Kamerun, der Sport und die afrikanische Zeit Der Sport in seiner ...

Kamerun, der Sport und die afrikanische Zeit
Der Sport in seiner Vielfältigkeit – Le sport
au pluriel – stand am 19. und 20. April 2005
beim „Colloque International de Yaoundé“ in
Kamerun im Mittelpunkt. Bei dem internationalen
Sportkongress in der Hauptstadt des
zentralafrikanischen Staates, wurde der
Sport als Ganzes wie durch ein Prisma von
den verschiedensten Blickwinkeln aus betrachtet.
Dabei spiegelte das Spektrum der
Vorträge nicht nur soziologische, historische
und pädagogische Forschungsansätze wider,
sondern auch ökonomische, juristische
oder philosophische Gedanken.
Sportwissenschaftler aus Frankreich, Deutschland, England, Kanada und dem Gastgeberland Kamerun
stellten Ergebnisse ihrer Arbeiten aus der jüngsten Vergangenheit vor und suchten dabei immer
wieder den Bezug zum afrikanischen Sport. Dabei standen insbesondere die Rahmenbedingungen,
Möglichkeiten und Herausforderungen, die dem Sport auf dem afrikanischen Kontinent speziell südlich
der Sahara begegnen, im Zentrum des Interesses und der Diskussion.
Die Universität Marc Bloch in Strasbourg hatte unter der wissenschaftlichen Leitung von Professor
André Rausch, das durchaus auch als ambitiös zu bezeichnende Unternehmen in die Wege geleitet.
In Zusammenarbeit mit der Universität Koblenz-Landau und der Universität Paris-Sud Orsay, sowie
dem INJS (Institut National de la Jeunesse et du Sport) in Kamerun, ist entgegen der vielfältigsten
organisatorischen Schwierigkeiten das Symposium auf die Beine gestellt worden.
Dank der organisatorischen Leitung des Kongresses durch Dr. Roger Noutcha der UFR STAPS aus
Strasbourg, der mit seinem Organisationsteam in zweijähriger Planungszeit das Symposium vorbereitet
hatte, konnte die Veranstaltung erfolgreich durchgeführt werden. Wer jemals in einem afrikanischen
Land versucht hat, mit Vorstellungen von europäischer Planungssicherheit und Kalkulation ein
solches Unterfangen durchzusetzen, kann verstehen, was für eine bemerkenswerte organisatorische
Leistung dahinter steckt. Entgegen der Schwierigkeiten im sprichwörtlichen Kompetenzdschungel der
vielfältigen Behörden und Ministerien, und der Probleme, die sich insbesondere durch die in vielen
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Auf den belebten, zumeist von Taxis beherrschten
Straßen Yaoundés ist ein zügiges
Vorankommen oftmals sehr schwer

afrikanischen Staaten sehr schwierige finanzielle Situation ergeben (auch im Zusammenhang der
Korruption), konnte die Veranstaltung letzten Endes dennoch in Kamerun stattfinden.
Man könnte der Frage nachgehen, was dazu treibt, einen wissenschaftlichen Kongress in einem
5000km entfernten afrikanischen Land wie Kamerun abhalten zu wollen? Die mannigfaltigen zu erwartenden
Probleme bei der Organisation sprechen sicherlich nicht unbedingt dafür, jedoch hat gerade
durch die besondere Bedeutung des Sports in Afrika ein solches Unterfangen seine Berechtigung
und sollte in den Wirkungen und dem Signal das davon ausstrahlt durchaus nicht unterschätzt
werden.
Das Land Kamerun, wegen der Vielfältigkeit seiner klimatischen und vegetativen Gegebenheiten oft
auch als „Afrika in Miniatur“ bezeichnet, hat seit seiner Unabhängigkeit im Jahre 1960 ganz wesentliche
Entwicklungsprozesse vollzogen und kann als einer der Staaten Zentralafrikas gelten, in denen
sich der westliche Einfluss und eine enge Bindung des Landes zum europäischen Kontinent stark
bewahrt haben. Seit den Tagen der ersten Kolonialisierungsversuche durch deutsche Missionare
Ende des 19. Jahrhunderts. (das Land galt bis zum 1. Weltkrieg als preußisches Protektorat) und der
darauffolgenden vor allem französischen aber auch britischen Kolonialgeschichte, hat Kamerun seinen
Weg in internationale Gemeinschaft gefunden. Wenn sich das afrikanische Land auch weiterhin
enormen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Problemen gegenübergestellt sieht, so hat es
dennoch in seiner relativ kurzen Geschichte als unabhängiger Staat sein eigenes Profil entwickelt.
