Vene des anderen Zwillings in ein Ungleichgewicht<br />

geraten, nimmt einer von ihnen die Funktionen eines Geberzwillings und der andere<br />

die Funktion eines Empfängerzwillings ein. Etwa 15% der monochorialen Zwillingsschwangerschaften<br />

zeigen dieses Phänomen, das man „Zwillings-<br />

Transfusionssyndrom“ nennt, weil es den äußeren Anschein hat, als wäre zwischen<br />

den <strong>Zwillinge</strong>n eine ständige Bluttransfusion angelegt. Der Empfängerzwilling leidet<br />

unter Bluthochdruck, Wassereinlagerungen und einer Überlastung der Herzfunktion,<br />

während sich bei dem Geberzwilling Blutarmut und ein Mangel an Körperflüssigkeit<br />

einstellen. Häufig steigt dann auch die Fruchtwassermenge bei dem Empfängerzwilling<br />

bis zur 30. SSW so stark an, dass es zu einer vorzeitigen Geburt kommen kann.<br />

Der Geberzwilling leidet dagegen unter einem Fruchtwassermangel. Beide <strong>Zwillinge</strong><br />

können zu diesem Zeitpunkt bereits erhebliche Gewichtsunterschiede aufweisen.<br />

Um diese Folgen zu vermeiden, wurden zwei Behandlungsmethoden entwickelt,<br />

die das Zwillings-Transfusionssyndrom beheben oder wenigstens abschwächen. Zum<br />

einen kann man dem Empfängerzwilling Fruchtwasser aus seiner Fruchtblase entnehmen<br />

(sog. Entlastungspunktion). Das dient zunächst einmal der Beseitigung des Überdrucks<br />

und einer Verringerung der akuten Frühgeburtsgefahr. Manchmal bewirken die<br />

geänderten Druckverhältnisse sogar, dass der gefäßübergreifende Blutfluss selbst versiegt<br />

oder wenigstens nachlässt. Allerdings ist es in der Mehrzahl der Fälle notwendig,<br />

die nicht ganz ungefährliche Fruchtwasserentnahme in Abständen zu wiederholen. In<br />

extremen Fällen kann es darüber hinaus erforderlich sein, den Blutdruck beim Empfängerzwilling<br />

durch einen Aderlass zu senken, indem man die entsprechende Nabelschnur<br />

punktiert und dadurch etwas Blut abnimmt (Chordozentese).<br />

Eine zweite Behandlungsmöglichkeit besteht darin, die störenden Gefäßverbindungen<br />

innerhalb des Mutterkuchens mittels Laserstrahlen zu verschließen. Doch hängt es<br />

von der jeweiligen Konstellation und Lage der Gefäßverbindung ab, ob dieser Eingriff<br />

überhaupt möglich ist, und nur sehr wenige Kliniken sind auf die Durchführung dieser<br />

noch jungen Behandlungsmethode spezialisiert. Auch dieser Eingriff hat eine hohe<br />

Komplikationsrate und kann zum Tod eines oder beider Kinder führen. Jedoch bedeutet<br />

er bei schweren Erscheinungsformen des Transfusionssyndroms manchmal die einzige<br />

Chance, die Schwangerschaft überhaupt zu retten.<br />

Noch eine Steigerung des Zwillings-Transfusionssyndroms stellen die akardischen<br />

<strong>Zwillinge</strong> dar, wo die Gefäßverbindungen innerhalb des Mutterkuchens so geschaltet<br />

sind, dass der akardische Zwilling vollständig durch den anderen Zwilling mitversorgt<br />

wird. Dies hat zur Folge, dass sich der andere Zwilling – bis auf eine drohende Herzüberlastung<br />

– normal und gesund entwickelt, während der akardische Zwilling völlig<br />

zurückbleibt. Er ist zu keinem Zeitpunkt lebensfähig und hat in dieser Konstellation<br />

letztlich nur noch die Funktion, den Blutkreislauf des anderen Zwillings zu schließen.<br />

Man nimmt den akardischen Zwilling dadurch war, dass mit der Nachgeburt noch zusätzlich<br />

ein verkümmerter weiterer Körper ausgeschieden wird, der jedoch häufig nicht<br />

einmal auch nur die Ansätze eines Kopfes, der Arme usw. erkennen lässt. Das Vorkommen<br />

akardischer <strong>Zwillinge</strong> ist bei nur einer auf 5.000 Zwillingsschwangerschaften jedoch<br />

insgesamt recht gering.<br />

bb) Nabelschnurverwicklungen<br />

(betrifft: im Wesentlichen eineiige <strong>Zwillinge</strong> mit monochorial-monoamnialen Eihautverhältnissen)<br />

Bei eineiigen <strong>Zwillinge</strong>n, die in denselben Eihäuten und in demselben Fruchtwasser<br />

aufwachsen, können sich die Nabelschnüre beider Kinder gegenseitig umschlingen und<br />

regelrecht verknoten. Durch solche Nabelschnurverwicklungen kann die Nabelschnurdurchblutung<br />

erheblich gestört und damit die Sauerstoff- und Nahrungsversorgung der<br />

Kinder lebensbedrohlich abgeschnürt werden. Hierbei handelt es sich zugleich um die<br />

häufigste vorgeburtliche Todesursache eineiiger monoamnialer <strong>Zwillinge</strong>. Man kann der<br />

Gefahr einer Nabelschnurverwicklung kaum wirksam begegnen, weil die Kindsbewe-<br />

27b


28a<br />

gungen im Mutterleib einschließlich kompletter Drehungen zum normalen Schwangerschaftsverlauf<br />

gehören und sich nicht abstellen lassen. Man kann nur die Schwangerschaft<br />

möglichst früh durch Kaiserschnitt beenden, bevor es zu einer lebensbedrohlichen<br />

Nabelschnurverwicklung kommt. Nach derzeitigem Diskussionsstand wird eine<br />

vorzeitige Geburt nach Vollendung der 32. SSW empfohlen, weil im späteren Verlauf<br />

der Schwangerschaft die Gefahren der Nabelschnurverwicklung denjenigen der Frühgeburt<br />

überwiegen. Leider ist die Wahrscheinlichkeit einer Nabelschnurverwicklung<br />

so groß, dass nur bei vier von zehn monoamnialen Schwangerschaften beide <strong>Zwillinge</strong><br />

lebend geboren werden. Da monoamniale Eihautverhältnisse jedoch nur einen geringen<br />

Anteil von 1-2% der eineiigen <strong>Zwillinge</strong> ausmachen, müssen nur wenige diese<br />

Komplikation fürchten.<br />

cc) Störungen bei der Zwillingsteilung<br />

(betrifft: alle eineiigen <strong>Zwillinge</strong>)<br />

Eineiige <strong>Zwillinge</strong> entstehen, das haben wir schon ausgeführt, durch Teilung der<br />

befruchteten Eizelle (bzw. des daraus bereits entstandenen Gebildes) in zwei identische<br />

Teile. Theoretisch sollten beide Teile danach über exakt dieselbe Erbinformation<br />

(DNA) verfügen, also über denselben genetischen Bauplan. Tatsächlich kommt es<br />

jedoch aufgrund verschiedener Störeinflüsse immer zu gewissen Abweichungen, die<br />

bis zu 1% aller Erbmerkmale ausmachen können. Daher weisen selbst eineiige <strong>Zwillinge</strong><br />

immer <strong>klein</strong>ere körperliche Unterschiede auf, anhand derer die Eltern sie auch<br />

von Anbeginn unterscheiden können: zum Beispiel ein bestimmtes Hautmal, eine andere<br />

Form der Ohrmuschel usw. Außerdem haben eineiige <strong>Zwillinge</strong> immer auch unterschiedliche<br />

Fingerabdrücke. Diese sind zwar in ihrem Grundmuster oft sehr ähnlich,<br />

jedoch unterscheiden sich die jeweiligen Anfänge, Enden, Unterbrechungen, Gabelungen<br />

und anderen „Störungen“ im Verlauf der einzelnen Fingerlinien, die für die Eindeutigkeit<br />

des Fingerabdrucks (und damit auch für kriminalistische Untersuchungen)<br />

letztlich entscheidend sind.<br />

Bei manchen Zwillingspaaren kann man ein weiteres Phänomen beobachten: die<br />

Spiegelbildlichkeit. Nicht alle eineiigen <strong>Zwillinge</strong> stellen eine Eins-zu-eins-Abbildung<br />

ihres Geschwisters dar; bei manchen <strong>Zwillinge</strong>n scheint vielmehr eine spiegelbildliche<br />

Abbildung vorzuliegen: Haarwirbel verlaufen in entgegengesetzte Richtung, ein Zwilling<br />

ist Rechts- und einer Linkshänder, Fehlstellungen im Gebiss sind spiegelbildlich<br />

angeordnet, eingewachsene Fußnägel sind bei einem Zwilling rechts, bei dem anderen<br />

links zu finden usw. Man geht davon aus, dass diese Spiegelbildlichkeit vor allem bei<br />

denjenigen <strong>Zwillinge</strong>n vorzufinden ist, die sich erst nach dem siebten Schwangerschaftstag<br />

geteilt haben (monoamniale <strong>Zwillinge</strong>). Demgegenüber soll eine frühe Teilung der<br />

befruchteten Eizelle vorwiegend zu identischen Abbildungen führen. Die Spiegelbildlichkeit<br />

beschränkt sich allerdings immer nur auf äußerliche Merkmale und führt nicht<br />

etwa dazu, dass auch die inneren Organe seitenverkehrt angeordnet wären. Das gibt es<br />

zwar auch (sog. situs inversus), kommt jedoch bei <strong>Zwillinge</strong>n nicht häufiger vor als bei<br />

Einlingen.<br />

In diesem Zusammenhang ist noch interessant, dass <strong>Zwillinge</strong> allgemein mit einer<br />

höheren Wahrscheinlichkeit Linkshänder werden, nämlich ungefähr jeder fünfte Zwilling,<br />

während die Linkshänder-Wahrscheinlichkeit bei Einlingen unter 10% liegt. Dieses<br />

Phänomen hat in der Vergangenheit die Theorie hervorgebracht, dass Linkshändigkeit<br />

überhaupt nur durch Zwillingsschwangerschaften entstehen könne, so dass alle Linkshänder-Einlinge<br />

der überlebende Teil einer ursprünglich angelegten Zwillingsschwangerschaft<br />

wären. Eine wissenschaftliche Bestätigung dieser Annahme hat es aber nicht<br />

gegeben.<br />

Die Zwillingsteilung ist also ein facettenreicher Vorgang, dessen Ergebnis nicht so<br />

exakt vorherzubestimmen ist, wie es vordergründig den Anschein hat. Sie ist zugleich<br />

ein sehr komplexer Vorgang, bei dem auch Störungen auftreten können, die zu krankhaften<br />

Veränderungen bei einem oder beiden <strong>Zwillinge</strong>n führen. Hierzu gehören z.B. der<br />

sog. Frosch- oder Krötenkopf (Anenzephalie), bestimmte Nierenfunktionsstörungen<br />

(Potter-Syndrom) und einige weitere Chromosomenanomalien. Solche Fehlbildungen<br />

können weder vorbeugend verhindert noch im Allgemeinen ärztlich geheilt werden,<br />

weshalb wir sie hier auch nur kurz erwähnen.<br />

Eine Kuriosität solcher Chromosomenanomalien sind verschiedengeschlechtliche<br />

eineiige <strong>Zwillinge</strong>, die man an sich nicht für möglich halten würde. Hier ist es ausgerechnet<br />

das Geschlechtschromosom, welches bei der Zwillingsteilung nicht vollständig<br />

übertragen wird. Um die Entstehung dieses Sonderfalls zu verstehen, muss man wissen,<br />

dass das Geschlecht eines Kindes durch die Kombination der elterlichen Geschlechtschromosome<br />

bestimmt wird: Die Mutter steuert immer ein X-Chromosom bei, der Vater<br />

ein X- oder ein Y-Chromosom. Eine XX-Kombination ergibt ein weibliches Kind, die<br />

XY-Kombination ein männliches. Verschiedengeschlechtliche eineiige <strong>Zwillinge</strong> sind<br />

nur möglich, wenn ursprünglich eine XY-Kombination (männlich) angelegt war und die<br />

Zwillingsteilung nicht vollständig funktioniert. Bei der Zwillingsteilung behält dann der<br />

eine Zwilling die ursprüngliche XY-Kombination, während der zweite Zwilling nur das<br />

28b


29a<br />

X-Chromosom aus der mütterlichen Erbanlage übertragen erhält, jedoch nicht das<br />

väterliche (Y-) Geschlechtschromosom. Der zweite Zwilling verfügt dann bei den<br />

geschlechtlichen Erbinformationen nur über einen reduzierten Chromosomensatz (sog.<br />

„Karotyp X0“ bzw. „Monosomie X“). Das eine vorhandene X-Chromosom ist in der<br />

Lage, die Funktionen des fehlenden zweiten Geschlechtschromosoms zu übernehmen,<br />

so dass der zweite Zwilling quasi wie bei einer XX-Kombination mit einem weiblichen<br />

Erscheinungsbild zur Welt kommt. Allerdings leidet diese Tochter – wegen des<br />

in Wahrheit fehlenden zweiten Chromosoms – unter dem sog. Ullrich-Turner-<br />

Syndrom, welches sich in einer Störung der weiteren geschlechtsorganischen Entwicklung,<br />

in Kleinwuchs und in möglichen Herzfehlern äußern kann, ansonsten aber eine<br />

normale Entwicklung ermöglicht und oft erst während der Pubertät erkannt wird. Verschiedengeschlechtliche<br />

eineiige <strong>Zwillinge</strong> sind jedoch extrem selten und bisher weltweit<br />

nur in ca. 20 Fällen nachgewiesen worden. Bekannt wurde das Ullrich-Turner-<br />

Syndrom auch nicht durch eineiige <strong>Zwillinge</strong>, sondern durch Einlinge, bei denen ein<br />

entsprechend unvollständiger Chromosomensatz durch eine Fehlentwicklung bei der<br />

Entstehung oder der Vereinigung von Samen und Eizelle entstehen kann.<br />

Insgesamt treten Chromosomenanomalien bei eineiigen <strong>Zwillinge</strong>n doppelt bis<br />

dreimal so häufig auf wie bei Einlingen. Zweieiige <strong>Zwillinge</strong> haben demgegenüber<br />

keine erhöhte Wahrscheinlichkeit krankhafter Chromosomenanomalien.<br />

g) Fehlgeburt, Totgeburt<br />

Zu den Wahrheiten einer Schwangerschaft gehören auch schicksalhafte Entwicklungen,<br />

die dazu führen, dass einige Kinder nicht lebend geboren werden können oder<br />

kurz nach der Geburt versterben. Aufgrund der aufgezeigten Risikofaktoren und infolge<br />

der damit einhergehenden Frühgeburtlichkeit liegt die Sterblichkeitsrate von <strong>Zwillinge</strong>n<br />

in der Perinatalphase (d.h. ab der 28. SSW bis zum 7. Tag nach der Entbindung)<br />

fünf bis achtmal höher als bei Einlingen. Sie ist damit aber glücklicherweise immer<br />

noch verhältnismäßig niedrig. Während vor 1975 noch bis zu 20% aller Mehrlinge in<br />

der Perinatalphase verstarben, konnte die Sterberate durch medizinische Fortschritte<br />

bis auf derzeit etwa 1% reduziert werden. Betrachtet man die höhergradigen Mehrlinge<br />

isoliert, liegt die Sterberate höher, wobei die durch künstliche Befruchtung erzeugten<br />

Kinder mehr als doppelt so häufig versterben wie natürlich gezeugte Kinder – vermutlich<br />

aus Gründen, deren Ursachen in der Befruchtungstechnik selbst liegen.<br />

Denjenigen Eltern, die davon betroffen sind, helfen statistische Betrachtungen jedoch<br />

wenig. Auch die wissenschaftlich abgesicherte Erkenntnis, dass die allermeisten<br />

Fehlgeburten nicht etwa von den Eltern verschuldet sind (z.B. durch Alkoholmissbrauch),<br />

sondern eine natürliche Körperreaktion auf eine erkannte Fehlentwicklung<br />

darstellen und oftmals dem biologischen Zweck dienen, Mutter und Kind vor weiterem<br />

Schaden zu bewahren, spendet keinen wirklichen Trost. Denn die meisten Eltern hatten<br />

zu ihren ungeborenen Kindern schon eine sehr intensive Beziehung und starke emotionale<br />

Bindung aufgebaut und empfinden jetzt tiefe Trauer.<br />

Der Tod trifft uns fast immer unvorbereitet. Es scheint so unfair, dass dieses<br />

unser Kind nie den Himmel und die Sonne sehen wird und das Erwachen der<br />

Natur im Frühling, dass wir es nicht in den Armen wiegen dürfen, dass wir<br />

nicht erleben dürfen, wie es heranwächst und seine Erfahrungen im Leben<br />

macht. Ein solcher Tod passt nicht in die Ordnung der Welt hinein: wir erwarten,<br />

dass Kinder ihre Eltern überleben. Mit unseren Kindern sterben Träume,<br />

Hoffnungen und Vorstellungen für unser weiteres Leben. Es stirbt ein Teil von<br />

uns. (Hannah Lothrop)<br />

Auf keinen Fall besteht Anlass, sich anderen gegenüber für Ihre Fehlgeburt zu<br />

schämen. Um das Geschehene für sich zu verarbeiten, ist ein Gesprächspartner von großer<br />

Bedeutung, dem man sich vertrauensvoll mitteilen kann. Das können die eigenen<br />

Eltern, der Partner, eine gute Freundin oder ein guter Freund, ein Pfarrer, ein Psychologe<br />

oder Mitglieder einer der im Anhang aufgeführten Selbsthilfegruppen sein.<br />

Für manche Eltern kann das unglückliche Ende der Schwangerschaft sogar den<br />

endgültigen Verlust einer ganzen Lebensperspektive bedeuten. Wer den Aufwand und<br />

die Anstrengungen der künstlichen Reproduktionstechniken auf sich genommen hatte,<br />

verliert mit der Fehlgeburt vielleicht die letzte Hoffnung auf eine Elternschaft. Die<br />

Trauer bezieht sich dann nicht nur auf die Kinder, sondern auch auf die freudigen Erwartungen<br />

an einen familiären Lebensentwurf, der durch die vermeintlich erfolgreiche<br />

Fruchtbarkeitsbehandlung nach langem Bangen und Hoffen endlich in greifbare Nähe<br />

gerückt war und nach der Fehlgeburt nun ferner denn je, wenn nicht unerreichbar erscheint.<br />

Die psychischen Auswirkungen solcher Misserfolge der Reproduktionsmedizin<br />

rücken erst allmählich in das Blickfeld von Psychologen und Beratungsstellen. Die<br />

Betreuung solcher Trauererlebnisse erfordert eine psychosoziale Professionalität, die die<br />

reproduktionsmedizinischen Institute selbst kaum leisten können. Wenn Sie eine solche<br />

Enttäuschung für sich zusätzlich verarbeiten müssen, wenden Sie sich daher am besten<br />

an den psychosozialen Dienst der Klinik, an eine Schwangerschaftsberatungsstelle oder<br />

29b


30a<br />

an eine andere Einrichtung, zu der Sie Vertrauen haben. Da das Thema erst vereinzelt<br />

aufbereitet und die verfügbaren Informationen nur verstreut zu erlangen sind, haben<br />

einige Betroffene sich zu Selbsthilfegruppen zusammengefunden; andere haben ihre<br />

persönlichen Erfahrungsberichte in Diskussionsforen des Internet veröffentlicht. Das<br />

Buch, das wir im Anhang als Literaturempfehlung aufgenommen haben, befragt betroffene<br />

Frauen und betont die psychosoziale Dimension der Unfruchtbarkeitsproblematik<br />

gegenüber einem einseitig medizinischen Behandlungsansatz.<br />

Mit dem Versterben eines Ungeborenen oder eines Neugeborenen können weiterhin<br />

einige Behördengänge und Formalitäten verbunden sein, über die man zumindest<br />

folgendes wissen sollte:<br />

- Als „Lebendgeburt“ bezeichnet man Kinder, die nach der Entbindung<br />

mindestens eines der drei maßgeblichen Lebenszeichen aufweisen: Herzschlag,<br />

natürliche Lungenatmung, Pulsieren der Nabelschnur. Auch wenn<br />

das Kind bald nach der Geburt verstirbt, gilt es doch rechtlich als ein e-<br />

xistierender Mensch. Das Kind muss daher beim Standesamt namentlich<br />

angemeldet werden, wo es in die Personenstandsbücher eingetragen wird<br />

und eine Geburts- und Sterbeurkunde ausgestellt werden. Manche Eltern<br />

betrachten die damit verbundenen Formalitäten als unangenehm; für viele<br />

Eltern ist es jedoch wichtig, dass ihr Kind auf diese Weise auch formell<br />

als ein vollwertiger Mensch anerkannt wird. Das Kind kann entweder im<br />

Familiengrab, im Reihengrab oder auf einem anonymen Grabfeld bestattet<br />

werden; man kann es auch der Klinik zu Forschungszwecken überlassen.<br />

Es entsteht der volle Anspruch auf Mutterschaftsgeld sowie für jeden<br />

angefangenen Lebensmonat des Kindes Anspruch auf Elterngeld. Wenn<br />

beide Kinder versterben, endet die bereits angetretene Elternzeit spätestens<br />

drei Wochen nach dem Tod des letzten Kindes. Anspruch auf Kindergeld<br />

besteht für jeden Kalendermonat, in dem das Kind an wenigstens<br />

einem Tag gelebt hat.<br />

- Als „totgeboren“ oder „in der Geburt verstorben“ bezeichnet man Kinder,<br />

die nach der Entbindung über keines der drei genannten Lebenszeichen<br />

verfügen, jedoch mit einem Gewicht von über 500 Gramm geboren werden.<br />

Totgeburten müssen ebenfalls dem Standesamt gemeldet werden und<br />

werden dort als solche eingetragen. Die Eltern können dem Kind einen<br />

Namen geben, der ebenfalls in die Personenstandsbücher eingetragen<br />

wird; eine Verpflichtung hierzu besteht jedoch nicht. Über die Bestattung<br />

von Totgeborenen bestehen in den einzelnen Bundesländern unterschiedliche<br />

Vorschriften 1 . Wird bei einer Mehrlingsschwangerschaft ein Kind lebend<br />

und eines tot geboren, gilt dies als Mehrlingsgeburt im Sinne der verlängerten<br />

Mutterschutzfristen.<br />

- Als „Fehlgeburt“ bezeichnet man Kinder, die über keines der drei genannten<br />

Lebenszeichen verfügen und mit einem Gewicht unter 500 Gramm zur<br />

Welt kommen. Fehlgeburten sind gegenüber dem Standesamt nicht meldepflichtig<br />

und können auch nicht in die Personenstandsbücher eingetragen<br />

werden. In einigen Bundesländern ist inzwischen das Recht verankert, auch<br />

diese Kinder bestatten zu lassen, was die Trauerarbeit erleichtern kann. Wo<br />

das Bestattungsrecht nicht allgemein zugestanden ist, kann man in der Regel<br />

eine Sondererlaubnis beantragen. Eine Pflicht zur Bestattung besteht<br />

keinem Bundesland.<br />

8. Schwangerschaftsgymnastik und Geburtsvorbereitung<br />

Nahezu alle Geburtskliniken und auch andere Organisationen sowie freie Hebammen<br />

bieten Kurse unter dem Titel „Schwangerschaftsgymnastik“ und/oder „Geburtsvorbereitung“<br />

an. Grundsätzlich sollten bei der Schwangerschaftsgymnastik gymnastische<br />

Übungen im Vordergrund stehen, während Geburtsvorbereitungskurse den Geburtsablauf<br />

erklären, Atem- und Entspannungstechniken einüben und mental auf das Ereignis<br />

vorbereiten. Geburtsvorbereitungskurse in diesem Sinne sind gleichermaßen für werdende<br />

Väter geeignet und werden deshalb häufig auch als Partnerkurse angeboten.<br />

Die Kursinhalte der einzelnen Anbieter weichen jedoch stark voneinander ab. Tatsächlich<br />

orientieren sich die Kursinhalte nicht so sehr an der formalen Kursbezeichnung<br />

1 Die allgemeine Tendenz geht dahin, eine Bestattungspflicht ab 500 Gramm Geburtsgewicht<br />

vorzuschreiben; in einigen Bundesländern liegt die Grenze aber noch – wie früher üblich – bei<br />

1000 Gramm (Berlin, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern). In den meisten Bundesländern<br />

ist auf Wunsch der Eltern auch unterhalb der festgelegten Gewichtsgrenzen eine Bestattung<br />

zulässig; in Bremen und Sachsen wird allerdings eine bestimmte Schwangerschaftsdauer<br />

(mindestens 12 Wochen) verlangt. Ausnahmegenehmigungen können in fast allen Bundesländern<br />

beantragt werden. In Hessen sind alle Fehl- oder Totgeburten nach Ablauf des sechsten Schwangerschaftsmonats<br />

bestattungspflichtig. In Niedersachsen beginnt die Bestattungspflicht bei 35 cm<br />

Körperlänge. Das ist ein Relikt aus der Zeit vor 1979, wo die Körperlänge von 35 cm auch personenstandsrechtlich<br />

als Fehlgeburtsgrenze galt.<br />

30b


31a<br />

als vielmehr an der Schwerpunktsetzung des jeweiligen Anbieters. So werden in „Geburtsvorbereitungs“-Kursen<br />

oft auch gymnastische Übungen angeleitet, während in<br />

„Schwangerschaftsgymnastik“-Kursen ebenso über den Geburtsablauf gesprochen und<br />

Atemtechniken eingeübt werden. Es kann sogar sein, dass der Geburtsvorbereitungskurs<br />

des einen Anbieters einen größeren Schwerpunkt auf gymnastische Übungen legt<br />

als der Schwangerschaftsgymnastikkurs des anderen Anbieters. Das Verwirrspiel der<br />

unterschiedlichen Kursbezeichnungen hat nämlich vor allem abrechnungstechnische<br />

Gründe gegenüber den Krankenkassen.<br />

Als Schwangere tut man deshalb gut daran, sich vor der Anmeldung zu einem solchen<br />

Kurs genau über dessen Inhalt und Schwerpunkt zu informieren. Liegt der<br />

Schwerpunkt des Kurses auf gymnastischen Übungen, so sollten Sie zuvor mit Ihrem<br />

Frauenarzt abklären, ob die Teilnahme für Sie sinnvoll ist. Der Frauenarzt muss den<br />

Zustand Ihres Muttermundes und das Risiko vorzeitiger Wehen beurteilen und wird<br />

Ihnen dann möglicherweise von der Teilnahme abraten. Kommen Ihnen während der<br />

Kursstunden Zweifel, ob einzelne Übungen zu anstrengend sein könnten, so verzichten<br />

Sie besser auf diese Übungen und gönnen sich eine Pause. Insbesondere Pressübungen<br />

können bei Zwillingsschwangeren vorzeitige Wehen auslösen.<br />

Die Teilnahme an einem wirklichen Geburtsvorbereitungskurs in dem eingangs<br />

bezeichneten Sinne ist aber in jedem Falle zu empfehlen und medizinisch völlig unbedenklich.<br />

Melden Sie sich rechtzeitig an und achten Sie auf einen nicht zu späten<br />

Kursbeginn. Oft fragen die Kursveranstalter nach dem errechneten Geburtstermin und<br />

stellen die Gruppen so zusammen, dass der Kurs kurz vor diesem Zeitpunkt endet.<br />

Mehrlingsschwangere verpassen dann häufig einen Teil des Kurses, weil deren Kinder<br />

mit hoher Wahrscheinlichkeit deutlich eher als zum errechneten Geburtstermin zur<br />

Welt kommen. Bemühen Sie sich deshalb um einen Kurs, der etwa einen Monat eher<br />

stattfindet als der für Ihren formal errechneten Geburtstermin an sich vorgesehene<br />

Kurs. Hebammen werden diesen Wunsch akzeptieren und vielfach sogar von sich aus<br />

den früheren Termin vorschlagen. Wenn allerdings die Kurse eines größeren Veranstalters<br />

nicht von der Hebamme selbst, sondern von einem Verwaltungsangestellten<br />

zusammengestellt werden, kann es passieren, dass er Ihren Wunsch zurückweist, weil<br />

er Anweisung hat, streng nach den errechneten Geburtsterminen vorzugehen. Um sich<br />

in solchen Fällen müßige Diskussionen zu ersparen, kann es ausnahmsweise gerechtfertigt<br />

sein, von vornherein einen falschen (um einen Monat vorverlegten) Geburtstermin<br />

anzugeben.<br />

9. Besorgungen während der Schwangerschaft<br />

a) Anschaffungen<br />

Die bevorstehende Geburt gibt Anlass zu einigen Anschaffungen. Selbst diejenigen<br />

Eltern, die schon ältere Kinder haben, müssen einiges hinzukaufen. Da die einzelnen<br />

Gegenstände zum Teil recht teuer sind, kann es sich empfehlen, das ein oder andere<br />

gebraucht zu kaufen. Hierzu werden von Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und anderen<br />

Veranstaltern überall Baby-Gebrauchtbörsen organisiert, auf denen die Eltern älterer<br />

Kinder ihre nicht mehr benötigten Gegenstände feilbieten. Speziellen Zwillingsbedarf<br />

(insbesondere Zwillingskinderwagen) erhält man auf gesonderten Zwillingsflohmärkten,<br />

die jedoch seltener und nur in größeren Orten veranstaltet werden. Sie werden in der<br />

Regel von Zwillingsinitiativen organisiert, wo man auch die jeweiligen Termine erfragen<br />

kann. Ansonsten empfiehlt sich der Blick in die Kleinanzeigen der Tageszeitung<br />

bzw. in die örtlichen Anzeigenblätter, wo Zwillingskinderwagen ebenfalls angeboten<br />

werden. Sogar über die Internet-Auktionshäuser lassen sich Zwillingswagen ersteigern.<br />

Hinsichtlich des Zeitpunktes der Anschaffung sollten Sie berücksichtigen, dass<br />

während der Frühschwangerschaft noch keine letztendliche Gewissheit besteht, ob tatsächlich<br />

beide <strong>Zwillinge</strong> ausgetragen werden und nicht einer von beiden nachträglich<br />

noch verschwindet. Auch eine Fehlgeburt mit dem Verlust beider Kinder ist in dieser<br />

Phase noch möglich. Deshalb wird allgemein angeraten, im ersten Schwangerschaftsdrittel<br />

noch keine übertriebenen Geldausgaben zu tätigen. Wenn es dann später an konkrete<br />

Bestellungen geht, sollte man mit den jeweiligen Händlern (Möbelhäuser, Baby-<br />

Ausstatter) vereinbaren, dass die Kaufgegenstände erst nach der Geburt und nur in der<br />

Anzahl abgenommen werden müssen, wie die Kinder tatsächlich lebend zur Welt kommen.<br />

Die seriösen Häuser bieten solche Konditionen von sich aus an, so dass man im<br />

tragischen Falle einer Fehl- oder Totgeburt nicht auch noch auf seinen Anschaffungen<br />

sitzen bleibt.<br />

Zu lange warten sollte man mit den Anschaffungen allerdings auch nicht, da man<br />

damit rechnen muss, dass die Kinder erheblich früher als zum errechneten Geburtstermin<br />

zur Welt kommen. Vielleicht geht der Geburt sogar noch ein stationärer Klinikaufenthalt<br />

voraus, der die Einkaufsmöglichkeiten weiter einschränkt. Und schließlich muss man bei<br />

manchen Gegenständen (z.B. einigen Zwillingskinderwagen) mit erheblichen Lieferzeiten<br />

rechnen, die zwei Monate oder sogar länger betragen können.<br />

31b


32a<br />

Was im Einzelnen an Erstausstattung für Babys erforderlich ist, erfahren Sie in<br />

den gängigen Geburtsvorbereitungsbüchern und Schwangerschaftsbroschüren. Wir<br />

beschränken uns daher mit unseren Empfehlungen auf einige zwillingstypische Aspekte.<br />

lässt sich die Behaglichkeit einer Wiege auch im großen Kinderbett verwirklichen: Bettumrandungen<br />

(„Nestchen“) und ein Himmel aus gespannten Tüchern helfen dabei. Bei<br />

der Herrichtung der Betten muss man allerdings darauf achten, dass die Kinder auch<br />

nach einer eventuellen Drehung nicht durch Kissen usw. in ihrer Atmung behindert werden<br />

können.<br />

32b<br />

aa) Stillkissen<br />

Eine nützliche Anschaffung ist auf jeden Fall das Stillkissen. Das Stillkissen besitzt<br />

eine gebogene, fast bananenartige Form und ist mit Kunststoffkugeln oder Naturmaterialien<br />

gefüllt. Die Füllung ist so beschaffen, dass sich das Kissen leicht verformen<br />

lässt, unter Belastung jedoch nicht einsackt. Aufgrund dieser Eigenschaften<br />

kann man das Kissen auf dem Schoß herrichten und das Kind beim Stillen darauf ablegen.<br />

Will man <strong>Zwillinge</strong> rechts und links gleichzeitig stillen, ist ein Stillkissen unerlässlich.<br />

Aber auch schon vor der Geburt kann das Stillkissen gute Dienste leisten.<br />

Viele Zwillingsschwangere schätzen das Stillkissen als Rücken- oder Seitenstütze,<br />

wenn der Bauchumfang im letzten Schwangerschaftsdrittel eine zunehmende körperliche<br />

Belastung darstellt.<br />

bb) Kinderbetten<br />

Kinderbetten werden Sie auf Dauer für jedes Kind gesondert benötigen. In der<br />

Anfangsphase ist es zwar möglich, beide Kinder in ein Bett nebeneinander zu legen<br />

oder je eines an das Kopf- und an das Fußende. Die Kinder stören sich jedoch nur<br />

solange nicht, wie sie sich nicht drehen und ihre Position nicht verlassen können. Sobald<br />

sie dazu in der Lage sind – zumeist nach spätestens sechs Monaten – können sich<br />

die Kinder im Schlaf gegenseitig behindern und wecken, so dass spätestens dann je ein<br />

eigenes Bett erforderlich wird. Wenn Sie allerdings in räumlich beengten Verhältnissen<br />

wohnen und bald nach der Geburt einen Umzug planen, können Sie einstweilen<br />

auf ein zweites Kinderbett verzichten.<br />

Die meisten Kinderbetten der üblichen Größe 70 x 140 cm lassen sich später in<br />

ein sog. „Jugendbett“ bzw. „Juniorbett“ umbauen und damit bis zum Grundschulalter<br />

nutzen. Einen Stubenwagen oder eine Wiege braucht man dagegen nicht; aus ihrer<br />

<strong>klein</strong>en Liegefläche sind die Kinder schnell herausgewachsen. Mit etwas Kreativität<br />

cc) Zwillingskinderwagen<br />

Ein Kinderwagen wird erforderlich, sobald Sie zu Fuß eine Wegstrecke mit Ihren<br />

Kindern zurücklegen wollen. Praktisch kommt daher fast keine Familie um einen Kinderwagen<br />

herum. Bevor Sie sich konkrete Gedanken über die Anschaffung machen,<br />

sollten Sie sich vergegenwärtigen, dass Kinder in der Regel nicht länger als acht bis<br />

zehn, allerhöchstens zwölf Monate liegend in einem Kinderwagen verbringen. In der<br />

Folgezeit wollen sie sitzend durch die Umgebung gefahren werden, entweder im so<br />

genannten „Sportwagen“ bzw. „Karre“ (stabiles Modell mit fester Sitzfläche) oder im<br />

„Buggy“ (leichteres Modell mit geringerem Packmaß). Viele Kinderwagen sind so ausgestattet,<br />

dass sie von der Liegeposition in eine Sitzposition (Sportwagen) umgebaut<br />

werden können.<br />

Für <strong>Zwillinge</strong> sind verschiedene Modelle im Angebot, die einerseits technisch nicht<br />

so weit entwickelt, andererseits durchweg teurer sind als vergleichbare Modelle für<br />

Einlinge. Die Hersteller haben verschiedene Grundtypen und -konzepte entwickelt, von<br />

denen man das Passende für sich zunächst herausfinden sollte, bevor man die konkrete<br />

Prüfung der einzelnen Angebote angeht.<br />

Zunächst scheiden sich die Geister an der Frage, ob man <strong>Zwillinge</strong> besser nebeneinander<br />

oder hintereinander durch die Welt schiebt. Manche Modelle ermöglichen es<br />

sogar, die Kinder wahlweise neben- oder hintereinander zu positionieren (z.B. Inglesina);<br />

bei den meisten Kinderwagen ist die Anordnung jedoch fest vorgegeben. Nebeneinander<br />

hat bei vielen Modellen den Vorteil, dass beide Kinder wahlweise zunächst mit<br />

Blick zum schiebenden Elternteil und später in Frontrichtung ausgerichtet werden können,<br />

so dass sie ihren Entwicklungsphasen entsprechend jeweils dasjenige wahrnehmen,<br />

was ihrem Interesse entspricht. Dagegen bedeutet Hintereinander, dass die Kinder sich<br />

entweder gegenseitig ansehen oder aber wenigstens eines der Kinder auf die Rückwand<br />

des anderen Sitzes schaut. Manche Kinder lehnen sich dann zur Seite heraus, um mitzubekommen,<br />

was vorne passiert.


33a<br />

Ein wichtiger Gesichtspunkt ist aber auch die persönliche Mobilität: Nebeneinander<br />

nimmt viel Platz in der Breite, Hintereinander braucht mehr Platz in der Länge.<br />

Informieren Sie sich über das Packmaß und prüfen Sie, ob der anvisierte Kinderwagen<br />

– sofern Sie über ein Auto verfügen – in Ihren Kofferraum passt. Wenn Sie dagegen<br />

z.B. als nicht berufstätige Mutter vorwiegend in öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs<br />

sind, vermessen Sie den Einstiegsbereich des benutzten Verkehrsmittels und<br />

prüfen Sie daraufhin die Kinderwagen. Denken Sie auch an die Breite von Aufzugtüren<br />

zu den Bahnsteigen oder U-Bahnschächten, sowie an die Länge der Aufzüge, wenn<br />

Sie einen Wagen „hintereinander“ favorisieren. Dasselbe gilt für die Tore, Eingangstüren<br />

und Aufzüge, die Sie passieren müssen, um in Ihr Haus oder Ihre Wohnung zu<br />

gelangen. Prüfen Sie außerdem die Maße des vorgesehenen Abstellplatzes und berücksichtigen<br />

Sie dabei, dass in Hausfluren und Gemeinschaftsräumen nicht immer alle<br />

Nachbarn und Vermieter mit dem von Ihnen ausgesuchten Abstellplatz einverstanden<br />

sind, so dass notfalls ein Ersatzplatz gefunden werden muss.<br />

Wenn ein Kinderwagen „nebeneinander“ in Betracht kommt, gibt es wiederum<br />

zwei Alternativen. Die klassische Variante verfügt über zwei getrennt aufgehängte<br />

Schalen, in denen jedes Kind für sich soviel Platz hat, wie Einlinge in ihren Einlingswagen.<br />

Der Vorteil dieser Wagen liegt vor allem darin, dass die Kinder in ihren festen<br />

Schalen komplett herausgehoben werden können, ohne dabei aufzuwachen. Früher<br />

erkannte man diese Wagen an ihrem Mittelgestänge mit je vorn und hinten einer gesonderten<br />

Achsaufhängung, insgesamt also sechs Rädergruppen (z.B. Peg-Pérego).<br />

Neuere Modelle kommen mit vierrädrigen Fahrgestellen aus (z.B. Inglesina). Die Wagen<br />

sind wegen ihrer getrennten Schalen entsprechend breit und passen oft nicht durch<br />

die normale Eingangstür (=80 cm).<br />

Demgegenüber erinnert eine andere, kompaktere Bauform eher an einen überbreiten<br />

Einzelkinderwagen (z.B. Emmaljunga, Urban-Jungle). Diese Kinderwagen sind<br />

schmaler und passen durch gewöhnliche Eingangstüren; auch sind sie insgesamt wendiger.<br />

Viele Wege lassen sich mit dem etwas schmaleren Wagen erheblich besser bewerkstelligen.<br />

Der Nachteil dieser Wagen liegt darin, dass die Kinder nicht in je einer<br />

eigenen Hartschale liegen, sondern in schmalen Tragetaschen, in denen sie weniger<br />

Platz haben und beim Herausheben leicht aufwachen. Außerdem ist es bei diesen Modellen<br />

manchmal nicht möglich, die Kinder wahlweise in beide Richtungen auszurichten.<br />

Diese Nachteile spielen aber nur im Liegealter eine Rolle. Spätestens ab dem<br />

Sitzalter kommt es auf beide Aspekte nicht mehr an, so dass jedenfalls von da an die<br />

schmaleren Wagen durchaus im Vorteil sind. Allerdings muss man sich bei diesen<br />

kompakten Modellen genau informieren, ob sie überhaupt umgebaut werden können<br />

und welche Zubehörteile man dafür ggf. noch benötigt, die im Kinderwagenpreis nicht<br />

enthalten sind.<br />

Wenn Sie Ihre Lebensgewohnheiten und Ihren Aktionsradius gedanklich mit den<br />

verschiedenen Bauarten durchgespielt haben, wird Ihnen das ein oder andere Konzept<br />

als am ehesten geeignet vorkommen. Erst dann sollten Sie daran gehen, sich für ein<br />

bestimmtes Modell zu entscheiden. Neben der allgemeinen Verarbeitung und dem angebotenen<br />

Zubehör (Regenplane, Sommer- und Wintersäcke) sollten Sie insbesondere auch<br />

die Qualität der Radaufhängung (Metall- oder Plastikausführung) und den Raddurchmesser<br />

prüfen: Ein großer Raddurchmesser gleicht Bodenunebenheiten wesentlich besser<br />

aus und verspricht dadurch einen erheblich besseren Fahrkomfort – für die Kinder<br />

wie auch für die schiebenden Eltern. Hochgewachsene Eltern sollten sich auch für die<br />

Höhe des Schiebebügels interessieren; bei manchen Modellen ist er sogar verstellbar.<br />

Und nicht zuletzt: Lassen Sie sich das Zusammenlegen und Aufbauen des Kinderwagens<br />

zeigen und probieren Sie es auch selbst einmal aus.<br />

Anderes Zubehör als das hier ausdrücklich genannte ist im Allgemeinen nicht erforderlich.<br />

Vor allem die zum Zudecken der Kinder angebotenen Daunenkissen und<br />

-bezüge gehören in die Kategorie der unnötigen Geldausgaben. Gewöhnliche Kopfkissen<br />

mit gewöhnlichen Kopfkissenbezügen, wie sie sich in jedem Haushalt finden, erledigen<br />

denselben Zweck. Lediglich Spannlaken und ggf. wasserdichte Unterlagen sollten Sie<br />

sich noch beschaffen, soweit sie für den Kinderwagen vorgesehen und nicht bereits im<br />

Zubehör enthalten sind. Sonnenschirme für den Kinderwagen sind nur bedingt praktikabel,<br />

weil die meisten Wege kurvig sind und die Sonnenschirme mit jeder neuen Fahrtrichtung<br />

immer wieder neu ausgerichtet werden müssen. Sie können allerdings eine<br />

Hilfe sein, wenn der Kinderwagen einmal für längere Zeit an einem Ort abgestellt wird.<br />

Am besten meidet man von vornherein die sommerliche Mittagshitze.<br />

Wenn die Auswahl an Zwillingskinderwagen in den Geschäften Ihrer Umgebung<br />

begrenzt ist und Sie ein Freund des elektronischen Versandhandels sind, können Sie sich<br />

bei den folgenden Spezialanbietern einmal umsehen:<br />

- „Zwillingsburg“ Annette Wulf,<br />

http://www.zwillingsburg.de.<br />

- „Mehrlingsshop“ Birgit Leeck,<br />

http://mehrlinge.com/Shop/Tipps/shopmichel_online/index.html<br />

33b


34a<br />

- „Petzy’s Zwillingsshop“ Marion von Gratkowski,<br />

http://www.zwillings-shop.de/twinshop2003<br />

- „Rasselfisch“ Gabriele Kiefer und Michaela Wieland GbR,<br />

http://www.rasselfisch.de<br />

Auch hier bekommen Sie jedoch nicht alle Modelle, da einige renommierte Hersteller<br />

es ablehnen, mit den Versandfirmen zusammenzuarbeiten. Prüfen Sie die Versandfirmen<br />

kritisch auf ihre Geschäftsbedingungen und lassen Sie sich nicht unbedacht<br />

auf überhöhte Anzahlungsbeträge bei der Reservierung ein. Dieser Tipp gilt<br />

natürlich gleichermaßen für die Vorbestellung im Fachhandel vor Ort.<br />

übrigens noch nichts erzählt; sie tauchte erstmals in den Geschäftsbedingungen auf der<br />

Rückseite der später zugesandten Auftragsbestätigung auf – neben anderen Fußangeln,<br />

etwa hinsichtlich der Garantie. Da wir mit diesen Geschäftsbedingungen nicht einverstanden<br />

waren, die Inhaberin aber darauf bestand, kam die Bestellung letztlich nicht<br />

zustande. Trotzdem empfehlen wir einen Besuch des Geschäftes 1 , schon wegen der<br />

fachkundigen Beratung. Und wer will schon ausschließen, dass sich die Geschäftsbedingungen<br />

auf entsprechenden Druck der Verbraucher hin im Laufe der Zeit noch einmal<br />

verbessern<br />

34b<br />

ee) Kleidung und Spielsachen<br />

dd) Drillings- und Vierlingskinderwagen<br />

Einen Drillings- oder Vierlingswagen haben nur die allerwenigsten Babyausstatter<br />

in ihrer Ausstellung. Man ist deshalb ganz überwiegend auf Katalogbestellung<br />

angewiesen, was die Prüfung der oben genannten Auswahlkriterien erschwert. Qualität<br />

und Verarbeitung von Mehrlingswagen sind zum Teil erheblich schlechter als bei<br />

Einlingswagen, und das gelieferte Modell entspricht nicht immer den Vorstellungen,<br />

die man sich anhand der Katalogangaben gemacht hatte.<br />

Eine Drillingsmutter aus Hochheim war mit ihrem Katalog-Kinderwagen so unzufrieden,<br />

dass sie beschloss, ihre eigenen Vorstellungen umzusetzen und gemeinsam<br />

mit einem industriellen Hersteller einen neuen Mehrlingswagen zu entwickeln, der bis<br />

hin zum Vierlingswagen erweitert werden kann (jeweils zwei hintereinander und zwei<br />

nebeneinander). Für den Vertrieb ihres selbstentwickelten Wagens hat sie einen Verkaufsladen<br />

eingerichtet, in dem auch Kinderwagen anderer Hersteller zu Vergleichszwecken<br />

bereitstehen. Der Wagen aus ihrer eigenen Herstellung macht einen qualitativ<br />

hochwertigen und insgesamt gut durchdachten Eindruck, kostet jedoch einschließlich<br />

des üblichen Zubehörs – je nach Ausstattung – einen stolzen Preis von ca. 1.300,-<br />

EUR und mehr in der Zwillingsversion sowie nicht unter 1.500,- EUR in der Drillingsversion.<br />

Eine Galerie aus Geburtsanzeigen an den Wänden des Geschäftes zeugt<br />

von zufriedener Kundschaft.<br />

Wer hier bestellt, sollte allerdings auch wissen, dass er mit der verlangten Anzahlung<br />

von 60% des Kaufpreises einen gehörigen Teil am Insolvenzrisiko des Geschäftes<br />

trägt. Beim Verkaufsgespräch hatte man uns von dieser obligatorischen Anzahlung<br />

Je mehr Verwandtschaft Sie haben und je größer Ihr Freundeskreis ist, desto eher<br />

sollten Sie sich mit der Anschaffung von Kleidung und Spielsachen zurückhalten. Denn<br />

dies sind die beliebtesten Geburts- und Taufgeschenke. Meist empfiehlt es sich, vor der<br />

Geburt nur eine knapp bemessene Erstausstattung anzuschaffen, um erst nach dem Geschenkesegen<br />

die dann ggf. noch fehlenden Teile zu komplettieren.<br />

Auch hier stellt sich dann wieder die Frage, neu oder gebraucht zu kaufen. Ersteres<br />

erfordert ein gewisses finanzielles Polster, weil die meisten Kleidungsstücke wegen des<br />

rasanten Wachstums der Kinder einerseits und der wechselnden Jahreszeiten andererseits<br />

immer nur für relativ kurze Zeit im Gebrauch sind. Oft ergibt sich eine Gelegenheit,<br />

Babykleidung von anderen Eltern aus der Bekanntschaft auszuleihen. Dies kann<br />

eine erhebliche finanzielle Entlastung bedeuten.<br />

Im Zusammenhang mit der Beschaffung von Kleidung stellt sich dann weiter die<br />

Frage, ob man <strong>Zwillinge</strong> gleich oder verschieden anziehen soll. Gleich gekleidete <strong>Zwillinge</strong><br />

ziehen eine noch höhere Aufmerksamkeit auf sich, weil jeder Passant Ihre Kinder<br />

nun auch außerhalb des Kinderwagens sofort als <strong>Zwillinge</strong> identifiziert. Ob Ihnen diese<br />

Publicity lieb ist, müssen Sie selbst entscheiden.<br />

Was bei Erwachsenen Entzücken hervorruft, kann für die Kinder allerdings zu<br />

Problemen bei der Identitätsfindung führen. Gleich gekleidete <strong>Zwillinge</strong> sehen in der<br />

1 Anschrift: Storchennest Ute Haßlinger, Am Gänsborn 13, 65239 Hochheim; Besichtigung und<br />

Beratung nach vorheriger Terminvereinbarung unter Tel. 06146-61699; Fax: 06146-4201; Internet:<br />

www.mehrlinge.de.


