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Schutz von Unternehmensgeheimnissen - WilmerHale

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<strong>Schutz</strong> <strong>von</strong><br />

<strong>Unternehmensgeheimnissen</strong><br />

Profifußball<br />

Übertragung der Spiellizenz<br />

,,Better Regulation ,<br />

Nichtiger oder anfechtbarer<br />

Vereinsbeschluss<br />

,<br />

/,,Citizens , Rights ,<br />

Neues im europäischen Datenschutzrecht<br />

Bereicherungsausgleich bei<br />

Asymmetrischer Gesellschaftssanierung<br />

Kündigung während des<br />

Krankenstands<br />

Unlauterer Wettbewerb<br />

Abschöpfung des Unternehmensgewinns<br />

,<br />

FACHZEITSCHRIFT FÜR<br />

WIRTSCHAFTSRECHT<br />

FEBRUAR 2011<br />

02<br />

www.ecolex.at<br />

93– 184


Geheimnisschutz im<br />

Internationalen Schiedsverfahren<br />

„Vertraulichkeit“ wird als entscheidender Vorteil der Schiedsgerichtsbarkeit gegenüber<br />

staatlichen Gerichtsverfahren angesehen. Dieser Beitrag bespricht jene Mittel, die den<br />

Parteien und den Schiedsrichtern zum <strong>Schutz</strong>e <strong>von</strong> Geschäftsgeheimnissen zur Verfügung<br />

stehen, und welche Besonderheiten des Schiedsverfahrens dabei zu beachten sind.<br />

A. Einleitung<br />

Parteien, die Interesse an der Wahrung <strong>von</strong> Geschäftsgeheimnissen<br />

haben, entscheiden sich oftmals<br />

für die Schiedsgerichtsbarkeit, weil sie <strong>von</strong> dieser Verfahrensart<br />

ein höheres Maß an Vertraulichkeit erwarten.<br />

1 ) Bei umsichtiger Planung und geschickter Umsetzung<br />

kann das Schiedsverfahren diesen Erwartungen<br />

in der Regel entsprechen. Dabei sollten jedoch<br />

folgende Überlegungen berücksichtigt werden.<br />

Erstens: Im (internationalen) Schiedsverfahren<br />

kommen typischerweise weiterreichende Verpflichtungen<br />

zur Urkundenvorlage zur Anwendung als<br />

vor (österreichischen) staatlichen Gerichten. So können<br />

Schiedsrichter auch nach österreichischem<br />

Schiedsrecht ohne Parteienantrag die Vorlage <strong>von</strong> Urkunden<br />

anordnen, wenn ihnen dies für die Ermittlung<br />

des entscheidungswesentlichen Sachverhalts<br />

FRANZ SCHWARZ / OLGA BRAEUER<br />

dienlich erscheint. 2 ) Auch wenn die in internationalen<br />

Schiedsverfahren übliche document production<br />

Franz Schwarz ist Partner der internationalen Sozietät Wilmer Cutler Pickering<br />

Hale and Dorr LLP und Vice-Chair der International Arbitration<br />

Practice Group, welche sich mit etwa 70 Anwälten in Europa, Asien und<br />

den USA auf Handelsschiedsgerichtsbarkeit und Investitionsschutz spezialisiert<br />

hat.<br />

Olga Braeuer ist als Associate der internationalen Schiedsgruppe der Kanzlei<br />

