1 Teufel kehrt zurück Wenn ich daran zurückdachte ... - Klee-Krimis
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<strong>Teufel</strong> <strong>kehrt</strong> <strong>zurück</strong><br />
<strong>Wenn</strong> <strong>ich</strong> <strong>daran</strong> <strong>zurück</strong>dachte, wie mein Erwachen am Tag nach dem<br />
n<strong>ich</strong>t ganz freiwilligen Sonnenbad auf der Dachterrasse meines New<br />
Yorker Wohnsitzes gewesen war, bekam <strong>ich</strong> auch nach Monaten wieder<br />
das Brennen und den Juckreiz zu spüren, den <strong>ich</strong> damals aushalten musste.<br />
Ich schädigte m<strong>ich</strong> in der Morgen- und Mittagssonne in der luftigen Höhe<br />
derart mit einem Sonnenbrand, dass <strong>ich</strong> fast eine Woche kaum aus den<br />
Augen schauen konnte, und mein Schädel, der nur noch Stoppeln trug, so<br />
stark verbrannt, dass auch fast zentimeterdicke Aufträge von Salben n<strong>ich</strong>t<br />
vernünftig halfen. Und als <strong>ich</strong> dann die Salben weglassen konnte, kam der<br />
Juckreiz durch die abblätternde Haut. Es war kaum zum Aushalten<br />
gewesen.<br />
Noch weniger zum Aushalten waren die Verhöre durch die FBI-<br />
Beamten, die immer wieder wissen wollten, woher <strong>ich</strong> die Unterlagen<br />
bekam, die die Mordserie von diesem Herget nachwiesen.<br />
Meine Beteuerungen, dass er sie in den Geschäftsräumen der Agentur<br />
Killroy aufbewahrte, schienen ihnen n<strong>ich</strong>t einleuchtet. Das erging mir zwar<br />
genauso, denn <strong>ich</strong> hätte derart belastendes Material nie erstellt, aber wie<br />
sollte <strong>ich</strong> die Beweggründe eines Toten erforschen?<br />
Warum er über fast zwei Jahrzehnte seine Mordtaten akribisch<br />
festgehalten und in chronologischer Folge in Aktenordnern abgeheftet in<br />
seinen Unterlagen in der Agentur lagerte, konnte <strong>ich</strong> wirkl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t<br />
nachvollziehen.<br />
Auf jeden Fall verzögerten die Nachforschungen und die immer wieder<br />
auftauchenden Zweifel an der Authentizität der Aufze<strong>ich</strong>nungen meine<br />
Reise nach Europa.<br />
Meine Gespräche mit den drei Engeln, die <strong>ich</strong> wieder aus Europa in die<br />
Staaten <strong>zurück</strong>bringen wollte, wurden auch immer negativer, denn als<br />
Erste entschied s<strong>ich</strong> Randy, in Berlin in der Obhut der Vermeers zu bleiben.<br />
Ermuntert durch das fantastische Verhältnis zur kleinen Tochter von<br />
Mareike, Nicole, versuchte sie durch Vermittlung Jan Vermeers eine<br />
dauerhafte Anstellung in Berlin zu erlangen. Sie wollte einfach in der<br />
Geborgenheit bleiben.<br />
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Auch Muriel Sanders und Honey Ellen waren bei der Familie Peter<br />
Howlands derart gut untergekommen, nachdem sie aus dem Hospital<br />
entlassen waren, dass sie n<strong>ich</strong>t in die Staaten <strong>zurück</strong>kehren wollten.<br />
Aufgrund ihrer vormaligen Stellung in der Zentrale der Bank war es für<br />
Dr. Muriel Sanders überhaupt keine Schwierigkeit dort in London sofort in<br />
eine leitende Stellung innerhalb der Bankfiliale zu kommen. Es war auch<br />
kein Wunder, dass Ellen als ihre Privatsekretärin eingestellt wurde. Ich<br />
konnte das Grinsen an der anderen Leitung sehen, als mir Peter mitteilte,<br />
dass die beiden auch persönl<strong>ich</strong> zueinanderfanden.<br />
Ich konnte ihnen nur viel Glück wünschen.<br />
Killroy war es dann auch gewesen, der meine Ausbildung innerhalb<br />
seiner Firma durch die Vermittlung an eine Riesenagentur für<br />
Wirtschaftsprüfung weitergab. Hier lernte <strong>ich</strong> im Crash-Kurs die<br />
Feinheiten der Unterschiede zu deutschen und englischen und<br />
amerikanischen Buchhaltungsvorschriften. Die größte Freude bereitete er<br />
mir allerdings dadurch, dass <strong>ich</strong> in einem der größten Brokerhäuser der<br />
Welt in die Grundzüge der analytischen Bewertung von Firmen eingeführt<br />
wurde.<br />
Mit einem sehr harten Test wurde <strong>ich</strong> zugle<strong>ich</strong> in die Lage versetzt, dass<br />
<strong>ich</strong> notfalls sogar als Broker in New York hätte arbeiten dürfen. Meine<br />
Zulassung hatte <strong>ich</strong> auf jeden Fall nach bestandenem Test in der Tasche.<br />
Aber es war eine elende Schinderei gewesen, wo <strong>ich</strong> so manches Mal<br />
aufgeben wollte.<br />
Wiesel, als auch Killroy, beschworen m<strong>ich</strong> mehrfach, diese Tortur zu<br />
überstehen, denn damit wäre <strong>ich</strong> der Einzige, der auch auf diesem<br />
Wirtschaftsgebiet später ermitteln könne. Auch Vermeer aus Berlin<br />
ermutigte m<strong>ich</strong> immer wieder, wenn <strong>ich</strong> durchzuhängen drohte.<br />
Ende November waren alle Strapazen der Ausbildung überstanden und<br />
<strong>ich</strong> packte und packte. Wieder waren Speditionsfirmen notwendig, meinen<br />
Hausstand, meine Kleidung und alle meine privaten Dinge, die <strong>ich</strong> hierher<br />
mitnahm, <strong>zurück</strong> nach Bremen zu transportieren.<br />
Den größten Teil orderte <strong>ich</strong> nach Bremen und einen kleinen Teil nach<br />
Bad Homburg.<br />
Hierhin flog <strong>ich</strong> auch in der ersten Woche des Dezembers mitten in die<br />
Arme meiner »Ziehmutter« Hedwig und meines »Ziehvaters« Wiesel.<br />
Obwohl <strong>ich</strong> ja nun auch schon die Vierzig anpeilte und im Auge haben<br />
musste, fühlte <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> wie ein kleiner Junge, der aus seinen Ferien endl<strong>ich</strong><br />
wieder nach Hause kam, als m<strong>ich</strong> beide in den Arm nahmen, nachdem <strong>ich</strong><br />
aus der Zollschranke am Frankfurter Flughafen trat.<br />
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Es folgten drei unbeschwerte Tage. Schlemmen und Entspannen standen<br />
auf dem Programm, bis <strong>ich</strong> dann endgültig nach Bremen fuhr.<br />
Ich konnte Wiesel einen älteren Passat abschwatzen, den <strong>ich</strong> vor allen<br />
Dingen dazu benutzte, mein ganzes Computerequipment, das <strong>ich</strong> mit Hilfe<br />
von Wiesel auf den neuesten Stand brachte, zu transportieren.<br />
Meine Wohnung unweit des Weserstadions sah aus wie ein Warenlager<br />
eines Trödlers. Ich brauchte mithilfe meiner freundl<strong>ich</strong>en Nachbarin, die<br />
auch während meiner ganzen Lehrzeit alles betreute und in Ordnung hielt,<br />
fast eine Woche, um all die Dinge, die <strong>ich</strong> mir in den Wohnungen in der<br />
Fremde anschaffte, unterzubringen.<br />
<strong>Wenn</strong> <strong>ich</strong> ehrl<strong>ich</strong> war, schaffte es eigentl<strong>ich</strong> allein meine Nachbarin, aus<br />
dem Chaos wieder einen wohnl<strong>ich</strong>en Charakter herzustellen, denn <strong>ich</strong> war<br />
meistens unterwegs und hetzte von einer Amtsdienststelle zur anderen. Ich<br />
fluchte schon über die bürokratischen Hindernisse in New York, aber was<br />
man hier in Bremen alles von mir wollte, nur um mein Gewerbe<br />
anzumelden und die erforderl<strong>ich</strong>e Lizenz dafür zu bekommen, war mehr<br />
als ein Hindernislauf.<br />
Ich glaube, <strong>ich</strong> hätte es ohne die Fürsprache von Trost vom BKA in<br />
Wiesbaden nie geschafft. Neben den bürokratischen Hindernissen bekam<br />
<strong>ich</strong> noch ein weiteres Problem, denn <strong>ich</strong> musste geeignete Büroräume<br />
anmieten und ausstatten. In meiner Wohnung konnte <strong>ich</strong> unmögl<strong>ich</strong> auch<br />
noch ein Büro unterhalten.<br />
Ein Maklergespräch wechselte mit der nächsten Bes<strong>ich</strong>tigung und von<br />
dort aus ging es dann sofort weiter zu den nächsten Räuml<strong>ich</strong>keiten. Alles<br />
war n<strong>ich</strong>t in meinem Sinne. Entweder waren die Büros zu entlegen, oder<br />
sie besaßen n<strong>ich</strong>t die technischen Voraussetzungen, die <strong>ich</strong> haben wollte,<br />
oder es gab keinen Lagerraum für die Akten, die <strong>ich</strong> s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> in größerer<br />
Menge anlegen musste.<br />
Ich wollte auch n<strong>ich</strong>t zu weit aus der Innenstadt, da <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> ja<br />
vornehml<strong>ich</strong> auf Wirtschaftsnachforschungen beschränken wollte und<br />
dazu stellte <strong>ich</strong> mir vor, in der Nähe von Banken und Vers<strong>ich</strong>erungen und<br />
einer Vielzahl von Anwälten angesiedelt zu sein. Sie waren meine<br />
zukünftigen Auftraggeber. So stellte <strong>ich</strong> es mir jedenfalls vor.<br />
Ausgerechnet am Montag, den 13. Dezember wurde <strong>ich</strong> dann fündig. In<br />
der alten Baumwollbörse waren die Räume eines ehemaligen<br />
Baumwollimporteurs frei geworden. Es war ein alter kleiner<br />
traditionsbewusster Familienunternehmer gewesen, der dem Druck des<br />
Konkurrenzkampfes n<strong>ich</strong>t mehr standhalten konnte. Er war im Laufe der<br />
letzten Jahrzehnte immer mehr geschrumpft und selbst die unbezahlbaren<br />
Verbindungen in den Exportländern konnten ihn n<strong>ich</strong>t retten.<br />
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Der Inhaber arbeitete zuletzt nur noch mit drei Spezialisten, die aber<br />
selbst schon fast die Pensionsgrenze erre<strong>ich</strong>ten.<br />
Ich konnte mit dem Inhaber selbst verhandeln und dies erwies s<strong>ich</strong> als<br />
wahrer Glückfall. N<strong>ich</strong>t nur dass <strong>ich</strong> die alte Büroeinr<strong>ich</strong>tung für einen<br />
erschwingl<strong>ich</strong>en Betrag erwerben konnte, sondern ihn auch gle<strong>ich</strong>zeitig als<br />
Klienten bekam.<br />
Ich musste den fast Siebzigjährigen geradezu bremsen, denn <strong>ich</strong> besaß<br />
immer noch keine Lizenz und durfte noch keinen Auftrag annehmen. Aber<br />
er war begeistert, als <strong>ich</strong> sofort eine Lösung für sein Anliegen fand. Wir<br />
schalteten Wilhelm Starck als eigentl<strong>ich</strong>en Auftragnehmer ein, der m<strong>ich</strong><br />
wiederum als seinen Laufburschen beschäftigte. Wiesel war dazu noch am<br />
gle<strong>ich</strong>en Tag nach Bremen gekommen, und dies imponierte dem alten<br />
Mann besonders.<br />
Wir saßen im alten ehrwürdigen, holzvertäfelten Chefbüro und der alte<br />
Herr Walter Stadtler erzählte uns die Gesch<strong>ich</strong>te der Firma. Besonders von<br />
den Nachkriegsjahren, als die Bremer Baumwollbörse s<strong>ich</strong> neu formierte<br />
und die ersten Baumwollballen wieder im Bremer Hafen angelandet<br />
wurden. Die meisten aus amerikanischen Wirtschaftsbeständen, und wie<br />
s<strong>ich</strong> dann in den darauf folgenden Jahren der Handel immer weiter erholte<br />
und für die Bremer Wirtschaft wieder zu einem Handelsfaktor geworden<br />
war.<br />
Er musste damals die Firma als ganz junger Mann übernehmen, da sein<br />
Vater an den Folgen des Krieges verstorben war. Dafür war er aber mit<br />
dem jugendl<strong>ich</strong>en Elan an die Aufgabe herangegangen und brachte diese<br />
Firma zu beachtl<strong>ich</strong>er Blüte. Seine sehr jung geschlossene Ehe hielt<br />
allerdings dann n<strong>ich</strong>t sehr lange, da er zuviel arbeiten musste und häufig<br />
im Ausland war. Seine Frau gebar ihm zwei Söhne und ließ s<strong>ich</strong> kurz nach<br />
der Geburt des zweiten Sohnes mit einem Künstler ein und re<strong>ich</strong>te die<br />
Scheidung ein. Da der zweite Sohn zu diesem Zeitpunkt noch ein Säugling<br />
war, stimmte Walter Stadtler zu, dass seine Frau ihn mitnahm.<br />
Walter Stadtler heiratete nie wieder und sein bei ihm verbliebener Sohn<br />
wuchs unter der Obhut einer Hausangestellten auf. Er entwickelte s<strong>ich</strong><br />
dennoch prächtig und leitete bis vor einem Jahr hier zusammen mit seinem<br />
Vater die Geschicke der Firma. Vor einem Jahr war er dann leider bei<br />
einem Flugzeugunglück im Sudan ums Leben gekommen. Er verhandelte<br />
in Khartum mit Exporteuren und wollte nach Kairo weiterfliegen, als die<br />
Maschine kurz nach dem Start abstürzte.<br />
Stadtler versuchte zwar schon auf dem Behördenweg Nachforschungen<br />
nach seiner geschiedenen Ehefrau und seinem Sohn in die Wege zu leiten,<br />
die aber bisher erfolglos geblieben waren.<br />
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Er sprach m<strong>ich</strong> gle<strong>ich</strong> eingangs meiner ersten Verhandlungen am frühen<br />
Morgen über die Übernahme des Büros darauf an, als er erfuhr, welchen<br />
Beruf <strong>ich</strong> in diesen Räumen ausüben wollte. Er sagte: »<strong>Teufel</strong>, suchen Sie<br />
meinen Sohn. Er ist inzwischen einziger Erbe eines n<strong>ich</strong>t unbeträchtl<strong>ich</strong>en<br />
Vermögens. Es wäre schön für m<strong>ich</strong> zu wissen, dass dieses Geld n<strong>ich</strong>t<br />
einfach an den Staat fallen würde, wenn <strong>ich</strong> einmal die Augen für immer<br />
schließe. <strong>Wenn</strong> Sie den Auftrag übernehmen, werde <strong>ich</strong> Ihnen den<br />
Mietvertrag für diese Räume, mitsamt dem Inventar als Sondererbe<br />
vermachen. <strong>Wenn</strong> Sie nur mein Nachmieter werden würden, würden Sie<br />
das drei- bis vierfache an Miete zahlen müssen.«<br />
Im ersten Augenblick war <strong>ich</strong> perplex und sagte ihm: »Noch habe <strong>ich</strong><br />
keine Lizenz und würde bei den Behörden auf taube Ohren stoßen, aber<br />
<strong>ich</strong> glaube, <strong>ich</strong> habe eine Idee, wie <strong>ich</strong> Ihren Auftrag dennoch annehmen<br />
kann. Sie müssten dazu allerdings meinen väterl<strong>ich</strong>en Freund in Bad<br />
Homburg beauftragen, der eine Volllizenz besitzt. Die eigentl<strong>ich</strong>en<br />
Nachforschungen kann <strong>ich</strong> dann übernehmen.«<br />
So war es gekommen, dass <strong>ich</strong> Wiesel anrief und er s<strong>ich</strong> sofort damit<br />
einverstanden erklärte und jetzt mit uns hier in dem schönen alten Büro<br />
saß.<br />
Stadtler holte aus einem Fach des Schrankes hinter dem Schreibtisch drei<br />
Cognacschwenker und eine Flasche des edlen Getränks hervor und<br />
schenkte uns großzügig ein. Es war ein Tropfen, über den s<strong>ich</strong> Wiesel<br />
besonders freute und als die älteren Herren s<strong>ich</strong> dann auch noch eine gute<br />
Zigarre ansteckten, war der Grundstein für eine für m<strong>ich</strong> außerordentl<strong>ich</strong><br />
w<strong>ich</strong>tige Zusammenarbeit gelegt. Stadtler und Wiesel verstanden s<strong>ich</strong> auf<br />
Anhieb prächtig und um kurz vor 17 Uhr gesellte s<strong>ich</strong> noch ein weiterer<br />
älterer Herr zu uns, der als Hinr<strong>ich</strong> Klönkens vorgestellt wurde. Er war der<br />
Hausnotar von Stadtler und residierte nur eine Etage unter uns hier im<br />
gle<strong>ich</strong>en Hause. Bei einem weiteren Cognac wurde die Schenkung des<br />
Mietvertrages als Voraberbe an m<strong>ich</strong> protokolliert und mir ein Satz<br />
Schlüssel ausgehändigt.<br />
Während die drei Herren weiter gemütl<strong>ich</strong> plauderten, machte <strong>ich</strong> für<br />
Wiesel eine Reservierung im Hotel gegenüber und machte auch schon die<br />
Anmeldung und stellte Wiesels Koffer in seinem Zimmer ab. Den<br />
Zimmerschlüssel übergab <strong>ich</strong> ihm ein wenig später.<br />
Klönkens verabschiedete s<strong>ich</strong> und wir Übrigen fuhren nach<br />
Schwachhausen in ein Restaurant mit französisch-italienischer feiner<br />
Küche.<br />
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Zwischen den einzelnen Gängen notierte <strong>ich</strong> mir die Daten seiner<br />
Exfrau, den Namen des Mannes, mit dem sie damals weggegangen war<br />
und den Geburtstag des Sohnes.<br />
Sehr große Hoffnungen den Mann schnell zu finden machte <strong>ich</strong> Stadtler<br />
n<strong>ich</strong>t, denn wenn die Behörden im letzten Halbjahr n<strong>ich</strong>t fündig geworden<br />
waren, dann beurteilte <strong>ich</strong> meine eigenen Chancen selbst nur sehr gering.<br />
Aber <strong>ich</strong> fragte Stadtler sehr gründl<strong>ich</strong> darüber aus, was er über den<br />
»Künstler« wüsste und in welcher Kategorie er s<strong>ich</strong> betätigte. Auch über<br />
die persönl<strong>ich</strong>en Vorlieben seiner Exfrau befragte <strong>ich</strong> ihn gründl<strong>ich</strong>. Das<br />
Einzige was er mir dazu sagen konnte war, dass sie immer einen Hang<br />
zum le<strong>ich</strong>ten unbeschwerten Leben inmitten von sogenannten<br />
Künstlertypen gehabt hätte. Sie liebte Partys und Gesellschaften. Als er mir<br />
dann noch nannte, mit welch einem großzügigen Betrag er sie abfand,<br />
ahnte <strong>ich</strong> die R<strong>ich</strong>tung, in der <strong>ich</strong> zu suchen beginnen wollte.<br />
Am nächsten Morgen frühstückte <strong>ich</strong> schon zeitig mit Wiesel im Hotel<br />
und wir stimmten uns ab. Er wollte seine Beziehungen zum Staatsschutz<br />
und nach Wiesbaden nutzen, während <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> hier in Bremen an die<br />
Vereinigung der alten Künstler und an das Bremer Theater wenden wollte.<br />
Ich wusste allerdings, dass <strong>ich</strong> damit erst in ein paar Tagen beginnen<br />
konnte, denn im Moment standen mir zu viele Rennereien innerhalb der<br />
Behörden an. Heute wollte s<strong>ich</strong> eine Prüfungskommission aus Polizisten<br />
und Staatsanwälten mit meinem Antrag zur Erlangung meiner Lizenz<br />
beschäftigen, und daher war <strong>ich</strong> um 10 Uhr in Polizeipräsidium bestellt.<br />
Wiesel verz<strong>ich</strong>tete darauf, dass <strong>ich</strong> ihn zum Flughafen brachte und<br />
meinte nur: »<strong>Teufel</strong>, sei heute ein ganz braver <strong>Teufel</strong>, dann sollten die<br />
Herren der Prüfungskommission n<strong>ich</strong>ts gegen deine Ernennung<br />
einzuwenden haben. Du hast schließl<strong>ich</strong> die Empfehlungen aus Wiesbaden<br />
und Berlin und hast deine gültige Lizenz für die Vereinigten Staaten. Und<br />
deine Referenzen aus Londoner Polizeikreisen und vom FBI aus<br />
