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Paradigmenwechsel im Sozialstaat? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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618 TRUBE <strong>Sozialstaat</strong><br />

Auch in den Handlungsempfehlungen ignoriert das Aktivierungskonzept<br />

basale Erkenntnisse der Human- und Sozialwissenschaft, so<br />

zum Beispiel auch des Behaviorismus, der seit langem weiß, daß negative<br />

Sanktionen allenfalls zur kurzfristigen Verdeckung unerwünschter<br />

Verhaltensmuster führen können, aber in der Regel nicht<br />

zu nachhaltiger Verhaltensänderung (vgl. Heckhausen 1989). Solche<br />

Änderungen sind – so wurde empirisch nachgewiesen – dauerhaft<br />

viel eher durch positiv verstärktes Lernen zu erreichen, wobei dies<br />

das Gegenteil von Abstrafungen und sozialem Ausschluß ist.<br />

Überdies wird das aus der Lerntheorie weithin bekannte Phänomen<br />

der ›Erlernten Hilflosigkeit‹ in dem Konzept des Aktivierungsansatzes<br />

völlig außer acht gelassen: Durch lange Phasen der erlebten<br />

Unkontrollierbarkeit und Unbeeinflußbarkeit der eigenen Situation –<br />

so etwa bei erzwungenem Nichtstun in individuell unüberwindbarer<br />

Arbeitslosigkeit – verlernt der Betroffene seine früher vorhandenen<br />

Handlungs- und Überwindungsstrategien und er lernt statt dessen<br />

eine generalisierte Indifferenz als neues Grundverhaltensmuster<br />

(vgl. Seligmann 1999), das tiefgreifend und langfristig wirkt. Hier<br />

geht es nicht mehr – wie so oft fälschlich unterstellt – um das Nicht-<br />

Wollen von Langzeitarbeitslosen, sondern um verlernte/verlorene<br />

Kompetenzen des überhaupt noch ›Wollen-Könnens‹, die erst wieder<br />

durch langfristige Empowermentstrategien aufzubauen beziehungsweise<br />

zu reaktivieren sind. Auch die nun wahrlich nicht mehr<br />

neuen Ergebnisse der differentiellen Arbeitslosenforschung (vgl.<br />

Wacker 1983; Kieselbach/Wacker 1985) werden von den Aktivierungsansätzen<br />

schlichtweg ignoriert, was erst recht für die aktuellen<br />

Untersuchungen aus diesem Forschungsfeld gilt (vgl. statt anderer<br />

Kieselbach 2000). Diese machen fachlich überzeugend deutlich,<br />

welche psychosozialen Deprivationsprozesse durch Langzeitarbeitslosigkeit<br />

verursacht und verfestigt werden, die jenseits der <strong>im</strong> Aktivierungsansatz<br />

semiprofessionell unterstellten Unwilligkeit erhebliche<br />

Beeinträchtigungen zur Folge haben können, wie etwa der<br />

Fähigkeit des Umgangs mit Zeit, des stabilen Selbstwertgefühls oder<br />

auch der bewirkungsorientierten Handlungsattribuierung.<br />

Aktuelle Aktivierungstrends in der Arbeitsmarktpolitik<br />

Trotz dieser sozialwissenschaftlich wenig überzeugenden Basis des<br />

Aktivierungskonzepts ist es sowohl in der Wissenschaft als auch in<br />

der Politik allerorten verbreitet und beliebt. So schlagen zum Beispiel<br />

Günther Schmidt, Heide Pfarr, Gerhard Fels, Rolf Heinze und<br />

Wolfgang Streek als Benchmarkinggruppe des Bündnisses für Arbeit<br />

der Bundesregierung vor, daß ein »grundsätzlicher Ausschluss des<br />

Erwerbs neuer Leistungsansprüche durch Teilnahme an arbeitsmarktpolitischen<br />

Maßnahmen (also auch für ABM) …« vorzusehen<br />

sei, und empfehlen einen Spiegelstrich weiter die »Zuweisung (solcher<br />

– A. T.) zumutbarer Beschäftigung und Sanktionen bei Ablehnung«<br />

(Schmidt et al. 2001: 12). Konkret heißt dies, daß es zum Beispiel<br />

nach ein- oder zweijährigen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen<br />

keinen neuen Anspruch auf Arbeitslosengeld mehr geben soll, was<br />

letztlich der finanziellen Marginalisierung der Arbeitslosen durch die<br />

kontinuierlich sinkende Arbeitslosenhilfe gleichkommt, wobei dieserart<br />

Beschäftigung nicht abzulehnen ist.

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