Schutz von Unternehmensgeheimnissen - WilmerHale
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<strong>von</strong> Informationen dazu dient, ein Schiedsurteil vor<br />
einem staatlichen Gericht oder vor einer anderen Einrichtung<br />
mit vergleichbarer Entscheidungsbefugnis<br />
anzugreifen oder zu vollstrecken. 13 )<br />
Zum anderen bestimmt Art 9.4 IBA Rules, dass<br />
das Schiedsgericht „wenn dies angemessen ist, die<br />
notwendigen Maßnahmen treffen kann, damit Beweismittel<br />
unter geeignetem Vertraulichkeitsschutz<br />
angeboten oder ausgewertet werden können“. Eine<br />
sinnvolle Lesart der Art 9.2 und 9.4 IBA Rules stellt<br />
den Schiedsrichtern damit die Vorlage auch vertraulicher<br />
Dokumente frei, wenn die Vertraulichkeit im<br />
Einzelfall durch geeignete Maßnahmen geschützt<br />
werden kann und dies im Verhältnis zum erwarteten<br />
Beweisergebnis und Aufwand steht. 14 )<br />
Dabei stellt sich eine weitere, folgenreiche Frage:<br />
Wer soll die vorzulegenden Dokumente auf ihre Vertraulichkeit<br />
und damit auf das Vorliegen eines Ausschlussgrunds<br />
nach Art 9.2 IBA Rules überprüfen?<br />
Grundsätzlich liegt die Zuständigkeit beim Schiedsgericht<br />
selbst. 15 ) Allerdings ist dies nicht unproblematisch:<br />
16 ) Die Schiedsrichter müssen die Dokumente<br />
studieren, um zu entscheiden, ob sie der Geheimhaltung<br />
bedürfen und gegebenenfalls Ausnahmen eingreifen.<br />
17 ) Was die Schiedsrichter einmal gelesen haben,<br />
werden sie nicht einfach wieder aus ihrem Gedächtnis<br />
löschen können. 18 ) Sofern dies ihre Entscheidung<br />
beeinflusst, ohne dass beide Seiten dazu<br />
Stellung nehmen konnten, würde das rechtliche Gehör<br />
der Parteien verletzt. 19 ) Dieser Gesichtspunkt<br />
wird jedenfalls bei der Ausgestaltung „geeigneter<br />
Maßnahmen“ zum <strong>Schutz</strong>e vertraulicher Urkunden<br />
zu berücksichtigen sein.<br />
C. Geeignete Maßnahmen des<br />
Geheimnisschutzes<br />
Die Befugnis des Schiedsgerichts, alle geeigneten<br />
Maßnahmen zum <strong>Schutz</strong>e der Geheimhaltung anzuordnen,<br />
ergibt sich mangels Parteivereinbarung aus<br />
dem allgemeinen schiedsrichterlichen Verfahrensermessen<br />
nach § 594 Abs 1 öZPO oder Art 20 (1) Wiener<br />
Regeln oder ausdrücklichen Bestimmungen wie<br />
Art 9.4 IBA Rules oder Art 20.7 ICC SchO. Welche<br />
Maßnahmen für den Geheimhaltungsschutz anzuordnen<br />
sind, richtet sich nach der Sensibilität der Inhalte,<br />
va aber danach, vor „wem“ vertrauliche Informationen<br />
geheimgehalten werden sollen: Soll kein außerhalb des<br />
Schiedsverfahrens stehender Dritter Kenntnis erlangen,<br />
oder soll der vertrauliche Inhalt gerade dem Verfahrensgegner<br />
oder sogar den Schiedsrichtern selbst<br />
vorenthalten werden? Das Schiedsgericht muss daher<br />
zunächst im Einzelfall prüfen, ob es einer absoluten<br />
oder relativen Geheimhaltung bedarf. 20 )<br />
1. Relativer Geheimhaltungsschutz<br />
Relativer Geheimhaltungsschutz gilt nicht gegenüber<br />
dem Verfahrensgegner, sondern ist lediglich darauf gerichtet,<br />
dass der Verfahrensgegner vertrauliche Informationen,<br />
die er durch die Dokumentenvorlage im<br />
Schiedsverfahren erlangt, nicht an Dritte weitergibt. 21 )<br />
Die Verwendung außerhalb des Schiedsverfahrens<br />
kann das Schiedsgericht durch einstweilige Anord-<br />
nung beschränken (temporary protective order); dies<br />
kann natürlich auch schon vorab vereinbart werden,<br />
uU mit Konventionalstrafen bewehrt. In der Praxis<br />
verbreitet ist darüber hinaus die Beschränkung der<br />
Dokumentenvorlage auf einen bestimmten Personenkreis.<br />
Denkbar ist etwa, die vertraulichen Dokumente<br />