Im Trubel der Straßenmärkte
kann man schnell sein
Zeitgefühl verlieren, oder
aber sein Portmonaie
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Gerade in den unbefestigen Seitenstraßen
Yaoundés wird deutlich wie sehr
sich das Leben der Menschen
auf der Straße abspielt

Auch der Sport hat bei der Entfaltung und Öffnung des Landes einen nicht unwesentlichen Beitrag
geleistet. Kamerun kann durchaus als sportbegeistert bezeichnet werden. Wie in vielen anderen
afrikanischen Ländern, kommt dabei gerade dem Fußball eine herausragende Rolle zu.
Wer erinnert sich nicht, wie im Eröffnungsspiel der Fußballweltmeisterschaft 1990 in Italien, die
„Unbezähmbaren Löwen“ die Weltöffentlichkeit mit ihrem Sieg gegen den noch amtierenden
Weltmeister Argentinien überraschte und munter das Turnier aufmischte? Mit ihrem Spielwitz und
ihrer erfrischenden Art eroberte die Mannschaft aus Kamerun, allen voran Roger Milla, die Herzen
der Zuschauer und sorgte nicht nur in Kamerun für Begeisterungsstürme. Viele der kamerunischen
Spieler nutzen seither die Möglichkeiten der internationalen Aufmerksamkeit, und heute
verdienen viele Fußballer ihr Geld in Europa, vornehmlich in Frankreich.
Dem Sport kommen somit wichtige Funktionen zu. In den afrikanischen Gesellschaften unserer
Zeit, ist der Sport ein wesentliches Element der Identitätsfindung. Ob die gegenwärtigen Erscheinungsweisen
des Sports nun aus althergebrachten traditionellen Formen des afrikanischen
Sports herrühren oder durch äußere Einflüsse in das Land getragen wurden, die sportliche Betätigung
kann als wichtiger Bestandteil bei der Suche nach einer nationalen Identität bezeichnet
werden. Er spielt eine tragende Rolle bei der Konstruktion eines nationalen Bewusstseins, das
sich aus dem Erbe der kolonialen Vergangenheit herauszulösen versucht, dabei aber gleichzeitig
die Verbindung der europäischen und afrikanischen Kultur sucht. Der Sport wird in diesem Prozess
zu einer treibenden Kraft, wenn er daneben auch insbesondere als Möglichkeit des sozialen
Aufstiegs erkannt worden ist.
Wie kaum ein anderer verkörpert in Kamerun Roger Milla diesen sozialen Aufstieg aus ärmlichen
Verhältnissen zu Ruhm und Ehren mit Hilfe des Sports. Der ehemalige Fußballer genießt ein unvergleichliches
Ansehen in Kamerun und vertritt nun sogar als Botschafter die Interessen seines
Landes. Ursprünglich zur Eröffnung des Kongresses in Yaoundé fest eingeplant, sagte Milla seinen
Besuch jedoch kurzfristig ab.
Diese Absage kann als beispielhaft für die immer mit Überraschungen verbundenen Planungsunsicherheiten
gelten, die schon fast kennzeichnend für das Leben in dem zentralafrikanischen
Staat zu sein scheinen. Es bedarf schon einer gewissen Anpassung an die Gegebenheiten und
Lebensgewohnheiten in Kamerun um mit der Situation als zeitabhängiger Mitteleuropäer zurecht
zu kommen. Tatsächlich muss wer nach Kamerun reist, vor allem eines mit im Gepäck haben:
Zeit. Ohne seine neurotische europäische Zeitplanung abzulegen und sich ganz den Strömungen
und der Mentalität der Menschen in Kamerun hinzugeben, geht es nicht. Wie es einer der Teilnehmer
aus Strasbourg etwas überspitzt ausdrückte: „Wir Europäer besitzen die Uhren, die Kameruner
die Zeit.“ Die Uhren in diesem Land scheinen tatsächlich etwas langsamer zu gehen
und so ist Geduld gefragt, wenn beispielsweise der bestellte Bus zwar wie geplant um 8 Uhr
morgens bereitgestellt wird, der dazugehörige Fahrer allerdings erst um die Mittagszeit eintrudelt.
Das afrikanische Zeit-Verständnis ist gewöhnungsbedürftig, doch lassen die Gastfreundschaft
der Kameruner, ihre Freundlichkeit und die köstliche Landesküche, den sonst so gestressten
Mitteleuropäer schnell seine gewohnte Zeitplanung vergessen. So ließen sich die europäischen
Teilnehmer des Kongresses rasch von der kamerunischen Gelassenheit einnehmen, was zwar
den Zeitplan der Veranstaltung erheblich strapazierte, aber den besonderen, ungezwungenen
Flair des Symposiums ausmachte.
Zu den präsentierten Vorträgen gehörten unter anderen die Beiträge von Professor Otto Schantz
(Universität Koblenz-Landau), Dozent an der Internationalen Olympischen Akademie (IOA), Professor
Thierry Terret (Universität Lyon), Präsident der Internationalen Gesellschaft für Geschichte
der Leibeserziehung und des Sports, Professor Emmanuel Claude Biwole Abolo, Mitglied des
NOK von Kamerun, oder auch von Dr. Francois Dikoumè, Vizepräsident der EPS Kommission
der UNESCO.