Washington sollten dir ebenfalls helfen. Du solltest deine Ehrennadel des<br />
amerikanischen Präsidenten vielle<strong>ich</strong>t noch anstecken, das könnte fördernd<br />
sein.«<br />
Dann klopfte er mir aufmunternd den Arm und meinte, dass es schon<br />
klappen würde. Ich ließ meinen Wagen in der Hotelgarage stehen und ging<br />
zu Fuß ins Präsidium.<br />
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2<br />
Die Kommission<br />
Ich musste mir erst den Weg zu dem Sitzungssaal beschreiben lassen, in<br />
dem die Kommission tagen wollte, denn ausgeschildert war hier n<strong>ich</strong>ts.<br />
Außerdem befand s<strong>ich</strong> der Saal n<strong>ich</strong>t im Hauptgebäude sondern nebenan<br />
im Ger<strong>ich</strong>tsgebäude.<br />
Ich war dennoch pünktl<strong>ich</strong> und bedankte m<strong>ich</strong> artig bei dem Pförtner,<br />
der m<strong>ich</strong> führte. Während <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> noch bedankte, kam eine Frau in einem<br />
dunkelblauen Kostüm vorbei. Sie hörte meine Worte und fragte: »Sind Sie<br />
Waldemar <strong>Teufel</strong>?«<br />
»Ja, das bin <strong>ich</strong>«, sagte <strong>ich</strong> ihr.<br />
»Ich bin Sandra Vogelsang, die Vertreterin der Staatsanwaltschaft, wir<br />
werden noch einen kleinen Augenblick warten müssen, denn Frau<br />
Amelungen bekam gerade noch einen Einsatz. Es hat im Viertel schon<br />
wieder einen Toten gegeben, Wahrscheinl<strong>ich</strong> Heroin. Ich will nur der<br />
vorsitzenden R<strong>ich</strong>terin Frau Klipping bescheid geben. Kommen Sie doch<br />
schon mit.«<br />
Ich erwartete eine ältere Frau als Vorsitzende und war sehr erstaunt,<br />
eine junge Frau hinter dem Pult sitzen zu sehen. Sie musste es an meinem<br />
Ges<strong>ich</strong>t gesehen haben, denn sie lachte plötzl<strong>ich</strong> auf und meinte nur:<br />
»Durch derartige Kleinigkeiten lassen Sie s<strong>ich</strong> aus der Bahn werfen? Das ist<br />
für einen Ermittler aber kein sehr gutes Ze<strong>ich</strong>en. Und glauben Sie ja n<strong>ich</strong>t,<br />
dass Sie mit einer jüngeren Frau le<strong>ich</strong>teres Spiel haben.«<br />
»Bisher bekam <strong>ich</strong> meine größten Schwierigkeiten immer mit den<br />
jüngeren Frauen«, antwortete <strong>ich</strong> wahrheitsgemäß.<br />
Jetzt war sie es die m<strong>ich</strong> mit großen Augen ansah.<br />
Frau Vogelsang erläuterte kurz die Situation, in der wir waren, weil der<br />
Fund eines wahrscheinl<strong>ich</strong>en Drogentoten den Zeitplan dieser<br />
Veranstaltung durcheinanderbrachte.<br />
Die R<strong>ich</strong>terin fragte nur: »Ist Schmücker auch bei der Totenschau?«<br />
»Ja, aber er ist schon wieder auf dem Rückweg. Für ihn gibt es nur<br />
Erkenntnisse, wenn die Ermittlungen weiter fortgeschritten sind.«<br />
»Dann fordern Sie bitte Frau Amelungens Stellvertreter auf, hierher zu<br />
kommen. Die Herren vom Betrug und Diebstahl werden auch jeden<br />
Moment hier erscheinen. Dann wären wir vollständig, wenn Schmücker<br />
kommt.«<br />
Frau Vogelsang verließ kurz den Raum und die R<strong>ich</strong>terin Klipping<br />
r<strong>ich</strong>te sofort wieder das Wort an m<strong>ich</strong> und fragte:<br />
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»Wollen Sie mir bitte vorab schon erklären, was Sie damit gemeint<br />
haben, dass Ihre Schwierigkeiten eher mit jüngeren Frauen vorhanden<br />
seien?«<br />
»Sie werden es meiner Akten schon entnommen haben«, sagte <strong>ich</strong><br />
knapp.<br />
»Sie meinen den Tod Ihrer Frau und den Suizid Ihrer Freundin?«<br />
»Ja, gnädige Frau.«<br />
»Ich bin n<strong>ich</strong>t gnädig. Und <strong>ich</strong> glaube, Sie n<strong>ich</strong>t unterwürfig, also lassen<br />
Sie derartige Anreden.«<br />
»Ich möchte auch n<strong>ich</strong>t aufgrund Ihrer Gnade meine Lizenz empfangen,<br />
sondern aufgrund meiner Befähigung. Und eine höfl<strong>ich</strong>e Anrede ist<br />
s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> keine Unterwürfigkeit.«<br />
In meinem Kopf klingelte es gerade und <strong>ich</strong> hörte die Mahnung Wiesels,<br />
der mir sagte: »Bleibe ein braver <strong>Teufel</strong>«, und <strong>ich</strong> hätte mir die Zunge<br />
abbeißen können.<br />
Frau Klipping wollte gerade zu einer scharfen Antwort ansetzen, als<br />
Frau Vogelsang mit verschiedenen Herren den Raum wieder betrat. Mein<br />
Herz sank sofort in meine Hose, als <strong>ich</strong> erkannte, wer mit in den Raum trat:<br />
Victor Waldtmann.<br />
Ich hätte schreien mögen. Warum musste in dieser Kommission gerade<br />
der Polizist sein, der m<strong>ich</strong> aus tiefsten Herzen hasste. Der Mann, der m<strong>ich</strong><br />
verfluchte, weil <strong>ich</strong> die Frau erschoss, die n<strong>ich</strong>t nur <strong>ich</strong>, sondern auch er<br />
liebte. Meine Frau Vanessa, die s<strong>ich</strong> als Spionin der DDR entlarvte.<br />
Er erstarrte genau wie <strong>ich</strong>, als er den Raum betrat. Er ging sofort zum<br />
R<strong>ich</strong>tertisch und sagte vernehml<strong>ich</strong>: »Bitte entlassen Sie m<strong>ich</strong> sofort wieder<br />
aus dieser Kommission. Warten Sie auf Frau Amelungen. Ich bin diesem<br />
Mann gegenüber befangen. Ich habe in einem früheren Prozess gegen ihn<br />
aussagen müssen. Ich bin wirkl<strong>ich</strong> befangen.«<br />
»Ich weiß von dem Prozess, Herr Waldtmann. Ich weiß aber auch, dass<br />
Sie als guter Beamter damals Ihre Pfl<strong>ich</strong>t hervorragend erfüllt haben, und<br />
wenn <strong>ich</strong> die Einzelheiten des Falles damals noch r<strong>ich</strong>tig in Erinnerung<br />
habe, waren es einzig und alleine Sie, die dem Bewerber bescheinigten in<br />
eindeutiger Notwehr gehandelt zu haben. Dadurch, dass Sie den Bewerber<br />
schon seit langer Zeit kennen, werden Sie als Einziger seine Stärken und<br />
Schwächen beschreiben und uns näher bringen können. Es ist sogar besser,<br />
dass Sie für Frau Amelungen einspringen mussten, da sie den Bewerber<br />
wenigsten kennen. Ich mahne Sie, Ihre Pfl<strong>ich</strong>t hier sehr ernst zu nehmen.«<br />
12
»Wie kann <strong>ich</strong> dafür stimmen diesem Mann eine Lizenz für private<br />
Ermittlungen auszustellen, wenn <strong>ich</strong> weiß, dass er bereit ist, Menschen zu<br />
töten? Wo jeder Beamte des öffentl<strong>ich</strong>en Dienstes s<strong>ich</strong> schon dafür<br />
verantworten muss, wenn er nur die Tasche seiner Dienstwaffe öffnet. Wie<br />
soll <strong>ich</strong> dann befürworten können, dass Amateure eine Waffe tragen<br />
dürfen?«<br />
»Ein Waffenschein wurde mir durch das BKA schon bewilligt,<br />
Waldtmann. Zum Tragen einer Waffe bin <strong>ich</strong> schon berechtigt. Aber das ist<br />
wohl hier heute sowieso n<strong>ich</strong>t das Thema. Hier soll heute doch wohl<br />
darüber entschieden werden, ob meine Befähigung ausre<strong>ich</strong>end erscheint,<br />
um halbamtl<strong>ich</strong>e Handlungen vornehmen zu können. Bitte, können Sie<br />
Ihre persönl<strong>ich</strong>en Bedenken zunächst <strong>zurück</strong>stellen, um anhand der<br />
Aktenlage, Vor- und Nachteile meiner Person zu diskutieren, um eine<br />
Befürwortung oder Ablehnung meines Antrages beschließen zu können.«<br />
»<strong>Teufel</strong>, Sie wissen, dass <strong>ich</strong> niemals befürworten kann, dass Sie als<br />
Hilfssheriff hier in Bremen durch die Gegend laufen. Egal, was Sie auch<br />
immer machen wollen, <strong>ich</strong> kann es n<strong>ich</strong>t gutheißen.«<br />
»Handelt es s<strong>ich</strong> hier um eine rein private Auseinandersetzung zwischen<br />
Ihnen meine Herren?«<br />
»Das glaube <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t, gnädige Frau, aber <strong>ich</strong> glaube, dass Herr<br />
Waldtmann mir gegenüber voreingenommen ist und auch n<strong>ich</strong>t<br />
Gelegenheit bekam, die Akten überhaupt einzusehen. Ich verstehe seine<br />
Bedenken. Vielle<strong>ich</strong>t sollten wir seine Beurteilungen zur Kenntnis nehmen,<br />
aber n<strong>ich</strong>t überbewerten. Ich hoffe, Ihnen auf jeden Einwand von Herrn<br />
Waldtmann Rede und Antwort stehen zu können.«<br />
»Herr <strong>Teufel</strong>, Sie wissen, wie sehr Sie s<strong>ich</strong> selbst eventuell schwächen?«<br />
»Das ist mir bekannt und bewusst, aber <strong>ich</strong> glaube, dass <strong>ich</strong> emotional<br />
vorgetragene Argumentationen von Herrn Waldtmann mit sachl<strong>ich</strong>en<br />
Argumentationen entkräften kann. Fangen wir an!«<br />
»Glauben Sie n<strong>ich</strong>t, dass es meine Aufgabe sein sollte, den Beginn der<br />
Verhandlung oder der Sitzung zu verkünden, Herr <strong>Teufel</strong>?«<br />
»Ich habe m<strong>ich</strong> auf jeden Fall zu fügen«, sagte <strong>ich</strong> und war ganz ein<br />
braver <strong>Teufel</strong>.<br />
R<strong>ich</strong>terin Klipping fragte aber sofort in Waldtmanns R<strong>ich</strong>tung: »Herr<br />
Waldtmann konnten s<strong>ich</strong> mit der Akte <strong>Teufel</strong> zu befassen?«<br />
»Ja. Aber <strong>ich</strong> lasse m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t durch gute Noten blenden. Ich weiß aus<br />
Ber<strong>ich</strong>ten der Schutzpolizei verschiedener Reviere, dass in den<br />
vergangenen Jahren <strong>Teufel</strong> mehrfach auffällig wurde. Als Trunkenbold ist<br />
er verschiedentl<strong>ich</strong> in Ausnüchterungszellen gelandet. Das re<strong>ich</strong>t mir!«<br />
»<strong>Teufel</strong>, stimmt das?«<br />
13
Ich sah meine Felle schon wegschwimmen, weil <strong>ich</strong> diese Vergangenheit<br />
wirkl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t beschönigen konnte und daher fiel meine Antwort weitaus<br />
trotziger aus, als <strong>ich</strong> es eigentl<strong>ich</strong> wollte: »Ja, das stimmt. Aber Waldtmann<br />
sollte diese Reaktion am besten verstehen, denn er war damals Zeuge, als<br />
<strong>ich</strong> meine Frau erschoss. Er sollte es wirkl<strong>ich</strong> verstehen, warum <strong>ich</strong> damals<br />
in den Alkohol geflüchtet bin, und versucht habe, m<strong>ich</strong> selbst mit dieser<br />
elenden Droge umzubringen. Aber das war vor langer Zeit, jedenfalls aus<br />
meiner S<strong>ich</strong>t. Sie sollten die medizinisch-psychologischen Ergebnisse<br />
meines Entzugs aber ebenfalls in den Akten dokumentiert haben. Und die<br />
sprechen wohl eindeutig für m<strong>ich</strong>. Diese Behandlung wurde mit Erfolg<br />
abgeschlossen und das, bevor <strong>ich</strong> meine Ausbildung begann.«<br />
Der jüngere Mann, der m<strong>ich</strong> die ganze Zeit eher neugierig musterte, und<br />
der s<strong>ich</strong> an der Seite von Frau Vogelsang niederließ, fragte: »Sind die<br />
Beurteilungen durch die Berliner Kollegen n<strong>ich</strong>t neueren Datums und<br />
belegen, dass <strong>Teufel</strong> s<strong>ich</strong> inzwischen zu einem verantwortungsbewussten<br />
Bürger gewandelt hat?«<br />
»Ja, Herr Schmücker. Und n<strong>ich</strong>t nur die Beurteilungen aus Berlin,<br />
sondern erst recht die aus Wiesbaden, London, Amsterdam und New York.<br />
Daraus geht sogar hervor, dass <strong>Teufel</strong> in jedem der Fälle, in denen er<br />
während seiner Ausbildung mitgearbeitet hat, sehr kooperativ mit den<br />
jeweiligen Behörden zusammenarbeitete.«<br />
»Damit dürften doch wohl die Zweifel von Herrn Waldtmann<br />
ausgelöscht werden.«<br />
R<strong>ich</strong>terin Klipping ging auf diesen Einwand n<strong>ich</strong>t ein, sondern befragte<br />
die anderen Herren von der Polizei.<br />
»Meine Herren, sind aus Ihren Abteilungen negative Mitteilungen zu<br />
Herrn <strong>Teufel</strong> eingegangen?«<br />
»Nein, wir haben n<strong>ich</strong>ts gegen <strong>Teufel</strong> vorliegen. Soweit wir wissen, hat<br />
er s<strong>ich</strong> nie illegal in Ermittlungen unserer Ressorts eingeschaltet. Ich habe<br />
auch noch bei den übrigen Ressortleitern, besonders bei der Sitte und bei<br />
der Drogenfahndung nachgefragt. Auch hier liegt n<strong>ich</strong>ts Negatives gegen<br />
<strong>Teufel</strong> vor.«<br />
»Liegen der Staatsanwaltschaft negative Auskünfte über Herrn <strong>Teufel</strong><br />
vor, Frau Vogelsang oder Herr Schmücker?«<br />
»Nein, uns liegt n<strong>ich</strong>ts Derartiges vor«, antwortete diesmal Frau<br />
Vogelsang.<br />
»Dann sollte Herr <strong>Teufel</strong> jetzt und hier vor uns den Eid auf die<br />
Verfassung ablegen.«<br />
Ich musste beeiden, dass <strong>ich</strong> die Verfassung und die Gesetze der<br />
Bundesrepublik achten und respektieren würde.<br />
14
Danach sagte R<strong>ich</strong>terin Klipping zu mir: »Ich werde das Ordnungsamt<br />
von dieser Sitzung benachr<strong>ich</strong>tigen und Sie können s<strong>ich</strong> eine vorläufige<br />
Lizenz übermorgen dort abholen. Die Ausstellung des Ausweises wird s<strong>ich</strong><br />
wohl n<strong>ich</strong>t mehr vor Weihnachten realisieren lassen, aber das wird ja wohl<br />
kein Problem sein. Sie müssen s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> noch ein Büro finden und erst im<br />
neuen Jahr anfangen Ihre Agentur zu betreiben.«<br />
»Ich werde in der Baumwollbörse meine Büroräume haben. Ich muss sie<br />
nur noch für meine Zwecke einr<strong>ich</strong>ten. Darf <strong>ich</strong> Ihnen allen eine Einladung<br />
zur Eröffnung senden?«<br />
Frau Klipping antwortete für alle unmissverständl<strong>ich</strong>: »Das können Sie<br />
s<strong>ich</strong> sparen, Herr <strong>Teufel</strong>. Ich glaube n<strong>ich</strong>t, dass ein Staatsdiener für Sie auch<br />
noch Reklame machen will, denn wir wollen n<strong>ich</strong>t den Eindruck erwecken,<br />
dass wir Ihnen besonderen Schutz angedeihen lassen wollen. Machen Sie<br />
Ihre Ermittlungen in Ehescheidungssachen und kommen uns n<strong>ich</strong>t in die<br />
Quere.«<br />
»Genau solche Ermittlungen werde <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t annehmen, gnädige Frau.<br />
Ich werde private Auseinandersetzungen zwischen Eheleuten n<strong>ich</strong>t<br />
ausspionieren. Ich möchte m<strong>ich</strong> ledigl<strong>ich</strong> mit Wirtschaftsangelegenheiten<br />
befassen.«<br />
»Und wovon wollen Sie leben, <strong>Teufel</strong>«, wollte Waldtmann von mir<br />
wissen.<br />
»Genau davon, Waldtmann.«<br />
Im Hinausgehen konnte s<strong>ich</strong> Waldtmann n<strong>ich</strong>t verkneifen mir leise<br />
grollend zu sagen: »<strong>Teufel</strong>, wenn <strong>ich</strong> Sie jemals bei einer noch so kleinen<br />
Gesetzesübertretung erwische, dann sind Sie Ihren Lappen wieder los. Das<br />
verspreche <strong>ich</strong> Ihnen jetzt schon.«<br />
»Ich fürchte m<strong>ich</strong> jetzt schon, Waldtmann.«<br />
Die letzte Bemerkung bekam der junge Staatsanwalt Schmücker mit, der<br />
m<strong>ich</strong> nun direkt fragte: »Wovor fürchten Sie s<strong>ich</strong> <strong>Teufel</strong>?«<br />
»Vor ungerechte Behandlung voreingenommener Beamter. Mir ist schon<br />
bewusst, dass ein so genannter privater Schnüffler in Polizeikreisen<br />
meistens n<strong>ich</strong>t ernst genommen und als lästige Konkurrenz angesehen<br />
wird. Aber <strong>ich</strong> hoffe, beweisen zu können, dass auch private Ermittler gute<br />
Arbeit abliefern können.«<br />
»Wie kommen Sie zu einer Adresse in der Baumwollbörse«, wollte<br />
Schmücker weiter wissen.<br />
»Bei <strong>Teufel</strong> funktioniert doch alles nur über Beziehungen«, meinte<br />
Waldtmann fast verächtl<strong>ich</strong>. Diese Bemerkung ließ Schmücker dann<br />
endgültig zu Waldtmann aufsehen und er fragte ihn:<br />
15
»Ist es doch so ein kleiner privater Krieg zwischen Ihnen und <strong>Teufel</strong>,<br />
oder wie darf <strong>ich</strong> Ihre Bemerkung interpretieren?«<br />
»Sie werden es selbst schon herausfinden, mit welchen Mitteln <strong>Teufel</strong><br />
arbeitet. Ich weiß jedenfalls, dass <strong>ich</strong> der Lizenzerteilung n<strong>ich</strong>t zustimmen<br />
konnte. Ich kenne ihn.«<br />
Dann wandte s<strong>ich</strong> Waldtmann von uns ab und rannte fast den Gang in<br />
entgegengesetzter R<strong>ich</strong>tung davon.<br />
»Was hat er gegen Sie?«<br />
»Herr Schmücker, <strong>ich</strong> weiß es n<strong>ich</strong>t. Vielle<strong>ich</strong>t kann er nur einfach keine<br />
<strong>Teufel</strong> leiden.«<br />
Gedankenverloren sagte Schmücker mehr zu s<strong>ich</strong> selbst: »Da steckt doch<br />
viel mehr dahinter.«<br />
Wir verabschiedeten uns voneinander, ohne dass Schmücker erfuhr,<br />
woher <strong>ich</strong> meine Büroadresse bekam, und <strong>ich</strong> band ihm auch n<strong>ich</strong>t auf die<br />
Nase, dass Waldtmann und <strong>ich</strong> die gle<strong>ich</strong>e Frau geliebt hatten und<br />
Waldtmann, den Kürzeren zog. Ich dagegen heiratete die Spionin – und<br />
später erschoss <strong>ich</strong> sie. In Notwehr, wie Waldtmann auch vor Ger<strong>ich</strong>t<br />
bezeugte. Aber dennoch nahm <strong>ich</strong> ihm seine Liebe. Dass <strong>ich</strong> bis heute<br />
immer wieder Albträume bekam und durch die Tat fast selbst in den<br />
Abgrund gestürzt war, weil es auch meine große Liebe gewesen war, das<br />
musste <strong>ich</strong> keinem Staatsanwalt dieser Welt erzählen. Aber <strong>ich</strong> wusste,<br />
dass <strong>ich</strong> hier in Bremen einen n<strong>ich</strong>t zu unterschätzenden Feind besaß, der<br />
alles <strong>daran</strong> setzen würde, mir die Lizenz wieder abzunehmen. Und es war<br />
n<strong>ich</strong>t unr<strong>ich</strong>tig, dass <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> davor wirkl<strong>ich</strong> fürchtete.<br />
16
3<br />
Stadtlers Sohn<br />
Ich ging vom Präsidium n<strong>ich</strong>t direkt wieder in mein neues Büro,<br />
sondern wandte m<strong>ich</strong> zur anderen Seite und ging an der Kunsthalle vorbei<br />
zum Theater und hoffte hier jemand aus der Verwaltung anzutreffen.<br />
Der Pförtner am Künstlereingang an der Seite des Theaters wollte m<strong>ich</strong><br />
n<strong>ich</strong>t einlassen und <strong>ich</strong> musste ihn erst einmal davon überzeugen, dass <strong>ich</strong><br />
