"Novokult". - Deutsche in Novosibirsk
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Nummer 21 Deutschsprachige Kultur- und Informationszeitung für Nowosibirsk W<strong>in</strong>ter 2009/2010<br />
Logo des Forums im September 2009<br />
20 Jahre Mauerfall<br />
<strong>in</strong> Deutschland<br />
„Die Mauer muss weg!“<br />
W<strong>in</strong>terspaß <strong>in</strong> Sibirien:<br />
Ski <strong>in</strong> Nowosibirsk
Seite NovoKult 21<br />
2 EINLEITUNG<br />
INHALT<br />
Inhalt<br />
Neu <strong>in</strong> Nowosibirsk 3<br />
Interview Gudrun Ste<strong>in</strong>acker 4<br />
Das besondere Buch 6<br />
Fragen von <strong>Deutsche</strong>n 6<br />
Projekt zur Alltagssprache 7<br />
W<strong>in</strong>tersport <strong>in</strong> Nowosibirsk 8<br />
Volkskundemuseum 10<br />
Friedrich-Ebert-Stiftung 11<br />
Chronik des Mauerfalls 12<br />
Kommentar zum Mauerfall 12<br />
Jubiläum <strong>in</strong> Deutschland 13<br />
Me<strong>in</strong> erstes Mal ... 15<br />
Briefe aus der Heimat 16<br />
Buchvorstellung 16<br />
Weihnachtsmann <strong>in</strong> Sibirien 17<br />
Christstollen 18<br />
Nirgendwo <strong>in</strong> Thür<strong>in</strong>gen 18<br />
Praktikum <strong>in</strong> Deutschland 19<br />
Wie Politik gemacht wird 20<br />
Pr<strong>in</strong>zess<strong>in</strong> Plastik 21<br />
E<strong>in</strong>e Pr<strong>in</strong>zess<strong>in</strong> schlägt zu 22<br />
Der Neul<strong>in</strong>g 23<br />
Nachlese Innovationsforum<br />
Inter(ra)<strong>in</strong>terviews<br />
24<br />
25<br />
Was macht eigentlich ... 26<br />
Übersicht Sprachtests 27<br />
Adressen 27<br />
Preisrätsel 28<br />
Impressum<br />
Redaktion: Norbert Schott,<br />
Alexandra Wiegand, Ir<strong>in</strong>a<br />
Posrednikova<br />
Autoren:<br />
Christoph Bönig, Ir<strong>in</strong>a<br />
Galow, Kathr<strong>in</strong> König, Markus<br />
Lange, Yvonne Lange, Tatiana<br />
Muzyuk<strong>in</strong>a, Yulia Ogorodnikova,<br />
Lena Reißig, Lisa Schle<strong>in</strong><strong>in</strong><br />
Dank:<br />
Wir danken für die Unterstützung<br />
durch das Sprachlernzentrum<br />
an der NGTU und<br />
das Goethe-Institut. Ferner<br />
Dank an Ramona Borsch, Simon<br />
Columbus, Marco Fieber,<br />
Re<strong>in</strong>hard Krumm, Swetlana Michailowa,<br />
Gudrun Ste<strong>in</strong>acker.<br />
Layout: Yvonne Lange,<br />
Norbert Schott<br />
Anschrift: NovoKult,<br />
<strong>Deutsche</strong>s Zentrum der NGTU,<br />
pr. Karla Marxa 20,<br />
Korpus 6, Raum 105,<br />
Tel./Fax: 383 / 346 36 32,<br />
E-Mail: novokult@gmx.<strong>in</strong>fo<br />
Auflage: 999 Exemplare<br />
Mauerfall als Dauerthema<br />
Warum auch die NovoKult zu diesem Thema schreibt<br />
„Gib De<strong>in</strong>er Stadt e<strong>in</strong> Gesicht“<br />
Aufruf zum Fotowettbewerb<br />
Was f<strong>in</strong>den die<br />
<strong>Deutsche</strong>n nur an<br />
diesem Thema so<br />
toll, dass wirklich<br />
alle Zeitungen<br />
unbed<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>e<br />
Serie dazu machen<br />
müssen<br />
Wer 1989 <strong>in</strong><br />
Deutschland war,<br />
wird nachvollziehen können, welche<br />
e<strong>in</strong>zigartigen Er<strong>in</strong>nerungen mit dieser<br />
Zeit verbunden s<strong>in</strong>d. Besonders <strong>in</strong> Ostdeutschland<br />
waren die Monate zwischen<br />
dem Mauerfall und der Wiedervere<strong>in</strong>igung<br />
die wohl wildesten,<br />
verrücktesten und kreativsten Tage für<br />
Jahrhunderte.<br />
Ich selbst war nur zwölf Jahre alt,<br />
jedoch er<strong>in</strong>nere ich mich genau an<br />
diese vollkommen freien Monate. Die<br />
alte Regierung hatte abgedankt, e<strong>in</strong>e<br />
neue Gesellschaftsform musste sich<br />
erst noch f<strong>in</strong>den.<br />
Jedoch versank die DDR nicht im<br />
Chaos, wie die Sowjetunion <strong>in</strong> den<br />
frühen Neunzigern. Stattdessen entwickelte<br />
sich e<strong>in</strong>e unglaublich kreative<br />
und friedliche Form des Anarchismus.<br />
Die Leute ließen ihren Gedanken freien<br />
Lauf, machten endlich, was ihnen 40<br />
Jahre lang verwehrt wurde.<br />
Im Sommer 1990 war ich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Ferienlager. Die Lagerleitung ließ den<br />
Gruppenleitern völlig freie Hand, was<br />
sie mit uns K<strong>in</strong>dern machen wollten. So<br />
durften wir so lange <strong>in</strong> den Betten<br />
bleiben, wie wir wollten. Irgendwer<br />
holte Brötchen und Honig aus dem<br />
Speisesaal – und wir genossen Frühstück<br />
im Bett. Andere Nächte verbrachten<br />
wir im Wald – <strong>in</strong> selbst<br />
gebauten Hütten aus Stöcken und<br />
Gras. Heute wäre das alles undenkbar<br />
– sofort würde irgendwer überlegen,<br />
wer denn haften würde, wenn die Hütte<br />
zusammenbricht.<br />
Aber 1990 dachte niemand an<br />
Gesetze oder s<strong>in</strong>nlose Regeln. Alle<br />
wollten frei se<strong>in</strong> und frei leben - auch<br />
unsere Gruppenleiter.<br />
Leider ist von diesem Geist der<br />
Wende wenig übrig geblieben. Die<br />
Idealisten landeten schnell im realen<br />
Kapitalismus – um die Freiheit zu<br />
genießen, brauchte man plötzlich Geld.<br />
Die DDR-Industrie war veraltert und<br />
brach schnell zusammen.<br />
Die <strong>in</strong>telligenten und kreativen<br />
Bürger der DDR g<strong>in</strong>gen mangels Arbeit<br />
schnell <strong>in</strong> den Westen und zurück<br />
blieben zum großen Teil die weniger<br />
Flexiblen. Diese sieht man nun täglich<br />
im Fernsehen, wenn sie über die<br />
Wende nörgeln. Oder schimpfen, dass<br />
doch früher alles besser gewesen<br />
wäre. So bildet das Fernsehen e<strong>in</strong><br />
Klischee, dass die Ostdeutschen<br />
generell nicht dankbar wären. Dabei<br />
trifft das Fernsehen e<strong>in</strong>fach die<br />
Falschen – denn selbst wer im Osten<br />
noch erfolgreich ist, hat tagsüber ke<strong>in</strong>e<br />
Zeit, um dem Kamarateam vom<br />
Fernsehen se<strong>in</strong>e tollen E<strong>in</strong>drücke von<br />
der Wiedervere<strong>in</strong>igung zu erzählen.<br />
Doch die NovoKult-Redaktion ist<br />
sich e<strong>in</strong>ig – die Wende ist e<strong>in</strong> historische<br />
Ereignis, welches Deutschland<br />
noch auf Jahrzehnte prägen wird. Und<br />
deswegen widmen auch wir dem<br />
Thema mehrereArtikel!<br />
Norbert Schott<br />
Für den Goethe-Fotokalender der Goethe-Sprachzentren <strong>in</strong> Russland<br />
2010/2011 werden noch Fotos gesucht. Die Aufgabe ist es, die Vielfalt Eurer Stadt<br />
mit den Augen e<strong>in</strong>es Touristen oder Euer Sprachzentrum oder etwas von Euch<br />
selbst (Porträtfotos) zu zeigen! Dazu noch zu jedem Foto e<strong>in</strong>en Satz beziehungsweise<br />
e<strong>in</strong>en Titel – Fertig!<br />
Die besten Fotos werden prämiert und im Kalender veröffentlicht. Dieser wird<br />
dann <strong>in</strong> den russischen Goethe-Zentren und deutschen Goethe-Instituten zu<br />
erhalten se<strong>in</strong>.<br />
Abgabe der Fotos <strong>in</strong> digitaler Form (Größe: 1024/768 Pixel, Auflösung: nicht<br />
weniger als 30 Pixel pro Zentimeter, maximal drei Fotos pro Kategorie) bis Ende<br />
Januar <strong>in</strong> Eurem Goethe-Zentrum! Annahme der Fotos per E-Mail unter:<br />
goethefoto@gmx.de sowie Montag bis Freitag von 12 bis 18 Uhr im <strong>Deutsche</strong>n<br />
Zentrum (NGTU), pr. Karla Marxa 20, Korpus 6, Raum 105.<br />
Viel Spaß beim Knipsen!
VORSTELLUNGEN<br />
AKTUELLES<br />
NovoKult 21 Seite 3<br />
Neu <strong>in</strong> Nowosibirsk<br />
<strong>Deutsche</strong>, die sich nach Sibirien verirrt haben, kurz vorgestellt<br />
Ich, Kathr<strong>in</strong> König, b<strong>in</strong> Anfang September nach Nowosibirsk (Akademgorodok)<br />
gekommen, um me<strong>in</strong>e Arbeit als Sprachassistent<strong>in</strong> am Sprachlernzentrum<br />
<strong>in</strong> der NGU aufzunehmen. Los g<strong>in</strong>g me<strong>in</strong>e Reise <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, wo ich geboren<br />
und aufgewachsen b<strong>in</strong> und im Sommer doch noch me<strong>in</strong> sche<strong>in</strong>bar ke<strong>in</strong> Ende<br />
nehmen wollendes Studium abgeschlossen habe, und zwar <strong>in</strong> den schönen<br />
Fächern Russistik (doch, das gibt es!) und Geschichte mit Schwerpunkt<br />
Osteuropa. Diese Komb<strong>in</strong>ation und e<strong>in</strong>e merkwürdig anhaltende Fasz<strong>in</strong>ation für<br />
dieses Land und se<strong>in</strong>e Sprache haben mich schon an e<strong>in</strong>ige entlegene Orte von<br />
Murmansk bis Astrachan und von Petersburg bis nach Abakan geführt. Besitzern<br />
e<strong>in</strong>er Landkarte wird an dieser Stelle unter Umständen auffallen, dass gerade im<br />
Osten noch e<strong>in</strong> ganz schönes Stück von mir bisher unbereisten Russlands<br />
existiert – e<strong>in</strong> Zustand, der wünschenswerter Weise bis zum Ende des Sommers<br />
behoben se<strong>in</strong> wird.<br />
Die meiste Zeit werde ich jedoch <strong>in</strong> Akadem verbr<strong>in</strong>gen und die Lehrer<strong>in</strong>nen<br />
und den Lehrer des SLZ nach Kräften beim Unterricht unterstützen. Am<br />
Wochenende führe ich außerdem abwechselnd e<strong>in</strong>en „<strong>Deutsche</strong>n Liederabend“<br />
und e<strong>in</strong>en russisch-deutschen Stammtisch durch. Ich lade Euch also alle e<strong>in</strong>, mit<br />
mir zu s<strong>in</strong>gen und zu tr<strong>in</strong>ken. Zwei Wörter, die sich im Russischen so passend nur<br />
durch e<strong>in</strong>en w<strong>in</strong>zigen Vokal unterscheiden ...<br />
Me<strong>in</strong> Name ist Lena Reißig und ich b<strong>in</strong> seit<br />
September <strong>in</strong> Nowosibirsk als Sprachassistent<strong>in</strong> des<br />
DAAD. Hier gebe ich Deutschkurse an der NGTU und der<br />
NGU <strong>in</strong> Akademgorodok. Nach Sibirien wollte ich schon<br />
seit langer Zeit, die Größe dieses Landes fasz<strong>in</strong>iert mich<br />
und ich freue mich schon sehr darauf, wenn ich e<strong>in</strong> paar<br />
Tage frei habe und mit dem Zug auf Reisen gehen kann.<br />
Was mir hier sehr gut gefällt, ist, dass viele Menschen<br />
unglaublich hilfsbereit und gastfreundlich s<strong>in</strong>d. Was ich<br />
vermisse s<strong>in</strong>d belegte Brötchen, grüner Salat und e<strong>in</strong>en<br />
W<strong>in</strong>terdienst. Dennoch freue ich mich sehr auf den<br />
W<strong>in</strong>ter und hoffe, dass viel Schnee liegen wird und dass<br />
es so richtig kalt wird, denn wenn der Frühl<strong>in</strong>g <strong>in</strong><br />
Deutschland schon so schön ist, wie wird er dann erst <strong>in</strong><br />
Sibirien<br />
Ich b<strong>in</strong> Alexandra Wiegand und seit Oktober die Sprachassistent<strong>in</strong><br />
des <strong>Deutsche</strong>n Zentrums an der NGTU. Aufgewachsen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
kle<strong>in</strong>en thür<strong>in</strong>gischen Ort <strong>in</strong> der Nähe von Eisenach habe ich die meiste<br />
Zeit me<strong>in</strong>es bisherigen Lebens im grünen Herzen Deutschlands verbracht.<br />
Doch schon während me<strong>in</strong>es Studiums <strong>in</strong> Jena (Volkskunde/<br />
Kulturgeschichte, Soziologie, Pädagogik und DaF) packte mich das<br />
Fernweh und so g<strong>in</strong>g ich für e<strong>in</strong> Auslandssemester nach Norwegen.<br />
Nach me<strong>in</strong>er Rückkehr zog ich <strong>in</strong> die beschauliche Kulturhauptstadt<br />
Weimar, wo man Goethe an jeder Straßenecke f<strong>in</strong>den kann. Insofern<br />
ist es für mich e<strong>in</strong> schöne dass ich nun im Auftrag des Goethe-Instituts<br />
nach <strong>Novosibirsk</strong> gekommen b<strong>in</strong> und am Sprachlernzentrum mit<br />
deutscher Kultur und Landeskunde den Unterricht gestalten darf.<br />
Zwar stand ich schon im nördlichsten Teil Norwegens an der<br />
russischen Grenze, doch <strong>in</strong> Russland selbst b<strong>in</strong> ich zum ersten Mal<br />
und so war ich sehr gespannt darauf, was mich hier erwartet. Bei<br />
me<strong>in</strong>er Ankunft war ich etwas irritiert, denn Anfang Oktober war es 22<br />
Grad warm und ich hatte mich schon auf den sibirischen W<strong>in</strong>ter<br />
e<strong>in</strong>gestellt. Mittlerweile hat dieser E<strong>in</strong>zug gehalten und ich freue mich<br />
jeden Tag über den Schnee und darauf, endlich e<strong>in</strong>mal weiße<br />
Weihnachten erleben zu können, wovon man <strong>in</strong> Deutschland meist nur<br />
träumen kann.
Seite 4 AKTUELLES<br />
NovoKult 21<br />
100 Tage Nowosibirsk – E<strong>in</strong>e erste Bilanz<br />
Interview mit der neuen deutschen Generalkonsul<strong>in</strong> Gudrun Ste<strong>in</strong>acker<br />
Zur Person: Gudrun Ste<strong>in</strong>acker<br />
wurde 1951 <strong>in</strong> Düsseldorf<br />
geboren. Sie hat Geschichte,<br />
Sozialwissenschaften und Slawistik<br />
<strong>in</strong> München, Münster und<br />
Belgrad studiert. Seit 1978 arbeitet<br />
sie im Auswärtigen Dienst.<br />
Nach e<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>satz <strong>in</strong> der<br />
ständigen Vertretung der Bundesrepublik<br />
Deutschland bei<br />
den Vere<strong>in</strong>ten Nationen <strong>in</strong> New<br />
York war sie mehrmals <strong>in</strong> Bonn<br />
e<strong>in</strong>gesetzt, aber auch <strong>in</strong> Zagreb,<br />
Straßburg, Oslo, Rom, Moskau<br />
und zuletzt <strong>in</strong> Sofia. Seit September<br />
2009 ist sie die<br />
Generalkonsul<strong>in</strong> der Bundesrepublik<br />
Deutschland <strong>in</strong> <strong>Novosibirsk</strong>.<br />
Gudrun Ste<strong>in</strong>acker ist<br />
ledig und hat e<strong>in</strong>en Sohn.<br />
Die Generalkonsul<strong>in</strong> Gudrun Ste<strong>in</strong>acker an ihremArbeitsplatz <strong>in</strong> Nowosibirsk<br />
Guten Tag, Frau Ste<strong>in</strong>acker! In<br />
der Politik zieht man meist nach 100<br />
Tagen e<strong>in</strong>e erste Bilanz Sie s<strong>in</strong>d<br />
nun bald 100 Tage <strong>in</strong> Nowosibirsk –<br />
was ist Ihre persönliche erste<br />
Bilanz<br />
Die erste persönliche Bilanz ist,<br />
dass es viel spannender und abwechslungsreicher<br />
ist, als ich es mir vorgestellt<br />
hatte. Bei vielen Kollegen hat<br />
die Arbeit als Generalkonsulat ke<strong>in</strong>en<br />
so guten Ruf – da mache man nur diese<br />
blöde Konsulararbeit. Aber das ist hier<br />
überhaupt nicht der Fall. Die Konsulararbeit<br />
machen die Kolleg<strong>in</strong>nen und<br />
Kollegen, welche auch viel erfahrener<br />
s<strong>in</strong>d als ich. Ich mache Wirtschaft und<br />
Kultur und treffe viele Leute. Ich erfahre<br />
<strong>in</strong> den Gesprächen sehr viel und<br />
konnte auch schon drei größere Reisen<br />
machen: nach Wladiwostok, <strong>in</strong>s Altai –<br />
Barnaul,<br />
Gorny Altaisk,<br />
Birjusowaja<br />
Katun – sowie nach Omsk. Nächste<br />
Woche fahre ich nach Kemerowo und<br />
übernächste Woche nach Tomsk.<br />
Irgendwann im nächsten Jahr werde<br />
ich sicherlich noch Krasnojarsk<br />
h<strong>in</strong>zufügen, vielleicht auch Tuwa und<br />
Abakan – das ist ja für uns alles noch<br />
viel exotischer. Ich habe auch vor, wieder<br />
nach Irkutsk und Ulan Ude zu fahren,<br />
wo ich schon privat im Urlaub war.<br />
Also ich f<strong>in</strong>de es spannend, ich f<strong>in</strong>de es<br />
hoch<strong>in</strong>teressant und b<strong>in</strong> angenehm<br />
überrascht, vor allen D<strong>in</strong>gen von den<br />
Menschen, die sehr freundlich, sehr<br />
offen, sehr hilfsbereit s<strong>in</strong>d.<br />
Wie zu lesen war, s<strong>in</strong>d Sie bereits<br />
<strong>in</strong> der Vergangenheit <strong>in</strong> Sibirien<br />
gewesen. Ist Ihr E<strong>in</strong>druck vom<br />
Leben <strong>in</strong> Sibirien als Bewohner<strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />
anderer als zuvor als Tourist<strong>in</strong><br />
Natürlich ist sie e<strong>in</strong>e andere.<br />
Damals hatte ich mit den Sibiriern gar<br />
ke<strong>in</strong>en bis wenig Kontakt. Wir waren<br />
e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Reisegruppe, man hatte<br />
Kontakt untere<strong>in</strong>ander. Ich b<strong>in</strong> eigentlich<br />
außer im Restaurant oder auf der<br />
Straße noch nicht mit Sibiriern <strong>in</strong><br />
Kontakt gekommen. Und <strong>in</strong>sofern gefällt<br />
es mir natürlich jetzt viel mehr, weil<br />
ich Gelegenheit habe, mit den Menschen<br />
zu sprechen.<br />
Zu Ihrer Arbeit: Ihre Vorgänger<br />
setzten <strong>in</strong> Ihrer Arbeit Schwerpunkte,<br />
beispielsweise Kultur oder<br />
Wirtschaftsförderung. In welchen<br />
Bereichen wollen Sie sich <strong>in</strong> Ihrer<br />
Amtszeit besonders engagieren<br />
Also ich werde ke<strong>in</strong>e wesentlich<br />
anderen Schwerpunkte setzen: Wirtschaft<br />
an erster Stelle – das war ganz<br />
klar der Schwerpunkt von Herrn Cantzler,<br />
und ich glaube letztlich auch von<br />
Herrn Grau – und dann natürlich Kultur,<br />
Bildung und Förderung der deutschen<br />
Sprache. Vielleicht noch e<strong>in</strong> bisschen<br />
mehr als bisher den Wissenschaftsbereich.<br />
Da hat sich ja <strong>in</strong> den letzten<br />
drei-vier Jahren recht viel getan – es ist<br />
wirklich Geld geflossen, verglichen mit<br />
den Jahren davor. Das weiter zu<br />
beobachten, und eventuell behilflich zu<br />
se<strong>in</strong>, noch mehr Kontakte und Austausch<br />
mit Deutschland zu entwickeln,<br />
das halte ich für wichtig.<br />
Wissenschaft – damit me<strong>in</strong>en Sie<br />
eher Schulen oder Hochschulen<br />
Ich me<strong>in</strong>e mehr Hochschulen.<br />
Richtig Wissenschaft und Forschung.<br />
Also Kontakt der Hochschulen zue<strong>in</strong>ander,<br />
aber eben auch richtige Forschungszusammenarbeit.<br />
Gibt es schon konkrete Projekte<br />
Ne<strong>in</strong>. Aber wir waren gestern im<br />
DMG-Zentrum an der Technischen<br />
Universität. DMG ist der weltweit größte<br />
Werkzeugmasch<strong>in</strong>enhersteller – e<strong>in</strong><br />
Bereich, <strong>in</strong> dem die <strong>Deutsche</strong>n besonders<br />
stark s<strong>in</strong>d. Mehrere solcher Werkzeugmasch<strong>in</strong>en<br />
werden für Lehrzwecke<br />
genutzt. An diesen Masch<strong>in</strong>en<br />
werden sowohl die Facharbeiter<br />
ausgebildet, die dann <strong>in</strong> den Fabriken<br />
mit diesen Masch<strong>in</strong>en arbeiten, als<br />
auch junge Wissenschaftler, die das<br />
Innenleben dieser Masch<strong>in</strong>en und die<br />
Steuerung dieser sehr komplexen Systeme<br />
näher kennen lernen sollen. Ich<br />
glaube, es ist spannend, diese<br />
Verb<strong>in</strong>dung zwischen der wirtschaftlichen<br />
Praxis, der Produktion und der<br />
Wissenschaft noch stärker im Blick zu<br />
haben. Und wenn wir dabei – als<br />
Konsulat kann ich ja nicht mehr, als<br />
Kontakte und Verb<strong>in</strong>dungen herstellen<br />
– behilflich se<strong>in</strong> könnten, dann fände<br />
ich das sehr gut.<br />
Ich würde zum Beispiel gerne mal<br />
Leute aus Deutschland e<strong>in</strong>laden, die<br />
das deutsche Müllentsorgungskonzept<br />
darstellen – e<strong>in</strong>er Großstadt wie<br />
Nowosibirsk beibr<strong>in</strong>gen, dass es zwar<br />
e<strong>in</strong>mal große Investitionen s<strong>in</strong>d, die<br />
sich aber <strong>in</strong>nerhalb relativ kurzer Zeit<br />
rechnen. Weil der Müll wiederverwertet<br />
wird, der Müll selber zum Rohstoff wird,
NovoKult 21 AKTUELLES<br />
Seite 5<br />
weil man den Müll verr<strong>in</strong>gert, und weil<br />
man bei der Müllverbrennung auch<br />
noch Energie gew<strong>in</strong>nen kann.<br />
Für viele Leser ist die Arbeit der<br />
Visastelle von besonderem Interesse.<br />
S<strong>in</strong>d hier Änderungen geplant,<br />
beispielsweise die E<strong>in</strong>führung biometrischer<br />
Visa<br />
Ne<strong>in</strong>. Also im Pr<strong>in</strong>zip ist das<br />
angedacht, aber das geht nur im<br />
Rahmen des Schengen-Systems. Wir<br />
können ja ke<strong>in</strong>e Extra-Würste machen.<br />
Aber die Schengen-Länder planen<br />
biometrische Visa <strong>in</strong> den kommenden<br />
Jahren<br />
Ja, wenn das kommt, dann bekommen<br />
wir das auch – das ist ganz klar.<br />
Aber wir haben noch ke<strong>in</strong> Datum genannt<br />
bekommen. Die Botschaft [<strong>in</strong><br />
Moskau] hat gerade berichtet, es ist <strong>in</strong><br />
Vorbereitung, es wird kommen – aber<br />
wann es kommt, weiß man nicht. Denn<br />
es kann nur funktionieren, wenn es alle<br />
Schengen-Länder gleichzeitig e<strong>in</strong>führen.<br />
Im letzten Jahr wurde <strong>in</strong> <strong>Novosibirsk</strong><br />
das Goethe-Institut eröffnet -<br />
rechnen Sie mit weiteren freudigen<br />
Nachrichten bezüglich der kulturellen<br />
oder auch wirtschaftlichen Zusammenarbeit<br />
zwischen Deutsch<br />
land und Sibirien<br />
Also wir s<strong>in</strong>d schon ziemlich gut<br />
aufgestellt hier, f<strong>in</strong>de ich, was deutsche<br />
E<strong>in</strong>richtungen anbelangt. Wir haben<br />
die GTZ hier, die die Förderung der<br />
Russlanddeutschen noch immer unterstützt.<br />
