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Wirtschaftsdemokratie – Kernelement einer linken Reformperspektive

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UTOPIE kreativ, H. 93 (Juli) 1998, S. 48-5648JOACHIM SCHUSTER<strong>Wirtschaftsdemokratie</strong> –<strong>Kernelement</strong> <strong>einer</strong> <strong>linken</strong><strong>Reformperspektive</strong>Joachim Schuster – Jg. 1962,Politikwissenschaftler,Dr. rer. pol.; Leiter des Institutsfür angewandte SozialundPolitikwissenschaften,Redakteur der Zeitschrift»SPW«, zur Zeit tätig ineinem Forschungsprojektzur Europäisierung derArbeitsbeziehungen.Die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse wurden in den letztenJahren erheblich nach rechts verschoben. Neoliberales Gedankenguthat selbst bei <strong>linken</strong> Kräften eine gewisse Verbreitung erfahren.Im Zuge der angeblichen Globalisierung der Ökonomie wurde diePolitik als Gestaltungsraum zurückgedrängt. Der vermeintlichewirtschaftliche Sachzwang regiert. Nur wenn es fortschrittlichenKräften gelingt, diese Denk- und Politikblockade aufzubrechen,wird es möglich sein, <strong>Reformperspektive</strong>n zu eröffnen. Einer modernenwirtschaftsdemokratischen Konzeption kommt dabei einewesentliche Bedeutung zu.Zur historischen Konzeption der <strong>Wirtschaftsdemokratie</strong>Die Idee der <strong>Wirtschaftsdemokratie</strong> als Bezugspunkt zukunftsweisenderStrategien und Ziele der sozialdemokratischen Bewegungwurden verstärkt nach dem Ende des Ersten Weltkrieges thematisiert.Sie gipfelten in der von Fritz Naphtali publizierten Konzeption,die an die revisionistische Theorietradition anknüpfte, nachder der Übergang zu <strong>einer</strong> sozialistischen Gesellschaft nicht ineinem Schritt, sondern nur evolutionär erfolgen könne. Damit wurdees notwendig, strategische Zwischenschritte zu formulieren undabzusichern. <strong>Wirtschaftsdemokratie</strong> wurde dabei zur Strategie,schrittweise die Verfügungs- und Gestaltungsmacht des Kapitals zubegrenzen und den abhängig Beschäftigten reale Mitwirkungsmöglichkeiteneinzuräumen. Damit sollte sowohl die materielle Lageder Arbeiterklasse verbessert, als auch der Boden für den Übergangin eine sozialistische Gesellschaft bereitet werden. »Sozialismusund <strong>Wirtschaftsdemokratie</strong> sind als Endziel untrennbar miteinanderverknüpft. Es gibt keine vollendete <strong>Wirtschaftsdemokratie</strong> ohnesozialistisches Wirtschaftssystem, und das Ideal des Sozialismusist ohne demokratischen Aufbau der Wirtschaftsführung nicht zuverwirklichen.« (Naphtali 1977, S. 25)Die Konzeption der <strong>Wirtschaftsdemokratie</strong> stand in engem Zusammenhangmit der Interpretation der Entwicklung der kapitalistischenWirtschaft und Gesellschaft. Als wesentliche materielleGrundlage nahm Naphtali den Übergang zum sogenannten organisiertenKapitalismus an. Die zunehmende, auf die wachsende Konzentrationdes Kapitals gestützte Vermachtung der Wirtschaft erzeugein <strong>einer</strong> dialektischen Wechselbeziehung Gegenkräfte, diequasi automatisch den Wunsch nach mehr Mitbestimmung der abhängigBeschäftigten erzeugten. Auf dieser Stufe der Entwicklung