n<strong>ich</strong>t ein übereifriger Fan von irgendeiner Schauspielerin sei und auch kein<br />
Journalist, der schon die Proben beobachten wollte. Es war ein alter Mann –<br />
<strong>ich</strong> schätzte ihn auf über siebzig Jahre – der aber sehr beharrl<strong>ich</strong> darauf<br />
bestand, dass <strong>ich</strong> meinen Besuch hier ausführl<strong>ich</strong> begründete. Vielle<strong>ich</strong>t<br />
war es die Beharrl<strong>ich</strong>keit, mit der er m<strong>ich</strong> <strong>daran</strong> hinderte, weiter ins<br />
Gebäude einzudringen, die m<strong>ich</strong> dazu brachte ihn zu fragen, ob er diesen<br />
Job schon lange innehatte.<br />
Er lächelte m<strong>ich</strong> an und entblößte dabei ein schadhaftes Gebiss und<br />
meinte nur: »Junger Mann, <strong>ich</strong> gehöre hier zum lebenden Inventar. Früher<br />
stand <strong>ich</strong> hier auf der Bühne und genoss den Beifall. Als meine Beine dann<br />
n<strong>ich</strong>t mehr so wollten, wie sie sollten, und auch keine Rollen mehr für<br />
einen so alten Mann wie m<strong>ich</strong> angeboten waren, bin <strong>ich</strong> aus dem aktiven<br />
Bühnengeschehen abgetreten. Sie hätten meine letzte Vorstellung sehen<br />
müssen. Es war wirkl<strong>ich</strong> ein glanzvolles Ereignis, und wir haben später mit<br />
dem ganzen Ensemble im »Astoria« gefeiert. Ja, das waren noch Zeiten«,<br />
seine Augen bekamen einen verräterischen Glanz und mir schien, dass er<br />
den Applaus wieder hörte, der ihm nach seinem letzten Vorhang<br />
gespendet worden war. Ich ließ ihn eine kleine Weile in der Vergangenheit<br />
schwelgen, bevor <strong>ich</strong> meine Frage an ihn r<strong>ich</strong>tete:<br />
»Dann brauche <strong>ich</strong> ja gar n<strong>ich</strong>t in die Verwaltung. Dann kennen Sie<br />
bestimmt auch die alten Besetzungen gle<strong>ich</strong> nach dem Kriege hier. Können<br />
Sie s<strong>ich</strong> noch <strong>daran</strong> erinnern?«<br />
»Und ob, junger Mann. Das war doch meine ganz große Zeit. Und wenn<br />
<strong>ich</strong> heute noch jede Zeile meiner gespielten Stücke im Kopfe habe, dann<br />
werde <strong>ich</strong> doch auch wohl noch die Namen und Ges<strong>ich</strong>ter meiner Kollegen<br />
von damals in Erinnerung haben.«<br />
Jetzt lächelte <strong>ich</strong> den Mann freundl<strong>ich</strong> an und meinte: »Dann könnten<br />
Sie mein ganz großer Glückstreffer sein. Können Sie s<strong>ich</strong> noch an den<br />
Kollegen Blassw<strong>ich</strong> erinnern?«<br />
»Und was wollen Sie von ihm«, fragte der Mann jetzt n<strong>ich</strong>t mehr so<br />
freundl<strong>ich</strong>.<br />
17
»Ich suche ihn und würde gerne wissen, was aus ihm geworden ist.«<br />
»Warum suchen Sie ihn denn?«<br />
»Ich möchte einfach herausfinden, was aus ihm geworden ist und was<br />
aus der Frau und dem Kind geworden ist, mit der er damals zusammen<br />
war.«<br />
»Welche Frau. Er war mit vielen zusammen!«<br />
»Ich meine die Hedi Stadtler und ihren kleinen Sohn!«<br />
»Und was geht Sie das alles an?«<br />
»Können Sie s<strong>ich</strong> an Blassw<strong>ich</strong> erinnern?«<br />
»Und ob! Aber <strong>ich</strong> möchte trotzdem von Ihnen wissen, was die Fragerei<br />
soll.«<br />
»Stellen Sie s<strong>ich</strong> einmal vor, dass eine Vers<strong>ich</strong>erung zugunsten dieses<br />
Sohnes abgeschlossen worden ist, und <strong>ich</strong> ihn finden soll, damit ihm die<br />
Summe ausgezahlt werden kann. Würde dass ausre<strong>ich</strong>en, nach ihm zu<br />
forschen?«<br />
»Und so etwas existiert wirkl<strong>ich</strong>?«<br />
»In ganz ähnl<strong>ich</strong>er Form ja. Können Sie mir behilfl<strong>ich</strong> sein? Es wäre<br />
schön, wenn Herr Blassw<strong>ich</strong> noch leben würde und <strong>ich</strong> ihn befragen<br />
könnte«, sagte <strong>ich</strong>, weil mir eingefallen war, dass auch dieser Blassw<strong>ich</strong><br />
inzwischen wohl ein zieml<strong>ich</strong> alter Mann sein musste, »wissen Sie, ob er<br />
überhaupt noch lebt?«<br />
»Er lebt und steht vor Ihnen. Ich bin Blassw<strong>ich</strong>. Will wieder der Bruder<br />
von Jakob herausfinden, was aus seinem kleinen verschollenen Bruder<br />
geworden ist«, sagte der Mann vor mir plötzl<strong>ich</strong> lebhaft.<br />
»Sie sind Herr Blassw<strong>ich</strong>? Und wissen Sie, was aus Jakob geworden ist?<br />
Und stellte Franz ebenfalls hier schon Nachforschungen an?«<br />
»Ja, <strong>ich</strong> bin wirkl<strong>ich</strong> Blassw<strong>ich</strong>. Der große Liebhaber auf der Bühne. Nur<br />
im wirkl<strong>ich</strong>en Leben hat das wohl n<strong>ich</strong>t so ganz geklappt«, sagte er nun<br />
gedankenverloren. Wieder starrte er blicklos in den Raum und schien ganz<br />
weit in der Vergangenheit eingetaucht zu sein. Ich ließ ihm wieder Zeit<br />
und das schien die r<strong>ich</strong>tige Methode bei diesem gealterten Schauspieler zu<br />
sein, der heute seine wahrscheinl<strong>ich</strong> geringe Pension als Pförtner hier<br />
aufbessern musste. Ich konnte n<strong>ich</strong>t ahnen, dass er nur aus Verbundenheit<br />
zum Theater hier seinen Dienst versah.<br />
»Kommen Sie herein in meine Loge. Vielle<strong>ich</strong>t kann <strong>ich</strong> Ihnen helfen;<br />
aber s<strong>ich</strong>er bin <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t.«<br />
Ich trat in den Raum, dessen Tür er mir öffnete und er fragte m<strong>ich</strong>, ob<br />
<strong>ich</strong> einen Kaffee mittrinken wolle. Ich dankte ihm und er schenkte mir aus<br />
seiner Thermosflasche einen Plastikbecher voll und meinte nur:<br />
»Hoffentl<strong>ich</strong> mögen Sie Milch und Zucker, denn das ist schon drin.«<br />
18
»Ich bin kein Kostverächter und trinke Kaffee so, wie er mir angeboten<br />
wird. Aber sagen Sie mir doch bitte jetzt schon, ob der Bruder Jakobs<br />
wirkl<strong>ich</strong> hier schon Erkundigungen eingezogen hat.«<br />
»Ja, das hat er. Er war ein Sohn Hedis, das konnte <strong>ich</strong> sehen. Und er<br />
schien auch ein erfolgre<strong>ich</strong>er Kaufmann geworden zu sein. Wissen Sie, ob<br />
der alte Stadtler auch noch lebt?«<br />
»Ja, er lebt noch. Aber wann hat s<strong>ich</strong> Franz denn nach seinem Bruder<br />
erkundigt?«<br />
»Das muss so ungefähr vor eineinhalb Jahren gewesen sein. Er wollte<br />
m<strong>ich</strong> benachr<strong>ich</strong>tigen, wenn er etwas herausgefunden hat. Und weil <strong>ich</strong><br />
seitdem n<strong>ich</strong>ts von ihm gehört habe, gehe <strong>ich</strong> davon aus, dass mein Tipp<br />
ihm n<strong>ich</strong>ts geholfen hat. Eigentl<strong>ich</strong> schade, denn <strong>ich</strong> hätte auch ganz gerne<br />
gewusst, was aus dem kleinen Racker geworden ist.«<br />
»Es kann sein, dass Franz dennoch etwas über seinen Bruder erfahren<br />
konnte. Nur konnte er es Ihnen n<strong>ich</strong>t mehr mitteilen, weil er vor einem Jahr<br />
in Afrika mit einem Flugzeug abgestürzt ist.«<br />
»Das ist aber tragisch. Dann kommen Sie also wirkl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t von ihm.<br />
Schade. Er machte einen sehr guten Eindruck auf m<strong>ich</strong>.«<br />
»Das heißt aber auch, dass sie über den Verbleib des Jakob Stadtlers<br />
eigentl<strong>ich</strong> auch n<strong>ich</strong>ts wissen.«<br />
»Nein, Genaues weiß <strong>ich</strong> über ihn n<strong>ich</strong>t. Hedi ist schon nach zwei Jahren<br />
mit ihm zusammen nach Berlin gegangen. Ich war ihr wohl n<strong>ich</strong>t mehr<br />
feurig genug. Sie freundete s<strong>ich</strong> mit einem Kollegen von mir, dem Zander<br />
an. Er war zwar älter als <strong>ich</strong>, aber er schien ihr wohl begehrenswerter, weil<br />
der n<strong>ich</strong>t nur Theater spielte, sondern schon Rollen im Fernsehen bekam.<br />
Und Hedi wollte immer diesen Glitter, der in dieser Welt zu Hause ist. Ich<br />
weiß nur aus den Zeitungen, dass Hedi und Zander in Berlin zieml<strong>ich</strong><br />
lange zusammen waren. Zander ist dann Anfang der Siebziger verstorben.<br />
Hedi schmuggelte s<strong>ich</strong> damals ebenfalls in die Fernsehwelt und die<br />
Filmindustrie dort in Potsdam.«<br />
Jetzt grinste er wieder und zeigte mir wieder sein schadhaftes Gebiss:<br />
»Ja, gut aussehen tat sie ja wirkl<strong>ich</strong>. Sie war eine wirkl<strong>ich</strong>e Schönheit und<br />
besaß eine Figur…«<br />
Wieder versank er in die Vergangenheit und seine Augen leuchteten. Er<br />
schien sie wieder vor s<strong>ich</strong> zu sehen und <strong>ich</strong> wartete, als er s<strong>ich</strong> an seiner<br />
Erinnerung berauschte.<br />
»Aber dann hätte man sie doch s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> einmal auf der Leinwand oder<br />
einer Fernsehproduktion sehen können«, holte <strong>ich</strong> ihn aus der<br />
Vergangenheit <strong>zurück</strong>.<br />
»Nein, sie hat n<strong>ich</strong>t vor der Kamera gestanden. Sie hat produziert.<br />
19
Es gibt dort neben der UFA noch eine ganze Reihe von privaten<br />
Fernsehproduktionen, die auch in den dortigen Studios drehen.«<br />
»Aber sie hat doch s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t unter dem Namen Stadtler dort<br />
gearbeitet?«<br />
»Nein, sie nahm doch schon zu unserer Zeit wieder ihren<br />
Mädchennamen an. Selbst Jakob ist unter ihrem Mädchennamen registriert.<br />
Hoffmann ist der Name.«<br />
»Dann müsste man doch zieml<strong>ich</strong> einfach herausfinden können, ob es<br />
noch diese Firma gibt, und wer dort heute Eigentümer ist.«<br />
»Finden Sie es heraus und lassen es m<strong>ich</strong> wissen. Ich habe jetzt keine<br />
Zeit mehr, junger Mann. Wie heißen Sie eigentl<strong>ich</strong>?«<br />
»<strong>Teufel</strong>. Und <strong>ich</strong> werde es Ihnen bestimmt bald sagen können. Vielen<br />
Dank für Ihre Hilfe. <strong>Wenn</strong> <strong>ich</strong> etwas weiß, rufe <strong>ich</strong> Sie an. Geben Sie mir<br />
nur noch Ihre Telefonnummer hier.«<br />
Ich schrieb sie mir auf und steckte den Zettel in meine Brieftasche und<br />
verabschiedete m<strong>ich</strong> von ihm.<br />
Auf dem Weg <strong>zurück</strong> freute <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong>, gle<strong>ich</strong> am heutigen Tag so viel<br />
erre<strong>ich</strong>t zu haben. Meine Lizenz s<strong>ich</strong>er und wahrscheinl<strong>ich</strong> auch schon<br />
bald die Adresse des Sohnes von Stadtler. In der Hauptpost machte <strong>ich</strong> halt<br />
und suchte im Telefonbuch Potsdams nach einer Filmproduktionsfirma.<br />
Erst in den gelben Seiten wurde <strong>ich</strong> fündig. Die Firma hieß »Euro-Cinema«<br />
und der Inhaber war mit Jakob Hoffmann genannt.<br />
Ich rief direkt aus der Hauptpost dort an und erkundigte m<strong>ich</strong>, ob Herr<br />
Hoffmann im Hause sei, und man wollte m<strong>ich</strong> sofort verbinden. Ich<br />
stoppte die Frau in der Zentrale und sagte ihr nur, dass <strong>ich</strong> es später<br />
nochmals versuchen wolle und ob sie wüsste, ob Herr Hoffmann den<br />
ganzen Tag in der Firma bleiben würde.<br />
»Ich glaube schon, weil heute nur Studioaufnahmen geplant sind. Die<br />
werden s<strong>ich</strong> wohl wieder bis nach Mitternacht hinziehen. Und Herr<br />
Hoffmann wird s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> dabei bleiben. Kann <strong>ich</strong> ihm schon etwas<br />
ausr<strong>ich</strong>ten?«<br />
»Nein, vielen Dank und bis später.«<br />
Ich rief auch Wiesel an, dass er seine Bemühungen einstellen könnte,<br />
weil <strong>ich</strong> wüsste, wo Stadtler junior abgeblieben war. Ich wollte nur mein<br />
weiteres Vorgehen mit dem Senior absprechen.<br />
Wiesel meinte nur: »<strong>Teufel</strong>, deine eigene Karriere startet ja schon<br />
außerordentl<strong>ich</strong> erfolgre<strong>ich</strong>.<br />
Halte m<strong>ich</strong> nur auf dem Laufenden und wenn du technische Hilfe<br />
benötigst, sage eben bescheid.<br />
20
Fritz könnte dir bei der Installation der Kommunikationswege bestimmt<br />
helfen.«<br />
»Wiesel, <strong>ich</strong> habe bei Siemens genügend geackert und sogar meine<br />
Prüfung dort abgelegt. Das sollte <strong>ich</strong> schon allein schaffen.«<br />
»<strong>Wenn</strong> du Hilfe gebrauchen kannst, du weißt, wo du sie herbekommst.«<br />
Das wusste <strong>ich</strong>. Es war ein sehr, sehr gutes Gefühl. Und in diesem<br />
Überschwang der Gefühle kaufte <strong>ich</strong> eine Flasche Champagner, um mit<br />
Stadtler, den <strong>ich</strong> im Büro wähnte, anstoßen zu können.<br />
Stadtler war auch anwesend und räumte mit seinen Mitarbeitern Akten<br />
aus seinen Privatschränken in Umzugskisten. Der alte Mann hatte die<br />
Hemdsärmel hochgekrempelt und fasste selbst mit an. Eine junge hübsche<br />
Frau sch<strong>ich</strong>tete die Akten, die Stadtler heranschleppte säuberl<strong>ich</strong> in die<br />
Kartons. Als <strong>ich</strong> strahlend ins Zimmer kam und sagte: »Pause! Wir haben<br />
W<strong>ich</strong>tigeres zu tun«, und dabei die Flasche hochhielt, grinste auch Stadtler<br />
und die junge Frau sah m<strong>ich</strong> neugierig an.<br />
»Sie haben es also geschafft, <strong>Teufel</strong>? Sie haben die Lizenz?«<br />
»Zumindest eine Vorläufige kann <strong>ich</strong> mir übermorgen abholen. Die<br />
Ausstellung des Passes wird eine kleine Weile länger brauchen.«<br />
»Charlotte Sie können uns schon einmal Gläser holen. Das ist <strong>Teufel</strong>, der<br />
Mann hier das Büro übernimmt.«<br />
Und zu mir gewandt: »Die junge Dame heißt Charlotte Hansen und ist<br />
meine Sekretärin. Sie ist der Schatz der Firma und weiß über unsere<br />
Aktivitäten besser bescheid, als wir alle zusammen. Und außerdem erfreut<br />
sie uns alten Knochen durch ihren Anblick. <strong>Wenn</strong> wir sie n<strong>ich</strong>t gehabt<br />
hätten, wäre der Laden schon vor ein paar Jahren auseinandergefallen.«<br />
Während Charlotte die Gläser zurechtstellte, öffnete <strong>ich</strong> die Flasche mit<br />
einem satten Plopp und schenkte ein. Ganz langsam und gekonnt.<br />
Nachdem wir uns zuprosteten, meinte Stadtler: »Auf Ihren Erfolg,<br />
<strong>Teufel</strong>, dann können Sie s<strong>ich</strong> ja sogar selbst um meinen verschwundenen<br />
Sohn kümmern.«<br />
Es schien ihm n<strong>ich</strong>ts auszumachen vor Charlotte zu sprechen und daher<br />
sagte <strong>ich</strong> nur: »Das wollte <strong>ich</strong> Sie als Nächstes fragen. Wie soll <strong>ich</strong> denn<br />
vorgehen, wenn <strong>ich</strong> ihn gefunden habe? Sind Sie eigentl<strong>ich</strong> dem Mann<br />
noch gram, mit dem Ihre Frau damals weggegangen ist?«<br />
»Nein, warum sollte <strong>ich</strong> dem Mann gram sein? Er verkörperte eine<br />
andere Welt. Eine Welt, die meine Frau mehr faszinierte als die der<br />
Baumwolle und des Handels damit.<br />
Haben Sie die Idee, dass Jakob immer noch bei ihm ist?<br />
21
<strong>Wenn</strong> er überhaupt noch lebt, denn dieser Blassw<strong>ich</strong> ist doch auch schon<br />
in meinem Alter.«<br />
»Nein, Ihr Sohn ist n<strong>ich</strong>t mehr bei ihm. Aber <strong>ich</strong> glaube schon zu wissen,<br />
wo er ist. Blassw<strong>ich</strong> lebt nur etwa siebenhundert Meter von hier, und er hat<br />
mir die entscheidenden Hinweise gegeben.«<br />
»Wie? Sie haben schon herausfinden können, wo Jakob s<strong>ich</strong> vielle<strong>ich</strong>t<br />
aufhalten könnte? Und Blassw<strong>ich</strong> lebt hier in Bremen? Die Behörden<br />
bemühen s<strong>ich</strong> seit fast einem Jahr um solche Ergebnisse, und Sie wollen<br />
das in einer Nacht geschafft haben?«<br />
»N<strong>ich</strong>t in einer Nacht. Am heutigen Vormittag. Ich komme mehr oder<br />
minder direkt von Blassw<strong>ich</strong>. Ich habe nur in der Zwischenzeit noch mit<br />
Herrn Starck und der Firma Ihres Sohnes gesprochen und bin dann direkt<br />
hierher.«<br />
»<strong>Teufel</strong>, Sie wollen m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t auf den Arm nehmen, oder?«<br />
»Keineswegs, Herr Stadtler. Ich wollte nur von Ihnen vorher erfahren,<br />
wie <strong>ich</strong> weiter vorgehen soll.«<br />
Charlotte entfuhr: »Das ist ja fantastisch. Sie finden an einem Vormittag<br />
heraus, wonach wir fast ein ganzes Jahr gesucht haben. Ich habe schon mit<br />
der halben Welt telefoniert und wohl kaum ein Amt ausgelassen, wo man<br />
s<strong>ich</strong> erkundigen kann. Wie haben Sie das gemacht?«<br />
Stadtler sagte im Moment gar n<strong>ich</strong>ts. Er starrte aus dem Fenster und<br />
überlegte wohl, was wir anstellen konnten.<br />
Ich ging auf die Frage Charlottes im Moment ebenfalls n<strong>ich</strong>t ein und<br />
fragte stattdessen Stadtler: »Könnte es sein, dass Jakob gar n<strong>ich</strong>ts von<br />
seinem leibl<strong>ich</strong>en Vater weiß? Er trägt jedenfalls den Mädchennamen Ihrer<br />
Frau, Stadtler. Er heißt Jakob Hoffmann.«<br />
Stadtler sagte leise und nachdenkl<strong>ich</strong>: »Es könnte wirkl<strong>ich</strong> so sein, dass<br />
Jakob n<strong>ich</strong>ts über m<strong>ich</strong> weiß. Sie hat meinen Namen abgelegt, wie m<strong>ich</strong><br />
selbst auch. Ich passte n<strong>ich</strong>t in ihre Welt.«<br />
»Aber Sie möchten ihn kennenlernen?«<br />
»Natürl<strong>ich</strong>. Und <strong>ich</strong> möchte auch, dass er als mein Sohn mein Erbe<br />
antreten kann.«<br />
»Gut, Herr Stadtler, dann lassen uns nach meinem Plan vorgehen. Ich<br />
habe schon einmal eine derartige Familienzusammenführung arrangiert,<br />
daher habe <strong>ich</strong> schon ein wenig Erfahrung darin. Dazu sollten Sie mit mir<br />
dann in einer Stunde etwa nach Berlin fahren, ließe s<strong>ich</strong> das machen?«<br />
»Charlotte, Sie können hier auch ohne m<strong>ich</strong> weiterpacken, n<strong>ich</strong>t wahr?«<br />
»Klar, Chef. Ihr Fahrer kann dann alles morgen in die Villa fahren. Ich<br />
bekomme das schon hin. Gespräche auf Ihr Handy?«<br />
22
»Nein <strong>ich</strong> glaube <strong>ich</strong> muss für ein paar Tage n<strong>ich</strong>t erre<strong>ich</strong>bar sein.<br />
Jedenfalls n<strong>ich</strong>t über die Büronummer. Sie können m<strong>ich</strong> natürl<strong>ich</strong> immer<br />