in London tätig.<br />

1) D. Kühner, Geschäftsgeheimnisse und Schiedsverfahren – neuerdings<br />

ein Gegensatz? IHR 2003, 202; UNCITRAL Notes on Organizing<br />

Arbitral Proceedings, 1996, Z 31; Y. Fortier, The occasionally unwarranted<br />

assumption of confidentiality, 15 Arb. Int ,<br />

l 131 (1999);<br />

J. Paulsson/N. Rawding, The Trouble with Confidentiality, 11 Arb.<br />

Int ,<br />

l 303 (1995).<br />

2) § 599 Abs 1 öZPO; Art 20 Abs 5 Wiener Regeln. Vgl Schwarz/Konrad,<br />

The Vienna Rules – A Commentary on International Arbitration<br />

in Austria (2009) Rz 20 – 229 ff; Platte in Riegler et al, Arbitration Law<br />

SCHUTZ VON<br />

UNTERNEHMENS-<br />

GEHEIMNISSEN<br />

of Austria: Practice and Procedure (2007) § 599 Rz 23. SCHWERPUNKT<br />

ecolex 2011 99


SCHUTZ VON<br />

UNTERNEHMENS-<br />

GEHEIMNISSEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

100 ecolex 2011<br />

nur wenig mit der ungleich umfassenderen US-amerikanischen<br />

discovery gemein hat, 3 ) ist doch darauf<br />

zu achten, dass Geschäftsgeheimnisse oder technische<br />

Innovationen nicht an die Öffentlichkeit und damit<br />

an Wettbewerber gelangen. Soweit document production<br />

nicht schon durch Parteienvereinbarung eingeschränkt<br />

oder ausgeschlossen ist, muss den im Vergleich<br />

zur staatlichen Gerichtsbarkeit weitergehenden<br />

Pflichten zur Urkundenvorlage auch ein umfassenderer<br />

<strong>Schutz</strong> <strong>von</strong> Geschäftsgeheimnissen ausgleichend<br />

gegenüberstehen.<br />

Zweitens: An internationalen Schiedsverfahren<br />

nehmen regelmäßig Parteien und Schiedsrichter aus<br />

unterschiedlichen Rechtssystemen teil, mit durchaus<br />

unterschiedlichen Erwartungen an das Ausmaß und<br />

die Grenzen der Urkundenvorlage und den damit einhergehenden<br />

Geheimnisschutz. 4 ) Während der Ausschluss<br />

der Öffentlichkeit in der internationalen<br />

Schiedsgerichtsbarkeit allgemein anerkannt ist und,<br />

aus der privaten Natur des Schiedsverfahrens abgeleitet,<br />

als stillschweigend 5 ) vereinbarter Teil der Schiedsvereinbarung<br />

angesehen werden kann, 6 ) gilt dies nicht unbedingt<br />

für die Geheimhaltung <strong>von</strong> im Schiedsverfahren<br />

eingeführten Geschäftsgeheimnissen. Das Model<br />

Law und die meisten Schiedsverfahrensgesetze (darunter<br />

etwa die öZPO) regeln das Geheimhaltungsgebot<br />

nicht ausdrücklich und überlassen die Ausgestaltung<br />

damit erst wieder der internationalen Praxis. Die Regeln<br />

der Internationalen Anwaltsvereinigung zur Beweisaufnahme<br />

in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit,<br />

7 ) erst 2010 novelliert, stellen hier ein wenngleich<br />

nicht verbindliches, so doch praktisch wichtiges<br />

Regelwerk für den Geheimnisschutz in der Beweisaufnahme<br />

dar und verdienen daher auch in der vorliegenden<br />

Betrachtung besondere Aufmerksamkeit.<br />

Drittens: Es gilt hier, wie auch sonst im Schiedsverfahren,<br />

der Grundsatz der Parteienautonomie.<br />

Den Parteien steht es grundsätzlich frei, den Schiedsrichtern<br />

ein durch Vereinbarung ausgestaltetes Beweisverfahren<br />

vorzugeben. Die hier besprochenen<br />

Mechanismen zum <strong>Schutz</strong> <strong>von</strong> Geschäftsgeheimnissen<br />