Dann haben wir die Zentralstelle<br />
für das Auslandsschulwesen, mit Herrn<br />
Dähne und Herrn Sew<strong>in</strong>g, die die<br />
ganzen Schulen, wo das Deutschdiplom<br />
abgelegt werden kann, betreuen.<br />
Dann haben wir e<strong>in</strong> DAAD-Büro<br />
an der NGTU mit Frau Heß. Also wir<br />
können uns nicht beklagen, wir stehen<br />
hier gut da. Es kann immer noch mehr<br />
kommen, aber dass sich deutsche<br />
Institutionen hier niederlassen, kann<br />
ich mir im Moment nicht vorstellen.<br />
Und wirtschaftlich<br />
Die wirtschaftliche Entwicklung<br />
hängt von der gesamten globalen<br />
wirtschaftlichen Entwicklung ab – aber<br />
auch da haben wir ja e<strong>in</strong> Büro. Das<br />
Büro der AHK, der deutsch-russischen<br />
Außenhandelskammer, wird weiterarbeiten.<br />
Herr Sorok<strong>in</strong> macht e<strong>in</strong>e<br />
tüchtige und gute Arbeit. Aber, dass da<br />
jetzt Sensationelles passieren wird,<br />
das sehe ich eigentlich nicht.<br />
Vor allem von 1990 bis 2004 –<br />
unter den persönlichen Freunden<br />
Helmut Kohl und Boris Jelz<strong>in</strong> sowie<br />
Gerd Schröder und Wladimir Put<strong>in</strong> –<br />
war das deutsch-russische Verhältnis<br />
sehr herzlich. Wie ist Ihre<br />
persönliche E<strong>in</strong>schätzung der Politik<br />
unter Angela Merkel Wird der<br />
neue Außenm<strong>in</strong>ister, Guido Westerwelle,<br />
neue Akzente im Bezug auf<br />
Russland setzen<br />
Na ja gut, Herr Schröder ist schon<br />
e<strong>in</strong> paar Jahre nicht mehr im Amt. Sie<br />
s<strong>in</strong>d vielleicht e<strong>in</strong> bisschen nüchterner<br />
geworden, die Beziehungen. Diese persönliche<br />
Freundschaft zwischen dem<br />
Bundeskanzler und dem damaligen russischen<br />
Präsidenten war schon was<br />
Besonderes, hatte aber wiederum nicht<br />
soviel Auswirkungen auf die Realität<br />
der deutsch-russischen Beziehungen,<br />
wie man es sich gewünscht hätte. Ich<br />
denke da an e<strong>in</strong>ige Probleme, die ich<br />
während me<strong>in</strong>er Zeit als Leiter<strong>in</strong> der<br />
Kulturabteilungen <strong>in</strong> Moskau erlebt<br />
habe, durchaus konkrete Probleme –<br />
die ewige Frage mit der Registrierung<br />
unserer deutschen ZfA-Lehrer an den<br />
russischen Schulen und so weiter. Also<br />
wir hätten uns gewünscht, dass sich<br />
diese persönlich sehr guten Beziehungen<br />
zwischen Herrn Schröder und<br />
Herrn Put<strong>in</strong> eigentlich mehr ausgewirkt<br />
hätten auf die konkreten Beziehungen.<br />
Und <strong>in</strong>sofern, glaube ich, ist die Entwicklung<br />
<strong>in</strong> den letzten vier Jahren<br />
positiv gewesen. Wie gesagt, etwas<br />
nüchterner, etwas sachbezogener, weniger<br />
emotional, aber <strong>in</strong> der Praxis hat<br />
sich vieles vere<strong>in</strong>facht und verbessert,<br />
und <strong>in</strong>tensiviert und ich sehe ke<strong>in</strong>en<br />
Grund, warum das nicht so weitergehen<br />
sollte. Der neue Außenm<strong>in</strong>ister,<br />
gut, der hat noch ke<strong>in</strong>e so rechte Beziehung<br />
zu Russland, die wird er erst<br />
entwickeln müssen. Aber die Bundeskanzler<strong>in</strong><br />
kennt sich gut aus, spricht sogar<br />
obendre<strong>in</strong> noch ziemlich gut Russisch<br />
und hat Verständnis dafür. Und<br />
sie ist e<strong>in</strong>e Garantie dafür, dass es zu<br />
ke<strong>in</strong>erlei Brüchen oder radikalen Änderungen<br />
kommt.<br />
Vielen Dank für die Antworten!<br />
Haben Sie noch e<strong>in</strong> Anliegen, was<br />
Sie abschießend unseren Lesern<br />
mitteilen wollen<br />
Ja, ich würde sagen, man muss<br />
wirklich für Sibirien, also auch <strong>Novosibirsk</strong><br />
speziell, e<strong>in</strong> bisschen Werbung<br />
machen! Dazu ist eigentlich jeder<br />
<strong>Deutsche</strong> beauftragt, der hier e<strong>in</strong>e Zeit<br />
lang lebt, und umgekehrt auch Russen,<br />
die von hier nach Deutschland<br />
kommen. Ich empf<strong>in</strong>de es doch immer<br />
als sehr positiv, wenn ich Besuchergruppen<br />
treffe – ob im Rahmen von<br />
Schülerpartnerschaften oder Studenten-<br />
und anderen Reisegruppen – wie<br />
relativ überrascht alle s<strong>in</strong>d: wie<br />
europäisch Nowosibirsk ist, wie hoch<br />
der Lebensstandard ist, was für e<strong>in</strong><br />
tolles Kulturleben es hier gibt, wie<br />
fantastisch man hier essen kann –<br />
leider e<strong>in</strong> Problem, denn das geht auch<br />
auf die L<strong>in</strong>ie. Vor allem die Spontaneität,<br />
die Herzlichkeit der Sibirjaken,<br />
das f<strong>in</strong>de ich sehr bee<strong>in</strong>druckend. Und<br />
dafür kann man, f<strong>in</strong>de ich, ohne weiteres<br />
<strong>in</strong> Deutschland etwas mehr Werbung<br />
machen!<br />
Interview:<br />
Norbert Schott<br />
E<strong>in</strong>e Auswahl der ersten Arbeitsgespräche als Generalkonsul<strong>in</strong> <strong>in</strong> Nowosibirsk: Mit Wladimir Gorodjezki (Bürgermeister von Nowosibirsk), Alexey<br />
Bjespalikow (Vorsitzender des Gebietsparlaments) sowie Wladimir Iwankowy (Vorsitzener der Organisation „ Sibirskoje Soglaschenie “)
Seite 6 AKTUELLES<br />
NovoKult 21<br />
Das besondere Buch<br />
Deutsch-russisches Wörterbuch „Hunde und Katzen unter uns“ von A.P. Smurov<br />
Dieses bemerkenswerte Buch wurde von den<br />
NovoKult-Redakteuren <strong>in</strong> der Mediathek des<br />
Sprachlernzentrums an der NGTU gefunden. In<br />
Zukunft wird an dieser Stelle häufiger e<strong>in</strong> solches<br />
Kunstwerk vorgestellt.<br />
Auszug aus dem Vorwort: „ Auch<br />
heutzutage vergöttern Millionen Menschen<br />
ihre vierbe<strong>in</strong>igen Zögl<strong>in</strong>ge. Allerd<strong>in</strong>gs<br />
vermuten nur wenige, dass die<br />
Grundlage dieser Liebe das genetische<br />
Gedächtnis und e<strong>in</strong> unbewusstes<br />
Gefühl der Dankbarkeit für die Rettung<br />
des Menschengeschlechts ist.“<br />
Das ist nur e<strong>in</strong>e der zahlreichen<br />
blumigen Passagen, die das Vorwort<br />
dieses kle<strong>in</strong>en Ratgebers <strong>in</strong> Sachen<br />
unserer vierbe<strong>in</strong>igen Freunde zieren.<br />
Daran, dass das Buch mit der ganzen<br />
Liebe e<strong>in</strong>es echten russischen Hundebeziehungsweise<br />
Katzenfreundes geschrieben<br />
wurde, zweifelt der oder die<br />
geneigte Lesende auf ke<strong>in</strong>er Seite.<br />
Das Büchle<strong>in</strong> nennt sich selbst<br />
„Wörterbuch“, doch <strong>in</strong> Wirklichkeit<br />
handelt es sich eher um e<strong>in</strong> Konversationslexikon,<br />
welches offensichtlich<br />
deutschen Hunde- und Katzenfreunden<br />
die Kommunikation mit ihren<br />
russischen Kollegen erleichtern soll.<br />
Wenn der oder die <strong>Deutsche</strong><br />
allerd<strong>in</strong>gs den Gesprächsvorschlägen<br />
strikte Folge leisten würde, bestünde<br />
die nicht ger<strong>in</strong>ge Gefahr etwas altklug<br />
zu ersche<strong>in</strong>en. Es f<strong>in</strong>den sich beispielsweise<br />
Sätze wie: „Unsere Haushunde<br />
stammen vom Wolf ab.“ Oder auch:<br />
„Für Herrchen oder Frauchen jedenfalls<br />
bedeutet der tägliche Spaziergang<br />
e<strong>in</strong>en sehr gesunden Zwang.“<br />
Die Liebe zum Tier sche<strong>in</strong>t aber<br />
immer wieder durch die Besserwisserei<br />
h<strong>in</strong>durch: „Der Gebrauchshund muss<br />
bei all se<strong>in</strong>er Schönheit auch e<strong>in</strong>en<br />
Leistungsnachweis, e<strong>in</strong> Abrichtekennzeichen<br />
besitzen.“ Für den deutschwie<br />
russischsprachigen Laien hält das<br />
Büchle<strong>in</strong> zahlreiche Möglichkeiten zur<br />
Wortschatzbereicherung bereit. Wer<br />
wollte nicht schon immer wissen, was<br />
e<strong>in</strong> „Allermannshund“ ist und diesen<br />
geschickt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en aktiven Wortschatz<br />
e<strong>in</strong>fügen<br />
Kathr<strong>in</strong> König<br />
Information: Das deutsch-russische<br />
Wörterbuch „Hunde und Katzen<br />
unter uns“ ist 1995 erschienen und leider<br />
nicht mehr im Handel erhältlich.<br />
Was ich schon immer mal wissen wollte!<br />
<strong>Deutsche</strong> <strong>in</strong> Sibirien, ihre eigenartigen Fragen und russische Antworten<br />
Norbert Schott, Redakteur der NovoKult, fragt: „Warum<br />
machen Busse der Marke PAZik immer (!) so komische<br />
Geräusche beim Anfahren, als wäre die Kupplung<br />
kaputt“<br />
E<strong>in</strong> typischer PAZ-3205 im E<strong>in</strong>satz<br />
PAZik steht für Pawlowski Bus – e<strong>in</strong> Bus der für 22<br />
Passagiere Sitzplätze hat. Insgesamt passen um die 50<br />
Menschen h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>. Die Busse sieht man <strong>in</strong> Sibirien häufig als<br />
öffentliches Hauptverkehrsmittel auf den Straßen. Der erste<br />
Bus wurde 1952 hergestellt, PAZ-651. 1989 kam schließlich<br />
der gängigste PAZ-3205 auf den Markt.<br />
Wir haben uns auf die Suche nach e<strong>in</strong>er Antwort gemacht<br />
und wurden fündig. E<strong>in</strong>en PAZik-Fahrer, der seit zehn Jahren<br />
die Menschen <strong>in</strong> der Stadt von e<strong>in</strong>em Punkt zum anderen<br />
br<strong>in</strong>gt, ließ sich ausfragen. Waleri Iwanowitsch ist e<strong>in</strong><br />
Vollblut-PAZik-Fahrer und kennt sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Beruf gut<br />
aus. Begeistert ist er jedoch nicht. „Man ist ständig genervt<br />
und platzt förmlich vor Wut“, erzählt er. „Die Konkurrenz auf<br />
den Straßen ist sehr groß. E<strong>in</strong>en PAZik zu fahren, dabei zu<br />
kassieren und dann noch vor dem anderen da zu se<strong>in</strong>, ist<br />
e<strong>in</strong>e Herausforderung. Damit hängt auch dieses Geräusch<br />
zusammen. Der PAZik-Fahrer muss also beim Anfahren<br />
direkt <strong>in</strong> den zweiten Gang schalten, damit er die nötige<br />
Geschw<strong>in</strong>digkeit erhält. Das Schaltgetriebe der Busse ist auf<br />
die stärke des Motors nicht abgestimmt, deshalb wäre es<br />
Uns<strong>in</strong>n erst <strong>in</strong> den ersten zu schalten. Im ersten Gang kommt<br />
der Bus also nicht richtig vorwärts“.<br />
Lisa Schle<strong>in</strong><strong>in</strong>
NovoKult 21 AKTUELLES<br />
Seite 7<br />
„Deutsch im Vorbeigehen“<br />
Neue deutsche Wörter unterhaltsam erklärt im Blog „Kreatives Schreiben“<br />
Ich sitze im Flugzeug auf dem Weg<br />
von Rom nach Berl<strong>in</strong> und lese <strong>in</strong> der<br />
Frauenzeitschrift „Petra“, um mir die<br />
Reisezeit zu verkürzen. Auf der ersten<br />
Seite f<strong>in</strong>det sich das Grußwort der<br />
Redakteur<strong>in</strong>: „Liebe Leser<strong>in</strong>, sie<br />
schnippeln und zupfen, wickeln und toupieren,<br />
kneten und knurzeln an<br />
unserem Haar herum – Friseure s<strong>in</strong>d<br />
aus unserem Leben nicht wegzudenken,<br />
oder“<br />
Sechs unbekannte Wörter <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Satz. Ich schnappe mir me<strong>in</strong> elektronisches<br />
Wörterbuch und schlage die<br />
Wörter „schnippeln“, „zupfen“,<br />
„wickeln“, „toupieren“, „kneten“ und<br />
„knurzeln“ nach – leider erfolglos. Bei<br />
nächster Gelegenheit frage ich e<strong>in</strong>en<br />
Muttersprachler nach der Bedeutung<br />
der Wörter. Was „knurzeln“ bedeutet,<br />
konnte mir jedoch niemand erklären.<br />
E<strong>in</strong>e andere Situation im Büro: Seit<br />
Juli absolviere ich für e<strong>in</strong> halbes Jahr<br />
e<strong>in</strong>en Freiwilligendienst bei der Bundesgeschäftsstelle<br />
der Naturschutzjugend<br />
(NAJU) <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>. Während<br />
e<strong>in</strong>er Teamsitzung – die Stimmung ist<br />
gelöst – erzählt Meike, e<strong>in</strong>e Kolleg<strong>in</strong>,<br />
e<strong>in</strong>en Witz und alle lachen. Leicht und<br />
e<strong>in</strong>fach! Am Abend gehe ich mit e<strong>in</strong>er<br />
anderen Kolleg<strong>in</strong> aus und me<strong>in</strong>e:<br />
„Meike ist wirklich lustig.“ „Ja, sie macht<br />
gern Faxen“, erwidert die Kolleg<strong>in</strong>. Ich<br />
habe nicht verstanden, wovon sie<br />
redet. „Meike ist doch ke<strong>in</strong>e Sekretär<strong>in</strong>!<br />
Auch habe ich noch nicht beobachtet,<br />
dass sie Faxe versendet.“ Diese Äußerung<br />
hat wiederum me<strong>in</strong>e Kolleg<strong>in</strong><br />
zum Lachen gebracht – und mich<br />
verwirrt.<br />
Ich habe mich an e<strong>in</strong>em anderen<br />
Tag mit dem Blogger Simon Columbus<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Berl<strong>in</strong>er Café getroffen. Simon<br />
flog wenige Tage später nach <strong>Novosibirsk</strong>,<br />
um am Internationalen Jugend<strong>in</strong>novationsforum<br />
„Interra“ auf E<strong>in</strong>ladung<br />
des Goethe-Instituts teilzunehmen (e<strong>in</strong><br />
Interview mit ihm f<strong>in</strong>det ihr <strong>in</strong> diesem<br />
Heft!). Ich wollte die Gelegenheit<br />
nutzen und e<strong>in</strong>e Postkarte an me<strong>in</strong>e<br />
Kollegen <strong>in</strong> Nowosibirsk schreiben.<br />
Da leider ke<strong>in</strong>e Zeit war, e<strong>in</strong>e<br />
Postkarte zu kaufen, habe ich e<strong>in</strong>e<br />
Werbepostkarte aus dem Café genommen.<br />
Es war e<strong>in</strong>e violette Postkarte,<br />
<strong>in</strong> der Mitte stand nur e<strong>in</strong> Wort:<br />
„Paragraphenreiter!“ Auf der Rückseite<br />
stand: „Warum man uns Paragraphenreiter<br />
nennt Weil Sie mit uns die Zügel<br />
<strong>in</strong> der Hand behalten! Niemand kann <strong>in</strong><br />
Krisen besser manövrieren als wir, Ihre<br />
Steuerberater<strong>in</strong>nen.“ Simon erklärte<br />
mir, dass Paragraphenreiter Menschen<br />
s<strong>in</strong>d, die immer auf den genauen Wortlaut<br />
des Gesetzes bestehen, jemand,<br />
der verlangt, dass alles genau nach<br />
den Regeln abläuft.<br />
Was wohl me<strong>in</strong>e Kollegen <strong>in</strong><br />
Nowosibirsk dächten, wenn sie diese<br />
komische Postkarte erhalten hätten<br />
Knifflige oder gar pe<strong>in</strong>liche Situationen<br />
wie diese erleben viele Deutschlernende,<br />
wenn sie das erste Mal mit<br />
Muttersprachlern Kontakt haben oder<br />
nach Deutschland kommen. Übrigens<br />
passiert dies auch denjenigen, die<br />
me<strong>in</strong>en, richtig gut Deutsch sprechen<br />
zu können.<br />
Sprache ist lebendig und unterliegt<br />
Veränderungen, die sich nicht <strong>in</strong> jedem<br />
Wörterbuch wiederf<strong>in</strong>den. Nicht zuletzt<br />
aufgrund me<strong>in</strong>er eigenen Erfahrungen<br />
ist mir daher der Gedanke gekommen,<br />
e<strong>in</strong> Projekt zu entwickeln, dessen Idee<br />
es ist, neue deutsche Wörter anhand<br />
von Situationen oder lustigen Geschichten<br />
zu erklären. Gesagt, getan.<br />
Bereits e<strong>in</strong>e Woche nachdem ich den<br />
Antrag für e<strong>in</strong> Kle<strong>in</strong>stprojekt beim<br />
MitOst gestellt habe, erhielt ich e<strong>in</strong>e<br />
positive Antwort. Startschuss für das<br />
Projekt: „Immer <strong>in</strong> bewegtem Lernen:<br />
Lerne Deutsch im Vorbeigehen“ (auf<br />
russisch Lovi nemezkij na letu!) Zunächst<br />
habe ich e<strong>in</strong>en Blog e<strong>in</strong>-<br />
gerichtet, <strong>in</strong> dem Jugendliche Wörter <strong>in</strong><br />
ihrem Kontext präsentieren können.<br />
Hier ist der L<strong>in</strong>k mit allen Informationen:<br />
kreativesschreiben.wordpress.com .<br />
Im Dezember werde ich zudem im<br />
Rahmen dieses Projektes e<strong>in</strong>en kreativen<br />
Workshop <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> organisieren.<br />
In dem Workshop werden die Teilnehmer<br />
lernen, Wörter mit Inhalten zu<br />
füllen und auf kreative Weise Wörter<br />
erklären. Dabei werden sie an Texten<br />
arbeiten und Beiträge für den Blog<br />
verfassen. In e<strong>in</strong>em weiteren Schritt<br />
soll <strong>in</strong> Gruppen e<strong>in</strong>e effektive Arbeitsmethode<br />
entwickelt werden: Wie, wo,<br />
wann und auf welche Weise greifen wir<br />
im Alltag neue deutsche Wörter auf<br />
Und wie nutzen wir den Blog, um<br />
darüber zu berichten Dabei werden<br />
wir die Methode „Kreatives Schreiben“<br />
kennenlernen.<br />
Nach me<strong>in</strong>er Rückkehr Anfang<br />
2010 möchte ich gern e<strong>in</strong>en solchen<br />
Workshop auch <strong>in</strong> Nowosibirsk organisieren.<br />
Melde dich, wenn du<br />
teilnehmen möchtest! Das Motto des<br />
Workshops ist „Alles merken, aktiv<br />
hören, nachfragen, markieren, Notizen<br />
machen und kreativ schreiben“.<br />
Sei dabei, schreibe e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e<br />
Geschichte auf Deutsch und schicke<br />
sie an die folgende E-Mail-Adresse:<br />
mitostprojekt@gmail.com<br />
Die Partner des Projektes s<strong>in</strong>d die<br />
deutsche Jugendorganisation bei der<br />
NSU „Sibirischer Bär“ <strong>in</strong> Nowosibirsk<br />
und der Deutsch-Russische Austausch<br />
<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>.<br />
Ir<strong>in</strong>a Posrednikova<br />
Das Projekt „Lerne Deutsch im<br />
Vorbeigehen“ wurde im Rahmen des<br />
MitOst e.V. durchgeführt und aus<br />
Mitteln des Vere<strong>in</strong>s gefördert.<br />
Немецкий читальный зал<br />
Партнёр Немецкого культурного<br />
центра им. Гёте<br />
<strong>Deutsche</strong>r Lesesaal<br />
Partner des Goethe-Instituts<br />
Адрес/ Adresse: Телефон/<br />
Telefon: 383 223-99-57 Homepage:<br />
http://ngonb.ru<br />
630007 Новосибирск Факс/<br />
Fax: 383 223-96-09 E-Mail: foreign@rstlib.nsc.ru<br />
ул. Советская, 6
Seite 8 NOWOSIBIRSK<br />
NovoKult 21<br />
W<strong>in</strong>tersport <strong>in</strong> der Millionenstadt<br />
NovoKult stellt die bekanntesten Ski-Langlaufstrecken von Nowosibirsk vor<br />
Fallen <strong>in</strong> Deutschland irgendwo drei<br />
Krumen Schnee, dann stürmen alle<br />
sofort mit Schlitten auf die Straßen oder<br />
fahren mit Ski <strong>in</strong> die Berge. E<strong>in</strong><br />
sibirischer W<strong>in</strong>ter ohne Schnee h<strong>in</strong>gegen<br />
ist unvorstellbar - <strong>in</strong>sofern sollte<br />
man die Chance zum W<strong>in</strong>tersport auch<br />
nutzen!<br />
Bis <strong>in</strong> die Berge, wo man auf Abfahrtsski<br />
die Berge heruntersausen<br />
kann, ist es von Nowosibirsk recht weit.<br />
Im Stadtgebiet gibt es allenfalls e<strong>in</strong> paar<br />
klägliche Hügel, wie an der Bushaltestelle<br />
Gorskaja oder am Kljutsch-Kamyschenskoje<br />
Plato. Aber sich vom Lift<br />
den Berg hochziehen lassen und nur<br />
abwärts fahren ist streng genommen<br />
auch nur e<strong>in</strong> halber Sport.<br />
Deswegen widmet sich dieser<br />
Artikel dem Skilanglauf. Skiloipen gibt<br />
es nahezu <strong>in</strong> jeder Grünanlage der<br />
Stadt. Meist ist auch direkt daneben<br />
noch e<strong>in</strong> Skiverleih. Die NovoKult stellt<br />
daher nur e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Auswahl der<br />
bekanntesten Langlaufstrecken der<br />
Stadt vor.<br />
Sajelzowski Bor: Im Wald nördlich<br />
der Stadt gibt es gleich mehrere Ski-<br />
Stationen. Am e<strong>in</strong>fachsten zu erreichen<br />
ist e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Verleih direkt an der<br />
Endhaltestelle der Busl<strong>in</strong>ien 1019,<br />
1028, 1095 und 1125. Es lohnt sich<br />
jedoch, noch knapp zwei Kilometer<br />
durch den Wald zu laufen. Die Ski-<br />
Basis „ Lokomotiv“<br />
hat gleich sieben<br />
Loipen im klassischen und freien Stil<br />
mit e<strong>in</strong> bis zehn Kilometer Länge. Die<br />
kle<strong>in</strong>e Runde kann Nachts sogar<br />
beleuchtet werden – gegen Aufpreis.<br />
Leider ist der ganze Wald recht flach -<br />
der e<strong>in</strong>zige nennenswerte Anstieg ist<br />
e<strong>in</strong>e Brücke über die K<strong>in</strong>dereisenbahn.<br />
Die Skistation hat sowohl Plastik- als<br />
auch Holzski. E<strong>in</strong>e dritte Station ist am<br />
Stadion „ D<strong>in</strong>amo “ , h<strong>in</strong>ter dem Friedhof.<br />
Auch hier gibt es mehrere Runden,<br />
leider fahren seltener Busse <strong>in</strong> diese<br />
Ecke des Wäldchens.<br />
Sosnowy Bor : Im so genannten<br />
„Kieferwald“ gibt es e<strong>in</strong> Areal von zwei<br />
Rundkursen, a drei und fünf Kilometern<br />
mit gespurten und gewalzten Strecken.<br />
Auch wer ke<strong>in</strong>e eigene Skiausrüstung<br />
hat, kann <strong>in</strong> diesem Wald am Stadtrand<br />
sowohl im klassischen, als auch freien<br />
Stil laufen: Ski aus Holz und Plastik<br />
s<strong>in</strong>d gegen e<strong>in</strong>e Gebühr von 100/130<br />
Rubel pro Stunde ausleihbar.<br />
Berjosowaja Roschtscha : Der<br />
Vorteil der Loipe <strong>in</strong> diesem Park ist die<br />
gute Erreichbarkeit – direkt an der<br />
Metro. Leider ist die Loipe nur im<br />
klassischen Stil und recht kurz. Berge<br />
oder wenigstens Hügel sucht man<br />
Vergebens. Der größte Nachteil ist<br />
jedoch, dass es ke<strong>in</strong>en Skiverleih gibt.<br />
Biathlon-Trasse : Die Biathlon-<br />
Trasse <strong>in</strong> der Nähe des Marktes<br />