35a<br />

Person des anderen Zwillings ständig ihr eigenes Spiegelbild vor sich, von dem sie<br />

sich nur schwer abgrenzen können. So kann es kommen, dass ein Zwilling sich selbst<br />

als „Sonja“ und ihr Geschwister als „die andere Sonja“ bezeichnet. Zumindest hat das<br />

gleiche Outfit den Nachteil, dass selbst enge Freunde und Bekannte die Kinder noch<br />

schwerer auseinanderhalten können. Das hindert die individuelle Ansprache des einzelnen<br />

Kindes und fördert die undifferenzierte Behandlung der <strong>Zwillinge</strong> als eine<br />

homogene Einheit. Gerade diese fehlende Individualisierung der Zwillingskinder wird<br />

jedoch unter entwicklungspsychologischen Gesichtspunkten als eine der Hauptschwierigkeiten<br />

bei der späteren Bewältigung eines eigenständigen Lebens angesehen. Pädagogen<br />

raten daher nicht nur zu verschiedener Kleidung und Frisur, sondern auch zu<br />

verschiedenen Aktivitäten, später beispielsweise zu unterschiedlichen Hobbys oder<br />

getrennten Ausflügen.<br />

Auch beim Spielzeug stellt sich die Frage, ob alles doppelt angeschafft werden<br />

soll. Das ist allerdings in der Anfangszeit weniger eine Frage der Individualisierung<br />

der Kinder als vielmehr ein Aspekt der Erziehung zum Teilen und zum miteinander<br />

spielen. Notfalls kann man von den besonders beliebten Spielsachen, um die sich die<br />

Kinder am meisten streiten, ein zweites Exemplar nachkaufen. Überdies steht fest:<br />

Wer jedes Teil nur einfach anschafft, kann den Kindern innerhalb eines vorgegebenen<br />

Ausgabenbudgets eine größere Vielfalt an unterschiedlichem Spielzeug ermöglichen.<br />

Großeltern, die gerne paarweise schenken möchten, kann man am leichtesten davon<br />

abbringen, indem man ihnen vorschlägt, gegenseitig ergänzende Spielsachen zu besorgen<br />

(anfangs z.B. unterschiedliche Greiflinge oder Plüschtiere, später ein Polizei- und<br />

ein Feuerwehrauto, verschiedene Bauernhoftiere, Musikinstrumente usw.). Im weiteren<br />

Verlauf der Kindheit kann man dann mit unterschiedlichen Spielsachen auf die<br />

individuellen Neigungen und Interessen der einzelnen Kinder eingehen und diese gezielt<br />

fördern.<br />

Etwas anderes gilt natürlich für die Fortbewegungsmittel wie z.B. Rutschauto<br />

(Bobby-Car ), Roller, Kettcar , Dreirad und Fahrrad: Solche Fahrzeuge wird man<br />

stets paarweise anschaffen, weil sie eine neue Spiel- und Erlebniswelt vor allem bei<br />

gleichzeitiger Benutzung durch beide Kinder eröffnen. Wer hier etwas Gebrauchtes<br />

sucht, kann ebenfalls auf den bereits erwähnten Zwillingsflohmärkten fündig werden.<br />

b) Ein Name für die Kinder<br />

Auch Namen für die Kinder müssen gefunden werden. Da der Name den Menschen<br />

nicht nur für die Dauer der Kindheit, sondern ein ganzes Leben lang begleitet, liegt in<br />

der Namensgebung eine große Verantwortung. Bei uns ist es üblich, dass die Eltern<br />

diese Verantwortung wahrnehmen und dem Kind den Namen geben. Andere Kulturen<br />

leben andere Traditionen: In Teilen Südeuropas beispielsweise steht es den Großeltern<br />

zu, den Namen der Enkel zu bestimmen. Naturvölker legen diese Verantwortung oft in<br />

die Hand des Stammesführers oder eines Schamanen.<br />

Die Kriterien, nach denen der Name ausgewählt wird, unterscheiden sich ebenso<br />

nach den verschiedenen Kulturkreisen. In vielen Traditionen spielt die inhaltliche Bedeutung<br />

des Namens eine Rolle: Mit dem Namen verbinden sich bestimmte Gedanken<br />

oder Erwartungen. Früher wurde deshalb der zweite Zwilling häufig Dorothea genannt,<br />

wenn er weiblich war. Der Name bedeutet übersetzt „Geschenk Gottes“ und spielt darauf<br />

an, dass vor der Einführung der Ultraschalluntersuchungen viele Eltern bis zur Geburt<br />

nichts von ihrer Zwillingsschwangerschaft wussten und sich nur auf ein Kind eingestellt<br />

hatten. Wenn dann nach der Geburt des ersten Kindes überraschend noch ein zweites<br />

geboren wurde, war das ein „Geschenk Gottes“, mit dem niemand gerechnet hatte.<br />

Heutzutage achten die meisten Eltern darauf, dass der Name vor allem schön klingt<br />

und zum Nachnamen passt. Manche Eltern meinen dann, <strong>Zwillinge</strong>n am ehesten gerecht<br />

zu werden, indem sie ihnen möglichst gleich klingende Namen geben. In einer wahllos<br />

aufgeschlagenen Tageszeitung fanden wir untereinander abgedruckt zwei Geburtsanzeigen<br />

von Zwillingspaaren: einmal „Tristan und Tizian“ sowie einmal „Fabian und Fabienne“.<br />

Solch ein Gleichklang ist eine Zeit lang gewiss ulkig, doch werden Sie Ihren<br />

Kindern damit auf Dauer keinen Gefallen tun. Denn die lautmalerischen Ähnlichkeiten<br />

behindern die individuelle Ansprache der Kinder. Die Kinder werden nicht einmal dann<br />

sicher wissen, wer von ihnen gemeint ist, wenn sie mit ihrem korrekten Namen gerufen<br />

werden. Frühe Spielkameraden, bis etwa zum Kindergartenalter, werden allein schon in<br />

ihren sprachlichen Fähigkeiten überfordert sein, solche Namen überhaupt zu differenzieren.<br />

Bei allem Respekt vor dem Anrecht aller Eltern, die Namen ihrer Kinder freiverantwortlich<br />

selbst zu bestimmen, erlauben wir uns daher doch den Rat, jedem Kind einen<br />

wirklich eigenen Namen zu geben. Ein unverwechselbarer Name für jedes Kind<br />

sollte erster Ausdruck unseres Bestrebens sein, <strong>Zwillinge</strong>n jedem nach seiner Art und<br />

nach seinen Fähigkeiten den Raum für eine eigenständige Entwicklung zu geben. För-<br />

35b


36a<br />

dern Sie die Individualität der Kinder, indem Sie sie dann auch möglichst oft mit ihren<br />

jeweiligen Namen ansprechen.<br />

c) Vorbereitungen für einen stationären Klinikaufenthalt<br />

Als Zwillingsschwangere, erst recht aber als Drillings- oder Vierlingsschwangere<br />

müssen Sie damit rechnen, bereits mehrere Wochen vor der Geburt stationär in eine<br />

Klinik aufgenommen zu werden (s. folgendes Kapitel). Die Einweisung zur stationären<br />

Behandlung kommt oft unvermittelt, weil z.B. der Frauenarzt im Ultraschallbild eine<br />

fortgeschrittene Muttermundsschwäche mit Verkürzung des Gebärmutterhalses feststellt,<br />

die Sie selbst nicht spüren konnten. Für einen solchen Fall sollten Sie rechtzeitig<br />

Vorkehrungen treffen, insbesondere wenn Sie schon Kinder haben und diese versorgt<br />

werden müssen. Fragen Sie rechtzeitig in Ihrer Verwandtschaft und im Freundeskreis,<br />

ob jemand ggf. zur vorübergehenden Aufnahme Ihrer Kinder bereit wäre.<br />

Wenn solche Möglichkeiten nicht gegeben sind, erkundigen Sie sich beim Jugendamt<br />

oder auf dem privaten Markt nach einer kurzfristig einzurichtenden Tagesbetreuung<br />

für Ihre Kinder.<br />

Wenn Ihre Kinder schon älter sind und Sie vor allem eine Haushaltshilfe benötigen,<br />

wenden Sie sich an Ihre Krankenkasse. Die gesetzlichen Krankenkassen sind zur<br />

Gestellung einer Haushaltshilfe verpflichtet, wenn Ihnen wegen Schwangerschaft oder<br />

Entbindung die Weiterführung des Haushalts nicht möglich ist und eine andere im<br />

Haushalt lebende Person diesen nicht weiterführen kann. Falls die Krankenkasse aus<br />

personellen Gründen keine Haushaltshilfe stellen kann, müssen Sie sich (nach Absprache<br />

mit der Krankenkasse) selbst um eine Hilfe bemühen und können die Kosten von<br />

der Krankenkasse erstattet bekommen. Klären Sie diese Fragen frühzeitig mit der<br />

Krankenkasse, sobald Sie den Bedarf absehen können. Erkundigen Sie sich auch frühzeitig<br />

bei den Sozialstationen und den freien Anbietern von Familienpflege, wo entsprechende<br />

Kräfte zur Verfügung stehen. Wenn jemand aus Ihrer näheren Verwandtschaft<br />

den Haushalt weiterführt, erstattet die Krankenkasse nach vorheriger Absprache<br />

die erforderlichen Fahrtkosten sowie innerhalb gewisser Grenzen den Verdienstausfall<br />

der Hilfsperson. Seit 2004 muss allerdings für die Haushaltshilfe eine Zuzahlung geleistet<br />

werden; sie beträgt 10% der Kosten – mindestens jedoch 5 EUR und höchstens<br />

10 EUR pro Tag. Nach Erreichen der Belastungsgrenze von 2% des Bruttojahreseinkommens<br />

können Sie sich von der Zuzahlungspflicht befreien lassen.<br />

d) Anmeldung bei der Nachsorgehebamme<br />

Nach der Geburt verbleiben die meisten Mütter mit ihren Kindern noch eine Weile<br />

in der Klinik, auch wenn alles unproblematisch verläuft. In der sog. „Wöchnerinnenstation“<br />

kann man sich an die neue Situation gewöhnen, sich mit anderen Müttern austauschen<br />

und erhält praktische Unterstützung in der Babypflege, bis man nach einigen Tagen<br />

entlassen wird. Zuhause angekommen steht allen Müttern die häusliche Betreuung<br />

durch eine Nachsorgehebamme zu, die die gesundheitliche Entwicklung der Neugeborenen<br />

und der Mutter begleitet. Vor allem kümmert sie sich um die Pflege der Bauchnabel,<br />

sie prüft die ordnungsgemäße Rückbildung der Gebärmutter und gibt Anleitung und<br />

Hilfe bei Stillproblemen. Bis zum zehnten Tag nach der Geburt wird die Nachsorgehebamme<br />

von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt. Wenn ein besonderer Bedarf entsteht,<br />

den man bei Mehrlingen immer wird begründen können (Stillprobleme o.ä.),<br />

kommen bis zu acht weitere Besuche in den ersten acht Lebenswochen der Kinder hinzu.<br />

Die Nachsorgehebamme wird nicht von der Klinik gestellt, sondern man muss sich<br />

selbst darum bemühen. Die meisten Kliniken sowie die Anbieter von Geburtsvorbereitungskursen<br />

halten eine Adressenliste der freiberuflich tätigen Hebammen bereit, bei<br />

denen man sich zur Nachsorge anmelden kann. In einigen Regionen ist allerdings die<br />

Nachfrage erheblich größer als das Angebot, so dass es darauf ankommt, sich rechtzeitig<br />

anzumelden! Viele Hebammen machen ihren ersten Besuch bereits vor der Geburt und<br />

informieren sich über die Lage der Kinder, fragen nach der Absicht zu stillen, sehen sich<br />

daraufhin die Brüste an und werfen vielleicht bereits einen Blick auf die Babyausstattung.<br />

e) Bescheinigungen für das Mutterschaftsgeld<br />

Ab sieben Wochen vor dem errechneten Geburtstermin erhalten Sie von Ihrem<br />

Frauenarzt eine Bescheinigung für das Mutterschaftsgeld und den Mutterschaftsurlaub.<br />

Diese Bescheinigungen benötigen Sie, um das Mutterschaftsgeld ausgezahlt zu erhalten,<br />

wenn Sie in einem Arbeitsverhältnis stehen, Leistungen vom Arbeitsamt beziehen oder<br />

als Selbstständige in der gesetzlichen Krankkasse freiwillig versichert sind. Reichen Sie<br />

eine der beiden Bescheinigungen bei Ihrer (gesetzlichen) Krankenkasse und die andere<br />

Bescheinigung bei Ihrem Arbeitgeber bzw. beim Arbeitsamt ein. Auch wenn Sie zu<br />

diesem Zeitpunkt schon krankgeschrieben sind, der Frauenarzt ein Beschäftigungsverbot<br />

36b


37a<br />

ausgesprochen hat oder Sie sogar stationär in der Klinik liegen, müssen Sie beide<br />

Bescheinigungen einreichen.<br />

eigenen Mitteln nicht bezahlen können, kann Ihnen hierfür eine einmalige Leistung des<br />

Sozialleistungsträgers zustehen. Setzen Sie sich mit dem Sozialleistungsträger in Verbindung,<br />

der Ihnen die einmalige Leistung entweder in der Form einer Geldleistung oder<br />

in Form einer Sachleistung (Warengutschein) erbringen kann.<br />

37b<br />

f) Arbeitslosengeld II / Sozialhilfe / BAföG<br />

Falls Sie Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe beziehen, steht Ihnen ab Beginn der<br />

13. SSW ein schwangerschaftsbedingter Mehrbedarf in Höhe von 17% des Regelsatzes<br />

zu. Darüber hinaus erhalten Sie eine einmalige Leistung für die Beschaffung von Umstandskleidung<br />

sowie eine weitere einmalige Leistung für die Erstausstattung Ihrer<br />

Kinder. Den Umfang dieser Leistungen legen die örtlich zuständigen Sozialleistungsträger<br />

jeweils im Benehmen mit den Wohlfahrtsverbänden fest. Erkundigen Sie sich<br />

bei Ihrem Sozialleistungsträger, welche Leistungen im Einzelnen gewährt werden.<br />

Eltern, die noch in der Ausbildung sind, haben ebenfalls einen Anspruch auf diese<br />

Leistungen. Denn das BAföG deckt nur den ausbildungsbedingten oder -geprägten<br />

Mehrbedarf ab. Der zusätzliche Bedarf, der durch die Schwangerschaft verursacht<br />

wird, begründet einen Anspruch auf zusätzliche Leistungen nach dem SGB II, welcher<br />

bei dem für das Arbeitslosengeld II zuständigen Sozialleistungsträger geltend zu machen<br />

ist (nicht bei dem BAföG-Amt).<br />

Nach den gesetzlichen Regelungen sind die Umstandskleidung ab der 22. SSW zu<br />

gewähren und der Antrag auf die Baby-Erstausstattung ist ab der 27. SSW entgegenzunehmen.<br />

Viele Sozialleistungsträger gewähren die Leistungen entgegen den gesetzlichen<br />

Vorschriften jedoch erst später. Wenden Sie sich ggf. an eine Schwangerschaftsberatungsstelle,<br />

um Ihre gegebenen Ansprüche durchzusetzen. Ob neben der<br />

Kinderkleidung auch Kinderwagen und Kinderbetten als einmalige Leistung vom Sozialleistungsträger<br />

erbracht werden müssen, ist derzeit rechtlich umstritten.<br />

Informieren Sie sich beim Sozialleistungsträger auch darüber, wie für Sie Ihre<br />

neugeborenen Kinder das Sozialgeld (falls Sie selbst Leistungsempfänger sind) oder<br />

die Sozialhilfe (falls Sie selbst nicht Leistungsempfänger sind) beantragen können.<br />

Eine Erstausstattung für die Kinder können Sie unter Umständen sogar dann vom<br />

Sozialleistungsträger bekommen, wenn Sie ansonsten keine regelmäßigen Leistungen<br />

beziehen. Falls Ihre Einkünfte nur knapp oberhalb der sozialrechtlichen Einkommensgrenze<br />

liegen und Sie die Umstandsbekleidung oder die Erstausstattung aus Ihren<br />

g) Bundesstiftung „Mutter und Kind“<br />

Wenn Sie sich in einer finanziellen Notlage befinden und bestimmte Einkommensgrenzen<br />

nicht überschreiten, können Sie außerdem Hilfen bei der Bundesstiftung „Mutter<br />

und Kind – Stiftung zum Schutz des ungeborenen Lebens“ beantragen. Solche Anträge<br />

müssen grundsätzlich vor der Geburt gestellt werden. Sie werden vorrangig bearbeitet,<br />

wenn sie bis zur 20. SSW gestellt werden. Einen Überblick über die Förderungsmöglichkeiten<br />

für werdende Mehrlingseltern und die Antragsvoraussetzungen finden Sie<br />

unten auf den Seiten 63 und 69.<br />

10. Endphase der Schwangerschaft<br />

a) Stationäre Überwachung zum Ende der Schwangerschaft auch ohne besondere Komplikationen<br />

Im letzten Schwangerschaftsdrittel werden Sie vielleicht von Seiten Ihres Frauenarztes<br />

oder der Geburtsklinik mit dem Vorschlag konfrontiert, den Rest der Schwangerschaft<br />

nicht daheim zu verbringen, sondern stationär in der Geburtsklinik. Einige Mediziner<br />

sind nämlich der Ansicht, dass alle Zwillingsschwangeren routinemäßig ab einer<br />

bestimmten erreichten Schwangerschaftsdauer (z.B. ab der 28. SSW) zur stationären<br />

Überwachung in die Klinik eingewiesen werden sollten, selbst wenn die Schwangerschaft<br />

völlig komplikationslos verläuft. Sie verweisen darauf, dass sich das Frühgeburtsrisiko<br />

auf diese Weise vermindern lässt und andere Risiken und Komplikationen früher<br />

erkannt werden können.<br />

Andere Mediziner sprechen sich jedoch gegen eine routinemäßige Klinikeinweisung<br />

aus. Sie verweisen auf die psychischen und körperlichen Nachteile eines längeren<br />

Klinikaufenthaltes und stellen die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Außerdem<br />

sei erwiesen, dass sich die Ungeborenen in einem (schonend) bewegten Mutter-


38a<br />

leib besser entwickelten als bei fortwährender Bettruhe. Bei komplikationslos verlaufenden<br />

Schwangerschaften halten sie deshalb den Verbleib in der häuslichen Umgebung<br />

für den natürlicheren Umgang mit der Schwangerschaft, die ja schließlich keine<br />

„Krankheit“ sei.<br />

Wer hat nun recht<br />

Die Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. Es scheint, als würde hier ein alter<br />

Konflikt fortgesetzt, der zu tun hat mit dem Spannungsfeld zwischen möglichst<br />

natürlicher Schwangerschaft und Geburt auf der einen sowie medizinischer Kontrolle<br />

und professioneller Leitung des Geschehens auf der anderen Seite.<br />

Das hat folgenden Hintergrund: Seit Menschengedenken und in vielen Kulturen<br />

lag die Begleitung der Schwangerschaft und Geburt in den Händen erfahrener Frauen,<br />

die ihr Wissen von Generation zu Generation weitergaben. Geburt war ein privates<br />

Erleben, das von den weisen und erfahrenen Frauen mit den nötigen Handgriffen und<br />

Mitteln unterstützt, vor allem aber auch rituell begleitet wurde. Unsere moderne Gesellschaft<br />

setzte diese Tradition auf ihre Weise fort, indem sie die Tätigkeit dieser<br />

„erfahrenen Frauen“ im Berufsbild der Hebamme institutionalisiert und sozial absichert<br />

hat.<br />

Jedoch gingen Schulmediziner in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts daran,<br />

den medizinischen Aspekt der Schwangerschaft und des Geburtsgeschehens über alles<br />

andere hervorzuheben. Nichts sollte mehr dem Zufall und dem natürlichen Lauf der<br />

Dinge überlassen bleiben. Das führte am Ende dazu, dass alle Schwangeren (auch<br />

Einlingsschwangere!) zu einem bestimmten Zeitpunkt in die Klinik einbestellt wurden,<br />

um die Geburt künstlich einzuleiten. Nicht das natürliche Einsetzen der Wehen sollte<br />

den Geburtstermin bestimmen, sondern medizinische Eingriffe brachten das Ereignis<br />

in Gang – zu dem als günstig ausersehenen Zeitpunkt. Man sprach – zu Recht – von<br />

einer „programmierten“ Geburt.<br />

Ende der sechziger Jahre, als auch andere gesellschaftliche Entwicklungen überdacht<br />

und in Frage gestellt wurden, begann allmählich eine Rückbesinnung auf die<br />

alten Werte. Grenzen der Schulmedizin wurden sichtbar, deren Konzepte hinterfragt<br />

und es gewannen andere Mediziner Gehör, die sich für einen sanfteren Umgang mit<br />

dem Geburtsereignis aussprachen. Viele Reglementarien der Schulmedizin wurden als<br />

gefühlskalt empfunden und nicht mehr hingenommen. Vorreiter dieser neuen Richtung<br />

der sanften Geburt waren die französischen Ärzte Frédérick Leboyer und Michel Odent.<br />

Heutzutage sind viele Ideen und Vorschläge von Leboyer und Odent in den meisten<br />

Geburtskliniken umgesetzt, z.B. die Anwesenheit des Partners bei der Geburt, eine harmonische<br />

Raumgestaltung und Atmosphäre (z.B. Musik), die Abkehr vom schmalen<br />

Kreißbett usw.<br />

Andere Entwicklungen sind jedoch nach wie vor – zum Teil sogar recht emotional –<br />

umstritten: Bei Einlingen zum Beispiel das Thema Hausgeburt, von der in Deutschland<br />

viele Mediziner vehement und geradezu verbissen abraten, während man in den Niederlanden<br />

sehr gute Erfahrungen damit macht (und auch mit einer anderen medizinischen<br />

Infrastruktur professioneller darauf eingerichtet ist).<br />

Die zu Beginn dargestellten und hier interessierenden unterschiedlichen Auffassungen<br />

zu der Frage, ob Zwillingsschwangerschaften ab einem bestimmten Zeitpunkt stationär<br />

in der Geburtsklinik überwacht werden sollten, gehören wohl auch eingeordnet in<br />

den Richtungsstreit zwischen sanfter, natürlicher Geburt auf der einen und schulmedizinisch<br />

konsequenter Überwachung auf der anderen Seite. Sie sind nicht mit „richtig“ oder<br />

„falsch“ zu bewerten, sondern unserer Meinung nach individuell mit den werdenden<br />

Eltern persönlich zu erarbeiten.<br />

Vergleichende Untersuchungen zwischen stationär eingewiesenen Zwillingsschwangeren<br />

und solchen, die bis zur Geburt im häuslichen Umfeld blieben, bestätigen<br />

den positiven Effekt der Krankenhausbetreuung. Danach sind die stationär überwachten<br />

Zwillingsschwangerschaften zahlenmäßig weniger häufig von Frühgeburtlichkeit,<br />

Krankheit und Neugeborenensterblichkeit betroffen. Solche statistischen Auswertungen<br />

sprechen für die Position derjenigen, die eine routinemäßige stationäre Aufnahme befürworten.<br />

Wenn man die Befürworter der stationären Aufnahme allerdings befragt, ob es nicht<br />

ebenso genügen würde, wenn die Schwangere zuhause bliebe, von anderen umsorgt<br />

würde, und sich dort den Tag über ausruht, so antworten viele, dass ein solcher Zustand<br />

wegen des vertrauten und angenehmeren Umfeldes an sich sogar noch besser wäre, nur<br />

dass man eben nicht überprüfen könne, ob die Schwangere die konsequente Schonung<br />

und Ruhe tatsächlich einhält. Allein deshalb könne man den Verbleib im häuslichen<br />

Umfeld nicht befürworten.<br />

38b


39a<br />

Solche Ausführungen entheben die Diskussion ihrer dogmatischen Schärfe und<br />

führen sie in einem wesentlichen Teilaspekt auf die rein organisatorische Frage zurück,<br />

ob und inwieweit es gelingen kann, die erforderliche Schonung und Ruhe zuhause<br />

tatsächlich zu ermöglichen und einzuhalten. Dazu muss die Haushaltsführung von<br />

anderen übernommen werden, ebenso wie die Versorgung bereits vorhandener Kinder.<br />

Selbstverständlich darf die Schwangere auch keiner Berufstätigkeit mehr nachgehen.<br />

Vor allem die Entlastung im Haushalt muss durch eine Haushaltshilfe oder durch verbindliche(!)<br />

Hilfsangebote von Verwandten oder Freunden eindeutig geregelt sein.<br />

Wenn diese Fragen geklärt sind, ist ein Verbleib zuhause medizinisch vertretbar.<br />

Wichtig bei einem Verbleib im häuslichen Umfeld ist dann allerdings eine engmaschige<br />

ambulante Überwachung der Schwangerschaft durch den Frauenarzt, so dass auch<br />

die Anfahrt dorthin für die Schwangere risikolos und ohne besondere Anstrengung zu<br />

bewerkstelligen sein muss. Hören Sie insgesamt in dieser Frage auf den Rat Ihres<br />

Frauenarztes, der den Zustand Ihres Muttermundes und das Ergebnis des CTG oder<br />

des Doppler-Ultraschalls bewerten muss, und ziehen Sie ggf. eine zweite Meinung<br />

zurate, indem Sie sich z.B. bei der vorgesehenen Geburtsklinik nach den dortigen<br />

Gepflogenheiten erkundigen.<br />

Ein weiterer Aspekt, der auch nicht unterschätzt werden sollte, ist das Gefühl der<br />

persönlichen Sicherheit. Wenn Sie sich unter stationärer Krankenhausüberwachung<br />

besser aufgehoben und sicherer fühlen, so nehmen Sie die dahingehenden Angebote<br />

wahr. Das ist allemal besser, als zuhause durch fortwährende Unsicherheit nicht wirklich<br />

zur Ruhe zu kommen. Teilen Sie Ihre Sorgen und Ängste, aber auch Ihre möglichen<br />

Konzepte für eine häusliche Entlastung dem Frauenarzt mit, wenn das Gespräch<br />

auf die stationäre Einweisung kommt. Entscheiden Sie sich dann für die Lösung, bei<br />

der Sie für sich und Ihre Kinder das beste Gefühl haben.<br />

Um Missverständnissen noch einmal vorzubeugen: Die widerstreitenden Sichtweisen<br />

beziehen sich ausschließlich auf den Fall einer bis dahin komplikationslosen<br />

Zwillingsschwangerschaft. Sobald besondere Komplikationen oder erhöhte Risiken<br />

vorliegen (z.B. vorzeitige Wehentätigkeit, Muttermundsschwäche, Mangelversorgung,<br />

Gestose), kann eine stationäre Aufnahme zu jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft<br />

erforderlich werden und steht dann medizinisch völlig außer Frage. Daher müssen<br />

Erforderlichkeit und Zeitpunkt einer stationären Aufnahme immer individuell mit dem<br />

behandelnden Arzt geklärt werden.<br />

Für Drillings- und Vierlingsschwangere gelten ohnehin andere Kriterien: Hier muss<br />

der Einzelfall genau geprüft und das Vorgehen insgesamt mit der Geburtsklinik abgestimmt<br />

werden. Selbst bei komplikationsloser Schwangerschaft muss man mit einer z.T.<br />

weiträumig vor dem Geburtstermin angesetzten stationären Aufnahme rechnen. Allerdings<br />

gehen die Empfehlungen über den richtigen Zeitpunkt der stationären Aufnahme<br />

auseinander: Während manche Kliniken z.B. für Vierlinge eine stationäre Betreuung erst<br />

ab der 27. SSW vorsehen, raten besonders vorsichtige Ärzte bereits bei Drillingen zu<br />

einer stationären Aufnahme spätestens mit der 24. SSW, was für viele Frauen einen<br />

immerhin zwei- bis dreimonatigen Klinikaufenthalt bedeutet. Andere Ärzte lassen bei<br />

Drillingen eine stationäre Aufnahme in der 30. SSW genügen. Auch hier stellt sich also<br />

wieder die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Mittel in Abwägung mit den häuslichen<br />

Möglichkeiten einer belastungsfreien und ruhevollen Umgebung. Eine auf den<br />

Einzelfall zugeschnittene Entscheidung wird neben den medizinischen Möglichkeiten<br />

und Erfordernissen auch die häusliche Situation der Schwangeren und das subjektive<br />

Sicherheitsempfinden der werdenden Eltern berücksichtigen.<br />

Manche Drillingsmütter berichten übrigens, dass ihnen die Erwartung, ab etwa der<br />

Mitte der zwanziger SSW die restliche Zeit in einer Klinik verbringen zu müssen, zu<br />

Beginn der Schwangerschaft eine erschreckende Vorstellung war, während sie sich im<br />

weiteren Verlauf der Schwangerschaft nicht nur an diesen Gedanken gewöhnten, sondern<br />

den Zeitpunkt der stationären Aufnahme sogar zunehmend herbeisehnten, weil die<br />

körperlichen Belastungen bis dahin in der häuslichen Umgebung bereits kaum noch zu<br />

ertragen waren. Auch nach der stationären Aufnahme wächst der Bauchumfang von Tag<br />

zu Tag, und die damit verbundenen Beschwerden nehmen immer weiter zu. Viele geraten<br />

an den Rand ihrer Belastungsgrenze, wenn der Tag und die Nacht durch Rückenschmerzen,<br />

Sodbrennen, Blasendruck, Verstopfung und Atemnot geprägt sind. Hinzu<br />

kommen vielleicht Wassereinlagerungen in der Lunge (Lungenödeme), die durch die<br />

wehenhemmenden Mittel verursacht sein können. In dieser Zeit drängt es manche<br />

Schwangeren danach, die Strapazen nun endlich durch einen vorzeitigen Kaiserschnitt<br />

zu beenden. Dadurch treten die mütterlichen Bedürfnisse allerdings in ein Spannungsfeld<br />

zu den Erfordernissen der Kinder, die sich – bei ausreichender Versorgung – nur im<br />

Mutterleib optimal entwickeln und mit jedem weiteren Tag der Schwangerschaft besser<br />

für das Leben außerhalb vorbereitet sind. Für sie ist jeder weitere ein gewonnener Tag,<br />

besonders wenn ein bedeutender weiterer Entwicklungsschritt noch erreicht werden<br />

kann. Ein ganz wichtiger Entwicklungsschritt für die Kinder ist zum Beispiel die vollständige<br />

Ausbildung der Atemorgane. Es bedeutet eine gewaltige Verbesserung ihrer<br />

gesundheitlichen Ausgangslage, wenn sie von Geburt an selbständig atmen können und<br />

nicht auf künstliche Beatmung angewiesen sind. Steht die Schwangerschaft vor der<br />

39b


40a<br />

Schwelle, wo dieser Erfolg erreicht werden kann, ist jeder einzelne weitere Schwangerschaftstag<br />

sehr wertvoll.<br />

b) Künstliche Einleitung der Geburt<br />

Bei <strong>Zwillinge</strong>n stellt sich dann im Weiteren die Frage nach dem „besten“ Geburtszeitpunkt.<br />

Statistische Untersuchungen haben ergeben, dass diejenigen <strong>Zwillinge</strong><br />

am gesündesten zur Welt kommen, die etwa am Ende der 37. SSW geboren werden.<br />

Einerseits ist dann die Frühgeborenenphase überwunden, so dass die Kinder weitgehend<br />

ausgereift zur Welt kommen; andererseits nimmt mit weiterer Dauer der<br />

Schwangerschaft das Risiko einer unzureichenden Mutterkuchenfunktion zu, was die<br />

Gefahr einer Mangelversorgung der Kinder erhöht. Außerdem steigt mit zunehmender<br />

Schwangerschaftsdauer auch die Wahrscheinlichkeit einer Gebärmutterüberdehnung<br />

infolge des übermäßigen Volumens der Kinder und der Fruchtblasen.<br />

spätestens nach der Vollendung von 38 SSW, manche auch schon nach 37 oder sogar 36<br />

vollendeten SSW.<br />

Es gibt allerdings auch Ärzte, die keinen festen Regelzeitpunkt für die Einleitung<br />

der Geburt vorsehen und eine Fortsetzung der Zwillingsschwangerschaft auch über 38<br />

vollendete SSW hinaus unterstützen. Sie sind jedoch eher in der Minderheit.<br />

Auch hier erklären sich die unterschiedlichen Standpunkte aus dem Spannungsfeld<br />

zwischen möglichst natürlicher Schwangerschaft und Geburt sowie unvermeidlicher<br />

medizinischer Leitung des Geschehens. Anhänger der klassischen Schulmedizin werden<br />

eher zu einem bestimmten Fixtermin neigen, während Befürworter einer sanften Geburtsleitung<br />

stärker den Aspekt des störenden Eingriffs in den natürlichen Prozess im<br />

Blick haben und einstweilen vielleicht nur regelmäßig prüfen, ob die Kinder noch ausreichend<br />

versorgt sind und es der Schwangeren gut geht.<br />

Folgen Sie den Empfehlungen Ihres Frauenarztes und dem Anraten der Geburtshelfer<br />

in der Klinik, die neben der konkreten Versorgungssituation der Kinder auch den<br />

Gesundheitszustand der Schwangeren (z.B. Gestosegefahr) beurteilen müssen. Solange<br />

von einer Einleitung der Geburt noch abgesehen wird, ist in dieser Endphase der<br />

Schwangerschaft unter allen Umständen eine besonders engmaschige (d.h. im Zweifel<br />

tägliche) Kontrolle der Versorgungslage der Kinder erforderlich. Die eigene Entscheidung<br />

für oder gegen eine künstliche Einleitung der Geburt muss daher auf jeden Fall in<br />

Abstimmung mit dem behandelnden Frauenarzt und den Geburtshelfern der Klinik getroffen<br />

werden, weil diese die regelmäßige Kontrolle sicherstellen müssen.<br />

40b<br />

Dass mit dem Erreichen der 38. SSW jedenfalls keine wehenhemmenden Vorsichtsmaßnahmen<br />

mehr veranlasst sind, dürfte sich aus dem Vorstehenden von selbst<br />

ergeben. Wehenhemmende Medikamente sollten daher allmählich reduziert werden und<br />

dann auslaufen, wohingegen ein plötzliches Absetzen der Medikamente im Allgemeinen<br />

nicht befürwortet wird. Wehenhemmende Schonungs- und Ruhemaßnahmen können<br />

allmählich aufgehoben werden – das alles freilich nach jeweiliger Absprache mit dem<br />

behandelnden Frauenarzt.<br />

Diese Zusammenhänge haben zu der Überlegung geführt, Zwillingsschwangerschaften<br />

nicht beliebig lang bis zum Einsetzen der natürlichen Wehen fortzusetzen,<br />

sondern sie spätestens zu einem bestimmten Zeitpunkt durch künstliche Einleitung der<br />

Geburt zu beenden. Viele Mediziner empfehlen eine Beendigung der Schwangerschaft<br />

Manchmal werden Geburten auch künstlich eingeleitet, um sicherzustellen, dass die<br />

Kinder während der Kernarbeitszeit kommen, wo die Klinik personell optimal besetzt<br />

ist. Solche Erwägungen sollten allerdings auf besondere Risikofälle beschränkt bleiben.


41a<br />

Ist die Entscheidung gefallen, die Geburt aus einem der genannten Gründe künstlich<br />

einzuleiten, so steht eine Reihe von Maßnahmen zur Verfügung, um die Wehentätigkeit<br />

in Gang zu setzen oder zu fördern:<br />

- Wehenfördernde Bewegungen: Dies ist wohl die natürlichste Methode,<br />

um die Wehentätigkeit anzuregen. Besonders wirksam ist das Treppensteigen,<br />

das man ansonsten während der Schwangerschaft möglichst vermeiden<br />

sollte. Außerdem kommen je nach den Gegebenheiten bestimmte<br />

gymnastische Übungen in Betracht, die jedoch fachkundig angeleitet werden<br />

sollten. Auch bei diesen Bewegungen sollte man immer Maß halten<br />

und sich nicht überanstrengen.<br />

- Geschlechtsverkehr: Die männliche Samenflüssigkeit enthält Prostaglandine,<br />

welche den Muttermund aufweichen und dadurch die Öffnung des<br />

Muttermundes erleichtern. Angesichts des inzwischen erreichten Bauchumfangs<br />

wird diese Möglichkeit jedoch von vielen Paaren als nicht mehr<br />

besonders praktisch und angenehm empfunden.<br />

- Einlegen einer Prostaglandintablette (bzw. –zäpfchen/-gel) vor den Muttermund:<br />

Prostaglandine werden auch künstlich hergestellt und können in<br />

der jeweiligen Verabreichungsform in die Scheide eingeführt werden.<br />

- Physikalische Methoden: In den Muttermund können Stifte oder ein Ballonkatheter<br />

eingeführt werden, um die Öffnung des Muttermundes zu beschleunigen.<br />

Der Ballonkatheter wird mit Kochsalzlösung gefüllt und übt<br />

dadurch einen inneren Druck auf den Muttermund aus.<br />

- Sprengen der Fruchtblase: Der Geburtshelfer bringt die Fruchtblase des<br />

vorn liegenden Kindes mit einem spitzen Gegenstand zum Platzen. Nachdem<br />

das Fruchtwasser abgegangen ist, beginnt die Gebärmutter meist innerhalb<br />

weniger Stunden von selbst mit der Wehentätigkeit.<br />

- Mechanische Aufweitung des Muttermundes: Ist der Muttermund bereits<br />

fingerdick geöffnet, kann der Geburtshelfer hineingreifen und ihn mit der<br />

kreisenden Bewegung eines Fingers weiter öffnen. Diese Prozedur kann<br />

recht schmerzhaft sein.<br />

Im Allgemeinen lässt sich die Wehentätigkeit bei Mehrlingsschwangeren relativ<br />

leicht stimulieren.<br />

Liebe Leserin, lieber Leser!<br />

Nun haben Sie das erste Kapitel des Buches bereits gelesen und<br />

schon vieles über die Besonderheiten der Zwillingsschwangerschaft erfahren.<br />

Wenn Sie den Ratgeber informativ finden, möchten wir Sie an<br />

dieser Stelle noch einmal bitten, unsere Mühe mit einem angemessenen<br />

Autorenhonorar anzuerkennen. Geben Sie soviel, wie Ihnen der Ratgeber<br />

wert ist. Unsere Empfehlung liegt bei 5,- bis 10,- EUR pro Leserfamilie;<br />

egal ob Sie den Text selbst aus dem Internet heruntergeladen oder von<br />

einer befreundeten Familie erhalten haben. Bitte überweisen Sie den Betrag<br />

an: Dr. Claudio Nedden-Boeger, Konto-Nr. 142921, Bankleitzahl<br />

360 605 91 (Sparda-Bank West eG) – bzw. für den EU-Zahlungsverkehr:<br />

IBAN: DE67360605910000142921, BIC: GENODED1SPE.<br />

41b<br />

- Wehentropf: Durch den Wehentropf wird dem Körper der Schwangeren<br />

das Hormon Oxytocin zugeführt, welches die Wehentätigkeit anregt. Zuvor<br />

wird häufig mit einem oxytocinhaltigen Nasenspray getestet, ob der<br />

Körper auf das Hormon anspricht, und wie die Ungeborenen auf die Belastung<br />

der Wehen reagieren. Anstelle einer äußerlichen Zuführung des<br />

Hormons kann man auch die körpereigene Produktion von Oxytocin anregen,<br />

indem man mit einer Milchpumpe an den Brüsten einen Saugreflex<br />

simuliert. Diese Methode ist in Deutschland jedoch nicht sehr verbreitet,<br />

sie wird vor allem in Israel praktiziert.


42a<br />

Zweites Kapitel: Geburt und Wochenbett<br />

1. Geburt<br />

a) Geburtsort<br />

Mit der Auswahl einer geeigneten Geburtsklinik sollte man sich beizeiten befassen.<br />

Dabei ist der Gedanke an eine Hausgeburt oder eine Geburt in einem der jetzt<br />

vielerorts entstehenden Geburtshäuser von vornherein zu verwerfen, da es sich bei<br />

Mehrlingsgeburten immer zumindest insofern um eine Risikogeburt handelt, als es<br />

jederzeit – sogar noch nach der vaginalen Geburt des ersten Kindes – erforderlich<br />

werden kann, innerhalb kürzester Zeit auf einen Kaiserschnitt umzuschwenken. Aus<br />

demselben Grunde sollte man sich bei der Auswahl der Klinik auch nicht von Gedanken<br />

an z.B. eine Unterwassergeburt leiten lassen, da diese für Mehrlinge ebenfalls<br />

nicht in Betracht kommen wird.<br />

Stehen aufgrund ihrer örtlichen Erreichbarkeit mehrere Kliniken zur Auswahl,<br />

sollte man sich zunächst über deren Schwerpunkte informieren. Einige Kliniken sind<br />

hochtechnisiert und verfügen über eine Neugeborenenintensivstation, andere legen den<br />

Schwerpunkt auf eine möglichst sanfte Geburt in angenehmer Umgebung. Wieder<br />

andere Kliniken mühen sich besonders um den Stillerfolg der Mütter und verfügen<br />

über speziell ausgebildete Still- und Laktationsberaterinnen 1 , die gerade für das Stillen<br />

von <strong>Zwillinge</strong>n und Drillingen sehr wertvolle Anleitung geben können. Besuchen Sie<br />

eine Informationsveranstaltung mit Kreißsaalbesichtigung, wie sie heutzutage von fast<br />

allen Geburtskliniken angeboten wird, und stellen Sie die Fragen, die Sie bewegen.<br />

Hinterfragen Sie die Anpreisungen, mit denen dort geworben wird. Seitdem werdende<br />

Eltern den Entbindungsort frei wählen dürfen, besteht ein großer Wettbewerb zwischen<br />

den Geburtskliniken, die auf möglichst hohe Belegzahlen und Geburtenziffern<br />

aus sind.<br />

Wenn sich also eine Klinik als besonders stillfreundlich anpreist – was alle Kliniken<br />

tun, weil es im Trend liegt –, so haken Sie nach: Fragen Sie, ob eine besonders<br />

1 zum Begriff s. unten, Seite 58<br />

ausgebildete Laktationsberaterin vorhanden ist, lassen Sie sich die elektrische Milchpumpe<br />

zeigen, fragen Sie, welche Maßnahmen bei einem auftretenden Milchstau ergriffen<br />

werden, ob Babys nach Bedarf oder nach einem festen Zeitplan gestillt werden, ob<br />

von Seiten des Pflegepersonals z.B. nachts eigenmächtig Tee gegeben wird, ob Anleitung<br />

und Material für ein evtl. erforderliches „Finger-Feeding“ 2 gegeben sind oder welche<br />

Techniken zur Vermeidung einer Saugverwirrung ansonsten praktiziert werden.<br />

Werfen Sie auch einen Blick in die Räumlichkeiten der Wöchnerinnenstation. Wenn Sie<br />

in den Kinderbettchen oder sonst allerorten Tee- und Milchfläschchen herumstehen<br />

sehen und Werbung für Baby-Fertignahrung aufgehängt ist, ist es mit der Stillfreundlichkeit<br />

des Hauses in der Praxis offenbar doch nicht so weit her. Bedenkenlos empfohlen<br />

werden können unter dem Blickwinkel der Stillfreundlichkeit nur die wenigen Kliniken,<br />

die nach den strengen BFHI-Prüfungskriterien der Weltgesundheitsorganisation<br />

(WHO) und der UNICEF als „stillfreundliches Krankenhaus“ anerkannt sind 3 .<br />

Wenn eine Klinik „rooming in“ anbietet, fragen Sie genau nach, was die Klinik<br />

darunter versteht. Fragen Sie gezielt nach, ob es auch bei <strong>Zwillinge</strong>n unterstützt wird,<br />

dass beide Kinder die Nacht bei der Mutter verbringen (sofern Sie dies wollen). Apropos<br />

„bei der Mutter“: Manche Kliniken bieten Familienzimmer an, in denen auch der Vater<br />

(gegen zusätzliches Entgelt) übernachten kann. Erkundigen Sie sich ggf. auch danach.<br />

Vergleichsweise schwer wird es Ihnen dagegen gelingen, die technische Einrichtung<br />

des Kreißsaals sachgerecht zu bewerten. Lassen Sie sich z.B. nicht von der Anpreisung<br />

blenden, man verfüge über spezielle „Zwillings“-CTG-Geräte. Diese Geräte, mit<br />

deren Hilfe die Herztöne von zwei Schallquellen gleichzeitig aufgezeichnet werden<br />

können, waren ursprünglich nicht einmal in erster Linie für <strong>Zwillinge</strong> gedacht, sondern<br />

um bei schwieriger Kindslage den Herzton eines einzelnen Kindes gleichzeitig von zwei<br />

verschiedenen Abhörstellen einzufangen, um dadurch den Empfang insgesamt zu<br />

verbessern und eine kontinuierliche Aufzeichnung zu erhalten. Für <strong>Zwillinge</strong> leisten<br />

zwei einzelne CTG-Geräte, auf denen jeweils der Herzton eines Kindes aufgezeichnet<br />

wird, ebenso gute Dienste. Wichtig ist allerdings, dass für Sie auch dann noch zwei<br />

CTG-Geräte ununterbrochen zur Verfügung stehen, wenn alle Kreißsäle belegt sind.<br />

2 (=„Finger-Fütterung“ zur Vermeidung einer Saugverwirrung), s. unten, Seite 54<br />

3<br />

Eine Liste dieser Kliniken finden Sie im Internet unter<br />

http://www.stillfreundlich.de/info_eltern/doc/adressen.pdf. (Österreich: http://www.stillen.at;<br />

Schweiz: http://www.allaiter.ch/de/bfhi/award.cfm).<br />

42b


43a<br />

Einige sicherheitsrelevante Aspekte können Sie jedoch erfragen, zum Beispiel die<br />

örtliche Lage des Kaiserschnitt-OP. Eine weite Wegstrecke zwischen Kreißsaal und<br />

OP, womöglich noch auf verschiedenen Etagen und nur über Aufzüge zu erreichen,<br />

kann im Ernstfall bereits ein Sicherheitsrisiko darstellen. Informieren Sie sich auch<br />

über die Dienstzeiten des für Sie relevanten Personals und über bestehende Kooperationen<br />

mit anderen Kliniken: Ist rund um die Uhr ein Anästhesist (Narkosearzt) im<br />

Haus Innerhalb welcher Zeit kann im Notfall ein Neonatologe (Arzt für Neugeborenenintensivmedizin)<br />

herbeigerufen werden<br />

Fragen Sie auch nach der Kaiserschnittrate für <strong>Zwillinge</strong>. Vor allem: Fragen Sie,<br />

ob für <strong>Zwillinge</strong> überhaupt eine natürliche (vaginale) Geburt angeboten wird. Es gibt<br />

Geburtskliniken, in denen die Kaiserschnittrate bei 100% liegt, d.h. es werden ausnahmslos<br />

alle <strong>Zwillinge</strong> per Kaiserschnitt geholt. Als Begründung wird meist angegeben,<br />

dies sei angeblich sicherer. In Wahrheit beruht die generelle Ablehnung natürlicher<br />

Zwillingsgeburten jedoch fast immer (auch) auf anderen Erwägungen, auf die wir<br />

im folgenden Kapitel näher eingehen.<br />

Wenn Sie besonderen Wert auf einen möglichst natürlichen Geburtsverlauf ohne<br />

wesentliche äußere Eingriffe legen (sog. „sanfte Geburt“), sollten Sie sich auf der<br />

Informationsveranstaltung z.B. darüber informieren, ob vor der Geburt ein Einlauf 1<br />

oder das Rasieren der Schamhaare 2 vorgesehen ist. Diese Fragen sind aufschlussreicher<br />

als etwa die häufig gestellte Frage nach der „Dammschnittrate“, da für einen<br />

Dammschnitt, mit dem Sie als Zwillingsgebärende ohnehin rechnen müssen, oftmals<br />

medizinische Gründe vorliegen. Was den Dammschnitt betrifft, ist es entscheidender,<br />

dass er anschließend gut vernäht wird, damit er schnell und komplikationslos verheilt.<br />

1 Bei jeder natürlichen Geburt übt das Kind im Geburtskanal einen mechanischen Druck auf<br />

den Dickdarm aus, der dazu führt, dass während der Geburt fast immer etwas Stuhlgang abgeht.<br />

Diesen Stuhlgang kann die Gebärende auch nicht zurückhalten. Der von vielen Kliniken durchgeführte<br />

Einlauf dient dazu, den Darm vor der Geburt künstlich zu entleeren. Das hat für die<br />

Geburtshelfer den Vorteil, dass sie mit dem Stuhlgang nichts zu tun bekommen, wird aber von<br />

der Frau in der Regel als körperlich unangenehm empfunden und kann Schamgefühle auslösen.<br />

Besondere Infektionsrisiken für das Neugeborene entstehen durch den Stuhlgang in der Regel<br />

nicht; er ist vielmehr – wie gesagt – ein Teil des natürlichen Geburtsverlaufs.<br />

2 Das Rasieren der Schamhaare – vor allem beim Kaiserschnitt, z.T. aber auch bei natürlicher<br />

Geburt – wird mit hygienischen Aspekten begründet. Der tatsächliche Nutzen dieser Maßnahme<br />

ist jedoch umstritten. Da vielen Frauen das Rasieren der Schamhaare unangenehm ist, wird in<br />

vielen Kliniken bereits darauf verzichtet.<br />

Manche größere Kliniken sind als sogenanntes „Perinatalzentrum“ ausgebaut und<br />

verfügen über eine unmittelbar angeschlossene Neugeborenenintensivstation, in der<br />

früh- oder krank geborene Kinder sofort nach der Geburt intensivmedizinisch betreut<br />

werden können. Andere Kliniken verfügen außer der geburtshilflichen Abteilung noch<br />

über eine allgemeine Kinderklinik, in der die Neugeborenen ebenfalls intensivmedizinisch<br />

behandelt werden können. Ob für die eigenen Kinder eine solche Intensivbehandlung<br />

notwendig wird, lässt sich vor der Geburt nicht verlässlich vorhersagen. Es haben<br />

sich jedoch bestimmte Erfahrungswerte herausgebildet, die sich an der erreichten<br />

Schwangerschaftswoche und dem voraussichtlichen Geburtsgewicht der Kinder orientieren.<br />

Danach ist es dringend anzuraten, von vornherein eine Klinik mit der Möglichkeit<br />

einer Intensivbehandlung auszuwählen, wenn sich die Geburt vor Vollendung der 34.<br />

SSW ankündigt oder aufgrund des Schwangerschaftsverlaufs und der Voruntersuchungen<br />

zu erwarten ist, dass wenigstens eines der Kinder bei der Geburt unter 2.000 Gramm<br />

wiegt oder sonst besondere Frühreifezeichen aufweist. Würden Sie bei dieser Ausgangslage<br />

in einer normalen Geburtsklinik ohne Neugeborenenintensivversorgung entbinden,<br />

so würden Sie riskieren, dass Ihr(e) Kind(er) nach der Geburt in eine andere Klinik mit<br />

Intensivmedizin verlegt werden müssen. Die Verlegung aber stellt eine zusätzliche gefährliche<br />

Belastung für Ihr Neugeborenes dar. Sie schafft auch weitere Probleme allein<br />

dadurch, dass Sie selbst und ggf. das andere, gesunde Kind weiterhin in der ursprünglichen<br />

Geburtsklinik liegen und das verlegte Kind nicht einmal besuchen können. Nur<br />

dann, wenn Sie mit so plötzlichen Geburtswehen konfrontiert werden, dass Sie die Intensivklinik<br />

vielleicht nicht mehr rechtzeitig erreichen könnten, sollten Sie sich auch mit<br />

unreifen Kindern zur nächstgelegenen Geburtsklinik begeben, damit dort entschieden<br />

werden kann, ob die Zeit bis zur Geburt noch für Ihre Verlegung ausreicht, oder ob die<br />

Kinder an Ort und Stelle geboren und dann verlegt werden müssen.<br />

Liegen jedoch das voraussichtliche Geburtsgewicht und der Entwicklungsstand beider<br />

Kinder im unkritischen Bereich, steht Ihnen die Wahl der Geburtsklinik frei. Manche<br />

Eltern entscheiden sich auch dann noch für eine Klinik mit angeschlossener Neugeborenenintensivstation,<br />

weil sie glauben, dort gegen alle Eventualitäten besser gewappnet zu<br />

sein. Andere Eltern sind froh, auf die hochtechnisierte Umgebung verzichten zu können,<br />

und legen ihren Schwerpunkt eher auf eine freundliche Geburtsatmosphäre und möglichst<br />

professionelle Stillanleitung. Wenn Sie bei den in Ihrem Umfeld gelegenen Kliniken<br />

an einer Kreißsaalbesichtigung teilgenommen haben, wird Ihnen der ein oder andere<br />

Aspekt wichtig geworden sein. Entscheiden Sie sich dann für die Klinik, bei der Sie sich<br />

unter der Geburt wohl und sicher fühlen. Haben Sie Ihre Wahl getroffen, sollten Sie sich<br />

in der Klinik persönlich vorstellen und zur Geburt anmelden. Vielleicht wird man in der<br />

43b


44a<br />

Klinik bereits eine Ultraschallaufnahme oder ein CTG anfertigen, um sich ein Bild von<br />

dem erreichten Entwicklungsstand und von der Lage der Kinder zu machen.<br />

Leider kann man das voraussichtliche Geburtsgewicht der Kinder nicht über Wochen<br />

im Voraus bestimmen, denn dieses hängt vor allem von der Dauer der Schwangerschaft<br />

ab, die sich durch eintretende Muttermundsschwäche und vorzeitige Wehen<br />

noch verkürzen kann. Daher kann es auch passieren, dass Sie sich bereits für eine<br />

normale Geburtsklinik entschieden hatten, und nun doch unvorhergesehen in einer<br />

Klinik mit Intensivstation entbinden müssen. Denken Sie dann möglichst auch daran,<br />

eine bereits festgemachte Anmeldung in der ursprünglich ausgewählten Geburtsklinik<br />

mit einem kurzen Telefonanruf wieder rückgängig zu machen.<br />

Bei höhergradigen Mehrlingsschwangerschaften ist die Auswahl der Geburtsklinik<br />

von vornherein stark eingeschränkt. Hier werden fast immer die Voraussetzungen<br />

vorliegen, unter denen eine Neugeborenenintensivstation zumindest bereitstehen sollte.<br />

Stellen Sie sich dem Perinatalzentrum als Drillings- oder Vierlingsschwangere<br />

bereits in der Frühschwangerschaft vor. Die Ärzte des Perinatalzentrums haben in der<br />

Betreuung höhergradiger Mehrlingsschwangerschaften mehr Erfahrung als die meisten<br />

niedergelassenen Frauenärzte, weshalb die Zentren es zunehmend befürworten, die<br />

Schwangerschaft bereits von Beginn an in Absprache und im Wechsel mit dem niedergelassenen<br />

Frauenarzt mitzubetreuen. Problematische Entwicklungen können dadurch<br />

manchmal eher erkannt und sachgerechter behandelt werden. Wenn eine solche „Parallelbehandlung“<br />

an Ihrem Wohnort nicht üblich ist, sollten Sie erwägen, sich für die<br />

Dauer der Schwangerschaft gezielt in die Behandlung eines niedergelassenen Frauenarztes<br />

zu begeben, der in der Betreuung von höhergradigen Mehrlingsschwangerschaften<br />

erfahren und mit deren Besonderheiten vertraut ist.<br />

b) Kaiserschnitt oder vaginale Geburt als Standard<br />

Der natürliche Geburtsverlauf sieht es vor, dass ein Kind aufgrund von Wehen in<br />

den Geburtskanal und schließlich durch die Scheide tritt. Der Mediziner bezeichnet<br />

dies als „vaginale“ oder „spontane“ Geburt 1 . Den Gegensatz hierzu bildet der Kaiserschnitt,<br />

bei dem das Kind durch die Bauchdecke hindurch operativ entbunden wird.<br />

Die Schnittentbindung wird in der Medizinersprache als „sectio“ oder „abdominale Geburt“<br />

bezeichnet.<br />

Vaginale Zwillingsgeburten stellen im Vergleich zu vaginalen Einlingsgeburten eine<br />

größere Herausforderung für den Geburtshelfer dar. Denn bei der Geburt des ersten<br />

Kindes kann der Geburtshelfer seine Aufmerksamkeit nicht auf diesen Geburtsvorgang<br />

beschränken, sondern er muss zusätzlich noch die Versorgungslage des zweiten Kindes<br />

berücksichtigen. Außerdem kann man im vorhinein nie genau wissen, welche Geburtslage<br />

der zweite Zwilling nach der Geburt des ersten Kindes letztendlich einnimmt. Durch<br />

geübte Handgriffe im rechten Moment kann der Geburtshelfer die Lage des zweiten<br />

Zwillings noch gezielt beeinflussen und während der Geburt verändern. Solche Maßnahmen<br />

müssen vom Geburtshelfer sicher beherrscht werden. Wegen dieser und anderer<br />

Besonderheiten gelten Zwillingsgeburten als „Risikogeburten“ und werden deshalb im<br />

Allgemeinen nur unter der Leitung von erfahrenen Oberärzten durchgeführt. Auf diese<br />

Weise lässt sich die Gefahr, dass während der Geburt eine unbeherrschbare Situation<br />

eintritt, minimieren. Ein gewisses Restrisiko verbleibt allerdings, denn jede Geburt verläuft<br />

individuell mit ihrer jeweils eigenen Dynamik. Auch bei Einlingsgeburten lässt<br />

sich nicht jedes Risiko ausschließen. Das zu akzeptieren ist in unserem von Technisierung<br />

geprägten Zeitalter allerdings nicht mehr selbstverständlich.<br />

Da das verbleibende Restrisiko bei Zwillingsgeburten höher ist als bei Einlingsgeburten,<br />

ist der Gedanke aufgekommen, Zwillingsgeburten standardmäßig als Kaiserschnittgeburt<br />

durchzuführen. Denn der Kaiserschnitt schaltet alle denkbaren Komplikationen<br />

einer natürlichen Geburt mit einem Mal aus. Besonders im nachhinein, wenn es<br />

ausnahmsweise tatsächlich zu einem tragischen Geburtsverlauf gekommen ist, fällt es<br />

leicht anzuklagen, dass ein Kaiserschnitt dieses spezifische Geburtsrisiko umgangen<br />

hätte.<br />

Eine vergleichende Betrachtung von natürlicher Geburt und Kaiserschnitt darf allerdings<br />

nicht unterschlagen, dass jeder Kaiserschnitt erhebliche eigene Risiken birgt,<br />

vor allem für die Gebärende. Denn der Kaiserschnitt stellt immerhin eine große Bauchoperation<br />

dar mit Risiken wie Thrombosen, lebensgefährlichen Embolien, erheblichen<br />

Blutungen mit der möglichen Folge eines Gebärmutterverlustes, Infektionen, Störungen<br />

der Darmfunktion, Verletzungen der Harnblase, Wundheilungsstörungen, Gebärmutterrissen<br />

bei späteren Schwangerschaften sowie anderen Gefahren. Hinzu kommen die<br />

allgemeinen Narkoserisiken und in jedem Fall hinterlässt der Eingriff eine Schnittwunde.<br />

Zwar ist die Müttersterblichkeit bei Kaiserschnittentbindung in den letzten Jahrzehn-<br />

44b<br />

1 lateinisch „vagina“ = Scheide, „sua sponte“ = aus eigenem Antrieb


45a<br />

ten erheblich gesunken, sie wird aber noch immer mit rund zweieinhalb mal höher<br />

angegeben als bei vaginaler Entbindung.<br />

Dagegen ist die vaginale Geburt zwar mit Schmerzen verbunden, letztlich aber<br />

nahezu ohne Risiko für die Mutter. Selbst das geringe Risiko einer späteren Beckenboden-<br />

und Schließmuskelfunktionsstörung kann bei Zwillingsgeburten vernachlässigt<br />

werden, weil die Köpfchen von Zwillingskindern in aller Regel viel zu <strong>klein</strong> sind, um<br />

solche Schädigungen verursachen zu können.<br />

Für das Kind ist die vaginale Geburt vorteilhaft, weil bei dem Durchschreiten des<br />

Geburtskanals das Fruchtwasser aus der Lunge und aus den kindlichen Atemwegen<br />

gepresst wird, so dass vaginal geborene Kinder unmittelbar nach der Geburt selbständig<br />

atmen können. Demgegenüber kann es bei Kaiserschnittkindern zu einer „nassen<br />

Lunge“ (Flüssigkeitslunge) kommen mit z.T. ernsten Atemschwierigkeiten. Zumindest<br />

muss das restliche Fruchtwasser nach der Kaiserschnittgeburt durch die Nase abgesaugt<br />

werden. Das Absaugen hat jedoch wiederum den Nachteil, dass neben dem<br />

Fruchtwasser ungewollt auch die natürliche Schleimschicht mit wichtigen Abwehrstoffen<br />

abgesaugt wird. Manche Kaiserschnittkinder haben außerdem einen auffallend<br />

schlechteren Allgemeinzustand oder eine zu hohe Atemfrequenz. Als Ursachen hierfür<br />

vermutet man einerseits das der Mutter verabreichte Betäubungsmittel und andererseits<br />

das Fehlen der Stimulation, die mit der Geburtsanstrengung einer vaginalen Geburt<br />

verbunden wäre. In seltenen Fällen sind sogar schon Kinder durch das chirurgische<br />

Schnittmesser (Skalpell) verletzt worden, vor allem nach einem vorangegangenen<br />

Blasensprung.<br />

Verhaltensforscher des Andechser Max-Planck-Institutes wollen überdies noch<br />

herausgefunden haben, dass der Einfluss des Wehenhormons Oxytocin auf die Kinder<br />

eine wichtige Bedeutung habe für die Herstellung der Eltern-Kind-Bindung nach der<br />

Geburt. Auch dieser positive Einfluss entfällt bei einer Schnittentbindung.<br />

Und schließlich ist nachgewiesen, dass die Schnittentbindung eine erhebliche Gefahr<br />

für nachfolgende Schwangerschaften bedeutet: das kindliche Sterberisiko vor und<br />

während der Geburt steigt um ca. 50%.<br />

Eine Gegenüberstellung aller Vorteile und Risiken der verschiedenen Geburtsarten<br />

spricht daher im Allgemeinen auch bei <strong>Zwillinge</strong>n für die natürliche Geburt. Stand<br />

der medizinischen Wissenschaft ist es daher, dass die Tatsache einer Zwillingsschwangerschaft<br />

für sich genommen keinen Grund für einen geplanten Kaiserschnitt<br />

darstellt.<br />

Trotzdem gibt es Mediziner, die die Durchführung natürlicher Zwillingsgeburten<br />

grundsätzlich ablehnen und ausschließlich Kaiserschnitte durchführen.<br />

In manchen Perinatalzentren ist diese Einstellung nachvollziehbar, weil man dort<br />

schwerpunktmäßig mit besonderen Komplikationen und Risikosituationen zu tun hat, die<br />

eine vaginale Geburt regelmäßig ausschließen. Dann macht es durchaus Sinn, die medizinischen<br />

