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Winternotprogramm für obdachlose Frauen an der HAW Hamburg

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st<strong>an</strong>dpunkt : sozial 3/2010 Andrea Hniopek<br />

<strong>Winternotprogramm</strong> <strong>für</strong> <strong>obdachlose</strong><br />

<strong>Frauen</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>HAW</strong> <strong>Hamburg</strong><br />

Das Department Soziale Arbeit <strong>der</strong> Fakultät<br />

Wirtschaft und Soziales <strong>der</strong> <strong>HAW</strong> <strong>Hamburg</strong><br />

beteiligt sich seit 1993 mit einem speziellen<br />

Angebot <strong>für</strong> <strong>obdachlose</strong> <strong>Frauen</strong> am <strong>Winternotprogramm</strong><br />

<strong>der</strong> Stadt <strong>Hamburg</strong>. Als das<br />

Projekt im Winter 1993 startete, bot es in<br />

zwei Containern maximal sechs <strong>Frauen</strong> je einen<br />

Schlafplatz. Der Erfrierungsschutz st<strong>an</strong>d<br />

im For<strong>der</strong>grund <strong>der</strong> Hilfe.<br />

Auf dem ehemaligen Campus in <strong>der</strong> Saarl<strong>an</strong>dstraße<br />

st<strong>an</strong>den in den verg<strong>an</strong>genen<br />

Jahren zehn Einzelcontainer. Von Anf<strong>an</strong>g<br />

November bis Mitte April st<strong>an</strong>den diese<br />

ausschließlich <strong>obdachlose</strong>n <strong>Frauen</strong> als Notunterkunft<br />

zur Verfügung. Die Fin<strong>an</strong>zierung<br />

des <strong>Winternotprogramm</strong>s erfolgt über die<br />

Behörde <strong>für</strong> Soziales, Familie, Gesundheit<br />

und Verbraucherschutz.<br />

Am 5. 11. 2010 startete das <strong>Winternotprogramm</strong><br />

<strong>für</strong> <strong>obdachlose</strong> <strong>Frauen</strong> zum ersten<br />

Mal auf dem Gelände <strong>der</strong> <strong>HAW</strong> Alex<strong>an</strong><strong>der</strong>straße<br />

(Wallstraße 7a). Wir stellen zehn Plätze<br />

zur Verfügung. Jede Frau hat einen eigenen<br />

kleinen Raum in einem Container. Dieser ist<br />

ausgestattet mit einem Bett, einem Schr<strong>an</strong>k,<br />

Tisch und Stuhl. Für die gemeinschaftliche<br />

Nutzung stehen ein S<strong>an</strong>itärcontainer, ein Bürocontainer<br />

und ein Lagercontainer zur Verfügung.<br />

Sowohl die Einzelunterbringung als<br />

auch die g<strong>an</strong>ztägige Nutzung des Angebotes<br />

sind <strong>für</strong> uns selbstverständlich, jedoch kein<br />

St<strong>an</strong>dard bei vergleichbaren Angeboten. Für<br />

die <strong>Frauen</strong> ist das Angebot kostenlos.<br />

Im Rahmen eines Fachprojektes übernehmen<br />

rund zw<strong>an</strong>zig Studentinnen und Studenten<br />

des Departments Soziale Arbeit regelmäßig<br />

die Betreuung und Unterstützung<br />

<strong>der</strong> <strong>Frauen</strong>. Der Bürocontainer ist täglich<br />

Andrea Hniopek<br />

morgens von 7.30 bis 9.30 Uhr bzw. am Wochenende<br />

von 10 bis 12 Uhr und abends von<br />

18 bis 20 durch Studierende besetzt. Der Lions<br />

Club <strong>Hamburg</strong> spendet alljährlich einen<br />

Betrag, <strong>der</strong> es den Studierenden ermöglicht,<br />

den <strong>Frauen</strong> Getränke und Snacks zur Verfügung<br />

zu stellen.<br />

Das Fachprojekt ist ein Angebot <strong>für</strong> <strong>obdachlose</strong><br />

