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Irrsinn.doc<br />
Der 1. Weltkrieg und die Belastbarkeit des Menschen<br />
(nach Ansicht der Psychiatrie)<br />
Im ersten Weltkrieg, ziemlich genau ab 1916, entstand plötzlich eine Symptomatik, die<br />
vorher und nachher so in Kriegszeiten nur sehr, sehr selten beobachtet worden ist. Das waren<br />
die Kriegszitterer. Das waren Soldaten, die plötzlich ein unstillbares Zittern bekamen, das nicht<br />
abzustellen war. Wurden sie aus der Frontlinie herausgenommen, beruhigten sie sich<br />
allmählich wieder. Sie wurden im Lazarett behandelt, und sobald sie wieder an die Front<br />
sollten, kam das Zittern wieder. Selbstverständlich war wiederum die erste Hypothese, das sei<br />
somatogen, das sei körperlich bedingt, das sei der Granatenschock; durch die<br />
Granatenexplosionen kommt es in den Schützengräben zu heftigen Erschütterungen, und diese<br />
Druckwellen sollten im Wirbelsäulenbereich Irritationen auslösen, die wiederum<br />
verantwortlich seien für dieses Kriegszittern.<br />
Selbstverständlich bildeten eine zweite große Gruppe diejenigen, die sagten, das seien feige<br />
Gesellen und Vaterlandsverräter, die sich nur drücken wollten; die wollten nicht kämpfen,<br />
sondern sich nur der Situation entziehen. Es entwickelte sich eine militärpsychiatrische<br />
Tradition, die darin bestand, dass man sagte: die psychiatrische Behandlung eines Soldaten<br />
muss belastender sein als der Fronteinsatz. Das ist durchaus auch erfolgreich in allen Nationen<br />
durchgeführt worden. Mit Kaltwasserbehandlungen, mit Elektroschocks und Aversionstherapie<br />
wurde versucht, die Soldaten dazu zu motivieren, wieder in den Einsatz zurückzugehen,<br />
durchaus mit Erfolg. Die Soldaten flüchteten im Grunde genommen irgendwann einmal aus<br />
dem Lazarett, bekamen aber sehr schnell wieder dieses Kriegszittern und waren dann doch<br />
nicht mehr einsatzfähig. Heute weiß man ziemlich sicher, dass eine bestimmte Art der<br />
Kriegsführung dieses Symptom hervorgerufen hat, eine Kriegsführung, die vorher und nachher<br />
nur sehr selten war, nämlich der Schützengrabenkrieg. Die Soldaten waren völlig hilflos in<br />
ihren Schützengräben eingegraben, und es war eine absolut statistische Willkür, ob sie<br />
überlebten oder nicht. Es hat in Frankreich während des ersten Weltkrieges auf den<br />
Schlachtfeldern Tage gegeben, da gab es fünfzig-, sechzig-, siebzigtausend Tote an einem Tag<br />
in allen kriegführenden Nationen. Man erforscht zur Zeit, welche Effekte diese<br />
Massentraumatisierungen möglicherweise auf die Geschichte der Nachkriegszeit, auf die Zeit<br />
1920/1930 und die Katastrophe des 2. Weltkrieges hatten.<br />
Es gab einige wenige Personen in Großbritannien den USA, die versuchten, bei diesen<br />
Soldaten, die aus dem 1. Weltkrieg wiederkamen, eine "talking-cure" zu machen, eine Redekur<br />
nach Sigmund Freud.<br />
Kardinger war ein Jahr bei Freud gewesen und hat selbst in seiner Autobiographie berichtet,<br />
dass es ihm als Kind nicht gut gegangen ist, dass er viel geschlagen wurde, dass er verschiedene<br />
Traumata erlebt hat. Er konnte sich in posttraumatische Zustände einfühlen und versuchte eine<br />
Redekur mit den Soldaten, sagte aber ganz offen, dass sie ihnen nicht geholfen habe. Was die<br />
Soldaten trotzdem gut fanden, war, dass ihnen überhaupt jemand geglaubt hat und ihnen<br />
zugehört hat und sie nicht gleich als Simulanten oder Versicherungsbetrüger abgestempelt hat.
Nach dem 1. Weltkrieg gab es in allen Nationen eine ganze Reihe von Soldaten, die<br />
Versicherungsansprüche stellten; das wurde zum volkswirtschaftlichen Problem. Mitten in der<br />
Weltwirtschaftskrise hatte man kein Geld auch noch dafür übrig, und es gab sehr bald Gesetze,<br />
die besagten, dass es für diese Probleme nichts gebe. In Deutschland gab es einen Beschluss des<br />
Reichsversicherungsamtes, der wirklich perfide ist, und der besagte: Sofern jemand von seinem<br />
Unfall etwas hat, ist es zwangsläufig so, dass das der Grund für seine persistierenden Symptome<br />
ist. Das bedeutet: sobald jemand eine Rente beantragt, hat er einen sekundären<br />
Krankheitsgewinn, der die Ursache stabilisiert und verstärkt, und das spricht dagegen, dass er<br />
bezugsberechtigt ist. Das ist ein hervorragender, geradezu klassischer Double bind, aus dem es<br />
ja kein Entrinnen gibt: In dem Moment, in dem Menschen mit solchen Symptomen einen<br />
Rentenantrag stellen, sind sie Rentenneurotiker und haben deshalb keinen Rentenanspruch.<br />
Nach dem zweiten Weltkrieg war insbesondere die Bundesrepublik Deutschland mit einer<br />
geschichtlichen Tatsache konfrontiert, die nicht aufarbeitbar ist, und die die Geschichte<br />
Deutschlands verändert hat und weiterhin verändern wird: die Auseinandersetzung mit dem<br />
Holocaust. Auf Druck der Alliierten verabschiedete der Bundestag 1956 das<br />
Entschädigungsgesetz, das beinhaltete, dass jemand, der durch nationalsozialistische<br />
Verfolgung und Konzentrationslager Gesundheitsschäden davongetragen hat, einen Anspruch<br />
auf eine Erwerbsminderungsrente hat, auf eine EU-Rente. Der Gesetzestext war so formuliert,<br />
dass, wenn die Wahrscheinlichkeit besteht, dass es da Zusammenhänge gibt, dass dann eine<br />
solche Rente gewährt werden muss . Dies muss te begutachtet werden. Nach<br />
wissenschaftlicher Lehrmeinung in der Psychiatrie - nicht nur in Deutschland, sondern auch in<br />
den USA, ja sogar in Israel -, gilt dass akute Belastungsreaktionen zwar zu posttraumatischen<br />
Zuständen führen können, dass diese aber nur ein ¼ bis ½ Jahr andauern und sich dann wieder<br />
geben. Hat jemand mehr als ½ Jahr nach einer Traumatisierung Störungen, dann müsse er<br />
vorher schon konstitutionell belastet gewesen sein, neurotisch beispielsweise; und wenn die<br />
Symptome mit einem gewissen zeitlichen Abstand zum ursprünglichen Ereignis auftauchen,<br />
dazwischen also 5 oder 10 Jahre liegen, dann konnten sie mit dem eigentlichen Trauma nichts<br />
mehr zu tun haben, sondern seien auf andere Faktoren zurückzuführen. Ein Wiener Psychiater<br />
formulierte: "Die Belastbarkeit der menschlichen Seele liegt im Unendlichen", ein gesunder<br />
Mensch verkraftet also alles.<br />
(Aus: http://www.fachklinik-furth.de/sachs.htm )<br />
16.10.10 L. F.<br />
2
Vorspiele<br />
Vorspiel 1: Brasilien 1978<br />
Am 30.5.1978 stellt sich der Österreicher G. Wagner der brasilianischen Polizei, da er<br />
befürchtet die Israeli wären ihm auf der Spur. In seinem 1.Fernsehinterview bestreitet er<br />
heftig jemals Juden umgebracht zu haben. Er habe damals nur ein paar Verrückte getötet.<br />
Das erscheint ihm offensichtlich auch heute noch nicht problematisch.<br />
Vorspiel 2: Mörder und TV<br />
„Heute habe ich den Mörder meines Großvaters im Fernsehen gesehen“,<br />
erzähle ich meinem Freund.<br />
„Ich habe Zahnschmerzen“ antwortet er.<br />
Vorspiel 3: Gustav Wagner<br />
SS-Oberscharführer Gustav Wagner, born in Austria, is regarded as the most sadistic and<br />
cruel Nazi in Sobibor. After the war he escaped with Stangl and was discovered in Brazil.<br />
The Brazilian government refused his extradition to Germany. According to Government<br />
sources he committed suicide in October 1980.<br />