Baracholka ist eher für Profisportler<br />
geeignet. Es gibt ke<strong>in</strong>en Skiverleih und<br />
am Schießstand dürfen natürlich erst<br />
recht nur die Profis üben. Wirklich anspruchsvoll<br />
ist das Gelände – steile Anstiege,<br />
kurvige Abfahrten und ausschließlich<br />
Loipen im freien Stil verlangen<br />
e<strong>in</strong>iges an Können! Anfänger<br />
können sich jedoch während der<br />
allgeme<strong>in</strong>en Öffnungszeiten von 12 bis<br />
Freie(l<strong>in</strong>ks)und<br />
klassisch gespurte<br />
(rechts)<br />
Loipe im Vergleich.<br />
Für Anfänger<br />
ist es <strong>in</strong><br />
der Spur e<strong>in</strong>facher,<br />
im Freistil<br />
kann man aber<br />
schneller fahren.<br />
15 Uhr am Samstag und Sonntag<br />
sicher se<strong>in</strong>, dass nette Sportler und<br />
Tra<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>em hilfreiche Tipps geben.<br />
Vorteilhaft ist die Erreichbarkeit – die<br />
Marschrutka 1202 endet direkt auf dem<br />
Parkplatz.<br />
Injuschenski Bor : Von diesem<br />
recht unbekannten Park wird leider nur<br />
der kle<strong>in</strong>ere Teil nördlich der ul.<br />
Wybornaja von Skifahrern genutzt. Die<br />
Runde ist kle<strong>in</strong> und schlecht gespurt,<br />
aber dafür im Relief recht anspruchsvoll.<br />
Die Verleihstation war beim<br />
Besuch der Redaktion leider noch<br />
geschlossen. Theoretisch kann man<br />
auch im südlichen Teil des Parkes<br />
fahren – jedoch ist dort ke<strong>in</strong>e Loipe<br />
vorhanden.<br />
Akademgorodok : Die Ski-Basis<br />
„Tulskowo“ liegt versteckt h<strong>in</strong>ter e<strong>in</strong>em<br />
Garagenkomplex, 20 M<strong>in</strong>uten zu Fuß<br />
von der Bushaltestelle „Institut<br />
Gidrod<strong>in</strong>amiki“. Hier gibt es e<strong>in</strong>e 20<br />
Kilometer lange Loipe mit beiden<br />
Stilrichtungen, die jedoch auch auf e<strong>in</strong>,<br />
zwei, drei, fünf oder zehn Kilometer<br />
verkürzt werden kann. Die Beleuchtung<br />
der drei Kilometer langen Runde<br />
war leider so defekt, dass sie demontiert<br />
wurde. Spannend machen die<br />
Runden hier das Relief - es geht ernsthaft<br />
bergauf und bergab! Die Verleihstation<br />
hat leider nur Plastikski.<br />
Park am Ob-Stausee : Im Park<br />
beim Stadtteil ObGES gibt es vielfältige<br />
klassische Skispuren, die teilweise sogar<br />
auf den Stausee führen. Dort macht<br />
das Langlaufen aber nur bei W<strong>in</strong>dstille<br />
oder Sonnensche<strong>in</strong> Spaß. Im Uferbereich<br />
gibt es e<strong>in</strong> paar kle<strong>in</strong>e Schanzen.<br />
E<strong>in</strong>en Skiverleih – leider nur Plastik-Ski<br />
– hat das Sanatorium Solotoi<br />
Bereg, dort kann man direkt nach dem<br />
Skifahren auch e<strong>in</strong>e Sauna mieten.<br />
Weitere Ziele, welche die NovoKult-<br />
Redaktion jedoch nicht persönlich<br />
besichtigt hat: Skispuren gibt es sowohl<br />
nahe der Staatlichen Universität <strong>in</strong><br />
Akademgorodok als auch im Park<br />
Bugr<strong>in</strong>skaja Roschtscha . Der zuerst<br />
genannte Park hat auch e<strong>in</strong>en Verleih.<br />
Im Stadtplan ist weiterh<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Ski-<br />
Basis auf dem Kljutsch-Kamyschenskoje<br />
Plato vermerkt. Sehr viel versprechend<br />
ist auch die Lage der Ski-<br />
Basis „Metelniza“ <strong>in</strong> Berdsk – direkt<br />
am Wald, nahe dem Stausee!<br />
Norbert Schott, Christoph Bönig
NovoKult 21 NOWOSIBIRSK<br />
Seite 9<br />
Lexikon<br />
Im Unterschied zu Abfahrtsski<br />
s<strong>in</strong>d Langlaufski deutlich<br />
schmaler, viel leichter und meist<br />
länger. Diese leichte Konstruktion<br />
ist möglich, da sich e<strong>in</strong><br />
Langläufer vor allem dank se<strong>in</strong>er<br />
Körperkraft bewegt – und nicht<br />
durch das Gefälle des Berges.<br />
Zudem erfordert die Lauftechnik,<br />
dass der Ski ständig beschleunigt<br />
und abgebremst wird, weswegen<br />
die Ski leicht se<strong>in</strong> sollten.<br />
Um die Reibung zu reduzieren,<br />
s<strong>in</strong>d die Ski meist recht schmal.<br />
Der Schuh ist über die<br />
Skib<strong>in</strong>dung nur mit der Spitze<br />
am Ski befestigt und vertikal<br />
beweglich, so dass sowohl der<br />
Fuß komplett auf dem Ski<br />
aufsitzen kann als auch die<br />
Ferse angehoben werden kann.<br />
Um sich nach h<strong>in</strong>ten abstoßen<br />
zu können, s<strong>in</strong>d Langlaufstöcke<br />
länger als Abfahrtsskistöcke.<br />
Da kaum Querkräfte<br />
wirken, s<strong>in</strong>d sie jedoch steifer.<br />
Damit die Ski besser gleiten,<br />
wurden sie früher mit Wachs<br />
behandelt. Moderne Ski bestehen<br />
jedoch schon aus e<strong>in</strong>em<br />
sehr gleitfähigen Material und<br />
benötigen ke<strong>in</strong> Wachs. Zudem<br />
sammelt sich auf gewachsten<br />
Skiern Schmutz schneller an!
Seite 10 NOWOSIBIRSK<br />
NovoKult 21<br />
Mathilde wird 70!<br />
E<strong>in</strong> Besuch im Heimatkundemuseum von Nowosibirsk<br />
Mit e<strong>in</strong>er Ermitage kann<br />
Nowosibirsk nicht aufwarten,<br />
doch auch hier gibt es sehenswerte<br />
Ausstellungshäuser. Oft<br />
s<strong>in</strong>d es gerade die kle<strong>in</strong>en,<br />
versteckten Museen, die zu<br />
e<strong>in</strong>em bestimmten Thema viele<br />
<strong>in</strong>teressante Exponate zusammengetragen<br />
haben. NovoKult<br />
berichtet regelmäßig von solchen<br />
Entdeckungen.<br />
E<strong>in</strong> echter Geheimtipp ist das<br />
Heimatmuseum Nowosibirsk zwar<br />
nicht,e<strong>in</strong> Besuch lohnt aber dennoch.<br />
Das Museum unterteilt sich <strong>in</strong> drei<br />
Ausstellungen: Der wohl bekannteste<br />
Teil, die historische Ausstellung,<br />
bef<strong>in</strong>det sich direkt gegenüber dem<br />
Len<strong>in</strong>denkmal am Krasny Prospekt 23.<br />
Das sehenswerte Gebäude gehört zu<br />
den ältesten der Stadt und beherbergte<br />
früher e<strong>in</strong> Handelszentrum. Hier wird<br />
der Besucher <strong>in</strong> mehreren Ausstellungsräumen<br />
mit der Geschichte der<br />
Besiedlung Sibiriens und der Entwicklung<br />
Nowosibirsks bekannt gemacht.<br />
Mit Fundstücken archäologischer<br />
Ausgrabungen beg<strong>in</strong>nt die Dauerausstellung.<br />
Die ersten Spuren von<br />
Besiedlung s<strong>in</strong>d bereits etwa 14.000<br />
Jahre alt. E<strong>in</strong> weiterer Raum widmet<br />
sich den verschiedenen Naturvölkern,<br />
die sich <strong>in</strong> Sibirien angesiedelt haben.<br />
Es werden unter anderem Trachten der<br />
Schoren, Nenzen, Dolganen, Jakuten<br />
sowie Kultgegenstände von Schamanen<br />
gezeigt.<br />
Anschaulich geht es weiter: Im<br />
Ausstellungssaal zur Kolonisierung<br />
Sibiriens ist die Wohnstube e<strong>in</strong>es russischen<br />
Bauernhauses nachgestellt.<br />
Man bekommt e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>druck davon,<br />
wie hart das Leben der Bewohner<br />
Sibiriens damals gewesen se<strong>in</strong> muss.<br />
Auch die Geschichte des „asiatischen<br />
Russlands“ als Verbannungsort wird<br />
angerissen.<br />
Mit dem Bau der Transsibirischen<br />
Eisenbahn am Ende des 19. Jahrhunderts<br />
beg<strong>in</strong>nt auch die Geschichte von<br />
<strong>Novosibirsk</strong>, das bis 1925 Nowonikolajewsk<br />
hieß. Auf vielen Fotografien und<br />
alten Stadtplänen kann die Entwicklung<br />
der Hauptstadt Sibiriens verfolgt<br />
werden. Wir erfahren, dass das Telefonnetz<br />
der Stadt 1917 genau 726<br />
Anschlüsse umfasste und können uns<br />
gedanklich an den Schreibtisch e<strong>in</strong>er<br />
orig<strong>in</strong>algetreu ausgestatteten Schreibstube<br />
setzen. Auch gibt es das K<strong>in</strong>der- und<br />
Esszimmer e<strong>in</strong>er aristokratischen Familie<br />
der späten Zarenzeit zu betrachten.<br />
Die Wirren der Oktoberrevolution und<br />
der „Große Vaterländische Krieg“ h<strong>in</strong>terließen<br />
ebenfalls ihre Spuren <strong>in</strong> <strong>Novosibirsk</strong>.<br />
Davon erzählen die beiden letzten<br />
Räume der Ausstellung. Aus der jüngsten<br />
Geschichte der Stadt und der Entwicklung<br />
nach dem Ende der Sowjetunion erfährt<br />
der <strong>in</strong>teressierte Besucher jedoch leider<br />
nichts.<br />
Der naturkundliche Teil des<br />
Museums ist im Erdgeschoss e<strong>in</strong>es<br />
Plattenbaus auf der Woksalnaja Magistral<br />
11 (h<strong>in</strong>ter dem ZUM-Kaufhaus) untergebracht.<br />
Hier wird dem Besucher die<br />
Flora und Fauna des Nowosibirsker<br />
Gebiets näher gebracht. Die Tierwelt der<br />
Steppen- und Waldzone kann beobachtet<br />
werden, ohne dass man befürchten muss,<br />
von den Wölfen, Braunbären und Königsadlern,<br />
denen man begegnet, angefallen<br />
zu werden. Aug' <strong>in</strong> Aug' sieht man sich<br />
e<strong>in</strong>em mannshohen Elch gegenüber.<br />
Fellproben e<strong>in</strong>zelner Tierarten, ja sogar<br />
die Stacheln des Igels laden dazu e<strong>in</strong>,<br />
ertastet zu werden.<br />
Geschützte Naturdenkmäler der Umgebung,<br />
Relief, Bewuchs und geologische<br />
Besonderheiten des Gebiets s<strong>in</strong>d auf<br />
vielen Karten e<strong>in</strong>gezeichnet. Hier f<strong>in</strong>det<br />
man sicher auch Ziele für den nächsten<br />
Sommerausflug <strong>in</strong>s Grüne.<br />
Hauptattraktion aber ist „Mathilde“: e<strong>in</strong><br />
vollständig erhaltenes Mammutskelett,<br />
das K<strong>in</strong>der 1940 beim Spielen entdeckt<br />
haben. E<strong>in</strong> Stoßzahn ragte aus der<br />
Uferböschung e<strong>in</strong>es kle<strong>in</strong>en Flusses. Die<br />
K<strong>in</strong>der gruben ihn aus und nahmen ihn mit<br />
<strong>in</strong> die Schule. 2007 hat „Mathilde“ e<strong>in</strong>en<br />
großen Bruder bekommen: Im Gebiet<br />
Die HistorischeAbteilung des Heimatkundemuseums <strong>in</strong> <strong>Novosibirsk</strong><br />
Nowosibirsk wurde e<strong>in</strong> weiteres<br />
Mammutskelett gefunden. Anlässlich<br />
ihres bevorstehenden 70.<br />
Geburtstages wurde „Mathilde“ <strong>in</strong><br />
diesem Jahr restauriert. Zurzeit ist<br />
ihr e<strong>in</strong>e eigene Wechselausstellung<br />
gewidmet, die nicht nur das Leben<br />
während der Eiszeit, sondern auch<br />
das Leben der späteren Forscher<br />
bei ihren Ausgrabungen zeigt.<br />
K<strong>in</strong>der können sich sogar selbst als<br />
Paläontologen betätigen und mit<br />
Schaufel und P<strong>in</strong>sel prähistorische<br />
Knochen freilegen.<br />
Das heimatkundliche Museum<br />
hat noch e<strong>in</strong>en dritten Teil, der <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Holzhaus aus dem<br />
Jahr 1905 auf der ul. Len<strong>in</strong>a 23 liegt,<br />
gleich neben dem Hotel „Sibir“.<br />
Dieser Teil beschäftigt sich mit dem<br />
Wirken des bedeutenden sowjetischen<br />
Parteifunktionärs Sergej<br />
M. Kirow, der als junger Mann 1908<br />
für e<strong>in</strong>ige Zeit <strong>in</strong> diesem Haus lebte<br />
und arbeitete. Der Gefolgsmann<br />
Stal<strong>in</strong>s und spätere Parteisekretär<br />
von Len<strong>in</strong>grad wurde 1934 unter nie<br />
ganz geklärten Umständen erschossen.<br />
Markus Lange<br />
Historische Abteilung: Mittwoch<br />
bis Freitag 10-18 Uhr, Samstag<br />
und Sonntag 11-19 Uhr, E<strong>in</strong>tritt<br />
40 Rubel, ermäßigt 25 Rubel<br />
Naturkundliche Abteilung:<br />
Mittwoch bis Sonntag 10-18 Uhr,<br />
E<strong>in</strong>tritt 100 Rubel, ermäßigt 50<br />
Rubel<br />
Abteilung „S. M. Kirow <strong>in</strong> Sibirien“:<br />
Mittwoch bis Freitag 10-13<br />
und 14-18 Uhr, E<strong>in</strong>tritt ist frei<br />
Internet: www.museum.nsk.ru
NovoKult 21 NOWOSIBIRSK<br />
Seite 11<br />
Expertise aus 20 Jahren Erfahrung <strong>in</strong> Russland<br />
Die Friedrich-Ebert-Stiftung nun auch <strong>in</strong> Nowosibirsk!<br />
Bereits seit Anfang 2009 ist die<br />
Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) mit<br />
e<strong>in</strong>em Büro <strong>in</strong> <strong>Novosibirsk</strong> präsent.<br />
Bisher ist sie <strong>in</strong>nerhalb der deutschen<br />
Geme<strong>in</strong>schaft jedoch eher weniger <strong>in</strong><br />
Ersche<strong>in</strong>ung getreten. Also wird es<br />
Zeit, die Arbeit der FES <strong>in</strong> Sibirien<br />
e<strong>in</strong>mal zu betrachten; zumal sie über<br />
e<strong>in</strong> <strong>in</strong>teressantes Betätigungsfeld verfügt,<br />
das sich von den anderen deutschen<br />
E<strong>in</strong>richtungen unterscheidet:<br />
nämlich die zivilgesellschaftliche und<br />
soziale Entwicklung Sibiriens zu<br />
unterstützen.<br />
Von dieser Nachfrage waren der<br />
Leiter des FES-Hauptbüros <strong>in</strong> Moskau,<br />
Herr Dr. Re<strong>in</strong>hard Krumm, und die<br />
hiesige Büro-Leiter<strong>in</strong>, Frau Swetlana<br />
Michailowa, sehr erfreut. Dies mag angesichts<br />
des recht allgeme<strong>in</strong> gehaltenen<br />
Informationsanspruches doch<br />
verwundernd se<strong>in</strong>! Aber ganz im Gegenteil<br />
stellt Herr Dr. Krumm heraus,<br />
dass das Gebilde e<strong>in</strong>er parte<strong>in</strong>ahen<br />
Stiftung nicht oft genug erklärt werden<br />
könnte, was unter anderem dem häufigen<br />
Irrtum geschuldet sei, sie für e<strong>in</strong>e<br />
Parteistiftung der SPD zu halten. Die<br />
Parte<strong>in</strong>ähe bedeutet viel mehr, dass<br />
sich die FES den Grundwerten der Sozialdemokratie<br />
verpflichtet, aber natürlich<br />
wie auch jede der anderen<br />
parte<strong>in</strong>ahen Stiftungen durch F<strong>in</strong>anzierung<br />
aus öffentlichen Mitteln e<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong><br />
gesellschaftliche Funktion im<br />
H<strong>in</strong>blick auf politische Bildung und<br />
<strong>in</strong>ternationale Zusammenarbeit erfüllen<br />
soll. Nichtsdestotrotz ist Herrn<br />
Krumm schon e<strong>in</strong> gewisser Stolz anzu-<br />
FES-Büroleiter Swetlana Michailowa und Dr. Re<strong>in</strong>hard Krumm<br />
merken, dass die FES mit ihrer<br />
Gründung im Jahr 1925 die älteste und<br />
zugleich größte parte<strong>in</strong>ahe Stiftung<br />
Deutschlands ist und auch mit Blick auf<br />
die Tätigkeit <strong>in</strong> Russland durch ihre<br />
sozialdemokratischen Pr<strong>in</strong>zipien gut<br />
ankommt. Zudem sei den Russen noch<br />
<strong>in</strong> guter Er<strong>in</strong>nerung, dass die entscheidenden<br />
Schritte <strong>in</strong> Richtung Ostpolitik,<br />
<strong>in</strong> Richtung Sowjetunion und schließlich<br />
auch Russland immer aus der Sozialdemokratie<br />
kamen.<br />
Herr Dr. Krumm gesteht zwar e<strong>in</strong>,<br />
dass die Arbeit der Stiftung <strong>in</strong> der Funktion<br />
e<strong>in</strong>es Art Katalysators zwischen<br />
den staatlichen und gesellschaftlichen<br />
Akteuren nur sehr schwer zu messen<br />
sei. Mit Rückblick auf die nun bereits<br />
20-jährige Tätigkeit der FES <strong>in</strong> Russland<br />
wird von ihm aber dennoch hervorgehoben,<br />
dass man die gesellschaftspolitische<br />
Entwicklung stets an e<strong>in</strong>em<br />
realistischen Bild ausgerichtet habe<br />
und dennoch den vier großen Arbeitsl<strong>in</strong>ien,<br />
nämlich Sozialpolitik, Gewerkschaften,<br />
Zivilgesellschaft und Verständigung<br />
zwischen Europa, Deutschland<br />
und Russland, treu geblieben sei. Anfangs<br />
habe es natürlich nur e<strong>in</strong>e magere<br />
Vorstellung davon gegeben, was es<br />
heißt, e<strong>in</strong> riesiges zerfallenes Reich zu<br />
beraten, sodass zunächst nur e<strong>in</strong>fache<br />
Informationsveranstaltungen <strong>in</strong> den betreffenden<br />
Themenbereichen durchgeführt<br />
wurden. In dem Maße wie aber<br />
Russland e<strong>in</strong>en enormen Veränderungsprozess<br />
durchgemacht hat, so habe<br />
sich auch die Tätigkeit der Stiftung<br />
entwickelt. Heutzutage wird bereits e<strong>in</strong><br />
von großem Verständnis für e<strong>in</strong>ander<br />
geprägter Sozialdialog geführt.<br />
Im Bewusstse<strong>in</strong> dieser Tatsache<br />
habe man zugleich erkannt, dass man<br />
mit FES-Repräsentanzen <strong>in</strong> Moskau<br />
und St. Petersburg dem aktuellen<br />
Russland und auch der damit verbundenen<br />
Verantwortung gegenüber dem<br />
deutschen Steuerzahler nicht mehr gerecht<br />
wurde. Mit dem Ziel e<strong>in</strong>er räumlichen<br />
Erweiterung bot sich <strong>Novosibirsk</strong><br />
aufgrund se<strong>in</strong>er geografischen Lage<br />
und großen ethnischen Pluralität als<br />
e<strong>in</strong> Standort an, von dem aus auch die<br />
Arbeit <strong>in</strong> die Regionen Sibiriens und<br />
des Fernen Ostens h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>reichen<br />
kann; zudem gibt es doch gleichwohl<br />
soziale Prozesse, die für ganz Russland<br />
typisch s<strong>in</strong>d: Reformen und Modernisierung,<br />
denen ger<strong>in</strong>ge Geburtsraten,<br />
die Abwanderung von jungen<br />
Leuten und e<strong>in</strong> Anwachsen der sozialen<br />
Unsicherheit gegenüberstehen.<br />
Bezüglich dieser stehen <strong>in</strong> <strong>Novosibirsk</strong><br />
besonders die Sozialarbeit als e<strong>in</strong><br />
traditionelles Aufgabenfeld der FES,<br />
als auch die Zivilgesellschaft auf dem<br />
Plan. Letztere bedarf nach den Worten<br />
von Dr. Krumm besonders e<strong>in</strong>er Stärkung,<br />
da gerade <strong>in</strong> Zeiten der Krise nur<br />
durch freiwilliges Engagement der Bürger<br />
dem Staat unter die Arme gegriffen<br />
werden kann. Trotz Zweifeln auf Seiten<br />
der staatlichen Akteure nach den bunten<br />
Revolutionen bedeute Zivilgesellschaft<br />
nämlich nicht gegen den Staat<br />
zu arbeiten, sondern mit dem Staat zu<br />
arbeiten oder zum<strong>in</strong>dest ihn, wenn es<br />
dann notwendig sei, zu beraten.<br />
Aus den ersten Erkenntnissen<br />
verschiedener wissenschaftlicher Konferenzen,<br />
Gesprächsrunden und Sem<strong>in</strong>aren<br />
sieht Frau Michailowa für die weitere<br />
Entwicklung der Zivilgesellschaft <strong>in</strong><br />
Russland noch viel Raum. Im Vergleich<br />
zu ihrer Jugend habe sie jedoch schon<br />
viele Gegenbeispiele erlebt, die mehr<br />
<strong>in</strong> praktischer H<strong>in</strong>sicht belegen, dass<br />
sich mehr Jugendliche und Studenten<br />
für Veranstaltungen motivieren lassen<br />
und auf Grundlage dieser Anreize <strong>in</strong><br />
der Region bleiben.<br />
Aktuell bereitet die FES <strong>in</strong> <strong>Novosibirsk</strong><br />
unter anderem den Aufbau e<strong>in</strong>es<br />
Jugenddiskussionsklubs vor, <strong>in</strong><br />
dem Themen frei nach Interesse der<br />
Teilnehmer besprochen werden sollen.<br />
Die dadurch stetige Verbesserung des<br />
Diskussionsverhalten könne auch als<br />
Teil e<strong>in</strong>er fortschrittlichen Zivilgesellschaft<br />
gesehen werden.<br />
Christoph Bönig
Seite 12 TITELTHEMA<br />
NovoKult 21<br />
Chronik 1989<br />
19. Januar: Erich Honecker,<br />
DDR-Staatsoberhaupt, sagt:<br />
„Die Mauer wird noch <strong>in</strong> 50 und<br />
100 Jahren stehen!“ Später im<br />
Jahr hört man noch von ihm:<br />
„Den Sozialismus <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Lauf<br />
hält weder Ochs noch Esel auf.“<br />
2. Mai: Ungarn verspricht den<br />
Abbau der Grenzanlagen zu<br />
Österreich. Am 27. Juni schneiden<br />
die Außenm<strong>in</strong>ister der beiden<br />
Länder e<strong>in</strong>e Lücke <strong>in</strong> den<br />
„Eisernen Vorhang“. Am 19.<br />
August flüchten 700 DDR-<br />
Bürger bei e<strong>in</strong>em Picknick von<br />
Ungarn nach Österreich. Nachdem<br />
sich diese Grenze am 11.<br />
September offiziell öffnet, flüchten<br />
Tausende weitere DDR-<br />
Bürger.<br />
7. Mai: In der DDR f<strong>in</strong>den Kommunalwahlen<br />
statt. Nach Wahlfälschungen<br />
demonstrieren <strong>in</strong><br />
Leipzig 1000 Menschen. Daraus<br />
entwickeln sich ab dem 4. September<br />
die Montagsdemonstrationen,<br />
an der am 16. Oktober<br />
100.000 Menschen teilnehmen.<br />
30. September: Nachdem<br />
wochenlang DDR-Bürger <strong>in</strong> die<br />
BRD-Botschaften von Warschau<br />
und Prag geflüchtet waren,<br />
dürfen diese plötzlich ausreisen.<br />
Mit Zügen fahren 17.000<br />
Flüchtl<strong>in</strong>gen durch die DDR <strong>in</strong><br />
die BRD.<br />
7. Oktober: Am 40. Jahrestag<br />
der Gründung der DDR sichert<br />
die Polizei mit großen Aufwand<br />
die Feiern. Der sowjetische<br />
Staatschef Gorbatschow äußert<br />
sich kritisch.<br />
1989 viel die <strong>in</strong>nerdeutsche Mauer.<br />
E<strong>in</strong> großes Ereignis von weltpolitischer<br />
Bedeutung – ke<strong>in</strong>e Frage. Auch wenn<br />
es im Osten und Westen Deutschlands<br />
bis heute kritische Stimmen gibt, so ist<br />
vor 20 Jahren Unglaubliches geschehen!<br />
Denn was 1989 für Viele ganz<br />
selbstverständlich war – Freiheit für alle<br />
– ist heute leider e<strong>in</strong>e Utopie. E<strong>in</strong> paar<br />
Beispiele ...<br />
Alltägliche Mauern: Überall Mauern<br />
und Zäune. Unser NovoKult-Titelbild<br />
zeigt e<strong>in</strong>ige Beispiele <strong>in</strong> Nowosibirsk,<br />
