Dr. Saadi Almalih in Augsburg 26.06.2012 Bericht - HUYODO.COM
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Assyrischer Kulturwissenschaftler aus Arbil (Irak) zu Gast im<br />
<strong>Augsburg</strong>er Mesopotamien-Vere<strong>in</strong><br />
Sprache und Kultur müssen entwickelt und gepflegt werden<br />
v.li.n.re.: Suleyman Ögünc, <strong>Dr</strong>. Kamal Sido, <strong>Dr</strong>. <strong>Saadi</strong> Al Malih, Ilyo Demir, Issa Hanna<br />
Sprache und Kultur s<strong>in</strong>d wesentlich für den Fortbestand jeden Volkes und erfordern kont<strong>in</strong>uierliche<br />
Entwicklung wie auch Pflege. E<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Arbeit gab der assyrische Schriftsteller und<br />
Kulturwissenschaftler <strong>Dr</strong>. <strong>Saadi</strong> Al Malih, Leiter der Generaldirektion für Kultur <strong>in</strong> Arbil (Irak,) am<br />
Dienstag, den 26. Juni 2012 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Vortrag im Assyrischen Kulturhaus <strong>Augsburg</strong>, Mendelssohnstr.<br />
21, zu der die Assyrische Demokratische Organisation (ADO) geme<strong>in</strong>sam mit der Gesellschaft für<br />
bedrohte Völker (GfbV) e<strong>in</strong>geladen hatte. Veranstalter war der Assyrische Mesopotamien-Vere<strong>in</strong><br />
<strong>Augsburg</strong>.<br />
Von Marianne Brückl<br />
Rund 30 Gäste waren <strong>in</strong>s assyrische Kulturhaus gekommen, um mehr über die Entwicklungen von<br />
Sprache und Kultur des assyrischen Volkes im Irak bis heute zu erfahren. Der engagierte Schriftsteller<br />
und Kulturwissenschaftler <strong>Dr</strong>. <strong>Saadi</strong> Al Malih, der <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Heimat als Regierungsbeamter arbeitet<br />
und die Generaldirektion für Kultur <strong>in</strong> Arbil leitet, gab E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die Möglichkeiten des Erhalts des<br />
kulturellen Erbes der Assyrer, aber auch der Förderung durch se<strong>in</strong>e Organisation. Moderiert wurde<br />
die Veranstaltung von Issa Hanna, dem 2. Vorsitzenden der ADO. <strong>Dr</strong>. Kamal Sido, Nahost-Referent<br />
der GfbV, übersetzte vom Arabischen <strong>in</strong>s Deutsche.<br />
Zunächst begrüßte Issa Hanna den Referenten im Namen aller drei Organisationen. Mit e<strong>in</strong>leitenden<br />
Worten würdigte er die Verdienste von <strong>Dr</strong>. Al Malih, aus dessen Feder zahlreiche Geschichtsbücher,<br />
Erzählungen und Enzyklopädien für die assyrische Kultur stammen. Als Professor hatte der<br />
Kulturwissenschaftler zudem Vorlesungen <strong>in</strong> Tripoli (Lybien), <strong>in</strong> Usbekistan sowie an der Salahadd<strong>in</strong>-
Universität im Irak gehalten. Nach 30 Jahren Aufenthalt im Ausland, zuletzt <strong>in</strong> Canada, kehrte <strong>Dr</strong>.<br />
<strong>Saadi</strong> Al Malih schließlich wieder <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Heimat Irak zurück.<br />
Hanna sprach auch der Gesellschaft für bedrohte Völker, Herrn <strong>Dr</strong>. Kamal Sido, se<strong>in</strong>en besonderen<br />
Dank aus. Die Gesellschaft war e<strong>in</strong>e der ersten Organisationen <strong>in</strong> Deutschland gewesen, die <strong>in</strong> vielen<br />
Publikationen die Problematik der Assyrer <strong>in</strong> der Öffentlichkeit bekannt gemacht hatte.<br />
Von Verboten bis zum kulturellen Fortschritt<br />
Noch bis vor e<strong>in</strong>igen Jahren hatten die Assyrer ke<strong>in</strong>e Rechte, sie durften ihre Muttersprache nicht<br />
erlernen, und ke<strong>in</strong>e Radio- oder Fernsehsender <strong>in</strong> assyrischer Sprache aufbauen. Auch gab es laut<br />
dem Referenten Al Malih Zeiten, <strong>in</strong> denen es den Menschen verboten war, ihren K<strong>in</strong>dern assyrische<br />