(Aus. http://holocaust-info.dk/operation_reinhard/sobibor_personnel.htm)<br />
16.10.10 L. F.<br />
3
Geboren am: 25.2.1897<br />
Heiratet Aloisia F. am: 28. 8. 1928<br />
Witwer seit: 10.12.1934<br />
3 Kinder<br />
Aus dem Krankenbericht des Josef H.<br />
4. 9. 1936: Josef H. wird von der Rettung in Begleitung eines Nachbarn in Niedernhart<br />
eingeliefert.<br />
Grund: Paranoide Wahnvorstellungen mit akustischen Halluzinationen.<br />
Aus den Angaben des Nachbarn, der ihn überbrachte: Der Patient war schon immer ein<br />
Sonderling, aber war fleißig und arbeitsam. Seine Frau kränkelte und starb vor ca. 1 Jahr. Der<br />
Ehe entstammen 2 Kinder, die körperlich und geistig anscheinend gesund sind. Seit einem Jahr<br />
beginnt er die Kunden aus seinem Laden hinauszuwerfen, belästigt Passanten. Seit ca. ½ Jahr<br />
treibt er es immer ärger, jetzt vermauert er sogar den Ladeneingang, belästigt Gerichte mit<br />
Klagen gegen angebliche „Feinde“.<br />
4. 9. 1936: Zustandsbild bei der Aufnahme:<br />
Patient zeigt sich persönlich, örtlich und zeitlich orientiert. Dass er nach Niedernhart kam, daran<br />
seien seine Feinde schuld, diese hätten den Spieß umgedreht, damit er sie nicht mehr anzeigen<br />
könne. Er habe schon vor einem ½ Jahr diese Abmachungen seiner Feinde angehört. Auch<br />
drücken ihn die Strahlen auf Kopf und Herz. Geisteskrank fühle er sich nicht. Er sei aber matt<br />
von der Injektion, die er daheim erhalten habe.<br />
Patient durch Jacke und Riemen beschränkt, weil er daheim sehr gewalttätig war, zur Zeit aber<br />
ist er ganz ruhig und gibt auf alle Fragen bereitwillig Auskunft. Auf dem Transport war er<br />
ruhig. Folgt willig auf die Abteilung, nur könne er vor Müdigkeit kaum laufen.<br />
Anamnese<br />
Es war nicht möglich mit dem Patienten eine ordentliche Anamnese aufzunehmen, da sich<br />
Patient negativistisch verhielt und sich nicht weiter ausfragen noch untersuchen ließ.<br />
Die Mutter des Patienten sei im Alter von 27 Jahren gestorben. Sein Vater soll vor 4 Jahren<br />
ermordet worden sein. In Wirklichkeit lebt dieser und hat die 3 Kinder des Patienten bei sich.<br />
Seine Frau ist am 10. Dezember 34 gestorben. Nach seiner Angabe sei sie ermordet worden.<br />
Die Kinder sind gesund.<br />
Als Kind ist der Patient immer gesund gewesen, er weiß auch nichts von neurotischen<br />
Störungen. Er besuchte die Volksschule, wo er gut lernte. Später erlernte er bei seinem Vater<br />
das Spenglerhandwerk und eröffnete nach dem Kriege ein eigenes Geschäft. Er war beim<br />
Militär und diente während des Krieges an der russischen Front, wo er einmal 24 Stunden lang<br />
verschüttet war.<br />
1926 ist er bei Arbeiten vom Dach gestürzt.<br />
16.10.10 L. F.<br />
4
Seit dem 28. 8. 28 werde der Patient von Geheimsendern verfolgt. Diese Sender seien aus<br />
einem Gefangenenlager herausgeschafft und gegen ihn eingeschaltet worden. Der Patient der<br />
gewöhnlich zeitlich und örtlich orientiert ist, spricht nun ganz verwirrt und durcheinander,<br />
springt auf sagt an seinem Hinterkopf sei der Sender eingeschaltet, dieser sage, dass er keine<br />
weitere Auskunft mehr geben dürfe. Ein weiteres Einreden auf den Patienten bewirkt, dass er<br />
die Anstaltsleitung des Verbrechens der Einlieferung und der Mitschuld an den Morden<br />
bezichtigt und sich weder weiter ausfragen noch untersuchen lässt<br />
Anmerkung: Die den Patienten korrigierende Behauptung: „die 3 Kinder des Patienten lebten<br />
beim Großvater“ ist nachweislich falsch.<br />
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9. 1936: Patient war um Mitternacht einige Zeit wach, fing unzusammenhängend über die<br />
politischen Behörden zu schimpfen an, die ihm den Prozess gemacht hätten.<br />
12. 9. 36: Patient war um Mitternacht kurz wach und fing zu weinen an.<br />
24. 9. 36: Lässt sich zu keiner Beschäftigung herbei, verlangt seine Entlassung.<br />
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Die Gerichtskommission<br />
17. 10. 36: Gerichtskommission: Anhaltung 6 Monate.<br />
Josef H., Spenglermeister in Braunau a. I. wurde in die Irrenanstalt eingebracht, weil er den<br />
Gang seines Hauses vermauert hatte.<br />
Bei der heutigen Untersuchung ist er orientiert, fixierbar und erklärt, er erkenne die<br />
Kommission nicht an. Sie habe bei der Mordgeschichte in Braunau nicht funktioniert. Man<br />
habe ihn überfallen, damit der Prozess verhindert wird; man wolle ihm weismachen, dass es<br />
keine Sender gebe, aber sein Vater, seine Frau und Verwandte seien durch Sender gemordet<br />
worden. Man wolle es aber nicht eingestehen, er habe aber die ganzen Aufzeichnungen dem<br />
Staatsanwalt Nikoladoni in Ried übergeben wollen, der Gendarm habe sie ihm aber<br />
weggenommen. Er war auch in Wien und wollte sich beim Kanzler vormerken lassen, da<br />
habe man ihm gesagt, er müsse sich schriftlich anmelden; wenn er aber nach Wien komme,<br />
werde er verhaftet. Es sei nicht wahr, dass er sich vermauert habe. Man wolle ihn nur zum<br />
Narren machen. Am Land sage man: Idiotisch denken. Der Primar von Braunau sei auch<br />
dabei, er habe den Strom, der den Strahl von den Sendern auf die Schädeldecke leitet. Es<br />
heiße, über die Sender darf nicht gesprochen werden. Die Sender sind aber aus dem<br />
Gefangenenlager gestohlen worden. 186 Personen sind schon ermordet worden. Er könne<br />
ganze Leiterwagen voll Beweise bringen.<br />
Beschluss der Gerichtskommission:<br />
Die weitere Anhaltung in einer geschlossenen Anstalt für 6 Monate wird für zulässig<br />
erklärt. Im Sinne des gerichtsärztlichen Gutachtens wird dieser Beschluss dem<br />
Angehaltenen nicht zugestellt. ..<br />
23. 10. 36: Spuckt viel herum. (Geschmackshalluzinationen)<br />
2. 1. 37: Spuckt nachts am Fußboden herum. Als ihn dies wegen der Pfleger beanstandet,<br />
schlug er erregt auf den Pfleger los. Patient leistet bei der Isolierung heftigen Widerstand.<br />
Bekam eine Apomorphin-Injektion.<br />
16.10.10 L. F.<br />
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13. 3. 37: Direktion der o.ö. Landes-Heil-und Pflegeanstalt Niedernhart-Linz.<br />
Ihr Schwager Josef H. leidet an einer Schizophrenie, ein Leiden, das bis jetzt sehr schlechte<br />
Heilungsaussichten bot. Seit einiger Zeit besteht ein Behandlungsverfahren, das in sehr<br />
vielen Fällen Erfolg verspricht. Die Aussichten sind um so besser, je früher die Behandlung<br />
angewendet wird. Die Behandlung besteht in Injektion eines Herzmittels in großen Dosen.<br />
Unglückliche Zwischenfälle wurden bisher nicht beobachtet. Die Kur ist kostenlos.<br />
Wollen Sie ehestens mitteilen, ob Sie mit dieser Behandlung einverstanden wären.<br />
Eventuelle Zustimmungserklärung ist auf der Rückseite dieses Formulars zu vermerken und<br />
an die Direktion der Anstalt einzusenden.<br />
16. 3. 37: Obwohl die Zustimmung der Angehörigen des Patienten zu Convulsionstherapie<br />
vorliegt, wird von dieser Abstand genommen, da der Patient wegen einer Mitrialinsuffizienz<br />
dafür nicht geeignet erscheint.<br />
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Bemerkungen zur Schocktherapie<br />
Bemerkung 1: Die Insulinschock-Therapie<br />
Mit dem Ziel 'exaltierte' Schizophrene zu beruhigen, begann 1927 der österreichische<br />