bieten sich daher nicht nur als verfahrensleitende<br />

Maßnahmen an, sondern können uU bereits vorab<br />

im Rahmen der Schiedsvereinbarung festgelegt oder<br />

vorbereitet werden.<br />

B. Die Entscheidung über das „Ob“ des<br />

Geheimnisschutzes<br />

Gem § 599 Abs 1 öZPO8 ) liegt die Beweisaufnahme<br />

grundsätzlich im freien Ermessen der Schiedsrichter.<br />

9 ) Art 20 Abs 5 Wiener Regeln räumt den Schiedsrichtern<br />

sogar ausdrücklich das Recht ein, aus eigenem<br />

Antrieb die Vorlage <strong>von</strong> Urkunden aufzutragen.<br />

10 ) Verweigert eine Partei die aufgetragene Urkundenvorlage,<br />

so kann das Schiedsgericht folgern,<br />

dass das Dokument den Interessen der Partei nachteilig<br />

ist. 11 )<br />

Schiedsrichter müssen sohin zwei zuwiderlaufenden<br />

Interessen gerecht werden – dem Geheimhaltungsinteresse<br />

der vorlageverpflichteten Partei einerseits<br />

und dem Beweisinteresse der beweisbelasteten<br />

Partei andererseits. Kann ein Anspruch lediglich durch<br />

Vorlage <strong>von</strong> Urkunden mit vertraulichem Inhalt<br />

durchgesetzt bzw abgewehrt werden, kann dies auf<br />

Kosten der Geheimhaltung <strong>von</strong> Geschäftsgeheimnissen<br />

oder technischen Innovationen erfolgen. Vor diesem<br />

Hintergrund muss das Schiedsgericht stets prüfen,<br />

ob Maßnahmen zum <strong>Schutz</strong> der Geheimhaltung des<br />

Schiedsverfahrens überhaupt erforderlich sind.<br />

Besteht keine Pflicht zur Vorlage der betreffenden<br />

Dokumente, stellt sich das Problem der Geheimhaltung<br />

erst gar nicht. Dies ergibt sich insb aus der Vorschrift<br />

des Art 3.3 IBA Rules, welche den Antrag auf<br />

Vorlegung <strong>von</strong> Dokumenten an drei Voraussetzungen<br />

knüpft: die vorzulegenden Dokumente müssen<br />

relevant für den Fall und wesentlich für seine Entscheidung<br />

sein, weiterhin müssen die vorzulegenden Dokumente<br />

hinreichend detailliert beschrieben sein<br />

und sie dürfen sich nicht in Besitz, Gewahrsam oder<br />

Verfügungsmacht des Antragstellers befinden.<br />

Sofern eine Vorlagepflicht besteht, hat das<br />

Schiedsgericht zu prüfen, ob die vorzulegenden Dokumente<br />

der Geheimhaltung unterliegen. Nach<br />

Art 9.2 IBA Rules etwa „hat (. . .) das Schiedsgericht<br />

auf Antrag einer Partei oder <strong>von</strong> sich aus Dokumente,<br />

Erklärungen, mündliche Aussagen und Besichtigungen<br />

als Beweismittel auszuschließen, wenn einer der<br />

folgenden Gründe vorliegt: (e) wirtschaftlich oder<br />

technisch begründete Verschwiegenheitspflichten,<br />

die das Schiedsgericht für zwingend erachtet.“ Die Beweislast<br />

obliegt der einwendenden Partei; 12 ) nach dem<br />

Wortlaut dieser Bestimmung („hat […] auszuschließen“)<br />

scheint das Schiedsgericht zum Ausschluss jener<br />

Dokumente, die einer rechtlich bindenden Verschwiegenheitspflicht<br />

unterliegen, verpflichtet.<br />

Diese Pflicht ist nicht absolut. Zum einen regelt<br />

Art 3.13 IBA Rules Ausnahmen vom Geheimnisschutz.<br />

Erfasst sind Konstellationen, in denen eine<br />

Partei <strong>von</strong> Rechts wegen zur Offenbarung <strong>von</strong> Informationen<br />