49SCHUSTER<strong>Wirtschaftsdemokratie</strong>müsse der Staat immer weitere Aufgaben übernehmen. Als sichtbareZeichen wurden die Einrichtung bzw. Erweiterung des Sozialversicherungssystemsoder auch die Ausweitung des öffentlichenSektors in der Ökonomie und die wachsenden staatlichen Infrastrukturaufgabengewertet. Die politische Demokratie sollte so aufdie Wirtschaft ausgedehnt werden.Mit der Idee der <strong>Wirtschaftsdemokratie</strong> wurde versucht, tagespolitischeForderungen mit einem langfristigen Transformationskonzeptzu verbinden. Neben Mitbestimmungsforderungen auf Betriebs-und Unternehmensebene wurden die Demokratisierung derstaatlichen Wirtschaftspolitik, die Verstaatlichung, die Förderungöffentlicher Unternehmen, die Stärkung der Sozialversicherungssystemesowie die Demokratisierung der Bildungspolitik unterdem Leitbegriff <strong>Wirtschaftsdemokratie</strong> subsumiert. Bei der Konzeptionfällt eine extreme Staatsfixiertheit auf, die ein Reflex derzunehmenden Bedeutung des Staates in den entwickelten Industriestaatenwar. Die Verwirklichung von <strong>Wirtschaftsdemokratie</strong>wurde als Prozeß verstanden: »<strong>Wirtschaftsdemokratie</strong> (entsteht)nicht nach einem einheitlichen Rezept in einheitlichen Akten derGesetzgebung, sondern (wächst) in mannigfaltiger Lebensfülleheran.« (Naphtali 1977, S. 31-32)In der Realität konnten die weitreichenden sozialistischen Zielstellungennicht eingelöst werden. Gleichwohl hat die Konzeptionnach dem Zweiten Weltkrieg maßgeblich zur Ausprägung des deutschenSystems industrieller Beziehungen beigetragen. Mit derEtablierung der Betriebsverfassung und der Unternehmensmitbestimmungwurde die Beteiligung der Beschäftigten an Entscheidungsprozessenim Unternehmen gewährleistet. Allerdings bliebendie für die Unternehmensentwicklung zentralen wirtschaftlichenFragen von der Mitbestimmung ausgeschlossen. Weitere zentraleElemente bildeten der Ausbau des Sozialstaates und des Bildungswesens.Realisierungsdefizite gab es bei der Einflußnahme auf dieWirtschaftspolitik sowie bei der Entwicklung eines öffentlichenUnternehmenssektors.Die Ausgestaltung der industriellen Beziehungen in DeutschlandDas System der industriellen Beziehungen in Deutschland ruht aufdrei Säulen: der Betriebsverfassung, der Unternehmensmitbestimmungund der Tarifautonomie. Während die Tarifautonomie inihren Grundzügen im Grundgesetz verankert wurde, konnten Mitbestimmungsrechteerst einige Zeit später erkämpft werden. Mitder Forderung nach Mitbestimmung verbanden die Gewerkschaftenwie auch die SPD zu Beginn der fünfziger Jahre weitreichendeVorstellungen und betrachteten sie als wesentlichen Schritt zumÜbergang in eine sozialistische Gesellschaft. Gelang mit der Verankerungder sogenannten Montanmitbestimmung trotz vehementerWiderstände der konservativen Regierung und der Unternehmensverbändenoch die Etablierung <strong>einer</strong> paritätischen Mitbestimmung,konnte dieser Erfolg beim Betriebsverfassungsgesetz nichtwiederholt werden.In der Betriebsverfassung finden sich wesentliche Spezifika desdeutschen Systems: a) die Dominanz repräsentativer gegenüber di-


SCHUSTER<strong>Wirtschaftsdemokratie</strong>50rekter Partizipation, b) die institutionelle Trennung von gewerkschaftlicherund betrieblicher Interessenvertretung durch die Unabhängigkeitdes Betriebsrates, c) die Verpflichtung des Betriebsratesnicht nur auf die Vertretung der Beschäftigteninteressen, sondernauch auf das »Wohlergehen des Betriebes«. Den DGB-Gewerkschaftengelang es gleichwohl, in den Betriebsräten entscheidendenEinfluß zu erlangen. Sie stellen die überwiegende Mehrheit der Betriebsratsmitglieder.Darüber hinaus bieten sie etwa im Bereich derSchulung oder durch Rechtsbeistand wesentliche Servicefunktionenfür die Betriebsräte an, die für eine relativ enge Verbindungbeider Seiten sorgen.Die Stellung der Gewerkschaften wurde zudem dadurch gestärkt,daß tarifliche Regelungen Vorrang vor betrieblichen Vereinbarungenhatten. Damit erhielten die industriellen Beziehungen in derBundesrepublik »jene typisch duale Struktur mit