die seit Jahren die Stadt verschandeln.<br />
Und mit jedem neu gebauten<br />
„ Elitny Dom“<br />
verschw<strong>in</strong>det weiterer<br />
öffentlicher Raum – um das Haus wird<br />
e<strong>in</strong> Zaun gesetzt, Höfe werden geteilt,<br />
Wege abgetrennt. Werden unsere K<strong>in</strong>der<br />
noch wie heute im Nachbarhof<br />
spielen können Oder wird dort schon<br />
e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>gezäunter Parkplatz se<strong>in</strong><br />
Mauern zwischen Ländern: Die<br />
Mauer zwischen der DDR und der BRD<br />
ist weg. Aber Nord- und Südkorea s<strong>in</strong>d<br />
bis heute getrennt, ebenso das griechische<br />
und türkische Zypern. Und<br />
sogar neue Mauern werden gebaut –<br />
Israel errichtet auf paläst<strong>in</strong>ensischem<br />
Boden e<strong>in</strong>e meterhohe Sperrwand, um<br />
sich vor Terroristen zu schützen. Verständlicher<br />
Wunsch, aber wo bleibt die<br />
Freiheit der betroffenen Menschen<br />
Mauern gegen Touristen: Vor 20<br />
Jahren fanden es nahezu alle Westdeutschen<br />
selbstverständlich, dass<br />
Ostdeutsche durch die Welt reisen<br />
E<strong>in</strong>e Mauer ist weg<br />
Kritische Gedanken zum Mauerfall<br />
wollten – „ Reisefreiheit“<br />
war e<strong>in</strong>e der<br />
Forderungen der DDR-Opposition.<br />
Heute schirmt sich Europa ab. Reisefreiheit<br />
ja, aber nicht für Russen, Asiaten,<br />
Südamerikaner oder gar Afrikaner.<br />
Ohne E<strong>in</strong>ladung oder viel Geld – ke<strong>in</strong><br />
Visum! Ist dies die Reisefreiheit, die wir<br />
<strong>Deutsche</strong>n für uns selbst erwarten<br />
Mauern gegen Migranten: Waren<br />
die DDR-Flüchtl<strong>in</strong>ge vor 20 Jahren<br />
noch willkommen, so haben heute<br />
Flüchtl<strong>in</strong>ge ke<strong>in</strong>e Chance mehr. Die<br />
Asylrechte s<strong>in</strong>d so perfekt, dass <strong>in</strong> fast<br />
allen Fällen e<strong>in</strong>e Abschiebung droht.<br />
Und sowieso kommt kaum noch<br />
jemand bis Europa – Afrikaner werden<br />
schon im Mittelmeer oder Atlantik abgefangen,<br />
selbst mit dem Risiko, dass<br />
sie jämmerlich im Meer ersaufen!<br />
Doch nicht nur Europa schottet sich<br />
ab. Auch <strong>in</strong> Russland würden viele am<br />
liebsten e<strong>in</strong>e zweite ch<strong>in</strong>esische Mauer<br />
an der Grenze zum großen südlichen<br />
Nachbar bauen.<br />
Mauern <strong>in</strong> den Köpfen: Viele<br />
dieser Beispiele s<strong>in</strong>d für uns ganz<br />
selbst verständlich. In Deutschland<br />
haben rund e<strong>in</strong> Fünftel der Bevölkerung<br />
Wurzeln im Ausland, auch <strong>in</strong><br />
Russland s<strong>in</strong>kt der Anteil der Russen –<br />
dies beunruhigt uns und macht die<br />
Mauer <strong>in</strong> unseren Köpfen höher.<br />
Doch wir müssen uns fragen, wo<br />
unsere Ideale von vor 20 Jahren geblieben<br />
s<strong>in</strong>d. Was damals für uns galt,<br />
sollte eigentlich für alle Menschen<br />
gelten. Eigentlich.<br />
Norbert Schott<br />
17. Oktober: Erich Honecker<br />
wird abgesetzt, Egon Krenz soll<br />
vorsichtige Reformen ermöglichen.<br />
Auf e<strong>in</strong>er Großdemo <strong>in</strong><br />
Berl<strong>in</strong> reden am 4. November<br />
auch DDR-Politiker, sie werden<br />
jedoch ausgepfiffen.<br />
9. November: Auf e<strong>in</strong>er Pressekonferenz<br />
wird verkündet, dass<br />
man ab sofort <strong>in</strong>s westliche Ausland<br />
reisen darf. Tausende überqueren<br />
noch <strong>in</strong> der gleichen<br />
Nacht die Grenze. Die Mauer ist<br />
gefallen.<br />
Ne<strong>in</strong>, nicht die Berl<strong>in</strong>er Mauer, sondern die israelische Sperranlage bei Bethlehem
NovoKult 21 TITELTHEMA<br />
Seite 13<br />
So hat Deutschland gefeiert<br />
20 Jahre nach dem Fall der Mauer wurde <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> viel veranstaltet<br />
In Berl<strong>in</strong> wurde der Mauerfall mit<br />
e<strong>in</strong>em „ Fest der Freiheit“<br />
begangen.<br />
Höhepunkt war e<strong>in</strong>e Dom<strong>in</strong>oaktion:<br />
Fast 1000 symbolische Ste<strong>in</strong>e – jeweils<br />
2,50 Meter hoch und e<strong>in</strong>en Meter breit<br />
– wurden auf e<strong>in</strong>er Strecke von etwa<br />
1,5 Kilometern vom Reichstagsufer<br />
über das Brandenburger Tor bis zum<br />
Potsdamer Platz aufgestellt. Jugendliche<br />
konnten die Ste<strong>in</strong>e bemahlen,<br />
dabei halfen namhafte Persönlichkeiten,<br />
wie Nelson Mandela, Lech<br />
Walesa, Frank-Walter Ste<strong>in</strong>meier (bis<br />
September deutscher Außenm<strong>in</strong>ister)<br />
oder Klaus Wowereit (Berl<strong>in</strong>s Bürgermeister)<br />
Die Ste<strong>in</strong>e symbolisierten die Mauer<br />
um Westberl<strong>in</strong>, die tatsächlich 155<br />
Kilometer lang war. Ähnlich dem historischen<br />
Vorbild, durfte der polnischen<br />
Solidarnosz-Gründer Lech Walensa<br />
den ersten Ste<strong>in</strong> antippen – die politischen<br />
Änderungen der 1980er Jahre<br />
starteten dank der polnischen Gewerkschaften.<br />
E<strong>in</strong> anderer Höhepunkt war das<br />
Theaterspektakel „Le rendez-vous de<br />
Berl<strong>in</strong> – Das Wiedersehen von Berl<strong>in</strong>“,<br />
welches im Oktober aufgeführt wurde.<br />
Die französische Straßentheater-<br />
Compagnie er<strong>in</strong>nerte mit ihrem Riesen-Märchen<br />
von Trennung und<br />
Wiederf<strong>in</strong>den auf e<strong>in</strong>zigartige Weise an<br />
die friedliche Revolution von 1989.<br />
Der Große Riese und se<strong>in</strong>e Nichte,<br />
die Kle<strong>in</strong>e Ries<strong>in</strong>, – zwei meterhohe<br />
Puppen – bewegten sich durch Berl<strong>in</strong><br />
und fanden zue<strong>in</strong>ander. Während die<br />
Kle<strong>in</strong>e Ries<strong>in</strong> mit e<strong>in</strong>em Boot ihren<br />
Onkel suchte, tauchte dieser im<br />
Humboldthafen aus dem trüben Was-<br />
ser der Spree auf. Die Geschichte sollte<br />
natürlich die Wiedervere<strong>in</strong>igung<br />
symbolisieren.<br />
Dutzende Helfer bewegten die zwei<br />
Figuren durch Berl<strong>in</strong> und spielten so<br />
<strong>in</strong>mitten der E<strong>in</strong>wohner und Gäste<br />
großartiges Straßentheater.<br />
mauerfall09.de,<br />
riesen-<strong>in</strong>-berl<strong>in</strong>.de
Seite 14 TITELTHEMA<br />
NovoKult 21<br />
Me<strong>in</strong> erster Tag im Osten<br />
Die Klofrau im Centrum-Warenhaus – Er<strong>in</strong>nerungen an e<strong>in</strong>e vergangene Zeit<br />
Über „me<strong>in</strong>“ Mauerfallerlebnis zu<br />
schreiben, fällt mir nicht leicht. E<strong>in</strong>mal<br />
gehöre ich zu e<strong>in</strong>er Generation, die zu<br />
diesem Zeitpunkt eher mit Schulnoten<br />
und Haare wachsen lassen<br />
beschäftigt war. Zum Anderen<br />
b<strong>in</strong> ich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gegend<br />
Deutschlands groß geworden,<br />
an der der Mauerfall<br />
bis heute nahezu spurlos<br />
vorübergegangen ist. Dennoch<br />
möchte ich von e<strong>in</strong>em<br />
Erlebnis berichten, welches<br />
mir kurz nach dem Mauerfall<br />
<strong>in</strong> der damals noch existierenden<br />
DDR passiert ist:<br />
me<strong>in</strong> erstes Zusammentreffen<br />
mit e<strong>in</strong>er ostdeutschen<br />
Klofrau.<br />
Nun ist es nicht so, dass<br />
Toilettendamen mir etwas<br />
völlig Fremdes waren – die<br />
Tellerchen <strong>in</strong> öffentlichen<br />
WCs auf die man se<strong>in</strong>e 30<br />
Pfennige legte und die dah<strong>in</strong>ter<br />
sitzendenden, meist<br />
rauchenden Frauen mit<br />
ihrer unnatürlichen Haarfarbe,<br />
waren mir durchaus bekannt.<br />
Dennoch war das Erlebnis<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Kaufhaus <strong>in</strong><br />
Plauen für mich traumatisch.<br />
Nach Plauen hatten<br />
me<strong>in</strong>e Familie und ich im Januar<br />
1990 e<strong>in</strong>en Tagesausflug<br />
unternommen und als<br />
wir durch e<strong>in</strong> Kaufhaus bummelten<br />
musste ich plötzlich<br />
dr<strong>in</strong>gend zur Toilette. Me<strong>in</strong>e<br />
Mutter drückte mir die üblichen<br />
30 Pfennige <strong>in</strong> die Hand und sagte,<br />
sie würde mit me<strong>in</strong>en Geschwistern<br />
auf mich warten.<br />
Mutig beschritt ich den Toilettenraum<br />
als mich e<strong>in</strong>e Frau unglaublichen<br />
körperlichen Ausmaßes aufhielt. „Groß<br />
oder kle<strong>in</strong>“, fragten ihre neonrosafarbenen<br />
Lippen. Nun ist das e<strong>in</strong>e Frage,<br />
die sich mit neun Jahren nicht so e<strong>in</strong>fach<br />
beantworten lässt. Für die e<strong>in</strong>en<br />
ist man schon groß, für andere noch<br />
kle<strong>in</strong>. Für manche sogar beides, je<br />
nachdem ob man abends wach bleiben<br />
wollte oder abgetrocknet werden<br />
musste.<br />
Dies waren die Gedanken, die mir <strong>in</strong><br />
Plauen auf der Warenhaustoilette<br />
durch den Kopf schossen, als die<br />
Dame ihre Frage wiederholte. „Nun“,<br />
dachte ich, „ich sag e<strong>in</strong>fach me<strong>in</strong> Alter,<br />
soll sie rausf<strong>in</strong>den, ob ich groß oder<br />
kle<strong>in</strong> b<strong>in</strong>.“ „Ich b<strong>in</strong> neun,“ sagte ich, <strong>in</strong><br />
me<strong>in</strong>er Er<strong>in</strong>nerung, tapfer.<br />
„Groß oder kle<strong>in</strong>“, wiederholte<br />
die mächtige Frau ihre<br />
Frage. Das war zu viel. Ich<br />
holte me<strong>in</strong>e Mutter und erklärte<br />
ihr, dass e<strong>in</strong>e Frau auf<br />
der Toilette mir komische<br />
Fragen stellte. Dann schritten<br />
wir geme<strong>in</strong>sam zu<br />
Toilette. „Kle<strong>in</strong>“, beantwortete<br />
me<strong>in</strong>e Mutter die<br />
Frage der Toilettendame,<br />
welche ihr daraufh<strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />
kle<strong>in</strong>es Stück Toilettenpapier<br />
reichte. „Aha, dachte<br />
ich noch kurz, „hier ist es<br />
also wie beim Länger-<br />
Wach-Bleiben.“ Dann zog<br />
aber auch schon die mir<br />
völlig fremde Konstruktion<br />
e<strong>in</strong>er Klospülung me<strong>in</strong>e<br />
Aufmerksamkeit auf sich.<br />
Auf dem Heimweg erklärte<br />
me<strong>in</strong>e Mutter, die<br />
Frau teile das Papier deswegen<br />
genau zu, dass nie<br />
mand damit die Toilette verstopfen<br />
oder sie sonst wie<br />
verschmutzen könne. Bis<br />
heute b<strong>in</strong> ich mir nicht<br />
sicher, ob diese Erklärung<br />
wirklich zutrifft, aber wenn<br />
es so war, und dieser<br />
Gedanke kommt mir jedes<br />
mal, wenn ich <strong>in</strong> Deutschland<br />
auf e<strong>in</strong>er öffentlichen<br />
Toilette b<strong>in</strong>, hätte die Frage der<br />
Toilettenfrauen nach der Größe des zu<br />
verrichtenden Geschäfts und die damit<br />
e<strong>in</strong>hergehende Zuteilung des Papiers<br />
neben dem Grünpfeil die DDR<br />
durchaus überleben können.<br />
Lena Reißig<br />
медиотека<br />
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NovoKult 21 TITELTHEMA<br />
Seite 15<br />
Me<strong>in</strong> erster Tag im Westen<br />
Mit dem Trabant über die Grenze – prägende Erlebnisse<br />
Da ich nur wenige Meter neben der ehemaligen Grenze aufgewachsen<br />
b<strong>in</strong>, habe ich an den Tag, an dem ich mit me<strong>in</strong>er Familie zum<br />
ersten Mal <strong>in</strong> den Westen gefahren b<strong>in</strong>, ziemlich deutliche Er<strong>in</strong>nerungen.<br />
Zum<strong>in</strong>dest dachte ich das bis zu dem Zeitpunkt, als ich die Aufzeichnungen<br />
me<strong>in</strong>er Großmutter las und feststellte, dass diese mit<br />
me<strong>in</strong>em eigenen Erlebnis nur zum Teil übere<strong>in</strong>stimmten. Aber als<br />
Achtjährige hat man e<strong>in</strong>e andere Wahrnehmung.<br />
In der sogenannten „Sperrzone“, <strong>in</strong> der wir zu diesem Zeitpunkt<br />
noch lebten, war e<strong>in</strong> Aufenthalt für Besucher nur mit e<strong>in</strong>em Passier<br />
sche<strong>in</strong> möglich und nach dem Mauerfall <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> hoffte man auch bei<br />
uns auf e<strong>in</strong>e leichtere E<strong>in</strong>- und Ausreise. Für Fußgänger war der Gang<br />
<strong>in</strong> den Westen bereits möglich, doch um mit dem Auto die Grenze passieren<br />
zu können, mussten wir uns noch bis zum 12. November 1989<br />
gedulden. In der Nacht zuvor hatten me<strong>in</strong>e Eltern bemerkt, dass an<br />
e<strong>in</strong>em alten Autobahnteilstück gearbeitet wurde, um e<strong>in</strong>e Öffnung im<br />
„Zehnmeterstreifen“ zu schaffen. Um sechs Uhr morgens gab es dann<br />
schon e<strong>in</strong>e Schlange von etwa 100 Autos, <strong>in</strong> der auf die für 10 Uhr<br />
angekündigte Grenzöffnung gewartet wurde und auch wir unseren Trabant<br />
e<strong>in</strong>reihten. Doch zunächst gab es noch e<strong>in</strong> ordentliches Frühstück<br />
für die ganze Familie, schließlich wohnten wir nur 200 Meter<br />
entfernt und hatten die ganze Sache vom Fenster aus gut im Blick.<br />
Um halb zehn stiegen auch wir endlich <strong>in</strong> unserAuto, also me<strong>in</strong>e Eltern,<br />
me<strong>in</strong>e Großmutter, me<strong>in</strong> Bruder (der erst drei Monate alt war)<br />
und ich. Für die Urgroßmutter war <strong>in</strong> dem kle<strong>in</strong>en Trabant ke<strong>in</strong> Platz<br />
mehr, aber sie kannte den Westen bereits durch e<strong>in</strong>ige Reisen zu<br />
Verwandten, die für sie als Rentner<strong>in</strong> schon vor 1989 möglich waren<br />
und von denen sie immer Nutella, Nesquick und „Lustige Taschenbücher“<br />
für mich mitbrachte. Da ich vor allem diese D<strong>in</strong>ge mit dem<br />
Westen <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung brachte, war es für mich etwas enttäuschend,<br />
dass me<strong>in</strong>e Eltern die 100 D-Mark Begrüßungsgeld, die wir im hessischen<br />
Nachbarort erhielten, nicht gleich dafür ausgaben. Rückblickend<br />
verstehe ich jetzt auch die Anwesenheit me<strong>in</strong>es neugeborenen<br />
Bruders, denn das Geld wurde pro Person verteilt.An sich war diese<br />
Fahrt <strong>in</strong>s Ungewisse mit e<strong>in</strong>em quengelnden Baby bei w<strong>in</strong>terlichen<br />
Temperaturen für uns alle ziemlich anstrengend und an e<strong>in</strong>e Rückreise<br />
gegen den Strom bei dem Verkehrchaos auch nicht zu denken. Da<br />
es zu diesem Zeitpunkt unklar war, ob die Grenzöffnung dauerhaft<br />
se<strong>in</strong> sollte oder ob es nur e<strong>in</strong>e Besuchsregelung geben würde, fuhren<br />
wir kurzentschlossen zu Verwandten <strong>in</strong> das nahe gelegene Rotenburg<br />
an der Fulda, um uns das Leben im anderen Teil Deutschlands<br />
anzusehen. Obwohl nur etwa 20 Kilometer entfernt, dauerte die<br />
Rückfahrt am Abend mehrere Stunden und es wurde schnell kalt im<br />
Auto. Durch das DRK wurden wir aber mit warmen Getränken versorgt<br />
und kamen schließlich mitten <strong>in</strong> der Nacht wieder zu Hause an. Am<br />
nächsten Morgen g<strong>in</strong>g ich dann wie immer zur Schule und me<strong>in</strong>e<br />
Eltern zurArbeit, doch wir hatten e<strong>in</strong>iges zu erzählen ...<br />
Alexandra Wiegand<br />
10:20 Uhr: Grenzöffnung<br />
11:30 Uhr: Begrüßung im Westen<br />
17:00 Uhr:Autoschlange bei der Rückreise<br />
Me<strong>in</strong> erster Tag <strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong><br />
Obwohl ich mich <strong>in</strong>zwischen davon<br />
überzeugt habe, dass die Vorteile der<br />
Bundesrepublik die der DDR mehr als<br />
deutlich aufwiegen, muss ich sagen,<br />
dass mir me<strong>in</strong> erster Tag „im Westen“<br />
ziemlicher Re<strong>in</strong>fall <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung geblieben<br />
ist. Dabei begann er sehr viel<br />
versprechend. Es war der 10. November<br />
1989 und mir wurde beim Frühstück<br />
mitgeteilt, dass ich heute nicht zur<br />
Schule gehen würde, damit die ganze<br />
Familie zusammen „nach drüben“ fahren<br />
könnte. Damit war ich pr<strong>in</strong>zipiell<br />
sehr e<strong>in</strong>verstanden, allerd<strong>in</strong>gs erwarteten<br />
mich am Grenzübergang Bornholmer<br />
Straße gefühlte sieben kalte<br />
Stunden Wartezeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er erdrückend<br />
engen Menge erwachsener Riesenmenschen.<br />
Als wir auf der anderen Seite<br />
waren, fühlte ich mich sofort betrogen<br />
von den Fernsehsendern SAT1<br />
und RTLPlus, die mir durch ihre Milchschnitte-Werbespots<br />
e<strong>in</strong>en weitaus<br />
glanzvolleren „Westen“ versprochen<br />
hatten, als es der Bezirk Wedd<strong>in</strong>g an e<strong>in</strong>em<br />
trüben Novembertag halten konnte.<br />
Naja, diese Gegend war und ist nicht<br />
gerade die Perle Berl<strong>in</strong>s. Mit dem darauf<br />
folgenden, andauernden Schlange<br />
Stehen nach Geschenktüten, die so<br />
langweilige D<strong>in</strong>ge wie Obst, Kaffee<br />
oder Glückwunschkarten enthielten, sowie<br />
nach den unvermeidlichen 100 D-<br />
Mark Begrüßungsgeld pro Kopf hatte<br />
Westberl<strong>in</strong> kaum Bemerkenswertes für<br />
die siebenjährige Kathr<strong>in</strong> zu bieten.<br />
Kathr<strong>in</strong> König
Seite 16 NACHLESE<br />
NovoKult 21<br />
Buchvorstellung<br />
Gescheiterte Hoffnungen<br />
Genau zum<br />
zehnjährigen<br />
Bestehen des<br />
Generalkonsulates<br />
der Bundes<br />
republik<br />
Deutschland <strong>in</strong><br />
Nowosibirsk erschien<br />
am 1.<br />
Juli 2004 die<br />
deutsche Übersetzung<br />
e<strong>in</strong>er<br />
Monographie der Nowosibirsker Historiker<br />
Larissa und Sergej Belkowez im<br />
Verlag Klartext.<br />
Die deutsche Übersetzung und<br />
Bearbeitung wurde von Gero Fedtke<br />
am Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte<br />
der Ruhruniversität Bochum<br />
gefertigt, Herausgeber ist Prof. Dr.<br />
Bernd Bonwetsch.<br />
Aus dem Klappentext: „Zu den<br />
unbekannten Seiten der Geschichte<br />
der Beziehungen zwischen der Sowjetunion<br />
und Deutschland gehören die<br />
konsularischen Vertretungen. Das<br />
Buch untersucht die Tätigkeit des<br />
Konsulats <strong>in</strong> Nowosibirsk.<br />
Zu den Tätigkeitsfeldern der Vertretung<br />
gehörten <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie Kontakte<br />
zu den sowjetischen Behörden, das<br />
Problem der ehemaligen Kriegsgefangenen,<br />
die sich noch <strong>in</strong> Sibirien befanden,<br />
die Unterstützung wirtschaftlicher<br />
und kultureller Verb<strong>in</strong>dungen zwischen<br />
Deutschland und der Sowjetunion,<br />
die Kontakte zur deutschen<br />
M<strong>in</strong>derheit <strong>in</strong> Sibirien, die Fürsorge für<br />
die Kollektivierungsopfer deutscher<br />
Herkunft, die Versorgung der deutschen<br />
Industriekolonie <strong>in</strong> Sibirien und<br />
der Schutz deutscher Staatsbürger<br />
während des Terrors der dreißiger<br />
Jahre.<br />
Die Geschichte des Konsulats <strong>in</strong><br />
Sibirien wird vor dem H<strong>in</strong>tergrund der<br />
deutsch-sowjetischen Beziehungen<br />
dargestellt: der Verschiedenheit beider<br />
gesellschaftlicher und ideologischer<br />
Systeme, der Gegenüberstellung beider<br />
diktatorischer totalitärer Regime<br />
nach 1933 und der Folgen des forcierten<br />
sozialistischen Aufbaus und der<br />
Massenrepressalien <strong>in</strong> der Sowjetunion.<br />
E<strong>in</strong> besonderesAugenmerk richten<br />
die Autoren dabei auf die rechtliche<br />
Ausgestaltung der konsularischen<br />
Beziehungen zwischen Deutschland<br />
und der Sowjetunion und deren Übere<strong>in</strong>stimmung<br />
mit <strong>in</strong>ternationalem<br />
Recht. “<br />
Briefe aus der (zweiten) Heimat<br />
Junge Leute schreiben im Städteblog<br />
Im Städteblog der Seite www.to4katreff.de<br />
schreiben junge Leute über verschiedene<br />
Städte <strong>in</strong> Russland, Osteuropa,<br />
Zentralasien und Deutschland. E<strong>in</strong>ige<br />
von ihnen s<strong>in</strong>d für e<strong>in</strong>ige Monate<br />
zu Besuch – Austauschschüler, Studenten<br />
oder Praktikanten. Andere s<strong>in</strong>d<br />
schon ihr ganzes Leben <strong>in</strong> dieser Stadt<br />
zu Hause. Sie erzählen mit Worten und<br />
Bildern von ihrem Alltag – skuriles,<br />
schönes, nachdenklich machendes,<br />
Aufsehen erregendes oder eben e<strong>in</strong>fach<br />
alltägliches.<br />
Oxanna Zenner kommt aus <strong>Novosibirsk</strong>.<br />
Sie hat dort studiert und als<br />
Journalist<strong>in</strong> bei unterschiedlichen<br />
Pr<strong>in</strong>tmedien und e<strong>in</strong>em Fernsehsender<br />
gearbeitet. Seit fünf Jahren hat sie e<strong>in</strong><br />
neues zu Hause <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> gefunden.<br />
Berl<strong>in</strong> ist für sie die fasz<strong>in</strong>ierendste<br />
Stadt, reich an Kultur und verrückten<br />
Ereignissen.<br />
Der Dresdner Norbert Schott, Redakteur<br />
der NovoKult, f<strong>in</strong>det se<strong>in</strong>e<br />
neue Heimat Nowosibirsk fasz<strong>in</strong>ierend<br />