verpflichtet ist (etwa durch kapitalmarktrechtliche<br />

Offenlegungspflichten); Konstellationen,<br />

in denen die Vorlegung <strong>von</strong> Dokumenten notwendig<br />

ist, um ein eigenes Recht zu schützen oder zu verfolgen;<br />

und Fallgestaltungen, in denen die Weitergabe<br />

3) Insbesondere die 2010 Novelle der IBA Rules on the Taking of Evidence<br />

in International Arbitration unterwirft die Urkundenvorlage mit<br />

Art 9.2 weitgehenden Einschränkungen.<br />

4) Siehe A. Dimolitsa, Institutional Rules and National Regimes Relating<br />

to the Obligation of Confidentiality on Parties in Arbitration, ICC<br />

ICArb. Bull., Special Supplement 2009, 5 ff.<br />

5) Vgl demgegenüber die explizite Regelung in Art 20 Abs 4 Wiener Regeln.<br />

6) Lionnet/Lionnet, Schiedsgerichtsbarkeit (2005) 455; D. Kühner, IHR<br />

2003, 203.<br />

7) IBA-Rules on the Taking of Evidence in International Arbitration, Beschluss<br />

des IBA-Council 29. 5. 2010. Siehe deutsche Übersetzung<br />

<strong>von</strong> Raeschke-Kessler, Raeschke-Kessler, Cohen Kläsener, Dolgorukow<br />

und Kreindler in SchiedsVZ 2010, 322 ff.<br />

8) Ident: Art 19 Abs 2 Satz 2 UNCITRAL Model Law; § 1042 Abs 4<br />

dZPO.<br />

9) Schwarz/Konrad, Vienna Rules (2009) Rz 20 – 186; Rechberger, ZPO<br />

§ 599 Rz 1.<br />

10) Schwarz/Konrad, Vienna Rules (2009) Rz 20 – 178. Siehe auch Art 20<br />

Abs 5 ICC SchO; Art 22.1(e) LCIA SchO.<br />

11) Siehe auch Art 9.5 IBA-Rules.<br />

12) V. Hamilton, Document Production in ICC Arbitration, in Document<br />

Production in International Arbitration, ICC ICArb. Bull., Special<br />

Supplement 2006, 77.


