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06<br />
Titelthema<br />
Genießbarer Abfall<br />
Dass wir eine Wegwerfgesellschaft sind, ist nicht<br />
neu. Dass dies auch Lebensmittel einschließt, ebenfalls<br />
nicht. Dennoch tritt Valentin Thurn derzeit mit<br />
seinem Film „Taste the Waste“ und der Aktion „Tel-<br />
Wir sehen seit Wochen<br />
schreckliche Bilder<br />
im Fernsehen von<br />
hungernden Flüchtigen in Afrika.<br />
Alle 6 Minuten stirbt in Somalia<br />
ein Kind, weil es nichts zu essen<br />
hat. Gleichzeitig zeigt uns Valentin<br />
Thurn, dass wir gedankenlos<br />
Lebensmittel wegschmeißen,<br />
Erzeuger und Verbraucher. Die<br />
Anzahl von Gründen und Leuten,<br />
die auf andere zeigen, ist<br />
ebenso groß an der Zahl wie es<br />
Wegwerfer gibt. Dabei ist das<br />
Problem ein anderes.<br />
80 Kilo Lebensmittel<br />
pro Person<br />
Zu diesem Ergebnis kommt<br />
Thurn nach seinen Recherchen:<br />
Pro Person landen 80 Kilo Nahrungsmittel<br />
auf dem Müll – pro<br />
Jahr. Das ist ein Warenwert von<br />
25 Milliarden Euro und verursacht<br />
mehr Klimagase als alle<br />
Schiffe, Autos, und Flugzeuge<br />
weltweit zusammen. Eine unglaubliche<br />
Menge, die so groß<br />
ist, dass sich das Nachfragen<br />
lohnt: Wie kommen diese 80<br />
Kilo zusammen? Ein Übeltäter<br />
sei das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD), so Thurn. Das wird von<br />
den Herstellern selbst auf die Produktverpackungen gedruckt. Die<br />
Vermutung liegt nahe: Je eher die Ware abgelaufen ist, desto eher<br />
werfen wir Verbraucher das Produkt weg und kaufen neu. Aber: „Für<br />
uns ist ein langes MHD oft sinnvoller als ein kurzes. Dann haben wir<br />
mehr Sicherheit bei der Produktionsplanung, wir können größere<br />
Produktionslose (Anm. der Red.: Mengen) herstellen und können flexibler<br />
auf die Anforderungen des Handels reagieren“, widerspricht<br />
Andrea Lurtz von Nestlé/Thomy Thurns’ Überlegung.<br />
Das Mindesthaltbarkeitsdatum<br />
Die Leiterin der Qualitätssicherung erklärt die Ermittlung eines<br />
MHD.: „Bevor ein neues Produkt auf den Markt kommt, wird unter<br />
kontrollierten Bedingungen der Alterungsprozess beschleunigt, um<br />
festzustellen, wann das Produkt die vorher festgelegten Qualitätseigenschaften,<br />
wie zum Beispiel Konsistenz, Geschmack, Aussehen<br />
und Bekömmlichkeit, verliert. Daraufhin legen wir das MHD fest,<br />
welches in regelmäßigen Abständen überprüft wird.“ Heißt also<br />
für uns Verbraucher: Auch nach dem Ablauf des MHD können Nahrungsmittel<br />
noch genießbar sein. Nur: Mögen wir sie dann noch?<br />
Foto: Jörg Schuster<br />
ler statt Tonne“ eine Lawine los. <strong>Der</strong> Kölner Filmemacher<br />
stellt fest: Rund die Hälfte unserer Lebensmittel<br />
werfen wir weg. Warum?<br />
Lothar Wirtz<br />
Wer würde zum Beispiel grauen<br />
Senf kaufen oder essen?<br />
Krumm und<br />
schrumpelig will keiner<br />
„Also ich probiere die Kühlschrank-Milch,<br />
auch wenn sie<br />
abgelaufen ist. Ist doch nicht<br />
schlimm, das schmeckt man<br />
doch sofort, ob die noch gut ist“,<br />
so Bio-Bauer Heinrich Hannen<br />
vom Lammertzhof in Büttgen.<br />
Damit ist er einer der wenigen.<br />
Was abgelaufen ist, schmeißen<br />
viele unprobiert weg. „Das Problem<br />
ist doch ein ganz anderes:<br />
Lebensmittel werden nicht<br />
mehr geschätzt, weil sie viel zu<br />
billig sind. Von der Gurkenernte<br />
werfen wir mindesten 15 Prozent,<br />
von den Möhren rund 20<br />
Prozent auf den Kompost und<br />
rund 35 Prozent der Kartoffeln<br />
heben wir gar nicht erst auf.“<br />
Warum? Hannen ist für seine<br />
erstklassige Bioware bekannt.<br />
„Sie können ja gerne mal mit<br />
auf den Markt kommen: Was<br />
krumm ist, eine Druckstelle hat,<br />
zu klein, zu groß, zu krumm, zu<br />
was auch immer ist, kaufen die<br />
Leute nicht. Von 100 Blumenkohl verkaufe ich 30.“ Früher, so Hannen<br />
weiter, liefen bis zu hundert Leute zur Kartoffel-Nachlese auf seine<br />
Felder. Heute sind es vielleicht zehn. „Von der Kalorienzahl her kann<br />
der Lammertzhof 1.400 Menschen ernähren. Wenn wir die optisch<br />
minderwertige Ware dazurechnen würden, kämen wir auf locker auf<br />
2.000 Leute.“<br />
Teller statt Tonne<br />
Tja, die Schuldigen sind also zum großen Teil wir, die Verbraucher.<br />
<strong>Der</strong> Handel bietet an, was wir kaufen. Zu jeder Uhrzeit frisches Brot,<br />
gerade und rund gewachsenes Obst und Gemüse, saftig rote Wurst<br />
(die naturbelassen übrigens grau wäre) und anderes. Wir werfen lieber<br />
weg und kaufen neu, als eine krumme Möhre zu schälen, eine<br />
dunkle Stelle an einem Apfel oder einer Kartoffel weg zu schneiden,<br />
obwohl wir sie sowieso schälen. Deshalb hat sich Thurn übrigens<br />
etwas einfallen lassen. Die Aktion „Teller statt Tonne“, die deutschlandweit<br />
Station macht, zeigt, wie man Nahrungsmittel anders als<br />
üblich zu schätzen wissen kann. Am 25.9. war sie auch in Neuss.<br />
Info: Kostenlose Vorführung des Dokumentarfilmes „Taste the Waste“<br />
im Hitch am Mittwoch, 30.11., um 17:30 Uhr.<br />
<strong>Der</strong> <strong>Neusser</strong> 10.<strong>2011</strong>