Vornamen zu geben. Etwa 95% der Volksangehörigen seien nicht mehr <strong>in</strong> der Lage gewesen, ihre<br />
eigene Muttersprache zu lesen und zu schreiben. E<strong>in</strong>zig durch die Verwendung der Schriftsprache <strong>in</strong><br />
Kirchen und e<strong>in</strong>igen Kulturzentren, konnte diese am Leben erhalten werden.<br />
„E<strong>in</strong> Erblühen der Sprache und Kultur begann nach dem Irak-Kuweit-<br />
Krieg, nachdem die Schutzzone im Norden entstanden ist. “, sagt Al<br />
Malih. Erst nachdem nach 1991 im Norden des Irak e<strong>in</strong> Parlament<br />
gewählt und die Regierung gebildet worden war, seien laut dem<br />
Kulturwissenschaftler die Rechte des assyrischen Volkes wie auch<br />
dessen politische Rechte anerkannt worden. Es existiere e<strong>in</strong>e<br />
Quotenregelung, nach der die Assyrer 5 Abgeordnete und m<strong>in</strong>destens<br />
e<strong>in</strong>en M<strong>in</strong>ister im Kab<strong>in</strong>ett stellen würden. Dadurch sei die Erziehung<br />
<strong>in</strong> der Muttersprache zur staatlichen Sache geworden. In ca. der Hälfte<br />
der mehr als 60 Schulen <strong>in</strong> der Region, laufe alles <strong>in</strong> der assyrischen<br />
Sprache ab, so Al Malih. Geographie, Mathematik und alle anderen<br />
Fächer würden quasi <strong>in</strong> der Muttersprache abgehalten. In den anderen<br />
Schulen würde der Unterrichtsstoff zwar <strong>in</strong> Kurdisch oder Arabisch<br />
gelehrt, jedoch seien 4-6 Stunden Assyrisch ebenfalls im Lehrplan<br />
enthalten. Insgesamt seien dort 1070 Lehrer/<strong>in</strong>nen beschäftigt.<br />
Durch die Anerkennung der kulturellen Rechte s<strong>in</strong>d die Chancen für den Erhalt des Erbes erheblich<br />
gestiegen. In Zeitungen, Radio- und Fernsehsendern darf die assyrische Sprache offiziell verwendet<br />
werden, andere kulturelle Veranstaltungen s<strong>in</strong>d ebenfalls gestattet.<br />
Generaldirektionen für schulische, kulturelle und sprachliche Belange<br />
Welche Fortschritte sich im Norden des Landes für die assyrische Bevölkerung ergeben haben, zeigt<br />
die Bildung von m<strong>in</strong>isterienähnlichen Generaldirektionen durch die Regionalregierung, <strong>in</strong> denen die<br />
Leiter freie Hand haben.<br />
Die erste Generaldirektion wurde als Teil e<strong>in</strong>es M<strong>in</strong>isteriums für Erziehung und Ausbildung <strong>in</strong> der<br />
Ursprache der Assyrer als Kontrollorgan für die Schulen aufgebaut. Weitere Generaldirektionen gebe<br />
es außerdem für die Assyrische Kultur, und <strong>in</strong>nerhalb des M<strong>in</strong>isteriums für Religionsangelegenheiten<br />
für die Belange der Christen. Seit 1996 war der Schriftsteller und Kulturwissenschaftler <strong>Dr</strong>. <strong>Saadi</strong> Al<br />
Malih Leiter e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en Direktion für Kultur und Sprache <strong>in</strong> Arbil, die se<strong>in</strong>erzeit dem<br />
Kultusm<strong>in</strong>isterium der Regierung angehörte. Nach 2007 wurde sie zu e<strong>in</strong>er unabhängigen<br />
Generaldirektion, die nunmehr <strong>in</strong>nerhalb des M<strong>in</strong>isteriums für Kultur arbeitet. „Rund 1/5 des<br />
gesamten M<strong>in</strong>isteriums wird von den Assyrern gebildet“, merkte Al Malih an. Se<strong>in</strong>e Generaldirektion<br />
weise mittlerweile 4 Zweige auf, <strong>in</strong> Arbil, Duhok, Suleymania und schließlich <strong>in</strong> Ankawa (Kultur,<br />
Tradition, Folklore), der noch e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Museum mit e<strong>in</strong>schließt. Insgesamt gebe es 200<br />
Arbeitsplätze <strong>in</strong> der Generaldirektion, die F<strong>in</strong>anzmittel hierfür seien von der Regierung vor wenigen<br />
Tagen genehmigt worden. Bisher habe er 168 Mitarbeiter, die Hälfte davon sogar mit Hochschul-<br />
Abschluss.
