Hit Early â the Golden Hour - Infektionsnetz
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JATROS Infektiologie 2 I2008<br />
H. Burgmann, Wien<br />
Neue Antibiotika bei schwerer Sepsis –<br />
die Magic Bullet?<br />
<strong>Hit</strong> <strong>Early</strong> – <strong>the</strong> <strong>Golden</strong> <strong>Hour</strong><br />
Im Jahr 2004 wurden evidenzbasierte Richtlinien zur antimikrobiellen Therapie der schweren Sepsis und des<br />
septischen Schocks publiziert 1 und im Jänner 2008 modifiziert 2 . Einer der wichtigsten Punkte ist dabei der<br />
Beginn der antimikrobiellen Therapie innerhalb der ersten Stunde nach Beginn der schweren Sepsis.<br />
Unterstützung erhielt diese Empfehlung<br />
durch eine kürzlich publizierte retrospektive<br />
Beobachtungsstudie von Kumar und<br />
Mitarbeitern 4 , die den Einfluss einer verspäteten<br />
Initiierung einer antimikrobiellen<br />
Therapie bei 154 Patienten mit septischem<br />
Schock untersuchte. 1 Die Sterblichkeit<br />
nahm in jeder Stunde einer verspäteten<br />
Antibiotika<strong>the</strong>rapie um 7% zu.<br />
Sogar innerhalb der ersten „<strong>Golden</strong> <strong>Hour</strong>“<br />
war ein Unterschied nachweisbar. Patienten,<br />
welche innerhalb der ersten 30 Minuten<br />
behandelt wurden, überlebten in<br />
82,7% der Fälle, solche, die in der zweiten<br />
Hälfte der „<strong>Golden</strong> <strong>Hour</strong>“ behandelt<br />
wurden, hingegen in 77,2%. Es muss allerdings<br />
betont werden, dass es sich dabei<br />
um eine restrospektive Kohortenstudie<br />
handelte, die nur eine Hypo<strong>the</strong>se generieren<br />
kann und keinen Beweis liefert.<br />
Entstehung resistenter<br />
Bakterien<br />
Multiresistente Erreger 3 tragen<br />
zu einer deutlichen Erhöhung<br />
der Sterblichkeit von intensivmedizinisch<br />
betreuten Patienten<br />
bei. 7 Zur Behandlung ebendieser<br />
resistenten Erreger wurde<br />
eine Reihe neuer Antibiotika<br />
entwickelt. 5 (Tab.)<br />
Sollen nun die neuen Antibiotika<br />
in der primären empirischen<br />
Therapie eingesetzt werden? Diese<br />
Frage muss eindeutig mit<br />
Nein beantwortet werden. Eine<br />
wichtige Überlegung in diesem Zusammenhang<br />
ist die Resistenzsituation.<br />
Seit Mitte der 90er-Jahre ist für alle wichtigen<br />
Erreger eine steigende Zunahme<br />
von Resistenzen gegen die Standardantibiotika<br />
zu beobachten. Besonders zu<br />
beachten sind hierbei Methicillin-resistenter<br />
Staphylococcus aureus (MRSA),<br />
Vancomycin-resistente Enterokokken<br />
(VRE) und Ceftazidim-, Ciprofloxacinoder<br />
Carbapenem-resistente Pseudomonaden.<br />
Weiters ist es auch zu einem dramatischen<br />
Anstieg Fluorchinolon-resistenter<br />
E. coli gekommen. Enterobakterien<br />
bilden zunehmend sogenannte<br />
Breitspektrum-Betalaktamasen (Extended<br />
Spectrum Beta-Lactamases, ESBL),<br />
sodass die Sensibilität der Erreger gegenüber<br />
einer großen Anzahl von Betalaktam-Antibiotika<br />
abnimmt.<br />
Neue Antibiotika<br />
gegen grampositive Problemkeime<br />
Linezolid<br />
Daptomycin<br />