und versucht, sie se<strong>in</strong>en Freunden <strong>in</strong><br />
Deutschland zu erklären.<br />
Ewgenija Koptjug ist <strong>in</strong> Akademgorodok<br />
(Nowosibirsk) aufgewachsen<br />
und hat Journalistik und Deutsch an der<br />
NGU studiert. Ihre Leidenschaft s<strong>in</strong>d<br />
Fremdsprachen, neue Kontakte und<br />
Reisen – e<strong>in</strong>fach alles zusammen! Momentan<br />
studiert sie Journalistik und<br />
Kommunikationswissenschaft <strong>in</strong> Hamburg<br />
– e<strong>in</strong>e Stadt, die sie jeden Tag<br />
<strong>in</strong>spiriert. Die Stadt hat e<strong>in</strong>en wirklich<br />
besonderen Charme, den sie die Leser<br />
des Blogs gerne näher br<strong>in</strong>gen möchte.<br />
Ir<strong>in</strong>a Posrednikova – Vielen aus<br />
der Jugendorganisation „Sibirischer<br />
Bär“ oder der NovoKult bekannt – hat<br />
elf Jahre <strong>in</strong> Nowosibirsk gelebt, dort Mathematik<br />
an der NGU studiert. Momentan<br />
ist sie für sechs Monate <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>.<br />
Diese vier und viele andere Autoren<br />
berichten über ihre Erfahrung unter<br />
blog.goethe.de/staedteblog. Um sich<br />
als Städteblogger zu bewerben, kann<br />
man sich an bei To4ka-Treff wenden.<br />
Kurt Tucholsky 1919 über Berl<strong>in</strong>:<br />
„Der Berl<strong>in</strong>er hat ke<strong>in</strong>e Zeit […]. Er hat<br />
immer etwas vor, er telefoniert und<br />
verabredet sich, kommt abgehetzt zu<br />
e<strong>in</strong>er Verabredung und etwas zu spät –<br />
und hat sehr viel zu tun. In dieser Stadt<br />
wird nicht gearbeitet – hier wird<br />
geschuftet. (Auch das Vergnügen ist<br />
hier e<strong>in</strong>e Arbeit, zu der man sich vorher<br />
<strong>in</strong> die Hände spuckt, und von dem man<br />
etwas haben will.) […]“.<br />
Ir<strong>in</strong>a Posrednikova 2009 über<br />
Berl<strong>in</strong>: „Die ,Berl<strong>in</strong>er Zeit‘ tickt wirklich<br />
erbarmungslos. Sie verwehrt e<strong>in</strong>em die<br />
Möglichkeit, sich h<strong>in</strong>zusetzen, nachzudenken<br />
und die letzten Ereignisse<br />
des turbulenten Auslandslebens niederzuschreiben.<br />
Zum Beispiel über den<br />
ersten deutschen Urlaub, über die<br />
Fahrten <strong>in</strong> das nette Prag und das unfreundliche<br />
Rom, die Teilnahme an den<br />
14. Deutsch-Russischen Herbstgesprächen,<br />
an der <strong>in</strong>ternationalen Messe<br />
für Sprachen und Kulturen ,Expol<strong>in</strong>gua‘,<br />
auf der Spanisch klar überwog,<br />
über die Schriftsteller<strong>in</strong> Merle Hilbk, die<br />
anstehende Reise nach Moskau. Und<br />
sie erlaubt zum Beispiel auch ke<strong>in</strong>en<br />
spontanen Ausflug nach Spandau, um<br />
die Zitadelle dort anzusehen. Jaja, man<br />
muss sich eben e<strong>in</strong>fach zusammenreißen<br />
und solche Sachen <strong>in</strong> Angriff<br />
nehmen ... .“<br />
Warum <strong>in</strong> Schwer<strong>in</strong> stehen auf den Strassen Nashörner Auf den Schwer<strong>in</strong>er Straßen fallen e<strong>in</strong>em<br />
sofort die fröhlich-bunten Nashörner <strong>in</strong>s Auge. Der erste Gedanke dazu ist: Diese Nashörner s<strong>in</strong>d wohl<br />
e<strong>in</strong> Symbol Schwer<strong>in</strong>s, so wie der Bär e<strong>in</strong> Symbol für Berl<strong>in</strong> ist. Aber dem ist absolut nicht so. Denn all<br />
das liegt an Clara ... (mehr dazu im Städteblog)
NovoKult 21 NACHLESE<br />
Seite 17<br />
Weihnachtsmann <strong>in</strong> Sibirien<br />
E<strong>in</strong> junger Redakteur traf e<strong>in</strong>en bärtigen Mann im Schnee<br />
Christstollen<br />
E<strong>in</strong>e deutsche Tradition<br />
Seit 2007 veranstalten verschiedene<br />
deutsche Organisationen<br />
<strong>in</strong> Nowosibirsk geme<strong>in</strong>sam<br />
e<strong>in</strong>en Weihnachtsmarkt.<br />
Beim diesjährigen Basar gab es<br />
erstmals e<strong>in</strong> reichhaltiges<br />
Kulturprogramm, dazu wie auch<br />
<strong>in</strong> den Vorjahren Verkaufsstände<br />
für traditionelle Getränke, Gebäck<br />
und Bastelarbeiten. Etwas<br />
500 Besucher kamen vorbei –<br />
und so wird es auch 2010 wieder<br />
e<strong>in</strong>en Markt geben!<br />
Wer stapft so früh durch den<br />
<strong>Novosibirsk</strong>er Schnee! Zu früh aus<br />
dem Sommerschlaf erwacht Bis<br />
Neujahr ist es noch lang h<strong>in</strong>!<br />
Ke<strong>in</strong>e Sorge, junger Mann! Die<br />
<strong>Deutsche</strong>n haben mich gerufen – bei<br />
Ihnen beg<strong>in</strong>nen die Weihnachtsfreuden<br />
schon vier Wochen vor<br />
Weihnachten. Den ganzen Advent über<br />
freut man sich auf das große Fest! Und<br />
dieses Jahr ist der erste Advent schon<br />
am 28. November. In Deutschland öffnen<br />
die Weihnachtsmärkte, alle<br />
Wohnungen werden nun geschmückt<br />
und auf dem Adventskranz zündet man<br />
die erste von vier Kerzen an!<br />
Irgendwie stimmt doch was mit<br />
dem Mantel nicht – Djed Moros trägt<br />
doch e<strong>in</strong>e blaue Kutte!<br />
Junger Mann, vor Ihnen steht doch<br />
nicht Väterchen Frost! Ich sagte doch,<br />
die <strong>Deutsche</strong>n haben mich gerufen –<br />
ich b<strong>in</strong> der Weihnachtsmann!<br />
Santa Claus<br />
Junger Mann, sie haben Bildungslücken!<br />
Me<strong>in</strong> Kollege, der Nikolaus,<br />
br<strong>in</strong>gt se<strong>in</strong>e Geschenke traditionell am<br />
6. Dezember – an jenem Tag starb se<strong>in</strong><br />
Vorfahre, der Heilige Nikolaus. Jener<br />
warf im 4. Jahrhundert armen K<strong>in</strong>dern<br />
Geschenke durch den Schornste<strong>in</strong><br />
warf. Meist trockneten dort über dem<br />
Feuer Socken. Deswegen stellen bis<br />
heute die deutschen K<strong>in</strong>der am 6.<br />
Dezember ihre Schuhe vor die Türen!<br />
Aber Nikolaus ist streng – nur <strong>in</strong> sauberen<br />
Schuhen f<strong>in</strong>den die K<strong>in</strong>der am<br />
nächsten Morgen Geschenke. In dreckigen<br />
Schuhen liegen meist Kohlen!<br />
OK, Weihnachtsmann! Aber ihr<br />
E<strong>in</strong>satz ist doch am 24. Dezember<br />
Was machen Sie heute <strong>in</strong> <strong>Novosibirsk</strong><br />
Diese <strong>Deutsche</strong>n, diese <strong>Deutsche</strong>n!<br />
Selbst im fernen Sibirien machen sie<br />
nun Weihnachtsmärkte! Aber ich muss<br />
sagen, ich b<strong>in</strong> überrascht. Der Glühwe<strong>in</strong><br />
schmeckt, es gibt Stollen,<br />
Plätzchen und Waffeln sowie <strong>in</strong>teressante<br />
Bastelarbeiten. Nicht schlecht,<br />
nicht schlecht. Und auch noch 500<br />
Gäste – da werde ich wohl auch<br />
nächstes Jahr wieder vorbeikommen.<br />
So als junger Mann mit Bildungslücken<br />
hätte ich dann aber noch e<strong>in</strong>e<br />
Frage: Der russische Kollege, Väterchen<br />
Frost, hat ja die hübsche Snegurotschka<br />
als Helfer<strong>in</strong>! Wieso hat<br />
der Weihnachtsmann ke<strong>in</strong>e nette<br />
Begleiter<strong>in</strong> Ist das nicht langweilig,<br />
so alle<strong>in</strong>e „Hohoho!” durch den<br />
Wald zu düsen<br />
Nun gut, <strong>in</strong> Süddeutschland unterstützt<br />
mich das Christk<strong>in</strong>d – Mädchen,<br />
die Geschenke verteilen und zugleich<br />
an den eigentlichen Anlass des Weihnachtsfestes<br />
er<strong>in</strong>nern: Christi Geburt!<br />
Aber ehrlich, auf me<strong>in</strong>e alten Tage brau<br />
che ich ke<strong>in</strong>e junge Begleiter<strong>in</strong> mehr –<br />
das wäre mir viel zu anstrengend!<br />
S<strong>in</strong>d sie so viel älter als ihr russischer<br />
Kollege, wenn man fragen<br />
darf!<br />
Diese Jugend weiß auch gar nichts!<br />
Der Weihnachtsmann war schon im 19.<br />
Jahrhundert bekannt, während das<br />
Väterchen Frost 100 Lenze weniger auf<br />
dem Buckel hat! Se<strong>in</strong> E<strong>in</strong>satz begann<br />
erst <strong>in</strong> der Sowjetunion.<br />
Man lernt nie aus! Danke für die<br />
vielen Informationen und gute Rückreise<br />
nach Deutschland!<br />
Hohoho!<br />
Interview: Norbert Schott<br />
Weihnachtsmann – und nicht Santa Claus!<br />
In Russland eher unbekannt, aus<br />
der deutschen Weihnachtszeit jedoch<br />
gar nicht mehr wegzudenken: der<br />
Christstollen. E<strong>in</strong> Gebäck, das auf e<strong>in</strong>e<br />
sehr lange Tradition zurückblicken<br />
kann:<br />
Die erste urkundliche Erwähnung<br />
erfolgte im Jahr 1329 <strong>in</strong> Naumburg<br />
(Sachsen), als Weihnachtsgabe für<br />
den Bischof He<strong>in</strong>rich. Der bekannteste<br />
Stollen kommt jedoch aus Dresden<br />
(Sachsen): Bereits 1474 wird der<br />
Dresdner Christstollen erstmals auf der<br />
Rechnung e<strong>in</strong>es Hospitals erwähnt.<br />
Das mittelalterliche Fastengebäck<br />
bestand zu der Zeit lediglich aus Mehl,<br />
Dresdner Christstollen Bundesarchiv 183-1989-1205-001<br />
Hefe und Wasser. Die katholischen<br />
Dogmen erlaubten weder Butter noch<br />
Milch. Kurfürst Ernst von Sachsen und<br />
se<strong>in</strong> Bruder Albrecht baten deshalb<br />
Papst Innozenz VIII, das Butter-Verbot<br />
aufzuheben. Der Heilige Vater ließ sich<br />
erweichen und schickte im Jahr 1491<br />
e<strong>in</strong> als „ Butterbrief“<br />
bekanntes<br />
Schreiben, das gehaltvollere Zutaten<br />
erlaubte.<br />
Um 1500 wurden <strong>in</strong> Dresden<br />
„ Christbrote uff Weihnachten“<br />
auf dem<br />
Striezelmarkt, dem ältesten deutschen<br />
Weihnachtsmarkt, verkauft.<br />
Ab 1560 übergaben die Stollenbäcker<br />
ihrem Landesherrn zum heiligen<br />
Fest e<strong>in</strong> oder zwei Stollen von 1,5<br />
Meter Länge und 18 Kilogramm Gewicht.<br />
Acht Meister und acht Gesellen<br />
trugen ihn zum Schloss.<br />
1730 ließ August der Starke von der<br />
Bäckerzunft Dresdens e<strong>in</strong>en Riesenstollen<br />
von 1,8 Tonnen zubereiten.<br />
Mehr als 60 „Beckenknechte“ hatten<br />
ihn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em eigens dafür errichteten<br />
Backofen sechs Stunden lang gebacken.<br />
Mit e<strong>in</strong>em Riesenstollen der Neuzeit<br />
schafften die Dresdner Bäcker und<br />
Konditoren im Jahr 2000 den E<strong>in</strong>zug <strong>in</strong><br />
das Gu<strong>in</strong>ess-Buch der Rekorde: 4200<br />
Kilogramm wog der gigantische Weihnachtsstollen.
Seite 18 NACHLESE<br />
NovoKult 21<br />
Nirgendwo <strong>in</strong> Thür<strong>in</strong>gen<br />
Studium <strong>in</strong> Nowosibirsk und <strong>in</strong> Ilmenau – e<strong>in</strong> Vergleich<br />
Als ich noch <strong>in</strong> der Planungsphase<br />
me<strong>in</strong>er Reise nach Deutschland war,<br />
teilte ich e<strong>in</strong>er deutschen Bekannten<br />
mit, dass ich me<strong>in</strong>en Master <strong>in</strong> Ilmenau<br />
machen werde. „Ilmenau Wo ist das<br />
denn,“ fragte sie und fügte nach<br />
me<strong>in</strong>er Erklärung h<strong>in</strong>zu: „Für mich ist<br />
das e<strong>in</strong> Synonym von ‚Nirgendwo‘“.<br />
Verzweifelt packte ich dennoch me<strong>in</strong>e<br />
Sachen. Jetzt, nach zwei Monaten<br />
genau <strong>in</strong> der Mitte Deutschlands, weiß<br />
ich Bescheid: Ilmenau ist ke<strong>in</strong> Synonym<br />
von „Nirgendwo“.<br />
Ilmenau ist e<strong>in</strong>e sehr kle<strong>in</strong>e Stadt,<br />
die nicht e<strong>in</strong>mal 30.000 E<strong>in</strong>wohner<br />
zählt. Als ich ankam hatte ich wirklich<br />
Der „Ziegenbrunnen“ <strong>in</strong> der L<strong>in</strong>denstraße von<br />
Ilmenau<br />
den E<strong>in</strong>druck, ich sei im Nirgendwo. Mit<br />
dem Studium g<strong>in</strong>g es noch nicht los und<br />
es war sehr langweilig. Obwohl ich<br />
ständig mit dem bürokratischen Kram<br />
beschäftigt war, bekam ich schnell<br />
Heimweh und sogar Depressionen.<br />
Wenn man aus so e<strong>in</strong>er Riesenstadt<br />
wie Nowosibirsk kommt, wird man<br />
natürlich <strong>in</strong> der ersten Zeit hier ziemlich<br />
deprimiert. Danach weiß man aber, die<br />
Vorteile <strong>in</strong> Ilmenau zu schätzen.<br />
E<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Stadt mit e<strong>in</strong>er<br />
ziemlich großen Universität ...<br />
… ist me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach genau<br />
der richtige Platz fürs Studium. Darüber<br />
h<strong>in</strong>aus ist sie auch für verschiedene<br />
sportliche Aktivitäten und soziales<br />
Engagement gut geeignet. Ja, hier gibt<br />
es nur e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>o und e<strong>in</strong> paar Clubs, hier<br />
werden ke<strong>in</strong>e großen Messen oder<br />
Ausstellungen organisiert und das<br />
Kulturangebot ist <strong>in</strong>sgesamt sehr<br />
beschränkt. Doch wenn man die<br />
richtige E<strong>in</strong>stellung hat, bleibt für<br />
Langeweile kaum Zeit.<br />
In Ilmenau habe ich mit solchen Sachen<br />
angefangen, die ich schon länger<br />
machen wollte, für die ich zu Hause<br />
aber nie Zeit hatte. Jetzt mache ich<br />
Pilates, klettere <strong>in</strong> der Sporthalle, tanze<br />
Salsa und lerne Ch<strong>in</strong>esisch … und das<br />
alles schon mal zusätzlich zu me<strong>in</strong>em<br />
Studium. In Novo wäre so was für mich<br />
kaum vorstellbar gewesen. Nicht nur<br />
weil das Angebot hier sehr günstig ist –<br />
gebührenfreie Sprachkurse und zehn<br />
bis 20 Euro pro Semester für Sportkurse<br />
–, sondern auch weil ich jetzt wirklich<br />
Zeit dafür habe. Man braucht ja nur drei<br />
bis fünf M<strong>in</strong>uten vom Wohnheim zu den<br />
meisten Universitätsgebäuden auf<br />
dem Campus und etwa zehn bis 15<br />
M<strong>in</strong>uten <strong>in</strong> die Stadt. Alles ist zu Fuß<br />
erreichbar. Und wenn nicht, kann man<br />
den Zug nehmen, der nur e<strong>in</strong>e Stunde<br />
bis <strong>in</strong> die „Großstadt“ Erfurt braucht.<br />
Zu Hause habe ich manchmal e<strong>in</strong>e<br />
Stunde zu me<strong>in</strong>er Hochschule gebraucht<br />
... . Also man merkt schon die<br />
Vorteile. Und jetzt weiß ich Bescheid:<br />
Ich b<strong>in</strong> ke<strong>in</strong> Großstadttier.<br />
„In Ilmenau ist der Himmel blau,<br />
da tanzt der Ziegenbock<br />
mit se<strong>in</strong>er Frau ...“<br />
Ja, der Ste<strong>in</strong>bock tanzt mit se<strong>in</strong>er<br />
Frau wirklich im Zentrum der Stadt.<br />
Doch den blauen Himmel sieht man<br />
höchstens e<strong>in</strong>mal pro Woche. Ansons-<br />
E<strong>in</strong>en ersten H<strong>in</strong>weis auf die vielen Studenten <strong>in</strong><br />
Ilmenau f<strong>in</strong>det man schon am Ortse<strong>in</strong>gang, wo<br />
e<strong>in</strong>en die „ Universitätsstadt Ilmenau“<br />
begrüßt<br />
ten ist der Himmel hier immer grau, es<br />
regnet viel und ist sehr w<strong>in</strong>dig. Aber<br />
man verspricht aber viel Schnee im<br />
W<strong>in</strong>ter und schönes sonniges Wetter<br />
im Sommer.<br />
Julia, me<strong>in</strong>e Kommiliton<strong>in</strong>, die auch<br />
aus Nowosibirsk kommt, hat vor kurzem<br />
gesagt: „Jetzt verstehe ich, dass<br />
ich e<strong>in</strong>e Sonnenbatterie b<strong>in</strong>, da ich<br />
ohne Sonne gar nichts machen kann.<br />
Ich dachte, ich komme doch aus Sibirien!“<br />
So geht es mir auch. Bei solchem<br />
Wetter wie hier, fühlt man sich oft deprimiert,<br />
nicht ausgeschlafen und müde.<br />
Nur viele verschiedene Aktivitäten und<br />
die Versuche Zeitmanagement e<strong>in</strong>zusetzen<br />
halten dich am Leben.<br />
Unter ausländischen Studenten<br />
s<strong>in</strong>d an erster Stelle die Ch<strong>in</strong>esen<br />
und dann kommen Russen ...<br />
... hat man mir bereits am ersten Tag<br />
<strong>in</strong> Ilmenau gesagt. Das merkt man<br />
doch auch sofort! Manchmal sche<strong>in</strong>t es<br />
mir sogar, ich sei <strong>in</strong> Russland.<br />
Besonders wenn ich am Wochenende<br />
manchmal durch die Stadt spaziere.<br />
Man hört die russische Sprache jeden<br />
Tag und überall: auf der Straße, im<br />
„Kaufland“, <strong>in</strong> der Universität. Deswegen<br />
muss man manchmal richtig aufpassen,<br />
da andere das Gespräch auch<br />
verstehen könnten.<br />
Das hat auch den Nachteil, dass<br />
man nicht so viele Leute aus Deutschland<br />
und anderen Ländern kennenlernt,<br />
da man oft unter Kommilitonen<br />
gleicher Nationalität bleibt. Dabei hat<br />
man genug Möglichkeiten, andere<br />
Menschen und Kulturen kennenzulernen.<br />
Die Gruppen, vor allem <strong>in</strong> den<br />
Master-Studiengängen, s<strong>in</strong>d sehr <strong>in</strong>ter-
NovoKult 21 NACHLESE<br />
Seite 19<br />
national. Wenn man Lust an verschiedensten<br />
Kontakte hat, ist es ke<strong>in</strong><br />
Problem sie zu knüpfen. Außerdem<br />
werden verschiedene Veranstaltungen<br />
für ausländische Studierende organisiert,<br />
die weitere Möglichkeiten für<br />
Kommunikation geben.<br />
De<strong>in</strong> Deutsch ist<br />
doch perfekt ...<br />
... höre ich hier oft. Ich bedanke<br />
mich natürlich, weiß aber selbst, dass<br />
me<strong>in</strong> Deutsch viel besser se<strong>in</strong> könnte.<br />
Aber ohne „C2“ kann man hier auch<br />
ganz gut zurechtkommen. Viele Studiengänge<br />
werden sogar auf Englisch<br />
angeboten. Me<strong>in</strong>er ist da ke<strong>in</strong>e Ausnahme.<br />
Alle Pflichtfächer werden auf<br />
English unterrichtet, man kann aber<br />
auch etwas auf Deutsch wählen. Zuerst<br />
habe ich gedacht, es wird schwer<br />
werden <strong>in</strong> Deutschland auf Englisch zu<br />
studieren, da me<strong>in</strong> Kopf voll mit<br />
deutschen Wörtern und Konstruktionen<br />
war. Jetzt fällt es mir sogar<br />
leichter als das e<strong>in</strong>zige Fach, das ich<br />
auf Deutsch mache, da Englisch für<br />
niemanden die Muttersprache ist.<br />
Insofern versteht man die Professoren<br />
und Kommilitonen oft sogar besser.<br />
Obwohl ich im Alltag mit den Leuten,<br />
die Deutsch können, natürlich auch<br />
Deutsch spreche.<br />
Alle<strong>in</strong> wohnen bedeutet<br />
Erfahrungen sammeln<br />
Obwohl ich me<strong>in</strong>en Verlobten,<br />
Familie, Freunde und Umgebung aus<br />
Novo sehr vermisse, gefällt es mir hier<br />
alle<strong>in</strong>e zu se<strong>in</strong>. Dadurch sammelt man<br />
unglaublich viele Erfahrungen. Man<br />
wird mit solchen Problemen konfrontiert,<br />
an die man zu Hause nie gedacht<br />
hätte. Man lernt auch ganz viel im Alltag.<br />
Sogar ganz e<strong>in</strong>fache Sachen wie<br />
Kochen, Waschen, Putzen und E<strong>in</strong>kaufen<br />
betrachtet man hier ganz anders als<br />
zu Hause. Das wird bestimmt auch im<br />
weiteren Leben gut helfen.<br />
Mir fehlen hier auch manchmal<br />
e<strong>in</strong>ige Kle<strong>in</strong>igkeiten, wie zum Beispiel<br />
manche Lebensmittel oder Drogerieartikel.<br />
Hier fehlt auch me<strong>in</strong>e Kleidungsgröße<br />
und ich soll meistens <strong>in</strong><br />
K<strong>in</strong>derabteilungen e<strong>in</strong>kaufen.<br />
Wichtig ist es, dass man hier vieles<br />
ganz anders als vorher versteht, dass<br />
man viele Erfahrungen sammelt und<br />
e<strong>in</strong>e Menge neuer Kontakte knüpft. Es<br />
lohnt sich also sogar e<strong>in</strong>en Verlobten<br />
zu Hause zu lassen um nach Deutschland<br />
zu kommen und e<strong>in</strong> anderes Leben<br />
hier zu entdecken. Sogar, wenn es<br />
um e<strong>in</strong> „Nirgendwo <strong>in</strong> Thür<strong>in</strong>gen“ geht.<br />
Tatiana Muzyuk<strong>in</strong>a<br />
Praktikum <strong>in</strong> Deutschland<br />
E<strong>in</strong> Monat im Jugendverband „<strong>Deutsche</strong> Jugend <strong>in</strong> Europa“<br />
Wie arbeiten Jugendorganisationen<br />
<strong>in</strong> Deutschland Welche grundlegenden<br />
Ziele haben sie Welche Rolle<br />
spielen sie Mich, als Mitglied der<br />
<strong>Novosibirsk</strong>er Jugendorganisation<br />
„Sibirischer Bär“ <strong>in</strong>teressierten diese<br />
Fragen. Im Herbst dieses Jahres absolvierte<br />
ich e<strong>in</strong> Praktikum beim Bundesverband<br />
der „<strong>Deutsche</strong>n Jugend <strong>in</strong> Europa“<br />
(DJO) <strong>in</strong> Deutschland und erhielt<br />
dadurch Antworten nicht nur auf diese<br />
Fragen.<br />
Die DJO hat mehrere Vertretungen<br />
<strong>in</strong> den deutschen Bundesländern. Ich<br />
hatte im russisch-deutschen Programm<br />
„Praktika junger Fachkräfte im<br />
Bereich der Jugendarbeit“ e<strong>in</strong> Praktikum<br />
<strong>in</strong> Halle gewonnen. Die „DJO<br />
Sachsen-Anhalt e.V.“ ist e<strong>in</strong>e Organisation,<br />
die Austauschprogramme zwischen<br />
Deutschland und den Ländern<br />
Osteuropas durchführt. Me<strong>in</strong>e Arbeit<br />
war nicht schwierig. Im September gab<br />
es <strong>in</strong> der Organisation ke<strong>in</strong>e Projekte;<br />
deswegen arbeitete ich im Büro, wo ich<br />
mich zum Beispiel mit der Jahresabrechnung<br />
beschäftigte oder an Fotografien,<br />
Präsentationen und Flyern<br />
arbeitete. Ich bemerkte sofort, dass<br />
sich deutsche Jugendorganisationen<br />
von russischen unterscheiden. Zunächst<br />
h<strong>in</strong>sichtlich der Struktur. In<br />
Deutschland werden die Jugendorganisationen<br />
vom Staat unterstützt, <strong>in</strong><br />