Assyrische Kultur im Aufw<strong>in</strong>d<br />
Wie wichtig diese Direktionen für den Erhalt und<br />
die Förderung der assyrischen Kultur s<strong>in</strong>d,<br />
erläutert <strong>Dr</strong>. Al Malih anhand der<br />
Ausstellungsstücke <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Museum <strong>in</strong> Ankawa<br />
auf. „Wir haben über 3000 Gegenstände aus der<br />
assyrischen Kultur gesammelt“, beziffert der<br />
Kulturwissenschaftler die Anzahl der<br />
Museumstücke. „Das s<strong>in</strong>d alles Gegenstände aus<br />
dem Alltag, von Ausgrabungen, aus verschiedenen<br />
Dörfern unseres Volkes.“, sagt er weiter. Man<br />
arbeite mit verschiedenen NGOs weltweit<br />
zusammen, um die Arbeit zu entwickeln. Hilfe gebe es durch Reparaturen von beispielsweise<br />
metallenen Gegenständen, um diese am Leben zu erhalten,<br />
Auch e<strong>in</strong>e wertvolle Bibliothek gehört mittlerweile zum Inventar. Neben 25 muttersprachlichen<br />
Handschriften und zahlreichen hundert bis hundertfünfzig Jahre alten Buchwerken, gebe es dort<br />
auch 7000 weitere Bücher <strong>in</strong> verschiedenen Sprachen, mit Bezug zum assyrischen Volk, aus den<br />
Themenbereichen Politik, Kunst, Wissenschaft oder Literatur. Daneben existiert e<strong>in</strong>e umfangreiche<br />
Sammlung früherer Zeitschriften und Zeitungen, zum Teil im Orig<strong>in</strong>al oder <strong>in</strong> Kopie, wie die gesamte<br />
Ausgabe der Zeitung „Al Mashrik“, die im Jahr 1898 erstmalig im Libanon erschienen war und bis<br />
heute herausgegeben wird. Kulturschätze des assyrischen Volkes, wie sie sonst kaum irgendwo zu<br />
f<strong>in</strong>den se<strong>in</strong> dürften.<br />
Die assyrische Sprache fördern<br />
Die Generaldirektion hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Entwicklung der assyrischen Sprache zu<br />
fördern. In jedem Jahr veranstaltet sie dazu zwei große Konferenzen zur Entwicklung der assyrischen<br />
Sprache, bei der nicht nur Fachleute und Experten aus dem Irak anwesend s<strong>in</strong>d.<br />
Erstmals tagte die Konferenz „Für die Entwicklung unserer Sprache“ im Jahr 2009 <strong>in</strong> Arbil/Ankawa,<br />
2010 <strong>in</strong> Shaklawa und 2011 <strong>in</strong> Alqosh.<br />
„Es gibt auch noch e<strong>in</strong>e andere Konferenz, die regulär über die Kultur der Assyrer des Irak<br />
stattf<strong>in</strong>det.“, <strong>in</strong>formiert der Kulturwissenschaftler. E<strong>in</strong>geladen würden hierzu Fachleute und Experten<br />
aus dem gesamten Irak. Dies sei die größte Veranstaltung mit m<strong>in</strong>destens 100 Teilnehmern von Basra<br />
bis Suleymania. Diese werde auch von den Medien im Land begleitet.<br />
Darüber h<strong>in</strong>aus fiel 2009 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er weiteren Konferenz <strong>in</strong> für Medienleute <strong>in</strong> Aleppo die Entscheidung,<br />
e<strong>in</strong>e Union für assyrische Journalisten als e<strong>in</strong>getragenen Vere<strong>in</strong> zu bilden. Die Satzung müsse<br />