Psychiater Manfred J. Sakel die Wirkung von Insulin zu testen. Das Experiment bestand darin,<br />
solange täglich steigende Insulindosen zu spritzen, bis durch die entstehende Hypoglykämie<br />
das Koma eintrat, das dann durch die Verabreichung von Zucker beendet werden konnte. In<br />
manchen Fällen fielen die solcherart "Behandelten" in ein wochenlanges irreversibles Koma<br />
mit Übergang in schwere hirnorganische Defektzustände. Weitere mögliche Auswirkungen<br />
waren Herz-Kreislauf-Störungen, Lungenödeme und eine Schwächung der Immunität.<br />
Diese Therapieform wurde in den 30er Jahren von der Cardiazoltherapie abgelöst bzw. oft<br />
auch mit ihr kombiniert. Cardiazol ist chemisch mit Kampfer eng verwandt und bewirkt (in<br />
hoher Dosis) einen konvulsiven Schock. Trotz der unübersehbaren Nebenwirkungen<br />
(Kreislaufstörung, mangelnde Blut- und Sauerstoffversorgungen der Organe, dadurch<br />
Nervenzellveränderungen im Gehirn, sowie Herzmuskelschädigungen, Ödeme im Gehirn und<br />
letztlich oft auch tödlich Blutungen) wurde die Cardiazoltherapie unerbittlich durchgeführt<br />
und nur wenige Schizophrene konnten sich ihr entziehen (vgl. Lehmann, 1990, 58-61).<br />
(Aus: http://bidok.uibk.ac.at/texte/egger-irre.html)<br />
Bemerkung 2: Aus dem Schreiben an den Bruder Georg H. (1937)<br />
Leider können wir Ihnen keine Veränderung im Befinden Ihres Bruders berichten. Wir können<br />
ihn auch nicht der neuen Behandlungsmethode unterziehen, da bei dem Kranken ein Herzfehler<br />
vorliegt, der unter Umständen bei dem Verfahren zum Tode führen könnte.<br />
Bemerkung 3: Drei Jahre später<br />
Drei Jahre später haben dieselben Ärzte, die hier den Patienten nicht gefährden wollten, ihn −<br />
sowie 450 andere Patienten nach Hartheim geschickt, wohl wissend, dass die Patienten dort<br />
umgebracht werden.<br />
16.10.10 L. F.<br />
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Bemerkung 4: Arzt und Mörder<br />
1939 wurde das Schloß Hartheim so umgebaut, dass es die Aufgabe einer Tötungsanstalt<br />
übernehmen konnte. Die Leitung der "Landesanstalt Hartheim" wurde dem ärztlichen Direktor<br />
der Landesheil- und Pflegeanstalt Linz - Niedernhart, dem<br />
SS-Hauptsturmführer Dr. Rudolf Lonauer, übergeben.<br />
17. 4. 37: Gerichtskommission: Entmündigung beantragt.<br />
3. 5. 37: Schimpft über die „Mordbande“, die soviel Strom einlässt.<br />
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Exkurs: Strom als Behandlungsmittel:<br />
Kriegsneurotikertherapie im ersten Weltkrieg:<br />
Das am weitesten verbreitete Verfahren wurde unter der Bezeichnung Kaufmann-Kur berühmt:<br />
d.h. eine 4-teilige Suggestivbehandlung kombiniert mit Stromschlägen bestehend aus:<br />
α) suggestive Vorbereitung<br />
β) Anwendung kräftiger Wechselstromschläge und gleichzeitig Wortsuggestionen<br />
γ) strenges Einhalten der militärischen Formen unter Benutzung des gegebenen<br />
Subordinationsverhältnisses => erteilen der Suggestionen in Befehlsform<br />
δ) unbeirrbar konsequente Erzwingung der Heilung in einer Sitzung.<br />
Fritz Kaufmann erläuterte die einzelnen Schritte wie folgt:<br />
ad α) Es sei zwar nicht unerlässlich, aber erwünscht, den Patienten auf die Therapie vorzubereiten.<br />
Die »suggestive Vorbereitung« verfolgte u.a. den Zweck, » die Einwilligung des Patienten zu der<br />
schmerzhaften Prozedur zu erlangen [...] Sie suchte den Hysteriker vor allem dadurch zu<br />
gewinnen, dass sie ihm die „goldene Brücke“ [...] in die Gesundheit baute.<br />
ad ß) „Ein psychischer Schock kann nur dann erzielt werden, wenn man durch den Strom<br />
empfindliche Schmerzen auslöst. Man kommt [...] besonders bei solchen Kranken, die vorher nie<br />
elektrisiert wurden, mit mäßig kräftigen Strömen aus [...] Häufig aber, besonders bei sehr<br />
veralteten Fällen, ist man gezwungen, sehr kräftige Ströme anzuwenden [...] Den elektrischen<br />
Strom lasse ich etwa 2-5 Minuten wirken, dann werden Übungen vorgenommen, dann wird wieder<br />
elektrisiert usw.<br />
ad γ) Ein außerordentlich wichtiges Hilfsmittel bei dieser Art von Suggestivbehandlung ist die<br />
Vorgesetzteneigenschaft des behandelnden Sanitätsoffiziers: Die militärische Disziplin verlangt<br />
absoluteste, kritiklose Unterordnung unter die Befehle des Vorgesetzten, und diese schafft für die<br />
Erzielung des Suggestiverfolges den günstigsten Boden. Man muss gerade bei den Patienten mit<br />
derartigen psychogenen Störungen vom Aufnahmetag an auf strengstes Innehalten der<br />
militärischen Formen sehen, soweit das eben möglich ist, und dann während der<br />
Überrumpelungsbehandlung die Leute, ohne brutal zu erscheinen, sehr scharf anpacken, die<br />
Aufforderungen in knapper Befehlsform, unter Zuhilfenahme der militärischen Kommandos<br />
geben. So lasse ich - nach jeweiliger elektrischer Bearbeitung — Leute mit Zitterbewegungen der<br />
Beine oder mit pseudozerebellarer Ataxie Marschübungen nach scharfem militärischen<br />
Kommando machen (genau wie auf dem Kasernenhof!), Leute mit Tremor des Kopfes müssen<br />
nach Kommando >Augen rechts< bzw. >die Augen links< üben u. dgl. m. [ ...]<br />
16.10.10 L. F.<br />
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ad δ) Der Erfolg kann nur erreicht werden durch unerbittliche Hartnäckigkeit in der Durchführung<br />
der Behandlung. Man darf nicht nachlassen, wenn die Heilung nicht gleich nach den ersten<br />
Minuten eintritt.... Dann aber bleibt der Erfolg nicht aus, wenn er auch öfters erst nach ½ bis<br />
mehrstündiger, andauernder Bemühung eintritt.“<br />
(zitiert nach P. Riedesser: Maschinengewehre hinter der Front S:53f)<br />
PS: Die Symptombeseitigung in einer Sitzung wurde auch deswegen angestrebt, weil ja bei einer<br />
weiteren Sitzung das Überraschungsmoment weggefallen wäre und man zudem bei einer<br />
Wiederholung wegen der Schmerzhaftigkeit mit erheblichen Widerständen des Patienten rechnen<br />
musste.<br />
Freud und Wagner – Jaureg<br />
Freud erstellt 1920 − im Zusammenhang mit den Anschuldigungen an Julius Wagner-Jauregg −<br />
das Gutachten „Über die elektrische Behandlung von Kriegsneurotikern“. Julius Wagner Jauregg<br />
war beschuldigt worden, Soldaten mit Elektroschocks misshandelt zu haben. Freud kritisiert<br />
Wagner Jaureggs Methode, entlastet ihn aber vom Vorwurf, Patienten mit Absicht gequält zu<br />
haben.<br />
(Aus:http://freud.t0.or.at/freud/chronolg/1920-d.htm)<br />
“Der unlösbare Konflikt zwischen den Anforderungen der Humanität, die sonst für den Arzt<br />
maßgebend sind, und denen des Volkskrieges musste auch die Tätigkeit des Arztes verwirren [...]<br />
Die Stärke der Ströme sowie die Härte der sonstigen Behandlung wurde bis zur Unerträglichkeit<br />
gesteigert, um den Kriegsneurotikern den Gewinn, den sie aus ihrem Kranksein zogen, zu<br />
entziehen. Es ist unwidersprochen geblieben, dass es damals zu Todesfällen während der<br />
Behandlung und zu Selbstmorden infolge derselben in deutschen Spitälern kam [...] Aber ebenso<br />
ist es richtig, dass wir ein Volksheer hatten, dass der Mann zum Kriegsdienst gezwungen war,<br />
dass er nicht gefragt wurde, ob er gerne in den Krieg geht und man musste daher darauf gefasst<br />
sein, dass die Leute flüchten wollten und den Ärzten ist so etwas wie die Rolle von<br />