Betriebsverfassung<strong>einer</strong>seits und Tarifautonomie andererseits«. (Müller-Jentsch1995) Das derart ausgebildete System »ermöglichte nicht nur einesehr effiziente, flexible Form der dualen Interessenvertretung, dasden Gewerkschaften innerbetrieblich durch die Institution der Betriebsräteden Rücken freihält« und ihnen so außerbetrieblich erlaubt,»sich auf der Ebene der Branchen auf Lohn- und Arbeitszeitthemenzu konzentrieren«. (Hoffmann 1991, S. 91)Insgesamt kann das Modell der industriellen Beziehungenin Deutschland, wie es sich in der Nachkriegszeit herausgebildethat, als eine Kompromißstruktur gefaßt werden, die zwar <strong>einer</strong>seitstrotz der institutionalisierten Mitbestimmung die bestehendenEigentums-, Herrschafts- und auch Verteilungsverhältnisse imGrundsatz nicht antastete, andererseits aber erheblichen materiellenFortschritt für die Mehrheit der Bevölkerung ermöglichte. DasSystem war zudem weitgehend funktional zur wirtschaftlichen undgesellschaftlichen Entwicklung im Fordismus.Reformdruck durch Internationalisierung ...Gleichwohl ist unübersehbar, daß das bundesdeutsche System industriellerBeziehungen erhebliche Erosionstendenzen aufweist.Wesentliche Eckpfeiler des Systems geraten ins Wanken. Verantwortlichsind hierfür vor allem zwei Entwicklungen: die zunehmendeInternationalisierung der Ökonomie und die Durchsetzungneuer Produktions- und Arbeitsweisen.Eine wesentliche Grundlage für das Modell Deutschland bestandin s<strong>einer</strong> nationalen Begrenzung. Trotz aller Exportorientierungund internationaler Transaktionen bildete die nationale Volkswirtschaftden wesentlichen Ausgangs- und Bezugspunkt der Unternehmen.Die Wirtschafts- und Sozialpolitik konnte nur funktionieren,weil eine relative Abschottung gegenüber dem Weltmarkt gegebenwar. Das Tarif- und Mitbestimmungssystem war in diesenKontext eingebettet. Mit der zunehmenden Internationalisierungwerden nun aber die tragenden Säulen dieses Systems ausgehöhlt.Träger der realwirtschaftlichen Internationalisierung sind vor allemtransnationale Konzerne mit mehreren Produktionsstätten inverschiedenen Ländern. Diese Konzerne versuchen, Produktionund Vertrieb unter Ausnutzung unterschiedlicher nationaler Gege-


51SCHUSTER<strong>Wirtschaftsdemokratie</strong>benheiten optimal zu organisieren. Eine wesentliche Bedingung fürdie damit gestiegenen Handlungsmöglichkeiten der Konzerne istdie politisch bewußt vorangetriebene Liberalisierung und Deregulierungder Weltwirtschaft in Verbindung mit dem staatlich gefördertenAusbau der Informations- und Kommunikationstechnologien.Die Möglichkeit der Konzerne, ihre Standorte optimal auszuwählen,steigert zugleich die Bedeutung der kleinräumigen Standortqualitäten.Insofern gewinnt parallel zur Internationalisierungdie Region als subnationale Einheit eine größer werdende Bedeutungals Produktionsfaktor, aber auch als politische Regulierungsebene.Die zunehmende Internationalisierung hat weitreichende Folgen.In Verbindung mit der von neokonservativen Regierungen in allenLändern vorangetriebenen Deregulierung sind vielfältige neueKonkurrenzen und gesellschaftliche Spaltungslinien entstanden,die in ihrer Summe maßgeblich zur Schwächung der Gewerkschaftenwie zur Unterminierung nationalstaatlicher Steuerungsmöglichkeitenbeitragen. Dadurch werden zugleich zentrale Elementeder industriellen Beziehungen unterminiert. Tarifverträgewerden mit Hilfe der Drohung mit Standortverlagerungen unterlaufen,die Unternehmensmitbestimmung durch Auslagerung umgangen,die betriebliche Ebene vor neue, überfordernde Aufgabengestellt etc.... und die Durchsetzung <strong>einer</strong> neuen Produktions- und