Tigecyclin<br />
Dalbavancin<br />
Telavancin<br />
Ceftobipro<br />
Ceftarolin<br />
Iclaprim<br />
gegen gramnegative Problemkeime<br />
Doripenem<br />
Tigecyclin<br />
Tab.: Neue Antibiotika<br />
Substanzgruppe<br />
Oxazolidinon<br />
Lipopeptid<br />
Tetracyclin<br />
Lipoglycopeptid<br />
Lipoglycopeptid<br />
Cephalosporin<br />
Cephalosporin<br />
Diaminopyrimidin<br />
Carbapenem<br />
Empirische Therapie heute<br />
Amerikanische Studien setzen primär<br />
nun eine MRSA-wirksame Kombinations<strong>the</strong>rapie<br />
mit Glykopeptiden ein, um<br />
eine inadäquate Antibiotika<strong>the</strong>rapie zu<br />
vermeiden. Da in unseren Breiten die<br />
Prävalenz von MRSA bei etwa 15–16%<br />
liegt, ist eine Initial<strong>the</strong>rapie mit einem<br />
MRSA-wirksamen Antibiotikum bei uns<br />
nicht indiziert. Wichtig bei der Therapieentscheidung<br />
scheint allerdings die Risikostratifizierung<br />
des Patienten zu sein.<br />
Wenn der Patient in den Wochen vor der<br />
Entwicklung der Sepsis ein Antibiotikum<br />
erhielt, ist die Wahrscheinlichkeit der Resistenzentstehung<br />
signifikant erhöht und<br />
daher die Therapie mit beispielsweise<br />
MRSA-wirksamen Antibiotika auch empirisch<br />
indiziert. Gleichzeitig müssen bei<br />
antimikrobiell vorbehandelten Patienten<br />
natürlich auch resistente<br />
gramnegative Erreger in das<br />
empirische Therapiekalkül<br />
einbezogen werden.<br />
Es muss jedoch berücksichtigt<br />
werden, dass Glykopeptide<br />
bei allen Gewebsinfektionen<br />
nur eingeschränkt<br />
wirksam sind, weil<br />
Glykopeptide aufgrund ihrer<br />
Molekülgröße schlecht<br />
gewebspenetrabel sind und<br />
zudem die Erregereradikation<br />
aufgrund der langsamen<br />
Abtötungdynamik<br />
noch unzureichend ge-<br />
I 28<br />
universimed.com
| referat<br />
lingt. 6 Das wäre nun die Chance einiger<br />
neuer Antibiotika. Mit Tigecyclin und<br />
Daptomycin wurden 2006 zwei neue<br />
Substanzen zugelassen, MRSA-wirksame<br />
Cephalosporine (Ceftobiprol, Ceftarolin)<br />
sind in Phase 3 der klinischen Prüfung.<br />
Neue kleinmolekulare Glykopeptide<br />
wie Telavancin, Dalbavancin und<br />
Oritavancin stehen für schwere Hautund<br />
Weichteilinfektionen vor der Zulassung<br />
und sind für die ambulant erworbene<br />
Pneumonie und die Spitalspneumonie<br />
in der klinischen Prüfung.<br />
Linezolid<br />
Mit Linezolid steht jetzt für alle Arten<br />
von resistenten grampositiven Kokken<br />
eine Erfolg versprechende Substanz<br />
mit sehr guter Gewebepenetration zur<br />
Verfügung. Erwähnenswert ist, dass Linezolid<br />
über einen neuartigen Wirkmechanismus<br />
verfügt. Wegen der 100%igen<br />
Bioverfügbarkeit kann die Substanz auch<br />
oral verabreicht werden. Nachteil ist, dass<br />
Linezolid meist nur bakteriostatisch<br />
wirkt. Daten, die den klinischen Vorteil<br />
von Linezolid gegenüber von Glykopeptiden<br />
belegen, gibt es bisher nur für<br />
MRSA-Pneumonie, jedoch nicht für die<br />
Sepsis. Die häufigsten Nebenwirkungen<br />
sind Kopfschmerzen, Diarrhö, Übelkeit,<br />