Fertigkeiten auf solche Spezialanforderungen zu konzentrieren.<br />

Bei manch anderen Medizinern ist die ablehnende Haltung gegenüber vaginalen<br />

Zwillingsgeburten jedoch weder durch eine anderweitige Spezialisierung noch in erster<br />

Linie aus der Sorge um das Wohl der Gebärenden und der Kinder begründet, sondern<br />

(zumindest auch) aus reinem Selbstschutz des Arztes. Denn über jeder Geburt schwebt<br />

das Damoklesschwert eines anschließenden ärztlichen Kunstfehlerprozesses, und in<br />

dieser Hinsicht sind vaginale Zwillingsgeburten für den Arzt erheblich riskanter als der<br />

Kaiserschnitt. Denn zum einen ist die natürliche Zwillingsgeburt schwieriger durchzuführen<br />

und verlangt besonderes Können. Häufiger als bei Einlingsgeburten kommt es zu<br />

kritischen Situationen, in denen der Arzt schnell eine richtige Entscheidung treffen und<br />

die richtigen Maßnahmen ergreifen muss. An diesen Maßstäben wird das ärztliche Handeln<br />

in der Nachschau auch beurteilt. Zum anderen besteht jedoch selbst dann die Gefahr<br />

einer haftungsrechtlichen Inanspruchnahme, wenn eine Geburt ohne Verschulden<br />

des Arztes misslang. Denn die Justiz ist schnell bei der Hand, dem Arzt im nachhinein<br />

vorzuhalten, er habe doch den Kaiserschnitt als Handlungsalternative in Betracht ziehen<br />

sollen. Manche Ärzte sehen darin für sich insgesamt ein zu hohes persönliches Haftungsrisiko,<br />

welches einzugehen sie nicht bereit sind.<br />

Demgegenüber bedeutet der Kaiserschnitt für den Arzt praktisch kein Haftungsrisiko.<br />

Denn die meisten Risiken des Kaiserschnitts gelten aufgrund ihrer besonderen Eigenart<br />

als unbeherrschbar und schicksalhaft und führen daher – auch wenn schlimme<br />

Folgen eintreten – im Allgemeinen nicht zu einer ärztlichen Haftung. Der Arzt ist also –<br />

anders als der Patient – bei einem Kaiserschnitt fast immer auf der „sicheren Seite“,<br />

sofern er ihn nur fachgerecht ausführt.<br />

Obgleich das Geburtsrisiko einer vaginalen Geburt also grundsätzlich geringer ist,<br />

ist das Haftungsrisiko des Arztes bei dieser Geburtsart höher. Dieser Zusammenhang hat<br />

vor allem in den Ländern, in denen die gerichtsüblichen Schmerzensgelder unermessli-<br />

45b


46a<br />

che Höhen erreichen, zu einem sprunghaften Anstieg der Kaiserschnittrate geführt. In<br />

den USA beispielsweise wurden bereits weit über 30% der Kinder (auch Einlinge!) mit<br />

einem geplanten Kaiserschnitt zur Welt gebracht, bevor dieser Prozentsatz in den<br />

letzten Jahren durch ein gezieltes Regierungsprogramm wieder etwas gesenkt werden<br />

konnte. Tatsächlich medizinisch gerechtfertigt sind nach Auffassung der Weltgesundheitsorganisation<br />

jedoch höchstens 10-15%. In Deutschland lag die Kaiserschnittrate<br />

im Jahre 2004 bei 29%, also doppelt so hoch wie medizinisch erforderlich. Jeder dritte(!)<br />

deutsche Geburtshelfer hat in einer Umfrage Ende der achtziger Jahre offen zugegeben,<br />

dass er aus Angst vor einem Kunstfehlerprozess großzügiger zum Kaiserschnitt<br />

greift, als es nach seiner medizinischen Überzeugung und seinem fachlichen<br />

Wissen erforderlich wäre 1 .<br />

Darüber hinaus werden noch weitere nicht medizinische Gründe vermutet, die dazu<br />

führen, dass häufiger als notwendig zum Kaiserschnitt angesetzt wird. Marie-<br />

Elisabeth Lange-Ernst, Pressesprecherin des Berufsverbandes der Frauenärzte, weiß<br />

beizutragen, dass „viele Mediziner es mögen, wenn die Kinder nicht nachts oder am<br />

Wochenende kommen, sondern vor dem errechneten Termin auf dem OP-Plan stehen“.<br />

Magdalene Weiß, die Präsidentin des Bundes deutscher Hebammen, bringt ins Spiel,<br />

dass ein Kaiserschnitt der Klinik rund das Doppelte an Einnahmen beschert gegenüber<br />

einer normalen Geburt.<br />

Leider haben steigende Kaiserschnittraten gleichzeitig zur Folge, dass das Wissen<br />

und die Erfahrung der Geburtshelfer in der Leitung natürlicher Zwillingsgeburten<br />

verloren gehen. Daher ist es ratsam, sich bei der Geburtsklinik vorab über die Kaiserschnittrate<br />

bei <strong>Zwillinge</strong>n zu erkundigen. Auf keinen Fall sollten Sie in einer solchen<br />

Klinik auf einer vaginalen Entbindung bestehen, in der <strong>Zwillinge</strong> ansonsten nur per<br />

Kaiserschnitt entbunden werden. Denn die Unerfahrenheit der dortigen Geburtshelfer<br />

mit natürlichen Zwillingsgeburten wäre dann ein wirklich ernst zu nehmendes Geburtsrisiko.<br />

c) Kaiserschnitt wegen besonderer Risiken oder Komplikationen<br />

Obgleich also die vaginale Geburt einem Kaiserschnitt grundsätzlich vorzuziehen<br />

ist, gibt es einige Fälle, in denen besondere medizinische Gründe einer vaginalen Entbindung<br />

entgegen stehen und es tatsächlich erforderlich wird, die Schwangerschaft mit<br />

einem Kaiserschnitt zu beenden:<br />

- Beckenendlage oder Querlage des vorn liegenden Kindes<br />

Wenn sich das vorn liegende Kind in Beckenendlage oder in Querlage einstellt, ist<br />

die vaginale Geburt nur sehr schwer oder überhaupt nicht möglich, so dass ein Kaiserschnitt<br />

erforderlich wird. Es gibt zwar unter den Geburtshelfern einige „Spezialisten<br />

für besonders schwierige Geburtslagen“, die auch in dieser Situation noch<br />

versuchen, ohne Kaiserschnitt auszukommen. Die Geburt aus Beckenendlage des<br />

vorn liegenden Kindes ist jedoch immer mit einem erhöhten Geburtsrisiko verbunden<br />

und kann deshalb nicht allgemein empfohlen werden. Wenn man es trotzdem<br />

versuchen will, ist strenge Voraussetzung für das Gelingen der vaginalen Geburt<br />

auf jeden Fall eine „komplikationslose“ Beckenendlage, d.h. ein passendes Geburtsgewicht<br />

der Kinder, möglichst eine bereits vorangegangene Schwangerschaft<br />

(so dass der Geburtskanal schon einmal geweitet war) und die Erfüllung noch weiterer<br />

Kriterien. Trotzdem raten wir davon ab, weil mit der Zwillingsschwangerschaft<br />

einerseits und der Beckenendlage andererseits letztlich mehrere Geburtsrisiken<br />

zusammentreffen, deren Beherrschung im Einzelfall auch eine Portion Glück<br />

erfordert.<br />

Dagegen ist die Lage des zweiten Kindes vergleichsweise unkritisch: Es kann relativ<br />

problemlos auch aus Beckenendlage vaginal geboren werden, da der Geburtskanal<br />

nach dem Durchschreiten des ersten Kindes bereits geweitet ist. Falls das zweite<br />

Kind in Querlage liegt, kann es nach der Geburt des ersten Kindes durch einen speziellen<br />

Handgriff des erfahrenen Geburtshelfers meist noch gedreht werden (sog.<br />

äußere Wendung). Nur wenn das zweite Kind mit einem Gewicht unter 2.000<br />

Gramm in Beckenendlage oder Querlage liegt, empfehlen viele Geburtshelfer auch<br />

hier den Kaiserschnitt.<br />

46b<br />

- Höhergradige Mehrlingsschwangerschaft.<br />

1 Zitiert nach H. Albrecht u.a., in: Der Frauenarzt, Band 7 (1989), S. 685-692<br />

Ab Vierlingen ist der Kaiserschnitt nach einhelliger Meinung unausweichlich, bei<br />

Drillingen ist die Frage umstritten. Die vaginale Geburt von Drillingen kommt jedenfalls<br />

nur nach komplikationsloser Schwangerschaft und bei Erreichen einer be-


47a<br />

47b<br />

stimmten Schwangerschaftsdauer in Betracht. In einer Einzelstudie der Pariser<br />

Universitätsklinik über 23 vaginale Drillingsgeburten erreichten diese Kinder –<br />

abgesehen von einem aufgetretenen Todesfall – einen durchschnittlich besseren<br />

Allgemeinzustand gegenüber Kaiserschnittkindern und bedurften anschließend<br />

auch nur einer erheblich kürzeren medizinischen Behandlung. In Deutschland ist<br />

die vaginale Drillingsgeburt jedoch nicht weit verbreitet, vielmehr wird in den<br />

meisten Kliniken auch bei komplikationslosen Schwangerschaften durchgehend<br />

der Kaiserschnitt gewählt. Damit sollte man sich dann auch abfinden, denn es<br />

fehlt den meisten Geburtshelfern zumindest die praktische Erfahrung, die für die<br />

gefahrlose Durchführung einer vaginalen Drillingsgeburt erforderlich wäre.<br />

- Frühgeburt.<br />

Kinder, die vor etwa der 34. SSW zur Welt kommen bzw. unter 1500 Gramm wiegen<br />

oder sonst besondere Unreifezeichen aufweisen, wurden ebenfalls per Kaiserschnitt<br />

geholt. Sie sind noch nicht ausreichend gestärkt, um die mit dem Durchschreiten<br />

des Geburtskanals verbundenen körperlichen Belastungen gefahrlos zu<br />

verkraften. Bei sehr <strong>klein</strong>en Kindern kann es vor allem zu Hirnblutungen kommen.<br />

Besonders gefährlich würde es, wenn ein Geburtsstillstand einträte und der<br />

Geburtshelfer den Kindern mittels Saugglocke, Geburtszange oder speziellen<br />

Handgriffen heraushelfen müsste. Zwar wird der Kaiserschnitt bei Einlings-<br />

Frühgeborenen seit einigen Jahren nicht mehr als strenges Dogma gehandhabt,<br />

sondern zunehmend einer jeweiligen Einzelfallentscheidung Raum gegeben. Dennoch<br />

empfiehlt es sich im allgemeinen nicht, das erhöhte Geburtsrisiko der Frühgeborenen<br />

noch mit weiteren Besonderheiten der Zwillingsgeburt zu überlagern.<br />

- Erhebliche Gewichtsunterschiede zwischen den Kindern, wenn das leichtere<br />

Kind vorn liegt.<br />

Wiegt der hintere Zwilling über 500 Gramm mehr als der vordere Zwilling (absoluter<br />

Gewichtsunterschied) oder übersteigt das Gewicht des hinteren Zwillings<br />

das des vorderen um ein Fünftel (relativer Gewichtsunterschied), so kann der hinten<br />

liegende Zwilling den Geburtsvorgang des vorderen Zwillings aufgrund seiner<br />

größeren Masse nachteilig beeinflussen. Auch für den hinteren Zwilling bestehen<br />

dann erhöhte Geburtsgefahren. Diese Konstellationen sind jedoch selten, weil bei<br />

erheblichen Gewichtsunterschieden fast immer der schwerere Zwilling vorn liegt.<br />

Wenn der hintere Zwilling schwerer ist und zusätzlich noch in Querlage oder in<br />

Beckenendlage liegt, wird ein Kaiserschnitt auch schon bei geringeren Gewichtsdifferenzen<br />

empfohlen.<br />

- In sich verkeilte <strong>Zwillinge</strong>.<br />

Hier behindern sich beide Kinder gegenseitig am Austritt durch den Muttermund.<br />

Diese Komplikation kommt nur sehr selten (circa bei einer von tausend Zwillingsgeburten)<br />

und fast ausschließlich bei eineiigen, monochorialen <strong>Zwillinge</strong>n vor.<br />

- Tiefer Sitz einer der Mutterkuchen (Plazenta praevia).<br />

Normalerweise nistet sich die befruchtete Eizelle im oberen Teil der Gebärmutter<br />

ein, so dass der Mutterkuchen am oberen Bereich der Gebärmutterwand anhaftet,<br />

genügend weit entfernt vom Muttermund. Aus verschiedenen Gründen – bei <strong>Zwillinge</strong>n<br />

häufiger als bei Einlingen – kann es jedoch dazu kommen, dass einer der<br />

Mutterkuchen sich in der Nähe des Muttermundes einnistet oder sich im Laufe der<br />

Schwangerschaft bis dahin ausdehnt. Bei der Geburt liegt der Mutterkuchen dann<br />

quasi vor dem Ausgang „im Weg“. Würde man das Kind auf natürliche Weise gebären,<br />

käme es während des Geburtsvorgangs zu einer vorzeitigen Ablösung des Mutterkuchens,<br />

was für die Mutter gefährliche Blutungen und für das Kind einen akuten<br />

Sauerstoffmangel bedeuten kann.<br />

- Gefäßverbindungen (Gefäßanastomosen) bei monochorialen eineiigen<br />

<strong>Zwillinge</strong>n.<br />

Dieser Fall ist oben auf Seite 26 angesprochen.<br />

Hinzu kommen die allgemeinen, nicht zwillingsspezifischen Indikationen für einen<br />

Kaiserschnitt, wie z.B. eine um den Hals geschlungene Nabelschnur, zu hoher Blutdruck<br />

(Gestose), eine diabetische Erkrankung der Mutter, vorzeitige Ablösung des Mutterkuchens<br />

von der Gebärmutter, Wehenschwäche unter der Geburt usw.<br />

Liegt eine der medizinischen Indikationen vor, so ist der Kaiserschnitt dringend zu<br />

empfehlen. Wenn wir im vorausgegangenen Kapitel darüber berichtet haben, dass mittlerweile<br />

viele Kaiserschnitte ohne zwingende medizinische Notwendigkeit durchgeführt<br />

werden, so darf dies natürlich nicht dazu führen, von Seiten der Patienten nunmehr jedweden<br />

Kaiserschnitt generell in Frage zu stellen. Wenn der Arzt den Kaiserschnitt für<br />

erforderlich hält, spricht vieles dafür, dass das auch tatsächlich so ist. Aber es muss<br />

Ihnen als Schwangere erlaubt sein, die Wunschvorstellung einer vaginalen Entbindung<br />

noch einmal ausdrücklich vorzubringen und den Arzt danach zu fragen, ob es in der<br />

konkreten Situation nicht ein gangbarer Weg wäre, die natürliche Geburt zunächst einmal<br />

zu versuchen. Wenn der Arzt dies verneint, sollten Sie ihm vertrauen und sich tunlichst<br />

an seine Empfehlung halten, da Sie selbst die Gefährlichkeit der Situation letztlich


48a<br />

nicht einschätzen können. Keinesfalls sollten Sie Ihre Einwilligung zum Kaiserschnitt<br />

verweigern, wenn der Arzt Ihnen von einer vaginalen Entbindung dringend abrät.<br />

Nun aber zum Schluss des Kapitels noch etwas Positives, denn <strong>Zwillinge</strong> haben<br />

im Zusammenhang mit Kaiserschnitt auch ihr Gutes: Eine der Komplikationen, die den<br />

Kaiserschnitt bei Einlingen mit am häufigsten verursacht, kommt bei <strong>Zwillinge</strong>n sozusagen<br />

nie vor: dass nämlich das mütterliche Becken für den Durchtritt des Köpfchens<br />

zu schmal ist.<br />

d) Geburtsverlauf bei Kaiserschnitt<br />

Wenn ein Kaiserschnitt aus einem der genannten Gründe ansteht, so stellt sich die<br />

Alternative, ihn entweder in Vollnarkose oder in regionaler Betäubung des Beckenraumes<br />

(Spinal- oder Periduralanästhesie) durchzuführen. Bei einer Vollnarkose geht<br />

ein Teil des verabreichten Betäubungsmittels in den kindlichen Blutkreislauf über, so<br />

dass die Kinder nach der Geburt bis zu mehreren Stunden schlaff und antriebslos sein<br />

können. Schon deshalb ist die regionale Betäubung aus medizinischer Sicht vorzuziehen.<br />

Außerdem hat die regionale Betäubung den Vorteil, dass die Mutter die ganze<br />

Zeit über wach bleibt und die Kinder, wenn sie nicht sofort medizinisch betreut werden<br />

müssen, gleich nach der Geburt zu Gesicht bekommt. Von einer regionalen Betäubung<br />

erholt man sich auch wesentlich schneller und sie ist insgesamt risikoärmer als<br />

die Vollnarkose. Sie wird deshalb zunehmend gewählt und in vielen Kliniken nur dann<br />

nicht in Betracht gezogen, wenn die Schwangere sich nicht mehr ausreichend beugen<br />

kann (was beim Anlegen der Anästhesie erforderlich ist) oder wenn die mit der regionalen<br />

Anästhesie verbundene Blutdrucksenkung für den Kreislauf schädlich wäre. In<br />

einigen Kliniken wird bei regionaler Anästhesie sogar die Anwesenheit des Partners<br />

während des Kaiserschnitts zugelassen, der dann Beistand leisten und sich später um<br />

die Kinder kümmern kann.<br />

Seien Sie dann im Operationssaal von vornherein auf eine gewisse Betriebsamkeit<br />

vorbereitet, wenn Geräte eingestellt, Operationsbestecke zurechtgelegt und letzte Absprachen<br />

getroffen werden. Lassen Sie sich auch von einer höheren Anzahl an Personen<br />

nicht aus der Ruhe bringen: Mit dem Operateur, dem Narkosearzt, den Assistenten<br />

und OP-Schwestern sowie je einem Ärzte- und Schwesternteam für jedes Kind können<br />

sich bei einer Vierlingsentbindung z.B. ohne weiteres zwanzig Personen und mehr<br />

einfinden.<br />

Wird der Kaiserschnitt nach der neueren und schonenderen MISGAV-LADACH-<br />

Methode durchgeführt, so ist er nach 15-25 Minuten beendet und Sie sind schon bald<br />

wieder auf dem Damm. Bei dieser Kaiserschnitt-Methode werden die Bauchdecke und<br />

das Muskelgewebe nicht mehr komplett mit dem Messer durchtrennt, sondern in weiten<br />

Teilen nur stumpf gedehnt. Nach der Operation müssen weniger Schichten genäht werden<br />

und die Schnittwunde verheilt erheblich schneller als bei der herkömmlichen Methode.<br />

Der Blutverlust ist geringer und es wird für den Eingriff nur etwa die halbe Zeit<br />

benötigt. Den medizinischen Vorteilen dieser Methode steht allerdings ein kosmetischer<br />

Nachteil gegenüber: Die zurückbleibende Operationsnarbe liegt etwas höher (oberhalb<br />

der Schamhaargrenze) und bleibt daher sichtbar. Neueste Operationsmethoden versuchen<br />

die Vorteile der MISGAV-LADACH-Methode mit einer möglichst tiefen Bauchdeckenöffnung<br />

zu verbinden, um damit dem kosmetischen Empfinden entgegenzukommen.<br />

Wendet die Klinik noch die herkömmliche Methode an (sog. „Pfannenstielschnitt“),<br />

dauert die Operation etwa doppelt so lange und heilt etwas langsamer.<br />

e) Geburtsverlauf bei vaginaler Geburt<br />

Wenn Sie eine vaginale Geburt anstreben und nicht ohnehin schon stationär in die<br />

Geburtsklinik aufgenommen sind, sollten Sie sich als Erstgebärende dorthin aufmachen,<br />

wenn die natürlichen Wehen im Abstand von etwa 10 Minuten zu spüren sind. Ab der<br />

zweiten Geburt soll die Klinik bereits bei 15-minütigem Wehenabstand aufgesucht werden,<br />

weil die Geburt dann oft schneller verläuft. Fragen Sie Ihren Frauenarzt, ob diese<br />

allgemeine Empfehlung auch für Ihre persönliche Situation zutrifft.<br />

Natürliche Zwillingsgeburten dauern in der Eröffnungsphase meist etwas länger als<br />

Einlingsgeburten, weil die Wehen infolge der Gebärmutterüberdehnung nicht so stark<br />

sind. Demgegenüber ist die Austreibungsphase oft kürzer, weil die Kinder im Allgemeinen<br />

<strong>klein</strong>er sind als Einlinge und leichter durch den Geburtskanal passen.<br />

Ansonsten unterscheiden sich Zwillingsgeburten nicht wesentlich von Einlingsgeburten<br />

– außer dass nach der Geburt des ersten Kindes anstelle der Nachgeburt noch ein<br />

zweites Kind ansteht. Das zweite Kind kommt meist innerhalb weniger Minuten, nach<br />

drei oder vier weiteren Wehen. Es verursacht in der Regel keine weiteren Beschwerden,<br />

da der Geburtskanal bereits weit geöffnet ist. Wenn die Gebärmutter vor der Geburt des<br />

48b


49a<br />

ersten Kindes stark überdehnt war, spüren Sie jetzt vielleicht zum ersten Mal die volle<br />

Energie und Kraft einer „richtigen“ Wehe.<br />

Manchmal muss der Versuch einer vaginalen Geburt allerdings abgebrochen und<br />

auf einen Kaiserschnitt umgeschwenkt werden. Grund hierfür ist meist ein Geburtsstillstand:<br />

Die Gebärmutter ist überdehnt und kann durch Zusammenziehen nicht mehr<br />

die erforderliche Kraft aufbringen, um den Muttermund zu öffnen bzw. die Kinder<br />

herauszupressen. Die dann erforderliche Änderung des Geburtsmodus bedeutet für<br />

viele Frauen eine Enttäuschung, ist aber medizinisch ohne Alternative.<br />

Wenn die Geburt bis zum Ende vaginal durchgeführt werden kann, was meistens<br />

der Fall ist, muss man mit einem Dammschnitt rechnen. Dabei geht es nicht in erster<br />

Linie darum, den Scheidendamm vor einem drohenden Dammriss zu bewahren, denn<br />

das würde bei den <strong>klein</strong>en Köpfchen der Zwillingskinder ohnehin nur selten passieren.<br />

Vielmehr erleichtert der Dammschnitt das Durchtreten der Köpfchen. Dadurch werden<br />

die ohnehin oft zierlichen Mehrlingskinder geschont, und vor allem dient dies der<br />

Beschleunigung der Geburt. Das ist wichtig, weil mit zunehmender Dauer der Presswehen<br />

für das zweite Kind die Gefahr einer Sauerstoffunterversorgung steigt.<br />

Ebenso wird es häufiger als bei Einlingen erforderlich, den Geburtsvorgang mithilfe<br />

einer Saugglocke oder Geburtszange zu beenden. Denn manchmal kann die überdehnte<br />

Gebärmutter nicht genügend Kraft aufbringen, um das Kind vollständig durch<br />

den Geburtskanal zu pressen, und zum Schutz des zweiten Kindes soll man hierfür<br />

auch nicht zuviel Zeit geben.<br />

Nach der Geburt ist es meistens nicht möglich, die Kinder auf den Bauch der<br />

Mutter zu legen und die Nabelschnur auspulsieren zu lassen, sondern <strong>Zwillinge</strong> werden<br />

in aller Regel sofort abgenabelt und zum sog. „Reanimationstisch“ gebracht. Das<br />

bedeutet aber nicht automatisch, dass mit Ihren Kindern etwas nicht stimmt. Man will<br />

vor allem verhindern, dass die Kinder auf dem Bauch der Mutter zu viel Körperwärme<br />

verlieren. Denn <strong>Zwillinge</strong> haben in der Regel ein geringes Geburtsgewicht und verfügen<br />

nur über wenige Fettreserven. Die Körperoberfläche ist im Verhältnis zum Körpergewicht<br />

relativ groß, weshalb die Kinder übermäßig viel Wärme an die umgebende<br />

Luft abgeben. Auf dem Reanimationstisch sind sie durch eine spezielle Wärmelampe<br />

vor dem Auskühlen geschützt und können dann erst einmal bekleidet oder in warme<br />

Tücher eingewickelt werden, bevor die Eltern sie in die Arme nehmen.<br />

f) Kaiserschnitt für das zweite Kind<br />

In seltenen Fällen (weniger als 3% der Zwillingsgeburten) wird es sogar erforderlich,<br />

nach der vaginalen Geburt des ersten Zwillings noch auf einen Kaiserschnitt für<br />

den zweiten Zwilling umzuschwenken. Folgende Gründe können eine solche Entscheidung<br />

notwendig machen:<br />

- Armvorfall: Während der Geburt des ersten Kindes entsteht in der Gebärmutter<br />

ein leerer Raum, der das zweite Kind tiefer vor den Muttermund rutschen<br />

lässt. Dabei kann es passieren, dass ein Arm als vorderstes Teil des<br />

zweiten Kindes durch den Muttermund in den Geburtskanal gerät. In dieser<br />

Lage kann das zweite Kind nicht vaginal geboren werden.<br />

- Nabelschnurvorfall: Ebenso kann sich die Nabelschnur des zweiten Kindes<br />

vor den Muttermund legen. Auch in dieser Situation kann das zweite Kind<br />

zumeist nicht vaginal geboren werden.<br />

- Missglückte Wendung bei Beckenendlage und Querlage des zweiten Kindes:<br />

Ungünstige Geburtslagen des zweiten Zwillings können in den meisten<br />

Fällen durch geeignete Handgriffe während der Geburt des ersten Kindes<br />

hin zu einer Schädellage gedreht werden. Wenn das ausnahmsweise nicht<br />

gelingt, kann ein Kaiserschnitt erforderlich werden.<br />

- Verzögerung bei der Geburt des zweiten Kindes: Das zweite Kind sollte<br />

grundsätzlich möglichst bald nach dem ersten geboren werden. Denn mit<br />

der Geburt des ersten Kindes verringert sich die Größe der Gebärmutter.<br />

Auf diese veränderte Situation ist der Mutterkuchen des zweiten Kindes<br />

nicht eingerichtet; seine Haftung an die Gebärmutterwand kann nachlassen.<br />

Beträgt die Dauer zwischen den Geburten länger als etwa 10 bis 20 Minuten,<br />

wächst die Gefahr einer teilweisen oder sogar vollständigen Ablösung<br />

des Mutterkuchens von der Gebärmutterwand. Die Sauerstoffzufuhr vermindert<br />

sich und es kommt zu einem Säureanstieg im Blut des Kindes bis<br />

hin zum akuten Sauerstoffmangel. Ein längeres Zuwarten ist daher nur<br />

möglich, wenn und solange die Herztöne (CTG) des zweiten Kindes in<br />

Ordnung sind. Ansonsten muss das zweite Kind per Kaiserschnitt geholt<br />

werden.<br />

Wegen dieser möglichen Wendungen im Geburtsverlauf sollte man nicht nur in der<br />

Endphase der Geburt keine Speisen mehr zu sich nehmen, sondern darüber hinaus in<br />

Betracht ziehen, rechtzeitig eine PDA (Periduralanästhesie) legen zu lassen. Falls dann<br />

49b


50a<br />

ein Wechsel des Geburtsmodus erforderlich wird, kann die für den Kaiserschnitt erforderliche<br />

Betäubung durch die PDA vorgenommen werden, während ansonsten eine<br />

Vollnarkose notwendig wäre. Eine PDA zu diesem Zeitpunkt neu anzulegen ist wegen<br />

der gebotenen Eile zumeist nicht mehr möglich. Tritt unter der Geburt allerdings eine<br />

spontane Notfallsituation ein, so kann unter Umständen nicht einmal eine bereits angelegte<br />

PDA verwendet werden, weil die Wirkung des Betäubungsmittels erst nach etwa<br />

20 Minuten einsetzt 1 . In solchen Fällen besteht keine Alternative zur Vollnarkose, die<br />

praktisch ohne nennenswerte Zeitverzögerung durchgeführt werden kann.<br />

2. Nach der Geburt<br />

a) Zustand der Mutter<br />

An den Zustand der Mutter wird nach der Geburt im Allgemeinen nicht so viel<br />

gedacht wie an die Kinder, obwohl sie mit der Schwangerschaft und der Geburt eine<br />

enorme Anstrengung gemeistert hat. Um dies zu würdigen, erwähnen wir die Mutter<br />

zuerst.<br />

Die Mutter gebiert noch die Nachgeburt und ein eventueller Dammschnitt wird<br />

genäht, ohne dass dies nach all der Anstrengung noch nennenswert belastet: Freude<br />

und Erleichterung, es geschafft zu haben, werden überwiegen. Der weitere Gang der<br />

Dinge unterscheidet sich – was das Medizinische betrifft – von Einlingsgeburten nur<br />

noch in wenigen Einzelheiten:<br />

aa) Atonische Nachblutung<br />

Es kommt bei Zwillingsschwangerschaften leicht zu einer Überbeanspruchung der<br />

Gebärmutter bis hin zu einer regelrechten Überdehnung während der Schwangerschaft.<br />

Nach der Geburt kann dies dazu führen, dass die Gebärmutter erschlafft und sich nicht<br />

1 Das schmerzlindernde Mittel, welches gewöhnlich unter der Geburt eingesetzt wird, ist für<br />

die Durchführung einer Kaiserschnittoperation nicht ausreichend. Hierzu muss ein anderes,<br />

hochwirksames Betäubungsmittel verabreicht werden, dessen Wirkung sich erst allmählich<br />

aufbaut.<br />

mehr vollständig zusammenziehen kann, wie es sonst geschieht. Das Zusammenziehen<br />

der Gebärmutter ist aber erforderlich, um den Mutterkuchen von der Gebärmutterwand<br />

zu lösen und ihn nachzugebären, sowie anschließend die Gefäßverbindungen zu verschließen,<br />

die den Mutterkuchen mit Nährstoffen und Blutsauerstoff versorgt haben. Ist<br />

die Gebärmutter nicht mehr in der Lage, sich vollständig zusammenzuziehen, so kann es<br />

an der Nahtstelle des Mutterkuchens (Plazentahaftfläche) zu Blutungen kommen. Das<br />

Blut sammelt sich eine Weile in der Gebärmutter, um sich dann in einem Schwall zu<br />

entleeren. Solche Nachblutungen stellten in früheren Zeiten eine ernste Gefahr und häufige<br />

Todesursache für die Mutter dar, während sie heutzutage in den allermeisten Fällen<br />

schnell und sicher durch entsprechende Infusionen und Medikamente gestoppt werden<br />

können. Die Menge an verlorenem Blut sieht oft gewaltiger aus, als sie tatsächlich ist;<br />

nur in seltenen Extremfällen ist eine zusätzliche Versorgung mit Blutkonserven nötig.<br />

Um solchen Nachblutungen von vornherein vorzubeugen, wird Zwillingsmüttern entweder<br />

noch während der Geburt (nach dem Austritt des zweiten Köpfchens) oder sofort<br />

nach der Geburt ein weiteres hochdosiertes Wehenmittel (Oxytocin) gegeben, um die<br />

Gebärmutter zum Zusammenziehen noch einmal besonders anzuregen. Damit lassen sich<br />

Nachblutungen in fast allen Fällen vermeiden. Ein Blutverlust von bis zu einem halben<br />

Liter ist bei Geburten übrigens völlig normal und gilt noch nicht als komplikationshafte<br />

„Nachblutung“ im medizinischen Sinne.<br />

bb) Gesundheitlicher Allgemeinzustand<br />

Frauen, die Mehrlinge ausgetragen haben, haben eine außergewöhnliche Schwangerschaft<br />

hinter sich, die den Körper für eine geraume Zeit übermäßig belastet hat. Nach<br />

der Geburt täte eigentlich eine Phase der Erholung ganz gut. Leider wird sie nicht gewährt.<br />

Im Gegenteil: Zwillingsmütter haben noch weniger Zeit und Ruhe für sich und<br />

ihre körperliche Wiederherstellung als andere Mütter, weil die Kinder gleich ein Mehrfaches<br />

an Aufmerksamkeit einfordern und an Pflegeaufwand verursachen. Diese fortgesetzte<br />

Dauerbelastung führt manche Mütter mit der Zeit an die Grenzen ihrer Belastbarkeit.<br />

Eine unmittelbare gesundheitliche Folge dieser Dauerbelastung können psychosomatische<br />

Erkrankungen und auch eine allgemeine Schwächung des Immunsystems sein.<br />

Eine empirische Mehrlingsstudie von Jutta Jäger hat ergeben, dass die dort befragten<br />

Drillings- und Vierlingsmütter hauptsächlich an Magenschmerzen, Schwächeanfällen,<br />

Gelenk- und Rückenschmerzen, Kopfschmerzen und Migräne litten. Aber auch<br />

ständige Erkältungen oder eingerissene Haut können äußerliche Anzeichen dafür sein,<br />

50b


51a<br />

dass der Körper ausgelaugt ist. Da die Hauptursache dieser Leiden in der täglichen<br />

Überanstrengung liegt, die sich nur in engen Grenzen reduzieren lässt, sollten Sie für<br />

sich zumindest Wert auf eine gesunde und ausgewogene Ernährung legen. Auch wenn<br />

die Versuchung groß ist, sich aus zeitlichen Gründen nur mit einem Imbiss zu begnügen,<br />

sollten Sie ausreichend frisches Obst, Gemüse und Salat zu sich nehmen, um<br />

wenigstens mit einem geregelten Vitaminhaushalt die körpereigenen Abwehrstoffe zu<br />

mobilisieren. Versuchen Sie mit Ihrem Partner zu verabreden, dass beiden je ein Tag<br />

der Woche für sich zum Ausspannen und zur Erholung zusteht, während der andere für<br />

die Kinder allein zuständig ist. Vaters Kindertag gelingt übrigens dann am besten,<br />

wenn alle Beteiligten akzeptieren können, dass auch er seinen eigenen Stil und Umgang<br />

mit den Kindern entwickeln darf. Das setzt auf Seiten der Mutter voraus, auch<br />

Abweichungen vom gewöhnlichen Tagesablauf und Handling zuzulassen! Die Kinder<br />

können die unterschiedliche Handhabung durch Vater und Mutter schnell zuordnen<br />

und stellen sich meist recht problemlos auf die jeweilige Betreuungsperson ein.<br />

cc) Nachgeburtliche Depressionen<br />

Weithin bekannt ist das Phänomen der „Heultage“ (auch „baby blues“ genannt),<br />

drei bis fünf Tage nach der Geburt: Ungefähr zwei Drittel aller Mütter (auch der Einlingsmütter)<br />

verfallen für kurze Zeit in Traurigkeit, Weinerlichkeit oder ähnliche negative<br />

Gefühlsstimmungen. Diese leichten Formen von Wochenbettdepressionen werden<br />

auf hormonelle Umstellungen nach der Geburt zurückgeführt, sind völlig normal<br />

und müssen nicht behandelt werden.<br />

Davon zu unterscheiden sind jedoch schwerere Formen einer depressiven Verstimmung,<br />

die über einen längeren Zeitraum anhalten und von denen insgesamt deutlich<br />

weniger Mütter betroffen sind. Sie können sich durch Antriebslosigkeit, Appetitlosigkeit,<br />

übermäßige Ängstlichkeit um die Gesundheit der Babys, fortwährende<br />

Selbstvorwürfe und äußerliche Abstumpfung bis hin zu massiven Schlafstörungen und<br />

sogar Wahnvorstellungen bemerkbar machen. Obwohl immerhin jede achte (auch<br />

Einlings-) Mutter davon betroffen ist, ist das Thema vergleichsweise Tabu. Eher fühlt<br />

man sich schuldig, nicht dem gesellschaftlichen Bild einer „glücklichen Mutter“ zu<br />

entsprechen, was die Unzufriedenheit mit sich selbst noch weiter verstärkt. Anhaltende<br />

depressive Verstimmungen bis hin zu massiven Depressionen sind jedoch ernst zu<br />

nehmende Krankheitserscheinungen, die unter Umständen auch einer medikamentösen<br />

Behandlung bedürfen. Behalten Sie solche Schwierigkeiten deshalb nicht für sich,<br />

sondern sprechen Sie Ihren Frauenarzt darauf an. Für eine erste Selbsteinschätzung wurde<br />

die Edinburgh-Skala entwickelt, die Sie unter http://www.schatten-und-licht.de<br />

downloaden können. Unter dieser Internet-Adresse erhalten Sie auch zahlreiche weitere<br />

Informationen rund um das Thema Wochenbettdepression.<br />

Mehrlingseltern (auch Väter) sind häufiger von depressiven Verstimmungen betroffen<br />

als Einlingseltern. Jutta Jäger erklärt diesen Zusammenhang mit einem Zusammentreffen<br />

von körperlicher Überanstrengung (Schlafmangel und Erschöpfung) mit gleichzeitiger<br />

psychischer Belastung (Isolation, Zukunftsängste und Frustration sowie Schuldgefühle,<br />

nicht allen Kindern gerecht werden zu können). Hinzu kommen vielleicht enttäuschte<br />

Erwartungen, wenn man sich das Leben mit Kindern ganz anders vorgestellt<br />

hatte. Auch die Aufmerksamkeit und Zuwendung, die man während der Schwangerschaft<br />

selbst bekam, wird jetzt fast nur noch den Kindern zuteil.<br />

Damit es nicht soweit kommt, sollte man seinen Alltag beizeiten reflektieren und<br />

sich bemühen, ihn möglichst harmonisch zu gestalten, seinen Schlafmangel zu begrenzen<br />

und Kontakte aufrecht halten oder neu knüpfen. Die Bundeszentrale für gesundheitliche<br />

Aufklärung hat eine Broschüre über Erwartungen und Bedürfnisse in der anstrengenden<br />

Zeit nach der Geburt herausgegeben mit einer Reihe hilfreicher Anregungen, um<br />

sich einen eigenen Standpunkt und ein ausgeglichenes Privatleben innerhalb der Familienstruktur<br />

zu erarbeiten 1 . Wenn man das Gefühl hat, dass einem der ganze Aufwand<br />

über den Kopf wächst und man meint, die Lage nicht mehr im Griff zu haben, kann ein<br />

klärendes Gespräch mit einer psychologisch geschulten Beraterin helfen, den eigenen<br />

Standpunkt wiederzufinden.<br />

b) Zustand der Kinder<br />

Die Kinder sind nach der Geburt von einem auf den anderen Moment auf sich gestellt:<br />

Die Trennung von der Nabelschnur bedeutet innerhalb von Sekunden eine vollkommene<br />

Umstellung der Sauerstoff- und Nahrungszufuhr. Haut und Haare erfahren<br />

zum ersten Mal den Zustand der Trockenheit, Ohren und Nase werden frei von Flüssig-<br />

1 Die kostenlose Broschüre „Die erste Zeit zu dritt“ kann bestellt werden bei der Bundeszentrale<br />

für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), D-51101 Köln; http://www.bzga.de; E-Mail:<br />

order@bzga.de oder direkt heruntergeladen werden unter<br />

http://www.bzga.de/botmed_13640000.html.<br />

51b


52a<br />

keit und nehmen zum ersten Mal Gerüche und ungedämpfte Klänge wahr. Der Körper<br />

ist von der eingeengten Embryonalhaltung befreit und erfährt die Wirkungen der<br />

Schwerkraft.<br />

Auf diese Veränderungen werden die Kinder während der Schwangerschaft an<br />

sich gut vorbereitet. <strong>Zwillinge</strong> sind optimal gerüstet, wenn sie bis zur 38. SSW voll<br />

ausgetragen sind. Viele <strong>Zwillinge</strong> erreichen diese Schwangerschaftsdauer jedoch nicht<br />

und sind auch schon während der Schwangerschaft nicht immer optimal versorgt. Die<br />

Folge ist eine Früh- oder Mangelgeburtlichkeit, die die Anpassung an das Leben außerhalb<br />

der Gebärmutter erschweren kann.<br />

<strong>Zwillinge</strong> sind von solchen Startschwierigkeiten, die für sich genommen keinen<br />

Grund zur Besorgnis darstellen, häufiger betroffen als Einlinge; besonders häufig der<br />

zweite Zwilling. Oft genügt es jedoch schon, wenn das Neugeborene für wenige Minuten<br />

in eine Umgebung mit erhöhter Sauerstoffkonzentration gebracht wird, und schon der<br />

zweite und dritte APGAR-Wert (5 bzw. 10 Minuten nach der Geburt) lassen eine deutliche<br />

Besserung erkennen. Manchmal muss das Kind dann noch eine Zeit lang beobachtet<br />

werden. Längerfristige Behandlungen sind jedoch im Wesentlichen nur bei Frühgeborenen<br />

erforderlich.<br />

52b<br />

bb) Gewichtsdifferenz<br />

aa) Lebensfrische nach der Geburt<br />

Um den Zustand des Neugeborenen nach einem einheitlichen Schema zu erfassen,<br />

wird in allen Kliniken genau eine Minute nach der Geburt der erste von insgesamt drei<br />

sog. APGAR-Tests 1 durchgeführt. Dabei handelt es sich um ein Bewertungsschema<br />

aus fünf Einzelkriterien, die die Lebensfrische eines Neugeborenen unter verschiedenen<br />

Aspekten kennzeichnen. Geprüft werden Atmung, Puls, Muskelspannung, Hautfarbe<br />

und bestimmte Reflexe. Für jedes der fünf Einzelkriterien werden 0 bis 2 Punkte<br />

vergeben, so dass insgesamt maximal 10 Punkte erreicht werden können. Ergebniswerte<br />

unter 8 Punkten bedeuten in der Regel einen Beobachtungsbedarf, Werte unter 5<br />

Punkten einen dringenden Behandlungsbedarf.<br />

Liegen die Werte im unteren Bereich, bezeichnet man diesen Zustand als<br />

„Asphyxie“ (griechisch: „Aufhören des Pulsschlages“). Dieser Oberbegriff steht für<br />

eine Reihe von Merkmalen, die das Neugeborene nach der Geburt nicht als lebensfrisch,<br />

sondern als bedroht erscheinen lassen. Meist handelt es sich dabei um eine<br />

Übersäuerung des Blutes (Azidose), die durch eine verminderte Sauerstoffzufuhr vor<br />

oder während der Geburt verursacht wurde, oder um einen akuten Sauerstoffmangel<br />

(Hypoxie), der im Extremfall bis zum Herz-Kreislauf-Sillstand führen kann.<br />

1 Die Bezeichnung geht zurück auf die Anästhesistin Virginia Apgar, die das Bewertungsschema<br />

1953 erstmals vorschlug.<br />

Vielleicht hat sich auch eine frühere Vermutung des Frauenarztes bestätigt, dass die<br />

Kinder mit einem deutlichen Gewichtsunterschied zur Welt kommen. Sie erscheinen uns<br />

dann sehr ungleich und selbst eineiige <strong>Zwillinge</strong> sind nicht ohne weiteres als solche zu<br />

erkennen. Verantwortlich für solche Wachstumsunterschiede ist fast immer die unterschiedliche<br />

Versorgungslage der Kinder innerhalb der Gebärmutter. Mit der Zeit wächst<br />

sich die Gewichtsdifferenz jedoch wieder aus und die Kinder gleichen sich an.<br />

Größere Gewichtsunterschiede können sich allerdings auch in einer unterschiedlichen<br />

medizinischen Verfassung der Kinder niederschlagen. Das <strong>klein</strong>ere Kind benötigt<br />

vielleicht noch eine besondere medizinische Betreuung, während das größere Kind mit<br />

der Mutter auf der normalen Wöchnerinnenstation verbleiben kann. Unter diesen ungleichen<br />

Bedingungen ist es schwierig, jedem Kind in seiner jeweiligen Situation gerecht zu<br />

werden. Besonders schwierig wird es, wenn die Mutter in einer normalen Geburtsklinik<br />

entbunden hatte und dort mit einem Kind noch untergebracht ist, während das andere<br />

Kind in eine Neugeborenenintensivstation verlegt werden musste. Einlingsmütter könnten<br />

sich um eine möglichst schnelle Entlassung aus der Geburtsklinik bemühen, um ihr<br />

Neugeborenes auf der Intensivstation zu besuchen, zu pflegen und zu stillen. Sie als<br />

Zwillingsmutter sind jedoch noch für ein weiteres Kind verantwortlich, dem es gut täte,<br />

noch einige Tage mit Ihnen auf der Wöchnerinnenstation zu verbringen. Einige Kliniken<br />

bieten in dieser Situation an, die Mutter und das gesunde Kind ebenfalls zu verlegen,<br />

damit die Familie unter einem Dach beisammen ist und das behandlungsbedürftige Kind<br />

regelmäßig von der Mutter besucht werden kann. Andere Kliniken unterstützen zumindest<br />

den Transport von abgepumpter Muttermilch, damit das verlegte Kind damit gefüttert<br />

werden kann. Der elterliche Kontakt zu dem verlegten Kind beschränkt sich dann<br />

jedoch auf den Vater – keine glückliche Situation für die Mutter.


53a<br />

53b<br />

Ein wahrhafter Spagat wird erforderlich, wenn die Mutter und das gesundere<br />

Kind aus dem Krankenhaus bereits entlassen sind, während das andere Kind noch<br />

immer in klinischer Behandlung oder unter klinischer Beobachtung ist. Dann ist man<br />

nämlich mit der Betreuung des gesunden Kindes ganz auf sich gestellt und zusätzlich<br />

ist noch der Haushalt zu versorgen. Wenn außerdem noch das andere Kind in der Klinik<br />

regelmäßig besucht werden soll, lässt sich diese Situation beinahe nur noch meistern,<br />

indem der Partner seinen Jahresurlaub nimmt und mit seiner vollen Zeit und<br />

Kraft der Familie zur Verfügung steht. Bitten Sie auch Freunde und Verwandte oder<br />

vielleicht Ihre Nachbarn um Mithilfe.<br />

Rita Haberkorn 1 beschönigt die verschiedenen Ausgangsbedingungen beider Kinder<br />

zugleich als eine Chance, von Beginn an zu jedem Kind eine eigenständige und<br />

unverwechselbare Beziehung aufzunehmen. Das mag im Kern wohl zutreffen, doch<br />

werden Sie diesen Aspekt frühestens nach einiger Zeit als gewinnbringend für sich<br />

entdecken, wenn sich die Anstrengungen der ersten Wochen in der Rückschau schon<br />

ein wenig verklärt haben.<br />

cc) Frühchen<br />

Die Frage, ob ein Kind als „Frühchen“ zur Welt gekommen ist, kann man aus<br />

zwei Blickwinkeln betrachten: Zum einen nach allgemein formalen Kategorien und<br />

zum anderen anhand des konkreten Gesundheitszustandes und der Behandlungsbedürftigkeit<br />

des einzelnen Kindes.<br />

Nach den formalen Kategorien gilt ein Kind als Frühgeborenes, wenn es vor der<br />

Vollendung der 37. SSW geboren wird. Für rund die Hälfte der <strong>Zwillinge</strong> (52%) trifft<br />

dieses formale Kriterium zu:<br />

Den „Frühgeborenen“ formal gleichgestellt sind<br />

- die sog. „Mangelgeborenen“, die ein Geburtsgewicht von 2.500 Gramm<br />

nicht überschreiten, und<br />

- die „unreif Geborenen“, die noch nicht bis zur Geburtsreife entwickelt sind.<br />

Die meisten Mehrlinge fallen in mindestens eine der formalen Frühgeburts- und<br />

Mangelkategorien und gelten deshalb rechtlich und medizinisch formal als Frühgeborene.<br />

Ein Geburtsgewicht von über 2.500 Gramm – die formale Mangelgeburtsgrenze –<br />

erreicht nicht einmal jedes zweite Zwillingsbaby. Drillinge erreichen selten ein Geburtsgewicht<br />

von 2.000 Gramm oder darüber.<br />

Das sagt inhaltlich über den Gesundheitszustand des einzelnen Kindes jedoch wenig<br />

aus. Denn die formalen Einteilungen beruhen auf einer allgemeinen Empfehlung der<br />

Weltgesundheitsorganisation (WHO), die für Einlinge entwickelt wurde. Sie ist für<br />

Mehrlinge nur bedingt aussagekräftig. Einigkeit besteht zum Beispiel darin, dass die<br />

formale WHO-Grenze für Mangelgeborene (2.500 Gramm) bei Mehrlingen auf 2.400<br />

Gramm oder noch niedriger herabzusetzen ist, da Mehrlinge in dieser Gewichtsklasse<br />

durchweg reifer entwickelt sind als Einlinge mit demselben Geburtsgewicht. Auch die<br />

formale Frühgeburtsgrenze von vollendeten 37 SSW ist für Zwillingsschwangerschaften<br />

nicht ganz sachgerecht, da die optimale Tragzeit einer Zwillingsschwangerschaft von<br />

vornherein nur 38 Wochen beträgt, also zwei Wochen weniger als bei Einlingen.<br />

1 in: <strong>Zwillinge</strong> – Was Eltern und Pädagogen wissen müssen (s. Literaturliste Anhang VI).