ArbeitsweiseGeht schon von den Internationalisierungstendenzen ein erheblicherDruck auf das deutsche System der industriellen Beziehungenaus, so wird dieser durch die Durchsetzung neuer Produktionstechnologienund der damit verbundenen neuen Rationalisierungsmusterweiter verstärkt. Gestützt auf die umfassende Einführung vonInformations- und Kommunikationstechnologien vollzieht sich zurZeit eine grundlegende Reorganisation der Betriebe und Unternehmen.Gegenstand der Reorganisation sind nicht nur einzelne Produktionsstufen,sondern die gesamte Wertschöpfungskette. Es findeteine Abkehr vom tayloristischen Rationalisierungsparadigmastatt, welches vorrangig auf die Effektivierung einzelner Arbeitsschrittedurch eine weitere Zergliederung des Arbeitsprozesses inVerbindung mit einem zunehmenden Technikeinsatz zielte. Leitliniedes sich neu durchsetzenden Paradigmas ist eine »systemischeRationalisierung«, die darauf abzielt, den gesamten Produktionsprozeßzu optimieren, insbesondere also auch die Schnittstellenzwischen verschiedenen Produktionsschritten. Abstrakt lassen sichmit Dörre drei Ebenen der Reorganisation unterscheiden:* eine Stärkung der Marktkoordination auf Kosten von Mechanismender Unternehmenskoordination,* eine Reorganisation der Unternehmensorganisation im Sinne<strong>einer</strong> Abflachung der Unternehmenshierarchie, inklusive der Einsparungeinzelner Hierarchieebenen,* die Aufgaben- und Funktionsintegration am shop floor, etwadurch die verstärkte Einführung von Gruppenarbeit.Die gewerkschaftliche bzw. betriebliche Interessenvertretung istvon diesen Maßnahmen erheblich betroffen. »Reorganisationspro-


SCHUSTER<strong>Wirtschaftsdemokratie</strong>52zesse forcieren die Tendenz zur Verbetrieblichung der Interessenvertretungund -regulierung. Dies nicht nur, weil die Umsetzungdes neuen Rationalisierungsparadigmas nach ›maßgeschneiderten‹,auf konkrete Arbeitsprozesse bezogene Lösungen verlangt. Vielmehrzeigt sich, daß Versuche zur Flexibilisierung der Arbeitsorganisationunweigerlich auf die Regularien von Arbeitsbedingungen,Entlohnung, Arbeitszeiten usw. durchschlagen.« (Dörre 1995,S. 158-159) Insbesondere die mit dem neuen Rationalisierungsparadigmaverbundenen Veränderungen in der Arbeitsorganisationkönnen mit dem Mitbestimmungsinstrumentarium des Betriebsverfassungsgesetzesnicht hinreichend bewältigt werden. Die bisherigenRegelungen »sind weitgehend auf bestimmte Tatbestände(Arbeitszeit und Leistungskontrolle) oder besondere Belastungendurch technisch-organisatorische Maßnahmen eingeengt. ... Vonder rechtlichen Seite her lassen sich dementsprechend die arbeitspolitischenInstrumente der Gewerkschaften nach wie vor als defensiv,reagierend und auf die Abwehr von sozialen Folgen für diebetroffenen Personen und Gewerkschaften ausgerichtet charakterisieren.Die inhaltliche Ausweitung der Mitbestimmung bei Technikund Organisation ist unter den jetzigen rechtlichen Bedingungennur auf der Grundlage ›freiwilliger‹ Übereinkünfte mit dem Arbeitgebermöglich.« (Helfert 1992, S. 505)<strong>Wirtschaftsdemokratie</strong> als wesentliches Element <strong>einer</strong> alternativenRegulationDie wirtschaftsdemokratische Konzeption von Naphtali war ebensowie deren bruchstückhafte Realisierung in der BRD nach demZweiten Weltkrieg eng gekoppelt an das fordistische Akkumulationsregimeund wesentlicher Bestandteil der dazu kompatiblenRegulationsweise. Jenseits ihrer konzeptionellen, aber nur unzureichendrealisierten systemverändernden bzw. transformierendenDimension kann sie als wesentlicher Bestandteil der Regulationsvorstellungender sozialdemokratischen Partei und der Mehrheitder