Erbrechen, aber auch Störungen des Blutund<br />
lymphatischen Systems. Periphere<br />
und optische Neuropathien wurden nach<br />
längerer Verabreichung beobachtet.<br />
Tigecyclin<br />
stellt eine Weiterentwicklung der Tetracycline<br />
dar. Neben der Wirksamkeit im<br />
grampositiven Bereich (MRSA, VRE und<br />
Penicillin-resistente Pneumokokken) ist<br />
es auch gramnegativ aktiv (wichtige Ausnahmen:<br />
Pseudomonas aeruginosa, einige<br />
Proteus-Stämme). Die Wirksamkeit<br />
schließt auch ESBL-Träger ein. Tigecyclin<br />
wurde in je zwei großen klinischen<br />
Studien für die Indikation Haut- und<br />
Weichteilinfekt und intraabdominelle Infektion<br />
geprüft und war in jeder Hinsicht<br />
den Vergleichssubstanzen equivalent.<br />
Pharmakokinetische Untersuchungen<br />
belegen hervorragende Penetrationen<br />
der Lunge. Die Daten zur<br />
beatmungsassoziierten Pneumonie stehen<br />
allerdings aus. Im Hinblick auf die<br />
Behandlung der Sepsis sind die niedrigen<br />
Serumkonzentrationen in der bisher üblichen<br />
Dosierung von 50mg zweimal täglich<br />
problematisch. Die häufigsten beobachteten<br />
Nebenwirkungen sind unter<br />
anderem passagere Übelkeit (20%), Erbrechen<br />
und Schwindel. Gelegentlich<br />
wurde auch über eine akute Pankreatitis<br />
oder aber auch eine C.-difficile-Enterokolitis<br />
berichtet.<br />
Daptomycin<br />
ist ein Lipopeptid, das über einen verstärkten<br />
Kaliumausstrom aus der Bakterienzelle<br />
deren Tod induziert. Es hat ausschließlich<br />
grampositive Wirkung, insbesondere<br />
ist es hoch bakterizid bei MRSA.<br />
Daptomycin wurde für Haut- und Weichteilinfektionen<br />
und bei Staphylokokken-<br />
Bakteriämie, einschließlich Endokarditis<br />
gegen Vancomycin bzw. Oxacillin getestet.<br />
Bei MRSA-Endokarditis war es gegenüber<br />
den Vergleichsubstanzen nicht<br />
unterlegen. In einer nicht publizierten<br />
Studie bei ambulant erworbener Pneumonie<br />
allerdings war Daptomycin gegenüber<br />
Ceftriaxon unterlegen. Daptomycin<br />
sollte daher derzeit bei pulmonaler Sepsis<br />
nicht zum Einsatz kommen. Die häufigsten<br />
Nebenwirkungen sind gastrointestinale<br />
Störungen, Kopfschmerzen,<br />
Schlaflosigkeit. Weiters können auch Anstiege<br />
von Muskelenzymen, oft auch ohne<br />
klinische Symptomatik, beobachtet werden.<br />
Regelmäßige Kontrollen der CPK<br />
werden daher empfohlen.<br />
Iclaprim<br />
hemmt kompetitiv die bakterielle Dihydrofolatreduktase.<br />
Chemisch gesehen<br />
handelt es sich um ein Diaminopyrimidin,<br />
ein Analogon des Trimethoprims.<br />
Während Trimethoprim nur bakteriostatisch<br />
wirkt, zeigt Iclaprim eine starke<br />
bakterizide Wirkung gegen ein breites<br />
Spektrum von grampositiven (z.B.<br />
MRSA) und einigen gramnegativen Bakterien.<br />
Mit der Markteinführung ist demnächst<br />
zu rechnen.<br />
Für grampositive Erreger wurden einige<br />
neue Substanzen entwickelt, für gramnegative<br />
Problemkeime ist das Armamentarium<br />
allerdings um einiges dürftiger.<br />
Hervorzuheben sind das bereits erwähnte<br />