über Handy erre<strong>ich</strong>en.<br />
Gut, <strong>Teufel</strong>, dann fahre <strong>ich</strong> nur hinüber zu meinem Haus und packe<br />
einen kleinen Übernachtungskoffer. Sie kommen dann am besten auch<br />
dahin und wir fahren mit meinem Wagen. Was schlagen Sie vor, in<br />
welchem Hotel wir absteigen sollten, dann kann Charlotte das schon<br />
regeln«?<br />
»Buchen Sie uns am besten im Esplanade Grand Hotel ein, dann kann<br />
<strong>ich</strong> versuchen, dort eine Verabredung mit Ihrem Sohn zu arrangieren. Dort<br />
trifft s<strong>ich</strong> an der American Bar häufig die Glitzerwelt. Dort wird er s<strong>ich</strong><br />
auskennen.«<br />
»Gut, dann holen Sie m<strong>ich</strong> ab, wenn Sie Ihre Sachen bereithaben.«<br />
Ich holte meinen Wagen aus der Hotelgarage und fuhr zu mir nach<br />
Hause und sagte meiner Nachbarin kurz, wohin <strong>ich</strong> unterwegs sei, packte<br />
einen kleinen Koffer und fuhr hinaus nach Oberneuland zur Villa Stadtlers.<br />
Er war ebenfalls schon fertig und wenig später waren wir auf der<br />
Autobahn. Ich wählte die Route über Hamburg, weil <strong>ich</strong> wusste, dass die<br />
A2 eine einzige Baustelle war, die erst zur Weltausstellung im nächsten<br />
Jahr in Hannover fertiggestellt sein sollte. Wir kamen sogar auf der A1<br />
zügig voran und als wir Hamburg passiert und auf der A24 waren, hatten<br />
wir total freie Fahrt. Bis zum Autobahndreieck Wittstock konnte <strong>ich</strong> fast<br />
durchgehend mit einer Geschwindigkeit von über 200 Km/h fahren. Auch<br />
dann noch konnten wir bis zum Oranienburger Dreieck immer mit hoher<br />
Geschwindigkeit fahren. Erst hier setzten die<br />
Geschwindigkeitsbegrenzungen ein und <strong>ich</strong> fuhr entsprechend langsam.<br />
Ab Hellersdorf standen wir dann und kamen nur im Stopp and Go<br />
Verkehr langsam voran. Ich fuhr hinüber nach Wedding und auf meinen<br />
Schle<strong>ich</strong>wegen unter Umgehung der Großbaustelle des Regierungsviertels<br />
zum Hotel.<br />
Nur einmal, als wir schon durch Berlin kurvten, sagte Stadtler: »Mensch,<br />
Sie fahren ja wirkl<strong>ich</strong> wie ein <strong>Teufel</strong>. Und es scheint mir auch so, als wenn<br />
Sie s<strong>ich</strong> hier bestens auskennen würden.«<br />
Als wir vor dem Hotel hielten, schaute <strong>ich</strong> auf meine Uhr und stellte<br />
befriedigt fest, dass wir die Fahrtzeit des ICE über Hannover unterschritten<br />
hatten. Ich war zufrieden.<br />
Ich sagte dem Portier des Hotels, dass <strong>ich</strong> den Wagen innerhalb der<br />
nächsten Stunde wieder zur Verfügung haben müsse, und er s<strong>ich</strong> nur um<br />
das Auftanken und die Wiederbereitstellung kümmern solle.<br />
23
Charlotte buchte uns zwei Suiten.<br />
Stadtler wollte s<strong>ich</strong> frisch machen und <strong>ich</strong> setzte m<strong>ich</strong> in meiner Suite an<br />
den Schreibtisch und rief die Euro-Cinema an und verlangte diesmal mit<br />
Hoffmann sprechen zu dürfen. Die Telefonistin wollte von mir den Grund<br />
meines Anrufes wissen und <strong>ich</strong> sagte ihr mit zieml<strong>ich</strong> amtl<strong>ich</strong>em Ton:<br />
»Agentur <strong>Teufel</strong> möchte einen Termin mit ihm vereinbaren!«<br />
»Herr Hoffmann hat keine Zeit für Agenturgespräche. Wir sind mitten<br />
in Werbespots. Da müssen Sie ein anderes Mal wieder anrufen.«<br />
Ich merkte, sie wollte gerade auflegen, als <strong>ich</strong> in den Hörer brüllte: »Hier<br />
spr<strong>ich</strong>t keine Modellagentur, sondern die Privatdetektei <strong>Teufel</strong> aus<br />
Bremen. Stellen Sie die Verbindung her, die Angelegenheit könnte für<br />
Herrn Hoffmann w<strong>ich</strong>tiger als jeder Werbespot sein.«<br />
Die Dame fragte noch einmal nach: »Eine Privatdetektei? Warum wollen<br />
Sie denn mit Herrn Hoffmann reden?«<br />
»Eine Privatdetektei heißt so, weil es s<strong>ich</strong> um private Angelegenheiten<br />
handelt, also gehen Sie davon aus, dass es etwas sehr Privates für Ihren<br />
Chef ist. Verbinden Sie m<strong>ich</strong> jetzt, bitte.«<br />
»Ach so«, hörte <strong>ich</strong> noch. Dann erklang der Rufton zu einer Nebenstelle.<br />
Als s<strong>ich</strong> jemand an dem Telefon meldete, konnte <strong>ich</strong> den Namen n<strong>ich</strong>t<br />
verstehen und fragte nochmals nach. Es war scheinbar einer der<br />
Aufnahmeleiter und er war verwundert, als <strong>ich</strong> Hoffmann selbst ans<br />
Telefon haben wollte. Im Hintergrund war ein höllischer Krach.<br />
Dann wurde das Telefon scheinbar aus diesen Räuml<strong>ich</strong>keiten heraus<br />
getragen, denn es wurde ruhiger im Hintergrund und eine zieml<strong>ich</strong><br />
gehetzte, aber wohlklingende Stimme meldete s<strong>ich</strong>: »Hoffmann! Wer wagt<br />
es, einen hart schaffenden Menschen an der Arbeit zu hindern?«<br />
»Ihr Vater, Hoffmann! Hier spr<strong>ich</strong>t der Privatdetektiv <strong>Teufel</strong>. Ich bin<br />
beauftragt, Sie zu einem klärenden Gespräch einzuladen. Es geht um ein<br />
n<strong>ich</strong>t unbeträchtl<strong>ich</strong>es Erbe.«<br />
Das musste er wohl erst einmal verdauen und dann kam rau: »<strong>Wenn</strong> Sie<br />
m<strong>ich</strong> verarschen wollen, dann versuchen Sie es bei anderen Leuten, aber<br />
n<strong>ich</strong>t bei mir! Mir wurde beigebracht, dass mein Vater s<strong>ich</strong> schon vor<br />
meiner Geburt abgesetzt haben soll und jetzt faseln Sie etwas von einem<br />
Erbe? Sie müssen n<strong>ich</strong>t ganz d<strong>ich</strong>t sein. Für Scherze dieser Art habe <strong>ich</strong><br />
keine Zeit.«<br />
»Okay. Ich bin in einer Stunde bei Ihnen am Set, und werde es noch<br />
einmal versuchen, es Ihnen zu erklären. Sagen Sie mir, wo <strong>ich</strong> hinkommen<br />
soll, und wie <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> zu Ihnen bringen lassen kann. Ich mache keine<br />
Scherze und will Sie keineswegs verarschen. Ich bin ein ebenso hart<br />
schuftender Kuli, wie Sie es zu sein scheinen.<br />
24
Ich will n<strong>ich</strong>t unnötig die vierhundertfünfzig Kilometer von Bremen<br />
nach Berlin gefahren sein, um m<strong>ich</strong> noch n<strong>ich</strong>t einmal erklären zu können.<br />
Lebt Ihre Mutter noch, Hoffmann?«<br />
Ich brachte in sehr bestimmten Ton meine Argumente vor und<br />
irgendetwas schien ihn stutzen zu lassen. Denn er sagte knapp: »Nein, sie<br />
lebt n<strong>ich</strong>t mehr. Kommen Sie in die Ufa-Studios Halle 15. Ich sage dem<br />
Pförtner bescheid. Er wird Sie zu mir bringen. Sie sagten Sie hießen <strong>Teufel</strong>,<br />
ist das r<strong>ich</strong>tig?«<br />
»Ja. <strong>Teufel</strong>, wie der Leibhaftige.«<br />
»Okay, dann sehen wir uns später, <strong>Teufel</strong>.«<br />
Dann war die Leitung gekappt.<br />
Das schienen die Stadtlers gemeinsam zu haben. Kurze, klare<br />
Anweisungen, und der Luxus einer Anrede kam ebenfalls n<strong>ich</strong>t in Frage.<br />
Mir war es Recht.<br />
Ich sagte nur an der Rezeption bescheid, dass <strong>ich</strong> dem Wagen brauchte<br />
und hinterließ für Stadtler eine Nachr<strong>ich</strong>t, dass <strong>ich</strong> versuchen würde, mit<br />
seinem Sohn später hier zu erscheinen. Er könne m<strong>ich</strong> auch über das<br />
Autotelefon erre<strong>ich</strong>en. Dann sauste <strong>ich</strong> nach unten, und fuhr nach<br />
Babelsberg.<br />
Ich fand die Halle 15 sofort und fand sogar einen Parkplatz, weil gerade<br />
ein anderer Wagen losfuhr.<br />
Der Pförtner wusste wirkl<strong>ich</strong> bescheid und führte m<strong>ich</strong> und wir<br />
landeten in der Halle, wo dieser Lärm herrschte.<br />
Dort tippte der Mann einem anderen, der ein Headset trug, auf den Arm<br />
und brüllte: »<strong>Teufel</strong> ist hier. Sagen Sie Hoffmann bescheid.«<br />
Der Pförtner ging wieder und der Mann mit dem Headset sagte etwas,<br />
was <strong>ich</strong> wegen des Krachs einfach n<strong>ich</strong>t verstand. Er gab mir mit Ze<strong>ich</strong>en<br />
zu verstehen, dass <strong>ich</strong> dort an der Tür stehen bleiben sollte und s<strong>ich</strong> dann<br />
entfernt. Ich konnte in die Halle sehen und bekam ein wenig von dem mit,<br />
was hier geschah. Den Krach veranstaltete eine Pop-Gruppe und eine<br />
Menge Menschen tanzten nach den Klängen. Laserstrahler huschten in den<br />
verschiedensten Farbschattierungen über die Tanzenden. Discofeeling<br />
sollte eingefangen werden. Ob man das n<strong>ich</strong>t besser in einer Originaldisco<br />
hätte umsetzen können, fragte <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> automatisch. Aus der Staffage kam<br />
ein Mann auf m<strong>ich</strong> zugehetzt. Er sah verschwitzt aus und trug ebenfalls ein<br />
Headset. Er riss es s<strong>ich</strong> vom Kopf, nachdem er etwas murmelte, und zeigte<br />
dann auf die Außentür und wir gingen ins Freie und klappten die Tür<br />
hinter uns zu. Erst als der Krach n<strong>ich</strong>t mehr unsere Trommelfelle<br />
strapazierte, re<strong>ich</strong>te er mir die Hand und sagte: »Hoffmann, worum geht es<br />
denn so schreckl<strong>ich</strong> eilig?«<br />
25
Er sah gut aus. Er war mit seinen knapp fünfzig Jahren gut<br />
durchtrainiert und besaß einen sehr entschlossenen Ausdruck um den<br />
Mund. Seine hellen Augen waren fragend auf m<strong>ich</strong> ger<strong>ich</strong>tet.<br />
»Sie haben gesagt, dass Ihnen beigebracht wurde, dass s<strong>ich</strong> ihr Vater<br />
schon vor Ihrer Geburt abgesetzt hätte, und Sie praktisch keinen hätten.<br />
Die Gesch<strong>ich</strong>te stimmt n<strong>ich</strong>t so ganz. Ihre Mutter hat Ihren Vater kurz nach<br />
Ihrer Geburt verlassen und hat wieder ihren Mädchennamen<br />
angenommen. Sie sind ein gebürtiger Stadtler und es ist mir selbst<br />
schleierhaft, wie dieses in Ihrem Stammbuch n<strong>ich</strong>t vermerkt werden<br />
konnte. Ihre Mutter hat s<strong>ich</strong> diesem Milieu mehr hingezogen gefühlt und<br />
hat es vorgezogen, einen grundsoliden Bremer Kaufmann mit Ihrem zwei<br />
Jahre älteren Bruder allein zu lassen. Ihr Bruder kam vor etwas über einem<br />
Jahr bei einem Flugzeugunglück ums Leben. Schon er versuchte Sie<br />
ausfindig zu machen, aber sein Tod scheint dazwischen gekommen zu<br />
sein, oder hat s<strong>ich</strong> ein Franz Stadtler bei Ihnen gemeldet gehabt?«<br />
Er blickte m<strong>ich</strong> völlig verblüfft an und nestelte nach seinen Zigaretten.<br />
Er hatte sie aber scheinbar in der Halle <strong>zurück</strong>gelassen und <strong>ich</strong> bot ihm<br />
eine von meinen an. Als wir beide rauchten, sagte er: »Ja, da hat s<strong>ich</strong><br />
einmal ein Herr Stadtler bei mir gemeldet, aber <strong>ich</strong> weiß beim besten<br />
Willen n<strong>ich</strong>t mehr, wann das genau war. Er befragte m<strong>ich</strong> damals nach<br />
meiner Mutter und tat zieml<strong>ich</strong> geheimnisvoll. Wir wollten uns dann sogar<br />
treffen, aber er sagte mir, dass er zunächst noch geschäftl<strong>ich</strong> verreisen<br />
müsse. Er würde s<strong>ich</strong> nach seiner Rückkehr dann bei mir melden. Er hat es<br />
nur nie getan. Ich habe mir im Nachhinein gedacht, dass dieser Stadtler ein<br />
Journalist war, der über meine Mutter schreiben wollte und es dann<br />
vergessen. Aber was soll der ganze Unsinn, dass er mein Bruder gewesen<br />
sei, und mein leibl<strong>ich</strong>er Vater mir eine Erbschaft vermachen möchte? Sie<br />
sagten, dass Sie Privatdetektiv sind. Kommen Sie von einer Vers<strong>ich</strong>erung,<br />
die mir Geld auszahlen möchte? Ich könnt es zwar gebrauchen, aber<br />
glauben kann <strong>ich</strong> das alles noch immer n<strong>ich</strong>t so recht.«<br />
»Haben Sie noch eine ganz kleine Erinnerung an Bremen?«<br />
»N<strong>ich</strong>t wirkl<strong>ich</strong>, aber <strong>ich</strong> weiß, dass <strong>ich</strong> dort geboren bin. Das steht auch<br />
so in meinem Pass. Aber können wir das Ganze n<strong>ich</strong>t in der nächsten<br />
Woche besprechen? Ich habe wirkl<strong>ich</strong> keine Zeit. Denn diese Halle kostet<br />
m<strong>ich</strong> jeden Tag ein Vermögen und wir müssen die Arbeit fertig<br />
bekommen, sonst gibt es kein Geld, und das wäre fatal. Meine Mutter<br />
hinterließ mir weitaus weniger, als <strong>ich</strong> geahnt habe und auch die<br />
Geschäftskonten waren arg angefressen, was <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t wusste. In unserem<br />
Geschäft geht es knallhart zu und die Konkurrenz hier vor Ort und in<br />
München, Köln und Hamburg ist riesig.«<br />
26
»Hoffmann, Sie haben doch bestimmt Aufnahmeleiter, die auch einmal<br />
selbstständig arbeiten können. Überlassen Sie denen das Feld für ein paar<br />
Stunden und wir gehen zusammen Essen. Bei der Gelegenheit treffen Sie<br />
Ihren leibl<strong>ich</strong>en Vater und wir werden versuchen Ihre Vergangenheit ein<br />
wenig auszuleuchten. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass s<strong>ich</strong> Ihr Vater<br />
finanziell an Ihrem Sorgenkind beteiligen könnte.«<br />
»Die Werbebranche und wir spinnen uns ja schon manches ungereimtes<br />
Zeug zusammen, aber so eine Gesch<strong>ich</strong>te ist so unglaubwürdig, dass sie<br />
eigentl<strong>ich</strong> schon wieder wahr sein muss.«<br />
Sein Blick war immer noch zweifelnd, aber <strong>ich</strong> ging gar n<strong>ich</strong>t darauf ein<br />
und fragte nur: »Haben Sie Bilder von Ihrer Mutter? Aus früherer Berliner<br />
Zeit und auch aus der letzteren Zeit?«<br />
»Wozu soll das denn wieder gut sein?«<br />
»Haben Sie, oder haben Sie n<strong>ich</strong>t?«<br />
»Klar habe <strong>ich</strong>. Meine Mutter hat diverse Alben angelegt. Da müsste<br />
sogar eines dabei sein, aus der Bremer Zeit, die Sie immer wieder<br />
angesprochen haben.«<br />
»Kommen Sie noch heute <strong>daran</strong>?«<br />
»Ich könnte meine Frau bitten, sie herauszusuchen. Aber <strong>Teufel</strong> sagen<br />
Sie mir jetzt ehrl<strong>ich</strong>, was soll das alles?«<br />
»Sie selbst sagen, dass Ihnen das Wasser bis zum Hals steht in Ihrer<br />
Firma, warum wollen Sie n<strong>ich</strong>t einfach die Chance nutzen aus diesem<br />
Schlamassel prima herauszukommen. Sagen Sie Ihrer Frau, dass sie zwei,<br />
drei Fotoalben aus alter und eins aus neuerer Zeit einpacken soll und uns<br />
im Hotel Esplanade Grand Hotel treffen soll. Wir werden ebenfalls<br />
hinüberfahren und uns dort mit Ihrem leibl<strong>ich</strong>en Vater treffen. Anhand der<br />
Bilder können wir eventuell sogar eine ganze Menge ihrer eigenen<br />
Vergangenheit rekonstruieren und dass es n<strong>ich</strong>t zu Ihrem materiellen<br />
Schaden führt, da bin <strong>ich</strong> mir ganz s<strong>ich</strong>er. Also rufen Sie Ihre Frau an, und<br />
geben dem oder den Aufnahmeleitern hier die Leitung in die Hand.<br />
Telefonieren können Sie dort von meinem Auto aus.«<br />
Ich wies dabei auf dem großen Mercedes und er sah auch das Bremer<br />
Kennze<strong>ich</strong>en. Das schien den Ausschlag zu geben. Wir gingen zum Wagen<br />
und er rief seine Frau an. Da die Lauthöreinr<strong>ich</strong>tung noch angeschaltet<br />
war, bekam <strong>ich</strong> mit, dass es die gle<strong>ich</strong>e Stimme war, mit der <strong>ich</strong> heute<br />
schon zweimal in der Firma sprach.<br />
Wieder wunderte <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong>, mit wie wenig Worten er auskam, die<br />
Situation zu beschreiben und seine Anweisungen zu geben. Ich musste<br />
unwillkürl<strong>ich</strong> grinsen.<br />
27
Er sah m<strong>ich</strong> verwundert an und <strong>ich</strong> erklärte es ihm: »<strong>Wenn</strong> Sie Ihre<br />
Anweisungen geben, klingt es genau, als wenn ihr Vater Anweisungen<br />
erteilt. Es ist wirkl<strong>ich</strong> sehr verwunderl<strong>ich</strong>, aber Sie werden es später<br />
s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> selbst bemerken.«<br />
Aus seinen Anweisungen konnte <strong>ich</strong> schon entnehmen, dass wir seine<br />
Frau von Zuhause abholen sollten. Jakob ging nur noch kurz <strong>zurück</strong> in die<br />
Halle, aus der immer noch der Krach dröhnte, und kam mit einem Jackett<br />
bekleidet wieder heraus. Er hatte die ganze Zeit in der wir sprachen nur im<br />
Oberhemd bekleidet neben mir gestanden. Es war zwar n<strong>ich</strong>t winterl<strong>ich</strong><br />
kalt, aber mehr als zehn Grad Celsius war es bestimmt n<strong>ich</strong>t. Er musste<br />
ganz schön Hitze haben. Wir fuhren los und er dirigierte m<strong>ich</strong> hinüber<br />
nach Schlachtensee. Das Haus war ansehnl<strong>ich</strong>, aber <strong>ich</strong> wusste natürl<strong>ich</strong><br />
n<strong>ich</strong>t, wie hoch es belastet war. Die Frau, die gle<strong>ich</strong> nach seinem Klingeln<br />
aus dem Haus trat, war eine hübsche Frau, die wesentl<strong>ich</strong> jünger als er<br />
war. Sie drückte ihrem Mann einige Alben in die Hand. Dann kamen sie<br />
herüber.<br />
Sie nahm im Fond platz und streckte mir von hinten die Hand hin und<br />
fragte: »Und Sie sind der <strong>Teufel</strong>, mit dem <strong>ich</strong> heute schon so oft telefoniert<br />
habe?«<br />
»Ja, der bin <strong>ich</strong>.«<br />
»Vielle<strong>ich</strong>t verraten Sie mir das Zaubermittel auch einmal, mit dem es<br />
Ihnen gelungen ist, meinen Mann von der Arbeit wegzulocken.«<br />
»Das wird er Ihnen später selbst erklären, oder es erklärt s<strong>ich</strong> später von<br />
selbst.«<br />
Ich war inzwischen wieder auf die Spanische Allee gekurvt und fuhr<br />
hinunter bis zur Potsdamer Allee. Ich hielt m<strong>ich</strong> immer ein klein wenig<br />
über der Geschwindigkeitsbegrenzung und bekam auch das Glück m<strong>ich</strong><br />
immer in die r<strong>ich</strong>tige Spur zu fädeln, um n<strong>ich</strong>t durch Rechts- oder<br />
Linksabbieger gestoppt zu werden. Es war das zweite Mal an diesem Tag,<br />
dass jemand fragte: »Kennen Sie s<strong>ich</strong> hier aus? Sie fahren ja rasanter als<br />
jeder Berliner Taxifahrer.«<br />
Während der Fahrt rief <strong>ich</strong> schon im Hotel an und ließ m<strong>ich</strong> mit Stadtler<br />