Gewerkschaften für den fordistischen Kapitalismus begriffenwerden. Diese geriet Ende der siebziger Jahre unter dem Eindruckder strukturellen Krise des Fordismus ebenfalls unter erheblichenVeränderungsdruck und ist aktuell mit Erosionserscheinungen konfrontiert.Wird die heutige Zeit als Übergang zu einem neuen Akkumulationsregimemit <strong>einer</strong> neuen Regulationsweise begriffen, dann erschließtsich der Stellenwert <strong>einer</strong> modernisierten wirtschaftsdemokratischenKonzeption für ein radikalreformerisches Projekt indiesem Übergangsprozeß. Moderne <strong>Wirtschaftsdemokratie</strong> istnicht nur als machtpolitische Basis für Reformpolitik unverzichtbar,sondern zugleich der Kern <strong>einer</strong> alternativen Regulation desPostfordismus jenseits des Neoliberalismus, die die gewachsenenAnsprüche der Bevölkerung an umfassender Partizipation mit denAnforderungen des neuen Akkumulationsregimes verbindet undgleichzeitig die Notwendigkeit der Gegenmachtbildung gegen dievorherrschenden Kapitalinteressen im Blick behält. Die dauerhafteDurchsetzung eines Politikwechsels im Sinne eines ökologischsolidarischenNew Deals, wie er etwa im Crossover der Zeitschrif-


53SCHUSTER<strong>Wirtschaftsdemokratie</strong>ten »SPW«, »Andere Zeiten« und »UTOPIE kreativ« diskutiertwird, ist abhängig von der Stärkung wirtschaftsdemokratischerKonzeptionen.Moderne <strong>Wirtschaftsdemokratie</strong> kann nur als breit angelegteKonzeption gedacht werden, deren Kern in <strong>einer</strong> deutlichen Ausweitungder betrieblichen und Unternehmensmitbestimmung besteht.Dies muß verbunden werden mit <strong>einer</strong> Sicherung desFlächentarifvertrages. Darüber hinaus gilt es, Einfluß auf die Investitionsentscheidungender Unternehmen zu erlangen. Im folgendenwerden einige der dazu notwendigen Maßnahmen skizzenhafterläutert.Betriebliche und Unternehmensmitbestimmung ausweitenSystemische Rationalisierung fordert objektiv eine neue Stellungder Arbeit und der Arbeitskräfte im Produktionsprozeß. Der FaktorArbeit wandelt sich vom zu minimierenden, potentiellen Störfaktorzur zentralen Produktivkraft im Produktionsprozeß. Die Erschließungsystemischer Rationalisierungspotentiale verlangt nachEntfaltung der kreativen Potentiale der Arbeitskräfte. Erforderlichsind dazu:»– neue Formen der Kooperation und Beteiligung der Beschäftigten(organisatorischer, institutioneller und mitbestimmungspolitischerAspekt);– die Erhöhung, zumindest Verlagerung von Qualifikationsanforderungen,z.T. Entstehung von neuen Tätigkeits- und Berufsbildern;sowie– die Veränderungen der betrieblichen Kontrolle, vor allem derLeistungsregulierung der Beschäftigten.« (Helfert 1992, S. 509)In bezug auf Mitbestimmungsfragen erhält damit die Mitbestimmungam Arbeitsplatz, eine bisher wenig ausgeprägte Mitbestimmungsdimension,einen neuen Stellenwert. Neue Managementstrategienerfordern die Mitwirkung der Betroffenen. Damit werdengrundsätzlich Spielräume für die konkrete Ausgestaltung derArbeitsprozesse frei, die ausschließlich im Interesse der Unternehmensleitungen,aber eben auch zur Humanisierung der Arbeit genutztwerden können. Beteiligung muß daher mit gewerkschaftlicherSchutzmacht verbunden werden, die den Erhalt der gewerkschaftlichenMobilisierungs- und Kampfkraft erfordert, und darfnicht als Verhandlungsprozeß der Tarifparteien mit prinzipiell gleichenInteressen begriffen werden.Damit ist zugleich eine Reform der Unternehmensmitbestimmungauf die Tagesordnung gesetzt. Dabei geht es um die Ausdehnungder Mitbestimmungsrechte auf weitere Regelungsbereichesowie die Schaffung wirkungsvoller internationalisierter/europäisierterMitbestimmungsmöglichkeiten. Ein weiteres bisher nichtabschließend diskutiertes Problem der Mitbestimmung auf Unternehmensebenebesteht in den grundsätzlichen Handlungsmöglichkeitender Aufsichtsräte. In den letzten Jahren zeigen sich dieAufsichtsräte zunehmend überfordert, die Unternehmenspolitik derVorstände wirklich zu kontrollieren. Damit steht aber auch der Wertder Mitbestimmung im Aufsichtsrat insgesamt in Frage und wirdohne eine durchgreifende Reform endgültig Makulatur werden.