Maschinengewehren hinter der Front zugefallen, die Rolle, die Flüchtigen zurückzutreiben. Das<br />
lag bestimmt in der Absicht der Kriegsverwaltung. Wie sich die Ärzte in diese Rolle gefunden<br />
haben, mag verschieden gewesen sein. Für den ärztlichen Stand war es eigentlich eine Aufgabe,<br />
die sich nicht recht damit verträgt [...] Der Arzt soll in erster Linie Anwalt der Kranken sein,<br />
nicht der eines anderen. Wie der Arzt in den Dienst eines anderen tritt, ist seine Funktion gestört,<br />
und in dem Moment, wo der Auftrag käme, die Leute möglichst bald für den Kriegsdienst wieder<br />
tüchtig zu machen, musste sich ein Konflikt ergeben, für den man den ärztlichen Stand<br />
unmöglich verantwortlich machen kann. Zwischen der Unterordnung unter die Humanität und<br />
der allgemeinen Wehrpflicht lässt sich ein Kompromiss nicht herstellen.“«<br />
(Auszüge aus dem Verhandlungsprotokoll vom 14. Oktober 1920 im Untersuchungsverfahren<br />
gegen Wagner-Jauregg. Freud zitiert nach P. Riedesser S:64).<br />
Elektroschockkasten<br />
Ein Elektroschockkasten wurde entwickelt, um den deutschen Soldaten an der Front<br />
Elektroschocks zu verabreichen. Es war nicht ungewöhnlich, dass Soldaten durch dieses<br />
Instrument getötet wurden; nicht durch den Krieg, sondern durch ihre behandelnden Psychiater.<br />
Dr. Emil Gelny, ein Psychiater und seit 1933 Mitglied der Nazipartei, erfand ein Verfahren,<br />
welches als “Elektrohinrichtung” (electro-execution) bekannt ist.”<br />
(Aus: http://www.cchr.org/ect/ger/page13.htm)<br />
16.10.10 L. F.<br />
8
"wilde Euthanasie"<br />
Mit Hitlers Einstellungsbefehl vom 24. August 1941 kam die "Euthanasie" jedoch keineswegs<br />
zum Erliegen So ermordete etwa der von der Gauleitung Niederdonau eingesetzte praktische Arzt<br />
Dr. Emil Gelny, ein fanatischer Nationalsozialist (der später nach Syrien flüchten konnte), vom<br />
November 1943 bis April 1945 mehrere hundert Patienten in den Anstalten Gugging und Mauer-<br />
Öhling durch Medikamente und mittels eines von ihm umgebauten Elektroschockgerätes.<br />
(Aus: http://www.jugendstiltheater.co.at/neugebauer%2011.1.96.htm )<br />
- - - - - - -.- - - - - - - -.- - - - - - - -.- - - - - - - -.- - - - - - - -.- - - - - - - -.- - - - - - - -.-<br />
4. 7. 37: Sucht sich zeitweise zu verbergen um seinen Verfolgern, die ihn umbringen wollen, zu<br />
entgehen.<br />
27. 12. 37: Verweigert die Annahme von Weihnachtsgeschenken.<br />
3. 1. 38: Ist derzeit mit Schnürknüpfen beschäftigt. Psychisch gänzlich unverändert.<br />
21. 7. 38: Wurde heute von seinem Bruder besucht.<br />
30. 1. 39: Saß müde und matt bei Tisch. Als ihn der Arzt untersuchen wollte und Temperatur<br />
messen, fing er zu schimpfen an, er lasse sich von nationalsozialistischen Hochverrätern nicht<br />
umbringen. Temperatur.: mittags: 38 abends: 38,2<br />
5. 2. 39: Patient, der sich während der Zeit seiner grippösen Erkrankung auf der Wachabteilung<br />
IX in Bettruhe und Behandlung befand, konnte heute wieder auf die Abteilung VIII<br />
zurücktransferiert werden.<br />
- - - - - - -.- - - - - - - -.- - - - - - - -.- - - - - - - -.- - - - - - - -.- - - - - - - -.- - - - - - - -.-<br />
Anmerkung: Die Abteilung VIII wurde von SS-Hauptsturmführer Dr. Rudolf Lonauer (nach<br />
Auflösung der Abteilung C, für die er unmittelbar zuständig war) eingerichtet und diente ab<br />
1940 als Durchgangsstation am Weg nach Hartheim.<br />
- - - - - - -.- - - - - - - -.- - - - - - - -.- - - - - - - -.- - - - - - - -.- - - - - - - -.- - - - - - - -.-<br />
2. 6. 39: Immer etwas abweisend unter dem Einfluss paranoider Wahnvorstellungen.<br />
Behauptete heute beim Kleben von Papiersäckchen, dass dies eine Zwangsarbeit sei.<br />
8. 8. 39: Patient zeigt schon seit längerer Zeit hindurch eine unregelmäßige Nahrungsaufnahme<br />
und lässt so manche Mahlzeit unberührt mit dem Bemerken, dass jemand in das Essen<br />
hineingespieen habe.<br />
15. 10. 39: Patient steht psychisch dauernd unter dem Eindruck von akustischen<br />
Sinnestäuschungen und Verfolgungsideen.<br />
18. 6. 40: In Pflegeanstalt Brandenburg überstellt<br />
PS: Dieser handschriftliche Vermerk sollte das wahre Ziel verschleiern, nämlich Hartheim<br />
16.10.10 L. F.<br />
9
Zusammenfassung der Therapieversuche:<br />
Cardiazoltherapie:<br />
Davon wurde aufgrund eines Herzklappenfehlers abgesehen.<br />
Apomorphintherapie (2.1.37):<br />
Diente zur Bestrafung für unangepasstes Verhalten (geht auf Pfleger los der ihn<br />
zurechtweist und wehrt sich gegen Isolierung). Die verabreichte Injektion führt zu starker<br />
Übelkeit und Erbrechen<br />
Ergotherapie(2. 6. 39):<br />
Das Kleben von Papiersäckchen betrachtet der Patient als eine Zwangsarbeit.<br />
Paranoiabehandlung im Jahr 2000:<br />
Heute sind Patienten nach einer 6-8wöchigen medikamentösen Erst-Behandlung (mit<br />
Haldol, Cisordinol, Dapotum, Leponex etc.) soweit gesundet, dass sie nach hause<br />
entlassen werden können, wobei eine ambulante Weiterbehandlung mit Einnahme von<br />
Medikamenten für mindestens ein ½ Jahr dringend zu empfehlen ist. Für ein Drittel der<br />
Patienten gilt danach, dass ihre Krankheit nach diesem ersten Ausbruch soweit<br />
abgeklungen ist, dass sie ihr Leben selbst gestalten können und keinen weiteren<br />
Spitalsaufenthalt mehr benötigen, wenn sie durch keine größeren Lebenskrisen aus der<br />
Bahn geworfen werden. Bei einem weiteren Drittel bleibt ein Krankheitsrest d.h. sie<br />
haben affektive Probleme, können weniger klar denken und sind weiterhin etwas<br />
paranoid. Bei einem Drittel der Patienten wird der Zustand allerdings schleichend<br />
schlechter. Sie benötigen daher mit der Zeit eine Langzeitbetreuung in einem Wohnheim.<br />
Vernichtungsanstalt Hartheim<br />
In Hartheim wurden die Opfer zunächst einem Arzt vorgeführt, dessen Aufgabe es war,<br />
eine plausible Todesursache für sie zu erfinden. Dabei konnte er aus einem Katalog von<br />
61 genau beschriebenen Todesarten wählen. Es wurde sogar eigens vermieden, dass sich<br />
die Todesursachen von PatientInnen aus gleichem Herkunftsgebiet zu sehr ähnelten.<br />
Zuletzt wurden die Opfer fotografiert, bevor man sie direkt vom Aufnahmeraum in die<br />
als Dusch- oder Inhalationsräume getarnten angrenzenden Gaskammern brachte und<br />
ermordete. Die Leichen wurden in eigenen Krematorien verbrannt. Die Informationen an<br />
die Hinterbliebenen hinsichtlich des Todesdatums und der Todesursache entsprachen<br />
daher nie der Wahrheit. Selbst der genaue Inhalt der Urnen ist ungewiss.<br />
(Aus: http://www.korso.at/korso/DStmk/feldhof1200.htm)<br />
16.10.10 L. F.<br />
10
Transporte in die Anstalt Niedernhart (OÖ)<br />
Aus den Hauptbüchern der "Landesheil- und Pflegeanstalt Niedernhart" konnten 605<br />
Patienten erhoben werden, bei denen als Zielort ihres Abtransportes entweder andere<br />
Tötungsanstalten oder aber "Sammeltransport" angegeben wurde.<br />
Im einzelnen sind folgende größeren Transporte festzustellen:<br />
Abtransport angeblicher Zielort Anzahl<br />
23. 5. 1940 Hartheim 12 Personen<br />
6. 6. 1940 Brandenburg 120 Personen<br />
12. 6. 1940 Brandenburg 63 Personen<br />
17. 6. 1940 Brandenburg 43 Personen<br />
18. 6. 1940 Brandenburg 51 Personen<br />
25. 6. 1940 Brandenburg 48 Personen<br />
20. 7. 1940 Grafeneck 30 Personen<br />
26. 7. 1940 Grafeneck 68 Personen<br />