Russland dagegen gibt es viele selbstständige<br />
Organisationen, die nur über<br />
Zuschüsse und Sponsoren Geld für<br />
ihre Projekte bekommen. Außerdem<br />
unterscheidet sich das Alter der Orga-<br />
E<strong>in</strong>drücke während des Praktikums <strong>in</strong> Deutschland<br />
nisationsmitglieder. In Russland s<strong>in</strong>d<br />
die Leute, die <strong>in</strong> diesen Organisationen<br />
arbeiten, meist nicht älter als 30. Organisation,<br />
Ordnung und Verantwortungsbewusstse<strong>in</strong><br />
– die E<strong>in</strong>stellung zur<br />
Arbeit <strong>in</strong>sgesamt – ist <strong>in</strong> Deutschland<br />
ziemlich ernst.<br />
Neben der Arbeit im Büro gab es<br />
<strong>in</strong>teressante Veranstaltungen: e<strong>in</strong><br />
Treffen der Jugendorganisationen von<br />
Sachsen-Anhalt, e<strong>in</strong>e Demonstration<br />
für die Rechte von K<strong>in</strong>dern und Müttern<br />
<strong>in</strong> Magdeburg und e<strong>in</strong>en Tag <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
deutschen Schule.<br />
Im Rahmen der Kampagne „Klima-<br />
Piraten“ nahm ich an e<strong>in</strong>em Meet<strong>in</strong>g <strong>in</strong><br />
Schwer<strong>in</strong> teil. Im Urlaubsort Lubm<strong>in</strong> soll<br />
e<strong>in</strong> Kohlekraftwerk gebaut werden.<br />
Das Meet<strong>in</strong>g dauerte den ganzen Tag.<br />
Die Veranstaltung begann mit e<strong>in</strong>er<br />
Theatervorstellung, deren Thema die<br />
mangelnde Aufmerksamkeit der Kanzler<strong>in</strong><br />
und der Regierung für das Problem<br />
der Umweltverschmutzung war.<br />
Außerdem wandten sich die Teilnehmer<br />
direkt an die Regierungsorgane.<br />
Es gab e<strong>in</strong> Treffen mit e<strong>in</strong>em Vertreter<br />
der Landesverwaltung von Mecklen<br />
burg-Vorpommern, zu dem e<strong>in</strong>e Menge<br />
Journalisten angereist waren; allerd<strong>in</strong>gs<br />
weigerte er sich, die Teilnehmer<br />
des Meet<strong>in</strong>gs zu unterstützen.<br />
Natürlich gab es auch freie Zeit für<br />
Reisen, zum Deutschlernen und zum<br />
Kennenlernen des Landes. Me<strong>in</strong> Praktikum<br />
dauerte nur e<strong>in</strong>en Monat, der<br />
allerd<strong>in</strong>gs überaus ereignisreich und<br />
unvergesslich war.<br />
Yulia Ogorodnikova
Seite 20 NACHLESE<br />
NovoKult 21<br />
Lernen, wie Politik gemacht wird<br />
Nowosibirsker Jugendliche beim „Transnationalen Jugendparlament“ <strong>in</strong> Landshut (Bayern)<br />
Im September dieses Jahres ist<br />
e<strong>in</strong>e Gruppe von sechs StudentInnen<br />
unter der Leitung von W. Telm<strong>in</strong>ow geme<strong>in</strong>sam<br />
mit der Leiter<strong>in</strong> des Zentrums<br />
der deutschen Sprache an der NSU<br />
nach Landshut (Bayern) gefahren, um<br />
sich politisch zu betätigen: Sie haben<br />
an dem Projekt „Transnationales<br />
Jugendparlament“ der EU teilgenommen.<br />
Mit dabei waren auch Jugendliche<br />
aus Deutschland und fünf anderen<br />
europäischen Ländern, welche alle <strong>in</strong><br />
deutschen Familien untergebracht<br />
waren. Die Teilnehmer des Projekts<br />
berichten über ihre E<strong>in</strong>drücke:<br />
E. Mostowowa: Wir wurden<br />
zunächst durch Lehrer des Landshuter<br />
Hans-Le<strong>in</strong>berger-Gymnasium und der<br />
Organisation „Jugend debattiert“ auf<br />
das Debattieren im „Transnationales<br />
Jugendparlament“ vorbereitet. Unser<br />
Thema war die Frage, ob Videoüberwachung<br />
an öffentlichen Plätzen notwendig<br />
ist. Wir erarbeiteten e<strong>in</strong>e Eröffnungsrede,<br />
stellten Pro- und Kontra-<br />
Argumente auf, debattierten und<br />
rundeten die (Probe-) Debatte mit e<strong>in</strong>er<br />
Schlussrede ab.<br />
Am 8. Oktober war es dann tatsächlich<br />
so weit, es trafen sich alle Teilnehmer,<br />
Tra<strong>in</strong>er und Gäste im Neuen<br />
Plenarsaal des Rathauses von Landshut.<br />
Die Debatte der Jugendlichen ergab<br />
e<strong>in</strong>e knappe Entscheidung für die<br />
Notwendigkeit von Videoüberwachungssystemen<br />
auf öffentlichen Plätzen.<br />
Danach stellte jedes Teilnehmerland<br />
e<strong>in</strong>en Antrag zu e<strong>in</strong>em landestypischen<br />
Problem vor, der von allen<br />
besprochen und abgestimmt wurde.<br />
Während der Vorbereitung mit<br />
„Jugend debattiert“ verständigten wir<br />
uns entweder auf Deutsch oder Englisch,<br />
die eigentliche Parlamentsdebatte<br />
wurde jedoch auf Englisch geführt.<br />
Die Debatten dienten aber nicht nur zur<br />
Verbesserung der Sprache. Wir lernten<br />
auch wie man Reden hält, debattiert,<br />
überzeugende Argumente f<strong>in</strong>det und<br />
wie schwierig es ist, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Parlament<br />
richtige Entscheidungen zu<br />
treffen. Insgesamt war es zweifellos<br />
e<strong>in</strong>e sehr nützliche Erfahrung, die uns<br />
allen bestimmt <strong>in</strong> unserem Leben<br />
helfen wird. Wir, als Mitglieder der<br />
Nowosibirsker Fraktion, möchten allen<br />
Tra<strong>in</strong>ern von „Jugend debattiert“ und<br />
Herrn Claus Sixt dafür sehr herzlich<br />
danken.<br />
A. Karl<strong>in</strong>er: Während des Jugendparlaments<br />
hatten wir auch die Mög-<br />
lichkeit, <strong>in</strong> Medien- und Presse-Teams<br />
zu arbeiten. Insgesamt war von jeder<br />
Delegation e<strong>in</strong> Vertreter im Medien-<br />
Team und e<strong>in</strong> oder zwei im Presse-<br />
Team. Ziel unserer Arbeit war es, e<strong>in</strong>en<br />
Film über das Leben und die Arbeit unseres<br />
Parlaments zu drehen. Geholfen<br />
haben uns dabei Profis aus dem<br />
Regional Fernsehen Landshut (RFL).<br />
Zuerst lernten wir, wie man mit den<br />
professionellen Kameras umgeht.<br />
Danach konnten wir uns selbst ausprobieren<br />
beim Filmen verschiedener<br />
Veranstaltungen im Rahmen des<br />
Parlaments.<br />
Wir haben den Film dann auch<br />
selbst im Studio geschnitten und<br />
schließlich zur Abschlussparty vorgeführt.<br />
Zuerst war es nicht geplant,<br />
den Film öffentlich zu zeigen, aber<br />
nachdem ihn der Produzent des RFL<br />
gesehen hatte, wurde beschlossen, ihn<br />
auch im Fernsehen zu zeigen.<br />
Die Arbeit im Medien-Team gehörte<br />
für mich zweifellos zu den bemerkenswertesten<br />
Teilen des Parlaments.<br />
D. Sljussarenko: Das Projekt<br />
„Transnationales Jugendparlament“<br />
ermöglichte es uns Teilnehmern auch<br />
„echte“ Politiker zu treffen, denen wir<br />
Fragen stellten, die besonders für uns<br />
Jugendliche <strong>in</strong>teressant s<strong>in</strong>d.<br />
Dieses Projekt beschränkte sich<br />
aber nicht nur auf den Bereich der<br />
Politik. Wir konnten bei Spaziergängen<br />
durch die Straßen Landshuts <strong>in</strong> die Zeit<br />
des Mittelalters e<strong>in</strong>tauchen und bei<br />
e<strong>in</strong>em Besuch der Werksanlagen von<br />
BMW wieder <strong>in</strong> der Gegenwart<br />
ankommen.<br />
Die Fahrt <strong>in</strong> das BMW-Werk <strong>in</strong><br />
D<strong>in</strong>golf<strong>in</strong>g war e<strong>in</strong> weiterer Höhepunkt<br />
unseres Aufenthalts. Die Exkursion war<br />
e<strong>in</strong>e echte Abenteuerreise, da die<br />
Fabrik an sich schon e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Stadt<br />
mit eigenen Straßen, Häusern und<br />
Werkanlagen ist. Die Wege von e<strong>in</strong>er<br />
Fabrikanlage zur anderen und das<br />
Beobachten der Arbeit von Robotern<br />
und Arbeitern gleichermaßen wurde<br />
von e<strong>in</strong>em packendem Bericht über die<br />
Geschichte der Fabrik und ihr schwieriges<br />
Dase<strong>in</strong> während der derzeitigen<br />
Wirtschaftskrise begleitet.<br />
Nicht weniger Interesse weckten die<br />
Besprechungen mit den Vertretern der<br />
im Landshuter Stadtrat vertretenen<br />
Parteien. Das s<strong>in</strong>d relativ viele: CDU/<br />
CSU, SPD, die Grünen und die Bürgerpartei<br />
Landshut. Die Teilnehmer wurden<br />
<strong>in</strong> Gruppen e<strong>in</strong>geteilt und trafen<br />
sich mit e<strong>in</strong>em Vertreter je e<strong>in</strong>er Partei;<br />
e<strong>in</strong>e Gruppe traf sich außerdem mit<br />
e<strong>in</strong>em freien Abgeordneten. Der<br />
Höhepunkt der Veranstaltung war das<br />
Treffen mit Manfred Weber, dem<br />
niederbayrischen Abgeordneten im<br />
Europarlament. Nach e<strong>in</strong>er kurzen<br />
E<strong>in</strong>leitungsrede gab es die Möglichkeit,<br />
ihm Fragen zu stellen. Die zukünftigen<br />
Politiker überfluteten ihn darauf mit<br />
Fragen zu zum Teil politisch brisanten<br />
Themen, wie über das Krisenmanagement<br />
der Europäischen Wirtschaft oder<br />
über den EU-Beitritt der Türkei.<br />
Debatte im Landshuter Stadtrat im Rahmen des Projekts „Transnationalen Jugendparlament“
NovoKult 21 NACHLESE<br />
Seite 21<br />
Pr<strong>in</strong>zess<strong>in</strong> Plastik<br />
Interview mit e<strong>in</strong>er Band, bei der jedes Lied e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Schnappschuss ist<br />
Auf E<strong>in</strong>ladung des Goethe-Institutes<br />
besuchte die Berl<strong>in</strong>er Band „Pr<strong>in</strong>zess<strong>in</strong><br />
Plastik“ Nowosibirsk im Rahmen<br />
der Interwoche Anfang Mai. Die Band<br />
macht Popmusik mit deutschen Texten,<br />
die zum Tanzen e<strong>in</strong>lädt. „Jedes Lied ist<br />
e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Schnappschuss von unserer<br />
Welt“, sagen die Bandmitglieder<br />
Carla Stock (Gesang), Marv<strong>in</strong> Triebel<br />
(Gitarre), Matthias Kreuschner (Bass)<br />
und Moritz Ziegler (Schlagzeug).<br />
Warum habt ihr den ungewöhnlichen<br />
Namen „Pr<strong>in</strong>zess<strong>in</strong> Plastik“<br />
Pr<strong>in</strong>zess<strong>in</strong> Plastik ist e<strong>in</strong>fach e<strong>in</strong><br />
sehr schöner Name. Wir haben e<strong>in</strong><br />
halbes Jahr überlegt, welchen Namen<br />
wir nehmen. Wir hatten unendlich viele<br />
Ideen, aber er war der Beste.<br />
Aber eure Band hat doch nur e<strong>in</strong>e<br />
Pr<strong>in</strong>zess<strong>in</strong><br />
Ne<strong>in</strong>, wir s<strong>in</strong>d alle Plastikpr<strong>in</strong>zess<strong>in</strong>nen.<br />
Und warum aus Plastik<br />
Wir s<strong>in</strong>d nicht wirklich Pr<strong>in</strong>zess<strong>in</strong>nen<br />
und auch nicht aus Plastik. Genau<br />
darum geht es. E<strong>in</strong>e Pr<strong>in</strong>zess<strong>in</strong> stellt<br />
man sich ganz anders vor als. E<strong>in</strong>e<br />
Pr<strong>in</strong>zess<strong>in</strong> ist jemand mit glitzernden<br />
Schmuck, schönen Kleidern, Rosen<br />
und e<strong>in</strong> Königreich. Das s<strong>in</strong>d wir nicht.<br />
Deswegen s<strong>in</strong>d wir „Pr<strong>in</strong>zess<strong>in</strong> Plastik“.<br />
Was hat euch besonders gefallen<br />
an Sibirien<br />
Uns hat gefallen, dass es <strong>in</strong> <strong>Novosibirsk</strong><br />
und Umgebung so schön grün ist.<br />
Der Club „RockCity“ hat uns gut gefallen.<br />
Nicht zuletzt die schöne Landschaft,<br />
das viele Essen und die<br />
freundlichen Menschen.<br />
Ist das sibirische Publikum anders<br />
als das deutsche<br />
Ja, es ist sehr euphorisch. Das ist<br />
Fotos: Mitglieder der Band „Pr<strong>in</strong>zess<strong>in</strong> Plastik“<br />
uns aufgefallen. Es ist nicht so zurückhaltend,<br />
wie <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>. Da stehen alle<br />
herum und wollen nicht tanzen. In Berl<strong>in</strong><br />
s<strong>in</strong>d alle zu cool, um Spaß zu haben.<br />
Wer schreibt bei euch die Texte<br />
und komponiert die Musik<br />
Wir machen alles zusammen, jeden<br />
Text und die Musik auch.<br />
Wie sieht das aus<br />
Das ist ganz unterschiedlich.<br />
Manchmal ist es so, dass e<strong>in</strong>er von uns<br />
e<strong>in</strong>e Idee hat, und wir dann an der Idee<br />
arbeiten und viel improvisieren, bis es<br />
uns gefällt. Manchmal br<strong>in</strong>gt jemand<br />
etwas mit, was schon fertig ist, dann<br />
ändern wir das, bis es uns gefällt.<br />
Manchmal improvisieren wir e<strong>in</strong>fach so<br />
lange, bis e<strong>in</strong> Lied entsteht, das uns<br />
gefällt. Es ist immer ganz unterschiedlich,<br />
und es dauert immer sehr lange.<br />
Warum s<strong>in</strong>gt ihr auf Deutsch<br />
Das ist sehr e<strong>in</strong>fach zu beantworten.<br />
Der Grund ist es, dass wir aus<br />
Deutschland kommen. Deutsch ist unsere<br />
Muttersprache und alles, was wir<br />
sagen wollen, können wir am besten <strong>in</strong><br />
dieser Sprache ausdrücken. Deutsch<br />
ist die Sprache, die wir sprechen, <strong>in</strong> der<br />
wir denken und <strong>in</strong> der wir handeln.<br />
Wenn wir unsere Lieder schreiben,<br />
dann sagen wir es mit den Worten, die<br />
wir am besten beherrschen.<br />
Auf dem Konzert hattet ihr tolle,<br />
selbst genähte Klamotten an. Wer<br />
hat diese gemacht Und Warum<br />
[Carla:] Ich, weil ich es schon immer<br />
gemacht haben. Ich habe schon immer<br />
gerne genäht und Klamotten selbst<br />
entworfen. Also, warum nicht auch für<br />
die Band Gekaufte Sachen s<strong>in</strong>d doch<br />
langweilig. Sie hat jeder im Schrank.<br />
Wir wollten etwas Besonderes für die<br />
Bühne haben.<br />
Songtext: „Fahrrad“<br />
aus dem Album „In dieser Stadt“<br />
Wer ist bloß dieses Mädchen<br />
Wo kommt sie her<br />
„Sie ist aus Zucker“, sagst du<br />
und wirft mit Pfeilen nach dir.<br />
Seit du sie kennst, kannst du nicht<br />
schlafen, du kannst nicht schlafen!<br />
Du klaust dir e<strong>in</strong> Fahrrad,<br />
fährst durch die Stadt<br />
mit all ihren Pfeilen,<br />
die du für sie gesammelt hast.<br />
Der Pfeil traf dich schwer,<br />
kannst kaum noch gehen.<br />
Sie hält den Bogen <strong>in</strong> der Hand,<br />
ist ihr egal, dass du nicht schläfst.<br />
Seit du sie kennst, kannst du nicht<br />
atmen, du kannst nicht atmen.<br />
Du klaust dir e<strong>in</strong> Fahrrad,<br />
fährst durch die Stadt,<br />
mit all ihren Pfeilen,<br />
die du für sie gesammelt hast.<br />
Was hat sie gemacht<br />
Was hat sie gemacht<br />
Was hat sie mit dir gemacht<br />
Was hat sie mit dir getan<br />
Du klaust dir e<strong>in</strong> Fahrrad,<br />
fährst durch die Stadt,<br />
mit all ihren Pfeilen,<br />
die du für sie gesammelt hast.<br />
Seit du sie kennst,<br />
kannst du nicht schlafen!<br />
Seit du sie kennst,<br />
kannst du nicht schlafen!<br />
Du kannst nicht!!<br />
Du klaust dir e<strong>in</strong> Fahrrad,<br />
fährst durch die Stadt,<br />
mit all ihren Pfeilen,<br />
die du für sie gesammelt hast.<br />
Dieses und zwei weitere Lieder könnt<br />
Ihr Euch kostenlos im Internet anhören<br />
unter www.pr<strong>in</strong>zess<strong>in</strong>plastik.de.<br />
Interview: Ir<strong>in</strong>a Posrednikova
Seite 22 NACHLESE<br />
NovoKult 21<br />
E<strong>in</strong>e Pr<strong>in</strong>zess<strong>in</strong> schlägt zu<br />
Filmregisseur<strong>in</strong> Birgit Grosskopf im Interview mit NovoKult<br />
Zum Film: Kommt man ihnen<br />
blöde, kriegt man was auf die<br />
Fresse. Und heute ist e<strong>in</strong><br />
schlechter Tag: Morgen muss<br />
Yvonne <strong>in</strong> den Knast …<br />
Während noch überall die<br />
Weihnachtsdekoration hängt,<br />
knallen schon die ersten<br />
Silvesterkracher. An den Tagen<br />
zwischen den Jahren – <strong>in</strong>mitten<br />
Automatenhotels, Möbelhäusern<br />
und Wohnsilos – hängt<br />
die achtzehnjährige Spätaussiedler<strong>in</strong><br />
Kathar<strong>in</strong>a mit Yvonne<br />
und den anderen aus der Clique<br />
lieber draußen <strong>in</strong> der Kälte ab als<br />
<strong>in</strong> irgend so e<strong>in</strong>er beengten<br />
Wohnung. Unruhig streifen die<br />
Mädchen durch ihr Revier. Die<br />
Freund<strong>in</strong>nen warten. Auf was, ist<br />
ihnen nicht ganz klar. Jedenfalls<br />
nicht auf Silvester.<br />
Guten Tag Frau Grosskopf. Wir<br />
möchten beg<strong>in</strong>nen mit den Fragen,<br />
die alle Gäste <strong>in</strong> Sibirien gestellt<br />
bekommen: S<strong>in</strong>d sie zum ersten Mal<br />
hier Und was halten sie vom russischen<br />
W<strong>in</strong>ter<br />
Ja, ich b<strong>in</strong> zum ersten Mal hier und<br />
zum ersten Mal <strong>in</strong> Russland überhaupt.<br />
Der W<strong>in</strong>ter er<strong>in</strong>nert mich bisher an den<br />
W<strong>in</strong>ter <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, aber ich habe gehört,<br />
dass das hier erst der Anfang se<strong>in</strong> soll.<br />
Was mir sofort aufgefallen ist, ist, dass<br />
hier die Treppenhäuser <strong>in</strong> den Mehrfamilienhäusern<br />
beheizt s<strong>in</strong>d. Das<br />
kenne ich aus Deutschland nicht.<br />
Sie haben sich gestern bei der<br />
Vorführung Ihres Filmes „Pr<strong>in</strong>zess<strong>in</strong>“<br />
<strong>in</strong> Akademgorodok den Film<br />
nicht angeschaut. Woran liegt das<br />
Ich habe den Film natürlich schon<br />
sehr oft gesehen und möchte mich nun<br />
vor allem auf me<strong>in</strong> neues Projekt<br />
konzentrieren. Mir ist wichtig, dass es<br />
nach vorne geht. Der Film soll für sich<br />
sprechen und ich möchte mich weiter<br />
entwickeln und neue Sachen ausprobieren.<br />
E<strong>in</strong>e Frage zum Inhalt: Wie s<strong>in</strong>d<br />
Sie auf dieses problematische<br />
Thema, Gewalt unter Mädchen, gekommen<br />
Es war me<strong>in</strong> Abschlussfilm an der<br />
<strong>Deutsche</strong>n Film- und Fernsehakademie.<br />
Ich habe mich dabei an me<strong>in</strong>en<br />
Vorbildern, wie Mart<strong>in</strong> Scorcese<br />
orientiert. Andererseits hat es mich<br />
auch immer geärgert, dass es so wenig<br />
<strong>in</strong>teressante Frauenrollen gibt. Zudem<br />
sche<strong>in</strong>t es nur auf der B-Movie-Ebene<br />
möglich zu se<strong>in</strong>, Frauencharaktere zu<br />
kreieren, die die Handlung maßgeblich<br />
bee<strong>in</strong>flussen können. Ich hatte immer<br />
den E<strong>in</strong>druck, im realistischen Drama<br />
sche<strong>in</strong>t das nicht möglich zu se<strong>in</strong>. Als<br />
ich das Thema für me<strong>in</strong>en Film gesucht<br />
habe, stieß ich <strong>in</strong> den Zeitungen häufig<br />
auf Berichte über gewaltbereite<br />
Mädchen, die sich zu Gangs zusammenschließen.<br />
Und dann dachte ich,<br />
dieses Thema ließe sich gut mit me<strong>in</strong>er<br />
Suche nach e<strong>in</strong>em dom<strong>in</strong>ierenden<br />
Frauencharakter komb<strong>in</strong>ieren.<br />
Schließlich b<strong>in</strong> ich mit me<strong>in</strong>er Koautor<strong>in</strong><br />
losgezogen, um solche Mädels zu<br />
kontaktieren. Wir haben viel mit Streetworker<strong>in</strong>nen<br />
geredet, die uns die Kontakte<br />
vermittelt haben, da die Mädchen<br />
von sich aus erstmal sehr misstrauisch<br />
s<strong>in</strong>d, weil sie befürchten, dass ihr<br />
Schicksal von Medien wie der<br />
Bildzeitung oder von Privatsendern ausgeschlachtet<br />
wird. Ich habe versucht,<br />
den Mädchen klarzumachen, dass<br />
dieser Film nicht e<strong>in</strong>seitig werden soll,<br />
und nach und nach haben wir den Film<br />
dann so entwickelt.<br />
Dann haben Sie also hautnahen<br />
Kontakt zu Menschen aus diesem<br />
Milieu aufgenommen<br />
Ja, das war notwendig, weil ich<br />
eben auch dieses Klischee umgehen<br />
wollte. Ich wollte abseits der Boulevardpresse<br />
die Realität f<strong>in</strong>den, den<br />
Punkt, wo das Klischee aufhört. Zum<br />
Beispiel fiel mir auf, dass diese Mädchen,<br />
egal wie gewaltbereit oder <strong>in</strong> wie<br />
verwahrlosten Verhältnissen sie aufgewachsen<br />
s<strong>in</strong>d, immer wahns<strong>in</strong>nig<br />
gut gestylt waren. Es muss nicht immer<br />
das „Kampfweib“ se<strong>in</strong>, was ja auch so<br />
e<strong>in</strong> Klischee ist.<br />
Welche Geschichte verb<strong>in</strong>det<br />
sich mit dem Filmtitel „Pr<strong>in</strong>zess<strong>in</strong>“<br />
Zunächst war mir klar, dass ich mit<br />
dem Titel e<strong>in</strong>en Kontrast zum Film<br />
setzen wollte. Bei den Recherchen<br />
habe ich mich dann mit zwei Mädchen<br />
unterhalten und ihnen die Frage<br />
gestellt, was sie später e<strong>in</strong>mal werden<br />
möchten. Darauf antwortete das e<strong>in</strong>e<br />
Mädchen, dass sie nichts mit K<strong>in</strong>dern<br />
machen wolle und auch nichts im Büro,<br />
worauf die andere sagte, dann hätte sie<br />
ja nicht mehr so viele Möglichkeiten:<br />
entweder Prostituierte oder Pr<strong>in</strong>zess<strong>in</strong>.<br />
Wo haben Sie hauptsächlich für<br />
Ihren Film recherchiert<br />
In erster L<strong>in</strong>ie <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, <strong>in</strong> den<br />
Außenbezirken Hohenschönhausen<br />
und Marzahn. Gedreht haben wir den<br />
Film aber <strong>in</strong> Köln, weil das Geld von der<br />
Filmstiftung Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen kam.<br />
Warum hat die Hauptfigur Kathar<strong>in</strong>a<br />
ausgerechnet e<strong>in</strong>en russlanddeutschen<br />
H<strong>in</strong>tergrund<br />