verbinden und trug ihm nur auf, dass er im Gourmetrestaurant einen Tisch<br />
für vier Personen bestellen sollte.<br />
Als er noch Fragen stellen wollte, hängte <strong>ich</strong> ein und rief stattdessen bei<br />
den Vermeers an, um Ihnen mitzuteilen, dass <strong>ich</strong> in der Stadt wäre. Ich<br />
kalkulierte, dass <strong>ich</strong> kein Menü zu mir nehmen, und Stadtler mit seinem<br />
Sohn und seiner Schwiegertochter allein lassen wollte.<br />
28
Ich wollte m<strong>ich</strong> dann in der Zeit mit Mareike, Randy und Jan in der<br />
ebenfalls im Hause vorhandenen Bierbar treffen, um ihnen von meiner<br />
neuen Lizenz zu erzählen.<br />
Sie sagten auch sofort begeistert zu und <strong>ich</strong> hörte Nicole im Hintergrund<br />
krähen.<br />
Hoffmann sah m<strong>ich</strong> zwar fragend an, aber <strong>ich</strong> gab ihm keine Erklärung.<br />
Ich war gespannt, wie Stadtler auf seinen verlorenen Sohn und seine<br />
Schwiegertochter reagierte.<br />
Ich übergab den Wagen wieder dem Portier und geleitete das Ehepaar<br />
ins Hotel. Frau Hoffmann schien die Atmosphäre zu genießen. Stadtler saß<br />
in der Halle und schien keinen Blick von der Eingangstür gelassen zu<br />
haben. Er erhob s<strong>ich</strong> etwas uns<strong>ich</strong>er, als wir uns ihm näherten. Es war das<br />
erste Mal, dass <strong>ich</strong> ihn uns<strong>ich</strong>er sah.<br />
4<br />
Erster Auftrag ist erfüllt<br />
Ich stellte zunächst den älteren Herren der Dame vor und sagte: »Frau<br />
Hoffmann, Herr Stadtler aus Bremen.«<br />
Dann machte <strong>ich</strong> die Herren miteinander bekannt: »Herr Hoffmann,<br />
Sohn von Hedi Hoffmann, geschiedene Stadtler – Herr Stadtler, Ihr<br />
leibl<strong>ich</strong>er Vater.«<br />
Es war schließl<strong>ich</strong> Stadtler, der den Mund als Erster aufbekam und<br />
sagte: »Die Ähnl<strong>ich</strong>keit mit deiner Mutter ist immer noch frappierend.<br />
Aber in der Mundpartie meine <strong>ich</strong>, m<strong>ich</strong> wiederzuerkennen.«<br />
Frau Hoffmann brauchte ein wenig länger, bis sie überhaupt begriff, was<br />
hier vor s<strong>ich</strong> ging, dann brach es allerdings aus ihr heraus: »Sie, du bist<br />
Jakobs Vater, von dem er glaubte, es gäbe ihn gar n<strong>ich</strong>t?«<br />
»Ja, das bin <strong>ich</strong>.«<br />
»Kommt lasst uns an die Bar gehen und wenigstens einen<br />
Begrüßungsschluck genießen. Zeit für Erklärungen und ein wirkl<strong>ich</strong>er<br />
Abgle<strong>ich</strong> der Lebensumstände können wir später beim Essen machen. Für<br />
wann haben Sie den Tisch bestellt, Herr Stadtler?«<br />
»Für 20 Uhr dreißig. Ja, kommt alle, wir müssen erst einmal etwas<br />
trinken. Ich kann es immer noch n<strong>ich</strong>t fassen. Über ein Jahr forschen schon<br />
die Behörden und <strong>Teufel</strong> gelingt es in einem Tag, dass <strong>ich</strong> euch<br />
kennenlerne.«<br />
29
»Ein Franz Stadtler spürte m<strong>ich</strong> schon auf. Aber wie <strong>Teufel</strong> mir schon<br />
mitgeteilt hat, wohl gerade erst vor seinem Tod, denn nach seinem Anruf<br />
habe <strong>ich</strong> nie wieder etwas gehört.<br />
Wir wollten uns hier in Berlin treffen, er müsse nur noch eine<br />
Auslandsreise antreten, sagte er mir.«<br />
Stadtler war tatsächl<strong>ich</strong> die Kinnlade heruntergefallen und er stammelte<br />
plötzl<strong>ich</strong> hilflos: »Das war es also, was er mir als Überraschung mitbringen<br />
wollte. Er sagte, als er das letzte Mal mit mir telefonierte von dort unten in<br />
Khartum, dass er nur zwei Tage in Kairo bleiben wolle, um dann nach<br />
Berlin weiter zu reisen, und er würde mir eine der größten<br />
Überraschungen mitbringen. Das war es, was er gemeint hat.«<br />
Plötzl<strong>ich</strong> fing der alte Mann an zu weinen und wie selbstverständl<strong>ich</strong><br />
legte sein Sohn, der bis dahin immer glaubte sein Vater sei einfach<br />
verschwunden, den Arm um den Mann und führte ihn R<strong>ich</strong>tung Bar. Die<br />
junge Frau Hoffmann hängte s<strong>ich</strong> bei mir ein und <strong>ich</strong> trug die alten<br />
Fotoalben hinter ihnen her.<br />
Stadtler bekam s<strong>ich</strong> erstaunl<strong>ich</strong> schnell wieder in seine Gewalt und legte<br />
seinerseits den Arm um den Mann an seiner Seite, der sein verlorener Sohn<br />
war.<br />
Stadtler orderte Champagner und jetzt war seine Stimme schon wieder<br />
gefestigt, als er sagte: »Es ist n<strong>ich</strong>t nur für uns ein schöner Tag. Auch <strong>Teufel</strong><br />
hat etwas zu feiern. Er hat heute seine Lizenz bekommen und <strong>ich</strong> spendiere<br />
ihm dafür mein Büro. Überschrieben habe <strong>ich</strong> ihm den Mietvertrag schon,<br />
aber jetzt übernehme <strong>ich</strong> auch die Miete, solange <strong>ich</strong> lebe.«<br />
Ich grinste ihn an, denn <strong>ich</strong> wusste, dieses Geschenk durfte <strong>ich</strong> einfach<br />
n<strong>ich</strong>t ablehnen, und meinte trocken: »Dann werde <strong>ich</strong> Sie so gut<br />
beschützen, dass sie mindestens 100 Jahre alt werden.«<br />
Stadtler lachte und meinte: »Rechnen kann er auch noch!«<br />
Und nach dem ersten Schluck Champagner war dann auch sämtl<strong>ich</strong>e<br />
Befangenheit abgelegt und Stadtler fragte: »<strong>Teufel</strong>, <strong>ich</strong> frage m<strong>ich</strong> die<br />
ganze Zeit, was Sie da mit s<strong>ich</strong> rumgeschleppt haben. Es sieht fast so aus<br />
wie Fotoalben.«<br />
»Es sind Fotoalben und sie dokumentieren jeweils einen Schritt in der<br />
Entwicklung Ihres Sohnes. Wir wollen doch einmal feststellen, was und<br />
wen Sie auf den Bildern erkennen.«<br />
Ich übergab Jakob die Alben und sagte: »Vielle<strong>ich</strong>t können wir mit dem<br />
Ältesten anfangen. Bitte schlagen sie es auf.«<br />
Er suchte das R<strong>ich</strong>tige heraus und schlug die erste Seite auf. Jakob und<br />
seine Frau nahmen Stadtler in die Mitte und Jakob zeigte auf die Bilder<br />
und die Unterschriften.<br />
30
Stadtler sah plötzl<strong>ich</strong> blass aus und er quetschte nur heraus: »Diese<br />
Aufnahmen habe <strong>ich</strong> gemacht. In unserem Haus. Da ist ja auch Blassw<strong>ich</strong>,<br />
der kam ja häufig zu uns. Und diese Wiege muss sogar noch auf unserem<br />
Dachboden stehen.«<br />
So ging es munter weiter, bis <strong>ich</strong> sie <strong>daran</strong> erinnerte, dass wir einen<br />
Tisch im Restaurant nebenan bestellt hatten. Mein knurrender Magen<br />
erinnerte m<strong>ich</strong> <strong>daran</strong> und deshalb machte <strong>ich</strong> den Vorschlag: »Wir senden<br />
die Alben mit dem Hotelboy in Ihre Suite Herr Stadtler und gehen Essen.<br />
Wir bestellen uns n<strong>ich</strong>t das große Menü sondern ein n<strong>ich</strong>t so aufwendiges<br />
und langwieriges Essen und dann können Sie später oben die Bilder in<br />
aller Ruhe durchgehen. Ich habe sowieso um 22 Uhr noch eine<br />
Verabredung drüben in der Bierbar, die mir sehr w<strong>ich</strong>tig ist.«<br />
Wir orderten nur eine kleine Vorspeise und als Hauptger<strong>ich</strong>t im Ofen im<br />
Ganzen gegartes Beef vom Rind aus dem Entre Cote Stück mit<br />
verschiedenen Soßen mit einem Kartoffelgratin und feinster<br />
Gemüsebeilage. Das Fleisch war so wunderbar auf den Punkt gegart, und<br />
daher das es hier in konstanter Wärme auf dem Serviertisch ruhen konnte,<br />
von ganz besonderer Zartheit.<br />
Ich machte den Fehler, dass <strong>ich</strong> die finanziellen Engpässe der<br />
Filmproduktionsfirma erwähnte und dies hatte zur Folge, das Vater und<br />
Sohn sofort in geschäftl<strong>ich</strong>e Gespräche verwickelt waren. Stadtler war<br />
plötzl<strong>ich</strong> wieder der agile Geschäftsmann und auch Hoffmann brachte<br />
seine Ideen und Vorschläge ein. Ich flirtete während der Zeit ungeniert mit<br />
der schönen Yvonne, so hieß näml<strong>ich</strong> Frau Hoffmann.<br />
Als es gerade anfing r<strong>ich</strong>tig zu kribbeln zwischen uns beiden, beendete<br />
<strong>ich</strong> die Diskussion der Herren abrupt, indem <strong>ich</strong> Hoffmann mitteilte, dass<br />
es s<strong>ich</strong> hier keineswegs um ein Geschäftsessen, sondern um eine<br />
Familienfeier handelte und drohte ihm an, dass <strong>ich</strong> seine Frau ent- und<br />
auch verführen würde, wenn sie s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t wieder um sie kümmern<br />
würden. »Für geschäftl<strong>ich</strong>e Gespräche haben Sie in der nächsten Zeit<br />
bestimmt genügend Gelegenheit.«<br />
Die Herren waren r<strong>ich</strong>tig erschrocken, als <strong>ich</strong> meine Meinung so<br />
unverblümt aussprach und Yvonne setzte dem noch ein Krönchen auf, als<br />
sie sagte: »Schade, <strong>Teufel</strong>, gerade fing es in meinem Bauch an, so r<strong>ich</strong>tig zu<br />
kribbeln. Sie hätten m<strong>ich</strong> bestimmt entführen können.«<br />
Von dem Augenblick an kümmerten s<strong>ich</strong> Sohn und Vater wieder um sie,<br />
und <strong>ich</strong> entschuldigte m<strong>ich</strong> und eilte hinüber in die Bierbar.<br />
Hier wurde <strong>ich</strong> schon erwartet. Randy erspähte m<strong>ich</strong> zuerst und<br />
sprintete los.<br />
31
Seitdem <strong>ich</strong> ihr Verschwinden in den Staaten organisierte, hatten wir<br />
uns n<strong>ich</strong>t mehr gesehen und nun hing sie an meinem Hals und küsste m<strong>ich</strong><br />
stürmisch.<br />
Es war amüsant als Mareike ihr langsamer folgte, Randys Arme von<br />
meinem Hals vors<strong>ich</strong>tig löste und m<strong>ich</strong> dann ihrerseits umarmte und m<strong>ich</strong><br />
n<strong>ich</strong>t weniger stürmisch küsste.<br />
Zwischendurch fand sie noch die Zeit s<strong>ich</strong> zu Randy zu drehen und kurz<br />
zu sagen: »Ich habe die älteren Rechte.«<br />
Jan Vermeer erlöste m<strong>ich</strong> dann von diesen stürmischen jungen Frauen<br />
und schob Mareike einfach beiseite und nahm m<strong>ich</strong> in den Arm und sagte:<br />
»Willkommen in deiner dritten Heimat. Lass d<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t von diesen<br />
<strong>Teufel</strong>sweibern irritieren. Es gibt keinen Abend in unserem Hause, an dem<br />
n<strong>ich</strong>t über einen gewissen <strong>Teufel</strong> geschwärmt wird, den man ja so über<br />
alles liebt. Die haben schon die Hölle auf Erden, nur weil der <strong>Teufel</strong> n<strong>ich</strong>t<br />
da ist. Komm, wir wollen erst einmal ein vernünftiges Bier zusammen<br />
trinken.«<br />
Wir lachten alle und <strong>ich</strong> freute m<strong>ich</strong> über die Herzl<strong>ich</strong>keit und auch die<br />
Selbstverständl<strong>ich</strong>keit mit der die Drei miteinander umgingen. Ich bestellte<br />
mir zur Feier des Tages ein großes Bier.<br />
Ich erzählte gerade von meinem Erfolg, den <strong>ich</strong> heute im Bremer<br />
Präsidium errang und nun endl<strong>ich</strong> meine Lizenz auch für Deutschland<br />
bekommen würde, als bei ihnen ein erneuter Jubelsturm ausbrach. Wir<br />
standen um einen der übl<strong>ich</strong>en Stehtische hier in der Bierbar und Jan<br />
Vermeer war der erste, der m<strong>ich</strong> an s<strong>ich</strong> drückte, dann wurde <strong>ich</strong> von den<br />
Damen in die Zange genommen und urplötzl<strong>ich</strong> hing auch noch eine dritte<br />
Frau an meinem Hals und küsste m<strong>ich</strong> ebenfalls stürmisch ab: Yvonne.<br />
Stadtler und sein Sohn kamen hinterher und was danach folgte, ließ<br />
m<strong>ich</strong> auch Jahre danach noch schauern, wenn <strong>ich</strong> <strong>daran</strong> dachte: Beide<br />
Männer nahmen m<strong>ich</strong> ebenfalls in den Arm und dankten mir für die<br />
Familienzusammenführung.<br />
Jetzt war es Jan Vermeer, der blass wurde, als er leise fragte: »<strong>Teufel</strong>,<br />
hast du auch diese Familie zusammengeführt?«<br />
Ich konnte nur nicken. Danach war um m<strong>ich</strong> herum wirkl<strong>ich</strong> der <strong>Teufel</strong><br />
los. Alle unterhielten s<strong>ich</strong> durcheinander und beglückwünschten m<strong>ich</strong>. Bis<br />
<strong>ich</strong> plötzl<strong>ich</strong> etwas lauter sagte: »Ruhe jetzt. Ich habe nur meine Aufgabe<br />
erledigt. Und wenn <strong>ich</strong> es gut gemacht habe, könnt ihr m<strong>ich</strong> ja empfehlen.<br />
Jetzt möchte <strong>ich</strong> in Ruhe noch ein Bier trinken und n<strong>ich</strong>ts mehr von all dem<br />
hören.<br />
32
Aber die Herren sollten s<strong>ich</strong> vielle<strong>ich</strong>t morgen einmal zusammensetzen<br />
und eine Finanzstrategie für die Filmproduktion erstellen. Jan ist da der<br />
Finanzexperte. Aber bitte erst morgen. Jetzt wollen wir feiern. Meine<br />
Lizenz und unser aller Wiedersehen. Gegen einen Schnaps hätte <strong>ich</strong> auch<br />
n<strong>ich</strong>ts einzuwenden.«<br />
Die Getränke kamen und wir tranken und alles schwatzte lustig<br />
durcheinander. Jetzt hörten wenigstens die Lobhudeleien auf meine Person<br />
auf. Es wurde geflachst und die Stimmung war wunderbar gelöst. Die Uhr<br />
in der Bar verkündete mit zwölf Schlägen Mitternacht und Yvonne sagte:<br />
»Ist es n<strong>ich</strong>t wunderschön? So kurz vor Weihnachten eine wirkl<strong>ich</strong>e große<br />
Familie, gestiftet von <strong>Teufel</strong>. Hast du eigentl<strong>ich</strong> auch einen Vornamen?«<br />
Mareike frozzelte: »Klar, soweit <strong>ich</strong> weiß, hat er sogar 27 Vornamen und<br />
da seinen Eltern n<strong>ich</strong>ts Besseres einfallen wollte, haben sie ihn einfach 27<br />
Mal <strong>Teufel</strong> genannt. Hat den Vorteil, er kann seine Unterschrift mit allen<br />
Vornamen am Fließband schreiben.«<br />
Wir alle mussten Lachen. Nur mir blieb es plötzl<strong>ich</strong> im Halse stecken,<br />
denn <strong>ich</strong> spürte, wie s<strong>ich</strong> mein Puls beschleunigte, mein Herz anfing zu<br />
rasen. Mir wurde schwindlig. Mein linkes Handgelenk brannte wie Feuer<br />
und ein Feuerwerk von Bildern rotierte vor meinen Augen. Ich hörte in<br />
meinem Kopf meine eigene Stimme klagend sagen: »Heute vor einem Jahr<br />
habe <strong>ich</strong> meine Liebe verloren. Heute vor einem Jahr auf einer Party von<br />
Fußballspielern! Weil du n<strong>ich</strong>t wachsam warst, <strong>Teufel</strong>!«<br />
Und die Stimme von Linda, die aus ihrem Bauch zu kommen schien<br />
antwortete: »Du bist ein Dummkopf. Du hast keine Liebe verloren, nur<br />
einen Menschen in deiner Nähe. Und du weißt es immer noch n<strong>ich</strong>t, dass<br />
du schon drei Monate unsterbl<strong>ich</strong> bist.«<br />
Plötzl<strong>ich</strong> war dies alles wieder vorbei. Das Lachen meiner Tischnachbarn<br />
und Freunde war zwar verklungen und sie starrten m<strong>ich</strong> mit<br />
schreckgeweiteten Augen an und fragte alle durcheinander und Mareike<br />
formulierte es so: »<strong>Teufel</strong>, was ist mit dir. Du warst eben völlig weg. Ble<strong>ich</strong>,<br />
als wenn keinerlei Blut mehr in deinem Kopf war. Deine Augen waren<br />
verdreht, dass man nur noch das Weiße sehen konnte. <strong>Wenn</strong> dieser<br />
Zustand zehn Sekunden länger gedauert, hätte <strong>ich</strong> einen Notarztwagen<br />
bestellt. Was war mit dir los? Hast du eine schwere Krankheit?«<br />
Ich griff während Mareikes Ansprache zu meinem Strohfisch unter<br />
meinem Oberhemd und plötzl<strong>ich</strong> senkte s<strong>ich</strong> auf uns alle, dieses ungeheure<br />
Kraftfeld. Ich konnte es sehen.<br />
33
Energiebündel übertrugen s<strong>ich</strong> als Blitze von mir auf den<br />
Nebenstehenden und von dort sprangen sie weiter auf den Nachbarn und<br />
endeten schließl<strong>ich</strong> wieder in mir. Das alles geschah in<br />
Sekundenbruchteilen und plötzl<strong>ich</strong> standen wir, wie vorher um unseren<br />
Stehtisch versammelt<br />
»Ein Spuk, der vorüber ist, und das nur, weil <strong>ich</strong> an eine Party denken<br />
musste, die vor genau einem Jahr stattfand.«<br />
Ich hob mein fast noch volles Bierglas und prostete meinen Freunden zu,<br />
denn <strong>ich</strong> war mir s<strong>ich</strong>er, dass auch Stadtler, Jakob und Yvonne inzwischen<br />
dazu gehörten.<br />
Um ein Uhr mussten wir noch einmal umsiedeln, weil die Bierbar<br />
schloss und man uns sagte, dass wir auch in der American Bar frisch<br />
gezapftes Bier bekommen würden.<br />
Wir feierten bis drei Uhr morgens und <strong>ich</strong> trank für meine Begriffe schon<br />
wieder viel zu viel Alkohol, als s<strong>ich</strong> Vermeer und die beiden Frauen von<br />
mir verabschiedeten und auch Jakob und seine hübsche Yvonne nach<br />
Hause fahren wollten. Sie wollten später zum Frühstück wieder<br />
erscheinen. Ich sagte schon, dass <strong>ich</strong> am frühen Morgen nach Bremen<br />
<strong>zurück</strong>fliegen würde, um endl<strong>ich</strong> das Büro mit meinen Utensilien zu<br />
bestücken.<br />
Stadtler und <strong>ich</strong> tranken noch einen letzten Absacker und bevor <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong><br />
endgültig von ihm verabschiedete, sagte er nur: »Ich bin glückl<strong>ich</strong> wie<br />
selten zuvor in meinen <strong>zurück</strong>liegenden siebzig Jahren. Schlafen Sie gut.«<br />
Ich schlief wie ein Murmeltier.<br />
5<br />
Das neue Büro<br />
Erstaunl<strong>ich</strong>erweise war <strong>ich</strong> früh wieder auf den Beinen und barst vor<br />
Energie. Ich bestellte mir mein Frühstück in die Suite bestellt und orderte<br />
eine große Portion Rühreier mit krossem Speck dazu. Ich verdrückte sie<br />
und fing dabei schon an meine Pläne für die Einr<strong>ich</strong>tung des Büros zu<br />
machen.<br />
Nachdem <strong>ich</strong> die Teller geleert hatte, schob <strong>ich</strong> sie zur Seite und nahm<br />
mir das edle Briefpapier des Hotels und machte aus dem Gedächtnis die<br />
Grundrissze<strong>ich</strong>nungen des Büros.<br />
34
An der Inneneinr<strong>ich</strong>tung wollte <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>ts verändern, denn diesen<br />
altehrwürdigen Stil des alten Büros wollte <strong>ich</strong> auf jeden Fall beibehalten.<br />