2. 10. 1940 Sonnenstein 7 Personen<br />
11. 10. 1940 Sonnenstein 10 Personen<br />
26. 10. 1940 Sonnenstein 8 Personen<br />
11. 11. 1940 Sonnenstein 11 Personen<br />
31. 1. 1941 Sonnenstein 14 Personen<br />
10. 3. 1941 Sammeltransport 59 Personen<br />
12. 3. 1941 Sammeltransport 36 Personen<br />
1. 7. 1941 Sammeltransport 8 Personen<br />
Die zur o.a. Gesamtsumme fehlenden Kranken sind in Kleingruppen (weniger als 5<br />
Personen) mit anderen, auswärtigen Transporten mitgeschickt worden.<br />
(Aus: http://www.radio-o.at/gast/gedenkbuch/gbooe.htm)<br />
Aus der Geschichte Hartheims<br />
Die Tötungsanstalt<br />
(von Dr. W. Neugebauer ; DÖW)<br />
Nach der im Zuge des "Anschlusses" Österreichs erfolgten Enteignung des Landes-<br />
Wohltätigkeitsvereines wurde 1939 mit dem Umbau des Schlosses zu einer Euthanasie-<br />
Anstalt begonnen. Zum Zwecke der Vernichtung von Menschen wurden eine Gaskammer<br />
sowie Krematoriumsöfen eingerichtet. Die Massenmordaktion in Hartheim begann im Mai<br />
1940, wobei die Opfer auf der Grundlage ärztlicher Gutachten nach Brauchbarkeit und<br />
Arbeitsfähigkeit für die Tötung ausgewählt wurden. Der von einer eigenen Organisation<br />
("Gekrat") bewerkstelligte Transport erfolgte per Bahn bis Linz und anschließend in zwei<br />
Autobussen, die in einen Holzbarackenvorbau am Schloß einfuhren. Nach Entkleidung,<br />
Identitätsfeststellung, Registrierung von Goldzähnen und Fotografieren wurden die Opfer in<br />
der als Brausebad getarnten Gaskammer mittels Kohlenmonoxyd getötet, wobei der Tod<br />
durch qualvolles Ersticken eintrat. Einer der beiden Tötungsärzte äußerte später: "Den<br />
Hahn aufzudrehen war ja keine große Sache."<br />
16.10.10 L. F.<br />
11
Nach Entfernung der Goldzähne wurden die Leichen im Krematorium verbrannt, die<br />
Knochen in einer Knochenmühle zermahlen und die Asche in Donau und Traun gestreut.<br />
Zur Täuschung der Angehörigen wurde ein raffiniertes System entwickelt, dessen Kern<br />
Sterbeurkunden mit fingierten Todesursachen und falschen Todes- und Ausstellungsorten<br />
waren.<br />
Nach dem Ende dieser Vernichtungsaktion ("T4") im August 1941 fanden im Zuge der<br />
anschließenden Aktion "14 f 13" mehr als 8000 Häftlinge der KZ Dachau und Mauthausen<br />
(bzw. Gusen) in Hartheim den Tod. Außerdem diente das Schloß auch als Tötungsanstalt<br />
für einige hundert geisteskranke, nicht mehr in den Arbeitsprozeß integrierbare<br />
"Ostarbeiter" und wurde schließlich zu einer Zentrale der T4, als im Sommer 1943<br />
kriegsbedingt T4-Dienststellen von Berlin hierher verlegt wurden.<br />
Zur Verwischung aller Spuren muss ten im Winter 1944/1945 Mauthausener Häftlinge die<br />
technischen Einrichtungen im Schloß beseitigen und den alten baulichen Zustand<br />
wiederherstellen. Die 1938 vertriebenen Barmherzigen Schwestern durften zurückkehren<br />
und wieder behinderte Kinder betreuen ("Gauhilfsschule").<br />
(Aus: http://members.aon.at/schloss-hartheim/HHschlosshartheim.htm)<br />
Vergangenheit ~ Bewältigung<br />
Vergangenheitsbewältigung<br />
1: Der Fotograf<br />
Der Fotograf, der die Patienten vor ihrer Ermordung ablichtete, erblindete bei dieser<br />
Arbeit.<br />
2: Die gerichtliche Aufarbeitung der Hartheimer Verbrechen<br />
Als einziger, der in Hartheim Tätigen, wurde der nach einem Unfall geistig und körperlich<br />
leicht behinderte Heizer Vinzenz Nohel von einem amerikanischen Militärgericht zum<br />
Tode verurteilt und 1947 hingerichtet. Dr. Lonauer beging im Mai 1945 Selbstmord und<br />
entzog sich so einer Verurteilung. Sein Stellvertreter Dr. Renno tauchte unter und arbeitete<br />
15 Jahre im Frankfurter Raum als Pharmavertreter. Ein Prozeß, der ihm 1969 gemacht<br />
werden sollte, scheiterte an ärztlichen Gutachten, die ihn wegen Lungen- und<br />
Augenleidens, Herzrhythmusstörungen und cerebraler Probleme für nicht<br />
verhandlungsfähig erklärten. Daraufhin wurde Anfang 1970 das Schwurgerichtsverfahren<br />
gegen ihn eingestellt. Der nicht Prozessfähige gab noch 20 Jahre später gelegentlich<br />
Interviews.<br />
16.10.10 L. F.<br />
12
3: Kein Urteil mehr seit 45 Jahren<br />
Wenige Verfahren und kein mehr Urteil nach 1955. Ergänzungen zum Fall Gross.<br />
Dass sich die Republik bei der Entnazifizierung kein Ruhmesblatt erworben hat, kann als<br />
bekannt vorausgesetzt werden. Die Verfolgung jener, die an der sogenannten T4-Aktion -<br />
wie die "Vernichtung unwerten Lebens" bezeichnet wurde - beteiligt waren, wurde in<br />
Österreich besonders großzügig gehandhabt.<br />
Nach den Alliierten führten die Volksgerichte in Wien, Linz, Graz und Innsbruck die<br />
Ermittlungen. Die Hauptverantwortlichen der Euthanasie waren jedoch zumeist<br />
untergetaucht, angeklagt wurde das medizinische Personal. Am Beispiel der "Heil- und<br />
Pflegeanstalt" im oberösterreichischen Schloss Hartheim, in dem um die 40.000 Menschen<br />
getötet wurden: Hingerichtet wurde der Hilfsarbeiter Vinzenz Nohel, der die Gaskammern<br />
säubern musste. Dessen Vorgesetzter Georg Renno, Leiter der größten von sechs<br />
Euthanasieanstalten, reüssierte dagegen in einer Pharma-Firma. Erst 1961 wurde er<br />
angeklagt - in Deutschland. Das Verfahren wurde eingestellt, da Renno aus<br />
gesundheitlichen Gründen Verhandlungsunfähigkeit geltend machen konnte. Einzige<br />
Sanktion: Führerscheinentzug. Im Verfahren um die Euthanasie-Verbrechen am Wiener<br />
Steinhof wurde der Primararzt der Kindernervenklinik "Am Spiegelgrund", Ernst Illing,<br />
zum Tode verurteilt, eine Ärztin erhielt zehn Jahre Haft, ein weiterer Arzt zwei Jahre. ...<br />
Die zahlreichen Anzeigen wegen Mordes wurden 1949 von der Staatsanwaltschaft<br />
zurückgelegt. Der größte österreichische Prozess fand 1947 gegen das Personal der<br />
Anstalten Mauer-Öhling und Gugging statt. Emil Gelny, Hauptakteur der sogenannten<br />
wilden Euthanasie, konnte davor allerdings in den Nahen Osten fliehen. Nach Auflösung<br />
der Volksgerichte 1955 ist in Österreich kein Euthanasie-Verfahren mehr mit einem Urteil<br />
abgeschlossen worden, so das ernüchternde Resümee des DÖWs. Bleibt noch der Verbleib<br />
jener etwa 400 "Gehirnpräparate", die "Am Spiegelgrund" den getöteten Kindern<br />
entnommen wurden:. © DER STANDARD, 18. Juni 1999<br />
(http://student.ifs.tuwien.ac.at/~mbach/dl/html/files/19990618.129.HTM)<br />
4: Neger<br />
P. ein Langzeitpatient aus Mauer hat einen Anfall. „I wü ka Neger wern!“ „I wü ka Neger<br />
wern!“ schreit P. und lässt sich kaum beruhigen.<br />
P. war unter Dr. Gelny eingesetzt worden, die verkohlten die Leichen zu beseitigen.<br />
5: Die Festschrift:<br />
Aus der Festschrift einer oö. Firma anlässlich ihres 250 jährigen Bestehens:<br />
1950: Die erste Auslandslieferung von Hausruck-Extrakt nach Israel in Kompensation<br />
gegen 230000 Backenzähne durchgeführt.<br />
16.10.10 L. F.<br />
13
Erläuterungen zu Holocaust und Hartheim<br />
Euthanasie als Vorstufe zum Holocaust<br />
Die wissenschaftliche Forschung, sowohl im Bereich Holocaust als auch auf dem Gebiet<br />
Euthanasie, stimmt darin überein, dass die NS-Euthanasie eine entscheidende Vorstufe des<br />
Holocaust, des NS-Genozids an den europäischen Juden, war. Der Zusammenhang<br />
Euthanasie-Holocaust ist ein mehrfacher: Zum einen begingen die Nazis mit der Euthanasie<br />