Ich wollte e<strong>in</strong>e Figur haben, die<br />
nach Heimat sucht. Der Film soll nicht<br />
nur die Geschichte der Mädchengang<br />
erzählen, sondern auch den Konflikt<br />
e<strong>in</strong>er Russlanddeutschen, die <strong>in</strong> Russland<br />
für e<strong>in</strong>e <strong>Deutsche</strong> und <strong>in</strong> Deutschland<br />
für e<strong>in</strong>e Russ<strong>in</strong> gehalten wird. Dieser<br />
Zwiespalt br<strong>in</strong>gt Kathar<strong>in</strong>a dazu,<br />
sich e<strong>in</strong>e dritte Heimat zu suchen,<br />
nämlich die Gang. Die Mädchen sche<strong>in</strong>en<br />
ja e<strong>in</strong>ander auch Halt zu geben,<br />
aber <strong>in</strong> dem Moment, wo e<strong>in</strong>e von<br />
ihnen durchdreht, bricht das ganze<br />
Konstrukt zusammen.<br />
Der gesamte Film und <strong>in</strong>sbesondere<br />
das Ende wurde von vielen<br />
Zuschauern als sehr düster und<br />
schrecklich wahrgenommen. War<br />
das Ihre Absicht<br />
Natürlich ist das Ende furchtbar<br />
durch den Tod der e<strong>in</strong>en Figur.<br />
Dennoch sehe ich es auch als Hoffnungsschimmer,<br />
als e<strong>in</strong>e Art Opfertod.<br />
Denn <strong>in</strong> dem Moment als Yvonne stirbt,<br />
ist Kathar<strong>in</strong>a befreit und kann sich e<strong>in</strong>e<br />
neue Heimat suchen.<br />
Musik wird <strong>in</strong> Ihrem Film sehr<br />
sparsam e<strong>in</strong>gesetzt und wenn, dann<br />
als Begleitmusik zu Bildern von<br />
fahrenden Zügen. Warum<br />
Auch das Stück „O virga ac diadem“<br />
von Hildegard von B<strong>in</strong>gen sollte<br />
ebenso wie der Titel kontrapunktisch<br />
se<strong>in</strong>. Me<strong>in</strong> Cutter hat das sehr treffend<br />
formuliert: Man sieht all die Ödnis und<br />
Die Regisseur<strong>in</strong> des Films „ Pr<strong>in</strong>zess<strong>in</strong> “,<br />
Birgit<br />
Grosskopf
NovoKult 21 NACHLESE<br />
Seite 23<br />
das Graue und dann kommt die Musik<br />
wie e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>igende Welle und spült<br />
alles sauber. Die Züge stehen für das<br />
ständige auf der Suche se<strong>in</strong>. Der Ort<br />
der Handlung war für mich auch ganz<br />
wichtig, dieses Niemandsland, diese<br />
Vororte, die <strong>in</strong> Deutschland und<br />
vielleicht überall auf der Welt gleich<br />
aussehen. Die Handlung sollte nicht<br />
dezidiert <strong>in</strong> Hamburg, Köln oder Berl<strong>in</strong><br />
spielen.<br />
Wie eng s<strong>in</strong>d die Charaktere an<br />
den Recherchen orientiert<br />
Die ganze Geschichte und alle<br />
Charaktere s<strong>in</strong>d fiktiv, aber natürlich<br />
<strong>in</strong>spiriert von me<strong>in</strong>en Recherchen.<br />
Die Männer <strong>in</strong> Ihrem Film spielen<br />
entweder ke<strong>in</strong>e oder e<strong>in</strong>e sehr<br />
fragwürdige Rolle. Warum<br />
Ehrlich gesagt, ist mir das erst im<br />
Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> so richtig aufgefallen, aber<br />
natürlich habe ich mich stark am Genre<br />
des Gangfilms orientiert, <strong>in</strong> dem das<br />
jeweils andere Geschlecht ke<strong>in</strong>e<br />
bedeutende Rolle spielt.<br />
E<strong>in</strong>e abschließende Frage: Wollen<br />
Sie bei ihren nächsten Projekten<br />
thematisch ähnliche Wege gehen,<br />
oder sich ganz neuen D<strong>in</strong>gen<br />
widmen<br />
Ich möchte nicht zuviel verraten,<br />
aber ich möchte etwas über das Leben<br />
der <strong>Deutsche</strong>n <strong>in</strong> der ehemaligen<br />
deutschen Kolonie <strong>in</strong> Südwestafrika<br />
machen.<br />
Frau Grosskopf, wir bedanken<br />
uns herzlich für das Gespräch.<br />
Interview: Lena Reißig, Kathr<strong>in</strong> König<br />
Zur Person: Geboren 1972<br />
<strong>in</strong> Köln. 1990 Abitur. Danach<br />
Grundstudium Archäologie sowie<br />
Mitarbeit als Schauspieler<strong>in</strong><br />
an der Studiobühne <strong>in</strong> Köln.<br />
1993-96 Studium der angewandten<br />
Theater- und Filmwissenschaften<br />
<strong>in</strong> Read<strong>in</strong>g<br />
(England), Abschluss Bachelor<br />
of Arts (Hons). Nebenbei Inszenierungen<br />
an Prov<strong>in</strong>ztheatern.<br />
Arbeit als Deutschlehrer<strong>in</strong> für<br />
Manager <strong>in</strong> London. Ab 1996<br />
Regie-Studium an der <strong>Deutsche</strong><br />
Film- und Fernsehakademie<br />
Berl<strong>in</strong> mit Nebenfach Drehbuch.<br />
Mehrere Kurzfilme. Seit 1998 Arbeit<br />
als Lektor<strong>in</strong> und Übersetzer<strong>in</strong><br />
für diverse Filmproduktionsfirmen.<br />
„Pr<strong>in</strong>zess<strong>in</strong>“ ist ihr erster<br />
abendfüllender K<strong>in</strong>ofilm.<br />
Birgit Grosskopf über den Film:<br />
„Der Schauplatz ist e<strong>in</strong>e westdeutsche<br />
Vorstadt. Alles ganz sauber<br />
und monoton, gleichförmig. So dass<br />
man eigentlich nur weg will. Wenn man<br />
wüsste, woh<strong>in</strong>. Me<strong>in</strong>e Protagonist<strong>in</strong>nen<br />
suchen sich Auswege. Sie<br />
stemmen sich verbal und mit vollem<br />
Körpere<strong>in</strong>satz gegen ihre Umgebung.<br />
Eigentlich s<strong>in</strong>d sie furchtbar romantisch.<br />
Mit fünf wusste jede noch, was<br />
mal aus ihr werden soll: e<strong>in</strong>e<br />
Pr<strong>in</strong>zess<strong>in</strong>. Aber jetzt s<strong>in</strong>d sie leider<br />
ke<strong>in</strong>e fünf mehr.“<br />
Der Neul<strong>in</strong>g<br />
Roman von Michael Ebmeyer<br />
Auszug aus dem Klappentext:<br />
„Matthias Bleuel steht neben sich. Seit<br />
se<strong>in</strong>er Scheidung lebt er wie betäubt<br />
vor sich h<strong>in</strong>. Als se<strong>in</strong> greiser und russlandsentimentaler<br />
Chef ihn bittet, nach<br />
Kemerowo <strong>in</strong> Südsibirien zu reisen, um<br />
dort <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er w<strong>in</strong>zigen Zweigstelle des<br />
Versandhauses e<strong>in</strong>e Urkunde zu<br />
überbr<strong>in</strong>gen, willigt er e<strong>in</strong>, weil er zu<br />
schwach zum Ne<strong>in</strong>sagen ist. Doch <strong>in</strong><br />
der mystischen sibirischen Sommerlandschaft<br />
erkennt sich Bleuel plötzlich<br />
selbst nicht mehr wieder. In Liebe zur<br />
geheimnisvollen Sänger<strong>in</strong> Ak Torgu<br />
entflammt, wird der verzagte Logistiker<br />
zum geistergläubigen Heißsporn.<br />
Zunächst stolpernd, dann immer<br />
drängender bewegt er sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e völlig<br />
neue Welt h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>. Er setzt alles aufs<br />
Spiel, umAk Torgu für sich zu gew<strong>in</strong>nen<br />
- und um sich endgültig zu verabschieden<br />
vom e<strong>in</strong>stigen Matthias Bleuel.“<br />
Michael Ebmeyer stellte im Rahmen<br />
e<strong>in</strong>er Lesereise se<strong>in</strong>en Roman auf<br />
E<strong>in</strong>ladung des Goethe-Instituts auch<br />
dem hiesigen <strong>in</strong>teressierten Publikum<br />
vor. Begleitet wurde er dabei von der<br />
schorischen Sänger<strong>in</strong> Tschyltys. So<br />
lernten die Gäste der Lesung auch<br />
gleich den besonderen Klang des<br />
Kehlkopfgesangs, der ausführlich im<br />
Buch beschrieben wird, auf bee<strong>in</strong>druckend<br />
<strong>in</strong>tensive Weise kennen.<br />
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Seite 24 NACHLESE<br />
NovoKult 21<br />
Innovationsforum aus der Sicht e<strong>in</strong>es Bloggers<br />
Marco Fieber war auf der Interra <strong>in</strong> Nowosibirsk – Auszüge aus se<strong>in</strong>em Blog<br />
Das „1. Internationale Jugend Innovationsforum<br />
Interra“<br />
ist sehr präsent <strong>in</strong><br />
Nowosibirsk. Fast alle zehn Meter trifft<br />
man auf die riesigen schwarzen<br />
Plakate, die verkünden, was <strong>in</strong> den<br />
nächsten vier Tagen hier stattf<strong>in</strong>den<br />
soll: „The ‚Interra' Forum is an exhibition<br />
of the newest technologies and <strong>in</strong>novative<br />
projects <strong>in</strong> science, culture and<br />
society, a meet<strong>in</strong>g place for domestic<br />
and foreign specialists and a ground for<br />
exchang<strong>in</strong>g experience and sign<strong>in</strong>g<br />
contracts.“<br />
Mittlerweile haben auch fast alle<br />
Teilnehmer ihre berühmt berüchtigten<br />
Badges abgeholt und das Registrierungszentrum,<br />
<strong>in</strong> dem wir Blogger gerade<br />
sitzen, dünnt sich so langsam aus.<br />
Eröffnungstag von Interra '09<br />
Die Eröffnungszeremonie er<strong>in</strong>nert<br />
irgendwie an die olympischen Spiele:<br />
dutzende <strong>in</strong> hautengenAnzügen <strong>in</strong> bunten<br />
Farben e<strong>in</strong>gehüllte Tänzer bewegen<br />
sich zur Interra-Hymne. Danach folgen<br />
unzählige Reden vermutlicher<br />
Persönlichkeiten Russlands, des<br />
Oblasts und Nowosibirsks. Vom Inhalt<br />
verstehe ich natürlich nicht allzu viel,<br />
nur sche<strong>in</strong>t dieses Forum überaus wichtig<br />
zu se<strong>in</strong>. In Russland ist dieses Jahr<br />
auch das Jahr der Jugend, wobei sich<br />
natürlich viele Politiker gleich doppelt<br />
profilieren wollen und alle reden davon,<br />
etwas für die Jugend zu bewegen.<br />
Auch muss man die gesamte<br />
Organisation sehr lobend erwähnen,<br />
denn bisher verlief alles reibungslos.<br />
Alles war fast generalstabsmäßig<br />
durchgezogen worden, „deutsch“ könnte<br />
man auch sagen …<br />
Inhaltlich ist dagegen noch nicht allzu<br />
viel passiert. Nach der Eröffnungs<br />
zeremonie nahmen wir an e<strong>in</strong>em<br />
Expertensymposiums zum sehr freien<br />
Thema „Innovationen“ teil. Im fast überfüllten<br />
„Globus“, e<strong>in</strong>em etwas kle<strong>in</strong>erem<br />
Theater, redeten e<strong>in</strong> halbes Dutzend<br />
Experten über notwendige Förderung<br />
der Jugend, mehr Gelder für die<br />
Forschung oder Investitionen des<br />
Staates. Also alles bekanntes, allgeme<strong>in</strong>es<br />
Bla-Bla. Die Mittagspause rettete<br />
uns im Endeffekt vor dem E<strong>in</strong>schlafen.<br />
Am Nachmittag g<strong>in</strong>g es für uns endlich<br />
richtig los: „ Novoblogika “. Wir<br />
waren die e<strong>in</strong>zigen <strong>in</strong>ternationalen<br />
Blogger, was etwas schade war, denn<br />
so beschränkte sich der Austausch nur<br />
auf zwei Seiten. Die anschließende<br />
Vorstellungsrunde brachte<br />
dann auch die ganze<br />
Bandbreite an Themen<br />
der Blogosphäre zu Tage.<br />
Angefangen über sehr<br />
persönliche Blogs, über<br />
Politik- und Medienblogs<br />
bis h<strong>in</strong> zu Themenblogs,<br />
zum Beispiel über die<br />
Veranstaltungen im lokalen<br />
Theater.<br />
Danach hielt die Stellvertretende<br />
Chefredakteur<strong>in</strong><br />
der russischen<br />
Nachrichtenagentur „Nowosti“,<br />
Natalija Losewa,<br />
e<strong>in</strong>en Fachvortrag zum<br />
Thema: „Multimedia im<br />
Internet für Massenmedien:<br />
Neuer Journalismus,<br />
Neue Medien, Neue<br />
Herausforderungen“. An<br />
und für sich e<strong>in</strong> sehr spannendes<br />
Thema mit sicherlich<br />
zahlreichen Diskussionspunkten,<br />
allerd<strong>in</strong>gs<br />
war der komplette<br />
Vortrag auf Russisch, sodass ich nach<br />
e<strong>in</strong>er halben Stunde den Vortrag verließ.<br />
Schade eigentlich, denn so blieb<br />
natürlich die angestrebte „Internationalität“<br />
von Novoblogika im Besonderen<br />
und Interra im Speziellen etwas auf der<br />
Strecke.<br />
Akademgorodok<br />
Vor dem Theater- und Operngebäude<br />
warten Dutzende Busse auf die<br />
fast 1000 „Interraeaner“, um sie zum<br />
Wissenschaftsstädtchen und Innovationszentrum<br />
Akademgorodok, e<strong>in</strong>em<br />
Vorort Nowosibirsks, zu br<strong>in</strong>gen. Bevor<br />
sich die riesige Kolonne endlich <strong>in</strong><br />
Gang setzt, wird noch die Strecke für<br />
den Straßenverkehr gesperrt. E<strong>in</strong><br />
Polizeiauto setzt sich vor den ersten<br />
Bus und nur wenig später geht es mit<br />
Sirenen und Blaulicht durch die morgendliche<br />
Rush-Hour.<br />
In Akademgorodok angekommen,<br />
bilden wir Blogger e<strong>in</strong> eigenes Grüppchen<br />
und beziehen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er etwas entfernt<br />
gelegenen Bar Stellung. Endlich<br />
s<strong>in</strong>d wir e<strong>in</strong>e überschaubare Gruppe<br />
und bekommen heute auch e<strong>in</strong>en<br />
Dolmetscher gestellt. E<strong>in</strong>er anregenden<br />
Diskussionsrunde steht also nix<br />
mehr entgegen.<br />
In gut drei Stunden kommt dann endlich<br />
mal richtig Fahrt auf beim Thema<br />
„Blogg<strong>in</strong>g and Education“ – auch Dank<br />
Eröffnung der Interra im Nowosibirsker Opernhaus<br />
Simon Columbus, der mit zwei Assen<br />
im Ärmel glänzen kann. E<strong>in</strong>erseits war<br />
er Waldorfschüler und andererseits betreibt<br />
er e<strong>in</strong>en Blog zur Digitalisierung.<br />
Es wird klar, dass eben selbige nicht<br />
mehr aufzuhalten ist, besser früher als<br />
später auch <strong>in</strong> der Schule und noch stärker<br />
<strong>in</strong> den Universitäten E<strong>in</strong>zug halten<br />
sollte und das die heutigen Strukturen<br />
von Autoritäten und Hierarchien verschwimmen<br />
und zum Teil auch verschw<strong>in</strong>den<br />
werden. Diese Entwicklung<br />
und die Tendenzen, so stellen wir<br />
geme<strong>in</strong>sam fest, s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Russland und<br />
Deutschland auf sehr ähnlichem<br />
Stand. Auch die Standpunkte unterscheiden<br />
sich nur <strong>in</strong> Details.<br />
Nach dem Mittagessen folgt e<strong>in</strong>e<br />
endlos ersche<strong>in</strong>ende Busfahr-, Aussteig-,<br />
Besichtungs- und wieder<br />
E<strong>in</strong>stiegsorgie quer durch Akademgorodok.<br />
Gegen 19 Uhr ist auch dieser Teil<br />
überstanden und alle Busse setzen<br />
sich zum nur wenige Kilometer entfernten<br />
Ort Koltsowo <strong>in</strong> Bewegung.<br />
Endlich sehen wir die berühmt berüchtigten<br />
Sibirischen Birkenwälder mal bei<br />
Tageslicht. In Koltsowo wurde von den<br />
Organisatoren e<strong>in</strong> wirklich sehr nettes<br />
kle<strong>in</strong>es Ethno-Festival auf die Be<strong>in</strong>e<br />
gestellt. Wir schlendern wir e<strong>in</strong> wenig<br />
über das Festivalgelände, machen Fotos<br />
und lauschen der Musik.<br />
www.unblogbar.org/s=<strong>in</strong>terra
NovoKult 21 NACHLESE<br />
Seite 25<br />
Private Me<strong>in</strong>ungen: Inter(ra)view I<br />
Simon Columbus lobt die Diskussionen, kritisiert die Grauhaarigen<br />
Inter(ra)view II<br />
Marco Fieber berichtet<br />
Simon Columbus, was war De<strong>in</strong>er<br />
Me<strong>in</strong>ung nach das Besondere an<br />
der Interra<br />
Es fällt mir e<strong>in</strong> wenig schwer zu<br />
sagen, was „ das“<br />
Besondere an Interra<br />
war – schließlich habe ich bei weitem<br />
nicht alles mitbekommen. Ich glaube<br />
aber, dass die große Fülle an Themen<br />
etwas Spezielles war. Deshalb f<strong>in</strong>de ich<br />
es schade, dass das Programm so voll<br />
war – man konnte gar nicht von allem<br />
etwas mitbekommen. Denn viele<br />
verschiedene Themen bedeuten auch<br />
viele Möglichkeiten, Verknüpfungen zu<br />
ziehen. Der große Rahmen, <strong>in</strong> dem<br />
alles stattfand, hat das leider schwer<br />
gemacht.<br />
Leider gab es auch Programmpunkte,<br />
die nicht wirklich zum Weiterdenken<br />
angeregt haben. Das wir zum Beispiel<br />
verschiedene „ <strong>in</strong>novative“<br />
Unternehmen<br />
im Akademgorodok besucht<br />
haben, halte ich für Zeitverschwendung.<br />
Aus me<strong>in</strong>er Sicht wurde dort ke<strong>in</strong><br />
eigenes <strong>in</strong>novatives Denken der<br />
Teilnehmer angestoßen – und darum<br />
sollte es aus me<strong>in</strong>er Sicht gehen.<br />
Was habt ihr davon gehabt, außer<br />
e<strong>in</strong>er coolen Reise nach Sibirien<br />
Zum Glück gab es auch Punkte auf<br />
der Tagesordnung, die ich für wirklich<br />
gelungen halte – allen voran natürlich<br />
unsere Diskussionen mit russischen<br />
Bloggern. Gerade weil das im kle<strong>in</strong>eren<br />
Rahmen stattfand und wir die Möglichkeit<br />
hatten, Ideen auszutauschen,<br />
waren diese Gespräche sehr berei-<br />
Simon Columbus nahm als e<strong>in</strong>er von zwei deutschen<br />
Bloggern am Innovationsforum Interra teil.<br />
Se<strong>in</strong> Blog: www.simoncolumbus.com<br />
chernd. Schließlich g<strong>in</strong>g es um Themen,<br />
die <strong>in</strong> jedem Land von Bedeutung<br />
s<strong>in</strong>d: Bildung und Me<strong>in</strong>ungsfreiheit. Da<br />
ist es wichtig, verschiedene Sichtweisen<br />
zusammenzutragen.<br />
Ich glaube allerd<strong>in</strong>gs, dass es noch<br />
e<strong>in</strong>en etwas verborgeneren Nebeneffekt<br />
unseres Aufenthalts <strong>in</strong> Nowosibirsk<br />
gibt. Gerade aus Anlass dieser Reise<br />
habe ich immer wieder mit <strong>Deutsche</strong>n<br />
über Russland gesprochen. Und wenn<br />
ich das Land auch nicht im Schnelldurchgang<br />
vollständig kennengelernt<br />
habe, so schärft diese Erfahrung doch<br />
den Blick auch Vorurteile. Und davon<br />
bestehen gerade <strong>in</strong> der deutschen<br />
Medienwelt sehr viele gegenüber<br />
Russland.<br />
Ist wissenschaftlich oder anderweitig<br />
fachlich etwas herausgekommen<br />
„ Wissenschaftlich“<br />
herausgekommen<br />
ist sicher nichts, schließlich b<strong>in</strong> ich<br />
ja ke<strong>in</strong> Wissenschaftler. Fachlich aber<br />
schon. Ich beschäftige mich bereits seit<br />
Jahren mit E<strong>in</strong>schränkungen der Me<strong>in</strong>ungsfreiheit.<br />
Mit russischen Bloggern<br />
darüber zu sprechen, die davon noch<br />
e<strong>in</strong>mal anders betroffen s<strong>in</strong>d als ich <strong>in</strong><br />
Deutschland – wenn auch <strong>in</strong> Russland<br />
ke<strong>in</strong>e Internetzensur herrscht –, war<br />
daher sehr <strong>in</strong>teressant.<br />
Und auch die Diskussionen über<br />
Bildung und Schulsysteme, die ich vor<br />
allem zwischen den Veranstaltungen<br />
mit Studenten geführt habe, möchte ich<br />
nicht missen. Die Situation, <strong>in</strong> der sich<br />
russische Schulabgänger bef<strong>in</strong>den,<br />
war mir so vorher jedenfalls nicht<br />
bewusst. Und ich glaube auch, dass<br />
me<strong>in</strong>e Schilderungen der Schulzeit <strong>in</strong><br />
Deutschland für die Leute, mit denen<br />
ich gesprochen habe, <strong>in</strong>teressante<br />
Anstöße enthalten haben.<br />
Was ist De<strong>in</strong> abschließender E<strong>in</strong>druck<br />
von der Interra<br />
Was ich an Interra kritisieren muss,<br />
ist vor allem, dass mir manchmal<br />
fraglich war, woher die Begriffe<br />
„ Jugend“ und „ Innovation“<br />
im Namen<br />
der Veranstaltung kamen. Viele der<br />
Vortragenden waren ganz im Gegenteil<br />
grauhaarige alte Männer. Nicht, dass<br />
ich etwas gegen die Weisheit desAlters<br />
hätte; aber Innovation kommt häufig<br />
aus anderen Richtungen.<br />
Hätte man weniger arrivierte<br />
Experten sprechen lassen und dafür<br />
mehr Diskussionen zwischen den<br />
Teilnehmern forciert, hätte Interra<br />
se<strong>in</strong>em Namen besser gerecht werden<br />
können.<br />
Marco Fieber, was war De<strong>in</strong>er<br />
Me<strong>in</strong>ung nach das Besondere an der<br />
Interra<br />
Das Besondere an Interra war für<br />
mich erst e<strong>in</strong>mal, dass es <strong>in</strong> Russland<br />
und dann auch noch fünf Zeitzonen<br />
weit weg stattf<strong>in</strong>det. Also e<strong>in</strong> komplett<br />
neues Land für mich. Somit war ich<br />
sehr gespannt was mich dort erwarten<br />
würde. Bis zur Eröffnung <strong>in</strong> der Oper<br />
wusste ich auch nicht so richtig, was<br />
uns denn überhaupt erwartet. Im<br />
Enddefekt erlebte ich aber wunderbare<br />
sechs Tage <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er sehr modernen und<br />
lebendigen Stadt. Ich lernte viele tolle<br />
und <strong>in</strong>teressante Leute kennen, das<br />
Programm war super durchgeplant und<br />
auch für Abwechslung wurde ausreichend<br />
gesorgt. Natürlich war es<br />
auch manchmal stressig, aber wir<br />
wussten ja im Voraus worauf wir uns<br />
e<strong>in</strong>gelassen haben.<br />
Was habt Ihr davon gehabt, außer<br />
e<strong>in</strong>er coolen Reise nach Sibirien<br />
Wie angesprochen, viele Kontakte<br />
mit <strong>in</strong>teressanten Leuten und e<strong>in</strong>en<br />
kle<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die russische<br />
Blogger- und Kulturszene.<br />
Ist wissenschaftlich oder anderweitig<br />
fachlich etwas herausgekommen<br />
Weder noch, denn am wissenschaftlichen<br />
Teil habe ich nicht teilgenommen,<br />
und die Novoblogica war<br />
eher auf dem Austausch von Erfahrungen<br />
und Me<strong>in</strong>ungen aus.<br />
Interviews: Ir<strong>in</strong>a Posrednikova<br />
Marco Fieber war der zweite deutsche Teilnehmer<br />
am Forum. Se<strong>in</strong> Blog ist unter der<br />
Adresse www.unblogbar.org zu f<strong>in</strong>den.