nur an die Anwälte und/oder einzelne Unternehmensjuristen<br />
des Gegners herauszugeben, oder im<br />
Falle einer Streitgenossenschaft auf einzelne Beteiligte<br />
der Gegenseite, 22 ) die alle einem ausdrücklichen Weitergabeverbot<br />
unterworfen werden können.<br />
Da in Fällen des relativen Geheimhaltungsschutzes<br />
die Dokumentenvorlage sowohl gegenüber den<br />
Schiedsrichtern als auch dem Verfahrensgegner erfolgt,<br />
können die Schiedsrichter im Wege des streitigen<br />
Verfahrens beide Parteien zu den vorgelegten<br />
Dokumenten befragen, das heißt, beiden Parteien<br />
rechtliches Gehör gewähren. Die anschließende einstweilige<br />
Anordnung genügt damit dem im Schiedsverfahren<br />
geltenden Grundsatz des kontradiktorischen<br />
Verfahrens (adversarial principle).<br />
SCHUTZ VON<br />
UNTERNEHMENS-<br />
GEHEIMNISSEN<br />
2. Absoluter Geheimhaltungsschutz<br />
Demgegenüber betreffen Maßnahmen des absoluten<br />
Geheimnisschutzes auch den Verfahrensgegner – vertrauliche<br />
Informationen der im Schiedsverfahren vorzulegenden<br />
Dokumente sollen hier uU gerade vor<br />
ihm geheimgehalten werden. 23 )<br />
13) A. Cohen Kläsener/A. Dolgorukow, Die Überarbeitung der IBA-Regeln<br />
zur Beweisaufnahme in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit,<br />
SchiedsVZ 2010, 307. Siehe auch Art 30.1 LCIA SchO.<br />
14) Art 9.2 gibt den Schiedsrichtern weitgehende Möglichkeiten, Urkundenvorlagen<br />
einzuschränken. Dabei sollen sich Schiedsrichter ausdrücklich<br />
<strong>von</strong> Grundsätzen der Verfahrens-Ökonomie, des erwarteten<br />
Aufwands zur Beschaffung des Beweismittels, der „hinreichenden“ Relevanz,<br />
der Verhältnismäßigkeit und der Fairness leiten lassen.<br />
15) S. Crookenden, Who Should Decide Arbitration Confidentiality Issues?<br />
Arb. Int ,<br />
l 25 (2009) 606.<br />
16) H. van Houtte, The Document Production Master and the Experts ,<br />
Facilitator: Two Possible Aides for an Efficient Arbitration, in Fernández-Ballesteros/Arias<br />
(Hrsg), Liber Amicorum Bernardo Cremades<br />
(2010) 1149.<br />
17) Ibid.<br />
18) Gem § 599 Abs 3 öZPO sind alle Urkunden, auf die sich das Schiedsgericht<br />
bei seiner Entscheidung stützen kann, beiden Parteien zugänglich<br />
zu machen.<br />
19) Lachmann, Schiedsgerichtspraxis (2008) Rz 1310 ff; Y. Derains, Evidence<br />
and Confidentiality, in ICC ICArb. Bull., Special Supplement<br />
2009, 57 ff. Eine ähnliche Problematik stellt sich auch bei der hier<br />
nicht thematisierten Frage, ob die im internationalen Schiedsverfahren<br />
vorzulegenden Dokumente dem <strong>Schutz</strong> des Anwaltsgeheimnisses unterliegen<br />
und nach Art 9.3(a) iVm 9.2(b) IBA Rules ein Verwertungsverbot<br />
besteht. Wenn jedoch das Schiedsgericht die Urkunden auf das<br />
Vorliegen eines Verwertungsverbots studiert, hat es jene auch schon ,,<br />
verwertet ,<br />
SCHWERPUNKT<br />
. Siehe unten FN 31 zum Institut des Document Master.<br />
Siehe auch: § 321 Abs 1 Nr 4 öZPO oder § 383 Abs 1 Nr 6 dZPO.<br />
Jüngst: Berger, Evidentiary Privileges Under the Revised IBA Rules<br />
on the Taking of Evidence in International Arbitration, 13 Int. A.<br />
L. R. (2010) 171 ff; Carter, Privilege Gets a New Framework, 13 Int.<br />
A. L. R. (2010) 177 ff; A. Cohen Kläsener/A. Dolgorukow, SchiedsVZ<br />
2010, 310.<br />
20) Vgl Y. Derains, ICC ICArb Bull., Special Supplement 2009, 61 f.<br />
21) Ibid, Rz 14.<br />
22) Siehe bspw Anordnung in einem ICC Schiedsverfahren, abgedruckt in<br />
Y. Derains, ICC ICArb. Bull, Special Supplement 2009, 67.<br />
23) Y. Derains, ICC ICArb. Bull., Special Supplement 2009, 62 Rz 16.<br />
,<br />
ecolex 2011 101