den ersten systematisch geplanten, von staatlichen Organen durchgeführten Massenmord an<br />
einer ganzen Bevölkerungsgruppe, wobei allenfalls noch bestehende politische, moralische<br />
oder psychologische Hemmungen durchbrochen und abgebaut wurden. Zum anderen war die<br />
Euthanasie auch in organisatorischer, personeller und technologischer Hinsicht für den<br />
Holocaust richtungsweisend.<br />
Die grundsätzliche Entscheidung über die Judenvernichtung und die vorbereitenden<br />
Maßnahmen erfolgten zu einem Zeitpunkt, als die Aktion "T4" durch Hitlers<br />
Anweisung vom 24. 8. 1941 abgebrochen und die Kapazitäten dieses Mordapparates<br />
frei wurden. Das "T4"-Personal wurde zur "Aktion Reinhard", der Ermordung der<br />
Juden im "Generalgouvernement", abkommandiert. Die Tötungsmethoden,<br />
insbesondere die Anwendung von Giftgas, die Errichtung stationärer Gaskammern und<br />
Deportationstransporte in einige wenige Vernichtungsstätten, wurden von den<br />
Euthanasieanstalten in modifizierter Weise übernommen. Auf diese in der<br />
wissenschaftlichen Forschung und in zahlreichen Publikationen dokumentierten<br />
Zusammenhänge und Vorgänge kann ich hier nicht weiter eingehen. Es sei lediglich<br />
darauf verwiesen, dass einige Mitarbeiter der Tötungsanstalt Hartheim wichtige<br />
Funktionen in den auf polnischem Gebiet liegenden Vernichtungslagern übernahmen:<br />
So wurde der Hartheimer Büroleiter Hauptmann Christian Wirth Lagerkommandant<br />
von Belzec, sein Stellvertreter in Hartheim Franz Stangl Kommandant von Sobibor und<br />
Treblinka, Franz Reichleitner Kommandant von Sobibor und Gustav Wagner<br />
stellvertretender Kommandant von Sobibor. Schließlich ist in diesem Zusammenhang<br />
der aus Österreich stammende Dr. med. Irmfried Eberl zu nennen, der es vom Direktor<br />
der Euthanasieanstalten Brandenburg/Havel und Bernburg/Saale zum ersten<br />
Kommandanten des Vernichtungslagers Treblinka brachte. Die Namen dieser<br />
Österreicher bzw. in Österreich Tätigen werden untrennbar mit den schlimmsten<br />
Verbrechen in der Geschichte der Menschheit verbunden bleiben.<br />
(Aus: http://swi.htu.tuwien.ac.at/~doew/juedeuthanasie.html)<br />
From Hartheim to Sobibor<br />
The doctors and administration officials responsible for the mass murder were long-standing,<br />
convinced national socialists. As director acted the psychiatrist Dr.Rudolf Lonauer from Linz,<br />
his deputy was Dr. Georg Renno from Germany.<br />
Administration was managed by Christian Wirth, Franz Stangl, Gustav Wagner and Franz<br />
Reichleitner, who later were used as KZ commanders in Treblinka, Belzec, Sobibor and San<br />
Sabba (nearby Triest). The remaining employees, e.g. fireman, chauffeurs and the nursing staff,<br />
were recruited by the Gauverwaltung Oberdonau. All of the approx. 80 employees were obliged<br />
for most severe secrecy. Good payment, extra rewards and alcohol allotments were given to<br />
balance the emotional strain of daily mass murder.<br />
(Aus: http://members.aon.at/schloss-hartheim/HHenglisch2.htm)<br />
16.10.10 L. F.<br />
14
Schools for Murder<br />
"The mass killings by shooting proved cumbersome and expensive. Too many people were<br />
needed to shoot 33,711 Jews on September 29 and 30, 1941, at Babi Yar near Kiev. Eventually,<br />
close to 100,000 corpses filled that ravine, mostly of Jews, but also of partisans and saboteurs.<br />
Mass graves were a risky business; there was always the possibility of incriminating evidence.<br />
Solutions were sought in other quarters.<br />
Euthanasia was the other avenue to mass killing. Much of these `mercy killings' took place at<br />
Castle Hartheim, conveniently close to Mauthausen. There were other euthanasia centers in<br />
Germany at Hadamar near Limburg, Sonnenstein in Saxony and Castle Grafenegg in<br />
Brandenburg. Wiesenthal calls these places `schools for murder.'<br />
Thus were killed the German mentally retarded, insane, incurably sick, crippled, deformed,<br />
invalids, the senile, all `useless eaters' with `lives not worthy of living' (lebensunwerte Leben). It<br />
was also a much simplified welfare system.<br />
These preparatory schools for murder offered the training course for the roughnecks who learned<br />
by killing thousands of Christian German and Austrian individual victims and, thus desensitised ,<br />
graduated to the main task, which was to be the genocide of millions of Jews, and eventually of<br />
Gypsies, Poles, Russians, Czechs and other less worthy Slavs. The program was administered<br />
under Rudolf Hess and, after his departure, under Martin Borman. Medical supervision was<br />
under Werner Heyde, M.D., professor at the University of Wurzburg; 100,000 people were<br />
dispatched this way. They experimented with various gasses and injections; they photographed<br />
the effect, clocked the speed of death by a stopwatch, filmed it in slow motion and then dissected<br />
the brain -- all as an undergraduate course preparatory for genocide. Thus were trained Captain<br />
Christian Wirth, chief of Hartheim, later in charge of the extermination camps at Belzec, Sobibor<br />
and Treblinka, and Gustav Wagner who also commanded Sobibor; they in turn taught other<br />
cadres of executioners. In 1941, as a test run, 285 Jews from Dachau were killed under this<br />
program at the mental institution of Bernburg. This and the mobile gas units were the last<br />
preludes to the Final Solution. Then Adolf Eichmann took over and put the extermination process<br />
on the assembly line.<br />
Die Kirche und Euthanasie<br />
Die Rolle der Amtskirche<br />
Ähnlich wie die beiden Kirchen innenpolitisch ihren Frieden mit dem Nazi-Regime machten,<br />
verhielten sie sich auch in der "Euthanasie"- Frage lange Zeit still. Zu den Vorgängen in<br />
Grafeneck schwiegen sie lange, obwohl sich die Meldungen von Pfarrämtern über den<br />
unerwarteten Tod von Geisteskranken und Behinderten und die sofortige Einäscherung ihrer<br />
Leichen häuften. Letztendlich kam es nur zu wenigen Schritten einiger Einzelpersonen, kaum<br />
zu solchen der Amtskirchen, die lieber verhandeln wollten und die Tötungen mit Einsprüchen<br />
und Eingaben zu stoppen versuchten.<br />
Am 1.Juni 1940 wollte der Freiburger Erzbischof Conrad Gröber, der als hitlerfreundlich galt<br />
und seinem Klerus jegliche Kritik am Dritten Reich verboten hatte, vom badischen<br />
Innenministerium eine amtliche Bestätigung, dass die Kranken nicht durch Euthanasie, sondern<br />
eines natürlichen Todes starben. Am 7. Juni 1940 wurde auch das Bischöfliche Ordinariat<br />
Rottenburg erstmals aktiv. Der für Grafeneck zuständige Pfarrer von Eglingen-Ehestetten,<br />
Anton Schäfer, sollte den katholischen Patienten seelsorgerischen Beistand leisten und die<br />
Sterbesakramente spenden dürfen. Die Anstaltsleitung in Grafeneck antwortete darauf<br />
ausweichend, der Pfarrer erhielt aber keinen Zutritt.<br />
16.10.10 L. F.<br />
15
Am 18. Juni 1940 beschloss die badische Kirchenleitung, beim badischen Innenministerium<br />
vorstellig zu werden, einen Tag später protestierte der badische Landesbischof Dr. Kühlewein<br />
und sandte eine Abschrift seines Protestschreibens an den württembergischen Landesbischof<br />