Ich stellte eine längere Liste von technischen Dingen zusammen, die <strong>ich</strong><br />
auf jeden Fall noch hier in Berlin kaufen wollte. Dazu musste <strong>ich</strong> heute in<br />
der Frühe meine alten Freunde Tiffert und Benny besuchen, denn hier<br />
würde <strong>ich</strong> s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> die neueste und beste Computerhardware einkaufen<br />
können.<br />
Auch sämtl<strong>ich</strong>e Kommunikationsmittel wollte <strong>ich</strong> von ihnen zur<br />
Verfügung haben.<br />
Je länger <strong>ich</strong> über meiner Einkaufsliste brütete, umso mehr Dinge fielen<br />
mir ein, was <strong>ich</strong> alles haben wollte.<br />
Da <strong>ich</strong> Wiesels Büroorganisation bewunderte, wollte <strong>ich</strong> auf der gle<strong>ich</strong>en<br />
Basis arbeiten. Dazu fielen mir sofort die ersten Fragen ein und <strong>ich</strong><br />
erarbeitete einen vollen Fragenkatalog und machte m<strong>ich</strong> dann <strong>daran</strong> diese<br />
Fragen auch telefonisch mit ihm abzuklären.<br />
Wir telefonierten fast eine ganze Stunde, in der <strong>ich</strong> natürl<strong>ich</strong> auch den<br />
Erfolg der Familienzusammenführung ber<strong>ich</strong>ten musste. Wiesel war<br />
natürl<strong>ich</strong> begeistert, als <strong>ich</strong> ihm von dem schnellen und guten Erfolg<br />
ber<strong>ich</strong>ten konnte.<br />
Wiesel konnte mir auch eine ganze Reihe von Tipps geben, mit deren<br />
Hilfe <strong>ich</strong> über seine Anlage auch Abfragen beim BND und vor allen<br />
Dingen beim BKA machen konnte.<br />
Dazu musste <strong>ich</strong> aber noch besondere Software einsetzen, die er mir<br />
besorgen wollte. Er hoffte sie noch innerhalb der nächsten Woche besorgen<br />
zu können und <strong>ich</strong> sollte sie mitnehmen, wenn <strong>ich</strong> meinen<br />
Weihnachtsurlaub bei ihnen verbrachte.<br />
Dieser Weihnachtsurlaub war inzwischen zu einer Tradition für uns<br />
geworden, und <strong>ich</strong> wollte ihn auf jeden Fall genießen, auch wenn s<strong>ich</strong><br />
damit meine Büroeröffnung verzögern sollte.<br />
Um kurz nach neun Uhr machte <strong>ich</strong> dann mein Versprechen gegenüber<br />
Blassw<strong>ich</strong> wahr und informierte ihn über das Schicksal des kleinen Jungen,<br />
den er als Säugling betreute. Er war ganz gerührt, und versprach s<strong>ich</strong> mit<br />
Stadtler und seinem Sohn in Verbindung zu setzen, denn <strong>ich</strong> konnte ihm<br />
auch ber<strong>ich</strong>ten, dass Stadtler keinen Groll gegen ihn hegte.<br />
Ich führte danach noch ein kurzes Gespräch mit Stadtler und wir<br />
vereinbarten, dass <strong>ich</strong> den Wagen hier lassen und <strong>ich</strong> <strong>zurück</strong> nach Bremen<br />
fliegen sollte. Er wollte die Rechnung des Hotels übernehmen und dafür<br />
sorgen, dass mir mein Wagen, der ja in Oberneuland stand, in der<br />
Firmengarage in der Baumwollbörse wieder zur Verfügung gestellt würde.<br />
35
Ich nahm mir ein Taxi und fuhr zu Siemens hinaus und Tiffert wollte aus<br />
allen Wolken fallen. Zusammen mit Benny machten wir dann konkretere<br />
Pläne für meine technische Ausrüstung. Wir vereinbarten, dass mir alles<br />
am Freitag durch sie beide angeliefert würde. Wir wollten dann auch den<br />
Rest des Wochenendes gemeinsam verbringen.<br />
Benny fuhr m<strong>ich</strong> dann hinüber zum nahegelegenen Flughafen und <strong>ich</strong><br />
landete um 13 Uhr wieder in Bremen.<br />
Ich fuhr direkt in mein neues Büro und fand eine emsig werkelnde<br />
Charlotte vor. Die ganzen Privatakten von Stadtler ließ sie gestern schon<br />
nach Oberneuland schaffen. Ebenso baute sie schon die Computeranlage<br />
ab und ebenfalls in das Privathaus von Stadtler bringen lassen. Sie zeigte<br />
mir die Kabelkanäle, die sie für die interne Vernetzung benutzten und <strong>ich</strong><br />
war begeistert, denn sie erfüllten schon die Voraussetzungen, die <strong>ich</strong> heute<br />
Morgen mit Tiffert und Benny so mühsam plante. Sie waren auch so groß<br />
ausgelegt, dass genügend Platz für weitere Kabel vorhanden war.<br />
Ich fragte Charlotte, was sie denn berufl<strong>ich</strong> weiter machen würde, wenn<br />
ihr Arbeitsverhältnis bei Stadtler beendet sei.<br />
Sie antwortete ganz munter: »Darüber habe <strong>ich</strong> mir noch gar keine<br />
Gedanken gemacht, obwohl <strong>ich</strong> ja weiß, dass zum Jahresende Schluss sein<br />
wird. Aber <strong>ich</strong> bin hier in der Baumwollbörse bekannt und kenne das<br />
Geschäft. Ich bin s<strong>ich</strong>er, dass <strong>ich</strong> bei einem ehemaligen Konkurrenten<br />
sofort etwas wieder finde.«<br />
»Könnten Sie s<strong>ich</strong> eventuell auch vorstellen, für m<strong>ich</strong> zu arbeiten?«<br />
Sie sah m<strong>ich</strong> groß an und meinte dann etwas uns<strong>ich</strong>er: »Ich habe noch<br />
nie für einen so jungen Chef gearbeitet und würde Ihre Frau n<strong>ich</strong>t<br />
eventuell etwas dagegen haben, wenn eine so junge Sekretärin für Sie<br />
arbeitet?«<br />
Ich musste lachen und sie sah m<strong>ich</strong> jetzt unverständig an und sagte<br />
dann: »Ich weiß es von zwei Freundinnen, die hier auch in der<br />
Baumwollbörse arbeiten. Die haben ständig Ärger mit den Ehefrauen der<br />
Chefs.«<br />
»Charlotte, da brauchen Sie in meinem Fall gar keine Angst zu haben.<br />
Meine Frau wird s<strong>ich</strong> in meinem Büro s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> nie sehen lassen. Mit der<br />
werden Sie keinen Ärger bekommen.«<br />
»Auch n<strong>ich</strong>t, wenn wir eventuell Überstunden machen müssen?«<br />
Jetzt lachte <strong>ich</strong> r<strong>ich</strong>tig und antwortete ihr ernsthaft: »Sie würde noch<br />
n<strong>ich</strong>t einmal dann etwas gegen Sie unternehmen, wenn <strong>ich</strong> mit Ihnen nach<br />
Geschäftsschluss noch etwas Essen und Trinken gehen würde. Es gibt<br />
näml<strong>ich</strong> keine Frau <strong>Teufel</strong>. Jedenfalls keine mit der <strong>ich</strong> verheiratet bin.<br />
36
Also das wäre kein Hindernisgrund.«<br />
»Und was wären meine Aufgaben?«<br />
»Genau wie jetzt auch. Die Büroorganisation zu leiten. Die Akten<br />
bearbeiten und meine Termine verwalten. Diese Akten werden so<br />
vertraul<strong>ich</strong>e Daten enthalten, dass wir sie immer in Tresoren aufbewahren<br />
müssen und für keinen Menschen zugängl<strong>ich</strong> gemacht werden.<br />
Weder für neugierige Staatsanwälte oder Polizeibeamte, noch für andere<br />
Außenstehende. Sie müssen diese Akten mit Klauen und Zähnen<br />
verteidigen können und über deren Inhalt dürfen Sie noch n<strong>ich</strong>t einmal mit<br />
s<strong>ich</strong> selbst sprechen. Sie werden mit Dingen konfrontiert werden, wie Sie<br />
s<strong>ich</strong> es n<strong>ich</strong>t einmal in Ihrer schlimmsten Fantasie ausmalen können. Sie<br />
werden mit Schwächen von Menschen vertraut sein, die Ihnen n<strong>ich</strong>t im<br />
Traume einfallen würden, dass es sie überhaupt gibt. Meinen Sie, dass Sie<br />
damit klarkommen könnten?«<br />
»Wie meinen Sie das?«<br />
»Nun, wenn wir Firmen überprüfen und dabei feststellen, dass der<br />
Firmeninhaber n<strong>ich</strong>t nur eine Geliebte unterhält, sondern s<strong>ich</strong> außerdem<br />
noch mit minderjährigen Jungen vergnügt. Spielsüchtige, aber sonst sehr<br />
hoch angesehene Bürger sind. Sie, Charlotte, werden von solchen Dingen<br />
wissen, aber dürfen n<strong>ich</strong>t darüber sprechen. Und das sind nur die<br />
harmlosen Verfehlungen. <strong>Wenn</strong> es strafrechtl<strong>ich</strong>e Dinge sind, hinter die<br />
wir kommen, können wir n<strong>ich</strong>t einfach zur Polizei gehen und diese<br />
vertraul<strong>ich</strong>en Informationen weitergeben. Wir müssen diese Menschen<br />
dann dazu bringen, s<strong>ich</strong> selbst zu stellen. Wir unterliegen ebenso der<br />
Schweigepfl<strong>ich</strong>t wie Anwälte und Ärzte und Pfarrer. Und wir müssen<br />
davon ausgehen, dass wir weitaus mehr Schmutz sehen werden, wie die<br />
anderen zum Schweigen verpfl<strong>ich</strong>teten. Allein das Wissen um unsere<br />
Klienten ist eine schwere Bürde. Meinen Sie, dass Sie einer derartigen<br />
Belastung gewachsen sind?«<br />
Mir gefiel, dass Sie n<strong>ich</strong>t sofort sagte: »Klar, das kann <strong>ich</strong>.«<br />
Sie sah m<strong>ich</strong> nur mit ihren hübschen braunen Augen lange an und sagte<br />
dann vors<strong>ich</strong>tig: »Ich traue es mir schon zu, aber darf <strong>ich</strong> es mir noch<br />
überlegen?«<br />
»Selbstverständl<strong>ich</strong>. Ich besorge mir nur schnell einen Zollstock und<br />
dann zeigen Sie mir bitte jeden Winkel dieses Büros, einschließl<strong>ich</strong> der<br />
Kellerräume. Ich möchte einen genauen Grundriss des Büros erstellen.«<br />
»<strong>Wenn</strong> Ihnen ein Bandmaß von zehnmeter Länge genügt, so habe <strong>ich</strong><br />
eins in meinem Schreibtisch.«<br />
37
»Das wäre sogar noch besser geeignet.«<br />
Dann folgte eine außerordentl<strong>ich</strong> gründl<strong>ich</strong>e Inspektion der Räume, die<br />
<strong>ich</strong> bei der Gelegenheit sofort ausmaß.<br />
Zwei Dinge waren es, die m<strong>ich</strong> an diesem Büro besonders begeisterten.<br />
Ich bemerkte bei meinen vorherigen Besuchen hier n<strong>ich</strong>t, dass in der<br />
Schrankwand hinter Stadtlers Schreibtisch noch eine Tür eingebaut war.<br />
Diese Tür führte zu einem kleinen Ruheraum mit einer Liege und hier war<br />
die Rückwand der Schrankwand des Chefzimmers zu einem<br />
Kleiderschrank ausgebaut.<br />
Eine Tür auf der anderen Seite führte in eine private Toilette mit einem<br />
Duschabteil.<br />
Die zweite sehr gute Einr<strong>ich</strong>tung war der Raum am anderen Ende des<br />
Büros. Es war eigentl<strong>ich</strong> der größte Raum und hier stand ein riesiger Tisch<br />
in der Mitte. Er diente vormals s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> als Probentisch, auf dem die<br />
Proben den Ballen entnommen und zunächst auf Griffigkeit und Länge der<br />
Fasern untersucht wurden. Der Tisch eignete s<strong>ich</strong> aber ebenfalls<br />
hervorragend, Pläne darauf auszubreiten und mit entsprechender<br />
Bestuhlung konnte er als Konferenztisch verwendet werden. An der<br />
Rückseite dieses Raumes befand s<strong>ich</strong> ein riesiger alter Tresor.<br />
Das ganze Büro schien für m<strong>ich</strong> wie gemacht. Selbst wenn meine<br />
Agentur einmal wachsen sollte, hätten wir noch genügend Platz, denn der<br />
Raum zwischen diesem Endraum und der Rezeption war mit Glaswänden<br />
in vier kleinere Büros unterteilt, in den ehemals die Mitarbeiter Stadtlers<br />
saßen. Jedes dieser kleinen Büros verfügte über sämtl<strong>ich</strong>e<br />
Kommunikationsanschlüsse. Selbst wenn <strong>ich</strong> diese Büros jetzt noch gar<br />
n<strong>ich</strong>t nutzen wollte, waren sie eine wunderbare Reserve.<br />
Meine Begeisterung über diese tollen Mögl<strong>ich</strong>keiten steckte scheinbar<br />
auch Charlotte an und als ihr später sagte: »So und jetzt kommen Sie mit,<br />
wir wollen noch einen kleinen Umtrunk mit einem Imbiss veranstalten«,<br />
sagte sie sofort zu.<br />
Meinen Wagen stellte man mir in der Zwischenzeit auch wieder zur<br />
Verfügung, und da der Fahrer zusammen mit einem zweiten Mann<br />
gekommen war, der einen kleinen Lieferwagen fuhr, konnten auch die<br />
restl<strong>ich</strong>en Utensilien, die aus Stadtlers Besitz stammten, mitgenommen<br />
werden.<br />
Charlotte überzeugte s<strong>ich</strong> noch einmal davon, dass n<strong>ich</strong>ts in den<br />
Schränken <strong>zurück</strong>geblieben war, und öffnete dabei auch das Barfach.<br />
38
Hier stand noch die gesamte Batterie der Flaschen und Gläser und<br />
sonstigen Barutensilien. Ich wollte gerade verfügen, dass auch diese Sachen<br />
noch abtransportiert werden müssten, als Charlotte nur meinte: »Nein,<br />
Herr <strong>Teufel</strong>, das ist ein weiteres Geschenk an Sie, von Herrn Stadtler. Sie<br />
sollen alles gut pflegen, denn er meint, dass er gewohnt ist, hier immer<br />
einen edlen Tropfen serviert zu bekommen. Und er würde bestimmt<br />
häufiger Mal erscheinen, um hier Gast zu sein.«<br />
Ich steckte mir meine Notizen über die Räuml<strong>ich</strong>keiten mit all den<br />
Maßen ein und wir gingen n<strong>ich</strong>t weit, um unseren Hunger und Durst zu<br />
stillen.<br />
Als uns das erste Getränk serviert wurde und wir uns Gegenüber saßen,<br />
wurde mir bewusst, mit welch schöner Frau <strong>ich</strong> hier war. Es war n<strong>ich</strong>ts<br />
übermäßig Grelles an ihr, was ihre Schönheit ausmachte. Es waren die<br />
klaren Linien ihres Ges<strong>ich</strong>ts mit den dunklen Augen, der geraden Nase<br />
und dem schön geschwungenen Mund. Sie war so gut wie gar n<strong>ich</strong>t<br />
geschminkt, ledigl<strong>ich</strong> ein Hauch von Lippenstift war aufgetragen. Und<br />
jedes Mal, wenn sie die Augen niederschlug, konnte <strong>ich</strong> die langen<br />
Wimpern bewundern.<br />
Sie besaß schmale, schlanke Hände, die sie jetzt um ihr Longdrinkglas<br />
legte. Kein Ring zierte die Finger. Als Schmuck trug sie nur ein dünnes<br />
Goldkettchen mit einem goldenen Fisch über ihrem dunkelroten Pullover.<br />
Sie sah m<strong>ich</strong> genauso intensiv an, wie <strong>ich</strong> sie und langsam breitete s<strong>ich</strong><br />
ein Lächeln auf ihrem Ges<strong>ich</strong>t aus, als sie sagte: »Ich glaube <strong>ich</strong> werde den<br />
mir angebotenen Job annehmen. Ich weiß nur noch n<strong>ich</strong>t, ob <strong>ich</strong> mit der<br />
wohl sehr unterschiedl<strong>ich</strong>en Buchhaltung klarkommen werde.«<br />
»Dafür gibt es ein ganz spezielles Computerprogramm, weil hier ja<br />
besonders großer Wert auf die Verrechnung von Spesen wert gelegt wird.<br />
Da werden die Schwierigkeiten auftreten, was weiter berechnet werden<br />
kann und soll, und was n<strong>ich</strong>t dazu gehört und als eigenen Kosten angesetzt<br />
werden muss. Aber das ist alles schnell erlernbar. Ich habe es ja auch<br />
kapiert. Aber darf <strong>ich</strong> ein paar persönl<strong>ich</strong>e Fragen stellen?«<br />
»S<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong>.«<br />
»Erzählen Sie mir ein wenig von s<strong>ich</strong>. So in der Art eines Lebenslaufs.«<br />
»Ich bin jetzt 26 Jahre alt und hier in Bremen geboren. Drüben in der<br />
Neustadt. Meine Eltern wohnen immer noch dort in einem kleinen<br />
Häuschen in der Nähe des Kirchwegs. Mein Vater arbeitet dort drüben in<br />
der Privatbank. Durch ihn bin <strong>ich</strong> auch zu Herrn Stadtler gekommen. Hier<br />
habe <strong>ich</strong> meine Lehre zum Baumwollkaufmann gemacht und m<strong>ich</strong> so<br />
langsam zur Privatsekretärin von Herrn Stadtler hochgearbeitet.<br />
39
Meinen Realschulabschluss habe <strong>ich</strong> in der Kornstraßenschule erworben<br />
und habe dann noch verschiedene Sprach- und Buchhaltungskurse neben<br />
meiner Lehre absolviert. Später kam noch ein halbjährl<strong>ich</strong>er EDV-Kurs<br />
hinzu und <strong>ich</strong> beherrsche neben den übl<strong>ich</strong>en Windowsanwendungen<br />
auch die Grundzüge der Programmierung in VBA und QBasic und ein<br />
ganz klein wenig html. Als Sprachen kann <strong>ich</strong> Ihnen Englisch und<br />
Französisch anbieten.<br />
Der meiste Schriftverkehr im Baumwollgeschäft wickelt s<strong>ich</strong> in Englisch<br />
ab.«<br />
Sie sah m<strong>ich</strong> fragend an.<br />
»Wie sieht es in Ihrem Privatleben aus? Sie fragten m<strong>ich</strong> vorhin nach<br />
einer Ehefrau, die <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t habe. Leben Sie in einer festen Beziehung?«<br />
»Nein, nach einer gescheiterten Beziehung, die <strong>ich</strong> sehr jung hatte,<br />
konnte <strong>ich</strong> bisher noch n<strong>ich</strong>t den Mann meiner Träume finden. Ich lebe als<br />
Single und wohne gle<strong>ich</strong> gegenüber der Weser in einer kleinen<br />
schnuckeligen Dachwohnung am Pauli De<strong>ich</strong>.«<br />
»Oh, wie schön. Mehr zum Krankenhaus oder mehr zur Brücke hin?«<br />
»Kennen Sie s<strong>ich</strong> dort aus?«<br />
»Ja, <strong>ich</strong> bin auch »Geelbehnscher«. Ich bin auch in der Neustadt groß<br />
geworden. Später habe <strong>ich</strong> dann aber in Walle gewohnt, daher wohl auch<br />
meine Verbundenheit zur Schifffahrt. Aber das scheint mir schon ewig her<br />
zu sein.«<br />
»Nun, so alt sind Sie dann aber auch n<strong>ich</strong>t«, empörte s<strong>ich</strong> Charlotte.<br />
»Mitunter ist man schon viel, viel älter, als das persönl<strong>ich</strong>e Alter aussagt.<br />
Und manchmal fühle <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> wie ein uralter Mann. Manchmal allerdings<br />
kommt bei mir auch noch der pubertäre Jüngling durch.«<br />
»Na hoffentl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t gerade jetzt«, neckte sie m<strong>ich</strong>.<br />
»Nein, im Moment kommt nur der hungrige Löwe in mir zum<br />
Vorschein. Wir sollten uns etwas zu Essen bestellen. Ich habe gerade<br />
gesehen, dass wunderbar duftendes Essen an den Nebentisch geliefert<br />
wurde. Sehen wir doch einfach in die Karte.«<br />
Wir vertieften uns und Charlotte wählte einen Salat mit<br />
Hähnchenbruststreifen und <strong>ich</strong> bestellte mir eine Portion Hammelkoteletts.<br />
Charlotte orderte jetzt auch ein Bier für s<strong>ich</strong>.<br />
Beim Essen unterhielten wir uns ungezwungen weiter und <strong>ich</strong> erfuhr bei<br />
dieser Gelegenheit, dass ihre damalige Beziehung an der Untreue Ihres<br />
Partners gescheitert war. Sie erwischte ihn in der gemeinsamen Wohnung<br />
mit ihrer besten Freundin. Seither waren allerdings ihre Beziehungen zu<br />
anderen Frauen ebenfalls stark getrübt.<br />
40
Sie fragte m<strong>ich</strong> ganz gerade heraus, wie <strong>ich</strong> es denn mit der Treue hielte<br />
und <strong>ich</strong> antwortete ihr: »Während meiner Ehe bin <strong>ich</strong> nie untreu gewesen.«<br />
»Und ist diese Ehe dann <strong>daran</strong> gescheitert, dass Ihre Frau Sie betrogen<br />