<strong>Frauen</strong> und auch Teil <strong>der</strong> Ausbildung<br />

<strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>HAW</strong>. Es bietet den Studierenden<br />

die Möglichkeit, g<strong>an</strong>z praktisch erste Erfahrungen<br />

zu machen. Begleitung <strong>der</strong> <strong>Frauen</strong><br />

zu Ämtern, Durchsetzung von Ansprüchen,<br />

Vernetzung mit <strong>an</strong><strong>der</strong>en Einrichtungen, Krisenintervention<br />

und praktische Teamarbeit<br />

erfor<strong>der</strong>n eine enge Verknüpfung von Theorie<br />

und Praxis.<br />

Rund 25 % <strong>der</strong> <strong>obdachlose</strong>n Menschen sind<br />

<strong>Frauen</strong>. Die 2009 im <strong>Hamburg</strong> durchgeführte<br />

Obdachlosenzählung ergab einen Anteil <strong>der</strong><br />

<strong>Frauen</strong> von 22,2% (218 <strong>Frauen</strong>). Die Fachöffentlichkeit<br />

vermutet jedoch einen höheren<br />

<strong>Frauen</strong><strong>an</strong>teil.<br />

Die Lebenslage von <strong>obdachlose</strong>n <strong>Frauen</strong><br />

ist gekennzeichnet durch Armut und l<strong>an</strong>gjährige<br />

Ausgrenzung aus <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />

Gemeinschaft. Ein Teil <strong>der</strong> <strong>Frauen</strong> ist<br />

psychisch kr<strong>an</strong>k. Tr<strong>an</strong>sferleistungen werden<br />

häufi g nicht in Anspruch genommen und<br />

daher sind diese <strong>Frauen</strong> oftmals nicht kr<strong>an</strong>kenversichert.<br />

Im verg<strong>an</strong>gen Winter waren<br />

rund ein Drittel <strong>der</strong> Nutzerinnen des Projektes<br />

ohne Einkommen.<br />

Die Kin<strong>der</strong> von wohnungslosen <strong>Frauen</strong> sind<br />

häufi g fremduntergebracht. Viele <strong>Frauen</strong><br />

leiden unter <strong>der</strong> Situation und fühlen sich<br />

schuldig.<br />

Als Auslöser <strong>für</strong> die Wohnungslosigkeit be-<br />

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st<strong>an</strong>dpunkt : sozial 3/2010<br />

nennen die Nutzerinnen gewaltgeprägte Lebensumstände,<br />

Trennung, Arbeitslosigkeit,<br />

Schulden, Mietschulden und Ortswechsel.<br />

<strong>Frauen</strong> bemühen sich, ihre Obdachlosigkeit<br />

zu verbergen, und wahren den Anschein von<br />

Normalität. Nur ein geringer Teil <strong>der</strong> <strong>Frauen</strong><br />

lebt offen wohnungslos und sichtbar auf<br />

<strong>der</strong> Straße. Ein Teil <strong>der</strong> <strong>Frauen</strong> begibt sich<br />

in prekäre Unterbringungssituationen und<br />

Zw<strong>an</strong>gsgemeinschaften. <strong>Frauen</strong> suchen Unterschlupf<br />

bei Bek<strong>an</strong>nten, und dies ist häufi g<br />

verbunden mit sexueller Gegenleistung. Sie<br />

leben damit ständig in <strong>der</strong> Gefahr, je<strong>der</strong>zeit<br />

die Unterkunftssituation zu verlieren.<br />

<strong>Frauen</strong>, die „Platte“ machen, also auf <strong>der</strong><br />

Straße leben, sind in einer existentiellen Notlage<br />

und von extremer Ausgrenzung betroffen.<br />

Die Erfüllung <strong>der</strong> alltäglichen Bedürfnisse<br />

nach Nahrung, Hygiene, Bekleidung und<br />

Ruhe müssen mühevoll bewältigt werden.<br />

Hinzu kommt die Schutzlosigkeit gegenüber<br />

Diskriminierung und Gewalt. <strong>Frauen</strong>, die direkt<br />

von <strong>der</strong> Straße zu uns kommen, brauchen<br />

meist erst einmal Ruhe, um sich physisch<br />

und psychisch von den Strapazen <strong>der</strong><br />

Obdachlosigkeit zu erholen.<br />

Das Hilfesystem <strong>für</strong> wohnungslose Menschen<br />

Andrea Hniopek<br />

ist traditionell auf Männer bezogen. Deshalb<br />

tauchen <strong>Frauen</strong> dort seltener auf. Sobald<br />

sich Angebote explizit (auch) <strong>für</strong> <strong>Frauen</strong> öffnen,<br />