Tigecyclin und das Doripenem.<br />
Letzteres ist ein neues Carbapenem, das<br />
angeblich eine bessere Wirkung gegen<br />
Pseudomonas hat, bei Resistenz gegen<br />
Meropenem bzw. Imipenem ist es allerdings<br />
ebenfalls unwirksam.<br />
Schlussfolgerung<br />
Die neuen Antibiotika stellen eine wirksame<br />
Bereicherung unseres antiinfektiven<br />
Armamentariums dar – der Durchbruch<br />
im Sinne einer „Magic Bullet“ sind sie<br />
nicht.<br />
Es ist offensichtlich, dass die derzeit verfügbaren<br />
Antibiotika in der Zukunft im<br />
Kampf gegen resistente Bakterien nicht<br />
ausreichen werden. Durch den kritischen<br />
Einsatz sollen die derzeit verfügbaren<br />
Antibiotika möglichst lange als Alternative<br />
für Resistenzkeime zur Verfügung<br />
stehen.<br />
(Der gesamte Text findet sich in der<br />
Deutschen Medizinischen Wochenschrift<br />
2008; 133: 372; Heinz Burgmann: Neue<br />
Antibiotika bei schwerer Sepsis – der<br />
Durchbruch?)<br />
Literatur<br />
1 Bochud PY, Bonten M, Marchetti O, Calandra T:<br />
Antimicrobial <strong>the</strong>rapy for patients with severe sepsis<br />
and septic shock: an evidence-based review.<br />
Crit Care Med 2004; 32: S. 495-512<br />
2 Dellinger RP, Levy MM, Carlet JM et al: Surviving<br />
Sepsis Campaign: International guidelines for management<br />
of severe sepsis and septic shock: 2008.<br />
Crit Care Med 2008; 36: 296-327<br />
3 Gomez J, Garcia-Vazquez E, Banos R et al: Predictors<br />
of mortality in patients with methicillin-resistant<br />
Staphylococcus aureus (MRSA) bacteraemia:<br />
<strong>the</strong> role of empiric antibiotic <strong>the</strong>rapy. Eur J Clin<br />
Microbiol Infect Dis 2007; 26: 239-245<br />
4 Kumar A, Roberts D, Wood KE et al: Duration of<br />
hypotension before initiation of effective antimicrobial<br />
<strong>the</strong>rapy is <strong>the</strong> critical determinant of survival<br />
in human septic shock. Crit Care Med 2006; 34:<br />
1589-1596<br />
5 Lentino JR, Narita M, Yu VL: New antimicrobial<br />
agents as <strong>the</strong>rapy for resistant gram-positive cocci.<br />
Eur J Clin Microbiol Infect Dis 2007<br />
6 Pea F, Viale P: The antimicrobial <strong>the</strong>rapy puzzle:<br />
could pharmacokinetic-pharmacodynamic relationships<br />
be helpful in addressing <strong>the</strong> issue of appropriate<br />
pneumonia treatment in critically ill patients?<br />
Clin Infect Dis 2006; 42: 1764-1771<br />
7 Valles J, Rello J, Ochagavia A, Garnacho J, Alcala<br />
MA: Community-acquired bloodstream infection<br />
in critically ill adult patients: impact of shock and<br />
inappropriate antibiotic <strong>the</strong>rapy on survival. Chest<br />
2003; 123:1615-1624<br />
<br />
Autor: Univ.-Prof. Dr. Heinz Burgmann<br />
Universitätsklinik für Innere Medizin I<br />
Abteilung f. Infektionen und Tropenmedizin<br />
Medizinische Universität Wien<br />
Währinger Gürtel 18–20, 1090 Wien<br />
heinz.burgmann@meduniwien.ac.at<br />
inf080228<br />
universimed.com<br />
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