hat?«<br />
»Sie betrog m<strong>ich</strong> auf ganz andere Weise. Sie war n<strong>ich</strong>t mit einem<br />
anderen Mann oder einer Frau ins Bett gegangen, sondern sie hat das<br />
ganze Land verraten. Ich habe sie als Spionin für die damalige DDR<br />
entlarvt und sie leider im Kampf um ihre Pistole erschossen.«<br />
Sie murmelte leise: »Wie schreckl<strong>ich</strong>. Wie müssen Sie gelitten haben.«<br />
»Ja, <strong>ich</strong> bin fast zerbrochen <strong>daran</strong>. Ich wurde zum Säufer, zum haltlosen<br />
Stück Dreck, der nur noch eins konnte: S<strong>ich</strong> selbst durch diese Droge zu<br />
zerstören. Vanessa hat es fast geschafft m<strong>ich</strong> ebenfalls in die Unterwelt zu<br />
befördern, aber <strong>ich</strong> wurde Gott sei Dank von einem Freund aufgefangen.<br />
Durch ihn erst bin <strong>ich</strong> zum Entzug gekommen und durch ihn bin <strong>ich</strong> zu<br />
meinem jetzigen Beruf gekommen. Ich bin schon durch so viel tiefste Täler<br />
geschritten, wie man es s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t vorstellen kann, aber <strong>ich</strong> bin jetzt wieder<br />
auf Meeresspiegelhöhe angelangt und kann anfangen die Berge zu<br />
erklimmen.«<br />
»Und Sie sind n<strong>ich</strong>t verbittert und wollen s<strong>ich</strong> jetzt n<strong>ich</strong>t mit Ihrer<br />
Macht, die es ja s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> darstellt, wenn man in anderer Angelegenheiten<br />
herumstochern darf, n<strong>ich</strong>t an der Menschheit rächen?«<br />
»Nein, ganz im Gegenteil. Ich möchte nur erre<strong>ich</strong>en, dass es auf dieser<br />
Welt ein wenig gerechter zugeht und die Menschen die Gesetze besser<br />
achten. N<strong>ich</strong>t nur die Gesetzte, die in den Gesetzesbüchern stehen, sondern<br />
auch die Gesetze der allgemeinen Menschl<strong>ich</strong>keit. Das ist mein Ziel und<br />
wenn Sie möchten, können Sie mir dabei helfen.«<br />
»Ich will es versuchen.«<br />
»Dann sollten wir uns wohl auch einmal über Ihr Gehalt unterhalten.«<br />
»Ich bekomme im Moment DM 3.500,00 und damit bin <strong>ich</strong> zufrieden.<br />
Könnten Sie mir das auch bezahlen?«<br />
»Ich zahle freiwillig DM 5.000,00 und einen Prozentsatz von den<br />
Prämien, die wir erwirtschaften. Feste Arbeitsstunden gibt es n<strong>ich</strong>t. Wir<br />
arbeiten, wenn wir arbeiten müssen und dann spielt es keine Rolle, ob der<br />
Tag acht, neun oder vierundzwanzig Stunden Arbeit bringt. Nach diesen<br />
Kriterien wird auch bei meinem Lebensretter und Freund Wiesel in Bad<br />
Homburg gearbeitet. Dort erfolgt auch die Einarbeitung für d<strong>ich</strong> Charlotte.<br />
Und es soll auch bei diesem du bleiben, genau, wie <strong>ich</strong> ab sofort nur noch<br />
<strong>Teufel</strong> für d<strong>ich</strong> bin. Einverstanden?«<br />
»Einverstanden.«<br />
41
Sie hatte s<strong>ich</strong> erhoben und s<strong>ich</strong> vorgebeugt und gab mir einen le<strong>ich</strong>ten<br />
Kuss auf den Mund und sagte verschmitzt: »Damit die Brüderschaft auch<br />
besiegelt ist.«<br />
Danach fingen wir an Pläne zu schmieden, wie der Empfangsbere<strong>ich</strong><br />
unserer Agentur umgebaut werden sollte und <strong>ich</strong> erklärte ihr, wie man das<br />
in London gelöst hatte, damit Francis dort im Bere<strong>ich</strong> arbeiten konnte, ohne<br />
dass ihm Mandanten auf den Bildschirm sehen konnten. Sie brachte auch<br />
noch ein paar Ideen dazu ein. Später verabschiedeten wir uns vor der<br />
Baumwollbörse. Ich fuhr nach Haus und setzte m<strong>ich</strong> ans Ze<strong>ich</strong>enbrett. Um<br />
elf Uhr abends stand mein Grundriss mit sämtl<strong>ich</strong>en Umbauplänen. Ich<br />
betrachtete mir das Ganze noch eine kleine Weile und war zufrieden.<br />
Die Arbeit am Ze<strong>ich</strong>enbrett weckte in mir wieder die alte Lust am<br />
Pläneschmieden und ze<strong>ich</strong>nen.<br />
Ich konnte die späteren vollendeten Arbeiten schon im Geiste sehen und<br />
<strong>ich</strong> freute m<strong>ich</strong> darauf.<br />
Mit diesen euphorischen Gefühlen ging <strong>ich</strong> ins Bett.<br />
Im Bett liegend empfand <strong>ich</strong> noch den sanften Druck Charlottes Lippen<br />
auf meinen.<br />
6<br />
Detailplanung<br />
Mitten in der Nacht wachte <strong>ich</strong> auf und spürte, wie mein Herz wieder<br />
raste. Mein Körper war mit kaltem Schweiß überzogen und eine<br />
schmerzhafte Erektion machte mir zu schaffen. Obwohl <strong>ich</strong> kein L<strong>ich</strong>t<br />
anmachte, schien mir der Raum taghell und in meinen Ohren klang das<br />
hämische Lachen von Angel Brentwood.<br />
Ich wusste schlagartig, dass zu dieser Stunde vor einem Jahr meine<br />
große Liebe zerbrochen war. Dass Angel mit ihren Tricks und mit Drogen<br />
Linda dazu brachte, s<strong>ich</strong> diesem Malcolm hinzugeben und geschwängert<br />
zu werden. Meine Schmerzen im Unterbauch verstärkten s<strong>ich</strong> und mein<br />
Verlangen nach dem Körper meiner Linda war unerträgl<strong>ich</strong>. Selbst als <strong>ich</strong><br />
den Fisch an meinem Hals berührte, ließ der Wunsch nach ihr n<strong>ich</strong>t nach.<br />
Ich muss geschrien haben, nur keiner hörte m<strong>ich</strong>. Erst als <strong>ich</strong> schon eine<br />
ganze Weile unter der kalten Dusche stand und <strong>ich</strong> langsam anfing zu<br />
bibbern ließ alles nach. Ich rubbelte m<strong>ich</strong> ab und war natürl<strong>ich</strong> hellwach.<br />
M<strong>ich</strong> wieder hinzulegen wäre Quatsch gewesen, denn eingeschlafen wäre<br />
<strong>ich</strong> bestimmt n<strong>ich</strong>t wieder.<br />
42
Ich zog mir einen Jogginganzug über und kochte mir in der Küche einen<br />
Kaffee und fing an meinen heutigen Tagesablauf genau zu planen. Dazu<br />
holte <strong>ich</strong> mir einen Schreibblock und schrieb die wirr durcheinander<br />
schießenden Gedanken auf. Schnell war eine ganze Seite vollgeschrieben.<br />
Als auch noch die zweite Seite fast vollständig mit Notizen gefüllt war,<br />
schenkte <strong>ich</strong> mir einen großen Becher ein und ging hinüber in mein Büro,<br />
um m<strong>ich</strong> an den Rechner zu setzen.<br />
Hier ordnete <strong>ich</strong> dann meine Notizen und brachte sie in einer Zeittabelle<br />
unter. Immer wieder verschob <strong>ich</strong> einzelne Zellen und eine gute Stunde<br />
später stand mein Ablaufplan für den heutigen Tag. Er würde mit meinem<br />
Besuch beim Ordnungsamt beginnen und m<strong>ich</strong> über die Telekom in<br />
verschiedene Bauhäuser und Büroeinr<strong>ich</strong>tungscenter führen. Eine<br />
Druckerei zum Drucken von Briefbögen und Visitenkarten war ebenfalls<br />
vorgesehen.<br />
Selbst ein Logo für die Agentur ließ <strong>ich</strong> mir einfallen und setzte es am<br />
Computer.<br />
Als Namen stellte <strong>ich</strong> mir vor:<br />
Agentur <strong>Teufel</strong><br />
Wirtschaftsermittlungen und Unternehmensberatung<br />
Wiesel versprach mir schon, m<strong>ich</strong> bei allen nationalen und<br />
internationalen Verbänden anzumelden. Als Referenzen konnte <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t<br />
nur ihn, sondern auch Wölbern, Sir John Bradley und Killroy aufweisen.<br />
Letztere vers<strong>ich</strong>erten mir schon, dass <strong>ich</strong> von ihnen als Partneragentur für<br />
den norddeutschen Raum eingesetzt werden sollte.<br />
Um sechs Uhr morgens waren dann sowohl den Briefbogen als auch die<br />
Visitenkarten so gesetzt und in pdf-Dateien gewandelt, dass sie jeder<br />
Drucker nach Einsetzen meiner neuen Telefonnummern sofort drucken<br />
konnte.<br />
Ich bereitete mir ein herzhaftes Frühstück und war schon um sieben Uhr<br />
mit all meinen Plänen in der Firma. Ich machte gestern mit Charlotte keine<br />
Zeit aus, wann sie in der Firma sein sollte und war sehr verwundert, dass<br />
sie schon eine halbe Stunde nach mir kam. Sie sah aus, als wenn sie n<strong>ich</strong>t<br />
besonders gut geschlafen hätte.<br />
Ich zeigte ihr die Pläne, die <strong>ich</strong> geze<strong>ich</strong>net hatte, und zeigte ihr auch den<br />
geplanten Tagesablauf. Sie sah ihn nur kurz durch und beschloss dann,<br />
welche Wege sie davon erledigen konnte.<br />
43
Ich sollte nur zunächst zum Ordnungsamt und zur Telekom. Sie würde<br />
dann die Druckerei, die ebenfalls hier in der Innenstadt war und die auch<br />
schon für Stadtler die Druckaufträge erledigte, übernehmen.<br />
Nachmittags wollten wir dann gemeinsam die Einr<strong>ich</strong>tungshäuser und<br />
Baumärkte besuchen.<br />
Obwohl <strong>ich</strong> schon um acht Uhr beim Ordnungsamt angekommen war,<br />
konnte <strong>ich</strong> es erst um 10 Uhr wieder verlassen. Es war wieder einmal ein<br />
Ritt auf dem Amtsschimmel gewesen, der auf jeder Rodeoveranstaltung<br />
das Glanzstück der Vorstellung gewesen wäre.<br />
Dass dieses noch eine Steigerung erfahren konnte, hätte <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t<br />
geglaubt. Aber die selbst ernannte Weltfirma, die für die<br />
Telekommunikation zuständig war, übertraf dann alles. Zwischendurch<br />
verließ <strong>ich</strong> laut schimpfend den Servicetreffpunkt und rief über Handy<br />
Wiesel an und bat ihn seinen Einfluss geltend zu machen. Ich nannte ihm<br />
die Namen der Damen und Herren, die hier in Bremen Service verkaufen<br />
sollten. Ich trank gegenüber schnell einen Kaffee und ging <strong>zurück</strong>. Die<br />
Verwandlung, die hier stattgefunden haben musste, war größer als <strong>ich</strong><br />
jemals erwartete.<br />
Plötzl<strong>ich</strong> war <strong>ich</strong> wirkl<strong>ich</strong> Kunde König und eine weitere Stunde später<br />
wusste <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t nur meine sämtl<strong>ich</strong>en neuen Telefonnummern, sondern<br />
bekam auch noch den Bescheid, dass am nächsten Morgen Punkt acht Uhr,<br />
die Techniker des Unternehmens in unserem Büro bzw. unserem Keller<br />
sein würden, um die notwendigen Leitungen zu schalten. Man bedachte<br />
m<strong>ich</strong> mit Kratzfüßchen hier und Kratzfüßchen dort, aber <strong>ich</strong> glaube n<strong>ich</strong>t,<br />
dass <strong>ich</strong> neue Freunde gewonnen hatte.<br />
Wem, oder wo Wiesel Dampf machte, erfuhr <strong>ich</strong> nie.<br />
Charlotte gab nur noch unsere Haupttelefonnummer an die Druckerei<br />
weiter und sagte auch noch schnell die Kontonummer unseres neuen<br />
Geschäftskontos durch. Dies Konto r<strong>ich</strong>tete <strong>ich</strong> bei der Privatbank schräg<br />
gegenüber, bei der auch Charlottes Vater arbeitete, ein. Dort besaß <strong>ich</strong><br />
schon seit Jahren mein Privatkonto, auf dem naturgemäß in den letzten<br />
Jahren nur wenig Umsatz gewesen war. Wir fuhren los, um unseren<br />
Einkaufsbummel zu machen und Charlotte hatte eine gute Idee gehabt,<br />
denn sie lotste m<strong>ich</strong> nach etwas außerhalb, wo wir die Gelegenheit<br />
bekamen, alles unter einem Dach zu erledigen. Dies war n<strong>ich</strong>t nur ein<br />
Einr<strong>ich</strong>tungshaus, sondern eine ganze Einr<strong>ich</strong>tungsstadt.<br />
44
Bei allen Einkäufen legte <strong>ich</strong> Wert darauf, dass diese Gegenstände dort<br />
auf Lager waren, und bei der Menge, die wir einkauften, gelang es mir<br />
sogar den Verkäufer in der Sitzgarniturenabteilung dazu zu überreden,<br />
dass uns eine schwarze Ledergarnitur aus dem Ausstellungsprogramm am<br />
nächsten Tag geliefert werden konnte.<br />
Bis auf unseren halbrunden Empfangstresen, den wir uns vorstellten,<br />
bekamen wir wirkl<strong>ich</strong> alles. Ich konnte als Letztes sogar noch diverse<br />
Lebensmittel einkaufen, um eventuell am Abend ein Abendessen<br />
zuzubereiten.<br />
Als wir uns dann endl<strong>ich</strong> wieder in den Wagen setzten, stöhnten wir<br />
beide auf. Charlotte sagte:<br />
»Ich bin so kaputt. So erschlagen, wie schon lange n<strong>ich</strong>t mehr.«<br />
»Ich bin aber auch n<strong>ich</strong>t gerade als taufrisch zu beze<strong>ich</strong>nen.«<br />
Wir fuhren <strong>zurück</strong> in R<strong>ich</strong>tung Bremen und <strong>ich</strong> diskutierte mit ihr, wo<br />
wir denn wohl einen derartigen Empfangstresen herbekommen sollten.<br />
Denn es würde viel zu lange dauern, wenn uns ein Möbeltischler so etwas<br />
bauen würde. Vor allen Dingen wusste <strong>ich</strong> auch keinen, der es so nach<br />
meinen Wünschen hätte machen können. Die ehemaligen Innenausstatter,<br />
die für die Werft arbeiteten, waren inzwischen Pleite gegangen oder ganz<br />
abgewandert. Und es sollte Holz sein. Am besten E<strong>ich</strong>e, denn so war auch<br />
die Wandvertäfelung.<br />
Und <strong>ich</strong> wollte dieses Teil bis Anfang Januar, denn dann sollte die<br />
Einweihungsparty stattfinden.<br />
Ich bekam wirkl<strong>ich</strong> keine Idee mehr und <strong>ich</strong> brütete, während <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong><br />
in den Feierabendverkehr auf der Autobahn nach Bremen einreihte. Mir<br />
wollte wirkl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>ts einfallen, bis Charlotte neben mir plötzl<strong>ich</strong> laut<br />
auflachte.<br />
»Was ist dir. Warum musst du lachen, wenn wir ein Problem noch n<strong>ich</strong>t<br />
lösen konnten?«<br />
»Könntest du dir vorstellen, dass wir eine echte Kneipentheke dort<br />
hinstellen? Mit r<strong>ich</strong>tigen Barhockern und einem echten Zapfhahn? Mit<br />
Spülbecken und allem Drum und Dran?«<br />
Ich wäre fast in den Straßengraben gefahren und fragte sie, ob sie denn<br />
wohl noch ganz d<strong>ich</strong>t in ihrem Kopfe wäre.<br />
»Nein <strong>Teufel</strong>, das ist wirkl<strong>ich</strong> eine Idee. Dann wüsste <strong>ich</strong> wie wir unser<br />
Problem lösen könnten. Warum sollten wir n<strong>ich</strong>t etwas ganz Verrücktes in<br />
unserem Büro haben? Etwas, was wir auch sofort bekommen könnten?<br />
45
Warum sollen wir n<strong>ich</strong>t einem wartenden Klienten neben einem Kaffee aus<br />
den immer abgestandenen Filterautomaten ein frisch gezapftes Bier<br />
anbieten. Was, <strong>Teufel</strong>, spr<strong>ich</strong>t dagegen? Und die Maße würden fast<br />
stimmen. Fahr m<strong>ich</strong> nach Hause <strong>Teufel</strong>, die Idee scheint mir gut. Bitte!«<br />
»Na gut, können wir es uns ansehen?«<br />
»Ja, wir können. Du musst m<strong>ich</strong> nur nach Hause fahren. Mein Vermieter<br />
hat das gebaut. Es steht dort herum, weil sein Auftraggeber inzwischen<br />
pleite ist, und die Brauerei n<strong>ich</strong>t weiß unter welchem Motto die Kneipe, für<br />
die Theke ehemals gebaut wurde, eröffnet werden soll.«<br />
Ich fing m<strong>ich</strong> inzwischen wieder und begann zu lachen, als <strong>ich</strong> <strong>daran</strong><br />
dachte, dass <strong>ich</strong> ja auch in Amsterdam meinen Arbeitsplatz an einer<br />
Bartheke gehabt hatte und dass sogar äußerst w<strong>ich</strong>tige Unterlagen und<br />
Beweismittel offen in einem Ordner dort standen. Ledigl<strong>ich</strong> die<br />
Beschriftung »Barutensilien« täuschten über den wirkl<strong>ich</strong>en Inhalt hinweg.<br />
Außerdem war der Untertitel unseres Firmennamens doch schon darauf<br />
hinweisend: »Wirtschaftsermittlungen.«<br />
Jetzt war es Charlotte, die m<strong>ich</strong> ansah, als sei <strong>ich</strong> verrückt geworden und<br />
sagte: »<strong>Teufel</strong>, pass lieber auf den Verkehr auf, als d<strong>ich</strong> über m<strong>ich</strong> lustig zu<br />
machen.«<br />
Ich prustete r<strong>ich</strong>tig los und sagte nur: »Charlotte, <strong>ich</strong> lache n<strong>ich</strong>t über<br />
d<strong>ich</strong> und deinen Vorschlag. Ich lache nur über die Wortspielerei<br />
Wirtschaftsermittlungen und dann einen Kneipentresen. Und <strong>ich</strong> lache<br />
darüber, weil <strong>ich</strong> tatsächl<strong>ich</strong> an einer Bar in einem holländischen Hotel,<br />
meinen sogenannten Arbeitsplatz besaß. Und <strong>ich</strong> sehe jetzt schon die<br />
Ges<strong>ich</strong>ter meiner Gäste zur Einweihungsfeier.<br />
Ich weiß, dass viele meiner Bekannten sofort sagen werden: »Typisch<br />
<strong>Teufel</strong>.« und daher werden wir uns das Ding jetzt ansehen.«<br />
Der Tischlermeister sah uns verwundert an, als Charlotte ihm sagte, dass<br />
wir seine Theke eventuell in einem Büro als Empfangstheke aufbauen<br />
wollten, und fragte sie vorwurfsvoll: »Und Sie wollen m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t auf den<br />
Arm nehmen, Frau Hansen?«<br />
»Zeigen Sie uns erst einmal Ihr Prachtstück. <strong>Wenn</strong> es passen sollte, und<br />
der Preis stimmt, nehmen wir es, wenn n<strong>ich</strong>t, hat es auch keinem<br />
geschadet, dass wir es angesehen haben, oder«, sagte <strong>ich</strong> ihm.<br />
Er war zwar immer noch skeptisch, aber er führte uns in die hinter dem<br />
Haus liegende Werkhalle. Und hier war sie aufgebaut.<br />
Ich verliebte m<strong>ich</strong> sofort in dieses wunderbar gearbeitete Prachtstück<br />
aus E<strong>ich</strong>enholz.<br />
46
Es war halbrund und besaß einen anschließenden Winkel, in dem die<br />
Spüleinr<strong>ich</strong>tung untergebracht war. Drei wunderbar beschnitzte Pfeiler<br />
dienten als Stütze für das Flaschenbord und die Beleuchtungseinr<strong>ich</strong>tung<br />
über dem Halbrund. Als S<strong>ich</strong>tschutz des Flaschenbordes waren Spiegel<br />
eingebaut. Die störten m<strong>ich</strong>, aber es war s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> eine Kleinigkeit diese<br />
durch entsprechende Holzverschalung zu ersetzen. Und sofort bekam <strong>ich</strong><br />
auch die Idee, dass wir dort eine Überwachungskamera einbauen konnten.<br />
Die Spüle und der Arbeitsbere<strong>ich</strong>, wo die Zapfanlage eingebaut werden<br />
sollte, waren mit Kupferblech ausgeschlagen. <strong>Wenn</strong> wir n<strong>ich</strong>t wirkl<strong>ich</strong> eine<br />
Zapfanlage dort einbauen wollten, war es s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> keine große<br />
Schwierigkeit die Öffnungen zu verschließen.<br />