tauchen vermehrt <strong>Frauen</strong> auf.<br />

<strong>Frauen</strong> nutzen im Gegensatz zu Männern<br />

weniger das Angebot <strong>der</strong> öffentlichen Unterbringung.<br />

Sie machen „Platte“ o<strong>der</strong><br />

fi nden Zufl ucht bei „Schlafplatzgebern“.<br />

Insbeson<strong>der</strong>e <strong>Frauen</strong>, die psychisch stark belastet<br />

sind, können sich häufi g nicht auf ein<br />

Mehrbettzimmer in Unterkünften einlassen.<br />

Foto: Andrea Hniopek<br />

Die Erfahrung <strong>der</strong> letzten Jahre zeigt, dass<br />

ein Teil <strong>der</strong> <strong>obdachlose</strong>n <strong>Frauen</strong>, die keine<br />

<strong>an</strong><strong>der</strong>en Hilfen <strong>an</strong>nehmen können o<strong>der</strong><br />

wollen, oftmals das <strong>Winternotprogramm</strong> <strong>an</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>HAW</strong> nutzt. In den letzten Jahren wurde<br />

das Angebot jährlich von rund 20 <strong>Frauen</strong> genutzt.<br />

Die durchschnittliche Auslastung lag<br />

bei 96%.<br />

<strong>Frauen</strong>, die das Angebot des <strong>Winternotprogramm</strong>s<br />

<strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>HAW</strong> nutzen, schätzen<br />

insbeson<strong>der</strong>e die unbürokratische Hilfe. Für<br />

sie ist es wichtig, ein Dach über dem Kopf<br />

zu haben, einen Ort, <strong>an</strong> dem sie einfach nur<br />

sein können: eine Form <strong>der</strong> Unterbringung,<br />

die keine weiteren Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>an</strong> sie<br />

stellt. Bereits die In<strong>an</strong>spruchnahme eines


st<strong>an</strong>dpunkt : sozial 3/2010<br />

Containerplatzes, die Einhaltung einer Hausordnung<br />

und die sozialen Kontakte auf dem<br />

Platz stellen <strong>für</strong> viele <strong>Frauen</strong> eine enorme<br />

Herausfor<strong>der</strong>ung dar.<br />

Wir respektieren die <strong>Frauen</strong>, wie sie sind,<br />

und akzeptieren ihre unterschiedlichen Lebensentwürfe.<br />

Falls die <strong>Frauen</strong> den Wunsch<br />

haben, erhalten sie Beratung und konkrete<br />

Unterstützung.<br />

Wir machen den <strong>Frauen</strong> offene Gruppen<strong>an</strong>gebote,<br />

vom gemeinsamen Frühstück bis hin<br />

zur Weihnachtsfeier. Die Angebote werden<br />

gut <strong>an</strong>genommen und wirken den Vereinsamungstendenzen<br />

<strong>der</strong> <strong>Frauen</strong> entgegen.<br />

Die Vermittlung <strong>der</strong> <strong>Frauen</strong> in Unterkünfte<br />

gestaltet sich schwierig. Es gibt zum einen<br />

M<strong>an</strong>gel <strong>an</strong> kleinen dezentralen Unterkünften,<br />

zum <strong>an</strong><strong>der</strong>en fällt es den <strong>Frauen</strong> schwer,<br />

vorh<strong>an</strong>de Angebote in Anspruch zu nehmen.<br />

Plätze in Unterkünften mit Mehrbettzimmer<br />

werden gemieden. Dennoch gelingt uns<br />

im geringen Maße die Vermittlung in Unterkünfte<br />

o<strong>der</strong> auch mal in eine Wohnung.<br />

Zum Ende des <strong>Winternotprogramm</strong>s waren<br />

in jedem Jahr noch ca. acht <strong>Frauen</strong> da. Die<br />

meisten dieser <strong>Frauen</strong> gingen erneut zurück<br />

auf die Straße. Ein Teil <strong>der</strong> <strong>Frauen</strong> kommt so<br />

alle Jahre wie<strong>der</strong> ins <strong>Winternotprogramm</strong>.<br />

Ein Angebot auf <strong>der</strong> Basis eines niedrigschwelligen<br />

Containerprojektes würde in<br />

<strong>Hamburg</strong> auf ein hohes Maß <strong>an</strong> Zustimmung<br />

treffen. Der Bedarf ist da. Die Einschätzung,<br />

dass diese Form <strong>der</strong> Unterbringung <strong>für</strong> diesen<br />