<strong>von</strong> Informationen dazu dient, ein Schiedsurteil vor<br />

einem staatlichen Gericht oder vor einer anderen Einrichtung<br />

mit vergleichbarer Entscheidungsbefugnis<br />

anzugreifen oder zu vollstrecken. 13 )<br />

Zum anderen bestimmt Art 9.4 IBA Rules, dass<br />

das Schiedsgericht „wenn dies angemessen ist, die<br />

notwendigen Maßnahmen treffen kann, damit Beweismittel<br />

unter geeignetem Vertraulichkeitsschutz<br />

angeboten oder ausgewertet werden können“. Eine<br />

sinnvolle Lesart der Art 9.2 und 9.4 IBA Rules stellt<br />

den Schiedsrichtern damit die Vorlage auch vertraulicher<br />

Dokumente frei, wenn die Vertraulichkeit im<br />

Einzelfall durch geeignete Maßnahmen geschützt<br />

werden kann und dies im Verhältnis zum erwarteten<br />

Beweisergebnis und Aufwand steht. 14 )<br />

Dabei stellt sich eine weitere, folgenreiche Frage:<br />

Wer soll die vorzulegenden Dokumente auf ihre Vertraulichkeit<br />

und damit auf das Vorliegen eines Ausschlussgrunds<br />

nach Art 9.2 IBA Rules überprüfen?<br />

Grundsätzlich liegt die Zuständigkeit beim Schiedsgericht<br />

selbst. 15 ) Allerdings ist dies nicht unproblematisch:<br />

16 ) Die Schiedsrichter müssen die Dokumente<br />

studieren, um zu entscheiden, ob sie der Geheimhaltung<br />

bedürfen und gegebenenfalls Ausnahmen eingreifen.<br />

17 ) Was die Schiedsrichter einmal gelesen haben,<br />

werden sie nicht einfach wieder aus ihrem Gedächtnis<br />

löschen können. 18 ) Sofern dies ihre Entscheidung<br />

beeinflusst, ohne dass beide Seiten dazu<br />

Stellung nehmen konnten, würde das rechtliche Gehör<br />

der Parteien verletzt. 19 ) Dieser Gesichtspunkt<br />

wird jedenfalls bei der Ausgestaltung „geeigneter<br />

Maßnahmen“ zum <strong>Schutz</strong>e vertraulicher Urkunden<br />

zu berücksichtigen sein.<br />

C. Geeignete Maßnahmen des<br />

Geheimnisschutzes<br />

Die Befugnis des Schiedsgerichts, alle geeigneten<br />

Maßnahmen zum <strong>Schutz</strong>e der Geheimhaltung anzuordnen,<br />

ergibt sich mangels Parteivereinbarung aus<br />

dem allgemeinen schiedsrichterlichen Verfahrensermessen<br />

nach § 594 Abs 1 öZPO oder Art 20 (1) Wiener<br />

Regeln oder ausdrücklichen Bestimmungen wie<br />

Art 9.4 IBA Rules oder Art 20.7 ICC SchO. Welche<br />

Maßnahmen für den Geheimhaltungsschutz anzuordnen<br />

sind, richtet sich nach der Sensibilität der Inhalte,<br />

va aber danach, vor „wem“ vertrauliche Informationen<br />

geheimgehalten werden sollen: Soll kein außerhalb des<br />

Schiedsverfahrens stehender Dritter Kenntnis erlangen,<br />

oder soll der vertrauliche Inhalt gerade dem Verfahrensgegner<br />

oder sogar den Schiedsrichtern selbst<br />

vorenthalten werden? Das Schiedsgericht muss daher<br />

zunächst im Einzelfall prüfen, ob es einer absoluten<br />

oder relativen Geheimhaltung bedarf. 20 )<br />

1. Relativer Geheimhaltungsschutz<br />

Relativer Geheimhaltungsschutz gilt nicht gegenüber<br />

dem Verfahrensgegner, sondern ist lediglich darauf gerichtet,<br />

dass der Verfahrensgegner vertrauliche Informationen,<br />

die er durch die Dokumentenvorlage im<br />

Schiedsverfahren erlangt, nicht an Dritte weitergibt. 21 )<br />

Die Verwendung außerhalb des Schiedsverfahrens<br />

kann das Schiedsgericht durch einstweilige Anord-<br />

nung beschränken (temporary protective order); dies<br />

kann natürlich auch schon vorab vereinbart werden,<br />

uU mit Konventionalstrafen bewehrt. In der Praxis<br />

verbreitet ist darüber hinaus die Beschränkung der<br />

Dokumentenvorlage auf einen bestimmten Personenkreis.<br />

Denkbar ist etwa, die vertraulichen Dokumente<br />

nur an die Anwälte und/oder einzelne Unternehmensjuristen<br />

des Gegners herauszugeben, oder im<br />

Falle einer Streitgenossenschaft auf einzelne Beteiligte<br />

der Gegenseite, 22 ) die alle einem ausdrücklichen Weitergabeverbot<br />

unterworfen werden können.<br />

Da in Fällen des relativen Geheimhaltungsschutzes<br />

die Dokumentenvorlage sowohl gegenüber den<br />

Schiedsrichtern als auch dem Verfahrensgegner erfolgt,<br />

können die Schiedsrichter im Wege des streitigen<br />

Verfahrens beide Parteien zu den vorgelegten<br />

Dokumenten befragen, das heißt, beiden Parteien<br />

rechtliches Gehör gewähren. Die anschließende einstweilige<br />

Anordnung genügt damit dem im Schiedsverfahren<br />

geltenden Grundsatz des kontradiktorischen<br />

Verfahrens (adversarial principle).<br />

SCHUTZ VON<br />

UNTERNEHMENS-<br />

GEHEIMNISSEN<br />

2. Absoluter Geheimhaltungsschutz<br />

Demgegenüber betreffen Maßnahmen des absoluten<br />

Geheimnisschutzes auch den Verfahrensgegner – vertrauliche<br />

Informationen der im Schiedsverfahren vorzulegenden<br />

Dokumente sollen hier uU gerade vor<br />

ihm geheimgehalten werden. 23 )<br />

13) A. Cohen Kläsener/A. Dolgorukow, Die Überarbeitung der IBA-Regeln<br />

zur Beweisaufnahme in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit,<br />