54a<br />

Allemal wichtiger als die exakte Austragungsdauer und das Geburtsgewicht sind<br />

der erreichte Reifegrad und die Vitalfunktionen der Kinder. Der Reifegrad (Entwicklungsstand)<br />

von Mehrlingen liegt im allgemeinen deutlich höher als bei Einlingen von<br />

gleicher Austragungsdauer und gleichem Geburtsgewicht. Deshalb müssen selbst<br />

Mehrlinge mit einem Geburtsgewicht unter 2.000 Gramm – einer weiteren kritischen<br />

Grenze – nicht in jedem Fall intensivmedizinisch betreut werden, während dies für<br />

Einlinge derselben Gewichtsklasse fast unumgänglich ist.<br />

Trotz dieser relativierenden Zusammenhänge gehört die Frühchenproblematik zu<br />

den charakteristischen Begleiterscheinungen der Mehrlingsschwangerschaft. Viele<br />

Kinder müssen nach der Geburt noch beobachtet oder behandelt werden. Welche Maßnahmen<br />

im Einzelnen erforderlich sind, richtet sich nach dem jeweils erreichten Reifegrad<br />

der Kinder.<br />

aaa) Wärmebett, Inkubator<br />

Leichtgewichtige Kinder verfügen unter der Haut nicht über so viele Fettreserven<br />

wie Kinder mit normalem Geburtsgewicht. Daher fällt es ihnen in den ersten Lebenstagen<br />

schwerer, die eigene Körpertemperatur konstant zu halten, und sie verbrauchen<br />

hierfür übermäßig viel Körperenergie. Um das Kind bei der Aufrechterhaltung der<br />

Körpertemperatur zu unterstützen und die kindlichen Energiereserven zu schonen,<br />

wird im Wärmebett Energie von außen zugeführt. Das Wärmebett ist ein zu den Seiten<br />

hin umrandetes Kinderbett mit einer elektrisch beheizbaren Matratze. Kinder, die im<br />

Wärmebett liegen, geben weniger Wärmeenergie nach außen ab als Kinder in normalen<br />

Betten. Mehrlinge werden meistens gemeinsam in ein Wärmebett gelegt, damit sie<br />

die Nähe ihrer Geschwister spüren. Die Stimulation durch die Bewegungsanreize des<br />

anderen Kindes fördert erwiesenermaßen die weitere Entwicklung. Deshalb wird der<br />

andere Zwilling manchmal auch nur zum Zwecke der „Gesellschaft“ dazu gelegt, obwohl<br />

er selbst gar nicht auf das Wärmebett angewiesen wäre.<br />

Eine noch gleichmäßigere Wärmeumgebung lässt sich mit dem Inkubator herstellen.<br />

Der Inkubator (Volksmund: „Brutkasten“) ist ein nach allen Seiten und auch nach<br />

oben hin umschlossener Raum aus Glas- oder Plexiglaswänden. Er verfügt über eine<br />

eigene Luftzufuhr, mit der sich das Raumklima nach Temperatur, Luftfeuchtigkeit,<br />

Sauerstoffkonzentration usw. gradgenau einstellen lässt, um dadurch optimale Umweltbedingungen<br />

für das Kind herzustellen.<br />

bbb) Gewichtsverlust, Zufüttern<br />

In den ersten Lebenstagen nehmen Neugeborene normalerweise keine nennenswerten<br />

Mengen an Nahrung zu sich, denn die mütterliche Brust beginnt erst allmählich mit<br />

der Milchproduktion. Zunächst kommen wenige Tropfen Vormilch und erst nach einigen<br />

Tagen fließt die reife Muttermilch. Man sagt: die Milch „schießt ein“. Angestoßen wird<br />

die Milchproduktion durch die hormonellen Veränderungen bei der Geburt sowie durch<br />

die ersten Saugversuche der Neugeborenen, die an der Brustwarze einen Reflex auslösen,<br />

der die Milchbildung stimuliert.<br />

Normal entwickelte Neugeborene können diese ersten Tage ohne Nahrungsaufnahme<br />

gut überstehen und nehmen während dieser Zeit bis zu zehn Prozent ihres Geburtsgewichtes<br />

ab. Bei besonders leichtgewichtigen Neugeborenen möchte man den Gewichtsverlust<br />

jedoch vermeiden und möglichst bald eine Zunahme der Körpermasse<br />

erreichen, da diese Kinder über nicht so viele Energie- und Fettreserven verfügen. Sie<br />

werden daher zum Teil bereits unmittelbar nach der Geburt mit handelsüblicher Babynahrung<br />

(hypoallergener Anfangsnahrung) zugefüttert. Ganz verhindern lässt sich die<br />

Gewichtsabnahme allerdings nicht, weil der kindliche Körper noch nicht darauf eingerichtet<br />

ist, größere Nahrungsmengen in Körperenergie umzusetzen.<br />

Bei sehr <strong>klein</strong>en Frühgeborenen kann die Messung des Körpergewichtes außerdem<br />

noch durch Wassereinlagerungen verfälscht sein. Die Wassereinlagerungen erhöhen das<br />

gemessene Körpergewicht, obwohl sie weder zur Körpermuskulatur noch zu den Fettund<br />

Energiereserven beitragen. Eine Gewichtsabnahme von bis zu 20% nach der Geburt<br />

bedeutet daher bei sehr <strong>klein</strong>en Frühgeborenen oft nur den Verlust des eingelagerten<br />

Wassers, was nicht bedrohlich ist, sondern die weitere Entwicklung und Behandlung<br />

sogar eher noch erleichtert.<br />

Manchmal ist das Zufüttern mit einer Traubenzuckerlösung (Glukose) oder Babynahrung<br />

auch deshalb erforderlich, weil der Blutzuckerwert des Neugeborenen zu stark<br />

abfällt. Besonders leichte (und interessanterweise auch besonders schwere) Neugeborene<br />

sind dafür außerordentlich anfällig. Bei diesen Kindern wird der Blutzuckerwert daher<br />

bereits im Kreißsaal und meist auch danach noch überprüft. Der Abfall des Blutzuckerwertes<br />

ist aber nicht zu verwechseln mit einer „echten“ Zuckerkrankheit, da sie nur in<br />

den ersten Tagen nach der Geburt auftritt und sich der Blutzuckerwert danach von selbst<br />

reguliert.<br />

54b


55a<br />

Wenn das Kind später noch gestillt werden soll, sollte man beim Zufüttern kein<br />

Fläschchen benutzen. Denn durch den Sauger eines Fläschchens würde das Kind viel<br />

zu leicht an die Nahrung gelangen. Von Natur aus verfügen Babys über einen angeborenen<br />

Saugreflex, der sie dazu veranlasst, angestrengt an der Brust zu saugen, um den<br />

Milchfluss in Gang zu setzen. Wenn das Baby aber die Erfahrung macht, dass die<br />

Nahrung bereits fließt, wenn man nur leicht an der Flasche nuckelt, so verliert sich<br />

innerhalb kurzer Zeit der angeborene Saugreflex und das Kind ist nicht mehr in der<br />

Lage, kräftig an der mütterlichen Brust zu saugen. Dieser Effekt wird als „Saugverwirrung“<br />

oder „Stillverwirrung“ bezeichnet und führt dazu, dass das Kind später nur noch<br />

mit großen Schwierigkeiten gestillt werden kann.<br />

Um eine Saugverwirrung zu vermeiden, führt man die Nahrung mit der Finger-<br />

Feeding-Methode zu („Finger-Fütterung“). Dabei hält man gleichzeitig einen Finger in<br />

den Mund des Kindes wie auch einen dünnen Silikonschlauch, der an eine mit Nahrung<br />

gefüllte Einmalspritze angeschlossen ist. Immer wenn das Kind stark an dem<br />

Finger saugt (und nur dann!), befördert man mit der Spritze etwas Nahrung durch den<br />

Schlauch in den Mund des Kindes. Dadurch erhält sich bei dem Kind das Bewusstsein<br />

um den Zusammenhang zwischen kräftigem Saugen und Nahrungszufluss, so dass das<br />

Kind später noch erfolgreich an die Brust angelegt werden kann. Neben der Finger-<br />

Feeding-Methode gibt es noch weitere Techniken zur Vermeidung einer Saugverwirrung,<br />

z.B. Löffelfütterung, Becherfütterung, Brusternährungsset usw. Jedoch dürfte die<br />

Finger-Feeding-Methode am effektivsten sein, weil man den Milchfluss genau auf die<br />

am Finger verspürte „Saugleistung“ des Kindes abstimmen kann. Sogar längere Zeiträume<br />

lassen sich mit dieser Methode gut überbrücken. In unserer eigenen Familie<br />

konnte der <strong>klein</strong>ere Zwilling noch nach einem Finger-Feeding von sechs Wochen(!)<br />

zum ersten Mal erfolgreich an die Brust angelegt werden und wurde danach sechs<br />

Monate lang voll gestillt.<br />

Kinder, die zu schwach sind, jegliche Nahrung selbständig aufzunehmen, müssen<br />

allerdings vorübergehend mit einer Magensonde künstlich ernährt werden. Auch über<br />

die Magensonde, die meist durch die Nase eingeführt wird, kann man Muttermilch<br />

verfüttern. Je nach Dauer der Ernährung über die Magensonde kann das Stillen auch<br />

danach noch gelingen. In der Übergangszeit ist es möglich, eine Nahrungssonde so an<br />

der Brust zu befestigen, dass das Kind an der Brust saugen lernt, jedoch gleichzeitig<br />

über die Sonde seine Nahrung bezieht (sog. „Zufüttern an der Brust“).<br />

ccc) Sehr <strong>klein</strong>e Frühgeborene<br />

Alle bis hierhin genannten Maßnahmen können prinzipiell in den meisten Geburtskliniken<br />

durchgeführt werden. Eine Verlegung der Kinder auf eine spezielle Neugeborenenintensivstation<br />

ist nur erforderlich, wenn sich der Zustand verschlechtert oder wenn<br />

die Klinik personell oder nach ihrer Sachausstattung nicht darauf eingerichtet ist, die<br />

notwendige Versorgung dauerhaft aufrecht zu erhalten.<br />

Allerdings muss man bei höhergradigen Mehrlingen sowie bei Komplikationen in<br />

der Zwillingsschwangerschaft auch damit rechnen, dass die Kinder bereits weit vor Ablauf<br />

der normalen Austragungsdauer geboren werden und dann sehr <strong>klein</strong> sind. Diese<br />

Kinder müssen in einer Neugeborenenintensivstation medizinisch betreut werden. Mit<br />

den dadurch aufgeworfenen Sonderfragen befassen wir uns gezielt noch einmal im fünften<br />

Kapitel am Ende dieses Buches.<br />

3. Stillen<br />

a) Stillen von Mehrlingen<br />

„Kann man <strong>Zwillinge</strong> überhaupt stillen Reicht die Milch denn dafür aus“ – So<br />

lauten häufig gestellte Fragen, die zugleich das uns eingeprägte Misstrauen gegenüber<br />

Urfunktionen einfachster Naturmechanismen offenbaren. Natürlich kann man <strong>Zwillinge</strong><br />

stillen und die Milch reicht auch dafür aus. Die Brust ist einem ausgeklügelten System<br />

von Angebot und Nachfrage unterworfen und passt die Milchproduktion dem jeweiligen<br />

Bedarf an. Wenn die Milch bei einer Stillmahlzeit einmal nicht ausreicht, interpretiert<br />

der mütterliche Organismus das weitere Saugen an der leeren Brust als eine Aufforderung,<br />

die Milchproduktion zu erhöhen. Wenn umgekehrt die Brust nicht leer getrunken<br />

wird, so produziert sie beim nächsten Mal weniger Milch. Es ist also immer so viel<br />

Milch in den Brüsten vorhanden, wie tatsächlich benötigt wird. Daher sind die Brüste<br />

auch ohne weiteres in der Lage, <strong>Zwillinge</strong> zu versorgen: Der Saugreiz beider Kinder<br />

bewirkt automatisch eine entsprechend erhöhte Milchproduktion.<br />

Das Stillen von <strong>Zwillinge</strong>n ist aber nicht nur möglich, es ist zu deren Gesundheit<br />

auch sehr wichtig. Muttermilch ist die beste Nahrung für Neugeborene, weil sie den<br />

Immunschutz der Kinder aufbauen hilft, optimal verdaut werden kann und eine minimale<br />

Stoffwechselbelastung darstellt. Mit diesen Eigenschaften kann sie durch keine künstli-<br />

55b


56a<br />

che Nahrung gleichwertig ersetzt werden. Das ist allgemein anerkannt und es ist den<br />

Herstellern von Babynahrung sogar verboten, ihre eigenen Produkte als gleichwertig<br />

oder höher anzupreisen als die Muttermilch. Kinder, die nicht gestillt werden, sind<br />

allgemein krankheits- und allergieanfälliger. <strong>Zwillinge</strong> haben das Stillen allein schon<br />

wegen ihres geringeren Geburtsgewichtes besonders nötig. Aufgrund ihrer Kleinheit<br />

sind sie von Natur aus anfälliger für Infektionen und verfügen zugleich über weniger<br />

Körperreserven, um diese zu verkraften. <strong>Zwillinge</strong> sind auch nach der Geburt noch<br />

einem höheren Risiko ausgesetzt als Einlinge. Deshalb ist es für sie besonders wichtig,<br />

ihr Immunsystem mit den Abwehrstoffen der Muttermilch zu stärken. Und nicht zuletzt<br />

tun Sie auch für sich selbst etwas Gutes: Durch Stillen reduzieren Sie sowohl Ihr<br />

späteres Brustkrebsrisiko als auch die Wahrscheinlichkeit einer Altersdiabetes.<br />

Unbestritten ist das Stillen von <strong>Zwillinge</strong>n allerdings zum einen aufwendiger als<br />

das Stillen von Einlingen und zum anderen auch momentan eine größere körperliche<br />

Belastung für die Mutter. Als stillende Mutter sollten Sie sich gesund und vitaminreich<br />

ernähren, da ein erheblicher Teil der aufgenommenen Nahrung in die Bildung von<br />

Muttermilch umgesetzt wird und Ihnen selbst sonst die Nährstoffe und Vitamine fehlen.<br />

Auch der Kalorienbedarf steigt pro Kind um bis zu 1/3 an, weshalb Diäten zur<br />

Gewichtsabnahme in der Stillzeit nicht angebracht sind. Außerdem sollten Sie auf<br />

ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten: Trinken Sie, wann immer Sie Durst haben,<br />

und stellen Sie sich auch beim Stillen immer ein Glas zu trinken bereit. Spezielle Stilltees,<br />

die Sie in der Apotheke oder in Naturkostläden bekommen, regen die Milchbildung<br />

sogar noch besonders an.<br />

aa) Parallele Stillzeiten einstellen<br />

Wenn die Kinder zu unterschiedlichen Zeiten kommen, so ist dies ein Missstand,<br />

den Sie zu Ihrem eigenen Schutz möglichst schnell abstellen sollten. Wenn ein Zwilling<br />

hungrig ist, während der andere noch schläft, so halten Sie den ersten noch eine<br />

Weile hin und wecken Sie den anderen behutsam, um dann beide gleichzeitig bzw.<br />

kurz hintereinander zu stillen. So stellen sich im Lauf der Zeit parallele Stillzeiten ein.<br />

Machen Sie sich kein schlechtes Gewissen, wenn Sie in Stillfibeln lesen, dass Kinder<br />

besser trinken würden, wenn sie von sich aus kommen. Das stimmt zwar an sich und<br />

man sollte das Wecken der Kinder deshalb auch nicht zur Gewohnheit machen. Doch<br />

wenn es um die Angleichung der Stillzeiten geht, sind Sie als Zwillingseltern in einer<br />

besonderen Situation. Es entspricht Ihrer Verantwortung gegenüber sich selbst und den<br />

Kindern, dafür zu sorgen, dass Sie zur Nachtzeit wenigstens ein Minimum an durchgehendem<br />

Schlaf bekommen. Ihr Körper ist dringend darauf angewiesen. Kein Elternteil<br />

ist über eine längere Zeitdauer in der Lage, alle anderthalb Stunden aufzustehen, um<br />

jeweils einen der beiden <strong>Zwillinge</strong> zu stillen und zu wickeln. Wenn es Ihnen nicht gelingt,<br />

die Stillzeiten der Kinder anzugleichen, um dann beide Kinder gleichzeitig bzw.<br />

unmittelbar hintereinander zu versorgen und Ihre eigenen Schlafphasen damit auf wenigstens<br />

drei Stunden auszudehnen, so fehlt Ihnen sehr bald die körperliche und psychische<br />

Kraft, den Anforderungen des Elternalltags gerecht zu werden, worunter alle Familienmitglieder<br />

zu leiden hätten. Nur ganz ausnahmsweise sollte man daher auf zeitversetzte<br />

Stillzeiten Rücksicht nehmen, z.B. wenn ein Kind erkrankt ist.<br />

bb) Gleichzeitig an beiden Brüsten stillen<br />

Für <strong>Zwillinge</strong> gibt es verschiedene Stilltechniken. Grundsätzlich besteht die Möglichkeit,<br />

<strong>Zwillinge</strong> entweder gleichzeitig an beiden Brüsten oder nacheinander zu stillen.<br />

Gleichzeitiges Stillen hat – neben der Zeitersparnis – vor allem den Vorteil, dass noch<br />

mehr von den Hormonen Prolaktin und Oxytocin freigesetzt werden, die bei der Mutter<br />

die Milchbildung und den Milchspendereflex auslösen. Es bedarf jedoch ein wenig Ü-<br />

bung, um beide Kinder in die richtige Position zu bringen. Außerdem sind solche Stillpositionen<br />

nicht möglich, bei denen sich die Kinder ins Gehege kommen. Fast immer ist<br />

auch eine weitere Hilfsperson erforderlich, die die Kinder anreicht und abnimmt. Aus<br />

diesen Gründen entscheiden sich die meisten Frauen dafür, nacheinander zu stillen, was<br />

außerdem für diesen Moment einen intensiveren Kontakt zu dem einzelnen Kind ermöglicht.<br />

Wenn man die Kinder nacheinander stillt, darf man dem ersten Kind nur eine Brust<br />

geben und muss die zweite Brust komplett für den zweiten Zwilling lassen. Denn im<br />

Laufe einer Stillmahlzeit ändert sich die Milch in ihrer Zusammensetzung. Zu Beginn<br />

bildet die Brust eine dünnflüssige Milch, die den Durst des Kindes stillen soll (sog.<br />

„Vordermilch“). Erst danach wird die Milch sämiger und enthält nun die Nährstoffe, die<br />

das Kind sättigen (sog. „Hintermilch“). Würden Sie dem ersten Kind beide Brüste geben,<br />

bekäme es von beiden Brüsten nur die dünnflüssige Vordermilch, während für den<br />

zweiten Zwilling aus beiden Brüsten nur noch die nährstoffreiche Hintermilch übrig<br />

wäre, die jedoch seinen Durst nicht löscht. Jeder Zwilling muss daher zunächst die<br />

Chance bekommen, an einer „frischen“ Brust zu saugen, um etwas von der dünnflüssigeren<br />

Milch für den Durst abzubekommen. Nur wenn ein Kind schon satt ist und das ande-<br />

56b


57a<br />

re noch Hunger hat, obwohl seine Brust schon leer ist, dürfen Sie ihm die „Reste“ aus<br />

der anderen Brust noch anbieten.<br />

cc) Jedes Kind stets an dieselbe Brust<br />

Entweder kann man jedem Kind immer dieselbe Brust geben, oder man kann die<br />

Seiten in einem bestimmten Turnus wechseln – z.B. bei jeder neuen Mahlzeit oder<br />

aber im Tagesrhythmus. Was besser ist, ist eine Frage des Einzelfalls. Sind beide<br />

Brüste gleich produktiv und saugen beide Kinder etwa gleich stark, so kann man gut<br />

jedem Kind seine eigene Brust dauerhaft zuteilen. Jede Brust kann dann die Milchproduktion<br />

den jeweiligen Bedürfnissen des ihr zugeordneten Kindes anpassen. Saugen<br />

beide Kinder jedoch unterschiedlich stark, vor allem bei erheblichen Gewichtsunterschieden<br />

der Kinder, kann es sich empfehlen, die Seiten regelmäßig zu wechseln,<br />

damit das stärker saugende Kind beide Seiten gleichmäßig zur Milchproduktion anregt.<br />

Wie gesagt soll der Seitenwechsel allerdings nicht während einer Stillmahlzeit<br />

durchgeführt werden, sondern immer erst mit dem Beginn einer neuen Mahlzeit.<br />

Produzieren die Brüste unterschiedlich viel Milch, kann man wie folgt verfahren:<br />

Zunächst lässt man den schwächeren Zwilling an der produktiveren und leichtgängigen<br />

Brust trinken. Wenn dieses Kind satt ist, lässt man den stärkeren Zwilling zunächst<br />

an der anderen, schwergängigen Brust trinken und legt ihn danach, wenn diese<br />

leergetrunken ist, zusätzlich noch einmal an die andere Brust an, an der der schwächere<br />

Zwilling zuerst getrunken hatte. So erhält der schwächere Zwilling immer die bestmögliche<br />

Versorgung aus der leichtgängigen Brust und gleichzeitig ist gewährleistet,<br />

dass beide Brüste vollständig geleert und mit dem stärkeren Saugreiz des kräftigeren<br />

Zwillings angeregt sind.<br />

Es verbietet sich hier allerdings jeder schematische Ratschlag, der nicht auch auf<br />

Ihre individuelle Situation eingeht. Probieren Sie selbst aus, welches Kind an welcher<br />

Seite den besten Erfolg erzielt, und ob Ihre Kinder oder Sie selbst von einem gelegentlichen<br />

Seitenwechsel profitieren. Wenn Sie einen Rhythmus gefunden haben, mit dem<br />

beide Kinder und Sie selbst gut zurechtkommen, so lassen Sie sich von niemandem<br />

und von keiner gut gemeinten Stillanleitung ohne zwingenden Grund überreden, an<br />

Ihren eingespielten Gewohnheiten etwas zu ändern.<br />

dd) Wunde Brustwarzen<br />

Wenn Sie Ihre <strong>Zwillinge</strong> stillen, so ist die mechanische Beanspruchung Ihrer<br />

Brustwarzen besonders hoch, weil zwei Kinder doppelt soviel saugen wie eines. Entsprechend<br />

steigt die Gefahr, dass die Brustwarzen wund werden. Wunde oder rissige<br />

Brustwarzen treten vor allem auf, wenn die Kinder falsch angelegt werden. Die Brust<br />

muss immer genügend weit in den Mund des Kindes eingeführt werden, damit das Kind<br />

nicht nur an der Warze nuckelt, sondern an der Brust selbst. Das ist bei <strong>Zwillinge</strong>n nicht<br />

immer ganz einfach, weil ihre Münder manchmal noch zu <strong>klein</strong> sind, um den ganzen<br />

Brustansatz (Warzenhof) zu umschließen. Beim Entfernen des Kindes von der Brust<br />

muss sein Mund immer erst von der Seite mit einem <strong>klein</strong>en Finger geöffnet werden,<br />

damit sich der Unterdruck löst und das Kind beim Ablegen nicht an der Brustwarze<br />

zieht. Wenn man diese Regeln beachtet, kann man wunde Brustwarzen weitgehend vermeiden.<br />

Schonen Sie die Brustwarzen auch dadurch, dass Sie das Stillen pro Kind in der<br />

ersten Zeit nicht über 10 Minuten hinaus ausdehnen. Nach dieser Dauer hat das Kind<br />

seinen Durst und Hunger gestillt. Wenn das Kind dennoch weiter saugt, nuckelt es nur<br />

noch an Ihrer Brust wie an einem Schnuller, ohne dabei jedoch weitere Nahrung zu sich<br />

zu nehmen.<br />

Wunde Brustwarzen können mit lanolinhaltigen Cremes leicht behandelt werden.<br />

Wenn Sie die wunden Brüste beim Stillen schmerzen, sollten Sie auch einen Wechsel<br />

der Stillposition erwägen. Oft lässt sich die Reizung dadurch auf eine andere, bisher<br />

nicht so beanspruchte Stelle verlagern. Die Brustwarze wird immer dort am stärksten<br />

gereizt, wo der Unterkiefer des Kindes liegt.<br />

ee) Wachstumsschübe<br />

Während der Stillphase bekommen die Kinder dreimal einen Wachstumsschub, für<br />

den sie von einem auf den anderen Tag erheblich mehr Milch benötigen als zuvor. Der<br />

erste Wachstumsschub liegt etwa am zehnten Lebenstag, der zweite Wachstumsschub in<br />

der sechsten Lebenswoche und der dritte Wachstumsschub im dritten oder vierten Lebensmonat.<br />

Auf den plötzlichen Mehrbedarf muss sich die Brust erst einstellen, so dass<br />

für eine kurze Übergangszeit etwas häufiger gestillt werden muss als gewöhnlich (etwa<br />

alle ein bis zwei Stunden). Nach zwei bis drei Tagen haben sich die Brüste an die neue<br />

Situation angepasst und ihre Produktion erhöht, so dass sich die normalen Stillzeiten<br />

wieder einstellen. Auch diese Phase ist ganz normal und trifft ebenso jede Einlingsmut-<br />

57b


58a<br />

ter. Sie ist kein Anlass für ein Zufüttern – im Gegenteil: jedes Zufüttern stört das Zusammenspiel<br />

von Angebot und Nachfrage. Der wachstumsbedingte Mehrbedarf sollte<br />

nicht dahingehend missverstanden werden, dass die Milch jetzt „für die <strong>Zwillinge</strong><br />

nicht mehr reicht“. Wenn Sie dennoch Bedenken haben, ob die Milch noch für die<br />

Versorgung Ihrer Kinder ausreicht, sollten Sie mit dem Kinderarzt, der Hebamme oder<br />

einer Stillberaterin darüber sprechen.<br />

ff) Stillberatung<br />

Überhaupt ist das „A und O“ des erfolgreichen Stillens von <strong>Zwillinge</strong>n eine qualifizierte<br />

praktische Stillanleitung, die durch kein Buch, auch nicht mit noch so detailgetreuen<br />

Abbildungen, ersetzt werden kann. Zu einer solchen Stillberatung führen verschiedene<br />

Wege:<br />

Die erste Anleitung zum Stillen erhalten Sie in der Geburtsklinik, in der Sie entbunden<br />

haben. In einem stillfreundlichen Krankenhaus wird man Ihnen die für Sie<br />

geeigneten Stillpositionen zeigen. Sie erlernen dort die notwendigen Handgriffe und<br />

Sie werden angeleitet, auf welche Einzelheiten Sie achten müssen.<br />

Allerdings bestehen in den einzelnen Kliniken große Unterschiede, was die Qualität<br />

der Stillberatung und das diesbezügliche Engagement der Schwestern und Hebammen<br />

betrifft. Das liegt nicht nur an den Schwestern und Hebammen selbst, sondern vor<br />

allem an den Vorgaben der Klinikleitung. Denn von dort müssen nicht nur die entsprechenden<br />

Fortbildungen ermöglicht, sondern auch die Zeiten der Stillberatung in den<br />

Dienstplan eingestellt werden, was konkret bedeutet, dass die dafür zuständigen Personen<br />

während der Stillberatung von den übrigen Tätigkeiten freizustellen sind. Eine<br />

gute Stillberatung erweist sich für die Klinik als ein nicht unerheblicher Kostenfaktor,<br />

dem kein unmittelbares Äquivalent auf der Einnahmenseite gegenübersteht. Da nicht<br />

alle Kliniken zu diesen Ausgaben bereit sind, fällt die Stillberatung und –begleitung in<br />

der Praxis oft dürftig aus. Da passiert es dann schnell, dass niemand gerade Zeit hat,<br />

dass keine ausgereiften Konzepte bei der Hand sind und bei <strong>klein</strong>sten Schwierigkeiten<br />

gleich zum Abstillen geraten wird.<br />

Der eigene Stillerfolg hängt deshalb stark von der Auswahl der Geburtsklinik ab.<br />

Besonders qualifizierte Beratung und Hilfestellung können Sie dort erwarten, wo eine<br />

spezielle Stillberaterin sich für Sie Zeit nimmt oder sogar eine professionell ausgebildete<br />

Laktationsberaterin beschäftigt ist. Letztere verfügen über ein IBCLC-Examen,<br />

welches nur von Personen mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung im medizinischsozialen<br />

Bereich und hinreichender Praxiserfahrung in der Stillberatung erworben werden<br />

kann. Damit setzt das IBCLC-Examen einen Qualitätsstandard, der eine sachkundige<br />

Beratung garantiert. Da Sie als Zwillingsmutter beim Stillen von vornherein einen Sonderfall<br />

darstellen, kann Ihnen eine solche besondere Sachkunde sehr zugute kommen.<br />

Auch nach der Entlassung aus der Geburtsklinik können Sie noch auf die Hilfe einer<br />

Laktationsberaterin zurückgreifen, denn viele von ihnen sind auch freiberuflich tätig.<br />

Die Anschrift der nächst erreichbaren Laktationsberaterin kann beim Bund Deutscher<br />

Laktationsberater e.V. erfragt werden (Kontaktadresse s. Anhang). Viele Laktationsberaterinnen<br />

bieten neben regelmäßigen Stilltreffen auch individuelle Hausbesuche an, die<br />

freilich nicht kostenlos sind. Da erst wenige Krankenkassen bereit sind, diese Kosten zu<br />

übernehmen, muss man sie im Zweifel selbst tragen. Wenn Ihnen das Stillen etwas Wert<br />

ist, handelt es sich auf jeden Fall um eine sinnvolle und gut angelegte Ausgabe.<br />

Ansonsten sind die Nachsorgehebammen nach der Entlassung aus der Klinik dafür<br />

zuständig, sich um eventuelle Stillprobleme zu kümmern. Nicht alle Nachsorgehebammen<br />

sind jedoch mit den Besonderheiten des Stillens von <strong>Zwillinge</strong>n eng vertraut.<br />

Einige weitere Gruppierungen, wie z.B. die La Leche Liga oder der Arbeitskreis<br />

Freier Stillgruppen, fördern das Stillen aus privater Initiative und bieten neben Stillgruppen<br />

und Broschüren auch persönliche Beratung an – zum Teil allerdings nur telefonisch.<br />

Abgesehen davon, dass einer telefonischen Beratung schon durch das Übertragungsmedium<br />

naheliegende Grenzen gesetzt sind, hängt die fachliche Qualität dieser<br />

Beratung in hohem Maße von der persönlichen Erfahrung der jeweiligen Beraterin ab.<br />

Die Beratung ist im Allgemeinen durchaus eine gute Hilfe im Zusammenhang mit häufig<br />

auftretenden Fragen wie z.B. der Heilung von wunden Brustwarzen, sinnvoller Dauer<br />

und Häufigkeit der Stillzeiten, rechtem Zeitpunkt für die Einführung von Beikost, Problemen<br />

des Abstillens usw. Nicht alle Beraterinnen haben jedoch nennenswerte Erfahrungen<br />

mit dem Stillen von <strong>Zwillinge</strong>n und sind mit den sich hieraus speziell ergebenden<br />

Fragen, insbesondere mit praktischer Stillanleitung, manchmal überfordert. Die Stillgruppe<br />

als solche ist aber gleichwohl auch für Zwillingseltern eine sinnvolle Einrichtung,<br />

weil <strong>Zwillinge</strong> zu haben ja nicht bedeutet, vor den Stillproblemen der Einlingseltern<br />

gefeit zu sein und von deren Erfahrungen und Erfolgsrezepten nicht auch profitieren<br />

zu können. Abgesehen davon tut es manchmal gut zu wissen, dass es in der Welt des<br />

Stillens noch manch andere Probleme gibt, von denen man selbst einmal nicht betroffen<br />

ist.<br />

58b


59a<br />

Vereinzelt haben Zwillingsmütter auch ihre eigenen Stillerfahrungen niedergeschrieben,<br />

um anderen Müttern Mut zu machen und noch ein paar Tipps mitzugeben;<br />

vgl. zum Beispiel www.sc-bertsch.de/stefanie.<br />

gg) Stillen von Drillingen und Vierlingen<br />

Der Mechanismus der erhöhten Milchproduktion aufgrund des stärker angeregten<br />

Milchfluss-Reflexes funktioniert in den allermeisten Fällen auch noch bei Drillingen,<br />

so dass auch diese grundsätzlich voll gestillt werden können. Hier stellt sich natürlich<br />

unter einem ganz anderen Aspekt die Frage der Handhabung, da nämlich eine Brust<br />

weniger vorhanden ist als Kinder daran trinken wollen, und es kann nur individuelle<br />

Lösungen geben. Eine Drillingsmutter hat z.B. mit Erfolg zunächst den Schwächsten<br />

an der ersten Brust gestillt, dann ein anderes Geschwister an der zweiten Brust, und<br />

darauffolgend in einem „zweiten Durchgang“ das dritte Kind zunächst an der ersten<br />

und dann an der zweiten Brust. Sie hat dabei die Erfahrung gemacht, dass ihre Brüste<br />

sich auf diese Prozedur einstellten und das zuletzt gestillte Kind bei jeder Brust einen<br />

regelrechten zweiten Milchfluss-Reflex auslöste, so dass auch dieses noch einmal in<br />

den Genuss von durstlöschender und sättigender Milch kam.<br />

Eine andere Drillingsmutter hat einem Kind die linke, einem die rechte Brust gegeben<br />

und dem dritten die Flasche; das Ganze in einem dauernden Rotationssystem, so<br />

dass jedes Kind im Wechsel zweimal die Brust und einmal die Flasche bekam. Glücklicherweise<br />

kam es bei keinem Kind zu einer Saugverwirrung.<br />

Das Mehrlingsbuch von Elisabeth Bryan berichtet von einer Drillingsmutter, die<br />

zwei Kinder an ihren Brüsten gestillt und zwischen den Stillmahlzeiten dann noch<br />

einmal abgepumpt hat, um damit bei der nächsten Mahlzeit das dritte Kind zu füttern.<br />

Diese Prozedur erfordert natürlich einen enormen Zeitaufwand und eine bewundernswerte<br />

Energie der Mutter.<br />

Ebenso denkbar wäre es, die vorhandene Milch abzupumpen, auf alle drei Kinder<br />

zu verteilen und anschließend mit handelsüblicher Babynahrung nachzufüttern. Allerdings<br />

sind Brüste, an denen die Kinder unmittelbar saugen, weitaus produktiver als<br />

künstlich abgepumpte Brüste, weil die Saugbewegung der Kinder durch eine mechanische<br />

Milchpumpe nicht vollständig simuliert werden kann. Aus dem selben Grund<br />

lässt sich der Milchfluss allein mit einer Milchpumpe auch nicht über einen sehr langen<br />

Zeitraum aufrecht erhalten, so dass der als Dauerlösung gedachte Griff zur Milchpumpe<br />

in den meisten Fällen zugleich ein Abstillen auf Raten bedeutet.<br />

Bei Vierlingen und noch höhergradigen Mehrlingen erreicht der Milchbedarf der<br />

Kinder allerdings im Laufe der Zeit eine Größenordnung, die von den Brüsten nicht<br />

ohne weiteres mehr bewältigt werden kann. Das heißt aber nicht, dass man auf Stillen<br />

ganz verzichten muss. Zunächst kann man die Neugeborenen ohne weiteres mit Muttermilch<br />

versorgen, da in der Anfangszeit schon wenige Milliliter genügen. Gerade die<br />

gelbliche Vormilch, das Kolostrum, enthält besonders viele Abwehrstoffe und sollte<br />

daher allen Kindern zugute kommen, auch wenn es sich scheinbar nur um einen verschwindend<br />

<strong>klein</strong>en Tropfen handelt. Denn das kindliche Immunsystem ist in der Lage,<br />

mithilfe der einmal zugeführten Abwehrstoffe eigene Antikörper zu bilden und dadurch<br />

einen eigenen Immunschutz selbständig aufzubauen. Dabei kommt es entscheidend darauf<br />

an, dass die Abwehrstoffe überhaupt einmal das Kind erreichen, während die zugeführte<br />

Menge letztlich von untergeordneter Bedeutung ist. In der Folgezeit hängen die<br />

Möglichkeiten des Stillens dann in hohem Maße von der häuslichen Situation und Organisation<br />

ab, bis nach einiger Zeit und laufend steigendem Milchbedarf irgendwann die<br />

Leistungsgrenzen der Brust erreicht sind und man um ein Zufüttern nicht mehr herumkommt.<br />

Was immer Sie ausprobieren: Machen Sie das Stillen nicht zur Qual. So unbestreitbar<br />

gesund das Stillen für die Kinder ist und so sehr es deren körperliche Entwicklung<br />

fördert, ist es für alle Beteiligten auf Dauer nur dann ein Gewinn, wenn auch die Mutter<br />

beim Stillen wirklich zufrieden ist. Eine Mutter muss ihr Kind beim Stillen anlächeln<br />

können!<br />

b) Stillen nach Kaiserschnitt<br />

Auch nach einem Kaiserschnitt ist das Stillen grundsätzlich möglich 1 . Einige Stillpositionen<br />

sind allerdings zu Beginn noch nicht möglich, weil die Schnittwunde Ihnen<br />

Schmerzen bereitet, wenn Sie die Kinder auf Ihrem Bauch ablegen. Für das Stillen nach<br />

einem Kaiserschnitt gibt es deshalb besondere Stillpositionen, die Ihnen in der Klinik<br />

1 s. hierzu die Broschüre „Kaiserschnitt und Stillen“ der Arbeitsgemeinschaft Freier Stillgruppen<br />

e.V.; Bezugsquelle im Anschriftenteil des Anhangs<br />

59b


60a<br />

gezeigt werden. Auch beim Anlegen werden Sie Hilfe brauchen, weil Sie Ihre Bauchmuskeln<br />

noch nicht sofort wieder voll einsetzen können.<br />

c) Milchpumpe<br />

Wenn Ihre Kinder noch zu <strong>klein</strong> sind, um kräftig genug an der Brust zu saugen,<br />

oder wenn ein Kind noch in der Klinik liegt und die Milch dorthin transportiert werden<br />

muss, benötigen Sie eine Milchpumpe, um die Milch abzupumpen. Elektrische Pumpen<br />

für den Heimgebrauch können Sie in einigen Apotheken anmieten; Handpumpen<br />

sind dagegen unbrauchbar. Die meisten Krankenkassen zahlen die Mietkosten, wenn<br />

der Arzt die medizinische Notwendigkeit einer Milchpumpe bescheinigt; trotzdem<br />

empfiehlt es sich, mit der Krankenkasse vorher Rücksprache zu nehmen. Bei der Abholung<br />

der Milchpumpe müssen Sie meistens eine Kaution hinterlegen, die Sie bei<br />

Rückgabe zurück erhalten. Außerdem müssen Sie auf eigene Kosten ein Abpump-Set<br />

für sich kaufen, welches alle Teile enthält, die mit der Milch unmittelbar in Berührung<br />

kommen. Nur wenige Krankenkassen sind bereit, auch diese Kosten zu übernehmen.<br />

Das Abpump-Set gibt es entweder als einfaches Abpump-Set (für eine Brust) oder als<br />

Doppel-Pump-Set, mit dem man beide Brüste gleichzeitig abpumpen kann. Das Doppel-Pump-Set<br />

ist zwar etwas teurer, bedeutet letztlich aber eine erhebliche Zeitersparnis,<br />

zumal die Brüste alle zwei bis drei Stunden abgepumpt werden sollten. Da nämlich<br />

die Pumpe nicht soviel Milch absaugen kann wie ein Kind trinken würde, sollte<br />

man häufiger abpumpen, als die Kinder trinken, um den Milchfluss in Gang zu halten.<br />

Das gilt auch dann, wenn damit letztlich mehr Milch abgepumpt wird, als an die Kinder<br />

später verfüttert werden kann. Wenn Sie nachts aus dem Schlaf aufwachen, sollten<br />

Sie auch diese Gelegenheit zum Abpumpen nutzen. Einen Wecker sollten Sie sich<br />

deswegen allerdings nicht stellen, weil jede (zusätzliche) Schlafunterbrechung auf<br />

Kosten Ihrer eigenen Gesundheit und körperlichen Ausdauer geht.<br />

Beachten Sie unbedingt, dass alle Teile, die mit der Milch in Berührung kommen,<br />

vor dem ersten Gebrauch und nach jedem weiteren Gebrauch gereinigt und ausgekocht<br />

werden müssen, um sie keimfrei zu halten. Füttern Sie die Kinder nach Möglichkeit<br />

nicht mit einem Fläschchen, sondern nach der Finger-Feeding-Methode, damit der<br />

Saugreflex erhalten bleibt (s. oben, Seite 54).<br />

Beginnen Sie mit dem Abpumpen möglichst sofort nach der Geburt, damit die<br />

Milch einschießt. Am Anfang werden Sie nur <strong>klein</strong>ste Mengen auffangen können.<br />

Auch hiervon ist jeder einzelne Tropfen wichtig, weil es sich um die für die Immunabwehr<br />

so wichtige Vormilch handelt. Wenn Sie die Milch transportieren müssen (z.B. in<br />

die Klinik), so achten Sie auf eine ununterbrochene Kühlkette. Verwenden Sie für die<br />

Aufbewahrung möglichst keine Glasbehälter und schütten Sie die Milch möglichst nicht<br />

zwischen verschiedenen Gefäßen um. Bei Kühlschranktemperatur hält sich die Muttermilch<br />

18 bis 24 Stunden.<br />

Auch wenn Ihre Kinder so <strong>klein</strong> sind, dass sie auf der Intensivstation intravenös<br />

(durch einen Infusionsschlauch) ernährt werden müssen, sollten Sie regelmäßig abpumpen,<br />

damit der Milchspendereflex erhalten bleibt. Sie können die Milch dann für eine<br />

gewisse Zeit einfrieren und später an Ihre Kinder verfüttern. Das Einfrieren sollte möglichst<br />

bald nach dem Abpumpen geschehen, um den Anteil der Fremdkeime <strong>klein</strong> zu<br />

halten. Nach dem Auftauen muss die Milch sofort verbraucht werden. Das Auftauen<br />

selbst geschieht am besten in einem nicht zu heißen Wasserbad, keinesfalls jedoch in der<br />

Mikrowelle.<br />

4. Erste Zeit daheim: Hilfe im Haushalt<br />

Wenn Sie und die Kinder aus der Klinik entlassen sind, hat sich Ihr Alltag verändert.<br />

Ihre Kinder werden Ihr Herz erobert haben: der Gesichtsausdruck und jede ihrer<br />

Regungen sind für sich ein großartiges Erlebnis und laden ein, ihnen stundenlang zuzuschauen<br />

und sie zärtlich zu liebkosen. Sie haben wahrhaft doppeltes Glück.<br />

Zugleich werden Sie aber feststellen, dass die Beschäftigung mit den Kindern viel<br />

Zeit einnimmt – allein schon für das Stillen und Wickeln, Waschen und Anziehen. Zur<br />

freien Verfügung verbleiben Ihnen fast nur noch die Schlafzeiten der Kinder. Verbringen<br />

Sie diese Zeit nicht ausschließlich mit Hausarbeit. Versuchen Sie sich Freiräume<br />

schaffen, um selbst einmal aufzuatmen und dem eigenen, oft übernächtigten Körper eine<br />

kurze Ruhe zu gönnen. Nehmen Sie deshalb alle angebotene Hilfe an, die Sie von der<br />

Hausarbeit entlastet. Spannen Sie Großeltern, Tanten und Onkel, Freunde und liebe<br />

Nachbarn für sich ein. Bitten Sie sie, vielleicht einmal Staub zu saugen, eine warme<br />

Mahlzeit mitzubringen oder die Wäsche aufzuhängen. Besuchern, die Ihre Kinder sehen<br />

wollen, können Sie bei der Verabredung gleich eine Einkaufsliste mit auf den Weg geben.<br />

60b


61a<br />

Viele Eltern machen allerdings die Erfahrung, dass diese Freundschaftsdienste<br />

schon nach wenigen Wochen einschlafen und man danach doch auf sich allein gestellt<br />

ist. Bis dahin sind Sie vielleicht schon dazu übergegangen, den Haushalt auf das Wesentliche<br />

zu konzentrieren: nicht jedes Regal muss jede Woche abgestaubt, nicht jedes<br />

Kleidungsstück unbedingt gebügelt werden. Manchmal hilft das Anlegen einer Liste,<br />

die anstehenden Arbeiten strukturierter und effektiver zu erledigen. Auch die Anschaffung<br />

einer Spülmaschine entlastet bei der Hausarbeit.<br />

Einfacher wäre alles natürlich mit einer festen Haushaltshilfe. Unter bestimmten<br />

Umständen finden sich Kostenträger, die eine solche Hilfe zur Verfügung stellen.<br />

Verschiedene Anlaufstellen kommen für eine Anfrage in Betracht.<br />

a) Gesetzliche Krankenkasse<br />

Krankenkassen müssen eine kostenlose Haushaltshilfe gewähren, wenn die dafür<br />

geltenden Anspruchsvoraussetzungen vorliegen. Ein solcher Rechtsanspruch kann sich<br />

entweder unmittelbar aus dem Gesetz ergeben oder aus den Satzungsbestimmungen<br />

der jeweiligen Krankenkasse. Ein gesetzlich festgeschriebener Anspruch, den alle<br />

Krankenkassen erfüllen müssen, besteht jedoch nur dann, wenn sich die den Haushalt<br />

führende Person im Krankenhaus, in einer Reha-Maßnahme, in Kur oder in häuslicher<br />

Krankenpflege befindet – also in Fällen der gesundheitlichen Verhinderung. Darüber<br />

hinaus liegt es im eigenen Ermessen der Krankenkassen, in ihren Satzungsbestimmungen<br />

weitere Fälle festlegen, in denen eine Haushaltshilfe gewährt werden kann. Da die<br />

einzelnen Kassen diesen Handlungsrahmen unterschiedlich ausfüllen, besteht unter<br />

den Krankenkassen eine durchaus unterschiedliche Handhabung.<br />

Einige Satzungen sehen die Möglichkeit vor, innerhalb der ersten sechs Wochen<br />

nach der Geburt eine Haushaltshilfe zu bewilligen – vor allem, wenn die Mutter von<br />

der Geburt noch nicht vollständig erholt ist. Allerdings ist gerade diese erste Phase für<br />

die meisten Familien auch ohne fremde Hilfe noch ganz gut zu bewältigen: Die meisten<br />

Väter nehmen einen Teil ihres Jahresurlaubs, Verwandte und Freunde bieten ihre<br />

Unterstützung an. Erst allmählich ebbt die Hilfsbereitschaft ab, der Vater muss wieder<br />

in seinen Beruf und die Kinderbetreuung liegt von nun an – in den meisten Familien –<br />

allein bei der Mutter. Erst jetzt beginnt die Phase, in der die regelmäßige Unterstützung<br />

durch eine fremde Hilfe eine große Entlastung bedeuten könnte. Viele Familien<br />

wünschten sich daher eine Haushaltshilfe nicht für die ersten sechs Wochen, sondern<br />

eine dauerhafte Hilfe für wenigstens ein halbes oder ein ganzes Jahr – sei es auch nur<br />

mit einer geringen Anzahl an Wochenstunden.<br />

In diesem Punkt reagieren die meisten Krankenkassen jedoch abweisend. Für Zwillingseltern<br />

ist eine dauerhafte Haushaltshilfe praktisch unerreichbar. Selbst Drillingseltern<br />

haben bei den meisten Kassen nur dann eine Chance, wenn entweder noch weitere<br />

(ältere) Kinder zu versorgen sind oder wenn die Mutter durch eine zusätzliche außergewöhnliche<br />

Belastung überfordert ist, zum Beispiel durch die regelmäßige Teilnahme an<br />

einer ärztlich verordneten Krankengymnastik mit einem der Kinder oder an einem Förderkreis<br />

für Frühchen oder durch die ernste Behinderung eines Kindes. Ansonsten wird<br />

eine Haushaltshilfe nur dann gewährt, wenn die häusliche Lage so angespannt ist, dass<br />

der Hausarzt der Mutter einen drohenden Nervenzusammenbruch oder Suizidgefahr<br />

attestiert.<br />

Bei Vierlingen sollte man eigentlich schon deshalb eine großzügige Handhabung<br />

erwarten, weil es davon nicht so viele gibt und die Kosten demzufolge nicht übermäßig<br />

ins Gewicht fallen können. Trotzdem haben uns Vierlingseltern berichtet, dass ihre<br />

Krankenkasse den Wunsch nach einer Haushaltshilfe zurückwies, weil die Schwangerschaft<br />

auf eine Fruchtbarkeitsbehandlung zurückzuführen sei und man seine Lage damit<br />

selbst „verschuldet“ habe.<br />

Wird die Haushaltshilfe gewährt, so muss eine Zuzahlung geleistet werden; sie beträgt<br />

10% der Kosten – mindestens jedoch 5 EUR und höchstens 10 EUR pro Tag. Nach<br />

Erreichen der Belastungsgrenze von 2% des Bruttojahreseinkommens können Sie sich<br />

von der Zuzahlungspflicht befreien lassen.<br />

Besonderheiten bestehen noch für Landwirte. Hier bezeichnet das Gesetz die Mutterschaft<br />

ausdrücklich als einen der Fälle, für die die Satzung eine Haushaltshilfe vorsehen<br />

soll. Das liegt an den besonderen Anforderungen, die die Führung des landwirtschaftlichen<br />

Familienbetriebes traditionell an alle Familienmitglieder einschließlich der<br />

Mutter stellt. Als Mitglied einer landwirtschaftlichen Krankenkasse sollten Sie sich<br />

daher auch dann nach den für Sie geltenden Anspruchsvoraussetzungen erkundigen,<br />

wenn Sie „nur“ <strong>Zwillinge</strong> haben. Neben der landwirtschaftlichen Krankenkasse kennt<br />

außerdem auch die landwirtschaftliche Rentenversicherung einen Anspruch auf Betriebs-<br />

und Haushaltshilfe, jedoch nur bis zu 12 Wochen nach der Geburt und nur dann,<br />

wenn die Krankenkasse die Hilfe nicht gewährt. Erkundigen Sie sich bei Ihrer landwirtschaftlichen<br />

Rentenversicherung nach den derzeit gültigen Bewilligungsrichtlinien, die<br />

61b


62a<br />

jeweils von der Vertreterversammlung des Gesamtverbandes der landwirtschaftlichen<br />

Alterskassen einheitlich beschlossen werden.<br />

b) Jugendamt<br />

Eine weitere Institution, bei der Sie eine Hilfe beantragen können, ist das Jugendamt.<br />

Das Jugendamt gewährt die Hilfe nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz<br />

(KJHG). Dieses Gesetz kennt drei Vorschriften, nach denen eine Hilfe gewährt werden<br />

kann, nämlich § 20 (Betreuung und Versorgung des Kindes in Notsituationen), § 23<br />

(Tagespflege) und § 27 (Hilfe zur Erziehung).<br />

Die Hilfe nach § 20 KJHG bezieht sich auf die Fälle, in denen die Haupterziehungsperson<br />

aus gesundheitlichen oder anderen zwingenden Gründen komplett ausfällt.<br />

Das sind allerdings überwiegend dieselben Fälle, in denen auch die Krankenkasse<br />

schon verpflichtet ist, eine Haushaltshilfe zu gewähren. Da die Hilfe der Krankenkasse<br />

Vorrang hat vor der Hilfe des Jugendamtes, ist die praktische Bedeutung des<br />

§ 20 KJHG in diesem Zusammenhang eher gering. Nur wenn keine Mitgliedschaft in<br />

einer Krankenkasse besteht oder wenn ein Verhinderungsgrund vorliegt, für den die<br />

Krankenkasse nicht eintritt, kommt der Hilfe nach § 20 KJHG eine eigenständige Bedeutung<br />

zu. Allerdings gewährt § 20 KJHG niemals eine dauernde Unterstützung,<br />

sondern nur eine vorübergehende Hilfe für den kurzen Zeitraum der Verhinderung.<br />

Für Ihre Situation wie geschaffen ist dagegen § 23 KJHG (Tagespflege), wo es<br />

heißt:<br />

„Zur Förderung der Entwicklung des Kindes, insbesondere in den ersten Lebensjahren,<br />

kann auch eine Person vermittelt werden, die das Kind für einen<br />

Teil des Tages oder ganztags entweder im eigenen oder im Haushalt des Personensorgeberechtigten<br />

betreut (Tagespflegeperson)“.<br />

Allerdings hat die Vorschrift den Nachteil, dass sie keinen verbindlichen Rechtsanspruch<br />

gewährt – sie ist letztlich nicht mehr als ein Programm. Das Nähere über den<br />

Inhalt und den Umfang der Leistungen regelt das jeweilige Landesrecht, so dass die<br />

Anwendung der Vorschrift in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich ausfällt 1 .<br />

Aber selbst innerhalb desselben Bundeslandes räumen die Vorschriften den Jugendämtern<br />

einen Ermessensspielraum ein, den diese – auch in Abhängigkeit von der kommunalen<br />

Haushaltslage – unterschiedlich nutzen. Nur das Ermessen des einzelnen Sachbearbeiters<br />

ist dann oftmals nicht mehr groß: Eine Fülle von Verwaltungsvorschriften engt<br />

ihn bei der Auslegung der Vorschrift und der Bewilligung der Hilfe ein. In vielen Orten<br />

ist dem Sachbearbeiter die Bewilligung einer Hilfe nach § 23 KJHG praktisch nur erlaubt,<br />

wenn sie dem Jugendamt keine Kosten verursacht, wenn man die Hilfe also selbst<br />

bezahlt. Die konkrete „Leistung“ des Jugendamtes besteht dann lediglich in der Hilfestellung<br />

bei der Auswahl einer geeigneten Pflegeperson und ggf. in Fortbildungsangeboten<br />

für die Tagesmutter. Trotzdem sollte man sich beim örtlichen Jugendamt erkundigen.<br />

Einige Städte gewähren eine kostenlose Tagesmutter bei besonders geringem Einkommen,<br />

andere Städte bezahlen die Tagesmutter und verlangen dann einen einkommensabhängigen<br />

Elternbeitrag. Dieser Beitrag liegt im Allgemeinen unterhalb der tatsächlichen<br />

Kosten einer Tagesmutter, zumal die Jugendämter in einigen Bundesländern für Geschwisterkinder<br />

keinen zusätzlichen Beitrag erheben. Allerdings kennen viele Jugendämter<br />

als Tagesbetreuung für die Kleinsten nur die „Tagespflegefamilie“, zu der man die<br />

Kinder bringt, und können Anfragen nach einer „Tagespflegeperson“, die ins eigene<br />

Haus kommt (sog. Kinderfrau), nicht bedienen, obwohl sie dem Gesetz nach auch für<br />

diese anerkannte Form der Kinder- und Jugendhilfe die Planungs- und Gesamtverantwortung<br />

tragen. Auf jeden Fall haben Sie gegenüber dem Jugendamt einen gesetzlich<br />

festgeschriebenen Anspruch auf Beratung in allen Fragen der Tagespflege (§ 23 Abs. 2<br />

KJHG), den Sie durchaus wahrnehmen sollten, um sich über die örtlichen Voraussetzungen<br />

und Gegebenheiten zu informieren.<br />

Einfacher ist es manchmal, eine Hilfe über § 27 KJHG zu bekommen (sog. „Hilfe<br />

zur Erziehung“). Diese Vorschrift gewährt einen verbindlichen Rechtsanspruch, so dass<br />

das Jugendamt eine Hilfe gewähren muss, sofern die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen.<br />

Zwar passt die Vorschrift nicht ganz auf Ihre Situation: Bei der Hilfe zur Erziehung<br />

geht es vorrangig nicht um Entlastung bei der Hausarbeit und Babypflege, sondern um<br />

die Behebung von Erziehungsdefiziten, d.h. um schwer erziehbare Kinder und verwahr-<br />

62b<br />

1 Einen Überblick über die verschiedenen Landesbestimmungen enthält die Broschüre „Kinder<br />

in Tageseinrichtungen und Tagespflege“, kostenlos zu beziehen beim Bundesministerium für<br />

Familie, Senioren, Frauen und Jugend – Broschürenstelle –, Postfach 20 15 51, 53145 Bonn, Tel.<br />

0180-5329329; E-Mail: broschuerenstelle@bmfsfj.bund.de bzw. download unter<br />

http://www.bmfsfj.de/Kategorien/Publikationen/Publikationen,did=4236.html.