Personenkreis bedarfsgerecht ist, wird<br />

durch die Fachöffentlichkeit geteilt.<br />

Es ist daher ein temporäres Containerprojekt<br />

<strong>für</strong> <strong>obdachlose</strong> <strong>Frauen</strong> gepl<strong>an</strong>t. Temporär<br />

deshalb, weil es die Zeit zwischen den <strong>Winternotprogramm</strong>en,<br />

also vom 15. 4. bis 1. 11.,<br />

abdecken soll.<br />

In einer gemeinsamen Spendenaktion von<br />

NDR 90,3, „<strong>Hamburg</strong>-Journal“, WELT und<br />

WELT am SONNTAG wird in <strong>der</strong> diesjährigen<br />

Vorweihnachtszeit <strong>für</strong> die Realisierung<br />

dieses Projektes zu Spenden aufgerufen. Wir<br />

wünschen uns sehr, dass genügend Gel<strong>der</strong><br />

zusammenkommen, damit wir über den<br />

15. 4. 2011 hinaus diese Form <strong>der</strong> niedrigschwelligen<br />

Unterbringung den <strong>Frauen</strong> zur<br />

Verfügung stellen können.<br />

Last but not least: Die Durchführung des<br />

Winternotprgramms <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>HAW</strong> ist nur<br />

möglich, weil sich viele Menschen <strong>an</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>HAW</strong> da<strong>für</strong> einsetzen und stark machen. Engagierte<br />

Studierende unterstützen jährlich<br />

die <strong>Frauen</strong>. Prof. Dr. Harald Ansen steht je<strong>der</strong>zeit<br />

<strong>für</strong> Fragen zur Verfügung und ist eine<br />

wesentliche Verbindung zwischen Fachprojekt<br />

und <strong>HAW</strong>. Für technischen Probleme ist<br />

unser Hausmeister Uwe Halupczok immer<br />

<strong>an</strong>sprechbar. Allen Beteiligten daher ein<br />

dickes DANKE!<br />

Ein geeigneter Platz in <strong>der</strong> Großstadt <strong>Hamburg</strong><br />

ist keine Selbstverständlichkeit. Mein<br />

beson<strong>der</strong>er D<strong>an</strong>k gilt daher <strong>der</strong> <strong>HAW</strong>, die<br />

uns den Platz zur Verfügung stellt und somit<br />

das Projekt überhaupt ermöglicht.<br />

Literatur<br />

BAG Wohnungslosenhilfe 2003: Positionspapier <strong>der</strong> BAG<br />

Wohnungslosenhilfe, erarbeitet vom Fachausschuss <strong>Frauen</strong>. In:<br />

Wohnungslos 1/03, S. 33-36<br />

Gern, Wolfg<strong>an</strong>g / Pitz, Andreas 2009: Arme habt ihr allezeit.<br />

Vom Leben <strong>obdachlose</strong>r Menschen in einem wohlhabenden<br />

L<strong>an</strong>d. Fr<strong>an</strong>kfurt<br />

Lutz, Ronald / Simon Titus 2007: Lehrbuch <strong>der</strong> Wohnungslosenhilfe.<br />

Weinheim, München<br />

Rosenke, Werena / Schrö<strong>der</strong> Helmut 2006: <strong>Frauen</strong> und Wohnungslosigkeit.<br />

In Wohnungslos 1/06, S. 1-8<br />

Schaak, Torsten 2009: Obdachlose, auf <strong>der</strong> Straße lebende<br />

Menschen in <strong>Hamburg</strong> 2009. Eine empirische Untersuchung.<br />

<strong>Hamburg</strong><br />

Hniopek Andrea, Jg 1968, Dipl.-Sozialarbeiterin; Sozialarbeiterin<br />

in <strong>der</strong> Beratungsstelle Altona, Projektver<strong>an</strong>twortliche<br />

und seit 2004 Lehrbeauftragte <strong>der</strong> <strong>HAW</strong><br />

<strong>Hamburg</strong>. Andrea.Hniopek@haw-hamburg.de<br />

Andrea Hniopek<br />

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