SCHUSTER<strong>Wirtschaftsdemokratie</strong>54Von zentraler Bedeutung für die Unternehmensmitbestimmungist die Verankerung von Mitwirkungsmöglichkeiten auf der internationalenEbene. Ein erster Schritt zur Herausbildung <strong>einer</strong> europaweitenMitbestimmung ist die Einrichtung von EuropäischenBetriebsräten (EBR), die allerdings zur Zeit lediglich Informationsundzum Teil Konsultationsrechte besitzen. Es wird darauf ankommen,daß die Gewerkschaften lernen, international zu kooperierenund auch in dieser Dimension Verhandlungs- und Kampfkraft zuentwickeln. Dabei können sich die EBR zu wichtigen Gremien entwickeln,deren Kompetenzen und Rechte in einem solchen Prozeßschrittweise ausgeweitet werden müßten.Flächentarifverträge sichernEng mit der Ausweitung der Mitbestimmung verknüpft und vonebenso herausragender Bedeutung ist die Zukunft des Flächentarifvertrages.Durch die dargestellten Entwicklungen droht der in derBundesrepublik typische Flächentarifvertrag Makulatur zu werden.In Ostdeutschland gibt es inzwischen immer größere Bereiche, indenen faktisch kein Flächentarif mehr existiert. Damit ist aber diegesamte Balance der industriellen Beziehungen in Frage gestellt.Der immer wieder als soziale Produktivkraft gepriesene sozialeFriede in der Bundesrepublik beruht gerade darauf, daß die betrieblicheEbene weitgehend von Tarifauseinandersetzungen freigehaltenwird und diese, rechtlich weitgehend reglementiert, vonden Verbänden ausgetragen werden.Im Kontext <strong>einer</strong> wirtschaftsdemokratischen Konzeption geht esum zwei Themenkomplexe:a) Da insbesondere in den letzten Jahren neue Problembereicheaufgetaucht sind, gilt es, die tariflichen Regelungsbereiche auszudehnen.In bezug auf Umweltschutz wird etwa die tarifliche Absicherungvon diesbezüglichen Mitbestimmungsrechten gefordert,um auf der betrieblichen Ebene handlungsfähiger zu werden. Einzentraler Ansatzpunkt in diesem Kontext ist die Verknüpfung vonUmwelt- und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz. Zudem sollte derEinsatz neuer Technologien einbezogen werden. Hier geht es zumeinen um die effektive Ausübung von Schutzfunktionen, etwa imKontext von Rationalisierungsmaßnahmen oder von steigendenGesundheitsbelastungen im Zusammenhang mit der Einführungneuer Technologien. Zum anderen wird mit dieser Forderung auchder weitergehende, gesamtgesellschaftliche Gestaltungsanspruchder Gewerkschaften unterstrichen.b) Der zweite, politisch zur Zeit brisantere Themenkomplex kannmit den Stichworten Flexibilisierung, Dezentralisierung und Öffnungfür betriebliche Vereinbarungen beschrieben werden. Inzwischenist es völlig unstrittig, daß aufgrund der veränderten WettbewerbsbedingungenTarifregelungen flexibel die unterschiedlichenUnternehmensbelange berücksichtigen können müssen. Insofernist die grundsätzliche Notwendigkeit <strong>einer</strong> Verbetrieblichung derTarifpolitik unbestreitbar, sie darf aber nicht die gewerkschaftlicheGestaltungs- und Schutzfunktion aushöhlen. Eine Tarifreform mußalso eine neue Balance zwischen betrieblichen Flexibilitätserfordernissenund brancheneinheitlichen Festlegungen finden.