63a<br />

loste Familienverhältnisse. Trotzdem tun sich manche Jugendämter leichter diese Hilfe<br />

zu gewähren, als eine „Hilfe zur Tagespflege“ nach § 23 KJHG.<br />

Voraussetzung für eine solche sozialpädagogische Familienhilfe ist in jedem Fall<br />

ein anerkannter Betreuungsbedarf. Vierlingseltern haben bei den Jugendämtern recht<br />

gute Chancen, einen Betreuungsbedarf anerkannt zu bekommen; bei Drillingen müssen<br />

z.T. wiederum weitere belastende Umstände hinzutreten. Meist muss man auch erläutern<br />

können, warum Großeltern, Nachbarn usw. die benötigte Hilfe nicht erbringen<br />

können.<br />

Oftmals hängt der Erfolg der Bemühungen um eine Hilfe auch davon ab, die örtlichen<br />

Richtlinien und den zuständigen Sachbearbeiter zu kennen. Interessierte Drillings-<br />

und Vierlingseltern sollten sich daher vorab bei den örtlichen Ansprechpartnern<br />

des ABC-Clubs oder bei den Sozialdiensten der Kirchen und Wohlfahrtsverbände über<br />

die örtlichen Besonderheiten informieren. Außerdem kann es – vor allem in <strong>klein</strong>eren<br />

Ortschaften – Wunder wirken, einen Kommunalpolitiker für sein Anliegen zu gewinnen.<br />

Wird eine Hilfe nach § 27 KJHG tatsächlich bewilligt, so liegt deren gesetzliche<br />

Aufgabe in der erzieherischen Pflege und Betreuung der Kinder, also nicht in der Hilfe<br />

im Haushalt. Dadurch entstehen schnell Reibungspunkte, weil die meisten Eltern ihre<br />

Kinder gern selbst versorgen und erziehen möchten, und sich lieber etwas Entlastung<br />

im Haushalt wünschten. Trotzdem kann auch eine solche Kraft eine gute Hilfe sein:<br />

als Betreuung zuhause, wenn man einen eigenen Arztbesuch vorhat oder Besorgungen<br />

erledigen muss, sowie als unterstützende Begleitung, wenn man mit den Kindern eine<br />

PEKiP-Gruppe, den Kinderarzt oder das Babyschwimmen aufsuchen will. Über den<br />

genauen Inhalt der zu erbringenden Hilfeleistung sollen sich die Beteiligten einigen<br />

und gemeinsam einen Hilfeplan aufstellen. Allerdings haben viele Eltern die Erfahrung<br />

gemacht, ihre Erziehungswünsche bei den Hilfskräften nicht ausreichend durchsetzen<br />

zu können – oft auch deshalb, weil nach einer unausgeschlafenen Nacht die<br />

Kraft für eine entsprechende Auseinandersetzung fehlt. Eine Mutter gab daher den<br />

Tipp, die Hilfskraft in solchen Fällen auf fünf Uhr morgens zu bestellen, um eine größere<br />

„Waffengleichheit“ in puncto Unausgeschlafenheit herzustellen.<br />

Auch im Rahmen einer Hilfe nach § 27 KJHG muss man übrigens damit rechnen,<br />

entsprechend seinen Einkommensverhältnissen vom Jugendamt zu einem finanziellen<br />

Beitrag herangezogen zu werden.<br />

c) Bundesstiftung „Mutter und Kind“<br />

Die Bundesstiftung „Mutter und Kind – Stiftung zum Schutz des ungeborenen Lebens“<br />

wurde eingerichtet, um Schwangere in einer Notlage finanziell zu unterstützen.<br />

Dadurch soll vor allem erreicht werden, dass Frauen sich nicht aus finanziellen Gründen<br />

zu einem Schwangerschaftsabbruch entschließen. Deshalb werden die Mittel der Bundesstiftung<br />

vorrangig an diejenigen vergeben, die sich während der ersten Schwangerschaftsmonate<br />

wegen einer Notlage an eine Schwangerschaftsberatungsstelle wenden.<br />

Zu den möglichen Leistungen der Bundesstiftung gehört auch die Finanzierung einer<br />

Haushaltshilfe bei Mehrlingsgeburten, und zwar bereits bei Zwillingsgeburten. Um<br />

die Stiftungsmittel erhalten zu können, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein:<br />

- Die Schwangere muss sich in einer finanziellen Notlage befinden. Dazu<br />

darf das Familieneinkommen bestimmte Einkommensgrenzen nicht überschreiten,<br />

die sich an dem Anderthalbfachen der Sozialhilfe-Regelsätze orientieren<br />

zuzüglich angemessener Wohnkosten. Für Alleinstehende/Alleinerziehende<br />

gilt der zweifache Regelsatz eines Haushaltsvorstands, wiederum<br />

zuzüglich Wohnungskosten. Für werdende Mehrlingseltern gelten in einigen<br />

Bundesländern höhere Einkommensgrenzen; außerdem wird das Einkommen<br />

der Frau bei Mehrlingsschwangerschaften nicht voll berücksichtigt<br />

1 .<br />

- Es muss außerdem eine individuelle soziale Not- und Konfliktsituation vorliegen.<br />

Das Unterschreiten der Einkommensgrenzen allein reicht als Begründung<br />

einer Notlage nicht aus.<br />

- Der Antrag muss grundsätzlich vor der Geburt gestellt werden. Wenn man<br />

einen bereits fest vereinbarten Beratungstermin nicht mehr vor der Geburt<br />

wahrnehmen konnte (z.B. wegen plötzlicher Frühgeburt), genügt es, wenn<br />

der Erstkontakt zur Beratungsstelle noch während der Schwangerschaft erfolgte.<br />

Weisen Sie bei dem späteren Beratungsgespräch noch einmal auf<br />

den Zeitpunkt der ersten Kontaktaufnahme hin.<br />

1 Bei doppelverdienenden Mehrlingseltern wird nicht das (Doppel-)Einkommen aus dem Zeitraum<br />

vor der Antragstellung zugrundegelegt, sondern das Einkommen in den folgenden 12 Monaten,<br />

also in der Regel nicht das volle Einkommen der Frau.<br />

63b


64a<br />

64b<br />

- Vorrangig werden Anträge aufgenommen, die bis zur 20. SSW gestellt<br />

werden.<br />

- Bereits der erste Antrag sollte alle beanspruchten Hilfen (d.h. auch die<br />

Haushaltshilfe) umfassen, da Nachanträge nur im Ausnahmefall möglich<br />

sind (z.B. bei durchgreifender Veränderung der Lebenssituation).<br />

- Der Antrag kann nur bei der für den Wohnort oder gewöhnlichen Aufenthaltsort<br />

zuständigen Vergabestelle gestellt werden.<br />

Zuständig für die Aufnahme der Anträge sind in einigen Bundesländern bestimmte<br />

kirchliche Stellen (z.B. Bremen, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Saarland),<br />

in den übrigen Ländern spezielle Landesstiftungen (z.B. „Stiftung Familie in Not“<br />

o.ä.). Da allerdings nicht alle Beraterinnen in den Beratungsstellen regelmäßig mit<br />

Mehrlingen zu tun haben, sind ihnen die Sonderregelungen für Mehrlingsschwangerschaften<br />

nicht immer geläufig. Es kann Ihnen daher passieren, dass die Beraterin die<br />

Haushaltshilfe kategorisch mit der Begründung ablehnt, es könnten keine Leistungen<br />

der Bundesstiftung parallel zum Elterngeld gewährt werden. Dann sollten Sie auf § 4<br />

Absatz 1 der Vergaberichtlinien (letzter Halbsatz) hinweisen, wo ausdrücklich bestimmt<br />

ist, dass eine gleichzeitige Gewährung von Elterngeld und Stiftungsmitteln in<br />

Betracht kommt, wenn dies „mit Blick auf eine außergewöhnliche Belastungssituation<br />

besonders begründet ist“. Als Ausnahmesituation in diesem Sinne ist die Finanzierung<br />

einer Haushaltshilfe bei Mehrlingsgeburten ausdrücklich anerkannt. Bitten Sie die<br />

Beraterin, im Leitfaden zur Vergabe der Bundesstiftungsmittel gezielt nachzusehen. In<br />

den Leitfäden vieler Bundesländer (u.a. Nordrhein-Westfalen) ist die Finanzierung<br />

einer Haushaltshilfe bei Mehrlingsgeburten ausdrücklich als zulässige Hilfemöglichkeit<br />

erwähnt.<br />

Eine gute Adresse für Anfragen nach Hilfestellungen sind außerdem die kirchlichen<br />

Stellen (örtliche Kirchengemeinden, überörtliche Kirchenverbände, Diakonie und<br />

Caritas sowie der Sozialdienst katholischer Frauen und die evangelische Frauenhilfe),<br />

wie auch die freien Wohlfahrtsverbände (Arbeiterwohlfahrt, Malteser Hilfsdienst,<br />

Johanniter Unfallhilfe, Arbeiter-Samariter-Bund, Paritätischer Wohlfahrtsverband,<br />

Rotes Kreuz, SOS-Kinderdorf). Manche dieser Einrichtungen können eine Haushaltshilfe<br />

finanziell unterstützen, andere haben die Möglichkeit, eine Teilnehmerin an einem<br />

freiwilligen sozialen Jahr zu vermitteln. Ganz überwiegend besteht aber auch hier<br />

nur für höhergradige Mehrlingsfamilien Aussicht auf Erfolg.<br />

Manchmal hat man die Möglichkeit, für einige Wochen oder Monate eine/n Praktikanten/in<br />

aus einer hauswirtschaftlichen Qualifizierungsmaßnahme zu bekommen. Hierzu<br />

sollte man sich den Trägern solcher Maßnahmen als Praktikumstelle anbieten. Die<br />

Anschriften der Träger erfährt man beim Arbeitsamt.<br />

e) Au-pair<br />

Für manche Familien kommt vielleicht auch die Aufnahme eines Au-pair in Betracht.<br />

Au-pair bedeutet, eine junge Frau oder einen jungen Mann aus einem anderen<br />

Land für eine gewisse Zeit (in der Regel zehn bis zwölf Monate) in die Familie aufzunehmen.<br />

Das Au-pair hilft wöchentlich bis zu 30 Stunden bei der Hausarbeit und Kinderbetreuung.<br />

In der übrigen Zeit besucht das Au-pair einen Sprachkurs (Grundkenntnisse<br />

der Deutschen Sprache sind bereits vorhanden) und gestaltet seine Freizeit gemeinsam<br />

mit der Familie oder für sich allein. Die Familie gewährt dem Au-pair kostenlose<br />

Verpflegung und Unterkunft in einem eigenen Zimmer, Taschengeld in der Größenordnung<br />

von 200 EUR monatlich, Monatstickets für den öffentlichen Nahverkehr und zahlt<br />

dessen Krankenversicherung. Außerdem ist bei Au-pairs aus Übersee z.T. die Bezahlung<br />

der An- und Abreisekosten üblich. Vermittelt werden die Au-pairs durch besondere<br />

Vermittlungsstellen, deren Anschriften man beim Arbeitsamt erfragen kann. Insgesamt<br />

summieren sich die Kosten für ein Au-pair auf monatlich etwa 350-400 EUR (einschließlich<br />

der Vermittlung, jedoch ohne Unterkunft und Verpflegung sowie ggf. Anund<br />

Abreise).<br />

d) Kirchen und Wohlfahrtsverbände<br />

f) Steuerliche Anerkennung einer privaten Haushaltshilfe<br />

Wer eine Haushaltshilfe privat bezahlt, kann diese Kosten unter Umständen von der<br />

Einkommensteuer absetzen. Die Vorschriften hierüber ändern sich in immer kürzeren<br />

Abständen. Bis 1996 galt, dass Aufwendungen für eine Haushaltshilfe in Höhe von bis<br />

zu 12.000,- DM jährlich als Sonderausgaben anerkannt wurden, wenn mindestens zwei<br />

Kinder unter zehn Jahren oder eine hilfsbedürftige Person vorhanden waren. In der Zeit


65a<br />

zwischen 1997 und 2001 konnten bis zu 18.000,- DM jährlich als Sonderausgaben<br />

abgesetzt werden, unabhängig von minderjährigen Kindern.<br />

In 2002 konnten nur noch erwerbsbedingte Aufwendungen für die Kinderbetreuung<br />

steuerlich abgesetzt werden (z.B. Tagesmutter, Kindergartenbeitrag), jedoch nicht<br />

mehr die Hilfe bei der allgemeinen Haushaltsführung. Die Aufwendungen galten auch<br />

nicht mehr als Sonderausgaben, sondern als außergewöhnliche Belastung. Es konnte<br />

nur der Teil der Aufwendungen abgesetzt werden, der die Grenze der zumutbaren<br />

Belastung von 1.548 EUR je Kind überstieg. Die betreuten Kinder mussten unter 14<br />

Jahre alt und beide Elternteile mussten erwerbstätig sein (Ausnahme: Fälle der Behinderung).<br />

Der abzugsfähige Höchstbetrag seinerseits war auf 1.500,- EUR je Kind begrenzt.<br />

Wurde die Hilfskraft neben den Aufgaben der Kinderbetreuung auch zur allgemeinen<br />

Haushaltsführung eingesetzt, so mussten die Aufwendungen zeitanteilig<br />

aufgesplittet werden.<br />

Seit 2003 sind die Kosten einer Haushaltshilfe wie folgt absetzbar:<br />

- 10% der Kosten einer Haushaltshilfe, maximal jedoch 510 EUR im Jahr,<br />

sind absetzbar bei Beschäftigung einer Haushaltshilfe im sog. „Minijob“.<br />

Als „Minijob“ gelten Arbeitsverhältnisse bis zu einem Entgelt von 400<br />

EUR im Monat 1 , für die der Arbeitgeber pauschale Abgaben (Lohnsteuer<br />

und Sozialversicherung) in Höhe von insgesamt (nur) 12 Prozent abführen<br />

muss.<br />

- 20% der Kosten einer Haushaltshilfe, maximal jedoch 600 EUR im Jahr,<br />

sind absetzbar bei Beschäftigung einer Haushaltshilfe über eine Dienstleistungsagentur.<br />

- 12% der Kosten einer Haushaltshilfe, maximal jedoch 2.400 EUR im<br />

Jahr, sind absetzbar bei Beschäftigung einer Haushaltshilfe „auf Steuerkarte“,<br />

für die also die normalen Sozialabgaben und die Lohnsteuer abgeführt<br />

werden.<br />

Diese Regelungen gelten für alle Haushalte, also auch für Einlingsfamilien und<br />

sogar für Haushalte ohne Kinder 2 . Der organisatorische Aufwand, Lohn- und Kirchensteuer<br />

sowie die Sozialabgaben für eine Haushaltshilfe ordnungsgemäß abzuführen, wird<br />

übrigens häufig überschätzt. Dies vollzieht sich recht unkompliziert mit dem so genannten<br />

Haushaltsscheckverfahren. Die Minijob-Zentralen der Bundesknappschaft in Essen<br />

und Cottbus ziehen die 12% Steuern und Sozialabgaben automatisch vom Konto der<br />

Arbeitgeber ein und leiten die Anteile der Rentenkasse, der Krankenversicherung und<br />

des Finanzamtes an diese weiter. Einzelheiten zum Haushaltsscheckverfahren und auch<br />

zu den steuer- und versicherungsrechtlichen Fragen der übrigen Beschäftigungsformen<br />

erfahren Sie unter www.haushaltsscheck.de.<br />

Mehrlingseltern können versuchen, über die gesetzliche Neuregelung hinaus eventuell<br />

sogar eine allgemeine Haushaltshilfe als außergewöhnliche Belastung anerkannt zu<br />

bekommen. Ausgangspunkt hierfür ist ein Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg<br />

aus dem Jahre 1990 3 , also noch aus der Zeit vor Einführung der neuen Regelung. Das<br />

Finanzgericht erkennt darin eine Haushaltshilfe für Drillinge als allgemeine außergewöhnliche<br />

Belastung und als uneingeschränkt abzugsfähig an. Ob man sich auf dieses<br />

Urteil noch mit Erfolg berufen kann, nachdem der Gesetzgeber in der Zwischenzeit<br />

einige spezielle gesetzliche Regelungen zur steuerlichen Behandlung der Kinderbetreuung<br />

eingeführt und auch wieder aufgehoben hat, ist nicht sicher; einen Versuch aber ist<br />

es auf jeden Fall wert. Hat man dagegen „nur“ <strong>Zwillinge</strong>, sollte man noch weitere arbeits-<br />

und zeitaufwändige Erschwernisse vorbringen können, um seine Aussichten auf<br />

Anerkennung als außergewöhnliche Belastung zu verbessern (z.B. Frühchenproblematik,<br />

umfangreiche Krankengymnastik etc.). Denn „außergewöhnlich“ im steuerrechtlichen<br />

Sinne ist eine Belastung nur dann, wenn sie höher ist als bei der überwiegenden Zahl der<br />

Steuerpflichtigen gleicher Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse und<br />

auch das auslösende Ereignis ein „außergewöhnliches“ ist.<br />

65b<br />

1 Mit einigen Tricks (z.B. Erstattung der Fahrtkosten) lässt sich die Einkommensgrenze von<br />

400 EUR noch etwas nach oben strecken – Einzelheiten hierüber erfahren Sie in den gängigen<br />

Steuerratgebern oder beim Steuerberater.<br />

2 Anmerkung: Außerhalb dieser (von Kindern unabhängigen) Abzugsfähigkeit für Haushaltshilfen<br />

bleibt die bisherige Möglichkeit erhalten, sonstige Kinderbetreuungskosten (Tagesmutter,<br />

Kindergarten) zu zwei Dritteln abzusetzen, wenn beide Elternteile berufstätig sind.<br />

3 Urteil vom 12.11.1990 – Az.: VII K 217/88.


66a<br />

Drittes Kapitel: Säuglingsalter<br />

1. Aktivitäten mit anderen Eltern und Kindern<br />

Wichtig aus unserer Sicht ist es, früh den Kontakt zu anderen jungen Familien zu<br />

pflegen. Das fördert den Erfahrungsaustausch der Eltern und erweitert die Erlebniswelt<br />

der Kinder. Überhaupt sollte man sich darum bemühen, mit den Kindern möglichst<br />

regelmäßig etwas zu unternehmen, spazieren zu gehen, Freunde zu besuchen –<br />

kurzum: das zu tun, was man allein (oder mit nur einem Kind) auch tun würde. Manche<br />

Zwillingseltern begeben sich vor lauter Hausarbeit und Babypflege in eine häusliche<br />

Isolation, weil sie sich nicht vorstellen können, wie sie die „Baby-Termine“ auch<br />

noch alle schaffen sollen. Bei fast allen Krabbelgruppen werden Sie jedoch aufgeschlossene<br />

Eltern kennen lernen, die auch einmal bereit sind, Ihnen ein Kind abzunehmen,<br />

es zu füttern, zu wickeln usw. Die Situation ist oft viel entspannter, als man<br />

es sich vorher vorstellt. Und wie wichtig sind solche Zusammentreffen als innerer<br />

Ausgleich und Abstand zum häuslichen Alltagsgeschehen! Am einfachsten gelingt der<br />

Aufbruch, wenn man zuhause ständig eine fertig gepackte Wickeltasche oder einen<br />

<strong>klein</strong>en Rucksack mit Windeln, Wischtüchern, Unterlage, Ersatzkleidung, ggf. Babynahrung<br />

oder –getränk und Schnuller, ein oder zwei Spielsachen und ggf. erforderliche<br />

Medikamente bereitstehen hat, die man nur noch greifen muss. Das spart Zeit und man<br />

vergisst auch weniger, als wenn man alles spontan einpacken müsste.<br />

Viele Möglichkeiten solcher Treffen gibt es: Stilltreffen einer örtlichen Stillgruppe,<br />

privat organisierte Krabbelgruppen mit Paaren, die Sie vielleicht im Geburtsvorbereitungskurs<br />

oder in der Geburtsklinik kennen gelernt haben, bis hin zu angeleiteten<br />

PEKiP-Gruppen und Babyschwimmen. Bei PEKiP-Kursen sollten Sie vorab klären, ob<br />

eine Begleitperson für beide <strong>Zwillinge</strong> genügt, oder ob die Kursleiterin Wert darauf<br />

legt, dass eine zweite Begleitperson mitkommt. Viele PEKiP-Kurse gewähren bei<br />

<strong>Zwillinge</strong>n auch einen Nachlass auf die zweite Kursgebühr. Das Babyschwimmen setzt<br />

dagegen immer eine eigene Begleitperson für jedes Kind voraus, da die Kinder im<br />

Wasser gestützt werden müssen. Hier lohnt es sich ebenfalls, nach einem Zwillingsrabatt<br />

zu fragen.<br />

Manche Eltern schließen sich auch einem der vielen Zwillingsclubs an, in denen<br />

man mit anderen Zwillingseltern und –familien in Kontakt kommt. Einen bundesweit<br />

arbeitenden Zwillingsverband gibt es allerdings nicht, sondern nur örtliche Zwillingsgruppen<br />

mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten und Zielsetzungen. Manche Zwillingsclubs<br />

treffen sich abends in geselliger Stammtischrunde, andere als Krabbelgruppe<br />

mitsamt den Kindern. Teilweise sind die Kinder der Mitgliedsfamilien jedoch von so<br />

unterschiedlichem Alter, dass deren Spielinteressen nicht unbedingt harmonieren. Bei<br />

den meisten Zwillingsclubs kann man praktische Informationen erhalten (z.B. welches<br />

Geschäft in der Umgebung die beste Auswahl an Zwillingswagen hat), zum Teil werden<br />

sogar umfangreiche Broschüren erstellt. Manche Clubs führen eine Gebrauchtbörse oder<br />

veranstalten spezielle Zwillingsflohmärkte. Einige Clubs bemühen sich auch um eine<br />

bessere Infrastruktur für Zwillingseltern, z.B. bei den öffentlichen Verkehrsmitteln.<br />

Manche Clubs veranstalten ein Jahresfest. Das größte Treffen dieser Art findet im<br />

amerikanischen „Twinsburg“ (Ohio) statt, das sogar nach <strong>Zwillinge</strong>n benannt wurde. Bis<br />

zu 3.000 Zwillingspaare treffen sich jährlich in diesem Ort, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts<br />

von den eineiigen <strong>Zwillinge</strong>n Moses und Aaron Wilcox gegründet wurde. Diese<br />

Brüder waren besonders „zwillingshaft“: Sie sahen gleich aus, waren Geschäftspartner,<br />

heirateten zwei Schwestern, hatten gleich viele Kinder, bekamen dieselbe Krankheit,<br />

starben am selben Tag und wurden im selben Grab begraben – natürlich in „Twinsburg“.<br />

Da fällt es nicht schwer sich auszumalen, wie sie den Amerikanern Pate stehen<br />

für das Zwillingsdasein schlechthin. Bei dem Festival sind alle Zwillingspaare jeweils<br />

gleich gekleidet, geschminkt, geschmückt und tragen dieselbe Frisur – das alles in der<br />

Hoffnung, bei dem Wettbewerb der „identischsten“ <strong>Zwillinge</strong> einen der vorderen Plätze<br />

zu belegen 1 .<br />

Ob man sich einem Zwillingsclub anschließen will, ist zum einen eine Frage der<br />

persönlichen Einstellung und hängt zum anderen natürlich auch von dem Zwillingsclub<br />

selbst ab, seinen Mitgliedern und seinem Programm. Abstand nehmen sollte man auf<br />

jeden Fall von solchen Treffs, die wir einmal als „Leidensclub“ bezeichnen wollen, wo<br />

alle Mitglieder sich nur ständig gegenseitig berichten, wie schwer sie es mit ihren <strong>Zwillinge</strong>n<br />

haben, und dass es ihnen noch schlechter geht als allen anderen. Dass <strong>Zwillinge</strong><br />

1 Auf die verschämte Frage eines zweieiigen Zwillingspaars, ob denn auch sie trotz ihres unterschiedlichen<br />

Aussehens auf dem Festival willkommen seien, antwortete der Veranstalter: Ja,<br />

natürlich, „...what's really fun is when the brother/sister sets show up in identical clothing anyways.“<br />

(besonders spaßig sei es sogar, wenn verschiedengeschlechtliche <strong>Zwillinge</strong> sich gleich<br />

angezogen präsentierten). Nun denn. Weitere Hinweise zur Stadt Twinsburg und zu dem Zwillingstreffen:<br />

http://www.twinsburg.com, http://www.twinsdays.org<br />

66b


67a<br />

am Anfang mehr Arbeit bedeuten als Einlinge, weiß jeder, und soll auch nicht geleugnet<br />

werden. Wer aber nicht gleichzeitig darüber berichten kann und will, dass <strong>Zwillinge</strong><br />

auch doppelte Freude bedeuten, setzt in seiner Wahrnehmung vielleicht die falschen<br />

Schwerpunkte. Jedenfalls haben wir Eltern kennen gelernt, die mehr durch das<br />

Zwillingstreffen selbst als durch ihre eigene Situation deprimiert wurden.<br />

Für höhergradige Mehrlinge (ab Drillingen) gibt es den bundesweit agierenden<br />

ABC-Club, der in den einzelnen Bundesländern ehrenamtliche Landesvertretungen<br />

eingerichtet hat und damit insgesamt einen höheren Organisationsgrad ereicht als die<br />

nur regional wirkenden Zwillingsclubs. Der ABC-Club versteht sich nicht in erster<br />

Linie als Dienstleister, sondern als Hilfe zur Selbsthilfe. Er bietet Beratung durch<br />

andere Mehrlingseltern, Erfahrungsaustausch und regionale Stammtischrunden, aber<br />

auch z.B. Vermittlung gebrauchter Mehrlingskinderwagen. Bei jährlichen Familientreffen<br />

und auf gemeinsamen Familienfreizeiten pflegt man den Kontakt. Clubmitglieder<br />

erhalten vierteljährlich ein Mitteilungsblatt mit Berichten und Kleinanzeigen.<br />

Außerdem veranstaltet der Club Symposien, begleitet wissenschaftliche Forschungsvorhaben<br />

über Mehrlinge und bringt sich in die medizinische Diskussion ein, macht<br />

Verbesserungsvorschläge für die Begleitung von Mehrlingsschwangerschaften sowie<br />

für die Betreuung auf der Neugeborenenintensivstation. Der erfolgreichen Lobbyarbeit<br />

des Vereins ist es auch zu verdanken, dass das Elterngeld (früher: Erziehungsgeld) seit<br />

1989 nicht mehr pro Geburt, sondern für jedes geborene Kind extra gezahlt wurde,<br />

bzw. seit 2007 für jedes Mehrlingsgeschwister ein Zuschlag auf das Elterngeld in<br />

Höhe von 300 EUR monatlich erfolgt. Der ABC-Club ist auf jeden Fall eine engagierte<br />

und professionell arbeitende Interessenvertretung höhergradiger Mehrlingsfamilien,<br />

deren Einfluss man mit seiner Mitgliedschaft stärken kann.<br />

2. Finanzielles<br />

Zur Frage der staatlichen Förderung von Familien hat die Europäische Beobachtungsstelle<br />

für nationale Familienpolitiken, eine der EU-Kommission unterstellte Einrichtung,<br />

feststellen müssen, dass es in Deutschland eine zielgerichtete Familienpolitik<br />

schlechthin nicht gibt! In dieselbe Richtung stößt das Bundesverfassungsgericht, wenn<br />

es in seiner Entscheidung vom 10.11.1998 die deutsche Steuergesetzgebung als eine<br />

„Diskriminierung der ehelichen Erziehungsgemeinschaft“ tadelt. Auf den Punkt gebracht<br />

hat es Bundespräsident Köhler: „Wer Kinder hat, wird hierzulande tendenziell<br />

bestraft.“<br />

Dabei ist die finanzielle Entlastung der Familie nicht nur eine aus der Staatsverfassung<br />

gebotene Wohlfahrt, sondern gleichermaßen auch ein volkswirtschaftliches Gebot,<br />

denn keine Gesellschaft kann sich auf Dauer einen Bevölkerungsrückgang und die sich<br />

daraus ergebende Überalterung erlauben. Schon heute stellt die Bevölkerungsentwicklung<br />

in regelmäßigen Abständen erneut die Sicherheit der Renten zur Diskussion. Zu<br />

Recht hat das Bundesverfassungsgericht deshalb bereits mehrfach hervorgehoben: „Die<br />

Kinderbetreuung ist eine Leistung, die auch im Interesse der Gemeinschaft liegt und<br />

deren Anerkennung verlangt.“<br />

Bedenkt man, dass Eltern für die Versorgung jedes Kindes bis zum achtzehnten Lebensjahr<br />

durchschnittlich 370.000,- EUR aufwenden (bei Hinzurechnung des Lohnausfalls<br />

eines Elternteils sogar fast das Doppelte), so wird erkennbar, dass die staatlich<br />

gewährten Steuervorteile und Sozialleistungen diesen Aufwand nicht annähernd aufwiegen.<br />

Wer Mehrlinge erwartet, ist von den Kosten gleich mehrfach betroffen. Mehrlingsgeburten<br />

führen immer zu einer erheblichen Reduzierung der frei verfügbaren (also nicht<br />

zur täglichen Bedarfsdeckung benötigten) Mittel, und nicht selten bedeutet eine Mehrlingsgeburt<br />

selbst für verdienende Eltern den Gang zum Sozialamt.<br />

Diejenigen Leistungen, die Ihnen nach einer Mehrlingsgeburt zustehen, sollten Sie<br />

aber jedenfalls in Anspruch nehmen:<br />

a) Elterngeld<br />

Das staatliche Elterngeld wird abhängig von der Höhe des zuvor erzielten Einkommens<br />

gewährt. Bei Mehrlingsgeburten erhöht sich das Elterngeld um monatlich je 300<br />

Euro für das zweite und jedes weitere Kind. Weitere Einzelheiten über das Elterngeld<br />

erfahren Sie in der Broschüre „Elterngeld und Elternzeit“ des Bundesfamilienministeriums,<br />

die unmittelbar dort bestellt werden kann 1 und außerdem bei den nachfolgend aufgeführten<br />

Elterngeldstellen erhältlich ist:<br />

Baden-Württemberg<br />

Landeskreditbank Karlsruhe<br />

1 Anschrift: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Alexanderplatz 6,<br />

1017 Berlin, Tel. 01888/555-0. Download der Broschüre unter<br />

http://www.bmfsfj.de/Kategorien/Publikationen/publikationsliste,did=89272.html.<br />

67b


68a<br />

68b<br />

Bayern<br />

Berlin<br />

Brandenburg<br />

Bremen<br />

Hamburg<br />

Hessen<br />

Mecklenburg-Vorpommern<br />

Niedersachsen<br />

Nordrhein-Westfalen<br />

Rheinland-Pfalz<br />

Saarland<br />

Sachsen<br />

Sachsen-Anhalt<br />

Schleswig-Holstein<br />

Zentrum Bayern Familie und Soziales<br />

Bezirksamt (Jugendamt)<br />

Elterngeldstellen der Landkreise und kreisfreien<br />

Städte<br />

Amt für Soziale Dienste (Bremerhaven:<br />

Amt für Familie und Jugend)<br />

Bezirksamt (Einwohneramt)<br />

Amt für Versorgung und Soziales<br />

Landesamt für Gesundheit und Soziales,<br />

Abteilung Versorgungsamt<br />

Gemeinde der Stadt, vereinzelt Landkreis<br />

Kreise und kreisfreie Städte<br />

Jugendamt<br />

Landesamt für Soziales, Gesundheit und<br />

Verbraucherschutz<br />

Amt für Familie und Soziales<br />

Landesverwaltungsamt<br />

Außenstellen des Landesamtes für soziale<br />

Dienste<br />

Arbeitslos gemeldet sind. Ihnen gleichgestellt sind Bezieherinnen von Arbeitslosengeld I<br />

sowie Selbständige, die in der gesetzlichen Krankenkasse freiwillig versichert sind.<br />

Der Leistungszeitraum beginnt sechs Wochen vor dem vorausberechneten Entbindungstermin<br />

und endet bei Mehrlingen zwölf Wochen nach dem tatsächlichen Entbindungstag.<br />

Das entspricht genau der Zeit des Mutterschutzes nach dem Mutterschutzgesetz.<br />

Um das Mutterschaftsgeld ausgezahlt zu erhalten, muss man der Krankenkasse eine<br />

ärztliche Bescheinigung über den voraussichtlichen Entbindungstermin einreichen. Die<br />

Bescheinigung darf frühestens eine Wochen vor Beginn der Mutterschutzfrist ausgestellt<br />

werden, also sieben Wochen vor dem errechneten Geburtstermin.<br />

Bei Frühgeburten verlängert sich die Bezugsdauer des Mutterschaftsgeldes noch<br />

einmal um den Zeitraum, der vor der Geburt nicht in Anspruch genommen werden konnte.<br />

Als Frühgeburten in diesem Zusammenhang gelten Kinder, die mit einem Geburtsgewicht<br />

von unter 2.500 Gramm zur Welt gekommen sind; bei Mehrlingen zählt das<br />

schwerste Kind. Dem gleichgesetzt werden Kinder, die wegen noch nicht voll ausgebildeter<br />

Reifezeichen oder wegen verfrühter Beendigung der Schwangerschaft einer wesentlich<br />

erweiterten Pflege bedürfen. Die Klinik stellt hierüber eine spezielle „Frühgeburtsbescheinigung“<br />

aus.<br />

Die Höhe des Mutterschaftsgeldes entspricht dem durchschnittlichen Nettoeinkommen<br />

der vorangegangenen drei Monate, wobei die Krankenkasse höchstens 13,- EUR pro<br />

Kalendertag zahlt und der Arbeitgeber den Restbetrag zuschießen muss (§ 14 Mutterschutzgesetz).<br />

Wird der Arbeitgeber zwischenzeitlich zahlungsunfähig, zahlt die Krankenkasse<br />

zusätzlich auch den Arbeitgeberzuschuss.<br />

Thüringen<br />

Jugendämter der Kreise und kreisfreien<br />

Städte<br />

Die Höhe des zu erwartenden Elterngeldes kann man sich übrigens vorab im Internet<br />

ausrechnen lassen: www.bmfsfj.de/elterngeldrechner.<br />

b) Mutterschaftsgeld<br />

Hiervon abweichend erhalten Arbeitnehmerinnen, die<br />

- privat krankenversichert sind,<br />

- gar nicht krankenversichert sind, oder<br />

- in einem „geringfügigen Beschäftigungsverhältnis“ stehen und nicht eigenständiges<br />

Pflichtmitglied in der gesetzlichen Krankenkasse mit Anspruch<br />

auf Krankengeld sind<br />

Das Mutterschaftsgeld gewähren die gesetzlichen Krankenkassen als Ersatz dafür,<br />

dass die Schwangere während der Mutterschutzfristen nicht arbeiten kann (und darf).<br />

Es wird deshalb nur den Frauen ausgezahlt, die in einem Arbeitsverhältnis stehen oder


69a<br />

ein Mutterschaftsgeld vom Bundesversicherungsamt 1 , jedoch beschränkt auf einen<br />

Höchstbetrag von insgesamt 210,- EUR. Zusätzlich erhalten auch diese Arbeitnehmerinnen<br />

den o.g. Arbeitgeberzuschuss, soweit ihr Einkommen den Satz von 13,- EUR<br />

pro Kalendertag übersteigt.<br />

Werdende Mütter, die BAföG beziehen, erhalten die Ausbildungsförderung vor<br />

und nach der Geburt für die Dauer von bis zu drei Monaten ausgezahlt, ohne an der<br />

Ausbildung teilnehmen zu müssen. Dauert die Unterbrechung länger, muss eine Beurlaubung<br />

beantragt werden, während der das BAföG nicht ausgezahlt wird. Die Förderungshöchstdauer<br />

wird aufgrund der Schwangerschaft auf Antrag um bis zu ein Semester<br />

verlängert, allerdings nur, wenn Sie nicht (über die drei Monate hinaus) beurlaubt<br />

waren.<br />

c) Entbindungsgeld<br />

Das frühere Entbindungsgeld von 77,- EUR für Frauen, die Mitglied in der gesetzlichen<br />

Krankenversicherung sind, ohne einen Anspruch auf Mutterschaftsgeld zu<br />

haben, ist mit der Gesundheitsreform zum 1.1.2004 gestrichen; ebenso inzwischen das<br />

Mutterschaftsgeld für Empfängerinnen von Arbeitslosengeld II.<br />

Beihilfeberechtigte Beamtinnen erhalten jedoch ein Entbindungsgeld oder einen<br />

Zuschuss für die Säuglings- und Kinderausstattung nach den Beihilfevorschriften des<br />

jeweiligen Bundeslandes. Ist der Ehemann beihilfeberechtigt, erhält er denselben Zuschuss;<br />

insgesamt wird er jedoch nur einmal ausgezahlt.<br />

Wehr- und Zivildienstleistende erhalten nach dem Unterhaltssicherungsgesetz eine<br />

Beihilfe für die Erstausstattung in Höhe von 127,82 EUR pro Kind. Der „krumme“<br />

Betrag erklärt sich aus der Umrechnung von früher 250,- DM.<br />

1 Anschrift: Bundesversicherungsamt (Mutterschaftsgeldstelle), Friedrich-Ebert-Allee 38,<br />

53113 Bonn, Tel. 0228/619-1888, Fax: 0228/619-1877, http://www.bundesversicherungsamt.de,<br />

EMail: mutterschaftsgeldstelle@bundesversicherungsamt.de<br />

d) Kindergeld<br />

Das Kindergeld bzw. den steuerlichen Kinder- und Betreuungsfreibetrag sowie den<br />

Kinderzuschlag für Geringverdienende erhalten Sie in der jeweils festgelegten Höhe.<br />

Besonderheiten für Mehrlinge gibt es hierbei nicht.<br />

e) Weitere Förderungsmöglichkeiten<br />

Neben diesen gesetzlich festgelegten Rechtsansprüchen existiert noch eine Vielzahl<br />

weiterer Töpfe bei öffentlichen und privaten Trägern, aus denen in Fällen der sozialen<br />

Not und bei außergewöhnlichen Belastungen weitere Mittel nach Ermessensentscheidung<br />

vergeben werden können. Hierzu gehört auch die bereits erwähnte Bundesstiftung<br />

„Mutter und Kind“, die für Mehrlingseltern erhöhte Förderungsmöglichkeiten vorsieht<br />

(z.B. auch für Umstandskleidung). Die katholische Kirche sowie die evangelischen Landeskirchen<br />

verwalten darüber hinaus eigene Härtefonds mit ähnlicher Zielsetzung. Manche<br />

Bundesländer haben spezielle Landesstiftungen eingerichtet, die neben der Verteilung<br />

der Bundesstiftungsmittel auch noch über einen eigenen Etat verfügen. Deren Mittel<br />

werden überwiegend von den Jugendämtern verwaltet und verteilt, ebenso wie die<br />

Mittel einiger kommunaler Stiftungen („Wöchnerinnenstiftung“ o.ä.), die daneben noch<br />

existieren können. Einige Bundesländer zahlen bei höhergradigen Mehrlingsgeburten<br />

sogar ein „Begrüßungsgeld“ unabhängig vom Einkommen der Eltern; in anderen Bundesländern<br />

übernehmen die Ministerpräsidenten eine „Ehrenpatenschaft“, die mit finanziellen<br />

Zuwendungen verbunden ist. Die einzelnen Förderungsmöglichkeiten sind regional<br />

sehr unterschiedlich und ändern sich ständig, weshalb man sich zum gegebenen<br />

Zeitpunkt jeweils aktuell beraten lassen sollte. Eine umfassende Beratung erhalten Sie<br />

bei den Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen. Denn diese Stellen haben den konkreten<br />

gesetzlichen Auftrag, denjenigen Frauen, die eine Abtreibung ihrer Schwangerschaft<br />

erwägen, alle finanziellen Möglichkeiten aufzuzeigen, um eine soziale Notlage<br />

aufzufangen. In vielen Städten sind die kirchlichen Beratungsstellen besonders gut in<br />

diese Richtung informiert. Für die kirchlich verwalteten Fonds prüfen sie außerdem die<br />

Förderungsvoraussetzungen und versehen die Anträge mit einer eigenen Stellungnahme;<br />

zu anderen Förderungsmöglichkeiten erteilen sie die erforderlichen Informationen und<br />

helfen im Bedarfsfall bei der Antragstellung. Um in einer solchen Beratungsstelle eine<br />

Beratung zu erhalten, muss man übrigens nicht vorspiegeln, man befinde sich in einem<br />

Abtreibungskonflikt. Die meisten Beratungsstellen beraten ebenso gern diejenigen<br />

Schwangeren, die sich für ihre Kinder bereits fest entschieden haben. Auch nach der<br />

69b


70a<br />

Geburt kann man sich an diese Stellen noch wenden, wenngleich manche Förderungsmöglichkeiten<br />

dann nicht mehr greifen.<br />

Eine Zeitlang galt es noch als „Geheimtipp“, die Hersteller von Windeln und Babynahrung<br />

um ein <strong>klein</strong>es Sponsoring für die eigenen Mehrlinge zu bitten. Inzwischen<br />

haben jedoch so viele Mehrlingseltern davon Gebrauch gemacht, dass nur noch wenige<br />

Hersteller darauf anspringen. Bei angespannten finanziellen Verhältnissen – und solchen<br />

Familien sollte man das Feld vielleicht auch überlassen – kann sich eine verbindlich<br />

vorgebrachte Anfrage im Einzelfall aber immer noch lohnen.<br />

Manche Hersteller suchen gelegentlich sogar Testfamilien, um die Praxistauglichkeit<br />

und Marktfähigkeit neuer Produkte auszuprobieren. Durch solche Lieferungen<br />

kann man einiges Geld sparen; im Gegenzug muss man allerdings etwas Zeit für die<br />

abzufassenden Testberichte aufbringen. Voraussetzung für die Annahme als Testfamilie<br />

ist in der Regel, dass man in der näheren Umgebung der Herstellerfirma (bzw.<br />

deren Entwicklungsabteilung) wohnt.<br />

Als Allerletztes besteht für besonders notleidende Familien noch die Möglichkeit,<br />

sich unmittelbar an den Bundespräsidenten zu wenden 1 . Der Bundespräsident verfügt<br />

über einen Unterstützungsfonds, aus dem er zur Linderung besonderer Notlagen einmalige<br />

finanzielle Hilfen gewähren kann. Neben einer wirtschaftlichen Notlage muss<br />

auch eine besondere, schicksalsbedingte Belastung der Lebensumstände nachgewiesen<br />

werden. Damit sind außergewöhnliche Schicksalsschläge wie zum Beispiel das plötzliche<br />

Versterben eines Elternteils gemeint; Armut allein genügt nicht. Außerdem müssen<br />

alle gesetzlichen Hilfen bereits ausgeschöpft sein. Das Bundespräsidialamt lässt<br />

das Vorliegen dieser Voraussetzungen durch eine örtliche Sozialbehörde oder eine<br />

anerkannte Beratungsstelle überprüfen.<br />

f) Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung<br />

In der gesetzlichen Rentenversicherung werden für jedes Kind drei Jahre Kindererziehungszeiten<br />

(bei <strong>Zwillinge</strong>n also sechs Jahre) als Beitragszeit berücksichtigt.<br />

Diese Beitragszeit beginnt mit dem Monat nach der Geburt und endet sechs Jahre<br />

darauf. Grundsätzlich wird die Kindererziehungszeit der Mutter gutgeschrieben; gemeinsam<br />

erziehende Eltern können die Zeiten jedoch untereinander aufteilen. Die Erklärung<br />

über die Aufteilung der Erziehungszeiten muss spätestens zwei Monate nach dem<br />

Zeitpunkt abgegeben werden, für den die Änderung erstmals wirken soll.<br />

Die Kindererziehungszeiten wirken sich bei der Rente genau so aus, als ob Sie gearbeitet<br />

hätten. Nicht erforderlich ist, dass Sie vorher beitragspflichtig gearbeitet haben.<br />

Gutgeschrieben wird Ihnen das fiktive Einkommen eines Durchschnittsverdieners, gleich<br />

ob Sie selbst vorher ein geringeres oder ein höheres Einkommen hatten.<br />

Darüber hinaus wird die Mutterschutzfrist (einschließlich der Mehrlings- und Frühchenverlängerung)<br />

als rentenrechtliche „Anrechnungszeit“ berücksichtigt, sofern die<br />

Mutter bei Beginn des Mutterschutzes in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis<br />

stand.<br />

Schließlich gilt noch der weitere Zeitraum bis zum zehnten Geburtstag des jüngsten<br />

Kindes als rentenrechtliche „Berücksichtigungszeit“ für den erziehenden Elternteil. Das<br />

bedeutet, dass für diese Zeiten zwar keine rentenrechtlichen Entgeltpunkte gutgeschrieben<br />

wurden, so dass sie den Rentenanspruch im Ergebnis nicht erhöhten, dass jedoch<br />

diese Zeiten bei der 35jährigen Rentenwartezeit angerechnet wurden. Mit Inkrafttreten<br />

der am 26.1.2001 beschlossenen Rentenreform hat die Kinderberücksichtigungszeit<br />

außerdem noch eine weitere Funktion bekommen: Wenn der erziehende Elternteil während<br />

der Berücksichtigungszeiten einer Teilzeitbeschäftigung nachgeht, wird nicht nur<br />

sein tatsächlich erzieltes Einkommen bei der Rentenversicherung gutgeschrieben, sondern<br />

das Anderthalbfache dessen. Wenn also z.B. eine teilzeitbeschäftigte Mutter 60%<br />

von dem verdient, was das Durchschnittseinkommen aller Beschäftigten ausmacht, wird<br />

dies rentenrechtlich so gewertet, als hätte sie 90 % des Durchschnittseinkommens aller<br />

Beschäftigten erzielt 2 . Der Rentenbeitrag (also der Lohnabzug) erhöht sich dadurch<br />

natürlich nicht. Für Mehrlinge gibt es hier allerdings – nach wie vor – keine besondere<br />

Vergünstigung.<br />

Normalerweise teilt die städtische Meldebehörde Ihrer Rentenversicherung die Geburt<br />

der Kinder mit, so dass die Anrechnungszeiten während der Mutterschutzfrist auto-<br />

70b<br />

1 Anschrift: Bundespräsidialamt, 11010 Berlin<br />

2 Die fiktive Aufwertung des Einkommens findet ihre Obergrenze mit dem Erreichen des vollen<br />

Durchschnittseinkommens aller Beschäftigten; darüber hinausragende Einkommen werden nicht<br />

aufgestockt.


71a<br />

matisch berücksichtigt werden und Sie nichts weiter unternehmen müssen. Einige<br />

Wochen nach der Geburt erhalten Sie darüber auch eine Bestätigung von der Rentenversicherung.<br />

Um auch die Beitrags- und Berücksichtigungszeiten anerkannt zu bekommen,<br />

müssen Sie einen Antrag auf Feststellung von Kindererziehungszeiten stellen.<br />

Dafür ist ein spezielles Antragsformular vorgesehen, welches Sie bei der Rentenversicherung<br />

anfordern können. Wenn Sie nicht sicher sind, ob die Beitrags-, Anrechnungs-<br />

und Berücksichtigungszeiten für Sie korrekt verbucht sind, können Sie bei der<br />

Rentenversicherung einen „Versicherungsverlauf“ anfordern und bei Unstimmigkeiten<br />

einen „Antrag auf Kontenklärung“ stellen.<br />

g) Kinderzuschlag, Arbeitslosengeld II und andere Sozialleistungen<br />

Mit der Geburt Ihrer Kinder ändern sich die Berechnungsgrundlagen für viele allgemeine<br />

Sozialleistungen, allen voran das Wohngeld, das Arbeitslosengeld II und die<br />

Sozialhilfe. Wer ohnehin bereits eine dieser Leistungsarten bezieht, muss die Kinder<br />

lediglich nachmelden.<br />

Einige Familien kommen jedoch erst durch die Kinder in den Bereich der sozialrechtlichen<br />

Bedürftigkeit, weil das vorhandene Einkommen zwar bisher ausreichte,<br />

jedoch nicht mehr den zusätzlichen Bedarf der Kinder abdeckt. Früher wurde in diesen<br />

Fällen „ergänzende Sozialhilfe“ gewährt. Mit dem Inkrafttreten von Hartz-IV wurden<br />

diese Hilfestrukturen geändert:<br />

Familien mit geringem Einkommen müssen zunächst Wohngeld beantragen. Zuständig<br />

ist die Wohngeldstelle der Gemeinde-, Stadt-, Kreis- oder Amtsverwaltung. Ob<br />

Sie wohngeldberechtigt sind, richtet sich nach der Höhe des Familieneinkommens und<br />

nach der Anzahl der Familienmitglieder, also auch nach der Anzahl der Kinder. Viele<br />

Familien werden mit der Geburt ihrer <strong>Zwillinge</strong> erstmals wohngeldberechtigt. Erkundigen<br />

Sie sich bei der Wohngeldstelle nach den einzelnen Anspruchsvoraussetzungen.<br />

Auch die Empfänger von Arbeitslosengeld I können Wohngeld erhalten.<br />

Reichen das Familieneinkommen und das Wohngeld zusammengerechnet noch<br />

nicht aus, um den Lebensunterhalt der Familie zu bestreiten, besteht für die Dauer von<br />

höchstens drei Jahren ein Anspruch auf Gewährung eines Kinderzuschlags. Der Kinderzuschlag<br />

ist eine Art Erhöhung des Kindesgeldes. Bis zu 140 EUR können monatlich<br />

pro Kind zusätzlich gewährt werden. Zuständig ist die Familienkasse, die auch das<br />

Kindergeld auszahlt.<br />

Reicht das Familieneinkommen zusammen mit dem Wohngeld und dem Kinderzuschlag<br />

noch immer nicht aus, um den Bedarf der Familie zu decken, so treten das Wohngeld<br />

und der Kinderzuschlag außer Kraft und es besteht stattdessen ein Anspruch auf<br />

Sozialgeld für nicht erwerbsfähige Angehörige nach den Regelungen des Arbeitslosengeld<br />

II (SGB II). Das Sozialgeld deckt den gesamten Bedarf ab, so dass daneben nicht<br />

zusätzlich Wohngeld oder Kinderzuschlag gewährt werden kann.<br />

Eltern, die noch in der Ausbildung sind, sollten wissen, dass für die Kinder ein eigener<br />

Anspruch auf Sozialgeld nach dem SGB II besteht, der nicht an die Sozialleistungsberechtigung<br />

der Eltern geknüpft ist. Daher können Kinder von Schülern und Studierenden<br />

auch dann Sozialgeld bekommen, wenn die Eltern bereits dem Grunde nach<br />

(wegen des Vorrangs des BAföG) keinen eigenen Anspruch auf Sozialleistungen nach<br />

dem SGB II haben. Vorrangig ist jedoch auch hier zu prüfen, ob der zusätzliche Bedarf<br />

eventuell bereits durch den BAföG-Kinderzuschlag von 113 EUR für das erste und 85<br />

EUR für jedes weitere Kind aufgefangen wird.<br />

Außer den sozialrechtlichen Ansprüchen zur Deckung des Lebensunterhalts sind<br />

noch eine Reihe weiterer Sozialleistungen an die Anzahl der Kinder gekoppelt, z.B. die<br />

Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht. Auch Wohnberechtigungsscheine werden<br />

in Abhängigkeit von der Zahl der Kinder ausgestellt. Wenn Ihnen von einem Gericht in<br />

einem Rechtsstreit Prozesskostenhilfe mit Ratenzahlung bewilligt wurde, sollten Sie<br />

ebenfalls dort Ihre neugeborenen Kinder nachmelden und eine Neufestsetzung der Raten<br />

beantragen; diese können sich erniedrigen oder sogar ganz entfallen.<br />

Wehr- und Zivildienstleistende erhalten Unterhalt für die Kinder nach dem Unterhaltssicherungsgesetz;<br />

die Höhe des Unterhalts hängt von dem Nettoeinkommen ab,<br />

welches der Dienstpflichtige vor dem Wehr-/Zivildienst erzielt hatte.<br />

h) Krankenversicherung für die Kinder<br />

Zu den Dingen, die nach der Geburt eines Kindes geregelt werden müssen, gehört<br />

auch die Aufnahme des Neugeborenen in eine Krankenversicherung. Besonders bei<br />

Frühgeborenen gewinnt diese Frage schnell an Bedeutung, da bereits die Behandlung in<br />

71b


72a<br />

der Neugeborenenintensivstation recht kostspielig ist. Um zu verhindern, dass man<br />

diese Kosten am Ende selbst bezahlen muss, sollte man die Frage der Krankenversicherung<br />

der Kinder rechtzeitig regeln.<br />

Die Geburt selbst wird noch über die Krankenkasse der Mutter abgerechnet. Der<br />

Geburt zugerechnet wird außerdem die medizinische Erstversorgung der gesund geborenen<br />

Kinder sowie die Unterbringung und Versorgung von Mutter und Kind in einer<br />

normalen Wöchnerinnenstation bis zu sechs Tagen nach der Geburt. Diese Leistungen<br />

werden, auch soweit sie an den Kindern erbracht werden, über die Krankenkasse der<br />

Mutter abgerechnet. Alle weiteren Maßnahmen, vor allem die Behandlung eines kranken<br />

Neugeborenen sowie die Behandlung in einer Neugeborenenintensivstation, fallen<br />

jedoch bereits auf das Konto des Kindes. Soll eine Krankenkasse diese Kosten übernehmen,<br />

so muss das Kind selbst Mitglied dieser Krankenkasse werden bzw. über die<br />

Eltern mitversichert (familienversichert) sein.<br />

aa) Gesetzliche Krankenkasse<br />

Sind beide Eltern Mitglied in derselben gesetzlichen Krankenkasse, werden die<br />

Kinder mit ihrer Geburt automatisch (kostenlos) familienversichert. Sind die Eltern<br />

Mitglied in verschiedenem gesetzlichen Krankenkassen, können sie wählen, ob die<br />

Kinder entweder in der Krankenkasse des Vaters oder in der Krankenkasse der Mutter<br />

familienversichert werden sollen.<br />

Ist dagegen nur ein Elternteil gesetzlich krankenversichert und übersteigt das Einkommen<br />

des anderen Elternteils die Beitragsbemessungsgrenze, können die Kinder<br />

nicht in der gesetzlichen Krankenkasse kostenlos familienversichert werden. Sie müssen<br />

entweder privat versichert werden oder (gegen Beitragszahlung) in einem besonderen<br />

Tarif der gesetzlichen Krankenkasse freiwillig versichert werden. Meist wird der<br />

Elternteil, der die Beitragsbemessungsgrenze übersteigt, privat krankenversichert sein,<br />

so dass es sich empfiehlt, die Kinder bei dieser Versicherung nachzumelden. Wenn<br />

dieser Elternteil allerdings zum Beispiel in einer ausländischen Krankenkasse oder<br />

überhaupt nicht krankenversichert ist, müssten die Kinder für sich allein selbständig<br />

versichert werden.<br />

bb) Private Krankenversicherung<br />

Ist ein Elternteil privat krankenversichert, kann das Kind dort nachgemeldet werden.<br />

Für die Nachmeldung von Kindern bestehen bestimmte Fristen. Gemäß § 2 Abs. 2<br />

der Musterbedingungen (MB/KK 94) 1 muss die Nachmeldung spätestens zwei Monate<br />

nach dem Tage der Geburt erfolgen. Beachten Sie aber, dass sich die Tarifbestimmungen<br />

Ihrer Krankenkasse nicht unbedingt an die Musterbedingung halten müssen und fragen<br />

Sie bei Ihrer Versicherung vorsichtshalber nach, welche Frist Sie konkret zu beachten<br />

haben. Da ein Anspruch auf Nachversicherung nur besteht, wenn die Nachmeldefristen<br />

eingehalten sind, sollte man die Nachmeldung entweder per Einschreiben schicken oder<br />

persönlich in der Geschäftsstelle der Versicherung gegen Empfangsquittung abgeben.<br />

Wird die Frist überschritten, können Sie nur noch auf Kulanz der Versicherung hoffen.<br />

Der Versicherungsschutz für nachgemeldete Kinder ist seinem Umfang nach durch<br />

den Versicherungsschutz des Elternteils begrenzt, d.h. man kann die Kinder nicht mit<br />

einem weitergehenden Versicherungsschutz nachmelden, als man ihn für sich selbst bei<br />

der Versicherung abgeschlossen hat. Die Nachmeldung setzt voraus, dass der Elternteil<br />

selbst mindestens seit drei Monaten vor der Geburt bei dem Versicherer versichert ist<br />

(§ 2 Abs. 2 der Musterbedingungen MB/KK 94). Daher sollten Sie Ihre private Krankenversicherung<br />

vor der Geburt nicht unbedacht wechseln, ohne sich genau zu vergewissern,<br />

zu welchen Bedingungen die Kinder nachversichert werden können.<br />

Meldet man das Kind in einer privaten Krankenversicherung an, ohne dass ein Elternteil<br />

dort versichert ist, so muss man vor der Aufnahme in die Versicherung nicht nur<br />

mit einer Gesundheitsprüfung, sondern auch mit Wartezeiten rechnen – für Frühgeborene<br />

eine denkbar schlechte Ausgangslage. Als Ausweg bleiben dann nur die freiwilligen<br />

Tarife der gesetzlichen Krankenversicherung.<br />

Beihilfeberechtigte Beamte erhalten für die Kinder ab der Geburt die gesetzliche<br />

Beihilfe und müssen deshalb nur den fehlenden Anteil durch die private Versicherung<br />

1 Musterbedingungen nennt man die von der Versicherungswirtschaft gemeinschaftlich erarbeiteten<br />

und allgemein genehmigten Vertragsmuster, die von den meisten Versicherungen als Versicherungsbedingungen<br />

zugrundegelegt und nur in einzelnen Punkten durch besondere Zusatzklauseln<br />

ergänzt werden. Zur Prüfung Ihres eigenen Versicherungsschutzes müssen Sie jeweils die für<br />

Sie persönlich geltenden Versicherungsbedingungen zugrundelegen, die u.U. von den Musterbedingungen<br />

abweichen können. Informieren Sie sich bei der Krankenversicherung, welche Bedingungen<br />

für Ihren Vertrag gelten.<br />

72b


73a<br />

abdecken. In den meisten Bundesländern erhöht sich bei zwei minderjährigen Kindern<br />

außerdem auch der Beihilfesatz des Beamten selbst, so dass man den ergänzenden<br />

Privatversicherungsschutz für sich selbst ebenfalls reduzieren kann.<br />

cc) Auslandsreiseversicherung<br />

Wenn Sie für sich zusätzlich eine Auslandskrankenversicherung abgeschlossen<br />

haben, denken Sie daran, Ihre Kinder auch dort gesondert nachzumelden. Erst dann<br />

sind die Kinder nämlich in den Versicherungsschutz einbezogen. Auch bei dieser Versicherung<br />

bestehen besondere Nachmeldefristen, die bei manchen Versicherungen<br />

zwei Monate, bei manchen jedoch nur einen Monat betragen. Diese Fristen verpasst<br />

man schnell, weil die wenigsten Eltern unmittelbar nach der Geburt gleich die nächste<br />

Auslandsreise im Sinn haben.<br />

der im Müttergenesungswerk zusammengeschlossenen Wohlfahrtsverbände oder einer<br />

anderen zugelassenen Einrichtung um einen Kurplatz bemühen. Einer besonderen Bewilligung<br />

durch die Krankenkasse bedarf die Kur seit dem 1. April 2007 nicht mehr. Die<br />

Krankenkassen verpflichtet, die Kur komplett zu finanzieren; lediglich die gesetzliche<br />

Zuzahlung von 10,- EUR pro Tag – wie bei einem Krankenhausaufenthalt – muss man<br />

selbst beisteuern. Nach Erreichen der Belastungsgrenze von 2% des Bruttojahreseinkommens<br />

können Sie sich von der Zuzahlungspflicht befreien lassen. Der Regelaufenthalt<br />

beträgt drei Wochen und kann nur in Extremfällen verlängert werden. Frühestens<br />

nach vier Jahren kann die Kur wiederholt werden – nur in Ausnahmefällen schon eher.<br />

Für die Betreuung der daheim gebliebenen Kinder unter 12 Jahren kommt die Krankenkasse<br />

auf; bei behinderten Kindern entfällt diese Altersgrenze. Nähere Informationen<br />

erteilt das Müttergenesungswerk (Bergstr. 63, 10115 Berlin, Tel. 030-330029-0 Fax<br />

0911-330029-20; http://www.muettergenesungswerk.de) oder einer der ihm angeschlossenen<br />

Wohlfahrtsverbände: Caritas, Diakonie, Rotes Kreuz, Arbeiterwohlfahrt und Paritätischer<br />

Wohlfahrtsverband.<br />

73b<br />

i) Mütter- und Väterkur<br />

Zu den staatlichen Sachleistungen für Familien gehören schließlich noch die Mütter-<br />

und Väterkuren für denjenigen Elternteil, der die Erziehungsaufgabe wahrnimmt.<br />

Sie werden begrifflich unterteilt in Vorsorgekuren, die eine bevorstehende Erkrankung<br />

der Mutter / des Vaters verhindern sollen, und Genesungskuren, die nach einer eingetretenen<br />

Erkrankung der Rehabilitation dienen. Ziel der Mütter-/Väterkuren ist die<br />

Stärkung in Körper und Geist. Daher werden Bäder und Massagen, die der körperlichen<br />

Entspannung und Gesundheit dienen, begleitet von Angeboten zur psychosozialen<br />

Bewältigung der häuslichen Belastungssituation in Einzel- und Gruppengesprächen.<br />

Die Kuren werden entweder als reine Mütter-/Väterkur oder als Mutter-Kind-Kur<br />

/ Vater-Kind-Kur angeboten. Nur wenige Kurheime sind jedoch auf Kinder unter drei<br />

Jahren eingerichtet. Um eine Genesungskur (Rehabilitationskur) beantragen zu können,<br />

muss eine mit der mütterlichen/väterlichen Belastung zusammenhängende Erkrankung<br />

vorausgegangen sein; bei der Vorsorgekur muss der Arzt attestieren, dass<br />

die Kur erforderlich ist, um eine Schwächung der Gesundheit, die in absehbarer Zeit<br />

zu einer Erkrankung führen würde, zu beseitigen oder einer Gefährung der gesundheitlichen<br />

Entwicklung des Kindes entgegenzuwirken. Sodann muss man sich bei einem<br />

3. Weitere Anschaffungen<br />

a) Tragetuch, Kindertragen<br />

Da der Zwillingskinderwagen aufgrund seiner Abmessungen nicht überall praktikabel<br />

ist, suchen viele Eltern im Laufe der Zeit nach Mobilitätsalternativen. In den ersten<br />

Monaten kommt das Tragetuch in Betracht, das meist vor den Bauch gebunden wird.<br />

Das Tragen von Kindern in einem Tuch hat eine lange Tradition und erlebt seit einigen<br />

Jahren eine Renaissance, während Kritiker behaupten, es könne der Wirbelsäule und<br />