Durch die engen wissenschaftlichen Beziehungen, die Professor André Rausch und die Universität
Strasbourg seit langem mit dem Fachbereich Sport pflegen, war es möglich, dass auch die
Universität Mainz auf dem Symposium vertreten war.
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Dank Rausch, dem erst vor kurzem am Fachbereich Sport die Ehrendoktorwürde verliehen worden
ist, sowie der wissenschaftlichen Unterstützung von Professor Norbert Müller der Abteilung Sportgeschichte
und Sportsoziologie der Johannes Gutenberg-Universität, konnte auch ein Mainzer Student
die Reise nach Kamerun antreten, um die
Ergebnisse seiner Examensarbeit vorzustellen.
Auch Professor Rausch (2.v.l) leitete einzelne
Sessionen des Kongresses
Auf der Tagung wurden in verschiedenen
Sessionen Zusammenhänge des Sports hinsichtlich
verschiedener Gesichtspunkte dargestellt
und erörtert. Ob nun der Sport und
seine Organisationsstrukturen, der Olympismus Coubertins, oder der Einfluss der kolonialen Vergangenheit
diskutiert wurden, immer wieder wurde besonderer Akzent auf die Zusammenhänge mit der
afrikanischen Wirklichkeit gelegt. Die Beiträge behandelten zum Beispiel die Darstellung von Athleten
dunkler Hautfarbe in der französischen Presse Ende der 50er Jahre, oder erhellten die Entwicklungen
des Sports im Übergang von kolonialer zu postkolonialer Geschichte in Afrika. Im Zentrum der
Diskussionen stand immer wieder die Rolle des Sports hinsichtlich der weiteren Entwicklungsmöglichkeiten
nicht nur für Kamerun speziell, sondern auch für afrikanische Länder im Allgemeinen.
Ebenfalls wurde der Sport im Zusammenhang mit Glaubensfragen, Professionalisierung und Gesundheit
diskutiert. Ein weiterer Schwerpunkt war daneben auch die Rolle des Behinderten im Sport
und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, von denen der Athlet abhängig ist. Die Thematik
des Behinderten im Sport fand reges Interesse und dies zeigte, dass in dieser Hinsicht beachtlicher
Diskussionsbedarf besteht. Von besonderem Interesse waren in diesem Zusammenhang die Möglichkeiten
der Behindertenförderung.
Professor Dr. Otto Schantz zeigte in seinem Vortrag die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der
olympischen und paralympischen Bewegungen auf. Wie aus seinen Ausführungen deutlich wurde,
sehen sich gerade im Behindertensport aufstrebende Athleten aus Afrika besonderen Barrieren gegenüber.
Da sich der Einfluss kostspieliger technologischer Weiterentwicklungen hier besonders auf
die Leistungsmöglichkeiten beschränkend auswirkt, sind die Grundvoraussetzungen der Athleten
alles andere als gerecht. Von Chancengleichheit kann sicherlich keine Rede sein. Zunehmend werden
die notwendigen technischen Hilfsmittel der Sportler unter höchstem Kostenaufwand weiterentwickelt
und lassen die Schere, die zwischen ärmeren Nationen, denen diese Mittel nicht in gleichem
Maße zur Verfügung stehen, und den reicheren Ländern, weiter auseinander klaffen.
Nach zwei Tagen fruchtbarer Arbeit und Diskussionen waren sich die Teilnehmer des Symposiums
darin einig, dass die sehr ergiebigen wissenschaftlichen Beiträge auch einer breiteren Öffentlichkeit
zugänglich gemacht werden sollten. Die gehaltenen Vorträge sollen daher in Kürze sogar in einem
deutschen Verlag veröffentlicht werden.
Wie in den Abschlussreden am Ende des Kongresses deutlich wurde, kann die internationale Tagung
als äußerst erfolgreich bewertet werden. Mit ihr ist ein erster wichtiger Schritt hinsichtlich einer
weiteren Öffnung des Landes zum Sport bzw. zur Sportwissenschaft hin getan worden. Der Grundstein
für eine weitere wissenschaftliche Zusammenarbeit der beteiligten Institutionen aus verschiedenen
Ländern ist gelegt worden, wie und in welche Richtung die zukünftige Entwicklung aber weiter
erfolgen wird, kann nur die Zeit ergeben. Mögen die Uhren in Kamerun auch ein wenig langsamer
gehen, so hat doch letzten Endes immer alles seinen Gang gefunden. Dem ersten Schritt aber, müssen
noch viele weitere folgen.
David Debus KAMERUNBerichtDebus05.doc
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