55SCHUSTER<strong>Wirtschaftsdemokratie</strong>Große Investitionsströme kontrollierenDie Ausweitung unternehmensbezogener Mitbestimmungs- undGestaltungsmöglichkeiten muß ergänzt werden um Elemente gesamtwirtschaftlicherMitbestimmung. »Diese gesamtwirtschaftlicheMitbestimmung soll dazu beitragen, daß Arbeitnehmerinteressenrechtzeitig und umfassend in staatliche Planungen, Entscheidungenund Maßnahmen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik einfließen.«(DGB 1984, S. 8) Hier sollten Überlegungen wie die Einrichtungvon Wirtschafts- und Sozialräten wieder aufgegriffen oderdie etwa in der regionalisierten Strukturpolitik diskutierten bzw.zum Teil schon praktizierten Beteiligungsmöglichkeiten – etwa imRahmen von Regionalkonferenzen oder von Entwicklungsagenturen– ausgeweitet werden.<strong>Wirtschaftsdemokratie</strong> darf aber nicht bei den genannten Elementenstehen bleiben. Es ist von entscheidender Bedeutung, Einflußauf die Investitionsentscheidungen der Unternehmen zu erlangen.Anknüpfungspunkte bietet die Diskussion um die Beteiligungder Arbeitnehmer am Produktivvermögen.Schon kurz nach Gründung der Bundesrepublik wurden unterschiedlicheKonzepte zur Beteiligung der ArbeitnehmerInnen amProduktivvermögen diskutiert. In der sehr kontrovers geführtenDebatte lassen sich drei grundlegende Zielstellungen unterscheiden:• vermögenspolitisch: die Korrektur der extrem ungleichgewichtigenVerteilung des Produktivvermögens;• mitbestimmungspolitisch: die Erhöhung der Kontrolle und derEinflußmöglichkeiten auf ökonomische Entscheidungen durch direktenKapitalbesitz;• beschäftigungspolitisch: die Steigerung der liquiden Kapitalmittelzur Erhöhung der betrieblichen Investitionsmöglichkeiten.Wird mit den Vorschlägen zur Beteiligung der ArbeitnehmerInnenam Produktivvermögen der Aspekt der Demokratisierung derWirtschaft ins Zentrum gerückt, wären folgende Punkte von besondererBedeutung:• Es käme ausschließlich eine kollektive Verwaltung der Kapitalanteilein Betracht, da nur so ein relevantes Stimmengewicht,etwa bei der Aktionärsversammlung, organisierbar wäre.• Es müßte sichergestellt werden, daß die Fonds in relativ kurzerZeit über beträchtliche Kapitalanteile verfügen können. Dies dürftesich nur realisieren lassen, wenn entweder der Bestand umverteiltwird, oder aber zur Finanzierung die Kapitalzuwächse (zumindestneben den Lohnzuwächsen) herangezogen werden.• Es müßte sichergestellt werden, daß der bzw. die Fonds in ihrenAnlagemöglichkeiten nicht auf ein Unternehmen beschränkt bleiben,sondern innerhalb <strong>einer</strong> Branche oder der gesamten Wirtschaftfrei agieren könnten.Die schwedischen Gewerkschaften haben in den siebziger Jahrenmit den sogenannten Arbeitnehmerfonds ein Modell in die Diskussiongebracht, welches diese Kriterien erfüllt hat. Die Fonds solltendurch eine zwangsweise Zuführung von 20 Prozent des Unternehmensgewinnsgespeist werden und im wesentlichen von denGewerkschaften verwaltet werden. Aufgrund des erheblichen