Rückenmuskulatur des Kindes schaden. Pro und Kontra streiten darüber, ob das Tragetuch<br />

die vorgeburtliche Haltung in gesunder Weise nachempfindet oder ob es den kindlichen<br />

Knochenbau unnatürlich krümmt. Falls man sich für Tragetücher entscheidet, setzt<br />

das für jedes Kind je einen gesonderten Träger voraus. Wenn Mutter oder Vater allein<br />

unterwegs sind, scheidet das Tragetuch also von vornherein aus – es sei denn, man wollte<br />

das Tragetuch mit einem Einlingskinderwagen kombinieren.<br />

Eine einfallsreiche und schneiderisch begabte Mutter wollte das Problem lösen, indem<br />

sie einen Doppeltragesack aus Jeansstoff entwarf, worin beide Kinder nebeneinander<br />

Platz hatten. Die Nähanleitung dafür ist in dem Zwillingsbuch von M. v. Gratkowski<br />

abgedruckt. Leider bietet der Doppeltragesack jedoch seitlich nicht so viel Halt wie ein


74a<br />

Tragetuch, so dass die Kinder darin eher eine sitzende Position einnehmen, in der<br />

Kopf und Oberkörper auf der Wirbelsäule ruhen. Gerade diese Haltung soll aber so<br />

lange vermieden werden – darin sind sich Orthopäden einig –, bis die Kinder sich<br />

selbständig aufrecht hinsetzen können. Dieser Entwicklungsschritt wird aber im Allgemeinen<br />

erst zwischen dem achten und dem zwölften Lebensmonat erreicht, also in<br />

einer Zeit, für die der Doppeltragesack schon nicht mehr konzipiert ist. In der Zeit<br />

davor fehlt dem Kind die erforderliche Rückenmuskulatur, so dass der noch unfertige<br />

Knochenbau die mit der aufrechten Sitzposition verbundene Belastung allein abfangen<br />

muss. Diese Gewichtsüberlastung kann zu dauerhaften Schäden führen, die sich auch<br />

durch spätere therapeutische Maßnahmen nicht mehr ausgleichen lassen. Daher müssen<br />

wir von dem Gebrauch dieser auf den ersten Blick sehr einfallsreichen Lösung<br />

eher abraten und verzichten deshalb auch auf einen Abdruck der Nähanleitung.<br />

Etwas besser gelöst ist die Rückenhaltung bei dem inzwischen käuflich zu erwerbenden<br />

Doppeltragesack von Weego . Aber auch hier sitzen die einzelnen Kinder<br />

nicht – wie bei Einlingstragetaschen – symmetrisch vor dem Bauch, sondern schräg<br />

angewinkelt, wodurch sich eine leicht ungleichmäßige Belastung des kindlichen Körpers<br />

ergibt. Deshalb sollte man auch diesen Tragesack nicht umjubeln, sondern ihn<br />

allenfalls als eine Notlösung begreifen.<br />

Haben die Kinder dann einmal das Sitzalter erreicht, bieten sich Rückentragen<br />

(„Kiepen“, „Kraxen“) als weitere Transportmöglichkeit an – freilich wiederum nur ein<br />

Kind je Träger. Diese Rückentragen werden von verschiedenen Herstellern in unterschiedlicher<br />

Qualität und Ausstattung angeboten. Für anspruchsvollere Modelle sollte<br />

man sich nicht nur in den Babymärkten, sondern auch und vor allem bei den Outdoorund<br />

Trekkingausrüstern bzw. in den Wanderabteilungen größerer Sportgeschäfte umsehen.<br />

Fast alle namhaften Rucksackhersteller haben auch Rückentragen im Programm,<br />

die allerdings nicht nur im Tragekomfort, sondern auch im Preis einem guten<br />

Wanderrucksack gleichkommen. Vor allem bei Spaziergängen, Wanderungen und<br />

allgemein im Gelände, aber auch beim Treppensteigen, auf schmalen Bürgersteigen<br />

oder auf unebener Fläche erweisen sich die Rückentragen gegenüber einem Kinderwagen<br />

als überlegen. Die Hauptanwendung für die Rückentragen liegt daher für die meisten<br />

Familien in der gemeinsamen Freizeitgestaltung und im Urlaub. Vor allem im<br />

Ausland können die unterschiedlichen baulichen Standards sowie ungewohnte Verkehrsregelungen<br />

das Fortkommen mit einem Zwillingskinderwagen zur Geduldsprobe<br />

werden lassen. Übrigens gestatten es die meisten Fluggesellschaften, Rückentragen<br />

mit in die Kabine zu nehmen, so dass die Kinder damit bis in das Flugzeug und anschließend<br />

sofort wieder von dort in die Flughalle getragen werden können.<br />

b) Sportwagen und Buggy<br />

Wie gesagt: Nach zehn bis zwölf, manchmal auch schon nach acht Monaten, können<br />

sich Ihre Kinder selbständig hinsetzen. Meist wird ihnen das Liegen im Kinderwagen<br />

dann auch langweilig und sie wollen lieber aufrecht sitzend wahrnehmen, was um<br />

sie herum vor sich geht. Damit steht der Umbau des Kinderwagens an: Viele Modelle<br />

lassen sich mit wenigen Handgriffen so herrichten, dass aus der Liegestätte ein Sitzabteil<br />

wird.<br />

Falls sich Ihr Kinderwagen nicht umbauen lässt, er allmählich aus dem Leim geht<br />

oder wenn Ihnen der Wagen mit der Zeit einfach zu sperrig geworden ist, erwägen Sie<br />

vielleicht die Anschaffung eines neuen Modells. Jetzt können Sie sich gut für eines der<br />

kompakten Modelle entscheiden, die nur für die Sitzposition hergerichtet sind und sich<br />

nicht umbauen lassen. Man unterteilt zwischen Sportwagen und Buggy, wobei der<br />

schwerere Sportwagen („Karre“) sich durch eine stabilere Bauweise, eine feste Sitzfläche<br />

und größere Räder auszeichnet, während die leichteren Buggys im Allgemeinen eine<br />

geringere Formstabilität aufweisen, die Sitzfläche aus Stoff gespannt ist und die Räder<br />

recht <strong>klein</strong> sind. Mit diesen Eigenschaften erreichen Buggys allerdings ein erstaunlich<br />

geringes Packmaß, zumal sie nicht nur in der Tiefe, sondern auch in der Breite zusammengefaltet<br />

werden können.<br />

Beide Wagentypen gibt es auch für <strong>Zwillinge</strong>: den Sportwagen wiederum nebeneinander<br />

oder hintereinander, den reinen Buggy wohl nur nebeneinander. Von manchen<br />

Herstellern kann man sogar zwei einzelne Buggys bekommen, die sich durch Schienen<br />

miteinander verbinden lassen. Das ist insofern praktisch, als man bei gemeinsamen Unternehmungen<br />

die Kinder aufteilen kann, oder auch allein einmal mit einem Kind im<br />

Buggy und einem in der Rückentrage losziehen kann. Allerdings weisen die mit Schienen<br />

verbundenen Buggys systembedingt eine noch geringere Formstabilität auf als die<br />

fest verbunden Typen und sind zudem auch nicht so lange haltbar, weil die Verbindungsstangen<br />

mechanisch stark beansprucht werden.<br />

Auch die in Mode gekommenen „Jogger“-Modelle, die nicht auf vier <strong>klein</strong>en, sondern<br />

auf drei großen Rädern fahren und über eine Handbremse verfügen, gibt es für<br />

74b


75a<br />

75b<br />

Mehrlinge – zum Beispiel den original Baby-Jogger 1 oder den Mountain Terrain Buggy<br />

2 für <strong>Zwillinge</strong> und Drillinge nebeneinander oder die Modelle der Firma Runabout<br />

für <strong>Zwillinge</strong>, Drillinge und sogar Vierlinge hintereinander 3 . Andere Hersteller dieses<br />

unaufhaltsam wachsenden Marktes haben zumindest ein Modell für <strong>Zwillinge</strong> im Angebot<br />

(z.B. TFK, aic, Marco usw.).<br />

Eine Alternative zu den reinen Kinderwagen sind Fahrrad-Kinderanhänger, die<br />

sich mit wenigen Handgriffen in einen Kinderwagen umbauen lassen. Wenn Sie viel<br />

mit dem Fahrrad unterwegs sind, sind diese Wagen vielleicht ideal. Für den Transport<br />

im Auto sind sie allerdings eher schlecht geeignet, da sie sich nur bedingt zusammenpacken<br />

lassen und viel Platz wegnehmen. Erkundigen Sie sich bei Ihrem Fahrradhändler<br />

oder verschaffen Sie sich einen ersten Überblick auf den Internetseiten der Versandfirmen,<br />

z.B.:<br />

Ratgeber wert ist. Unsere Empfehlung liegt bei 5,- bis 10,- EUR pro Leserfamilie;<br />

egal ob Sie den Text selbst aus dem Internet heruntergeladen oder<br />

von einer befreundeten Familie erhalten haben. Bitte überweisen Sie den<br />

Betrag an: Dr. Claudio Nedden-Boeger, Konto-Nr. 142921, Bankleitzahl<br />

360 605 91 (Sparda-Bank West eG) – bzw. für den EU-Zahlungsverkehr:<br />

IBAN: DE67 3606 0591 0000 1429 21, BIC: GENODED1SPE.<br />

- http://www.zweipluszwei.com<br />

- http://www.bikeshop2000.de/Kinderanhanger/kinderanhanger.html<br />

- http://www.bavariabike.de<br />

Liebe Leserin, lieber Leser!<br />

Nun haben Sie drei Kapitel des Buches gelesen und schon vieles über<br />

die Zwillingsschwangerschaft, die Zwillingsgeburt und das Leben mit<br />

<strong>Zwillinge</strong>n erfahren. Sie werden sich vorstellen können, dass das Zusammentragen<br />

dieser Informationen eine Menge Arbeit bedeutet hat. Wenn Sie<br />

den Ratgeber informativ finden, möchten wir Sie an dieser Stelle ein letztes<br />

Mal bitten, unsere Mühe mit einem angemessenen Autorenhonorar<br />

anzuerkennen. Damit ermutigen Sie uns auch, dieses Projekt im Interesse<br />

weiterer Zwillingseltern fortzuführen. Geben Sie soviel, wie Ihnen der<br />

1 Infos und Händlernachweis unter http://www.babyjogger.com (); erhältlich außerdem bei<br />

Mehrlingsshop Birgit Leeck, http://mehrlinge.com/Shop/Tipps/shopmichel_online/index.html.<br />

2 Erhältlich z.B. bei Mehrlingsshop Birgit Leeck,<br />

http://mehrlinge.com/Shop/Tipps/shopmichel_online/index.html.<br />

3 Erhältlich z.B. bei Mehrlingsshop Birgit Leeck,<br />

http://mehrlinge.com/Shop/Tipps/shopmichel_online/index.html


76a<br />

Viertes Kapitel: Familiensituation und weitere Entwicklung<br />

der Kinder im Säuglings- und Kleinkindalter<br />

1. Allgemeine Entwicklungsverzögerung<br />

Die geistige und körperliche Entwicklung von <strong>Zwillinge</strong>n ist gegenüber anderen<br />

Kindern im Allgemeinen etwas verzögert. Meist lernen sie etwas später als andere<br />

Kinder, sich vom Rücken auf den Bauch zu drehen, zu sitzen, zu krabbeln, zu laufen<br />

und zu sprechen. Im Laufe der Zeit verlieren sich diese Entwicklungsunterschiede,<br />

wenngleich es immerhin etwa zehn Jahre dauert, bis sich keine erkennbaren Unterschiede<br />

zu den Einlingskindern mehr nachweisen lassen.<br />

Diese Entwicklungsverzögerung ist jedoch nicht problematisch, weil sie keine<br />

bleibenden Schäden oder Nachteile hinterlässt. Überhaupt nehmen wir den Entwicklungsfortschritt<br />

nur deshalb als „verzögert“ wahr, weil der Vergleich von <strong>Zwillinge</strong>n<br />

mit Einlingen von vornherein hinkt. Die statistischen Normen zur altersgerechten<br />

Kindsentwicklung orientieren sich an der großen Masse der zum errechneten Geburtstermin<br />

komplikationslos geborenen Einlinge. Dieser Vergleichsgruppe gehören Ihre<br />

Kinder jedoch nicht an und sie werden ihr auch niemals angehören. Mehrlinge haben<br />

ihren eigenen Rhythmus und ihre eigene Geschwindigkeit, die wir ihnen nicht streitig<br />

machen sollten. Vergleichen Sie den Entwicklungsstand Ihrer Kinder daher nicht mit<br />

Einlingen. Leider gibt es viele Mütter- und Elternkreise, die geradezu eine Rangliste<br />

nach dem jeweils erreichten Entwicklungsstand der Kinder aufstellen. Für die Ranguntersten<br />

ist das oft belastend und vielleicht auch verletzend; manche Eltern machen sich<br />

sogar Sorgen um eine mögliche Behinderung Ihres Kindes. Man sollte den vergleichenden<br />

Bewertungen daher mit einer gehörigen Portion Gelassenheit gegenübertreten<br />

und sich möglichst nicht daran beteiligen. Freuen Sie sich vielmehr über das soziale<br />

Miteinander Ihrer Kinder, das ihnen kein Einling streitig machen kann.<br />

Manche Eltern tun sich allerdings schwer, Entwicklungsunterschiede der <strong>Zwillinge</strong><br />

untereinander zuzulassen. Wegen des gleichen Alters und der gleichen Abstammung<br />

neigt man bei <strong>Zwillinge</strong>n besonders dazu, sie miteinander zu vergleichen und<br />

die bestehenden Unterschiede bei dem einen als Entwicklungsfortschritt und bei dem<br />

anderen als Entwicklungsdefizit zu bewerten. Auch untereinander sollte man ihnen<br />

jedoch ihr eigenes Entwicklungstempo zugestehen. Bei zweieiigen <strong>Zwillinge</strong>n liegt<br />

das auf der Hand, wegen ihrer genetischen Verschiedenheit. Sie sind sich nicht ähnlicher<br />

als andere Geschwister und können sich ebenso unterschiedlich entwickeln. Aber auch<br />

eineiige <strong>Zwillinge</strong> müssen sich nicht parallel entwickeln: Sie sind sich zwar genetisch<br />

sehr ähnlich, doch leben auch sie seit Anbeginn ihre eigene Geschichte. Schon in der<br />

Gebärmutter sind sie unterschiedlich gut versorgt und verbringen die Zeit in ihrer eigenen<br />

Haltung und Lage – bis dann auch das Geburtserleben selbst auf den ersten Zwilling<br />

anders einwirkt als auf den zweiten. Nach der Geburt können sich unterschiedliche Erkrankungen,<br />

Verletzungen und Heilungsprozesse auf den Entwicklungsfortschritt der<br />

Kinder auswirken. Daher können auch eineiige <strong>Zwillinge</strong> erhebliche Entwicklungsdifferenzen<br />

aufweisen, vor allem bei einer unterschiedlichen vorgeburtlichen Versorgungssituation.<br />

Die meisten feststellbaren Entwicklungsverzögerungen von <strong>Zwillinge</strong>n beruhen auf<br />

ihrer Früh- oder Mangelgeburtlichkeit. Stellt man ihnen als Vergleichsgruppe nicht die<br />

termingerecht geborenen Einlinge gegenüber, sondern Einlings-Frühchen mit entsprechender<br />

Geburtsreife, so kann man im weiteren Entwicklungsgang keinen signifikanten<br />

Unterschied mehr feststellen. Damit ist die Frage der Entwicklungsverzögerung in einem<br />

wesentlichen Punkt kein spezifisches Mehrlingsproblem, sondern ein Problem der frühen<br />

Geburt und der unzureichenden Versorgungslage in der Gebärmutter.<br />

Um den Entwicklungstand eines Frühgeborenen medizinisch und heilpädagogisch<br />

richtig beurteilen zu können, darf man ohnehin nicht das tatsächliche Alter des Kindes<br />

zugrundelegen, sondern man muss vom „korrigierten Alter“ ausgehen: Man zählt also<br />

nicht ab dem Tag der tatsächlichen Geburt, sondern erst ab dem vorhergesagten (errechneten)<br />

Geburtstermin. Fachlich kompetent für die Beurteilung des Entwicklungsfortschritts<br />

Ihrer Kinder sind letztlich nur die Kinderärzte und die im Bereich der Früherkennung<br />

und Frühförderung tätigen Kräfte. Sie als Eltern können einen wichtigen Beitrag<br />

zur Früherkennung leisten, indem Sie die Verhaltensweisen Ihrer Kinder aufmerksam<br />

beobachten und bei Untersuchungen darüber berichten. Wenn Sie besondere Auffälligkeiten<br />

bei Ihren Kindern feststellen, sprechen Sie den Kinderarzt auch außerhalb der<br />

Vorsorgeuntersuchungen darauf an.<br />

Neben der Früh- und Mangelgeburtlichkeit kommt als weitere Ursache für eine<br />

Entwicklungsverzögerung vor allem eine angespannte Familiensituation in Betracht:<br />

Überforderte und ausgelaugte Zwillingseltern haben nicht mehr die nötige Energie, um<br />

den Kindern die altersgerechte Zuwendung und Einzelförderung entgegenzubringen. Im<br />

Extremfall können solche Überforderungssituationen sogar zu Vernachlässigungen und<br />

Kindesmisshandlungen ausarten, die bei <strong>Zwillinge</strong>n tatsächlich häufiger vorkommen als<br />

76b


77a<br />

bei Einlingen. Solchen Entwicklungen sollte man unter allen Umständen frühzeitig<br />

entgegenwirken. Allein deshalb schon ist es wichtig, innerhalb der Familie für ein<br />

möglichst harmonisches häusliches Umfeld zu sorgen, Hilfe anzunehmen, Kontakte<br />

nach außen zu halten und sich gegenseitig zu entlasten. Wenn es den Eltern gut geht,<br />

geht es meistens auch den Kindern gut.<br />

2. Sprachentwicklung<br />

Wenn andere Kinder allmählich beginnen, die Worte der Erwachsenen nachzusprechen,<br />

entwickeln viele <strong>Zwillinge</strong> eine eigenständige Zwillingssprache, mit der sie<br />

sich untereinander verständigen. Damit ist nicht nur gemeint, dass die Kinder für einzelne<br />

Gegenstände bestimmte Worte erfinden, die der Umwelt fremd sind, wie zum<br />

Beispiel „lütla“ für „Flugzeug“. Das tun auch Einlinge. Bei <strong>Zwillinge</strong>n liegt die Besonderheit<br />

darin, dass sie eine komplette Sprache mit einem eigenen vollständigen<br />

Wortschatz erschaffen, mit dem sie sich untereinander umfassend verständigen können.<br />

Leider ist diese Sprache auf das jeweilige Zwillingspaar beschränkt und Außenstehende<br />

haben keinen sprachlichen Zugang. Das gilt nicht nur für Freunde, Verwandte<br />

und andere Kinder, sondern oft auch für die Eltern, die zwar die Bedeutung einiger<br />

Begriffe nach und nach erraten, jedoch nicht wirklich mit den Kindern sprechen können.<br />

Im Laufe der Zeit verliert sich die Zwillingssprache und wird durch die Muttersprache<br />

abgelöst. Bis es soweit ist, kann jedoch einige Zeit vergehen. Einige <strong>Zwillinge</strong><br />

beginnen sogar erst im Kindergartenalter, sich der Muttersprache zu bedienen; Grund<br />

zur Besorgnis besteht deswegen nicht.<br />

Zum Teil ist vorgeschlagen worden, den Kindern die Erwachsenensprache frühzeitig<br />

aufzuzwingen, indem man ihnen Getränke, Mahlzeiten oder Spielsachen vorenthält,<br />

bis das Kind sie mit der richtigen Bezeichnung benannt hat. Solche Methoden<br />

sind allerdings fragwürdig. Sinnvoll ist es jedoch, den Kindern die richtigen Begriffe<br />

immer wieder vorzusagen, um sie an die normale Sprache zu gewöhnen.<br />

Einige wissenschaftliche Untersuchungen haben sich mit der Zwillingssprache<br />

befasst und herausgefunden, dass die verwendeten Silben und Laute, zum Teil sogar<br />

komplette Wortstämme, der jeweiligen Muttersprache entlehnt sind. Zwillingskinder<br />

von deutschsprachigen Eltern klingen also phonetisch wie deutsch sprechende Kinder,<br />

nur dass niemand die einzelnen Worte verstehen kann. Dagegen würde sich die Zwillingssprache<br />

von Kindern chinesischer Eltern für unsere Ohren eher wie eine fernöstliche<br />

Sprache anhören. Während diese Erkenntnis allerdings fast schon banal ist und von<br />

allen betroffenen Eltern schnell nachvollzogen werden kann, hat man darüber hinaus<br />

herausgefunden, dass die Zwillingssprache auf einer völlig eigenständigen Grammatik<br />

beruht, die keinerlei Anbindung an die Grammatik der jeweiligen Erwachsenensprache<br />

hat. Dieser erstaunliche Umstand ist wahrscheinlich auch dafür verantwortlich, dass es<br />

uns Erwachsenen so schwer fällt, die Sprache der Kinder nachzuvollziehen.<br />

Das Phänomen der Zwillingssprache ist bei den einzelnen Zwillingspaaren unterschiedlich<br />

stark ausgeprägt. Manche Kinder beherrschen ausschließlich ihre Zwillingssprache<br />

und sagen ansonsten vielleicht nur noch die Worte „Mama“ und „Papa“ aus<br />

unserer Sprache. Demgegenüber pflegen andere Kinder nur einen geringen Sonderwortschatz<br />

und sprechen ansonsten normal. Die Gründe für diese unterschiedliche Entwicklung<br />

sind noch nicht abschließend geklärt. Vielleicht hängt es von der jeweiligen Familiensituation<br />

und den innerfamiliären Beziehungsstrukturen ab, von wem die Kinder die<br />

Sprache am ehesten übernehmen (Theorie der soziologischen Aspekte des Spracherwerbs).<br />

Je mehr sich die <strong>Zwillinge</strong> tagsüber allein miteinander, ohne Anregung von<br />

außen beschäftigen und dadurch sozusagen in ihrer Zweiergemeinschaft „isoliert“ aufwachsen,<br />

desto eher werden sie sich untereinander Vorbild bei den ersten Sprechübungen<br />

sein.<br />

Allerdings vermag dieses Modell nicht zu erklären, weshalb viele <strong>Zwillinge</strong> überhaupt<br />

keine Zwillingssprache entwickeln, obwohl auch sie ohne Zweifel die meiste Zeit<br />

des Tages miteinander verbringen. Vielleicht kommt es deshalb zusätzlich darauf an, ob<br />

die <strong>Zwillinge</strong> ihre einzelnen Entwicklungsschübe entweder parallel oder aber zeitversetzt<br />

vollziehen. Die Entwicklung einer Zwillingssprache könnte nämlich einen übereinstimmenden<br />

Entwicklungstand voraussetzen, auf dessen Basis die Kinder mit gleichen<br />

Artikulations- und Assoziationsfähigkeiten eine übereinstimmende Sprache abstimmen<br />

und anwenden. Demgegenüber könnte es der Ausbildung einer Zwillingssprache entgegenstehen,<br />

wenn die Kinder die Fähigkeit zum Sprechen erst nacheinander ausbilden.<br />

Der weiter entwickelte Zwilling würde dann womöglich eher den Sprechkontakt zu den<br />

Eltern suchen, deren Sprache annehmen und sie später an den Nachzügler weitergeben.<br />

Statistisch betrachtet entwickeln eineiige <strong>Zwillinge</strong> häufiger eine Eigensprache als<br />

zweieiige <strong>Zwillinge</strong>, und innerhalb der Gruppe der zweieiigen <strong>Zwillinge</strong> sind die verschiedengeschlechtlichen<br />

am ehesten betroffen. Für diese unterschiedliche Häufigkeitsverteilung<br />

findet allerdings keines der bisherigen Erklärungsmodelle eine schlüssige<br />

Begründung, namentlich was den Unterschied zwischen gleich- und verschiedengeschlechtlichen<br />

zweieiigen <strong>Zwillinge</strong>n betrifft.<br />

77b


78a<br />

Aber auch wenn <strong>Zwillinge</strong> keine eigene Zwillingssprache entwickeln, kann sich<br />

deren Spracherwerb gegenüber Einlingen um durchschnittlich ein halbes Jahr verzögern.<br />

Über die Gründe hierfür ist viel spekuliert worden – bis hin zu der Vermutung,<br />

dass die mit der Babypflege ausgelasteten Eltern überhaupt nicht mehr dazu kämen,<br />

mit den Kindern noch zu sprechen. Mindestens ebenso naheliegend ist allerdings die<br />

Annahme, dass <strong>Zwillinge</strong> untereinander neben der Wortsprache noch eine ausgefeilte<br />

Zeichen- und Gestensprache entwickeln, die ihnen eine Kommunikation auch außerhalb<br />

der Wortsprache ermöglicht und diese eine Zeit lang in den Hintergrund drängt.<br />

Forschern ist außerdem noch aufgefallen, dass sich Sprachstil und Sprachinhalte unterscheiden:<br />

<strong>Zwillinge</strong> stellen weniger Fragen als Einlinge und ihre Sprache befasst<br />

sich anteilig weniger mit Planen und Träumen, nimmt dafür eher Bezug auf konkrete<br />

und gefühlsbetonte Dinge.<br />

Am besten können Sie die Sprachentwicklung Ihrer Kinder fördern, indem Sie<br />

möglichst viel mit Ihren Kindern reden. Sprechen Sie möglichst nicht in einer künstlich<br />

verniedlichten Babysprache, sondern in vollständigen Sätzen mit normalem Tonfall.<br />

3. Ältere Geschwister<br />

Die Ankunft eines jüngeren Geschwisters bedeutet eine Veränderung der Familiensituation<br />

und damit für die älteren Geschwisterkinder immer auch eine Veränderung<br />

ihrer äußeren Rahmenbedingungen. Generell, also auch bei Einlingen, hat der Familienzuwachs<br />

einen Verlust der ungeteilten elterlichen Zuwendung zur Folge, an den sich<br />

das Geschwisterkind erst allmählich gewöhnen muss. Nicht einmal mehr in den Ruhepausen<br />

der Neugeborenen sind die übernächtigten Eltern noch frei verfügbar, sondern<br />

benötigen ihrerseits Ruhe und Entspannung. Vom älteren Geschwisterkind verlangt die<br />

Situation eine Zurückhaltung und Genügsamkeit, die seinem kindlichen Wesen nicht<br />

unbedingt entspricht. Es fühlt sich zurückgesetzt und ist mit der Zuschreibung des<br />

Attributes „älteres Geschwister“, was zugleich „einsichtiges Geschwister“ impliziert,<br />

einstweilen überfordert: schließlich ist es selbst ja noch ein <strong>klein</strong>es Kind.<br />

Wenn es sich bei den Neuankömmlingen dann auch noch um <strong>Zwillinge</strong> handelt,<br />

muss das ältere Geschwister zusätzlich ertragen, wie ausgerechnet diese Winzlinge im<br />

Mittelpunkt eines allgemeinen Interesses stehen. Nur wenige Passanten widerstehen<br />

der Versuchung, einen Blick in einen vorbeiziehenden Zwillingskinderwagen zu werfen,<br />

und man wird sogar überall darauf angesprochen. Die Geburt von Drillingen wirft in<br />

<strong>klein</strong>eren Orten sogar schon mal die Zeitung auf den Plan. Fremde Leute erinnern sich<br />

an irgendeine Bekanntschaft mit Ihnen und werden plötzlich zu „Freunden“ – freilich<br />

nicht um zu helfen, sondern um auch einmal Drillinge zu sehen.<br />

Für die älteren Geschwister bedeutet der Rummel um die Mehrlinge eine nur<br />

schwer zu ertragende Entthronung. Sie verstehen nicht, was die besondere Faszination<br />

der Neugeborenen ausmacht, die nicht nur Freude und Verwandte, sondern sogar wildfremde<br />

Menschen in den Bann zieht. Vor allem versteht das Geschwisterkind nicht,<br />

weshalb es selbst über diese Anziehungskraft und Ausstrahlung nicht verfügt. Solche<br />

Empfindungen können regelrechte Minderwertigkeitskomplexe auslösen.<br />

Manche Kinder reagieren auf diese Umwälzungen, indem sie sich völlig zurückziehen<br />

und zum Teil sogar wieder rückentwickeln. Geschwister nässen wieder ein oder<br />

beginnen sogar zu stottern; ältere Kinder verschlechtern sich in ihren schulischen Leistungen<br />

oder werden in ihrem Sozialverhalten auffällig. Dies geschieht nicht, um die<br />

Eltern zu ärgern oder zusätzlich zu belasten, sondern ist meistens ein Hilfeschrei nach<br />

etwas Zuwendung und Aufmerksamkeit.<br />

Versuchen Sie daher, Ihre Zuwendung möglichst gerecht auf die Kinder zu verteilen.<br />

„Gerecht“ meint dabei nicht, dass jedem Kind die gleiche Zeit zustehen soll. Aber<br />

jedes Kind soll ein angemessenes Zeitfenster verbindlich für sich beanspruchen können.<br />

Legen Sie für sich selbst und in Absprache mit dem Geschwisterkind Zeiträume fest, in<br />

denen Sie nur ihm zur Verfügung stehen. Diese Zeiten müssen Sie dann auch konsequent<br />

einhalten, selbst wenn die Neugeborenen quengeln. Es steigert das Selbstwertgefühl des<br />

Geschwisterkindes, wenn zu seinen Gunsten auch die Babys einmal warten müssen.<br />

Wenn Sie das Spiel mit dem Geschwisterkind wegen der Babys doch einmal unterbrechen<br />

müssen, vereinbaren Sie sofort verbindliche Nachholzeiten, die Sie – möglichst<br />

noch am selben Tag – ebenfalls gewissenhaft wahrnehmen. Binden Sie die älteren Geschwister<br />

nach Möglichkeit auch in die Betreuung und Beaufsichtigung der Babys ein –<br />

dadurch stärken Sie deren Verantwortungsbewusstsein und Selbstwertgefühl. Erklären<br />

Sie den Verwandten und Bekannten, wie wichtig es ist, auch den älteren Einlingsgeschwistern<br />

noch den ihnen zustehenden Teil an Aufmerksamkeit entgegenzubringen.<br />

Wenn von Ihren <strong>Zwillinge</strong>n Fotos gemacht werden, können Sie z.B. darum bitten, dass<br />

auch das ältere Geschwisterkind entsprechend häufig abgelichtet wird.<br />

78b


79a<br />

4. Sozialverhalten der Kinder<br />

An sozialen Kompetenzen haben Ihre Kinder den gleichaltrigen Einlingen mit der<br />

Zeit einiges voraus. Von Geburt an haben sie lernen müssen, miteinander zu teilen:<br />

vermutlich das Kinderzimmer, die meisten Spielsachen und vor allem Ihre elterliche<br />

Aufmerksamkeit und Zuwendung. Als Eltern können Sie das Sozialverhalten Ihrer<br />

<strong>Zwillinge</strong> sogar noch fördern, indem Sie z.B. nicht immer jedem Kind seine eigene<br />

Ration aushändigen, sondern einem Kind zwei Kekse geben mit der Bitte, dem Zwillingsgeschwister<br />

einen davon abzugeben. Das funktioniert dann meistens auch beim<br />

Teilen mit anderen Kindern. Die meisten Einlinge lernen dagegen erst im Kindergarten,<br />

miteinander zu teilen und sich zu arrangieren.<br />

Außerdem haben Ihre Kinder gelernt zu warten und sich in eine Reihenfolge einfügen.<br />

Sie kennen es von <strong>klein</strong> auf, nicht sofort als erste bedient zu werden, sondern<br />

sich zu gedulden, bis sie an der Reihe sind. Diese Fähigkeit fehlt vielen Einzelkindern,<br />

die beim Anziehen, Füttern, Baden usw. bisher niemanden vorlassen mussten.<br />

Selbst gegenüber Einlingsgeschwisterpaaren sind <strong>Zwillinge</strong> im Vorteil, denn sie<br />

haben keine Altershierarchie. Die Geschwisterbeziehung startet auf der Basis einer<br />

gleichaltrigen Partnerschaft, in der kein Kind einen unüberwindbaren Entwicklungsvorsprung<br />

mitbringt. Aufgrund ihres gleichen Entwicklungsstandes haben sie ähnliche<br />

Interessen, die das Zwillingsgeschwister zum Mitmachen anregen und so ein gemeinsames<br />

Spiel auf gleicher Ebene zustande kommen lassen. Konkret bedeutet dies für die<br />

meisten Eltern zugleich eine große Entlastung, weil <strong>Zwillinge</strong> bereits ab dem Krabbelalter<br />

für eine erheblich längere Zeit in der Lage sind, sich miteinander zu beschäftigen.<br />

Gönnen Sie den Kindern ihr gemeinsames Spiel, lassen Sie sie dabei ungestört und<br />

genießen Sie Ihre Freiräume. Umso intensiver können Sie sich wieder mit ihnen beschäftigen,<br />

wenn das gemeinsame Spiel nicht mehr funktioniert. Auch wenn die Kinder<br />

streiten, müssen Sie nicht immer sofort dazwischengehen. Anders als bei verschiedenaltrigen<br />

Einlingsgeschwistern gibt es unter den <strong>Zwillinge</strong>n meist keine so großen<br />

körperlichen Überlegenheiten, die uns dazu aufriefen, dem Schwächeren ständigen<br />

Schutz und Beistand zu leisten. <strong>Zwillinge</strong> müssen lernen, ihre Konflikte untereinander<br />

auszutragen, und meist ist der Streit auch nur von kurzer Dauer. Wenn Sie den <strong>Zwillinge</strong>n<br />

Raum geben, ihre Angelegenheiten untereinander zu regeln, erziehen Sie sie<br />

damit zur Eigenständigkeit. Nur wenn der Streit gar kein Ende nimmt, sollte man nach<br />

einer gewissen Zeit eingreifen, und auch ernstliche Verletzungen, wie z.B. Bisswunden,<br />

sollte man nicht durchgehen lassen.<br />

Umgekehrt haben es <strong>Zwillinge</strong> manchmal schwerer, den Kontakt zu anderen Kindern<br />

aufzunehmen und sich in eine größere Gruppe zu integrieren. Um einer Isolation in<br />

der Zwillingsbeziehung frühzeitig vorzubeugen, sollte man den Kontakt zu anderen<br />

Kindern daher schon im Säuglings- und Kleinkindalter pflegen. Nehmen Sie an Krabbelgruppen,<br />

Babyschwimmen und Kinderturnen teil und besuchen Sie häufig den Spielplatz.<br />

Im Kindesalter schlüpfen viele Zwillingspaare in die Rollen eines „Außenministers“<br />

und eines „Innenministers“, wobei der „Außenminister“ bei allen Kontakten mit<br />

anderen Kindern (und Erwachsenen) im Vordergrund steht und sich als eloquent und<br />

aufgeschlossen präsentiert, während der „Innenminister“ im Außenkontakt ein eher<br />

verschlossenes und kontaktscheues Wesen darstellt, in der Zweierbeziehung der <strong>Zwillinge</strong><br />

untereinander jedoch eindeutig dominiert.<br />

Im Kindergarten besteht weiterhin die Gefahr, dass die <strong>Zwillinge</strong> in ihrer Zweisamkeit<br />

für sich bleiben; in der Schule kann es passieren, dass ein dominanter Zwilling den<br />

Lernerfolg des anderen behindert. Eigene vollwertige (d.h. nicht vom Zwillingsgeschwister<br />

abhängige) Beziehungsstrukturen zu anderen Kindern und erwachsenen Personen<br />

bauen sie häufig erst dann auf, wenn sie für eine geraume Weile voneinander getrennt<br />

werden – sei es durch den Besuch unterschiedlicher Kindergartengruppen, unterschiedlicher<br />

Schulklassen oder sogar durch eine getrennte (verschiedenzeitige) Einschulung.<br />

Unterstützen Sie auf jeden Fall den Aufbau getrennter Freundeskreise und nehmen<br />

Sie den anderen Kindergarteneltern frühzeitig die Scheu davor, nur einen Ihrer <strong>Zwillinge</strong><br />

isoliert als Spielkameraden einzuladen.<br />

Viele Pädagogen empfehlen, <strong>Zwillinge</strong> wenigstens eine Zeit lang in getrennte<br />

Gruppen und Schulklassen zu geben, damit sie sich individuell entfalten und eigene<br />

soziale Kontakte und Freundschaften aufbauen können. Solch eine Trennung kommt<br />

vielen Eltern (und erst recht allen Außenstehenden) als eine harte Zumutung vor, fördert<br />

jedoch den letztlich unausweichlichen Trennungsprozess, der die nachfolgenden Lebensabschnitte<br />

erheblich erleichtert.<br />

79b


80a<br />

80b<br />

Fünftes Kapitel: Frühgeburt<br />

Gewichtsgrenze wie auch die Mindestdauer der Tragzeit im Mutterleib aus medizinischer<br />

Sicht noch einmal deutlich senken lassen.<br />

Im fünften Kapitel wollen wir uns noch einmal gesondert mit dem Problem der<br />

Frühgeburtlichkeit befassen, denn gut ein Drittel der <strong>Zwillinge</strong> und fast alle höhergradigen<br />

Mehrlinge kommen vor der vollendeten 37. SSW zur Welt.<br />

1. Neugeborenen-Intensivmedizin<br />

Viele der zu früh geborenen Kinder müssen lediglich einige Tage in der Klinik<br />

beobachtet werden. Einige Kinder werden allerdings so weit vor dem errechneten<br />

Geburtstermin oder so unreif geboren, dass sie in einer Neugeborenen-Intensivstation<br />

behandelt werden müssen.<br />

Dem medizinischen Fortschritt der vergangenen Jahrzehnte ist es zu verdanken,<br />

dass auch diese Kinder inzwischen eine sehr gute Überlebenschance haben. Galt es<br />

noch in den siebziger Jahren als nahezu aussichtslos, ein Kind von unter 1000 Gramm<br />

am Leben zu erhalten, so ist dies heute beinahe schon Routine. Kinder, die nach der<br />

29. SSW geboren werden, haben bereits eine über 90%ige Chance zu überleben und<br />

sich völlig gesund zu entwickeln. Selbst Kinder aus der 24. SSW haben eine weit ü-<br />

berwiegende Überlebenschance; erst bei etwa der 22. SSW liegt derzeit die absolute<br />

Untergrenze der unbedingt erforderlichen Austragungsdauer. Diese Erfolge wurden<br />

vor allem dadurch ermöglicht, dass es Ende der 80er Jahre gelang, ein Verfahren zur<br />

künstlichen Herstellung des für die Entfaltung der Lungenbläschen erforderlichen<br />

Surfactant zu entwickeln. In den 90er Jahren wurde dann die Ernährung der Extrem-<br />

Frühchen durch geeignete Lösungen und Emulsionen optimiert.<br />

Das <strong>klein</strong>ste Frühchen, das jemals auf diese Weise erfolgreich aufgepäppelt wurde,<br />

wog bei der Geburt lediglich 244 Gramm. Um solche Erfolge zu erzielen, bedarf es<br />

allerdings extremer medizinischer und technischer Anstrengungen, die auf die Eltern<br />

oftmals sehr bedrückend wirken. Japanische Forscher sind sogar darum bemüht, einen<br />

Weg zu finden, die Fruchtwasserumgebung der Gebärmutter künstlich zu simulieren<br />

und Frühchen darin aufwachsen zu lassen. Mit solchen Verfahren, die sich zunehmend<br />

allerdings auch einer ethischen Diskussion stellen müssen, dürften sich die untere<br />

a) Künstliche Beatmung<br />

Eine künstliche Beatmung ist erforderlich, wenn ein Kind nicht in der Lage ist,<br />

selbständig zu atmen (sog. Atemnotsyndrom). Kinder, die vor der vollendeten 28. SSW<br />

zur Welt kommen, müssen nahezu ausnahmslos künstlich beatmet werden; die Hälfte<br />

davon sogar länger als zwei Wochen. Bei den später geborenen Kindern nimmt der Anteil<br />

künstlicher Beatmungen kontinuierlich ab, bis sie zwischen der 32. und 36. SSW bei<br />

25 % und nach der 36. SSW immerhin noch bei etwa 15 % liegt.<br />

Verursacht werden die Atemschwierigkeiten meist dadurch, dass sich die Lungenbläschen<br />

nicht richtig entfalten können, weil ihnen das oberflächenaktive Surfactant<br />

fehlt. Diese körpereigene Substanz bildet sich in ausreichender Menge erst am Ende der<br />

Schwangerschaft (nach der 34. SSW). Wenn sich die drohende Frühgeburt schon während<br />

der Schwangerschaft abzeichnet, kann man die Lungenreifung noch im Mutterleib<br />

beschleunigen, indem man der Mutter ein bestimmtes Kortisonpräparat (Kortikosteroid)<br />

verabreicht. Das Kortison regt die Bildung von Surfactant im kindlichen Körper an.<br />

Nach der Geburt kann man die Atemnot behandeln, indem man künstliches Surfactant<br />

durch die Atemwege unmittelbar in die Lunge gibt. Bereits nach kurzer Zeit erreicht<br />

man damit eine deutlich verbesserte Sauerstoffaufnahme und schon nach wenigen Stunden<br />

ist der Behandlungserfolg auch im Röntgenbild erkennbar: Der ursprünglich weiße<br />

Bereich (Lunge mit geringer Oberfläche) erscheint nach erfolgreicher Behandlung<br />

schwarz (Lunge mit großer Oberfläche).<br />

Bei besonders <strong>klein</strong>en Frühchen können allerdings noch weitere Atmungsprobleme<br />

hinzukommen, z.B. dass das Atemzentrum im Hirnstamm noch nicht ausgereift ist und<br />

das Kind die Atemfunktion noch nicht koordinieren kann. Außerdem kann dem Kind die<br />

Kraft fehlen, den Brustkorb zu heben und zu senken, und auch der Brustkorb selbst ist<br />

vielleicht noch nicht in sich gefestigt, so dass er beim Ausatmen regelrecht einfällt.<br />

Diese Kinder müssen so lange mit einem Beatmungsgerät künstlich beatmet werden, bis<br />

die Lunge ihre Tätigkeit selbständig ausüben kann.<br />

Sind die schwerwiegenden Atemprobleme behoben oder liegen von vornherein nur<br />

leichtere Atemschwierigkeiten vor, so genügt es, die weitere Heranreifung der Atemor-


81a<br />

gane durch einen ständigen Gegenluftstrom zu unterstützen (nasaler CPAP). Dabei<br />

wird über eines oder beide Nasenlöcher kontinuierlich Luft eingeströmt, die das Kind<br />

selbständig einatmet. Der Gegenluftstrom erleichtert das Einatmen, wodurch das Kind<br />

ausreichend mit Sauerstoff versorgt wird, und erschwert das Ausatmen, was die<br />

Brustmuskulatur stärkt. Zugleich wird dadurch verhindert, dass der Luftdruck innerhalb<br />

der Lunge beim Ausatmen so stark abfällt, dass die Lungenbläschen in den entlegeneren<br />

Verzweigungen der Lungenflügel zusammenfallen.<br />

Während dieser Maßnahmen werden Atmung und Blutsauerstoff permanent durch<br />

einen Monitor überwacht. Denn bei vielen Frühchen sind die Steuerungsfunktionen<br />

des Atemzentrums noch nicht voll ausgereift: Die Kinder „vergessen“ schlicht zu<br />

atmen. Der Monitor reagiert auf solche Atemausfälle (Apnoen) mit einem akustischen<br />

Alarm und meist genügt schon eine <strong>klein</strong>e Stimulation (z.B. Kitzeln an den Füßen),<br />

um die Atmung wieder in Gang zu setzen. Manchmal kann aber auch eine medikamentöse<br />

Behandlung oder der erneute Anschluss an das Beatmungsgerät notwendig werden.<br />

Nach längerer Beatmung über mehrere Wochen leiden manche Kinder unter einer<br />

chronischen Lungenerkrankung, die man als bronchopulmonale Dysplasie („Umbaulunge“/„Beatmungslunge“)<br />

bezeichnet. Es handelt sich um eine krankhafte Versteifung<br />

der Lungen und Bronchien aufgrund von Bindegewebswucherungen. Die Lunge kann<br />

sich nicht mehr so stark ausdehnen und den Sauerstoff nicht mehr so gut aufnehmen.<br />

Die davon betroffenen Kinder benötigen zum Teil auch nach der Entlassung aus der<br />

Frühchenstation noch eine zusätzliche Sauerstoffzufuhr, bis sich ihre Lungen ausreichend<br />

entwickelt bzw. regeneriert haben. Das kann bis zu einem Jahr und noch darüber<br />

hinaus dauern.<br />

Anschließend besteht das erhöhte Risiko einer RS-Virus-Infektion. Das RS-Virus<br />

ist weit verbreitet und normalerweise harmlos; fast alle Kinder infizieren sich daran<br />

innerhalb der ersten zwei Lebensjahre. Bei Kindern mit bronchopulmonaler Dysplasie<br />

besteht jedoch die erhöhte Gefahr eines schwerwiegenden Krankheitsverlaufs mit<br />

ernsten Atemwegserkrankungen bis hin zur Lungenentzündung oder Pseudokrupp-<br />

Erkrankung. Daher wird den an bronchopulmonaler Dysplasie erkrankten Kindern zu<br />

einer vorbeugenden Impfung (Immunisierung) gegen das RS-Virus geraten, die je fünf<br />

Mal in monatlichen Abständen im ersten Winter und ggf. noch fünf Mal im zweiten<br />

Winter verabreicht wird. Da der Impfstoff Palivizumab (Synagis ) jedoch sehr teuer<br />

ist (pro Kind über 4.000 EUR je Impfsaison), zögern viele Ärzte, ihn von sich aus zu<br />

verschreiben. Fragen Sie deshalb gezielt bei Ihrem Kinderarzt nach, ob eine solche<br />

Impfung für Ihr Kind sinnvoll ist. Inzwischen sollten alle Kinderärzte den seit 1999<br />

zugelassenen Impfstoff kennen. Falls nicht: Bitten Sie ihn, sich mit den hierzu ergangenen<br />

Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie zu befassen<br />

1 oder sich bei der Herstellerfirma Abbott danach zu erkundigen.<br />

Um unnötige Atemwegsinfektionen von Ihren Kindern fernzuhalten, sollten Sie außerdem<br />

das volle Wartezimmer beim Kinderarzt mit den dort kursierenden Krankheitserregern<br />

meiden. Bitten Sie den Kinderarzt unter Hinweis auf die Nachwirkungen der<br />

bronchopulmonalen Dysplasie darum, Ihnen Termine außerhalb der üblichen Sprechstunden<br />

zu geben oder Sie als erste Patienten zu Beginn der Sprechstunde sofort ins<br />

Behandlungszimmer vorzulassen.<br />

b) „minimal handling“<br />

Ein Grundanliegen der Behandlung auf der Frühgeborenenstation ist es, die medizinischen<br />

Eingriffe auf das absolut Notwendige zu beschränken und das Kind ansonsten<br />

weitmöglichst in Ruhe zu lassen („minimal handling“). Das hat zwei Gründe:<br />

Zum einen löst jeder äußere Eingriff bei dem Frühchen Stresssymptome aus, die<br />

den Puls und den Blutdruck ansteigen lassen. Durch den höheren Blutdruck können feine<br />

Äderchen im Gehirn platzen, was zu gefährlichen Hirnblutungen führen kann. Bei ausgewachsenen<br />

Menschen und auch bei reifen Neugeborenen besteht diese Gefahr nicht,<br />

weil sie in der Lage sind, diese Druckunterschiede durch eine Art Schleusensystem abzufangen,<br />

indem die Hirnarterien durch Muskelanspannung künstlich verengt werden.<br />

Diese Fähigkeit besitzen Frühchen, die vor etwa der 32. SSW geboren werden, jedoch<br />

noch nicht, so dass die Blutdruckunterschiede bis in die feinen Verästelungen des Endhirns<br />

durchschlagen und dort die Blutgefäße beschädigen können. Vor allem innerhalb<br />

der ersten drei Lebenstage besteht eine erhöhte Gefahr. Danach hat das hirnorganische<br />

Durchblutungssystem allmählich die Fähigkeit der Durchblutungsregulierung entwickelt,<br />

so dass die Gefahr einer stressbedingten Hirnblutung abnimmt.<br />

1 s. http://www.dgpi.de/pdf/Leitlinie_Palivizumab_27Okt2006.pdf. Für Österreich gelten die<br />

Empfehlungen der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde:<br />

http://www.docs4you.at/Content.Node/OEGKJ/Konsensuspapiere/empfehlungen_zur_respiratory_<br />

syncytial_virus_prophylaxe_bei.php.<br />

81b


82a<br />

Zum anderen bemüht man sich aus Gründen des Infektionsschutzes, invasive Eingriffe<br />

möglichst zu vermeiden. Unter „invasiven“ Eingriffen versteht man alle medizinischen<br />

Maßnahmen, die in den Körper eindringen (z.B. Nadelstich zur Blutabnahme,<br />

Anlegen eines Katheters etc.). Alle invasiven Eingriffe bergen die Gefahr, dass Krankheitserreger<br />

durch die Hautöffnung eindringen und eine Infektion verursachen. Da die<br />

Frühgeborenen noch nicht über die erforderlichen Abwehrkräfte verfügen, können<br />

selbst banale Infekte mit allgegenwärtigen Erregern zu einer lebensbedrohlichen Erkrankung<br />

führen, die sofort mit Antibiotika behandelt werden muss.<br />

Daher werden möglichst viele Messungen und Behandlungen ohne invasiven Eingriff<br />

in den Körper durchgeführt:<br />

- Mit einem Pulsoxymeter wird der Sauerstoffgehalt des Blutes an einer<br />

Hand oder an einem Fuß gemessen. Dabei werden die Blutgefäße mit einer<br />

Lichtquelle durchleuchtet, so dass dem Neugeborenen für diese Messung<br />

kein Blut entnommen werden muss. Außerdem misst das Gerät den<br />

Herzschlag (Puls).<br />

- Die Nahrungszufuhr (Glukose, Eiweiß, Vitamine und Fettemulsionen) erfolgt<br />

in den ersten Tagen durch einen Nabelkatheter über die Nabelschnur,<br />

um zusätzliche Einstiche in der Anfangszeit zu vermeiden. Erst<br />

wenn diese Art der Nahrungszufuhr nicht mehr möglich ist, wird eine Infusion<br />

gelegt. Auch die erforderlichen Blutentnahmen können in der Anfangszeit<br />

über den Nabelkatheter entnommen werden.<br />

Für manche Eltern bedeutet das minimal handling eine große innere Anspannung,<br />

wenn sie ihr Neugeborenes in womöglich schlechtem Zustand hilflos liegen sehen, und<br />

sich innerlich fragen, warum denn niemand etwas tut für das Kind. Sie sollten dem<br />

„Nichtstun“ in dieser Situation vertrauen. Der Zustand eines Frühchens kann sich<br />

innerhalb nur weniger Stunden rapide ändern – auch zum Guten. Lassen Sie sich von<br />

den Ärzten und Schwestern der Station erklären, welche Maßnahmen ergriffen wurden<br />

und welchen Behandlungserfolg oder Entwicklungsfortschritt man sich davon verspricht.<br />

Die weitere Gesundung und Entwicklung Ihres Kindes muss dann vor allem<br />

aus seiner körpereigenen Energie heraus geleistet werden. Die ärztliche Kunst kann<br />

dies nicht ersetzen, sondern nur die Rahmenbedingungen dafür schaffen.<br />

c) Weitere Entwicklung und Überwachung<br />

Wenn die erste schwierige Zeit überstanden ist, kommt in aller Regel erst einmal<br />

etwas Ruhe in den Alltag. Dabei wollen wir die denkbaren Behandlungskomplikationen,<br />

mögliche Infektionen, Organerkrankungen und andere Rückschläge einmal außen vor<br />

lassen, weil sie das Thema dieses Buches sprengen würden. Die im Anhang empfohlenen<br />

Bücher zum Thema Frühgeburt behandeln auch diese Fragen.<br />

Viele Frühchen benötigen im weiteren Verlauf der Behandlung allerdings eine Bluttransfusion.<br />

Bei den bis zur vollendeten 28. SSW Geborenen betrifft das praktisch alle<br />

Kinder, weil allein schon die für Untersuchungszwecke entnommenen winzigen Blutproben<br />

dem Körper in ihrer Gesamtheit soviel Blut entziehen, dass eine Auffüllung der<br />

Blutmenge erforderlich wird. Bei den später geborenen Kindern hängt es von den jeweils<br />

ergriffenen Behandlungsmaßnahmen und vom Zustand des Kindes ab, ob eine<br />

Bluttransfusion erforderlich wird. Einige Kinder benötigen eine Bluttransfusion sogar<br />

unabhängig von etwaigen Blutentnahmen, weil das blutbildende System noch nicht in<br />

der Lage ist, ausreichend viele rote Blutkörperchen nachzubilden, so dass es im Laufe<br />

der Zeit zu einer Blutanämie kommt. Von den zwischen der vollendeten 28. SSW und<br />

der 31. SSW geborenen Kindern sind insgesamt ca. 40 % auf eine Bluttransfusion angewiesen,<br />

aus der Gruppe der später Geborenen sind es noch ca. 15%. Als Blutspender<br />

kommen grundsätzlich auch die Eltern in Betracht, wenn sich die Blutgruppen untereinander<br />

vertragen. Falls Sie Wert darauf legen, das Blut selbst zu spenden, sollten Sie das<br />

Klinikpersonal rechtzeitig darauf ansprechen.<br />

Wenn Ihr Kind dann auf dem Weg der Besserung ist, sollte es bald auch seine erste<br />

normale Nahrung über den Mund zu sich nehmen. Das ist wichtig, um den Magen-Darm-<br />

Trakt zu aktivieren, vor allem die Darmenzyme. Mit Abstand am besten geeignet ist<br />

Muttermilch, die Sie vorher abpumpen. Besprechen Sie mit dem Klinikpersonal, inwieweit<br />

Sie bei der Fütterung schon mitwirken und diese später ganz übernehmen können.<br />

d) Stillen von Frühgeborenen<br />

Bei Frühgeborenen muss je nach dem erreichten Entwicklungsstand mit dem Klinikpersonal<br />

besprochen werden, ob die Kinder schon an die Brust angelegt werden können<br />

oder ob sie abgepumpte Milch erhalten. Bei <strong>klein</strong>en Frühchen ist der Mund oft noch<br />

zu <strong>klein</strong>, um die Brustwarze und den Warzenhof vollständig aufzunehmen. Hier gibt es<br />

82b


83a<br />

bestimmte Techniken, die Brustwarze vorzuformen und das Kinn des Kindes beim<br />

Saugen zu stützen. Hilfsreich ist es, wenn man von einer qualifizierten Still- oder<br />

Laktationsberaterin dabei unterstützt wird. Wo eine solche Fachkraft fehlt, verfügen<br />

die Stationsschwestern meist über entsprechende Grundkenntnisse. Nach dem Stillen<br />

sollte die Brust zusätzlich noch mit einer Milchpumpe abgesaugt werden, damit der<br />

Milchflussreflex angeregt bleibt. Das Saugen der Frühchen selbst ist dafür in der Anfangszeit<br />

oft noch zu schwach.<br />

Abgepumpte Milch wird mit der Finger-Feeding-Methode verfüttert, damit keine<br />

Saugverwirrung entsteht (s. Seite 54). Frühchen, die noch nicht schlucken können,<br />

erhalten die Milch über eine Magensonde. Gerade die noch schwachen Frühchen benötigen<br />

die Vormilch und die Muttermilch besonders dringend für den Aufbau ihrer<br />

Immunabwehr.<br />

e) Elterliche Zuwendung<br />

Die Bedeutung der elterlichen Zuwendung für die Entwicklung der Frühchen ist<br />

lange Zeit unterschätzt worden. Noch bis vor wenigen Jahren wurden Frühgeborene in<br />

ihren Inkubatoren, angeschlossen an Infusionen, Beatmungsgeräte und Monitore, ohne<br />

persönliche Zuwendung Tag und Nacht allein gelassen. Eltern war der Zutritt im Interesse<br />

einer möglichst keimfreien Umgebung nur hinter Glasscheiben erlaubt; bestenfalls<br />

durften sie ihr Neugeborenes einmal mit sterilen Handschuhen durch oberarmdicke<br />