allerd<strong>in</strong>gs von der Regierung genehmigt werden, liege dieser aber bereits vor.<br />
Unterstützung von NGOs und Künstlern großgeschrieben<br />
Als wesentliche Aufgabe se<strong>in</strong>er Organisation sieht es <strong>Dr</strong>. Al Malih an, NGOs <strong>in</strong> Ankawa, der N<strong>in</strong>ive-<br />
Ebene und <strong>in</strong> der Prov<strong>in</strong>z Duhok bei kulturellen und sozialen Tätigkeiten zu unterstützen. „Je<br />
nachdem, geben wir diesen NGOs Monat für Monat 1 – 3 Mio. D<strong>in</strong>ar (1 Mio. D<strong>in</strong>ar ~ ca. 800 USD),<br />
damit sie <strong>in</strong> der Muttersprache weiterarbeiten können.“, sagt er. Aber die Hilfen für die Assyrer<br />
erstrecken sich auch auf die sogenannten „umstrittenen“ Gebiete, <strong>in</strong> denen das Land der Christen<br />
auf andere Kulturen verteilt und vermischt werden soll, da solche Organisationen der<br />
Zentralregierung <strong>in</strong> Bagdad fehlen. Deshalb müsse auch den Assyrern <strong>in</strong> diesen Gebieten Hilfe durch<br />
die Generaldirektion zuteil werden.
Bisher konnte laut dem Kulturwissenschaftler bereits e<strong>in</strong>e neue Entwicklung im Irak geschaffen<br />
werden. Es gebe Theaterstücke <strong>in</strong> der Muttersprache mit 7 – 8 Aufführungen im Jahr, Poesieabende<br />
und weitere kulturelle Veranstaltungen.<br />
„10 bis 12 Bücher werden jährlich auch mit unseren Mitteln gedruckt, die meisten Bücher <strong>in</strong> der<br />
Muttersprache.“, sagt Al Malih. „Wir verlegen und drucken für den Autor und geben ihm noch Geld.“,<br />
so der Kulturwissenschaftler weiter. Diese Bücher würden kostenfrei verteilt, um die Menschen zum<br />
Lesen <strong>in</strong> der assyrischen Sprache anzuregen. Die Generalregierung selbst gibt zusätzlich e<strong>in</strong>e eigene<br />
Quartalszeitschrift sowie e<strong>in</strong>e Monatszeitung <strong>in</strong> der Muttersprache heraus.<br />
Laut Al Malih seien auch Großausstellungen e<strong>in</strong> jährlich 3 – 4 mal stattf<strong>in</strong>dendes Event, bei denen ca.<br />
35 Künstler m<strong>in</strong>destens 150 Bilder und Werke präsentieren. So manches Bild werde dabei auch von<br />
der Generaldirektion gekauft. Die teilnehmenden Künstler würden dabei aber auch noch f<strong>in</strong>anziell<br />
unterstützt.<br />
„Wir haben dafür gesorgt, dass es im Norden des Irak, zu e<strong>in</strong>er Blüte unserer Sprache und Kultur<br />
gekommen ist.“, schließt <strong>Dr</strong>. <strong>Saadi</strong> Al Malih se<strong>in</strong>e Ausführungen.<br />
Last not least hatten die Gäste des Abends im Anschluss an den aufschlussreichen Vortrag dann noch<br />
Gelegenheit, dem Referenten ihre Fragen zu stellen.<br />
Trotz all dieser Unterstützungsmaßnahmen im Heimatland selbst, sollte auch und gerade <strong>in</strong> den<br />
westlichen Ländern auch die assyrische Kultur nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Assimilierung untergehen, sondern diese<br />
wertvolle Sprache der Assyrer der Jugend weitergetragen werden.