SchiedsVZ 2010, 307. Siehe auch Art 30.1 LCIA SchO.<br />

14) Art 9.2 gibt den Schiedsrichtern weitgehende Möglichkeiten, Urkundenvorlagen<br />

einzuschränken. Dabei sollen sich Schiedsrichter ausdrücklich<br />

<strong>von</strong> Grundsätzen der Verfahrens-Ökonomie, des erwarteten<br />

Aufwands zur Beschaffung des Beweismittels, der „hinreichenden“ Relevanz,<br />

der Verhältnismäßigkeit und der Fairness leiten lassen.<br />

15) S. Crookenden, Who Should Decide Arbitration Confidentiality Issues?<br />

Arb. Int ,<br />

l 25 (2009) 606.<br />

16) H. van Houtte, The Document Production Master and the Experts ,<br />

Facilitator: Two Possible Aides for an Efficient Arbitration, in Fernández-Ballesteros/Arias<br />

(Hrsg), Liber Amicorum Bernardo Cremades<br />

(2010) 1149.<br />

17) Ibid.<br />

18) Gem § 599 Abs 3 öZPO sind alle Urkunden, auf die sich das Schiedsgericht<br />

bei seiner Entscheidung stützen kann, beiden Parteien zugänglich<br />

zu machen.<br />

19) Lachmann, Schiedsgerichtspraxis (2008) Rz 1310 ff; Y. Derains, Evidence<br />

and Confidentiality, in ICC ICArb. Bull., Special Supplement<br />

2009, 57 ff. Eine ähnliche Problematik stellt sich auch bei der hier<br />

nicht thematisierten Frage, ob die im internationalen Schiedsverfahren<br />

vorzulegenden Dokumente dem <strong>Schutz</strong> des Anwaltsgeheimnisses unterliegen<br />