Öffnungen des Inkubators berühren.<br />

Inzwischen hat sich jedoch die Erkenntnis durchgesetzt, dass nicht nur eine professionelle<br />

medizinische Versorgung, sondern ebenso die intensive Zuwendung der<br />

Eltern und ein enger Körperkontakt sehr wichtige Faktoren für das gute Gedeihen der<br />

Frühchen sind. Frühchen, die elterliche Geborgenheit erfahren, wachsen schneller und<br />

mit weniger Komplikationen heran als Kinder ohne intensive Zuwendung. Deshalb<br />

wird mittlerweile in nahezu allen Neugeborenenintensivstationen die sog. Känguru-<br />

Methode praktiziert, bei der die Frühchen mitsamt ihrer Verkabelung eine geraume<br />

Zeit auf den unbekleideten Oberkörper der Mutter oder des Vaters gelegt werden. Im<br />

unmittelbaren Hautkontakt spüren sie die elterliche Wärme und die Bewegungen des<br />

elterlichen Herzschlages, der sie im Mutterleib als ständiges Pochen begleitet hatte.<br />

Um einen möglichst nachhaltigen Kontakt zu ermöglichen, sind in den meisten Kliniken<br />

für die Eltern großzügige Besuchszeiten eingerichtet. Nur bei den sehr <strong>klein</strong>en<br />

Frühchen sollte man sich in den aller ersten Tagen nach der Geburt mit einer allzu forschen<br />

Kontaktaufnahme noch etwas zurückhalten, um nicht durch eine unglückliche<br />

Bewegung Stresssymptome auszulösen und damit die Gefahr einer Hirnblutung zu erhöhen.<br />

Doch nicht nur der direkte Körperkontakt, sondern allein schon das Hören der mütterlichen<br />

Stimme hat einen positiven Einfluss, weil das Kind diese Schallwellen bereits<br />

im Mutterleib wahrnehmen konnte und nun wiedererkennt. Viele Kliniken bieten deshalb<br />

an, das Frühchen in den Zeiten Ihrer Abwesenheit mit Sprachkassetten zu beschallen,<br />

auf der die Mutter eigene Texte oder Lieder aufnimmt 1 . Gerade Eltern von Mehrlingen,<br />

die ihre Aufmerksamkeit und Zuwendung gleich auf mehrere Neugeborene verteilen<br />

müssen, sollten von dieser Möglichkeit ergänzend Gebrauch machen.<br />

In jedem Fall ist die Situation eines in der Intensivstation liegenden Frühchens auch<br />

und besonders für die Eltern eine harte Probe. Die veröffentlichten Erfahrungsberichte<br />

zeugen von einer wirklichen Überforderung der Eltern, die kaum auch nur körperlich in<br />

der Lage sind, die Herausforderungen dieser Lebensphase zu bewältigen, geschweige<br />

denn Zeit finden für eine innere Aufarbeitung dieser Erlebnisse. Allein der organisatorische<br />

Aufwand der täglichen Besuche in der Klinik ist kaum zu schaffen, vor allem wenn<br />

andere Mehrlingsgeschwister bereits nach Hause entlassen sind. An eine entspannte<br />

Zuwendung im Sinne der Känguru-Methode, wie sie dem Kind eigentlich gut tun würde,<br />

ist kaum zu denken. Zusätzlich müssen Fahrdienste für die abgepumpte Muttermilch<br />

organisiert werden, die vielleicht zu anderen Zeiten eintreffen muss, als die Besuche<br />

geplant sind. Von Behördengängen, Arztbesuchen mit einem bereits entlassenen Säugling<br />

und natürlich den Alltagsbesorgungen einmal ganz zu schweigen, ebenso zu<br />

schweigen von möglichen älteren Geschwisterkindern, die auch noch versorgt und betreut<br />

werden müssen. Zu allem tritt noch eine enorme psychische Belastung, das eigene<br />

Kind, auf das man sich ganz anders gefreut hatte, nun mit Kabeln und Schläuchen an<br />

vielerlei medizinisches Gerät angeschlossen in der Intensivstation vorzufinden. Flackernde<br />

und piepsende Monitore, die Sicherheit schaffen sollen, machen Eltern eher<br />

Angst. Die hohe Raumtemperatur, die erdrückende Enge zwischen den Inkubatoren, eine<br />

große Unruhe, dazu vielleicht Schwierigkeiten, die eigenen Kinder zwischen all den<br />

anderen wiederzufinden und sie womöglich nicht einmal sofort wiederzuerkennen, wenn<br />

1 Weitere Einzelheiten hierzu und praktische Anleitung finden Sie in der Broschüre „Frühgeborene<br />

und ihre Eltern in der Klinik“, die der Verein „Das Frühgeborene Kind e.V.“ herausgibt<br />

(Bestelladresse im Anschriftenteil des Anhangs).<br />

83b


84a<br />

Teile des Gesichtes durch Pflaster und Schläuche bedeckt sind, tragen zu einer Atmosphäre<br />

der bedrückten Hilflosigkeit bei, auf die kaum jemand vorbereitet ist. Sogar<br />

von Eltern, die selbst Kinderarzt und Neugeborenenmediziner waren, wird berichtet,<br />

dass sie in der Situation ihres eigenen intensivbehandelten Kindes völlig hilflos dastanden<br />

und zu keinem geordneten Gedanken fähig waren. Um welches meiner Kinder<br />

soll ich mich zuerst kümmern Warum liegen sie denn so weit auseinander Was kann<br />

ich hier überhaupt tun – Erst allmählich beginnt man sich an diesen Raum zu gewöhnen,<br />

vor allem, wenn die Behandlung Fortschritte erzielt.<br />

Wann immer Sie Fragen haben, gehen Sie auf das Pflegepersonal zu. Wenn die<br />

angeschlossenen Apparate Sie beängstigen, erfragen Sie deren genaue Funktion. Zu<br />

den Aufgaben des Pflegepersonals in diesen Abteilungen gehört es auch, die Sorgen<br />

der Eltern in allen Dingen ernst zu nehmen und Rede und Antwort zu stehen, sooft Sie<br />

darum bitten. Wenn Sie sich darüber hinaus noch für medizinisches Hintergrundwissen<br />

interessieren, können Sie auf spezielle Sachbücher zum Thema Frühgeburt zurückgreifen,<br />

in denen die medizinischen Geräte und die üblichen Behandlungsmethoden detailliert<br />

beschrieben sind.<br />

Doch auch mit noch so viel Wissen um die einzelnen Abläufe bleibt es ein Wechselbad<br />

der Gefühle, wenn sich der Zustand des Kindes innerhalb weniger Stunden<br />

sprunghaft verbessert, aber auch immer wieder verschlechtern kann. Manche Eltern<br />

neigen dann dazu, ihre Aufmerksamkeit und Zuneigung ungleich auf die Kinder zu<br />

verteilen. Manche bevorzugen das gesundere Kind, weil es mehr Freude und Bestätigung<br />

vermittelt, während andere Eltern fast nur noch mit dem schwächeren Zwilling<br />

befasst sind, um dessen Entwicklung möglichst intensiv zu fördern. In dieser Situation<br />

können auch Schuldgefühle gegenüber dem zurückgesetzten Kind aufkommen, die<br />

schnell dazu führen, dass man sich noch mehr Anstrengung auferlegt, um auch diesem<br />

Kind noch besser gerecht zu werden. Bevor Sie sich jedoch völlig verausgaben, sollten<br />

Sie das Gespräch mit einer erfahrenen Person suchen, die Ihre Familiensituation einmal<br />

als Außenstehender betrachtet – zum Beispiel ein Mitarbeiter des sozialen Dienstes<br />

der Klinik. Ein offener Gedankenaustausch kann den hohen Erwartungsdruck, der<br />

auf Ihnen lastet, auffangen. Aufgrund seiner Erfahrungen mit solchen Situationen kann<br />

der Mitarbeiter Ihnen Wege aufzeigen, sich Entlastungsmöglichkeiten und Ressourcen<br />

zu erschließen.<br />

f) Nach der Entlassung<br />

Mit der Entlassung aus der Neugeborenenklinik ist der Zeitpunkt gekommen, auf<br />

den alle Beteiligten tage- oder sogar wochenlang hingearbeitet haben. Endlich zuhause<br />

angekommen, eröffnet sich dem Kind eine völlig neue Welt: Eine ruhige, behagliche<br />

und eher gedämpft gestaltete Umgebung tritt an die Stelle der geräuschvollen und hell<br />

erleuchteten Kulisse der Apparatemedizin. Zugleich bedeutet aber das plötzliche Ende<br />

der optischen und akustischen Reizüberflutung eine erhebliche Umstellung für das Kind,<br />

ebenso der geänderte Tagesrhythmus. Diese Veränderungen haben zur Folge, dass viele<br />

Frühchen in der ersten Zeit nach ihrer Entlassung leicht irritierbar, wechselhaft in ihrer<br />

Stimmungslage und z.T. unausgeglichen sind. Manche Frühchen reagieren auch auf die<br />

Ansprache und Berührung der Eltern zunächst ganz anders als auf der Frühchenstation.<br />

In dieser Phase kann ein Kontakt zu anderen Frühchen-Eltern hilfreich sein, die<br />

sich in vielen Orten zu Selbsthilfegruppen zusammengeschlossen haben. Im Austausch<br />

mit anderen Betroffenen sowie im Gespräch mit „erfahrenen“ Frühchen-Eltern können<br />

Sie einiges über die typischen Verhaltensmuster und Eigenarten von Frühgeborenen<br />

erfahren und gewinnen dadurch größere Sicherheit im Umgang mit Ihren eigenen Kindern.<br />

Nehmen Sie auch die professionellen Beratungsangebote der Frühchenklinik, einer<br />

pädagogischen Frühförderstelle oder eines sozialpädiatrischen Zentrums in Anspruch,<br />

um in Ergänzung zu den Therapievorschlägen Ihres Kinderarztes einen Überblick über<br />

die für Ihre konkrete Situation vorgesehenen Frühförderungsmöglichkeiten zu erhalten.<br />

Viele wertvolle Hinweise zum Umgang mit Frühgeborenen daheim, auch zu Fragen<br />

der Ernährung und zum Aufbau einer Eltern-Kind-Beziehung, finden Sie in der Broschüre<br />

„Frühgeborene nach der Entlassung“, die Sie beim Bundesverband „Das Frühgeborene<br />

Kind e.V.“ bestellen können. (Bestelladresse im Anschriftenteil des Anhangs)<br />

g) Erfolglose Behandlung<br />

Nur sehr wenige Kinder sind es, bei denen alle Anstrengungen vergeblich erscheinen,<br />

wo sich der Zustand des Kindes über einen längeren Zeitraum nicht bessern will<br />

und jede durchgeführte Behandlung immer weitere Komplikationen und neue Maßnahmen<br />

nach sich zieht. Vor allem bei den sehr <strong>klein</strong>en Frühchen kommen solche Kettenreaktionen<br />

vor, und jede weitere Behandlung mindert nicht nur das Zutrauen in die Lebenskraft<br />

des Kindes, sondern steigert zugleich die Sorge um das Zurückbleiben geisti-<br />

84b


85a<br />

85b<br />

ger und körperlicher Behinderungen. Wenn schon eine Vielzahl von Operationen<br />

durchgeführt wurde und ein durchgreifender Erfolg in weiter Ferne bleibt, wenn Organe<br />

versagen und transplantiert werden sollen, das Kind vielleicht schon von der Dialyse<br />

abhängt, werden die Grenzen der Medizin erkennbar und betroffenen Eltern stellt<br />

sich die Frage: wie <strong>klein</strong> ist zu <strong>klein</strong><br />

Manchmal sind es auch die Ärzte, die ihre weiteren Behandlungsvorschläge nicht<br />

mehr mit dem vollen Brustton der inneren Überzeugung vorbringen und vielleicht auf<br />

diese Weise ihre Bereitschaft signalisieren, auch für ein grundsätzliches Gespräch über<br />

den Sinn einer Fortführung der Behandlung bereit zu stehen. Wenn es mit der Zeit zur<br />

bitteren Gewissheit wird, dass das Kind die Klinik trotz aller medizinischen Anstrengungen<br />

nicht lebend verlassen wird, kann der Gedanke aufkommen, die weitere Behandlung<br />

einzustellen und das Kind würdevoll sterben zu lassen. Für manche Eltern ist<br />

die Schwelle für solche Erwägungen sogar dann schon erreicht, wenn das Kind nur<br />

noch mit schweren Behinderungen zu retten wäre.<br />

Gedacht ist dabei natürlich nicht an eine aktive Sterbehilfe, die die lebenserhaltenden<br />

Systeme abstellt. Es geht hier um passive Sterbehilfe, die darauf verzichtet,<br />

auch noch das Äußerste an medizinischen Anstrengungen zur weiteren Lebenserhaltung<br />

und –verlängerung zu unternehmen, vielmehr sich darauf beschränkt, nur noch<br />

die Grundversorgung des Kindes unter Verabreichung schmerzlindernder Medikamente<br />

aufrecht zu erhalten, um damit dem „natürlichen“ Verlauf seinen Weg zu geben.<br />

„Die Medizin zieht sich taktvoll zurück“, wie es eine betroffene Mutter einmal ausdrückte.<br />

aus den Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung<br />

vom 11.09.1998:<br />

„Bei Neugeborenen mit schwersten Fehlbildungen oder schweren<br />

Stoffwechselstörungen, bei denen keine Aussicht auf Heilung oder Besserung<br />

besteht, kann nach hinreichender Diagnostik und im Einvernehmen<br />

mit den Eltern eine lebenserhaltende Behandlung, die ausgefallene<br />

oder ungenügende Vitalfunktion ersetzt, unterlassen oder nicht weitergeführt<br />

werden. Gleiches gilt für extrem unreife Kinder, deren unausweichliches<br />

Sterben abzusehen ist und für Neugeborene, die schwerste Zerstörungen<br />

des Gehirns erlitten haben. Eine weniger schwere Schädigung ist<br />

kein Grund zur Vorenthaltung oder zum Abbruch lebenserhaltender<br />

Maßnahmen, auch dann nicht, wenn Eltern dies fordern. Ein offensichtlicher<br />

Sterbevorgang soll nicht durch lebenserhaltende Therapie künstlich<br />

in die Länge gezogen werden. Alle diesbezüglichen Entscheidungen<br />

müssen individuell erarbeitet werden. Wie bei Erwachsenen gibt es keine<br />

Ausnahmen von der Pflicht zu leidensmindernder Behandlung, auch nicht<br />

bei unreifen Frühgeborenen.“<br />

dagegen aus dem Grundsatzprogramm der Bundesvereinigung Lebenshilfe<br />

für geistig Behinderte e.V.:<br />

„Behinderte Menschen haben ein uneingeschränktes Lebensrecht.<br />

Wer z.B. versucht, Säuglinge wegen ihrer Schädigung oder Behinderung<br />

das Recht auf Leben abzusprechen, verstößt gegen das Gebot der Verfassung,<br />

das jedem ein Recht auf Leben garantiert (Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes).“<br />

Vor eine solche Entscheidung gestellt zu sein, gehört sicher zu den schwierigsten<br />

Momenten überhaupt. Die Entscheidung ist auch deshalb so schwer, weil sie innerhalb<br />

eines überschaubaren Zeitraums getroffen werden muss, und die Eltern doch das ganze<br />

Leben lang begleiten kann. Kann man überhaupt verantworten, über Leben und Tod<br />

seines Kindes zu entscheiden Andererseits: Handelt es sich denn wirklich um eine Entscheidung<br />

über Leben und Tod des Kindes, oder doch eher um das Akzeptieren einer<br />

Konsequenz, die die Natur von vornherein so bestimmt hatte Pauschale Antworten und<br />

allgemeine Empfehlungen für diese Situation gibt es nicht. Im Gespräch miteinander,<br />

mit Freunden und Verwandten, mit Seelsorgern und dem Arzt müssen Sie als Eltern für<br />

sich einen Standpunkt erarbeiten.<br />

Es gibt Eltern, die in dieser Situation alle medizinischen Möglichkeiten ausgeschöpft<br />

haben, und im Nachhinein, obwohl sie in einer harmonischen und glücklichen<br />

Familie leben, ihrem schwerstbehinderten Kind angesichts der vielen Widrigkeiten auch<br />

ein friedliches Einschlafen gegönnt hätten. Andere haben sich gegen weitere Behandlungen<br />

ausgesprochen und machen sich ein Leben lang Vorwürfe, nicht alles für ihr<br />

Kind versucht zu haben.<br />

Rechtlich gesehen liegt die Entscheidung in Ihrer Hand. Solange Sie dies wünschen,<br />

ist der Arzt zur Durchführung aller erdenklichen lebenserhaltenden und –<br />

verlängernden Maßnahmen verpflichtet. Der Arzt kann daher nicht gegen Ihren Willen<br />

entscheiden, die weitere Behandlung einzustellen. Umgekehrt ist jedoch für jede zusätzliche<br />

Operation erneut Ihre ausdrückliche Einwilligung erforderlich. Daher können Sie


86a<br />

die weitere Behandlung stoppen, indem Sie Ihre Einwilligung verweigern. Einwilligungen,<br />

die Sie bereits erteilt haben, können Sie jederzeit widerrufen. Ohne Ihre Einwilligung<br />

darf der Arzt grundsätzlich keine Operation (und auch keine Bluttransfusion)<br />

an Ihrem Kind durchführen. Hiervon gibt es nur zwei Ausnahmen: Zum einen die<br />

Notoperation, wenn zur Lebensrettung ein sofortiger Eingriff notwendig ist und die<br />

Eltern ihre Zustimmung nicht rechtzeitig erteilen können, und zum anderen, wenn das<br />

Vormundschaftsgericht Ihre Zustimmung ersetzt. Das Vormundschaftsgericht ersetzt<br />

die Zustimmung der Eltern, wenn es der Überzeugung ist, dass deren Entscheidung<br />

nicht von einer verantwortlichen Interessen- und Güterabwägung getragen ist. Die<br />

Einschaltung des Vormundschaftsgerichtes geht vom Arzt aus, wenn er die Entscheidung<br />

der Eltern aufgrund seiner eigenen Abwägung der Erfolgs- und Heilungschancen<br />

für nicht verantwortbar hält. Ob dieser formale Weg tatsächlich beschritten wird,<br />

hängt allerdings auch von der jeweiligen Klinik ab; hier besteht durchaus eine unterschiedliche<br />

Handhabung. Zunehmend wird der Wille der Eltern grundsätzlich akzeptiert.<br />

Trotzdem sollten Sie Ihre etwaigen Bedenken gegen eine Weiterbehandlung<br />

rechtzeitig gegenüber dem Arzt vorbringen und ihn in Ihre Überlegungen einbeziehen.<br />

Es kann ja immerhin auch sein, dass Sie den Zustand des Kindes und die Erfolgsaussichten<br />

der Behandlung unrichtig einschätzen.<br />

h) Von vornherein nicht behandelbare Kinder<br />

Schließlich gibt es auch noch einen Bereich, in dem Kinder zwar als „Lebendgeburt“<br />

gelten, weil sie mindestens eines der drei maßgeblichen Lebenszeichen aufweisen<br />

(Herzschlag, natürliche Lungenatmung, Pulsieren der Nabelschnur), jedoch nach<br />

dem derzeitigen Stand der medizinischen Technik mit keinerlei Aussicht auf Erfolg<br />

behandelt werden können. Eine von den Medizinerverbänden der berührten Fachrichtungen<br />

eingesetzte Ethikkommission 1 hat Empfehlungen erarbeitet, wann man von<br />

einer Behandlung der Kinder absehen und stattdessen einer einfühlsamen Sterbebegleitung<br />

Raum geben soll:<br />

- Bei Kindern, die vor der vollendeten 22. SSW geboren werden, wird keine<br />

intensive medizinische Behandlung empfohlen, weil nach dem derzeitigen<br />

Stand der Medizin keine realistische Überlebenschance besteht.<br />

- Bei Geburt in der 23. oder 24. SSW liegt die Überlebenswahrscheinlichkeit<br />

zwischen 10% und 50%. Von den Überlebenden dieser Gruppe tragen 20-<br />

30% schwere körperliche und geistige Behinderungen. Hier soll das weitere<br />

Vorgehen mit den Eltern besprochen werden.<br />

- Kommen die Kinder nach der vollendeten 24. SSW zur Welt, bestehen hinreichend<br />

gute Aussichten, sie am Leben zu erhalten und auch ohne größere<br />

Beeinträchtigungen aufzuziehen. Bei diesen Kindern wird die erforderliche<br />

Erstbehandlung, wenn sie Erfolg verspricht, im Zweifel auch gegen den<br />

Willen der Eltern durchgeführt (Notfallbehandlung und lebenserhaltende<br />

Maßnahmen).<br />

i) Einen Verlust verarbeiten<br />

Trauer ist das ganz natürliche Gefühl, wenn wir jemanden verlieren, der uns<br />

lieb war. Sie ist eine starke Energie, die uns krank machen kann oder aber uns<br />

hilft, wieder heil zu werden.<br />

Trauer findet immer einen Ausdruck, auch wenn wir sie daran hindern wollen.<br />

(nach Hannah Lothrop)<br />

Der Tod des eigenen Kindes, auch wenn es nicht sehr lange gelebt hat, geht besonders<br />

nah. Erste Empfindungen sind, das Geschehene nicht wahrhaben zu wollen, ein<br />

entrücktes Erleben des Alltags, gefühlsmäßige Betäubtheit und quälende Fragen nach<br />

dem „Warum“. Man ist gelähmt in seinem Handeln, neigt zur Verdrängung. Psychologen<br />

raten dazu, das Trauergefühl anzunehmen und nicht zu verdrängen, den Abschied bewusst<br />

zu erleben, sich der Situation zu stellen und sie auf diese Weise für sich zu verarbeiten.<br />

86b<br />

Aber wann<br />

1 Beteiligt waren: Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, Deutsche Gesellschaft<br />

für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, Deutsche Gesellschaft für Perinatale Medizin<br />

sowie die Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin.<br />

Als Zwillingseltern haben Sie noch ein weiteres, lebendes Neugeborenes, das sich<br />

wie alle Neugeborenen auf Ihr fröhliches Lächeln, ein liebevolles Streicheln, ein ausge-


87a<br />

lassenes Spiel freut. Die Situation verlangt eine innerliche Zerrissenheit, die es Ihnen<br />

kaum ermöglicht, sich auch nur auf eine der beiden Erlebniswelten mit ganzem Herzen<br />

einzulassen.<br />

Versuchen Sie trotzdem Zeit zu finden, von Ihrem verstorbenen Kind bewusst<br />

Abschied zu nehmen, möglichst in Ruhe und in einer stillen Umgebung. Das Kind zu<br />

sehen, es zu berühren und in den Arm zu nehmen wird schmerzhaft sein. Doch sind<br />

diese Momente unwiederbringlich, und viele Eltern sind im nachhinein froh, den intensiven<br />

Kontakt noch einmal gehabt und in ihre Erinnerungen aufgenommen zu haben.<br />

Formulieren Sie Ihre Wünsche so früh Sie können, bevor die Krankenhausroutine<br />

in Gang kommt und ihre Fakten schafft. Wenn das Kind schon weggebracht worden<br />

ist, bitten Sie das Klinikpersonal, es noch einmal sehen zu können. Haben Sie auch<br />

den Mut, die anwesenden Personen zu bitten, den Raum zu verlassen, wenn Sie mit<br />

Ihrem Kind eine Weile allein sein wollen. Die meisten Ärzte und Schwestern sind für<br />

die Bedeutung einer bewussten Abschiednahme ausreichend sensibilisiert. Wo das<br />

nicht der Fall ist, kostet es leider manchmal doppelte Kraft, sich auch noch gegen<br />

solche Widerstände durchsetzen zu müssen.<br />

Ältere Geschwisterkinder sollte man nach Möglichkeit in den Abschied mit einbeziehen.<br />

Sie fühlen sich dann nicht ausgeschlossen, wie sie auch von den Vorgängen<br />

der Schwangerschaft nicht ausgeschlossen waren, und das Geschehen wird für sie<br />

greifbar. Kinder ab ca. 10 Jahren haben bereits eine recht wirklichkeitsnahe Vorstellung<br />

von der Bedeutung des Todes und können damit verständig umgehen, aber auch<br />

Kindern ab zwei Jahren kann es aufgrund ihrer unbefangen Art im Umgang mit Verstorbenen<br />

schon gelingen, in positiver Erinnerung an das erwartete Geschwister Abschied<br />

zu nehmen. Besonders für junge Kinder ist auch der körperliche Kontakt zu<br />

dem Verstorbenen wichtig, sie wollen es gern streicheln und festhalten. Vielleicht<br />

bringen sie sogar ein persönliches Geschenk. Oftmals sind Kinder nicht so sehr durch<br />

das tote Neugeborene wie durch das veränderte Verhalten der Erwachsenen verunsichert.<br />

Vielen Eltern wird es im Laufe der Zeit außerdem wichtig, ein Foto von ihrem<br />

verstorbenen Kind zu haben. Vielleicht möchte auch das überlebende Zwillingsgeschwister<br />

später einmal ein Bild sehen. Machen Sie deshalb selbst ein Foto, wenn<br />

nicht die Klinik oder der Bestattungsunternehmer dafür sorgt.<br />

Um das Geschehene für sich selbst zu verarbeiten, ist wiederum ein vertraulicher<br />

Gesprächspartner von unschätzbarem Wert: der Partner, Freunde und Verwandte oder<br />

institutionalisierte Hilfe. Erwarten Sie keinen fließenden Übergang zum Alltag. Trauer<br />

ist ein langwieriger Prozess, den man nicht künstlich beschleunigen kann. Um in dieser<br />

schwierigen Zeit eine erste Orientierung zu finden, können wir das sehr einfühlsam<br />

geschriebene Buch von Hannah Lothrop empfehlen (s. Literaturhinweise im Anhang).<br />

2. Mögliche Spätfolgen einer Früh- oder Mangelgeburt<br />

Wie sich ein früh- oder mangelgeborenes Kind weiter entwickelt, ob es völlig gesund<br />

wird oder ob die ersten Startschwierigkeiten ihre Spuren hinterlassen, kann in den<br />

allermeisten Fällen nicht sofort nach der Geburt, sondern erst einige Zeit später gesagt<br />

werden – oft sogar erst nach einigen Wochen oder Monaten. Diese Zeit der Ungewissheit<br />

ist für viele Eltern nur schwer auszuhalten, fast schwerer noch als die feste Gewissheit<br />

einer bestimmten Beeinträchtigung:<br />

Sich an etwas festhalten können, einen Namen für die Befürchtungen, für das<br />

Ungewisse haben, das ist oft der erste Boden unter den Füßen. Von dieser Plattform<br />

aus werden Eltern wieder handlungsfähig. (Barbara Felber-Suter)<br />

Zum Glück erwiesen sich die meisten Befürchtungen als letztlich unbegründet.<br />

Frühchen über 1500 Gramm Geburtsgewicht entwickeln sich fast immer ohne bleibende<br />

Beeinträchtigungen. Von den Frühchen unter 1500 Gramm Geburtsgewicht gedeihen<br />

über 80%, unter 1000 Gramm immerhin noch drei Viertel der Kinder ohne behandlungsbedürftige<br />

Entwicklungsstörungen. Stark einschränkende Behinderungen verbleiben nur<br />

bei 7% der Kinder unter 1000 Gramm Geburtsgewicht. Ansonsten sind Frühgeborene,<br />

nachdem sie einmal aus der Klinik entlassen sind, gegenüber allgemeinen Erkrankungen<br />

(Infektionen etc.) nicht anfälliger als andere Kinder und leiden nicht mehr als andere<br />

Kinder unter seelisch-geistigen Beeinträchtigungen. Auch in Größe und Kopfumfang<br />

holen sie allmählich auf, bis spätestens nach der Pubertät jeder Unterschied zu den termingerecht<br />

geborenen Kindern völlig verschwindet.<br />

Bei einigen wenigen Kindern verbleiben allerdings dauerhafte Beeinträchtigungen,<br />

in erster Linie bei den sehr <strong>klein</strong>en Frühgeborenen und nach besonderen Komplikationen.<br />

Viele Dauerschäden sind auf Hirnblutungen zurückzuführen, die bei den sehr unreifen<br />

Kindern vor allem durch Stresssymptome in den ersten Lebenstagen ausgelöst werden.<br />

Aber auch nach einer Hirnblutung gibt es keine allgemein feststehenden Prognosen,<br />

sondern es kommt auf deren Schweregrad sowie auf mögliche Folgekomplikationen an.<br />

87b


88a<br />

Wenn wir im Folgenden auf einzelne Spätfolgen gesondert eingehen, so sind wir<br />

uns der darin liegenden Gefahr bewusst, diejenigen Eltern zu verängstigen, die die<br />

Geburt noch vor sich haben. Das ist aber keineswegs unsere Absicht und wäre auch<br />

sachlich ungerechtfertigt, weil selbst von den aller<strong>klein</strong>sten Frühgeborenen immer<br />

noch die Mehrzahl ohne bleibende Dauerschäden aufwächst. Vielleicht kann das Wissen<br />

um die möglichen Folgen jedoch zu einem weiteren Ansporn werden, die Frühgeburt<br />

durch konsequente Schonung möglichst zu vermeiden. Denjenigen aber, die von<br />

den Folgen einer Frühgeburt tatsächlich betroffen sind, wollen wir vor allem mitteilen,<br />

dass viele der gefürchteten Spätfolgen durch medizinische und heilpädagogische Maßnahmen<br />

behandelt werden können und unterschiedliche Programme der Frühförderung<br />

imstande sind, die Entwicklungsdefizite auffangen.<br />

a) Zerebralparesen und psychomotorische Störungen<br />

Manche Kinder leiden unter einer Störung des Zentralen Nervensystems, die die<br />

Steuerung und Koordination der Bewegungsmuster einschränkt. Verallgemeinernd<br />

werden sie oft als „spastische Lähmung“ bezeichnet, was aber nur für einen Teil der<br />

Zerebralparesen die korrekte Bezeichnung ist. Die Behandlung erfolgt – je nach Typ<br />

der Erkrankung – durch Krankengymnastik, wobei zwei unterschiedliche Behandlungsformen<br />

vorherrschen: Die Methode nach Vaclav Vojta und das Konzept der Eheleute<br />

Berta und Karel Bobath. Bei der Vojta-Methode wird versucht, durch Auslösung<br />

bestimmter Reflexe die dadurch aufgerufenen Bewegungsmuster in das zentrale Nervensystem<br />

einzuprogrammieren, damit das Kind diese später bewusst einsetzen kann.<br />

Die Therapie wirkt gewaltsam, weil sie das Kind zu Körperhaltungen zwingt, die es<br />

sonst nicht einnehmen würde. Oft äußern die Kinder durch Schreien ihr Missfallen an<br />

dieser zum Teil recht schmerzhaften Behandlung. Nach entsprechender Anleitung<br />

kann sie jedoch auch zuhause problemlos durchgeführt werden.<br />

Das Bobath-Konzept wirkt demgegenüber sanfter, indem es sich den nicht normalen<br />

Bewegungsmustern maßvoll widersetzt und die erwünschten Bewegungen behutsam<br />

unterstützt. Krankengymnastische Übungen trainieren die Fähigkeit, das Gleichgewicht<br />

zu halten und in verschiedenen Positionen Haltungskontrolle auszuüben, wozu<br />

eine Beherrschung der Muskelspannung erforderlich ist. Ergotherapeutische Übungen<br />

machen das Kind handlungsfähig, indem sie die Körperwahrnehmung und Bewegungsplanung<br />

fördern, Selbstvertrauen vermitteln und die Handfunktionen ansprechen.<br />

Auch das Bobath-Konzept lässt sich zuhause verwirklichen. Es erfordert jedoch mehr<br />

Zeit und Aufmerksamkeit, weil es nicht aus bestimmten, abzuarbeitenden Übungen besteht,<br />

sondern die Gesamtheit der Bewegungsabläufe des Kindes im Blick hat, die über<br />

den ganzen Tag hinweg angeleitet und unterstützt werden sollen. Ihr Kinderarzt wird<br />

Ihnen je nach Art der vorliegenden Bewegungs- oder Koordinationsstörung die eine oder<br />

andere Behandlungsform anempfehlen.<br />

b) Lernschwierigkeiten und Minderbegabung<br />

Manchmal treten Lernschwierigkeiten oder eine intellektuelle Minderbegabung auf<br />

(vor allem bei Kindern unter 1000 Gramm Geburtsgewicht), teilweise in Begleitung von<br />

Zerebralparesen. Spezielle Frühförderprogramme können solche Defizite auffangen. Die<br />

nach dem Konzept von Maria Montessori geführten Kindergärten und das von ihr entwickelte<br />

spezielle Montessori-Material sind beispielsweise darauf angelegt, schon im Vorschulalter<br />

durch unterschiedliche Sinneserfahrungen in Farbe und Form kombinatorische<br />

Denkleistungen zu vermitteln und damit Begabungen zu fördern, die den späteren Einstieg<br />

in die Schule erleichtern. Aber auch außerhalb dieser speziellen Kindergärten steht<br />

eine Anzahl sprach-, musik-, und ergotherapeutischer Angebote zur Verfügung, mit<br />

denen eine eventuelle Minderbegabung gezielt gefördert werden kann 1 . Sprachliche<br />

Entwicklungsstörungen können durch logopädische Förderangebote aufgefangen werden.<br />

Ein ganz wesentlicher Gesundungsfaktor, vor allem für die geistige Entwicklung,<br />

ist jedoch die Geborgenheit der häuslichen Umgebung und eine liebevolle Eltern-Kind-<br />

Beziehung. Anhaltendes seelisches Gleichgewicht und innere Zufriedenheit prägen noch<br />

stärker als die zeitlich beschränkten Eingriffe der medizinischen Behandlung und können<br />

selbst mittelschwere Entwicklungsstörungen auf Dauer vollständig kompensieren.<br />

Bereits nach dem zweiten Lebensjahr ist der Entwicklungs- und Intelligenzquotient<br />

1 Eine Auflistung aller Frühförderstellen in Deutschland enthält die Broschüre „Einrichtungen<br />

und Stellen der Frühförderung in der Bundesrepublik Deutschland“, die Sie kostenlos beim Bundesministerium<br />

für Gesundheit, Am Propsthof 78a, 53123 Bonn, Tel. 01888-4410, Fax: 01888-<br />

4414900; http://www.bmg.bund.de/ bestellen oder unter<br />

http://www.bmg.bund.de/cln_041/nn_599776/SharedDocs/Publikationen/Einrichtungen_20und_20<br />

Stellen_20der_20Fr_C3_BChf_C3_B6rderung_20in_20der_20Bundesrepublik_20Deutschland_20_28<br />

Training_29,param=.html__nnn=true downloaden können.<br />

88b


89a<br />

eines durchschnittlichen Frühgeborenen stärker durch soziale Faktoren geprägt als<br />

durch die gehirnorganischen Gegebenheiten im Zeitpunkt der Geburt.<br />

wie z.B. Bronchitis, Infekte und Lungenentzündungen, auf die wir bereits hingewiesen<br />

hatten.<br />

89b<br />

c) Seh- und Hörstörungen<br />

Einige Kinder erleiden bestimmte Seh- oder Hörstörungen, von denen die meisten<br />

nicht im Sinne eines echten Heilerfolges behandelbar sind, sondern nur mit Hilfsmitteln<br />

(Brille, Hörgerät) ausgeglichen werden. Eine komplette Erblindung ist jedoch<br />

relativ selten und nur bei besonders <strong>klein</strong>en Frühchen zu befürchten. Ursache des Augenleidens<br />

ist eine spezielle Netzhauterkrankung (Retinopathie), die überhaupt nur bei<br />

Frühchen mit einem Geburtsgewicht von unter 1500 Gramm – vor allem bei künstlich<br />

beatmeten Frühchen – vorkommt und in schweren Fällen zu einer Netzhautablösung<br />

führen kann. Als Ursache für das Krankheitsbild gilt die durch das Einsetzen der Lungenatmung<br />

verursachte Erhöhung des Sauerstoffpartialdrucks zu einem Zeitpunkt, in<br />

dem der Netzhautkreislauf des Frühgeborenen noch nicht ausgereift ist. Um den Sauerstoffpartialdruck<br />

nicht übermäßig ansteigen zu lassen, muss bei der künstlichen<br />

Beatmung eine Überdosierung des Beatmungssauerstoffs vermieden werden, was mit<br />

den modernen Beatmungsgeräten und Meßmethoden auch gut gelingt. Gleichwohl<br />

lässt sich das Risiko einer Netzhautbeeinträchtigung nicht völlig ausschließen, da<br />

selbst Frühgeborene, die nicht künstlich beatmet werden, davon betroffen sein können.<br />

In ihren Entwicklungsstadien kann die Netzhauterkrankung durch Laseranwendungen<br />

und andere Maßnahmen gut behandelt werden. Daher gehören regelmäßige Kontrollen<br />

durch den Augenarzt zum Standardprogramm einer Frühgeborenenstation.<br />

d) Chronische Lungenerkrankung<br />

Langwährende künstliche Beatmungen können zu einer chronischen Lungenerkrankung<br />

führen (bronchopulmonale Dysplasie, s. Seite 81). Die damit verbundene<br />

Versteifung der Lunge bildet sich nach der Beendigung der Beatmung allmählich wieder<br />

zurück, so dass das Kind wieder freier atmen kann. Oft erreicht die Lungenkapazität<br />

allerdings nicht mehr das normale Ausmaß, so dass die Leistungsfähigkeit der Lunge<br />

und damit die körperliche Belastbarkeit des Kindes eingeschränkt bleiben. Auch<br />

ermüdet das Kind eher, weil das Einatmen mehr Kraft erfordert. Hinzu kommt eine<br />

gesteigerte Empfindlichkeit gegenüber allgemein verbreiteten Lungenerkrankungen<br />

e) Plötzlicher Kindstod<br />

Eine weitere mögliche Spätfolge der Frühgeburt ist der plötzliche Kindstod (Säuglingstod,<br />

Krippentod, SIDS). In Deutschland stirbt daran etwa einer von 2.000 Säuglingen,<br />

vor allem zwischen dem zweiten und dem sechsten Lebensmonat, gelegentlich noch<br />

bis zum zwölften Lebensmonat. Der plötzliche Kindstod ist auch deshalb so tückisch,<br />

weil er sich durch nichts ankündigt und uns immer unvorbereitet trifft. Kinder, die eben<br />

noch gesund und munter waren, wachen aus ihrem Schlaf nicht mehr auf. Die genauen<br />

Ursachen hierfür sind bis heute unbekannt.<br />

Bekannt sind allerdings bestimmte Risikofaktoren, bei deren Vorliegen der plötzliche<br />

Kindstod häufiger auftritt. Zu den Risikokindern gehören auch Mehrlinge und Frühgeborene,<br />

bei denen der plötzliche Kindstod nachweislich häufiger vorkommt als bei den<br />

zum Termin geborenen Einlingen. Das soll Sie allerdings nicht in unnötige Unruhe versetzen,<br />

denn der plötzliche Kindstod ist auch für Frühchen und Mehrlinge immer noch<br />

ein seltenes Ereignis. Allerdings sollten Sie besonders darauf achten, dass nicht noch<br />

weitere Risikofaktoren hinzutreten. Denn je mehr Risiken zusammentreffen, desto höher<br />

ist letztlich die konkrete Gefahr. Zu den weiteren Faktoren, die Sie beeinflussen können,<br />

gehören insbesondere:<br />

- Rauchen: Sorgen Sie dafür, dass niemals in Gegenwart Ihrer Kinder geraucht<br />

wird und dass sich Ihre Kinder nicht in Räumen aufhalten, in denen<br />

vorher geraucht wurde. Für die Mutter gilt während der Schwangerschaft<br />

und der Stillzeit ohnehin Rauchverbot, gleich in welchen Räumen. Das<br />

Rauchen der Mutter oder das Rauchen von anderen Personen in Gegenwart<br />

des Kindes erhöht das Risiko eines Kindstods um das achtfache.<br />

- Überhitzung: Sorgen Sie dafür, dass Ihr Kind nicht überhitzt wird. Raumtemperaturen<br />

von 16-18° Celsius sind als Schlaftemperatur auch für Babys<br />

völlig ausreichend und angemessen. Tagsüber zum Spielen genügen normale<br />

Raumtemperaturen. Nur Kinder mit bestimmten Lungenerkrankungen<br />

und solche, die unter der Haut noch nicht genug wärmespeicherndes Fettgewebe<br />

aufgebaut haben (in der Regel Kinder unter 2.500 Gramm), benötigen<br />

im Allgemeinen noch zusätzliche äußere Wärme. Fragen Sie Ihren


90a<br />

90b<br />

Kinderarzt, welche Raumtemperatur für Ihre Kinder ausreichend und angemessen<br />

ist. Vermeiden Sie auch zu dicke Kleidung sowie Hitzestaus im<br />

Kinderwagen oder im Auto. Legen Sie das Kind nicht neben eine Heizung<br />

oder in die pralle Sonne. Bei Fieber sollen Kinder – anders als Erwachsene<br />

– nicht zu dick eingepackt werden, damit die Körperhitze entweichen<br />

kann. Fragen Sie auch hierzu Ihren Kinderarzt.<br />

- Bauchlage: Vermeiden Sie es, Ihre Kinder in Bauchlage schlafen zu legen.<br />

Sie wird mit dem plötzlichen Kindstod in Zusammenhang gebracht,<br />

weil die meisten verstorbenen Kinder in Bauchlage aufgefunden wurden.<br />

Besser sind Rücken- oder Seitenlage. Die Rückenlage beugt dem Kindstod<br />

am besten vor, birgt aber ihrerseits die Gefahr, dass die Kinder einmal<br />

an ihrem Erbrochenem ersticken könnten. Fragen Sie den Kinderarzt,<br />

welche Lage er empfiehlt.<br />

- Koffeinkonsum während der Schwangerschaft: Neuseeländische Forscher<br />

wollen herausgefunden haben, dass der Koffeinkonsum während der<br />

Schwangerschaft (Kaffee, Tee, Cola) das Risiko des plötzlichen Kindstods<br />

erhöht. Das Koffein behindere die vollständige Ausbildung des A-<br />

temzentrums.<br />

- Ablecken von Schnullern: Forscher aus Manchester haben bei 88% der<br />

verstorbenen Kinder ein bestimmtes Magenbakterium vorgefunden. Ein<br />

Zusammenhang mit dem Kindstod wird nicht ausgeschlossen. Man vermutet,<br />

dass die Bakterien durch den Speichel der Eltern übertragen werden,<br />

wenn diese den Schnuller ablecken, um ihn auf diese Weise zu „säubern“.<br />

Waschen Sie daher die Schnuller immer nur mit Wasser ab und<br />

stecken Sie sie nicht in den eigenen Mund. Das beugt außerdem auch einer<br />

Übertragung von Karies vor. Wenn Sie diese Vorsichtsmaßnahmen<br />

beachten, ist der Gebrauch eines Schnullers grundsätzlich jedoch geeignet,<br />

die Gefahr eines plötzlichen Kindstodes zu vermindern.<br />

Folgende Positivfaktoren können die Gefahr des plötzlichen Kindstods außerdem<br />

mindern:<br />

- harte Matratze, kein Kopfkissen, kein dickes Bettzeug, kein großes Kuscheltier:<br />

Legen Sie Ihre Kinder auf eine harte, neu gekaufte Matratze.<br />

Die Matratze sollte vorher von keinem anderen Kind oder Erwachsenen<br />

benutzt worden sein. Ein Kopfkissen, dickes Bettzeug und alles, was<br />

entweder einen Wärmestau verursachen oder das Kind nach einer Lageveränderung<br />

beim Atmen behindern kann, ist gefährlich. Verwenden Sie<br />

lediglich möglichst einen Baby-Schlafsack und keine zusätzliche Decke; allenfalls<br />

anstelle des Schlafsacks eine dünne Decke, die nicht über den Kopf<br />

des Kindes rutschen kann. Wenn sich das Kind zwischen den Schulterblättern<br />

warm, aber nicht verschwitzt anfühlt, hat es die richtige Temperatur.<br />

- Stillen: Gestillte Kinder sind seltener von plötzlichem Kindstod betroffen<br />

als Flaschenkinder.<br />

- Übernachten im Schlafzimmer der Eltern: Statistisch gesehen tragen diejenigen<br />

Kinder das geringste Kindstod-Risiko, die im Schlafzimmer der Eltern<br />

übernachten, und zwar in ihrem eigenen Bettchen (nicht im Bett der<br />

Eltern und erst recht nicht auf dem gemeinsamen Sofa mit ihnen!).<br />

Kinder, bei denen auf der Frühgeborenenstation bereits Atemausfälle (Apnoen)<br />

festgestellt wurden, werden, wenn eine Wiederholungsgefahr besteht, mit einem Heimmonitor<br />

nach Hause entlassen. Die Handhabung des Gerätes und was im Alarmausfall zu<br />

tun ist, wird Ihnen auf der Station erklärt.<br />

3. Finanzielle Hilfen für Frühgeborene mit Entwicklungsverzögerung und für behinderte<br />

Kinder<br />

Wenn eines Ihrer Kinder behindert oder mit einer starken Entwicklungsverzögerung<br />

zur Welt gekommen ist, bedeutet das nicht nur einen erheblichen Mehraufwand an<br />

Betreuung, sondern ebenso eine stärkere finanzielle Belastung der Eltern. Mit einigen<br />

staatlichen Leistungen versucht man, diese Mehrbelastung aufzufangen. Darüber sollte<br />

man zumindest Folgende wissen:<br />

Bei Vorliegen einer dauernden Krankheit oder Behinderung kommen Leistungen<br />

der Pflegeversicherung in Betracht. Sie werden entweder als Geldleistung (Pflegegeld)<br />

oder als Sachleistung in Form einer Pflegekraft erbracht. Sozialbedürftigen Personen<br />

gewährt das Sozialamt entsprechende Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege. Die<br />

Krankenkassen erbringen medizinische und therapeutische Leistungen zur Gesundung<br />

des Kindes, u.a. auch häusliche Kinderkrankenpflege.<br />

Das Finanzamt erkennt ab einem Grad der Behinderung von 25% die dadurch veranlassten<br />

Aufwendungen der Eltern als außergewöhnliche Belastung an. Wer seine


91a<br />

91b<br />

Mehraufwendungen nicht einzeln belegt, kann abgestufte Pauschbeträge in Anspruch<br />

nehmen. Ab einem Grad der Behinderung von 50% stellt das Versorgungsamt einen<br />

Schwerbehindertenausweis aus, der viele weitere Vergünstigungen gewährt – nicht nur<br />

im öffentlichen Personenverkehr, sondern auch in Freizeiteinrichtungen oder bei Veranstaltungen.<br />

Außerdem kann z.B. ein privater Behindertenparkplatz ausgewiesen<br />

werden.<br />

Viele Einzelheiten hierzu sind ausführlich dargestellt in der Broschüre „Finanzielle<br />

Hilfen für Frühgeborene und ihre Angehörigen“, die der Bundesverband „Das<br />

Frühgeborene Kind e.V.“ herausgibt (Bestelladresse im Anschriftenteil des Anhangs).<br />

Weitere Hinweise über steuerrechtliche Entlastungen finden Sie in der jährlich aktualisierten<br />

Broschüre „Steuermerkblatt für Familien mit behinderten Kindern“, die Sie<br />

unter http://www.bvkm.de/0-10/buecher,recht.html downloaden oder unmittelbar beim<br />

Bundesverband für Körper- und Mehrfachbehinderte e.V., Brehmstraße 5-7, 40239<br />

Düsseldorf, anfordern können (Stichwort: „Steuermerkblatt“; selbstadressierten und<br />

mit 0,55 EUR frankierten Rückumschlag im Format DIN A lang beilegen). Weitere<br />

Informationen des Verbandes finden Sie auch unter http://www.bvkm.de.


92a<br />

Ausblick<br />

Sind <strong>Zwillinge</strong> nun eine doppelte Freude oder eine doppelte Last<br />

Ohne Zweifel ersteres. Alle Vorfreude, die Sie mit Ihrem Kinderwunsch verbunden<br />

hatten, erfüllt sich doppelt: Vaters und Mutters Arme als vertrauter Schmuseplatz,<br />

einnehmendes Lächeln beim Stillen und Füttern, erste Streckversuche auf dem Wickeltisch,<br />

später entdeckungshungriges Krabbeln und stolze erste Schritte. Jedes liebevolle<br />

Wort, jedes Vorsingen und jede spielerische Anregung fruchten doppelt.<br />

Eine „doppelte Last“ sind <strong>Zwillinge</strong> dagegen erwiesenermaßen nicht. Untersuchungen<br />

haben ergeben, dass der Zeitaufwand im ersten Lebensjahr etwa um ein Drittel<br />

bis um die Hälfte gesteigert ist gegenüber Einlingseltern. Vieles erledigt sich in<br />

einem Aufwasch für beide Kinder gleichzeitig, z.B. der Einkauf von Windeln, die<br />

Zubereitung von Mahlzeiten, die Wartezeiten beim Kinderarzt, der Besuch der PEKiP-<br />

Gruppe, die spielerischen Anregungen usw. In Wahrheit haben Sie damit insgesamt<br />

erheblich weniger Aufwand als die vielen anderen Eltern, die zwei Einlinge nacheinander<br />

bekommen. Dort fällt der Aufwand nämlich tatsächlich doppelt an, wenngleich<br />

zeitversetzt. Auch eine Rückkehr in den Beruf ist nach der Geburt von <strong>Zwillinge</strong>n<br />

früher möglich als bei Inanspruchnahme von zwei Elternzeiten für einzeln geborene<br />

Kinder.<br />

Vieles ist also eine Frage der subjektiven Wahrnehmung und der inneren Einstellung.<br />

Stellen Sie die positiven Aspekte in den Vordergrund. Wer sich auf <strong>Zwillinge</strong><br />

freuen kann, wird sich auch über <strong>Zwillinge</strong> freuen können, wenn sie da sind. Wer<br />

dagegen nur Sorge um die viele Arbeit in sich trägt, wird die Zeit nach der Geburt<br />

auch unter diesem Vorzeichen wahrnehmen. Daher ist es von großem Vorteil, frühzeitig<br />

frohe und zufriedene Zwillingseltern kennen zu lernen, die voller Freude von einer<br />

innigen Beziehung zu ihren Kindern und mit schmunzelndem Lachen über all deren<br />

Schabernack berichten können. Halten Sie sich dagegen von solchen Bekannten besser<br />

fern, die nur als Miesepeter daherkommen und Ihnen die Vorfreude schon während der<br />

Schwangerschaft verderben.<br />

dass man neben der Kinderbetreuung zu nichts anderem mehr komme. Alle diese Autoren<br />

haben es immerhin bereits im Kleinkindalter ihrer <strong>Zwillinge</strong> fertig gebracht, Umfrageaktionen<br />

unter Zwillingseltern zu starten, ganze Bücher darüber zu schreiben und<br />

schließlich – teilweise sogar im Selbstverlag – zu veröffentlichen. So anstrengend und<br />

zermürbend, wie in den Büchern teilweise beschrieben, können deren <strong>Zwillinge</strong> dann ja<br />

wohl nicht gewesen sein – wie auch unsere eigenen <strong>Zwillinge</strong> nicht, die bei der ersten<br />

Fertigstellung dieses Buches nicht einmal zweieinhalb Jahre alt waren.<br />

Mit unserem Buch haben wir versucht, Ihnen den Start in das Leben mit <strong>Zwillinge</strong>n<br />

durch möglichst präzise Sachinformationen zu erleichtern. Wenn wir dabei auch die<br />

möglichen Komplikationen angesprochen haben, wollten wir Ihnen damit in erster Linie<br />

Handlungsstrategien zur Vermeidung einer Frühgeburt nahe bringen und selbst für den<br />

Fall einer Frühgeburt noch eine hoffnungsvolle Entwicklungsperspektive vermitteln. Die<br />

Augen vor den Gefahren zu verschließen, halten wir nicht für den richtigen Weg. Wissen,<br />

auch unangenehmes Wissen, bedeutet Macht, das Geschehen im positiven Sinne zu<br />

beeinflussen.<br />

Was die medizinischen Aspekte betrifft, ist es bei den allermeisten <strong>Zwillinge</strong>n so,<br />

dass die ein oder andere Komplikation im Laufe der Schwangerschaft tatsächlich eintritt,<br />

letztlich aber keine ernste Bedrohung für Sie und Ihre Kinder darstellt. Das gilt vor<br />

allem dann, wenn Sie die Vorsorgetermine regelmäßig wahrnehmen, sich ausreichend<br />

schonen und auf die Stimme Ihres Körpers achten. Genießen Sie deshalb die Zeit der<br />

Schwangerschaft und freuen Sie sich auf den erfrischenden Beginn eines neuen Lebensabschnitts<br />

mit zwei (oder noch mehr) <strong>klein</strong>en Menschlein, die Sie zur Welt gebracht<br />

haben. Seien Sie sicher, dass die beiden Ihr Leben tiefgreifend verändern werden. Und<br />

solange Sie ihnen offenherzig gegenübertreten, werden Sie sehr viel Freude daran haben.<br />

92b<br />

Das gilt ebenso für die Zwillingsliteratur. Manchmal kann man schon am Buchtitel<br />

erkennen, ob die Autoren ihre Elternschaft vorwiegend positiv erleben oder eher als<br />

Belastung empfinden. Lassen Sie sich von keinem Buchautor den Bären aufbinden,


93a<br />

93b<br />

Anhang I: Medizinisches Wörterbuch und Glossar<br />

Biometrie<br />

Vermessung der Körperlängen und des Kopfumfangs<br />

beim Ungeborenen<br />

Abort<br />

Fehlgeburt<br />

Bonding<br />

erster Eltern-Kind-Kontakt, der als besonders<br />

wichtig für den Aufbau einer Eltern-Kind-<br />

Beziehung gilt<br />

Abruptio<br />

Ablösung der Plazenta von der Gebärmutterinnenwand<br />

BPD<br />

Bronchopulmonale Dysplasie<br />

Alveolen<br />

Amnion<br />

Lungenbläschen<br />

innere kindliche Eihaut.<br />

Bradykardie<br />

Verlangsamung des Pulsschlags beim Frühgeborenen,<br />

oft im Zusammenhang mit einem Atemstillstand<br />

(Apnoe)<br />

Amniotomie<br />

künstliches Sprengen der Fruchtblase<br />

Amniozentese Fruchtwasseruntersuchung (mit Entnahme von<br />

Fruchtwasser)<br />

Anämie<br />

Anastomose<br />

Apnoe<br />

Asphyxie<br />

Blutarmut<br />

Verbindung zwischen Blutgefäßen<br />

Atemstillstand/-ausfall beim Frühgeborenen<br />

wörtlich „Pulslosigkeit“, = Zustand nach der Geburt,<br />

wenn das Kind durch Übersäuerung oder A-<br />

temnot nicht lebensfrisch erscheint<br />

Bronchopulmonale Dysplasie<br />

Cardiotocograph<br />

Cerclage<br />

Cervix...<br />

Chorion<br />

Chorionzottenbiopsie / Chorionbiopsie<br />

krankhafte Versteifung der Lungen und Bronchien<br />

bei Frühgeborenen, die längere Zeit beatmet wurden<br />

Herzton-Wehenschreiber (CTG)<br />

Zerklage<br />

Zervix...<br />

äußere kindliche Eihaut („Zottenhaut“)<br />

Entnahme einer Gewebeprobe aus der äußeren<br />

kindlichen Eihaut<br />

Astrup<br />

Blutgasanalyse aus entnommenem Blut<br />

Chordozentese<br />

Blutentnahme aus der Nabelschnur<br />

Atelektase<br />

Atemnot, die entsteht, wenn die Lungenbläschen<br />

sich nach der Geburt nicht entfalten<br />

CLD<br />

Chronic Lung Disease (chronische Lungenerkrankung)<br />

Bronchopulmonale Dysplasie<br />

Atrophie<br />

Ernährungsmangel (nachgeburtlich)<br />

CPAP<br />

ständiger Gegenluftstrom in die Atemwege (engl.<br />

continuous positive airway pressure)<br />

auditive Stimulation<br />

Beschallen eines Frühchens mit einer Sprachkassette<br />

CTG<br />

Herzton-Wehenschreiber (engl. cardiotocograph)


94a<br />

94b<br />

Cryptophasie<br />

eine von mehreren wissenschaftlichen Bezeichnungen<br />

für die von der Muttersprache abweichende<br />

Eigensprache der <strong>Zwillinge</strong><br />

Depressionszustand beim Neugeborenen: anderer Begriff für<br />

Asphyxie<br />

dystroph<br />

Eklampsie<br />

Embryo<br />

unterernährt (bezogen auf Alter, Größe und<br />

Schwangerschaftsdauer)<br />

Krampfanfall bei Gestose<br />

Bezeichnung des Ungeborenen bis zur 12. SSW<br />

diplazentär<br />

mit zwei getrennten Mutterkuchen<br />

Emesis<br />

Erbrechen in der Frühschwangerschaft<br />

diamnial<br />

dichorial<br />

mit je einer eigenen inneren Eihaut (Amnion) für<br />

jeden Embryo<br />

mit je einer eigenen äußeren Eihaut (Chorion) für<br />

jeden Embryo<br />

enterale Ernährung<br />

EPH-Gestose<br />

Ernährung durch den Magen- und Darmtrakt (selbständige<br />

Nahrungsaufnahme durch Schlucken oder<br />

Ernährung durch Magensonde)<br />

Gestose<br />

dizygot<br />

zweieiig<br />

Episiotomie<br />

Dammschnitt<br />

Doppler(-Ultraschall)<br />

Ductus arteriosus<br />

Der Doppler-Ultraschall ist ein besonderes Ultraschall-Verfahren,<br />

mit dem vor allem die Blutflüsse<br />

in der Nabelschnur, in den Hauptadern der Kinder<br />

sowie im Mutterkuchen farblich dargestellt werden<br />

können. Dadurch lässt sich die Versorgungslage<br />

der Kinder am Ende der Schwangerschaft beurteilen.<br />

Verbindung zwischen Lungen- und Körperschlagader,<br />

die den Lungenkreislauf des Ungeborenen<br />

überbrückt, welcher während der Schwangerschaft<br />

nicht benötigt wird. Mit dem ersten Atemzug des<br />

Neugeborenen schließt sich der Ductus, um den<br />

Lungenkreislauf in Gang zu setzen. Als „Offener<br />

Ductus“ (persistierender ductus) bezeichnet man<br />

eine Komplikation, bei der der Verschlussmechanismus<br />

nicht oder nicht vollständig funktioniert hat<br />

und die Blutverbindung nach wie vor besteht.<br />

eutroph<br />

Erythrozyten<br />

fetofetales Transfusionssyndrom<br />

Fetozid<br />

Fetus, Fötus<br />

FISH-Test<br />

Forcepsentbindung<br />

= innerhalb der normalen Gewichtserwartung (bezogen<br />

auf Alter, Größe und Schwangerschaftsdauer)<br />

rote Blutkörperchen<br />

Zwillingstransfusionssyndrom<br />

Abtreibung einzelner Mehrlinge<br />

Bezeichnung des Ungeborenen nach der 12. SSW<br />

Fluoreszenz-in-situ-Hybridisation (Schnelltest zur<br />

Untersuchung des Fruchtwassers auf vorliegendes<br />

Down-Syndrom und auf andere Erbkrankheiten)<br />

Entbindung mit der Geburtszange<br />

Ductus botalli<br />

= Ductus arteriosus<br />

Gemini<br />

<strong>Zwillinge</strong>


95a<br />

95b<br />

Geminigravidität<br />

Zwillingsschwangerschaft<br />

eingespritzt und die befruchtete Eizelle anschließend<br />

in die Gebärmutter eingesetzt)<br />

Gestatio<br />

Schwangerschaft<br />

icterus neonatorum<br />

Neugeborenengelbsucht<br />

Gestationsalter<br />

Gestationshypertension<br />

(bisherige) Dauer der Schwangerschaft<br />

Gestose<br />

Idioglossie, Idiophrasie<br />

wissenschaftliche Bezeichnungen für die von der<br />

Muttersprache abweichende Eigensprache der<br />

<strong>Zwillinge</strong><br />

Gestose (EPH-Gestose)<br />

Glukose<br />

Schwangerschaftserkrankung mit Bluthochdruck,<br />

Eiweiß im Urin und Wassereinlagerungen<br />

Traubenzucker/Blutzucker<br />

Infektionen<br />

Infektionen bei Frühchen werden fast immer sofort<br />

mit Antibiotika behandelt. Sie sind gefürchtet, weil<br />

sie z.T. nur schwer erkennbar sind und die Kinder<br />

noch nicht über genügend Abwehrstoffe verfügen.<br />

Gravidität<br />

Hydrozephalus<br />

Hyperemesis<br />

Hyperthermie<br />

Hypertonie<br />

Hypoglykämie<br />

Hypothermie<br />

Hypotrophie<br />

Schwangerschaft<br />

Wasseransammlung in den Hirnkammern („Wasserkopf“)<br />

gesteigertes, dauerndes Erbrechen während der<br />

Frühschwangerschaft (häufiger als zehn Mal am<br />

Tag), welches zu einer Mangelernährung oder E-<br />

lektrolytstörung führen kann.<br />

erhöhte Körpertemperatur<br />

Bluthochdruck<br />

Mangel an Blutzucker<br />

erniedrigte Körpertemperatur<br />

vorgeburtliche Unterernährung/Mangelentwicklung<br />

Intubation künstliche Beatmung mit einem Beatmungsschlauch<br />

(Tubus)<br />

intra partum, intrapartual<br />

intrauterinär<br />

während der Geburt<br />

innerhalb der Gebärmutter<br />

IVF In-vitro-Fertilisation (künstliche Befruchtungstechnik:<br />

außerhalb der Gebärmutter werden Eizelle<br />

und Samen zueinander gebracht und die befruchtete<br />

Eizelle anschließend in die Gebärmutter eingesetzt)<br />

Kardiotokograph<br />

Lanugo<br />

Herzton-Wehenschreiber (CTG)<br />

lange Behaarung des Ungeborenen am ganzen<br />

Körper, die sich im weiteren Verlauf der Schwangerschaft<br />

verliert. Frühchen werden z.T. noch mit<br />

Lanugobehaarung geboren.<br />

Hypoxie<br />

ICSI<br />

Sauerstoffmangel<br />

Intracytoplasmatische Spermieninjektion (künstliche<br />

Befruchtungstechnik: einer entnommenen Eizelle<br />

wird außerhalb der Gebärmutter ein Samen<br />

Mangelgeborenes<br />

Mehrlinge<br />

Kind, das bezogen auf seine Schwangerschaftsdauer<br />

zu leicht (unterernährt) geboren wurde.<br />

in diesem Buch als Oberbegriff für <strong>Zwillinge</strong> und<br />

höhergradige Mehrlinge (Drillinge, Vierlinge usw.)