Dr. Theophil Wurm. Allerdings richtete sich der Protest in diesem Schreiben nicht gegen die<br />
"Euthanasie"-Maßnahmen als solche, sondern nur gegen die dabei angewandte<br />
Verlegungspraxis.<br />
Am 19. Juli 1940 schließlich schickte der württembergische Landesbischof Wurm jenen<br />
berühmt gewordenen Brief an den Reichsminister des Innern Wilhelm Frick, der durch undichte<br />
Stellen im NS-System an die Öffentlichkeit und in Abschriften in Umlauf kam. Darin schilderte<br />
Wurm die Vorgänge in Grafeneck und fügte an, dass die Angelegenheit im Lande großes<br />
Aufsehen errege. Nachdem dieser erste Brief Wurms ohne Antwort blieb, schrieb Wurm am 5.<br />
September 1940 ein zweites Mal an Frick, diesmal drängender und mit der Frage, ob der Führer<br />
davon wisse und die Euthanasie gebilligt habe (M 39, 40). Auch auf diesen Brief erhielt der<br />
Landesbischof keine Antwort. Auch ein früherer Brief von ihm an den Justizminister Dr.<br />
Gürtner am 23.8.1940 blieb erfolglos. Gürtner nahm sich zwar der Sache an, aber dann zeigte<br />
ihm Kanzleichef Bouhler Hitlers Ermächtigungsschreiben, worauf der Justizminister<br />
resignierte. Gürtner hat den Empfang des Ermächtigungsschreibens am 27. August 1940 auf<br />
dem Blatt handschriftlich festgehalten (M 10).<br />
Mit Bedauern muss gesagt werden, dass, wenn Wurm oder andere evangelische Kirchenführer<br />
protestierten, es immer nur intern, auf dem Dienstweg geschah, dass sie also Briefe schrieben,<br />
die im Volk nie bekannt wurden. Es erfolgte auch kein einziges klärendes Kanzelwort.<br />
Auch die Bekennende Kirche konnte sich nicht entschließen: Auf der 9. Bekenntnissynode am<br />
12. Oktober 1940 in Leipzig wurde lediglich beschlossen, ein theologisches Gutachten über die<br />
Euthanasie ausarbeiten zu lassen.<br />
Auf katholischer Seite schrieben am 1. August 1940 der Freiburger Erzbischof Gröber und der<br />
Rottenburger Generalvikar Dr. Kottmann (Bischof Sproll hatte seinen Platz bekanntlich räumen<br />
müssen) einen gemeinsamen Brief an Hans Heinrich Lammers, den Chef der offiziellen<br />
Reichskanzlei (M 41). Es war der erste offizielle Protest katholischer Kirchenführer, zu einem<br />
Zeitpunkt freilich, als Grafeneck bereits ins letzte Drittel seiner Tätigkeit trat.<br />
Hartnäckigster Gegner in Sachen Euthanasie war auf katholischer Seite der Bischof von<br />
Münster, Clemens August Graf von Galen (M 42), während der Vorsitzende der Fuldaer<br />
Bischofskonferenz, der Breslauer Kardinal Adolf Bertram, zögerte, Protest zu erheben, obwohl<br />
er von Galen dazu gedrängt wurde.<br />
Galen, der später den Ehrennamen "Löwe von Münster" erhielt, war nach 1933 zunächst sogar<br />
verdächtig, ein Sympathisant des Hitler-Regimes zu sein. Immerhin war er mit Franz von<br />
Papen, dem Vizekanzler Hitlers, befreundet, war ein scharfer Kritiker der Weimarer Verfassung<br />
und galt als streng antiliberal und antisozialistisch. Dann aber hielt er am 3.August 1941seine<br />
berühmt gewordene Predigt in der Lambertikirche in Münster, in der er seiner Gemeinde<br />
mitteilte, er habe bei der Staatsanwaltschaft Münster Anzeige gegen Unbekannt wegen des<br />
Abtransports von Kranken erstattet. Diese Predigt hatte eine ungeheure Wirkung, denn endlich<br />
hatte einer der Kirchenführer öffentlich Partei ergriffen. Die Predigt ging vervielfältigt in<br />
Tausenden von Exemplaren von Hand zu Hand und wurde sogar von britischen Flugzeugen als<br />
16.10.10 L. F.<br />
16
Flugblatt abgeworfen. Im Lager der Nationalsozialisten war man ziemlich ratlos, selbst<br />
Goebbels fiel keine wirksame Maßnahme gegen den Bischof ein. Würde man etwas gegen ihn<br />
unternehmen, so hieß es, dann hätte man ganz Münster, ja ganz Westfalen gegen sich. Göring<br />
versuchte lediglich, Galen einzuschüchtern, dieser habe einen Treueid auf den Staat abgelegt,<br />
sabotiere jetzt aber mit Hetzreden die Widerstandskraft des deutschen Volkes.<br />
So sehr die mutige Haltung den Bischof ehrt, so darf dabei nicht übersehen werden, dass die<br />
Predigt Galens zu einem Zeitpunkt stattfand, an dem schon mehr als 60 000 Menschen ermordet<br />
worden waren. Bis dahin, also vom Januar 1940 bis August 1941, hatten die Angehörigen in<br />
ihrer großen Not nichts von ihrer Kirche gehört. Am 27. November 1940 äußerte sich endlich<br />
auch das Heilige Offizium in Rom zur Euthanasie in Deutschland und bezeichnete die<br />
Ermordung Geisteskranker als nicht erlaubt.<br />
Vom mutigen Handeln einzelner Personen abgesehen, blieben die Kirchen aber weitgehend<br />
stumm und nahmen die Euthanasie als unabwendbar hin. Ihre Haltung in dieser Frage darf als<br />
ein besonders dunkles Kapitel deutscher Kirchengeschichte betrachtet werden.<br />
(Aus http://www.lpb.bwue.de/publikat/euthana/euthana19.htm)<br />
"Euthanasie" im NS-Staat: Grafeneck im Jahr 1940<br />
Nach der "Aktion T4" - die Zeit nach August 1941<br />
Am 3. August 1941, also mehr als ein halbes Jahr nach dem Zeitpunkt, an dem Grafeneck seine<br />
Tätigkeit beendet hatte, predigte Bischof Clemens August Graf von Galen in der<br />
Lambertikirche in Münster und erklärte dabei, er habe angesichts der Abtransporte von<br />
Geisteskranken aus Westfalen Anzeige bei der Staatsanwaltschaft in Münster erstattet. Die<br />
Predigt erzielte große Wirkung und ermutigte weitere deutsche Bischöfe, die Euthanasie<br />
ebenfalls abzulehnen<br />
Es ist heute schwer zu sagen, ob es hauptsächlich diese bischöflichen Proteste waren, die Hitler<br />
am 24. August 1941 dazu veranlassten, einen "Euthanasie"-Stopp zu verfügen. ...<br />
Ein T4-Angestellter hat eine Bilanz der Tötungen bis zum "Euthanasie"-Stopp erstellt. Diese<br />
sogenannte "Hartheimer Statistik" kommt auf die Zahl von 70 273 "Desinfizierten". Damit<br />
waren freilich nur die Patienten erfasst, die in den sechs "Euthanasie"-Anstalten umgebracht<br />
worden waren. Dass tatsächlich sehr viel mehr Menschen getötet wurden, unterstreicht eine<br />
andere Statistik, die errechnete, dass bis Ende 1941 93 521 "Betten" einem neuen<br />
Verwendungszweck "zugeführt" wurden. Diese Zahl bedeutet, dass in etwa jeder dritte Patient<br />
sein Bett räumen musste.<br />
Der offizielle "Euthanasie"-Stopp hinderte freilich die T4-Zentrale in Berlin nicht daran, ihre<br />
Arbeit fortzusetzen. Auch jetzt wurden weiterhin Meldebögen ausgefüllt und begutachtet, vor<br />
allem aber waren die Direktoren der Anstalten aufgefordert, die Euthanasie hinter den<br />
Anstaltsmauern fortzusetzen. Insgesamt und mit anderen Tötungstechniken wurde das<br />
Mordprogramm weitergeführt: Man ließ die Patienten systematisch verhungern, spritzte sie zu<br />
Tode oder dosierte spezielle Medikamente falsch.<br />
16.10.10 L. F.<br />
17
Von den Tötungsanstalten beendete nach Grafeneck lediglich noch Hadamar seine Tätigkeit,<br />
Bernburg und Sonnenstein machten bis zum Frühjahr 1943 weiter, Hartheim wurde sogar erst<br />
im Dezember 1944 geschlossen. Die drei Anstalten vergasten jetzt Häftlinge aus<br />
Konzentrationslagern, die man damit von sogenannten "Ballastexistenzen" befreien wollte.<br />
Diese Aktion lief unter dem Aktenzeichen "Sonderbehandlung 14f13". Bei der Auswahl der<br />
Opfer in den Lagern war auch der frühere "Euthanasie"-Arzt Dr. Schumann aus Grafeneck<br />