und nach Art 9.3(a) iVm 9.2(b) IBA Rules ein Verwertungsverbot<br />

besteht. Wenn jedoch das Schiedsgericht die Urkunden auf das<br />

Vorliegen eines Verwertungsverbots studiert, hat es jene auch schon ,,<br />

verwertet ,<br />

SCHWERPUNKT<br />

. Siehe unten FN 31 zum Institut des Document Master.<br />

Siehe auch: § 321 Abs 1 Nr 4 öZPO oder § 383 Abs 1 Nr 6 dZPO.<br />

Jüngst: Berger, Evidentiary Privileges Under the Revised IBA Rules<br />

on the Taking of Evidence in International Arbitration, 13 Int. A.<br />

L. R. (2010) 171 ff; Carter, Privilege Gets a New Framework, 13 Int.<br />

A. L. R. (2010) 177 ff; A. Cohen Kläsener/A. Dolgorukow, SchiedsVZ<br />

2010, 310.<br />

20) Vgl Y. Derains, ICC ICArb Bull., Special Supplement 2009, 61 f.<br />

21) Ibid, Rz 14.<br />

22) Siehe bspw Anordnung in einem ICC Schiedsverfahren, abgedruckt in<br />

Y. Derains, ICC ICArb. Bull, Special Supplement 2009, 67.<br />

23) Y. Derains, ICC ICArb. Bull., Special Supplement 2009, 62 Rz 16.<br />

,<br />

ecolex 2011 101


SCHUTZ VON<br />

UNTERNEHMENS-<br />

GEHEIMNISSEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

102 ecolex 2011<br />

Problematisch ist, dass der Beweis über die Geheimhaltungsbedürftigkeit<br />

des Dokuments in diesen<br />

Fällen ex parte geführt wird; das Schiedsgericht entscheidet<br />

unter Ausschluss des Verfahrensgegners. 24 )<br />

Dies könnte den Grundsatz des rechtlichen Gehörs<br />

verletzen. Zudem ist fraglich, ob für den absoluten<br />

Geheimhaltungsschutz die Zustimmung beider Parteien<br />

erforderlich ist. Beide Punkte sollten bei jeder<br />

verfahrensrechtlichen Maßnahme zum Zwecke des<br />

absoluten Geheimhaltungsschutzes beachtet werden.<br />

a) Redacting<br />

Grundsätzlich können nicht entscheidungserhebliche,<br />

aber vertrauliche Inhalte einzelner Dokumente<br />

geschwärzt werden (redacting). Maßgeblich ist, dass<br />

der geschwärzte Teil des Dokuments in keiner Weise<br />

relevant für die Entscheidungsfindung des Schiedsgerichts<br />

ist. 25 ) Insofern muss das Schiedsgericht auf der<br />

Grundlage einer geschwärzten und einer ungeschwärzten<br />

Version des Dokuments zwei Voraussetzungen<br />

prüfen, nämlich erstens, ob die zu schwärzenden<br />

Inhalte tatsächlich entscheidungsfremd sind, und<br />

zweitens, ob diese Inhalte überhaupt geheimhaltungsbedürftig<br />

sind. 26 ) Wenn beide Voraussetzungen gegeben<br />

sind, kann das redacting zum Zwecke des absoluten<br />

Geheimnisschutzes angeordnet werden. 27 ) Die<br />

Dokumentenvorlage an den Verfahrensgegner erfolgt<br />

dann lediglich in Form der geschwärzten Fassung. Da<br />

die geschwärzten vertraulichen Inhalte des Dokuments<br />

entscheidungsfremd sein müssen und dem<br />

Verfahrensgegner lediglich diese Teile des Dokuments<br />

vorenthalten werden, bestehen grundsätzlich<br />

keine Bedenken im Hinblick auf das rechtliche Gehör.<br />

Allerdings könnte der Geheimnisschutz auch gegenüber<br />

den Schiedsrichtern selbst erwünscht sein,<br />

sei es, dass die geheime Information besonders sensitiv<br />

ist, sei es, dass die vorlegungsverpflichtete Partei<br />

abgeneigt ist, dem <strong>von</strong> der Gegenpartei ernannten<br />

Schiedsrichter vertrauliche Dokumente vorzulegen.<br />

Diese Problematik könnte dadurch überwunden werden,<br />

dass das redacting lediglich durch den Vorsitzenden<br />

vorgenommen wird. 28 ) Alternativ könnte der Zugriff<br />

auf die ungeschwärzte Fassung auf die Parteivertreter<br />

beschränkt werden, so dass diese gemeinsam<br />

über das ob und wie des redactings entscheiden. 29 )<br />

b) Confidentiality Advisor<br />

In der Praxis erprobt ist die Ernennung eines zur Verschwiegenheit<br />

verpflichteten unabhängigen Dritten,<br />

eines sog Document Production Master. 30 )Hiermüssen<br />

die vertraulichen Dokumente ausschließlich<br />

dem neutralen Experten vorgelegt werden. Dieser<br />

überprüft anstelle des Schiedsgerichts, ob die vorzulegenden<br />