96a<br />

96b<br />

Mekonium<br />

Meningitis<br />

Meningomyelozele<br />

Menstruation<br />

verwendet<br />

erster Stuhlgang des Kindes („Kindspech“)<br />

Hirnhautentzündung<br />

häufigste Form des Spaltwirbels („offener Rücken“)<br />

Monatsblutung, Regelblutung<br />

Blutkörperchen entsteht und den die noch unreife<br />

Leber nicht sofort abbauen kann. Sie tritt bei<br />

leichtgewichtigen Neugeborenen häufiger auf und<br />

macht die Kinder vorübergehend träge. Die Behandlung<br />

erfolgt durch Fototherapie (Bestrahlung<br />

mit Blaulicht). Nur in Ausnahmefällen steigt der<br />

Bilirubinwert so stark an, dass eine medikamentöse<br />

Behandlung oder sogar ein Blutaustausch notwendig<br />

wird.<br />

monoamnial<br />

monochorial<br />

monozygot<br />

Morbus<br />

Mortalität<br />

natürliche Geburt<br />

mit nur einer inneren Eihaut (Amnion), die beide<br />

<strong>Zwillinge</strong> umschließt (nur bei eineiigen <strong>Zwillinge</strong>n<br />

möglich)<br />

mit nur einer äußeren kindlichen Eihaut (Chorion),<br />

die beide <strong>Zwillinge</strong> umschließt (nur bei eineiigen<br />

<strong>Zwillinge</strong>n möglich)<br />

eineiig<br />

Krankheit<br />

Sterblichkeit<br />

Synonym für vaginale Geburt (durch die Scheide)<br />

– im Gegensatz zum Kaiserschnitt<br />

Nidation<br />

Ödem<br />

offener Ductus<br />

Oligurie<br />

OP<br />

Pädiater<br />

Pädiatrie<br />

parenterale Ernährung<br />

Einnistung in die Gebärmutter<br />

Geschwulst durch Wassereinlagerung<br />

Ductus arteriosus<br />

Verminderte Harnausscheidung<br />

Operationssaal<br />

Kinderarzt<br />

Kinderheilkunde<br />

Ernährung „an dem Magen- und Darmtrakt vorbei“.<br />

Damit gemeint ist die Ernährung durch eine<br />

intravenös verabreichte Infusion.<br />

NEC<br />

nekrotisierende Enterokolitis<br />

Neonatologie<br />

Neugeborenengelbsucht<br />

nekrotisierende Enterokolitis<br />

Darmerkrankung, bei der die Darmzellen absterben<br />

und die Darmschleimhaut durchlässig wird (schwere<br />

Komplikation bei <strong>klein</strong>en Frühchen)<br />

1. Medizin für Neugeborene,<br />

2. Neugeborenen(intensiv)station<br />

Ein an sich harmloser Anstieg der Bilirubinkonzentration<br />

im Blut, der durch den Zerfall roter<br />

PDA 1. Bei der Geburt: Periduralanästhesie (regionale<br />

Schmerzlinderung in der Beckenregion während<br />

der Geburt).<br />

PEKiP <br />

2. Beim Frühchen: Persistierender Ductus Arteriosus<br />

( Ductus arteriosus)<br />

Prager Eltern-Kind-Programm nach Jaroslav Koch:<br />

Spiel und Entwicklungsbegleitung im ersten Lebensjahr.


97a<br />

97b<br />

perinatal<br />

in der Geburtsphase (Zeitraum zwischen dem Ende<br />

der 28. SSW und dem siebten Tag nach der Geburt)<br />

post partum, postpartal,<br />

postpartual, postnatal<br />

nach der Geburt<br />

Perinatalzentrum<br />

örtlich zusammengefasste Geburts- und Neugeborenenklinik,<br />

bei der die Neugeborenen sofort nach<br />

der Geburt ohne nennenswerte Transportwege intensivmedizinisch<br />

behandelt werden können.<br />

PVL<br />

RDS<br />

periventrikuläre Leukomalazie<br />

Atemnotsyndrom beim Neugeborenen (engl. respiratory<br />

dystress syndrome)<br />

periphere Entbindung<br />

periventrikuläre Leukomalazie<br />

persistierender Ductus arteriosus<br />

Entbindung außerhalb eines Perinatalzentrums<br />

Hirnerkrankung, die häufig zu einer dauerhaften<br />

Bewegungseinschränkung und zu einer Störung der<br />

Sinnesorgane führt (schwere Komplikation bei<br />

<strong>klein</strong>en Frühchen)<br />

Ductus arteriosus<br />

RDS-Prophylaxe<br />

Reifezeichen<br />

Respirator<br />

Lungenreifebehandlung beim Ungeborenen durch<br />

Verabreichung eines Kortisonpräparats an die Mutter<br />

bestimmte Merkmale, an denen sich der Reifegrad<br />

(Entwicklungsstand) eines Kindes bestimmen lässt<br />

Beatmungsgerät<br />

Plazenta<br />

Mutterkuchen<br />

Retinopathie<br />

Netzhauterkrankung<br />

Plazentainsuffizienz<br />

unzureichende Mutterkuchenfunktion<br />

ROP<br />

Retinopathie (engl. retinopathy of prematurity)<br />

Pneumothorax<br />

Platzen der Lungenbläschen und Ausströmen der<br />

Beatmungsluft in den Brustraum (schwere Komplikation<br />

bei künstlich beatmeten Frühgeborenen)<br />

Polarkörper = Polkörperchen, siehe Seite 7<br />

Portio<br />

unterer Teil des Gebärmutterhalses, der in den Geburtskanal<br />

hineinragt<br />

RSV, RS-Virus Respiratory Syncytial Virus (siehe Seite 81)<br />

schwangerschaftsassozierte<br />

Hypertension<br />

Sectio (caesarea)<br />

Sonographie<br />

Gestose<br />

Kaiserschnitt<br />

Ultraschall-Untersuchung<br />

Präeklampsie<br />

Gestose, (noch) ohne Krampfanfall<br />

spina bifida<br />

Spaltwirbel (sog. „offener Rücken“)<br />

pränatal<br />

präpartal, präpartual<br />

Proteinurie<br />

vorgeburtlich<br />

(kurz) vor der Entbindung<br />

Eiweiß im Urin<br />

SSW<br />

Strabismus<br />

Schwangerschaftswoche (zu Fragen der Berechnung<br />

siehe Anhang II, Seite 99)<br />

Schielen


98a<br />

98b<br />

striae gravidarum<br />

Surfactant<br />

Tachykardie<br />

Schwangerschaftsstreifen<br />

oberflächenaktive Substanz, die das Zusammenfallen<br />

der Lungenbläschen verhindert (engl. surface<br />

active agent)<br />

Erhöhung der Pulsfrequenz<br />

Verstreichen der Zervix Laufende Verkürzung des Gebärmutterhalses.<br />

Wenn dieser vollständig verschwunden (verstrichen)<br />

ist, beginnt die allmähliche Öffnung des<br />

Muttermundes in der Eröffnungsphase der Geburt.<br />

Wachstumsdiskordanz<br />

unterschiedliches Wachstum (Gewicht) der Ungeborenen<br />

Tokolyse<br />

Tokolytika<br />

wehenhemmende Maßnahmen<br />

wehenhemmende Arzneimittel<br />

Trisomie 21 spezielle Chromosomenschädigung, die zum<br />

Down-Syndrom („Mongolismus“) führt<br />

Wachstumsretardierung<br />

Zerklage<br />

vermindertes Wachstum der Ungeborenen (meist<br />

durch Mangelversorgung verursacht)<br />

Gebärmutterhalsumschlingung (künstlicher Verschluss<br />

des Gebärmutterhals durch eine Naht oder<br />

einen Ringpessar)<br />

Tubus<br />

Umbaulunge<br />

Beatmungsschlauch, der durch die Nase in die<br />

Luftröhre gelegt und an ein Beatmungsgerät angeschlossen<br />

wird<br />

bronchopulmonale Dysplasie<br />

Zervix<br />

Gebärmutterhals zwischen innerem und äußerem<br />

Muttermund<br />

Zervixinsuffizienz Verschlussschwäche der Gebärmutter, Muttermundsschwäche<br />

Uterus<br />

Gebärmutter<br />

Zygote<br />

befruchtete Eizelle<br />

v.e.<br />

Vakuumextraktion<br />

Vagina<br />

Scheide<br />

vaginal<br />

durch die Scheide<br />

Vakuumextraktion<br />

Entbindung mit der Saugglocke<br />

Varizen<br />

Krampfadern<br />

Vernix<br />

„Käseschmiere“, eine helle Schicht auf der Haut<br />

des Neugeborenen, die möglichst nicht abgewaschen<br />

wird, sondern in die Körperhaut einziehen<br />

soll.


99a<br />

99b<br />

Anhang II: Berechnung der Schwangerschaftswochen<br />

Nach dem Volksmund beträgt die Dauer einer Schwangerschaft neun Monate: Eine Frau, die kurz vor der Entbindung steht, ist „im neunten Monat“ schwanger. In der Medizin<br />

nimmt man jedoch eine präzisere Einteilung vor: Man rechnet nicht in Monaten, sondern in Schwangerschaftswochen (SSW). Sie werden auch nicht ab dem Zeitpunkt der Befruchtung<br />

gerechnet, sondern ab dem ersten Tag der letzten Menstruation vor der Schwangerschaft. Dieser Tag lässt sich nämlich leichter und exakter bestimmen als der Tag der Befruchtung.<br />

Da der Monatszyklus einer Frau durchschnittlich 28 Tage beträgt und die Befruchtung etwa in der Mitte des Monatszyklus stattfindet, befindet sich die Schwangere zum Zeitpunkt des<br />

wahren biologischen Beginns der Schwangerschaft bereits rechnerisch in der zweiten oder dritten Schwangerschaftswoche. So gerechnet dauert eine (Einlings-)Schwangerschaft<br />

durchschnittlich 40 Wochen. Das entspricht exakt 10 Mondmonaten (Lunarmonaten), die manchmal auch als Bemessungsgröße genannt werden.<br />

SSW 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20<br />

Mondmonat 1 2 3 4 5<br />

Volksmund nichts 1. Monat 2. Monat 3. Monat 4. Monat 5.<br />

Befruchtung<br />

SSW 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40<br />

Mondmonat 6 7 8 9 10<br />

Volksmund Monat 6. Monat 7. Monat 8. Monat 9. Monat<br />

Manchmal wird eine noch genauere Einteilung nach Tagen vorgenommen, insbesondere während eines stationären Klinikaufenthalts oder kurz vor der Geburt. Man spricht dann<br />

z.B. von „34 plus 5“, was bedeutet: Es sind 34 vollendete(!) Schwangerschaftswochen plus 5 weitere Tage zurückgelegt. Zwei Tage später sind dann 35 Wochen vollendet („35 plus<br />

0“), man befindet sich also am Beginn der 36. SSW.


100a<br />

Anhang III: Schema zur Bestimmung der Ein- oder Zweieiigkeit<br />

Haben beide <strong>Zwillinge</strong><br />

dasselbe Geschlecht<br />

nein<br />

zweieiige <strong>Zwillinge</strong><br />

ja<br />

Haben beide <strong>Zwillinge</strong><br />

dieselbe Blutgruppe<br />

nein<br />

zweieiige <strong>Zwillinge</strong><br />

ja / unbekannt<br />

Verfügte jedes Kind während<br />

der Schwangerschaft<br />

über eine eigene äußere<br />

Eihaut (Chorion)<br />

nein<br />

eineiige <strong>Zwillinge</strong><br />

ja<br />

unbekannt<br />

Wahrscheinlichkeit je nach Blutgruppe*:<br />

Blutgr. 0: zu 43 % eineiige <strong>Zwillinge</strong><br />

Blutgr. A: zu 40 % eineiige <strong>Zwillinge</strong><br />

Blutgr. B: zu 69 % eineiige <strong>Zwillinge</strong><br />

Blutgr. AB: zu 80 % eineiige <strong>Zwillinge</strong><br />

unbekannt: zu 22 % eineiige <strong>Zwillinge</strong><br />

Wahrscheinlichkeit je nach Blutgruppe*:<br />

Blutgr. 0: zu 69 % eineiige <strong>Zwillinge</strong><br />

Blutgr. A: zu 67 % eineiige <strong>Zwillinge</strong><br />

Blutgr. B: zu 86 % eineiige <strong>Zwillinge</strong><br />

Blutgr. AB: zu 92 % eineiige <strong>Zwillinge</strong><br />

unbekannt: zu 46 % eineiige <strong>Zwillinge</strong><br />

* Bei der einfachen Blutgruppenbestimmung hängen die Wahrscheinlichkeiten weiter von der Blutgruppenkonstellation<br />

der Eltern ab, die hier unberücksichtigt bleiben muss.


101a<br />

101b<br />

ABC-Club e.V.<br />

Anhang IV: Adressen<br />

Bethlehemstr. 8, D-30451 Hannover<br />

Tel. 0511/2151945, Fax: 0511/2101431<br />

http://www.abc-club.de<br />

E-Mail: abc-club@t-online.de<br />

Der Verein versteht sich als Hilfe zur Selbsthilfe für höhergradige Mehrlingseltern<br />

(ab Drillingen). Er bietet Beratung, Erfahrungsaustausch in regionalen<br />

Stammtischrunden, Familientreffen und -freizeiten, aber auch z.B. Vermittlung<br />

gebrauchter Mehrlingskinderwagen. Clubmitglieder erhalten vierteljährlich<br />

ein Mitteilungsblatt mit Berichten und Kleinanzeigen.<br />

Entsprechend für die Schweiz:<br />

Schweizerischer Mehrlingsverein<br />

http://www.mehrlingsverein.ch<br />

E-Mail: kontakt@mehrlingsverein.ch<br />

Informationen über Hilfeleistungen in der Schweiz:<br />

c/o Erna Schär, Lilienweg 5, CH-9472 Grabs<br />

Tel. 081/7711271 oder 081/7711573<br />

http://www.unserbaby.ch/mehrlinge<br />

E-Mail: erna@zwillinge.ch<br />

Bundesverband „Das frühgeborene Kind“ e.V.<br />

Speyerer Straße 5-7, D-60327 Frankfurt/M.<br />

Tel.: 069/58700990, Fax: 069/58700999<br />

http://www.fruehgeborene.de<br />

E-Mail: info@fruehgeborene.de<br />

Der Verband versteht sich als Dachorganisation von Elterninitiativen und Fördervereinen<br />

für Frühgeborene und kranke Neugeborene. Neben Adressen örtlicher<br />

Elterngruppen, einem Newsletter-Dienst und einem quartalsweise erscheinenden<br />

Mitteilungsblatt sind folgende Broschüren (zu je 2,50 EUR) erhältlich:<br />

- Frühgeborene in den ersten Lebenswochen<br />

- Frühgeborene nach der Entlassung<br />

- Entwicklungsprognose frühgeborener Kinder<br />

- Frühgeborene und ihre Eltern in der Klinik<br />

Berufsverband Deutscher Laktationsberaterinnen IBCLC e.V.<br />

Hildesheimer Straße 124 E, D-30880 Laatzen,<br />

Tel. 0511/87649860, Fax: 0511/87649868<br />

http://www.bdl-stillen.de<br />

E-Mail: sekretariat@bdl-stillen.de<br />

Berufsvereinigung der examinierten Laktationsberater/-innen mit IBCLC-<br />

Examen. Hier kann man die Anschrift der nächst erreichbaren Laktationsberaterin<br />

erfragen. Eine Liste aller examinierten Laktationsberaterinnen (IBCLC) mit<br />

jeweiligen Anschriften ist außerdem veröffentlicht unter<br />

http://www.stillen.de/we_stillen/daten/lb_karte.htm.<br />

Für Österreich:<br />

VSLÖ Verband der Still- und Laktationsberaterinnen Österreichs IBCLC<br />

Lindenstrasse 20, A-2362 Biedermannsdorf<br />

Tel./Fax: 02236/72336<br />

http://www.stillen.at<br />

E-Mail: info@stillen.at<br />

Für die Schweiz:<br />

Berufsverband Schweizerischer Stillberaterinnen IBCLC<br />

Postfach 686, CH-3000 Bern 25<br />

Tel. 041/6710173, Fax: 041/6710171<br />

http://www.stillen.ch<br />

E-Mail: office@stillen.ch


102a<br />

Arbeitsgemeinschaft Freier Stillgruppen e.V. - Bundesverband<br />

Bornheimer Straße 100, D-53119 Bonn<br />

Tel. 0228/3503871, Fax: 0228/3503872<br />

http://www.afs-stillen.de<br />

E-Mail: geschaeftsstelle@afs-stillen.de<br />

Die AFS wurde als loser Zusammenschluss einzelner Stillgruppen gegründet<br />

und bietet neben Broschüren und einem monatlichen Rundbrief vor allem<br />

Kontakt zu örtlichen Stillgruppen.<br />

La Leche Liga Deutschland e.V.<br />

Gesellenweg 13, D-32427 Minden,<br />

Tel. 0571/48946, Fax: 0571/4049480<br />

http://www.lalecheliga.de<br />

E-Mail: beratung@lalecheliga.de<br />

Die La Leche Liga Deutschland e.V. ist Teil einer weltweit tätigen Organisation,<br />

die sich für das Stillen einsetzt. Die deutsche Sektion vertreibt eine Reihe<br />

von Büchern und Broschüren zum Thema Stillen und berät telefonisch oder<br />

per e-Mail durch örtliche, ehrenamtliche Stillberaterinnen. Diese Beraterinnen<br />

veranstalten auch monatliche Stilltreffen und in einigen Orten werden Stillgruppen<br />

organisiert.<br />

La Leche Liga Schweiz:<br />

Postfach 197, CH-8053 Zürich<br />

Tel./Fax: 044/9401012<br />

www.stillberatung.ch<br />

E-Mail: info@stillberatung.ch<br />

La Leche Liga Österreich<br />

Kontaktadresse: Marion Thaler, Kaiserweg 10, A-6336 Langkampfen<br />

Tel. 05332/81290<br />

http://www.lalecheliga.at<br />

E-Mail: info@lalecheliga.at<br />

Initiative Regenbogen „Glücklose Schwangerschaft“ e.V.<br />

Hauptgeschäftsstelle, Adressenvermittlung und Broschürenversand:<br />

c/o Renate Dreier, Westring 100, D-33378 Rheda-Wiedenbrück,<br />

Tel. 05242/35297<br />

http://www.initiative-regenbogen.de<br />

E-Mail: HGST@initiative-regenbogen.de<br />

In Österreich:<br />

c/o Ulrike Kern, Zirkusgasse 28/9, A-1020 Wien,<br />

Tel./Fax +43-1-3191923<br />

http://www.glueckloseschwangerschaft.at<br />

E-Mail: u.kern@easycare.at, admin@glueckloseschwangerschaft.at<br />

102b<br />

Kontaktkreis für Eltern, die ihr Kind durch Fehlgeburt, Frühgeburt, Totgeburt<br />

oder kurz nach der Geburt verloren haben. Der Verein bietet neben Informationsbroschüren<br />

auch Einzel- und Gruppengespräche, vermittelt Adressen betroffener<br />

Eltern und setzt sich bei Regierung und Behörden für die personenstandsund<br />

bestattungsrechtliche Aufwertung Totgeborener ein.<br />

Arbeitsgemeinschaft Gestose-Frauen e.V.<br />

Kapellener Str. 67a, D-47661 Issum,<br />

Tel. 02835/2628; Fax 02835/2945<br />

http://www.gestose-frauen.de<br />

E-Mail: info@gestose-frauen.de<br />

Der Verein bietet Beratung und Information zum Thema Gestose und HELLP-<br />

Syndrom, u.a. kostenpflichtige Broschüren mit Ernährungsplänen etc.<br />

Adressen weiterer, nicht zwillingsspezifischer Organisationen und Interessenverbände,<br />

die sich mit unterschiedlichen Fragen der Schwangerschaft, Familie und Erziehung<br />

befassen, finden Sie in der Broschüre „Familienverbände“, die Sie normalerweise<br />

bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Postfach 910152, 51071 Köln


103a<br />

103b<br />

(Tel. 0221-89920) bestellen können. Derzeit ist die Broschüre vergriffen, man kann sie<br />

kann aber noch als pdf-Datei unter www.bzga.de (Stichwort „Familienverbände“)<br />

downloaden.


104a<br />

104b<br />

Anhang V: Gesetzestexte<br />

II.<br />

Haushaltshilfe während der Schwangerschaft und bei der Entbindung<br />

§ 199 RVO (Reichsversicherungsordnung)<br />

I. Arbeitsrechtliche Beschäftigungsverbote<br />

§ 3 MuSchG (Mutterschutzgesetz)<br />

(1) Werdende Mütter dürfen nicht beschäftigt werden, soweit nach ärztlichem<br />

Zeugnis Leben oder Gesundheit von Mutter oder Kind bei Fortdauer der Beschäftigung<br />

gefährdet ist.<br />

(2) Werdende Mütter dürfen in den letzten sechs Wochen vor der Entbindung<br />

nicht beschäftigt werden, es sei denn, dass sie sich zur Arbeitsleistung ausdrücklich<br />

bereit erklären; die Erklärung kann jederzeit widerrufen werden.<br />

Die Versicherte erhält Haushaltshilfe, soweit ihr wegen Schwangerschaft oder Entbindung<br />

die Weiterführung des Haushalts nicht möglich ist und eine andere im Haushalt<br />

lebende Person den Haushalt nicht weiterführen kann. § 38 Abs. 4 des Fünften Buches<br />

Sozialgesetzbuch gilt entsprechend.<br />

(§ 38 Abs. 4 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch lautet: „Kann die Krankenkasse<br />

keine Haushaltshilfe stellen oder besteht Grund, davon abzusehen, sind den Versicherten<br />

die Kosten für eine selbstbeschaffte Haushaltshilfe in angemessener Höhe zu erstatten.<br />

Für Verwandte und Verschwägerte bis zum zweiten Grad werden keine Kosten erstattet;<br />

die Krankenkasse kann jedoch die erforderlichen Fahrkosten und den Verdienstausfall<br />

erstatten, wenn die Erstattung in einem angemessenen Verhältnis zu den sonst für eine<br />

Ersatzkraft entstehenden Kosten steht.“)<br />

§ 6 MuSchG<br />

(1) Mütter dürfen bis zum Ablauf von acht Wochen, bei Früh- und Mehrlingsgeburten<br />

bis zum Ablauf von zwölf Wochen nach der Entbindung nicht beschäftigt<br />

werden. Bei Frühgeburten und sonstigen vorzeitigen Entbindungen verlängern sich<br />

die Fristen nach Satz 1 zusätzlich um den Zeitraum der Schutzfrist nach § 3 Abs. 2,<br />

der nicht in Anspruch genommen werden konnte. Beim Tod ihres Kindes kann die<br />

Mutter auf ihr ausdrückliches Verlangen ausnahmsweise schon vor Ablauf dieser Fristen,<br />

aber noch nicht in den ersten zwei Wochen nach der Entbindung, wieder beschäftigt<br />

werden, wenn nach ärztlichem Zeugnis nichts dagegen spricht. Sie kann ihre Erklärung<br />

jederzeit widerrufen.<br />

(2) ...<br />

III. Mutterschaftsgeld<br />

§ 200 RVO (Reichsversicherungsordnung)<br />

(1) Weibliche Mitglieder, die bei Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Krankengeld haben<br />

oder denen wegen der Schutzfristen nach § 3 Abs. 2 und § 6 Abs. 1 des Mutterschutzgesetzes<br />

kein Arbeitsentgelt gezahlt wird, erhalten Mutterschaftsgeld.<br />

(2) Für Mitglieder, die bei Beginn der Schutzfrist nach § 3 Abs. 2 des Mutterschutzgesetzes<br />

in einem Arbeitsverhältnis stehen oder in Heimarbeit beschäftigt sind<br />

oder deren Arbeitsverhältnis während ihrer Schwangerschaft oder der Schutzfrist nach §<br />

6 Abs. 1 des Mutterschutzgesetzes nach Maßgabe von § 9 Abs. 3 des Mutterschutzgesetzes<br />

aufgelöst worden ist, wird als Mutterschaftsgeld das um die gesetzlichen Abzüge<br />

verminderte durchschnittliche kalendertägliche Arbeitsentgelt der letzten drei abgerechneten<br />

Kalendermonate vor Beginn der Schutzfrist nach § 3 Abs. 2 des Mutterschutzgesetzes<br />

gezahlt. Es beträgt höchstens 13 Euro für den Kalendertag. Einmalig gezahltes<br />

Arbeitsentgelt (§ 23a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch) sowie Tage, an denen infolge<br />

von Kurzarbeit, Arbeitsausfällen oder unverschuldeter Arbeitsversäumnis kein oder<br />

ein vermindertes Arbeitsentgelt erzielt wurde, bleiben außer Betracht. Ist danach eine<br />

Berechnung nicht möglich, ist das durchschnittliche kalendertägliche Arbeitsentgelt


105a<br />

einer gleichartig Beschäftigten zugrunde zu legen. Für Mitglieder, deren Arbeitsverhältnis<br />

während der Mutterschutzfristen vor oder nach der Geburt beginnt, wird das<br />

Mutterschaftsgeld von Beginn des Arbeitsverhältnisses an gezahlt. Übersteigt das<br />

Arbeitsentgelt 13 Euro kalendertäglich, wird der übersteigende Betrag vom Arbeitgeber<br />

oder vom Bund nach den Vorschriften des Mutterschutzgesetzes gezahlt. Für andere<br />

Mitglieder wird das Mutterschaftsgeld in Höhe des Krankengeldes gezahlt.<br />

(3) Das Mutterschaftsgeld wird für die letzten sechs Wochen vor der Entbindung,<br />

den Entbindungstag und für die ersten acht Wochen, bei Mehrlings- und Frühgeburten<br />

für die ersten zwölf Wochen nach der Entbindung gezahlt. Bei Frühgeburten und<br />

sonstigen vorzeitigen Entbindungen verlängert sich die Bezugsdauer um den Zeitraum,<br />

der nach § 3 Abs. 2 des Mutterschutzgesetzes nicht in Anspruch genommen<br />

werden konnte. Für die Zahlung des Mutterschaftsgeldes vor der Entbindung ist das<br />

Zeugnis eines Arztes oder einer Hebamme maßgebend, in dem der mutmaßliche Tag<br />

der Entbindung angegeben ist. Das Zeugnis darf nicht früher als eine Woche vor Beginn<br />

der Schutzfrist nach § 3 Abs. 2 des Mutterschutzgesetzes ausgestellt sein. Bei<br />

Geburten nach dem mutmaßlichen Tag der Entbindung verlängert sich die Bezugsdauer<br />

vor der Geburt entsprechend.<br />

(4) Der Anspruch auf Mutterschaftsgeld ruht, soweit und solange das Mitglied<br />

beitragspflichtiges Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erhält. Dies gilt nicht für<br />

einmalig gezahltes Arbeitsentgelt.<br />

(Anmerkung: Für Landwirte gelten anstelle von § 200 RVO die weitgehend inhaltsgleichen<br />

Vorschriften des Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte<br />

– KVLG)<br />

§ 13 MuSchG (Mutterschutzgesetz)<br />

(1) Frauen, die Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse sind, erhalten für die<br />

Zeit der Schutzfristen des § 3 Abs. 2 und des § 6 Abs. 1 sowie für den Entbindungstag<br />

Mutterschaftsgeld nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung oder des<br />

Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte über das Mutterschaftsgeld.<br />

(2) Frauen, die nicht Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse sind, erhalten,<br />

wenn sie bei Beginn der Schutzfrist nach § 3 Abs. 2 in einem Arbeitsverhältnis stehen<br />

oder in Heimarbeit beschäftigt sind, für die Zeit der Schutzfristen des § 3 Abs. 2 und<br />

105b<br />

des § 6 Abs. 1 sowie für den Entbindungstag Mutterschaftsgeld zu Lasten des Bundes in<br />

entsprechender Anwendung der Vorschriften der Reichsversicherungsordnung über das<br />

Mutterschaftsgeld, höchstens jedoch insgesamt 210 Euro. Das Mutterschaftsgeld wird<br />

diesen Frauen auf Antrag vom Bundesversicherungsamt gezahlt. Die Sätze 1 und 2 gelten<br />

für Frauen entsprechend, deren Arbeitsverhältnis während ihrer Schwangerschaft<br />

oder der Schutzfrist des § 6 Abs. 1 nach Maßgabe von § 9 Abs. 3 aufgelöst worden ist.<br />

(3) ...<br />

§ 14 MuSchG (Mutterschutzgesetz)<br />

(1) Frauen, die Anspruch auf Mutterschaftsgeld nach § 200 Abs. 1, 2 Satz 1 bis 4<br />

und Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung, § 29 Abs. 1, 2 und 4 des Gesetzes über die<br />

Krankenversicherung der Landwirte oder § 13 Abs. 2, 3 haben, erhalten während ihres<br />

bestehenden Arbeitsverhältnisses für die Zeit der Schutzfristen des § 3 Abs. 2 und § 6<br />

Abs. 1 sowie für den Entbindungstag von ihrem Arbeitgeber einen Zuschuss in Höhe des<br />

Unterschiedsbetrages zwischen 13 Euro und dem um die gesetzlichen Abzüge verminderten<br />

durchschnittlichen kalendertäglichen Arbeitsentgelt. Das durchschnittliche kalendertägliche<br />

Arbeitsentgelt ist aus den letzten drei abgerechneten Kalendermonaten, bei<br />

wöchentlicher Abrechnung aus den letzten dreizehn abgerechneten Wochen vor Beginn<br />

der Schutzfrist nach § 3 Abs. 2 zu berechnen. Nicht nur vorübergehende Erhöhungen des<br />

Arbeitsentgeltes, die während der Schutzfristen des § 3 Abs. 2 und § 6 Abs. 1 wirksam<br />

werden, sind ab diesem Zeitpunkt in die Berechnung einzubeziehen. Einmalig gezahltes<br />

Arbeitsentgelt (§ 23a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch) sowie Tage, an denen infolge<br />

von Kurzarbeit, Arbeitsausfällen oder unverschuldeter Arbeitsversäumnis kein oder<br />

ein vermindertes Arbeitsentgelt erzielt wurde, bleiben außer Betracht. Zu berücksichtigen<br />

sind dauerhafte Verdienstkürzungen, die während oder nach Ablauf des Berechnungszeitraums<br />

eintreten und nicht auf einem mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbot<br />

beruhen. Ist danach eine Berechnung nicht möglich, so ist das durchschnittliche<br />

kalendertägliche Arbeitsentgelt einer gleichartig Beschäftigten zugrunde zu legen.<br />

(2) Frauen, deren Arbeitsverhältnis während ihrer Schwangerschaft oder während<br />

der Schutzfrist des § 6 Abs. 1 nach Maßgabe von § 9 Abs. 3 aufgelöst worden ist, erhalten<br />

bis zum Ende dieser Schutzfrist den Zuschuss nach Absatz 1 zu Lasten des Bundes<br />

von der für die Zahlung des Mutterschaftsgeldes zuständigen Stelle.


106a<br />

106b<br />

(3) Absatz 2 gilt für den Zuschuss des Bundes entsprechend, wenn der Arbeitgeber<br />

wegen eines Insolvenzereignisses im Sinne des § 183 Abs. 1 Satz 1 des Dritten<br />

Buches Sozialgesetzbuch seinen Zuschuss nach Absatz 1 nicht zahlen kann.<br />

(4) Der Zuschuss nach den Absätzen 1 bis 3 entfällt für die Zeit, in der Frauen die<br />

Elternzeit nach dem Bundeselternzeit- und Elternzeitgesetz in Anspruch nehmen oder<br />

in Anspruch genommen hätten, wenn deren Arbeitsverhältnis nicht während ihrer<br />

Schwangerschaft oder während der Schutzfrist des § 6 Abs. 1 vom Arbeitgeber zulässig<br />

aufgelöst worden wäre. Dies gilt nicht, soweit sie eine zulässige Teilzeitarbeit<br />

leisten.


107a<br />

107b<br />

Anhang VI: Literaturhinweise<br />

Die Autorin hinterfragt den Automatismus, mit dem Schwangere über 30<br />

zu genetischen Tests geradezu gedrängt werden. Das Buch erläutert die Techniken<br />

und Möglichkeiten der pränatalen Diagnostik, um sich dann der Frage anzunehmen,<br />

wie die Betroffenen mit den Informationen umgehen können.<br />

(Anmerkung: In Einzelfällen stellen wir die aus unserer Sicht sinnvollen Bücher<br />

auch dann noch vor, wenn der – immer kurzlebiger werdende – Buchhandel sie nicht<br />

mehr vorhält. Meist können die Werke, neu oder gebraucht, in Antiquariaten erstanden<br />

werden (z.B. über www.amazon.de) oder sie sind in öffentlichen Büchereien verfügbar.)<br />

Schwangerschaft allgemein<br />

Ines Albrecht-Engel (Hrsg.):<br />

Geburtsvorbereitung – Entspannung und Balance; Massagen und Atemübungen;<br />

Mit Kurs für werdende Eltern, Reinbek 2006 [Rowohlt].<br />

Ein Klassiker zum Thema Geburtsvorbereitung, herausgegeben von der<br />

Vorsitzenden der Gesellschaft für Geburtsvorbereitung e.V.<br />

Vorgeburtliche Diagnostik<br />

Stephan Krone:<br />

Das ungeborene Kind – Möglichkeiten und Grenzen vorgeburtlicher Untersuchungen,<br />

Stuttgart 1992 [trias]<br />

Das im Handel nicht mehr erhältliche Buch erörtert mögliche vorgeburtliche<br />

Schädigungen eines Kindes und stellt die Methoden und Risiken der<br />

pränatalen Diagnostik (nach dem damaligen Stand des medizinischen Fortschritts)<br />

auf sehr instruktive Weise vor.<br />

Claudia Fesch:<br />

Genetische Tests – Wie funktionieren sie und was sagen sie aus, Frankfurt<br />

2000 [Fischer Taschenbuch].<br />

Erziehungsratgeber<br />

Rita Haberkorn:<br />

<strong>Zwillinge</strong> – Was Eltern und Pädagogen wissen müssen, Reinbek 1996 [Rowohlt]<br />

Das Buch berichtet über die eigenen Erfahrungen der Autorin sowie vier<br />

weiterer Zwillingsfamilien und reflektiert dabei die Paarbeziehung der <strong>Zwillinge</strong><br />

untereinander ebenso wie das Beziehungsgeflecht zu Eltern und anderen Geschwisterkindern.<br />

Indem dadurch typische Besonderheiten der Zwillingskonstellation<br />

transparent werden, öffnen sich neue Sichtweisen auf die eigene Familiensituation.<br />

Obgleich im Buchhandel nicht mehr erhältlich, hat das Werk an<br />

Aktualität nicht verloren.<br />

Annette Kast-Zahn, Hartmut Morgenroth:<br />

Jedes Kind kann schlafen lernen. München 2007 [Gräfe & Unzer]<br />

Das Buch befasst sich allgemein mit den körperlichen und psychischen Ursachen<br />

kindlicher Einschlaf- und Durchschlafprobleme und war mit seinem<br />

Bewältigungskonzept schon vielen Eltern eine große Hilfe. Dagegen bringen die<br />

weiteren Bücher der Reihe („Jedes Kind kann Regeln lernen“, „Jedes Kind kann<br />

richtig essen“) keine wirklich neuen Erkenntnisse.<br />

Totgeburt und Fehlgeburt<br />

Hannah Lothrop:<br />

Gute Hoffnung – jähes Ende, München 2007 [Kösel]<br />

Der einfühlsam geschriebene Ratgeber gibt Hilfestellung bei Fehlgeburt,<br />

Totgeburt und Säuglingstod.


108a<br />

Angela Körner-Armbruster:<br />

Totgeburt weiblich – ein Abschied ohne Begrüßung, Tübingen 2005 [Attempto]<br />

Ein ergreifender Erfahrungsbericht über eine selbst erlebte Totgeburt,<br />

der die eigenen Sorgen und Erwartungen wie auch die Hilflosigkeit der Umgebung<br />

detailgetreu aufarbeitet. Die reflektierte Darstellung macht Abläufe<br />

transparent und deutet damit allgemeine Handlungsstrategien der Trauerbewältigung<br />

auch über den Einzelfall hinaus an, ohne damit jedoch den Anspruch<br />

eines Ratgebers zu begründen.<br />

Monika Fränznick, Karin Wieners:<br />

Ungewollte Kinderlosigkeit – Psychosoziale Folgen, Bewältigungsversuche<br />

und Dominanz der Medizin, Weinheim 2001 [Juventa]<br />

Das Buch ist zu empfehlen, wenn man Kinder nach einer Fruchtbarkeitsbehandlung<br />

verloren hat.<br />

Frühgeburt<br />

Gerhard Jorch:<br />

Frühgeborene – Rat und Hilfe für betroffene Eltern, München, Stuttgart 2006<br />

[Urania]<br />

Das Buch befasst sich zunächst mit den Ursachen einer Frühgeburt und<br />

den zur Wahl stehenden Geburtsmodi, um dann die Situation auf einer Frühgeborenenintensivstation<br />

einschließlich der Apparate und die Behandlungsmethoden<br />

zu erläutern. Im weiteren informiert es über mögliche Komplikationen<br />

bei der Behandlung Frühgeborner und gibt allgemeine Einblicke in die<br />

Entwicklungsaussichten für Frühgeborene. Das Buch ist vom Bundesverband<br />

„Das frühgeborene Kind“ e.V. empfohlen und mit hoher ärztlicher Fachkompetenz<br />

verfasst, allerdings vielleicht nicht an allen Stellen mit derselben Einfühlsamkeit,<br />

wie sie persönlich betroffene Eltern hätten.<br />

108b<br />

Edith Müller-Rieckmann:<br />

Das frühgeborene Kind in seiner Entwicklung – Eine Elternberatung, München,<br />

Basel 2006 [Ernst Reinhardt]<br />

Das auf hohem fachlichem Niveau geschriebene Buch befasst sich mit der<br />

Beobachtung und Förderung der körperlichen und geistigen Entwicklung von<br />

Frühgeborenen. Förderungskonzepte werden besprochen und mit beispielhaften<br />

praktischen Übungen greifbar gemacht. Das gleichzeitig an die betroffenen Eltern<br />

wie auch an ein Fachpublikum aus Geburtshelfern, Kinderärzten Frühförderern<br />

gerichtete Werk findet in der Ansprache dieser doch sehr weit gefächerten<br />

Zielgruppen einen akzeptablen Kompromiss, der für die Eltern allerdings an einigen<br />

Stellen die Herausforderung bedeutet, einem nicht leicht lesbaren Text<br />

gegenüberzustehen. Die medizinische Behandlung auf der Frühchenstation (Neonatologie)<br />

gehört dagegen nicht zu den Schwerpunkten des Buches.<br />

Fachbücher<br />

Jutta Jäger:<br />

Psychosoziale, ökonomische und gesundheitliche Aspekte bei Familien mit höhergradigen<br />

Mehrlingen, Dissertation Frankfurt/M. 1994<br />

Empirische Studie über 110 Drillings- und Vierlingsfamilien.<br />

Barbara Felber-Suter / Kurt von Siebenthal:<br />

Mehrlinge – und plötzlich ist alles anders, Luzern 1997 [Edition SZH/SPC]. Im<br />

Buchhandel vergriffen; in Restbeständen noch beim ABC-Club erhältlich und<br />

ansonsten bei den antiquarischen Quellen.<br />

Das Buch wendet sich an Pädagogen, Therapeuten und Berater, die in ihren<br />

jeweiligen Berufen mit Mehrlingen zu tun haben.<br />

Tatsachenroman<br />

Darin Strauss:<br />

Chang und Eng – Die Siamesischen <strong>Zwillinge</strong>, München 2002 [Heyne Wilhelm].<br />

Nur noch antiquarisch erhältlich.


109a<br />

Fachaufsätze zu speziellen Themen<br />

vorgeburtliche Diagnostik:<br />

S. Uhrig u.a.:<br />

Humangenetische Beratung bei Mehrlingsschwangerschaften, in: Gynäkologisch-Geburtshilfliche<br />

Rundschau, Band 47 (2007), S. 9-13<br />

M. Haeusler:<br />

Geburtshilfliche Betreuung von Mehrlingsschwangerschaften bis zur 24.<br />

Schwangerschaftswoche – eine Übersicht, in: Gynäkologisch-Geburtshilfliche<br />

Rundschau, Band 47 (2007), S. 14-22<br />

G. Crombach u.a.:<br />

Spezielle Aspekte der nicht-invasiven und invasiven Pränataldiagnostik bei<br />

Mehrlingen, in: Der Gynäkologe, Band 31 (1998), S. 218-228<br />

A. Geipel u.a.:<br />

Stellenwert der NT-Messung – Ist das Alter keine Indikation zur Amniozentese<br />

mehr, in: Geburtshilfe und Frauenheilkunde, Band 65 (2005), S. 636-638<br />

F. Krainer:<br />

Invasive und nichtinvasive fetale Chromosomenanalyse – Alternative und Ergänzung<br />

zur NT-Messung, in: Der Gynäkologe, Band 39 (2006), S. 854-860<br />

H. Hepp:<br />

Pränataldiagnostik – Eine Standortbestimmung, in: Der Gynäkologe, Band 39<br />

(2006), S. 861-869<br />

109b<br />

B. Tutschek u.a.:<br />

Diagnostik und Prognose von Mehrlingsgraviditäten im I. Trimenon, in: Der<br />

Gynäkologe, Band 31 (1998), S. 209-217<br />

Zwillingstransfusionssyndrom:<br />

F. Bahlmann:<br />

Fetofetales Transfusionssyndrom, in: Der Gynäkologe, Band 37 (2004), S. 725-<br />

735<br />

E. Grischke u.a.:<br />

Zwillingsschwangerschaften mit feto-fetalem Transfusionssyndrom, in: Zeitschrift<br />

für Geburtshilfe und Perinatologie, Band 194 (1990), S. 17-21<br />

H. Plath u.a.:<br />

Diagnostik und Therapie zwillingsspezifischer Anomalien, in: Der Gynäkologe,<br />

Band 31 (1998), S. 229-244<br />

A. Scharf u.a.:<br />

Laser versus serielle Amniondrainage, in: Geburtshilfe und Frauenheilkunde,<br />

Band 62 (2002), S. 1016-1021<br />

Siamesische <strong>Zwillinge</strong>:<br />

H. Plath u.a.:<br />

Diagnostik und Therapie zwillingsspezifischer Anomalien, in: Der Gynäkologe,<br />

Band 31 (1998), S. 229-244<br />

Zwillingsteilung, Eihautverhältnisse:<br />

K. Bernischke:<br />

Klassifikation und Plazentationsverhältnisse bei der Mehrlingsgravidität, in:<br />

Der Gynäkologe, Band 31 (1998), S. 198-202<br />

Reduktion der Schwangerschaft (Fetozid):<br />

R. Bollmann u.a.:<br />

Erfahrungen mit der nicht-selektiven Embryoreduktion und dem selektiven Fetozid,<br />

in: Der Gynäkologe, Band 31 (1998), S. 254-260


110a<br />

H. Hepp:<br />

Höhergradige Mehrlingsgravidität – auch ein ethisches Problem medizinischen<br />

Fortschritts, in: Der Gynäkologe, Band 31 (1998), S. 261-266<br />

Ärztliche Betreuung der Mehrlingsschwangerschaft:<br />

A. Bolte:<br />

Richtlinien zur Betreuung und Behandlung der Mehrlingsgravidität, in: A.<br />

Schindler u.a. (Hrsg.), Mehrlingsschwangerschaft, Mehrlingsgeburt. Der<br />

Frauenarzt, Gräfeling 1995, S. 69-73<br />

Medizinischer Nutzen und Risiken einer Zerklage:<br />

K. Vetter u.a.:<br />

Zervixinsuffizienz: operative Möglichkeiten, in: Der Gynäkologe, Band 34<br />

(2001), S. 726-731<br />

A. Strauss u.a.:<br />

Diagnostik und Prophylaxe der Cervixinsuffizienz in der Mehrlingsschwangerschaft,<br />

in: Gynäkologisch-Geburtshilfliche Rundschau, Band 43 (2003), S.<br />

91-97<br />

C. Wolf:<br />

Prophylaktische Cerklage: Keine Senkung der Frühgeburtlichkeit bei Risikokollektiv,<br />

in: Geburtshilfe und Frauenheilkunde, Band 65 (2005), S. 6<br />

Ö. Kilavuz u.a.:<br />

Verhinderung von Spätaborten und Frühgeburten – Operative Möglichkeiten,<br />

in: Der Gynäkologe, Band 39 (2006), S. 311-322<br />

Gestose/Präeklampsie, vorbeugende Einnahme von Aspirin:<br />

110b<br />

W. Klockenbusch u.a.:<br />

Prävention der Präeklampsie mit Acetylsalizylsäure – eine kritische Analyse,<br />

in: Zeitschrift für Geburtshilfe und Neonatologie, Band 206 (2003), S. 125-130<br />

W.Klockenbusch u.a.:<br />

Aktuelle Therapieempfehlungen bei Präeklampsie, in: Gynäkologisch-<br />

Geburtshilfliche Rundschau, Band 47 (2007), S. 209-214<br />

Wahl des Geburtsmodus (vaginale Entbindung oder Kaiserschnitt):<br />

G. Hasenöhrl u.a.:<br />

Entbindung von Mehrlingen, insbesondere <strong>Zwillinge</strong>n, in: Gynäkologisch-<br />

Geburtshilfliche Rundschau, Band 47 (2007), S. 70-75<br />

W. Schröder:<br />

Leitung der Mehrlingsgeburt, in: Der Gynäkologe, Band 31 (1998), S. 267-272<br />

M. Kühnert u.a.:<br />

Sectio caeserea: ein harmloser Eingriff aus mütterlicher Sicht, in: Geburtshilfe<br />

und Frauenheilkunde, Band 60 (2000), S. 354-361<br />

P. Husslein u.a.:<br />

Elektive Sektio vs. vaginale Geburt – ein Paradigmenwechsel in der Geburtshilfe,<br />

in: Der Gynäkologe, Band 33 (2000), S. 849-856<br />

P. Hillemanns u.a.:<br />

Risiken bei Sectio caesarea und vaginaler Geburt, in: Der Gynäkologe, Band 33<br />

(2000), S. 872-881<br />

J. Schmolling u.a.:<br />

Harninkontinenz nach vaginaler Entbindung oder Sectio caeserea, in: Der Gynäkologe,<br />

Band 36 (2003), S. 1113-1115


111a<br />

111b<br />

Gegenüberstellung der herkömmlichen Kaiserschnittentbindung mit der<br />

neueren MISGAV-LADACH-Methode:<br />

E. Joura u.a.:<br />

Eine kritische Bewertung der Sektiotechnik nach Misgav-Ladach, in: Der Gynäkologe,<br />

Band 33 (2000), S. 298-302<br />

Gesundheits- und Entwicklungsprognose bei höhergradigen Mehrlingen:<br />

H. Mentzel:<br />

Neonatale Aspekte bei Mehrlingsgeburten, in: A. Schindler u.a. (Hrsg.),<br />

Mehrlingsschwangerschaft, Mehrlingsgeburt. Der Frauenarzt, Gräfeling 1995,<br />

S. 65-68<br />

A. Strauss u.a.:<br />

Höhergradige Mehrlinge – Perinatologische Herausforderung und Konsequenzen,<br />

in: Der Gynäkologe, Band 31 (1998), S. 275-282<br />

Gesundheits- und Entwicklungsprognose bei Frühgeborenen:<br />

D. Wolke u.a.:<br />

Entwicklungslangzeitfolgen bei ehemaligen, sehr unreifen Frühgeborenen –<br />

Bayerische Entwicklungsstudie, in: Monatsschrift für Kinderheilkunde, Band<br />

149 (2001), Supplement 1, S. 53-61<br />

J. Hentschel u.a.:<br />

Überlebenschancen und Langzeitprognose bei Geburt in der Grauzone der Lebensfähigkeit,<br />

in: Der Gynäkologe, Band 34 (2001), S. 679-707


112a<br />

112b<br />

Anhang VII<br />

Mehrlinge in anderen Sprachen (für den Urlaub):<br />

Deutsch Englisch Französisch Spanisch<br />

<strong>Zwillinge</strong> twins jumeaux (zwei Jungen, Pärchen<br />

oder allgemein <strong>Zwillinge</strong>)<br />

jumelle (zwei Mädchen)<br />

gemelos<br />

mellizos<br />

eineiige <strong>Zwillinge</strong><br />

identical twins<br />

monozygotic twins<br />

jumeaux identiques<br />

vrais jumeaux<br />

gemelos univitelinos<br />

gemelos identicos<br />

zweieiige <strong>Zwillinge</strong><br />

non-identical twins<br />

fraternal twins<br />

dizygotic twins<br />

jumeaux non identiques<br />

faux jumeaux<br />

gemelos bivitelinos<br />

gemelos fraternos<br />

Drillinge triplets triplés<br />

trois jumeaux<br />

trillizos<br />

Vierlinge quadruplets quadruplés quatrillizos<br />

Fünflinge quintuplets quintuplés quintillizos<br />

Sechslinge sextuplets sextuplés sextillizos<br />

Siebenlinge septuplets septuplés septillizos<br />

Achtlinge octuplets octuplés octillizos<br />

(höhergradige) Mehrlinge<br />

multiples<br />

supertwins<br />

multiples<br />

múltiplos<br />

Frühgeborenes premature baby enfant prématuré prematuro<br />

Frühchen preemie préma

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