Seite 26 VORSTELLUNGEN<br />
NovoKult 21<br />
Was macht eigentlich ... Ramona Borsch<br />
Die ehemalige Sprachassistent<strong>in</strong> und Boschlektor<strong>in</strong> im Interview<br />
Ramona Borsch mit ihrem Sohn Erik<br />
Zur Person: Von 2003 bis<br />
2004 war Romana Borsch als<br />
Lektor<strong>in</strong> der Robert-Bosch-Stif-<br />
tung an der Staatlichen <strong>Novosibirsk</strong>er<br />
Universität tätig – alsAuslandserfahrung<br />
für ihr Studium <strong>in</strong><br />
Sprachen, Journalistik und Pädagogik<br />
<strong>in</strong> Leipzig. Nach e<strong>in</strong>em<br />
Jahr als Dozent<strong>in</strong> an e<strong>in</strong>er<br />
japanischen Universität <strong>in</strong> Osaka<br />
war sie nochmals von 2005<br />
bis 2007 <strong>in</strong> Sibirien und arbeitet<br />
als Goethe-Sprachassistent<strong>in</strong> <strong>in</strong><br />
Akademgorodok, wo sie auch<br />
ihren Wohnsitz hatte.<br />
Zur Artikelserie: NovoKult<br />
stellt regelmäßig e<strong>in</strong>en früheren<br />
deutschen Gast von Nowo-<br />
sibirsk vor – Wünsche und<br />
Fragen an novokult@gmx.<strong>in</strong>fo<br />
Ramona, Sie s<strong>in</strong>d 2007 aus<br />
Nowosibirsk weggezogen Wo<br />
leben Sie heute<br />
Ich lebe seit me<strong>in</strong>em Weggang aus<br />
Nowosibirsk zusammen mit me<strong>in</strong>em<br />
spanischen Freund <strong>in</strong> Barcelona,<br />
Spanien.<br />
Was hat sich seit 2007 bei Ihnen<br />
sonst noch so geändert<br />
Verändert hat sich seither vor allem<br />
die Größe me<strong>in</strong>er Familie. Ich b<strong>in</strong> im<br />
Mai 2008 Mutter von e<strong>in</strong>em wunderbaren<br />
kle<strong>in</strong>en Jungen namens Erik<br />
geworden.<br />
Welche Assoziationen haben Sie<br />
heute bei dem Wort Nowosibirsk<br />
Mit Nowosibirsk verb<strong>in</strong>de ich wunderbare<br />
Er<strong>in</strong>nerungen an <strong>in</strong>teressante,<br />
aufregend schöne, manchmal auch<br />
chaotische drei Jahre voller neuer Erfahrungen<br />
und netter Begegnungen.<br />
Ich denke wirklich sehr gern an me<strong>in</strong>e<br />
Zeit <strong>in</strong> Nowosibirsk, an me<strong>in</strong>e Arbeit<br />
dort und an all die lieben Menschen, die<br />
ich dort kennen lernen durfte, zurück.<br />
Ich b<strong>in</strong> sehr glücklich hier <strong>in</strong> Spanien,<br />
aber ich vermisse "me<strong>in</strong>" Sibirien<br />
sehr!!! Sogar an die w<strong>in</strong>terlichen<br />
Schneemassen und die eisigen<br />
Temperaturen er<strong>in</strong>nere ich mich hier im<br />
warmen Süden gerne.<br />
Welchen Platz – e<strong>in</strong> Cafe, e<strong>in</strong>e<br />
Bar, e<strong>in</strong>en Park – <strong>in</strong> Nowosibirsk<br />
würden Sie gern noch e<strong>in</strong>mal besuchen<br />
Ich würde sehr viele Plätze gern<br />
noch e<strong>in</strong>mal besuchen. All die Plätze,<br />
an denen ich e<strong>in</strong>e schöne Zeit mit<br />
me<strong>in</strong>en Nowosibirsker Freunden<br />
verbracht habe. Oft haben wir uns<br />
damals vor dem Supermarkt am<br />
Len<strong>in</strong>platz getroffen und s<strong>in</strong>d dann<br />
e<strong>in</strong>fach spaziert oder haben Kaffee<br />
getrunken im Sushi-Terra oder im<br />
People’s. Im Sommer waren wir oft am<br />
Obskoje Morje zum Sonnen und zum<br />
Schaschlik grillen, das würde ich alles<br />
sehr gern wiederholen.<br />
Haben Sie noch Kontakt zu<br />
Leuten aus Nowosibirsk<br />
Ja, ich habe mit vielen Freunden<br />
und ehemaligen Kollegen aus <strong>Novosibirsk</strong><br />
noch immer Kontakt. Wir mailen,<br />
sms’en und manchmal telefonieren wir<br />
auch. E<strong>in</strong>ige me<strong>in</strong>er Freunde haben<br />
mich auch schon hier <strong>in</strong> Spanien<br />
besucht. Und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Wochen treffe<br />
ich mich <strong>in</strong> Deutschland mit e<strong>in</strong>er lieben<br />
Freund<strong>in</strong> aus Berdsk.<br />
Und wann kommen Sie das<br />
nächste Mal nach Nowosibirsk<br />
Sobald me<strong>in</strong> Sohn groß genug ist,<br />
möchte ich mit ihm und me<strong>in</strong>em Freund<br />
unbed<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>e Reise nach Sibirien<br />
machen und ihnen diesen wunderbaren<br />
Ort e<strong>in</strong>mal vorstellen.<br />
Schreibe De<strong>in</strong>e eigenen Artikel <strong>in</strong> der NovoKult!<br />
Geme<strong>in</strong>same Korrektur mit<br />
deutschen Muttersprachlern!<br />
Ke<strong>in</strong>e Idee Beschreibe e<strong>in</strong> exotisches Museum oder mache e<strong>in</strong> Interview!<br />
Weitere Informationen: novokult@gmx.<strong>in</strong>fo
NovoKult 21 SERVICE<br />
Seite 27<br />
Zertifikate<br />
Sprachtests im Überblick<br />
Wollen Sie <strong>in</strong> Deutschland studieren<br />
oder arbeiten oder wollen Sie<br />
deutsche Kunden <strong>in</strong> Russland oder <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em anderen Land betreuen oder<br />
wollen Sie e<strong>in</strong>fach zeigen, wie gut Sie<br />
schon Deutsch können, dann s<strong>in</strong>d das<br />
Gründe, um e<strong>in</strong> Goethe-Zertifikat zu<br />
erwerben. Das Goethe-Institut bietet<br />
Zertifikate <strong>in</strong> allen Niveau-Stufen an.<br />
An dieser Stelle möchten wir e<strong>in</strong>en<br />
kurzen Überblick über die e<strong>in</strong>zelnen<br />
Zertifikate geben.<br />
Goethe-Zertifikat A1 weist Kenntnisse<br />
auf dem Niveau A1 nach und wird<br />
zum Beispiel verlangt, wenn Sie nach<br />
Deutschland auswandern.<br />
Das Goethe-Zertifikat A2 zeigt,<br />
dass man elementare Kenntnisse für<br />
die Kommunikation im Alltagsleben besitzt.<br />
Bei der Bewerbung für e<strong>in</strong> Au-<br />
Pair-Programm kann dieses Zeugnis<br />
von Nutzen se<strong>in</strong>.<br />
Das Goethe-Zertifikat B1 bestätigt,<br />
dass man sich sprachlich im alltäglichen,<br />
aber auch im beruflichen Leben<br />
selbständig fühlt. Das Zertifikat ist ideal<br />
für Bewerbungen für e<strong>in</strong> Praktikum <strong>in</strong><br />
Deutschland oder e<strong>in</strong>en Arbeitsplatz <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er deutschen Institution.<br />
Die Besitzer e<strong>in</strong>es Goethe-Zertifikats<br />
B2 können sich schriftlich und<br />
mündlich zu komplexen Sachverhalten<br />
klar und strukturiert äußern. Das Zertifikat<br />
kann bei der Bewerbung um e<strong>in</strong><br />
Stipendium e<strong>in</strong>e Rolle spielen.<br />
Wer längere Radio und Fernsehreportagen<br />
versteht, Gedanken <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Aufsatz erörtern kann, sich mündlich<br />
spontan und fließend, aber auch komplex<br />
ausdrücken kann, sollte se<strong>in</strong>e<br />
Kenntnisse mit dem Goethe-Zertifikat<br />
C1 belegen. Selbst bei der Bewerbung<br />
um e<strong>in</strong>en Studienplatz an e<strong>in</strong>igen<br />
deutschen Universitäten wird dieses<br />
Zeugnis akzeptiert.<br />
Hat jemand das Goethe-Zertifikat<br />
C2, dann zeugt das von se<strong>in</strong>en<br />
perfekten Deutschkenntnissen. Mit<br />
diesem Dokument kann man ruhig e<strong>in</strong><br />
Studium <strong>in</strong> Deutschland planen. Auch<br />
die Arbeitgeber kann man mit diesem<br />
Zeugnis davon überzeugen, der passende<br />
Kandidat für die Arbeit mit<br />
deutschsprachigen Partnern zu se<strong>in</strong>.<br />
Seit dem vorigen Jahr können auch<br />
K<strong>in</strong>der und Jugendliche ihre Deutschkenntnisse<br />
nachweislich belegen. In<br />
den Prüfungen Fit <strong>in</strong> Deutsch 1,<br />
Fit <strong>in</strong><br />
Deutsch 2 und Zertifikat Deutsch für<br />
Jugendliche besteht die Möglichkeit,<br />
e<strong>in</strong> Goethe-Zertifikat zu erhalten.<br />
Adressen<br />
Institutionen <strong>in</strong> der Stadt<br />
Generalkonsulat der BRD<br />
Krasny Prospekt 28<br />
Tel.: 383 / 223 14 11 (Zentrale)<br />
Tel.: 383 / 231 00 52, 231 00 20 (Visa)<br />
Tel.: 495 / 787 29 21, 974 1558<br />
(Term<strong>in</strong>vergabe für Visa)<br />
Fax: 383 / 223 44 17 (Zentrale)<br />
Fax: 383 / 231 00 55 (Visa)<br />
E-Mail: <strong>in</strong>fo@nowosibirsk.diplo.de<br />
www.nowosibirsk.diplo.de<br />
<strong>Deutsche</strong>r Lesesaal und Lehrmittelzentrum<br />
<strong>in</strong> der Gebietsbibliothek<br />
ul. Sowetskaja 6, Raum 324<br />
Tel.: 383 / 223 99 57<br />
Fax: 383 / 223 96 09<br />
E-Mail: foreign@rstlib.nsc.ru<br />
www.ngonb.ru<br />
Zentrum für <strong>Deutsche</strong> Sprache<br />
Staatliche Universität<br />
ul. Pirogowa 2, Raum 619<br />
Tel./Fax: 383 / 363 41 70<br />
E-Mail: zds@fija.nsu.ru<br />
www.zds.nsu.ru<br />
Sprachassistent<strong>in</strong>: Kathr<strong>in</strong> König<br />
<strong>Deutsche</strong>s Zentrum<br />
Staatliche Technische Universität<br />
pr. Karla Marxa 20,<br />
Korpus 6, Raum 105<br />
Tel./Fax: 383 / 346 36 32<br />
Handy: 383 / 214 50 48<br />
E-Mail: dznovosib@mail.ru<br />
www.dezentrum.ru<br />
Sprachassist.: Alexandra Wiegand<br />
Goethe-Institut Nowosibirsk<br />
ul. Mitschur<strong>in</strong>a 3<br />
Tel.: 383 / 362 14 74<br />
Fax: 383 / 222 85 14<br />
<strong>in</strong>fo@nowosibirsk.goethe.org<br />
www.goethe.de/nowosibirsk<br />
DAAD-Informationszentrum<br />
Tatjana Molodzowa<br />
Staatliche Technische Universität<br />
pr. Karla Marxa 20<br />
Korpus 1, Raum 332<br />
Tel./Fax: 383 / 346 04 64<br />
E-Mail: <strong>in</strong>fo@daad-Nowosibirsk.de<br />
www.daad-Nowosibirsk.de<br />
Zentralstelle für das<br />
Auslandsschulwesen (ZfA)<br />
Büro am Generalkonsulat der BRD<br />
Holger Dähne<br />
Krasny Prospekt 28<br />
Tel.: 383 / 231 00 43<br />
Fax: 383 / 231 00 57<br />
E-Mail: zfa-nowosibirsk@dasan.de<br />
www.zfa-nowosibirsk.dasan.de<br />
Delegation der <strong>Deutsche</strong>n<br />
Wirtschaft <strong>in</strong> Russland<br />
Juri Sorok<strong>in</strong><br />
Krasny pr. 28, 3. Etage<br />
Tel./Fax: 383 / 217 79 39<br />
E-Mail: ahk-nowosibirsk@sib.ru<br />
http://russland.ahk.de<br />
<strong>Deutsche</strong> <strong>in</strong> Nowosibirsk<br />
(Informationsportal und Mail<strong>in</strong>g-Liste)<br />
www.deutsche-nowosibirsk.de<br />
Kathedrale „Verklärung Christi“<br />
Kurie der Apostolischen Adm<strong>in</strong>istratur<br />
für die Katholiken <strong>in</strong> Westsibirien<br />
ul. Gorkogo 100<br />
Tel.: 383 / 218 14 30, 218 12 04, 218 12 46<br />
Fax: 383 / 218 11 53<br />
E-Mail: curiansk@rambler.ru<br />
www.nskcathedral.ru<br />
Kirche der Franziskaner<br />
2. pereulok Mira 10-12<br />
Tel. 383 / 353 53 90<br />
Evangelisch-lutherische Kirche<br />
Michael und Stefanie Fendler<br />
ul. Kawkaskaja 38<br />
Tel. 383 / 294 69 49<br />
Friedrich-Ebert-Stiftung<br />
Swetlana Michailowa<br />
ul. Woschod 14/1, Büro 509<br />
Tel./ Fax: 383 / 254 00 99<br />
E-Mail: fes_novsib@fesmos.ru.<br />
Nowosibirsker Regionales<br />
Russisch-<strong>Deutsche</strong>s Haus<br />
ul. Jadr<strong>in</strong>zewskaja 68<br />
Tel./Fax: 383 / 218 02 12<br />
E-Mail: nornd@mail.ru<br />
www.sibrd.ru<br />
Entwicklungsgesellschaft<br />
Nowosibirsk (EGN, GTZ)<br />
ul. Nemirowitscha-Dantschenko 165,<br />
Raum 306, Fax: 383 / 211 94 04<br />
Tel. 383 / 211 94 00, 211 94 01, 211 94 02<br />
E-Mail: sekr@egn.nsk.su<br />
www.gtz.de<br />
Russlanddeutsche Organisation<br />
„Wosroschdenije“<br />
E-Mail: wosr@onl<strong>in</strong>e.nsk.su,<br />
wosr@list.ru<br />
Jugendklub des Russisch-<br />
<strong>Deutsche</strong>n Hauses<br />
Merker Margarita,Maria Appel<br />
ul. Jadr<strong>in</strong>zewskaja 68<br />
Tel./Fax: 383 / 222 95 10<br />
<strong>Deutsche</strong>r Studentenklub<br />
„Sibirischer Bär“<br />
Ir<strong>in</strong>a Posrednikowa, Lilja Godunowa<br />
E-Mail: sbaer@yandex.ru<br />
www.nsu.ru/sb
Seite 28 RÄTSEL<br />
NovoKult 21<br />
Begriffe rund um den Mauerfall<br />
Mach mit beim Kreuzworträtsel und gew<strong>in</strong>ne tolle Preise!<br />
Der Mauerfall jährt sich zum 20. Mal<br />
und so dreht sich das Rätsel dieses mal<br />
um dieses denkwürdige Ereignis. Das<br />
Lösungswort ergibt sich <strong>in</strong> den grau<br />
h<strong>in</strong>terlegten Feldern, von oben nach<br />
unten gelesen. Schicke die Lösung bis<br />
zum 1. Februar 2010<br />
an die Adresse<br />
novokult@gmx.<strong>in</strong>fo. Als Preis w<strong>in</strong>kt e<strong>in</strong><br />
deutsch-russisches Großwörterbuch<br />
von Langenscheidt. Letztes Mal hat<br />
Natalia Skork<strong>in</strong>a gewonnen.<br />
Gesuchte Begriffe<br />
1 In dieser Stadt fanden die größten<br />
Demonstrationen statt, die später zum<br />
Mauerfall führten.<br />
2 In dieser Stadt stand die Mauer.<br />
3 Zur Wiedervere<strong>in</strong>igung führte das 2+<br />
4-Abkommen. Neben den zwei deutschen<br />
Staaten unterschieben die Sowjetunion,<br />
die USA, Großbritannien sowie<br />
... .<br />
4 Dieser Politiker leitete die <strong>Deutsche</strong><br />
Demokratische Republik von 1971 bis<br />
1989 (Vor- und Nachname) .<br />
5 Die Berl<strong>in</strong>er Mauer war e<strong>in</strong> Teil der<br />
<strong>in</strong>nerdeutschen ... .<br />
6 Dieser Politiker leitete die Bundesrepublik<br />
Deutschland von 1982 bis<br />
1998 (Vor- und Nachname) .<br />
7 Dieses Wort bezeichnet den politischen<br />
Wandel <strong>in</strong> der <strong>Deutsche</strong>n Demokratischen<br />
Republik 1989.<br />
8 Die Verfassung des wiedervere<strong>in</strong>igten<br />
Deutschlands heißt ... .<br />
9 Der wohl wichtigste Spruch auf den<br />
Plakaten der Demonstrationen (vier<br />
Worte).<br />
10 Monat des Mauerfalls.<br />
11<br />
Symbolisches Möbelstück, an welchem<br />
sich die Politiker der <strong>Deutsche</strong>n<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
5<br />
6<br />
7<br />
8<br />
9<br />
10<br />
11<br />
11<br />
12<br />
13<br />
14<br />
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16<br />
Demokratischen Republik mit der<br />
Opposition trafen (zwei Worte).<br />
12 Abkürzung für „ Bundesrepublik<br />
Deutschland “.<br />
13 Monat der Wiedervere<strong>in</strong>igung.<br />
14 Abkürzung für „ <strong>Deutsche</strong> Demokratische<br />
Republik “.<br />
Das Rätsel verwendet statt ö, ä,<br />
ü, ß stets oe, ae, ue und ss!<br />
15 Traditioneller Wochentag, an welchem<br />
die Opposition <strong>in</strong> den Städten der<br />
<strong>Deutsche</strong>n Demokratischen Republik<br />
demonstrierte.<br />
16 Europäische Stadt, <strong>in</strong> der sich <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er Botschaft kurz vor dem Mauerfall<br />
e<strong>in</strong> Flüchtl<strong>in</strong>gsdrama abspielte.<br />
Auf der westdeutschen Seite war die Mauer bunt bemalt – im Gegensatz dazu war die ostdeutsche Seite weiß oder grau.