Dokumente als geheimhaltungsbedürftig einzustufen<br />

sind. Damit bekommt das Schiedsgericht<br />

jene Dokumente, über deren Ausschluss es befinden<br />

müsste, gar nicht erst zu sehen.<br />

Eine ausdrückliche Regelung für die Heranziehung<br />

eines unabhängigen, unparteiischen, zur Verschwiegenheit<br />

verpflichteten Sachverständigen findet<br />

sich in Art 3.8 IBA Rules, wonach der neutrale Experte<br />

lediglich beratend tätig werden darf. Unter Anwendung<br />

<strong>von</strong> Art 52 (d) WIPO-Regeln darf der aus-<br />

drücklich erwähnte Confidentiality Advisor hingegen<br />

auch bindend über die Beweiskraft der Dokumente<br />

entscheiden. Außerhalb des Anwendungsbereichs<br />

der WIPO-Regeln soll dies jedoch nur mit Zustimmung<br />

beider Parteien möglich sein. 31 ) Selbst für eine<br />

bloße Beratungsfunktion sollte das Schiedsgericht die<br />

Zustimmung beider Parteien einholen. 32 )Art3.8IBA<br />

Rules stellt auf ein „Einvernehmen mit den Parteien“<br />

ab; sollte die vorlagepflichtige Partei die Heranziehung<br />

eines unabhängigen Experten ablehnen, kann<br />

das Schiedsgericht im Rahmen des Art 9.5 IBA Rules<br />

allerdings folgern, dass das Dokument den Interessen<br />

dieser Partei nachteilig ist.<br />

c) Geheimhaltungsklausel<br />

In sensiblen Bereichen ist den Parteien zu raten, die<br />

hier beschriebenen und andere geeignete Maßnahmen<br />

bereits vorab im Rahmen der Schiedsvereinbarung<br />

festzulegen, 33 ) auch wenn die genauen Umstände<br />

des Schiedsverfahrens noch nicht bekannt<br />

sind. 34 ) Fehlt eine Vereinbarung, so sollten die<br />

Schiedsrichter im Rahmen der Konsultation mit<br />

den Parteien nach Art 2.1 IBA Rules 35 ) zum frühestmöglichen<br />

Zeitpunkt des Verfahrens auf eine Einigung<br />

über eine Geheimhaltungsklausel hinwirken.<br />

24) Ibid.<br />

25) So sind bspw bei einem Vorstandssitzungsprotokoll oft nicht alle während<br />

der Sitzung getroffenen Entscheidungen relevant für das Schiedsverfahren.<br />

26) Vgl V. Hamilton, ICC ICArb. Bull., Special Supplement 2006, 77.<br />

27) Y. Derains, ICC ICArb. Bull., Special Supplement 2009, 63 Rz 18.<br />

28) Ibid, Rz 20.<br />

29) Ibid, 64 Rz 21.<br />

30) Siehe etwa Guyana v. Surinam, Award des Permanent Court of Arbitration<br />

in Den Haag vom 17. 9. 2007, International Legal Materials<br />

47 (2008) 173 ff; siehe auch H. van Houtte, LA Bernardo Cremades<br />

(2010) 1150. Das Institut einer unabhängigen Überprüfung wird<br />

oft iZm dem Einwand des attorney client privilege angewandt.<br />

31) Y. Derains, ICC ICArb. Bull, Special Supplement 2009, 69 Rz 31.<br />

32) Andere Auffassung: H. van Houtte, LA Bernardo Cremades (2010)<br />

1153.<br />

33) Ein gutes Beispiel für eine solche Klausel findet sich in ILA 74th Biennial<br />

Conference, The Hague 2010, Resolution No 1/2010, I.C.1. (abrufbar<br />

unter www.ila-hq.org/en/committees/draft-committee-reportsthe-hague-2010.cfm).<br />

34) M. Hwang/K. Chung, Defining the Indefinable: Practical Problems of<br />

Confidentiality in Arbitration, Journal of International Arbitration 26<br />

(2009) 642 f.<br />

35) Siehe auch A. Cohen Kläsener/A. Dolgorukow, SchiedsVZ 2010, 304.<br />

SCHLUSSSTRICH<br />

Eine Einigung der Parteien über die Ausgestaltung<br />

des Geheimnisschutzes zum frühestmöglichen Zeitpunkt<br />

des Schiedsverfahrens ist vorzugswürdig.<br />

Andernfalls ermöglichen auch die aufgeführten<br />

verfahrensrechtlichen Maßnahmen einen fairen<br />

Ausgleich zwischen Geheimhaltungsinteresse der<br />

zur Vorlage verpflichteten Partei und Beweisinteresse<br />

der beweisbelasteten Partei. Dabei kommt<br />

den Parteien die dem Schiedsverfahren immanente<br />

Flexibilität zugute, die die Vereinbarung – oder<br />

schiedsrichterliche Anordnung – auf den Einzelfall<br />

zugeschnittener Maßnahmen zum <strong>Schutz</strong>e <strong>von</strong><br />

Geschäftsgeheimnissen ermöglicht.

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