anzutreffen, er selektierte im Juli 1941 in Auschwitz, zu einem Zeitpunkt also, wo Auschwitz<br />
noch nicht selbst die Vergasungen mit Zyklon B begonnen hatte.<br />
(Aus: http://www.lpb.bwue.de/publikat/euthana/euthana17.htm)<br />
Limburger Bischof protestierte wegen planmäßiger Euthanasie<br />
Als im Januar 1941 in der ehemaligen Landesheil- und Pflegeanstalt in Hadamar und anderswo in<br />
Deutschland begonnen wurde, psychisch kranke Menschen zu vergasen, führte dies zu massiven<br />
Protesten deutscher Bischöfe. Bischof Hilfrich wandte sich am 13. August 1941 in einem<br />
Schreiben an den Reichsminister der Justiz. Darin beklagte er, dass man seit dem Jahresbeginn in<br />
Hadamar Euthanasie ("schöner Tod") an kranken Menschen praktiziere. Alle gottesfürchtigen<br />
Menschen empfänden dies als himmelschreiendes Unrecht. Die Bevölkerung begreife es nicht,<br />
"dass planmäßige Handlungen vollzogen werden, die nach Paragraph 211 des Strafgesetzbuches<br />
mit dem Tode zu bestrafen sind".<br />
Bereits am 28. Juli 1941 hatte der Bischof von Münster, Clemens August Graf von Galen, der die<br />
Massentötungen kranker und hilfloser Menschen auch öffentlich angeprangert hatte, Anzeige<br />
wegen Mordes an geistig Kranken erstattet und sich dabei auf den Paragraphen 211<br />
Strafgesetzbuch berufen. Auf Weisung Hitlers unterbrach man darauf hin die Massentötungen in<br />
Hadamar, denen von Januar bis August 1941 über 10.000 Menschen zum Opfer fielen. Seit der<br />
Jahresmitte 1942 wurden diese jedoch mit anderen Mitteln fortgesetzt. An "Hungerkuren" und<br />
Überdosen von Medikamenten starben in Hadamar bis Kriegsende weitere 5.000 Menschen.<br />
( http://www.kath.de/bistum/limburg/presse/2001/id01109.htm)<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
DER 1. WELTKRIEG UND DIE BELASTBARKEIT DES MENSCHEN ........................................ 1<br />
VORSPIELE .................................................................................................................................. 3<br />
Vorspiel 1: Brasilien 1978 .......................................................................................................................... 3<br />
Vorspiel 2: Mörder und TV ........................................................................................................................ 3<br />
Vorspiel 3: Gustav Wagner ........................................................................................................................ 3<br />
AUS DEM KRANKENBERICHT DES JOSEF H. .......................................................................... 4<br />
Anamnese .................................................................................................................................................... 4<br />
Die Gerichtskommission ............................................................................................................................. 5<br />
BEMERKUNGEN ZUR SCHOCKTHERAPIE ............................................................................... 6<br />
Bemerkung 1: Die Insulinschock-Therapie ................................................................................................. 6<br />
Bemerkung 2: Aus dem Schreiben an den Bruder Georg H. (1937) ........................................................... 6<br />
Bemerkung 3: Drei Jahre später .................................................................................................................. 6<br />
Bemerkung 4: Arzt und Mörder .................................................................................................................. 7<br />
16.10.10 L. F.<br />
18
EXKURS: STROM ALS BEHANDLUNGSMITTEL: ..................................................................... 7<br />
Kriegsneurotikertherapie im ersten Weltkrieg: ........................................................................................... 7<br />
Freud und Wagner – Jaureg ......................................................................................................................... 8<br />
Elektroschockkasten .................................................................................................................................... 8<br />
"wilde Euthanasie" ....................................................................................................................................... 9<br />
ZUSAMMENFASSUNG DER THERAPIEVERSUCHE: .............................................................. 10<br />
Cardiazoltherapie:...................................................................................................................................... 10<br />
Apomorphintherapie (2.1.37): ................................................................................................................... 10<br />
Ergotherapie(2. 6. 39): ............................................................................................................................... 10<br />
PARANOIABEHANDLUNG IM JAHR 2000: .............................................................................. 10<br />
VERNICHTUNGSANSTALT HARTHEIM .................................................................................... 10<br />
TRANSPORTE IN DIE ANSTALT NIEDERNHART (OÖ) ........................................................... 11<br />
VERGANGENHEIT ~ BEWÄLTIGUNG ...................................................................................... 12<br />
1: Der Fotograf .......................................................................................................................................... 12<br />
2: Die gerichtliche Aufarbeitung der Hartheimer Verbrechen ................................................................. 12<br />
3: Kein Urteil mehr seit 45 Jahren ............................................................................................................. 13<br />
4: Neger ..................................................................................................................................................... 13<br />
5: Die Festschrift: ...................................................................................................................................... 13<br />
Euthanasie als Vorstufe zum Holocaust .................................................................................................... 14<br />
From Hartheim to Sobibor ......................................................................................................................... 14<br />
Schools for Murder .................................................................................................................................... 15<br />
DIE KIRCHE UND EUTHANASIE ............................................................................................... 15<br />
Die Rolle der Amtskirche .......................................................................................................................... 15<br />
"Euthanasie" im NS-Staat: Grafeneck im Jahr 1940 ................................................................................. 17<br />
Limburger Bischof protestierte wegen planmäßiger Euthanasie ............................................................... 18<br />
16.10.10 L. F.<br />
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