SCHUSTER<strong>Wirtschaftsdemokratie</strong>56Widerstandes, der diesem Vorschlag von der Seite der Unternehmenwie auch der konservativen Parteien entgegengebracht wurde,konnte nur eine erheblich modifizierte Form von Arbeitnehmerfondsdurchgesetzt werden, die die wirtschaftsdemokratischenZielsetzungen nicht mehr erfüllten. Da eine derartige Beteiligungder ArbeitnehmerInnen am Produktivvermögen auf Dauer eine erheblicheVerschiebung der Eigentums- und damit der Machtverhältnissein der Wirtschaft zur Folge gehabt hätte, müßte eine solchweitreichende Konzeption auch in Deutschland mit erbittertemWiderstand rechnen.Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Bei den heutediskutierten Modellen der Beteiligung der ArbeitnehmerInnenam Produktivvermögen spielen wirtschaftsdemokratische Überlegungenzumeist eine nachgeordnete Rolle. Sie stellen eher eine Alternativezur Sparförderung für abhängig Beschäftigte. Hier bestehtnoch erheblicher Diskussionsbedarf, bis ein unter wirtschaftsdemokratischenGesichtspunkten akzeptables Modell entwickelt ist.Abschließende Bemerkung<strong>Wirtschaftsdemokratie</strong> hat bei der Durchsetzung <strong>einer</strong> Reformalternativeeinen zentralen Stellenwert. Sie beschränkt sich keineswegsauf Mitbestimmungsfragen im engeren Sinne, sondern zieltletztlich auf eine fundamentale Verschiebung des gesellschaftlichenKräfteverhältnisses zugunsten der abhängig Beschäftigten.Sie ist ein zentraler Baustein zur Politisierung der Ökonomie unddamit der Schlüssel zur Durchsetzung <strong>einer</strong> anderen gesellschaftlichenEntwicklungslogik. Sicherlich wird die Durchsetzung <strong>einer</strong>derartigen Konzeption nicht von heute auf morgen möglich sein.Aber nur wenn Ansprüche in Richtung auf umfassende Partizipationerhoben und schrittweise auch durchgesetzt werden, wird esfür fortschrittliche Kräfte möglich sein, sich in die Entwicklungdes Postfordismus einzumischen.LiteraturDGB (1984): Gesamtwirtschaftliche Mitbestimmung – unverzichtbarer Bestandteil <strong>einer</strong> Politikzur Lösung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krise, Schriftenreihe Nr. 6, Mitbestimmung,Düsseldorf.Dörre, Klaus (1995): Postfordismus und industrielle Beziehungen – Die Gewerkschaften zwischenStandortkonkurrenz und ökologisch-sozialer Reformpolitik, in: E. Bulmahn/P. v.Oertzen/J. Schuster (Hrsg.): Jenseits von Öko-Steuern, Dortmund.Helfert, Mario (1992): Betriebsverfassung, neue Rationalisierungsformen, lean production, in:WSI-Mitteilungen, Heft 8.Hoffmann, Jürgen (1991): Die industriellen Beziehungen in der Bundesrepublik jenseits <strong>einer</strong>politischen Kultur des Verteilungskampfes, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, Nr. 2.Müller-Jentsch, Walther (1995): Lernprozesse mit konträren Ausgängen – Tarifautonomie undBetriebsverfassung in der Weimarer und Bonner Republik, in Gewerkschaftliche Monatshefte,Nr. 6.Naphtali, Fritz (1977): <strong>Wirtschaftsdemokratie</strong> – Ihr Wesen, Weg und Ziel, Neuauflage des 1928erschienenen Buches, eingeleitet von Rudolf F. Kuda, EVA.

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