Der Holzton war etwas heller als unsere schon nachgedunkelten<br />
Wandverkleidungen und <strong>ich</strong> fragte den Meister, ob er Mögl<strong>ich</strong>keiten sehe,<br />
den Ton künstl<strong>ich</strong> altern zu lassen und ob er mir die genauen Maße geben<br />
könnte.<br />
Er griff nur hinter den Tresen und holte seine Ze<strong>ich</strong>nung dazu heraus<br />
und sagte: »Hier sind alle Maße in der Ze<strong>ich</strong>nung. Und die Färbung des<br />
Holzes kann <strong>ich</strong> mit einer Ölbehandlung schnell dunkler hinbekommen.<br />
Sie heller zu machen wäre wesentl<strong>ich</strong> schwieriger.«<br />
Ich sah mir die Maße an und wusste sofort, wie wir dieses Gebilde in<br />
unseren Empfangsraum stellen konnten. Es würde einzigartig sein.<br />
Ich grinste still in m<strong>ich</strong> hinein und sinnierte einen kleinen Augenblick<br />
voller stiller Vorfreude auf die Ges<strong>ich</strong>ter von Bradley und Wiesel und als<br />
<strong>ich</strong> mir vorstellte, wie die großbusige Glenn Hoddel aus New York mit<br />
engem Pullover dahinter stand, um Besucher mit Getränken zu versorgen,<br />
grinste <strong>ich</strong> ganz offen. Der Meister und auch Charlotte interpretierten dies<br />
falsch und der Meister fragte: »Jetzt ist mein Traum wohl endgültig vorbei,<br />
diese langwierige Arbeit doch noch verkaufen zu können, oder?«<br />
»Guter Mann, was soll das Ding den kosten?«<br />
»Ja, das müsste <strong>ich</strong> denn wohl noch einmal rechnen. Da steckt ja eine<br />
ganze Menge Arbeit drin.«<br />
»Vergessen Sie Ihre Arbeitszeit. Die bekommen sie erst recht n<strong>ich</strong>t<br />
herein, wenn dies Ding bei Ihnen herumsteht. Außerdem nimmt es Ihnen<br />
hier noch einen ganzen Haufen Platz weg, den Sie zur Fertigung anderer<br />
Sachen benötigen würden. Es wurde für ganz bestimmte Raumgrößen<br />
konzipiert und dass Sie eine weitere Kneipe finden, in die es hineinpassen<br />
würde, ist n<strong>ich</strong>t wahrscheinl<strong>ich</strong>. Also, was müssen Sie dafür haben, um es<br />
n<strong>ich</strong>t wieder in Einzelteile zerlegen zu müssen?«<br />
»Ja, aber..«<br />
47
»Kein ja aber, machen Sie mir einen vernünftigen Preis und <strong>ich</strong> sage ja<br />
oder nein.«<br />
Während er noch überlegte, war <strong>ich</strong> noch einmal um das ganze Gebilde<br />
herumgegangen und stellte erneut fest, dass es hervorragend verarbeitet<br />
war, nur <strong>ich</strong> war mir n<strong>ich</strong>t im Klaren, wie er das ganze Ding wohl<br />
transportieren wollte, bis <strong>ich</strong> dahinter kam, dass es wunderbar aneinander<br />
angepasste Einzelteile waren. Es war wirkl<strong>ich</strong> eine superverarbeitete<br />
Angelegenheit.<br />
Ich sah n<strong>ich</strong>t, dass Charlotte ihm ein Ze<strong>ich</strong>en mit dem Daumen machte,<br />
was andeutete, dass er den Preis wirkl<strong>ich</strong> niedrig ansetzen sollte. Jetzt<br />
sagte der Mann gequält: »Dreitausend, aber ohne Kühlaggregat und ohne<br />
Zapfsäule.<br />
Und wenn Sie noch Veränderungen <strong>daran</strong> haben wollen, kostet es die<br />
Stunden, die <strong>ich</strong> damit zubringen muss, extra.«<br />
»Dreitausend mit Kühlaggregat und zwei Flascheneinschubfächern,<br />
ohne Zapfsäule, und ohne die Fußstütze und oben die Spiegel werden<br />
entfernt und durch Holz ersetzt. Neben der Mittelsäule werden jeweils<br />
links und rechts Bohrungen im Durchmesser von 25 Millimeter gesetzt.<br />
Lieferung morgen früh 9 Uhr, Baumwollbörse Zimmer 307, gegen<br />
Barzahlung, einverstanden?«<br />
Der Mann schluckte hörbar und murmelte dann: »Einverstanden.«<br />
Ich re<strong>ich</strong>te ihm die Hand und wir besiegelten den Handel per<br />
Handschlag.<br />
»Das Nachdunkeln können Sie ja s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> bei uns machen, dann wissen<br />
Sie auch besser den Farbton, weil diese Bar s<strong>ich</strong> in den Raum einfügen soll,<br />
als stünde sie schon immer da. Die Stunden für den Aufbau und die<br />
Anpassung zahle <strong>ich</strong> Ihnen selbstverständl<strong>ich</strong>. So Charlotte, jetzt können<br />
wir Feierabend machen, wo wollen wir meine Lebensmittel verarbeiten?<br />
Hier bei dir oder lieber bei mir? Ich will heute für uns kochen.«<br />
»<strong>Wenn</strong> wir schon hier sind, sollten wir auch hier bleiben. <strong>Wenn</strong> es<br />
ausre<strong>ich</strong>end sein sollte, können wir ja Herrn Mansfeld einladen, später<br />
nach oben zu kommen und mit uns zu essen.«<br />
Das stellte <strong>ich</strong> mir allerdings ein wenig anders vor, aber warum sollte <strong>ich</strong><br />
protestieren.<br />
Wenig später war <strong>ich</strong> in ihrer kleinen aber gut ausgestatteten Küche in<br />
Hemdsärmeln dabei zu brutzeln. Ich machte m<strong>ich</strong> nur schnell kundig, wo<br />
sie die benötigten Gewürze aufbewahrte und sah mir den Herd und den<br />
Backofen an und machte m<strong>ich</strong> dann <strong>daran</strong>, das Gemüse zu putzen.<br />
Charlotte sah mir neugierig zu und wunderte s<strong>ich</strong>, wie schnell und<br />
gekonnt <strong>ich</strong> arbeitete.<br />
48
Als <strong>ich</strong> das Fenster öffnete und meinen Salat dort in einem<br />
Küchenhandtuch trocken schleuderte, wollte sie s<strong>ich</strong> ausschütten vor<br />
Lachen. Und als <strong>ich</strong> das Kuchenblech mit Paniermehl bestreute und es als<br />
Pfanne für meine Schollen benutzte, wollte sie es n<strong>ich</strong>t glauben. Als <strong>ich</strong> ihr<br />
nach einer halben Stunde sagte, dass sie schon den Tisch decken können<br />
und Mansfeld rufen, verstand sie die Welt n<strong>ich</strong>t mehr.<br />
Später beim Essen sagte sie dann: »<strong>Teufel</strong>, <strong>ich</strong> habe noch nie einen Mann<br />
so wirkungsvoll in der Küche beobachten können. Du hast ein<br />
wunderbares Mahl gezaubert.«<br />
Auch Mansfeld war begeistert. Er steuerte auch den Wein dazu bei und<br />
<strong>ich</strong> musste zugeben, dass er wunderbar dazu passte.<br />
Es war ein wirkl<strong>ich</strong> gelungener Abend und als Mansfeld und <strong>ich</strong> uns<br />
verabschiedeten, ging der schon voran und Charlotte lehnte s<strong>ich</strong> ganz kurz<br />
an m<strong>ich</strong> und gab mir wieder einen ganz scheuen Kuss auf den Mund und<br />
sagte dann: »Bis Morgen, <strong>Teufel</strong>. Komm gut nach Hause.«<br />
Von dort aus telefonierte <strong>ich</strong> dann noch mit Wiesel und bat ihn darum<br />
mein neues Firmenkonto aufzufüllen, damit <strong>ich</strong> am nächsten Morgen auch<br />
alles bezahlen konnte. Er sagte mir zu, die elektronische<br />
Zahlungsanweisung sofort fertig zu machen.<br />
Danach fing <strong>ich</strong> dann an all die Dinge zusammenzutragen, die <strong>ich</strong> am<br />
nächsten Morgen mit ins Büro nehmen wollte. Es kam einiges zusammen<br />
und <strong>ich</strong> lud es schon in meinen Passat.<br />
Ich dachte darüber nach, ob <strong>ich</strong> Benny und Tiffert hier mit bei mir in der<br />
Wohnung unterbringen konnte, aber war zum Schluss gelangt, dass sie im<br />
Hotel gegenüber der Baumwollbörse doch wohl besser aufgehoben waren.<br />
Ich machte noch die Reservierung der beiden Zimmer und dann legte <strong>ich</strong><br />
m<strong>ich</strong> schlafen und hoffte heute durchschlafen zu können. Auch heute<br />
wieder spürte <strong>ich</strong> den sanften Kuss Charlottes und schloss die Augen.<br />
7<br />
Die Umbauten<br />
Ich schlief gut durch und erst der Wecker warf m<strong>ich</strong> um sieben Uhr in<br />
der Frühe heraus. Ich duschte und frühstückte schnell und fuhr in die<br />
Firma. Charlotte war schon da und <strong>ich</strong> zeigte ihr wie <strong>ich</strong> die Bar im<br />
Empfangszimmer integrieren wollte. Dazu musste uns Mansfeld die eine<br />
Tür des Büroschrankes, der die ganze Wand einnahm in Höhe der Bar<br />
durchtrennen, damit wir einen Teil der Spüle in die Schrankfläche stellen<br />
konnten.<br />
49
Den unteren Teil des Schrankes würden wir dadurch verlieren, aber das<br />
war n<strong>ich</strong>t tragisch, denn Stauraum gab es sonst genügend. Wir mussten<br />
nur den Schrank endgültig ausräumen. Dieser Teil enthielt sowieso nur<br />
Kopierpapier und einige Tonerkartuschen für den Kopierer. Es war schnell<br />
umgeräumt.<br />
Charlotte trug heute Jeans und einen dunkelgrünen Pullover und als sie<br />
s<strong>ich</strong> bückte, um die Tonerkartuschen im nächsten Fach unterzubringen,<br />
konnte <strong>ich</strong> erstmals ihre fraul<strong>ich</strong>e Figur bewundern. Was s<strong>ich</strong> dort unter<br />
der s<strong>ich</strong> spannenden Jeans verbarg, war absolut sehenswert.<br />
Ich muss wohl sehr intensiv gestarrt haben, denn plötzl<strong>ich</strong> drehte sie<br />
s<strong>ich</strong> zu mir um und meinte: »Du solltest keine Zeit vertrödeln, um auf<br />
meinen Hintern zu starren, sondern mir die schweren Papierkartons<br />
anre<strong>ich</strong>en.«<br />
»So viel Zeit, dass <strong>ich</strong> d<strong>ich</strong> bewundern darf, muss einfach sein«, und<br />
während <strong>ich</strong> ihr die geforderten Kartons zure<strong>ich</strong>te, meinte <strong>ich</strong>, »du siehst<br />
wirkl<strong>ich</strong> umwerfend aus. Da wird Tiffert ganz aus dem Häuschen sein und<br />
Benny wird trotz seiner großen Liebe zu Samantha glotzen, dass ihm die<br />
Augen aus dem Kopf fallen.«<br />
»<strong>Teufel</strong>, was kennst du schon wieder für Lustmolche und was wollen<br />
die von uns?«<br />
»Die modernste Technik, die es momentan gibt, hier einbauen. Damit<br />
wir es noch ein wenig le<strong>ich</strong>ter haben. Sie sind die besten Leute auf diesem<br />
Gebiet und haben mir schon einige Male das Leben gerettet. Und beide<br />
sind keine Lustmolche, sondern nur Männer, die die Schönheit einer Frau<br />
wirkl<strong>ich</strong> wahrnehmen, und n<strong>ich</strong>t nur weil sie mit ihr ins Bett hüpfen<br />
wollen.«<br />
»Du hast aber eben einen ganz schön lüsternen Blick gehabt.«<br />
»Kein Wunder, meine Liebe. Du hast auch einen sehr anregenden<br />
Anblick geboten. Aber jetzt lass m<strong>ich</strong> lieber sehen, wo die elektrischen<br />
Leitungen verlaufen und m<strong>ich</strong> überlegen, wo wir aus diesem Schrank<br />
heraus eine Wasserleitung für die Spüle herbekommen können. Ich sehe<br />
mir noch einmal die Pläne an.«<br />
Ich hatte es r<strong>ich</strong>tig im Kopf gehabt, denn wir brauchten nur wenige<br />
Meter Rohr um eine Verbindung zu meinem kleinen Privatduschraum und<br />
zur Toilette zu verlegen. Ich berechnete schnell den Materialverbrauch und<br />
ging wieder <strong>zurück</strong>, um vom Charlottes Telefon aus einen Installateur<br />
anzurufen.<br />
Ich besah mir die alte Telefonzentrale und musste schmunzeln. Sie war<br />
total überaltert und nahm insgesamt vier Schrankfächer für s<strong>ich</strong> ein.<br />
50
Durch die Erneuerung würden wir sehr viel Platz gewinnen. Ich besah<br />
mir sehr genau, wo die Telekom mit ihren Anschlüssen hereinkam, denn<br />
dort in der Nähe wollte <strong>ich</strong> auch die ISDN-Anschluss-Dose haben. Ich<br />
markierte die Stelle mit einem roten X, das <strong>ich</strong> mit einem Marker malte.<br />
Falls der Telekomtechniker während meiner kurzen Abwesenheit, in der<br />
<strong>ich</strong> hinüber zur Bank huschen wollte, anfangen wollte, konnte Charlotte<br />
ihm den gewählten Standpunkt zeigen.<br />
Aber das war n<strong>ich</strong>t nötig, denn erschien in dem Augenblick. Er besah<br />
s<strong>ich</strong> das alte Wirrwarr der Kabelzuführungen und sagte nur:<br />
»Hoffentl<strong>ich</strong> haben die vorne im Hauptstrang überhaupt noch genügend<br />
freie Leitungen. Denn schon, als die Bankfiliale hier hereinkam, mussten<br />
wir etl<strong>ich</strong>e von den Leitungen dorthin weiterverlegen.«<br />
»<strong>Wenn</strong> es gar n<strong>ich</strong>t anders geht, können Sie die vorhandenen Leitungen<br />
hierher, bis auf die Hauptrufnummer umklemmen. Wie werden die<br />
Leitungen denn aus dem Keller hier in die einzelnen Stockwerke<br />
gebracht?«<br />
»Sie verlaufen in den Paternosterschächten und werden von dort aus zu<br />
einem Verteiler hier im Flur gebracht. Ich zeige Ihnen das gle<strong>ich</strong>. Verstehen<br />
Sie etwas davon?«<br />
»Ich bin in der Firma Siemens zum Kommunikationstechniker<br />
ausgebildet worden.«<br />
»Dann sind Sie ja Fachmann und <strong>ich</strong> brauche Ihnen nur das Nötigste<br />
über den Leitungsplan des Hauses hier erzählen.«<br />
»Haben Sie die Pläne dabei? Dann könnte <strong>ich</strong> sie hier kopieren und wir<br />
könnten dann mit Ihnen zusammen die Arbeiten vornehmen. Nachher<br />
kommen noch zwei Kollegen von Siemens, die hier etl<strong>ich</strong>es verändern<br />
wollen.«<br />
»Gut, <strong>ich</strong> will jetzt nur Ihren alten Hauptanschluss hier im Verteiler<br />
suchen. Können Sie ihn mir hier an der Anlage zeigen?«<br />
Ich zeigte ihm die Leitung und er hängte seinen Sender in die Leitung<br />
um einen Dauerton zu erzeugen, den er dann am Schaltkasten wieder<br />
finden konnte. Das ging n<strong>ich</strong>t anders, weil die ehemaligen Beschriftungen<br />
im Schaltschrank hier auf dem Flur längst verbl<strong>ich</strong>en waren. Nur die ganz<br />
neuen Leitungen, die für dieses Stockwerk und die Bank verlegt waren,<br />
konnten noch entziffert werden. Er machte s<strong>ich</strong> an die Suche und <strong>ich</strong> ging<br />
hinüber zur Bank. Unten im Eingang traf <strong>ich</strong> Mansfeld, der mit einem<br />
Mitarbeiter dabei war, die Barteile in den Eingangsflur zu schaffen. Seinen<br />
Lieferwagen parkte er abenteuerl<strong>ich</strong> vor dem Eingang.<br />
51
Die Schwierigkeiten, die er mit der Polizei bekommen würde, waren<br />
vorprogrammiert, wenn er es n<strong>ich</strong>t schaffte, den Wagen schnellstens hier<br />
zu entfernen.<br />
Ich stellte mir jetzt schon vor, welche Schwierigkeiten später der<br />
Möbelwagen des Einkaufszentrums haben würde, wenn er hier ausladen<br />
musste.<br />
Als <strong>ich</strong> mit einer Menge Bargeld wieder aus der Bank kam, sah <strong>ich</strong> schon<br />
den Kleintransporter der Firma Siemens, der langsam die Wachtstraße<br />
herunter kam. Tiffert war auf der Suche nach einem geeigneten Parkplatz.<br />
Ich musste grinsen, als <strong>ich</strong> sah, dass es Benny war, der am Steuer saß.<br />
Entweder erwarb er jetzt endl<strong>ich</strong> seinen Führerschein, oder Tiffert ließ ihn<br />
wieder einmal ohne dieses Papier fahren. Ich winkte ihnen zu und leitete<br />
sie an die Rückseite des Hauses zur Einfahrt des Parkhauses. Ich wusste,<br />
dass sie keine so sperrigen Sachen transportierten und die konnten wir aus<br />
dem Parkhaus direkt hinübertragen. Ich hoffte nur, dass wir einen<br />
Parkplatz in der dritten Etage, nahe dem Übergang zum Bürohaus finden<br />
konnten. Ich dachte heute Morgen bei meiner eigenen Einfahrt n<strong>ich</strong>t <strong>daran</strong><br />
und war auf den Firmenparkplatz gefahren und der war am anderen Ende<br />
der Parkfläche. Jetzt verwünschte <strong>ich</strong> das, denn wenn <strong>ich</strong> gle<strong>ich</strong> neben dem<br />
Übergang ungeschickt auf zwei Plätzen gestanden hätte, wäre das Problem<br />
jetzt gelöst.<br />
Aber wir besaßen dennoch Glück. Wir stellten uns auf den breiten<br />
Behindertenparkplatz direkt neben dem Übergang. <strong>Wenn</strong> dieser Platz<br />
später gebraucht wurde, konnten wir umrangieren. Wir wollten ja nur die<br />
Sachen auspacken, die sie mitbrachten und dann konnten wir uns einen<br />
geeigneteren Platz zum endgültigen Parken suchen.<br />
Ich war nur mit zu den Beiden in die Fahrerkabine gehuscht, nachdem<br />
<strong>ich</strong> sie zum Parkhauseingang lotste und als wir jetzt aus dem Wagen<br />
stiegen, begrüßten wir uns mit Umarmung. Danach machten wir uns<br />
<strong>daran</strong>, alles ins Bürogebäude zu tragen. Es dauerte aber fast eine halbe<br />
Stunde, bis die Sachen in den Flur drüben getragen waren. Benny fuhr den<br />
Wagen auf einen ordentl<strong>ich</strong>en Parkplatz und kam mit Tifferts und seinem<br />
Koffer wieder zu unserem Berg Technik.<br />
Bei einer ehemaligen Konkurrenzfirma Stadtlers lieh <strong>ich</strong> mir zwei<br />
Sackkarren aus und damit schafften wir den Berg in das neue Büro. Als wir<br />
hineinkamen, staunte <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t schlecht. Mansfeld war es in der<br />
Zwischenzeit gelungen alle Barteile schon hierher zu bringen und war<br />
eifrig dabei alles wieder zusammenzubauen. Es war schon klar zu<br />
erkennen, was es später sein würde.<br />
52
Als Tiffert und Benny das sahen, prusteten sie beide sofort vor Lachen<br />
los. Der alte Tiffert hüpfte von einem Bein aufs andere und hielt s<strong>ich</strong> den<br />
Bauch vor Lachen. Charlotte stand im Durchgang zu den anderen Büros<br />
und sah s<strong>ich</strong> das Bild der lachenden Männer verwundert an.<br />
Tiffert bekam nur prusten heraus: »Typisch, <strong>Teufel</strong>. Ich hätte es wissen<br />
müssen, das nur er so eine verrückte Idee haben könnte.«<br />
»Denkste, Tiffert. Der Ideengeber steht dort im Gang und weiß n<strong>ich</strong>t was<br />
er von deinem Gegröle halten soll. Darf <strong>ich</strong> dir vorstellen: »Meine<br />
Sekretärin Charlotte Hansen, und diese albernen Kerle sind Tiffert und<br />
Benny, die s<strong>ich</strong>, wenn es um Technik geht, noch viel verrücktere Dinge<br />
einfallen lassen, als eine Bar als Empfangsschalter.«<br />
Charlotte war herüber gekommen und begrüßte die Beiden mit<br />
Handschlag. Wie <strong>ich</strong> erwartete, fielen Benny fast die Augen aus dem Kopf<br />
und auch Tiffert wurde plötzl<strong>ich</strong> galant. Ich grinste nur vor m<strong>ich</strong> hin, als<br />
<strong>ich</strong> <strong>daran</strong> dachte, dass Charlotte nun die »Lustmolche« kennengelernt<br />
hatte.<br />
Dann drängte <strong>ich</strong> zur Eile, denn wir wollten unsere technische<br />
Ausrüstung schon hier in den Räumen gelagert haben, wenn die anderen<br />
Möbel kamen. Und die konnten jeden Moment hier angeliefert werden.<br />
Mit den Sackkarren war es keine große Schwierigkeit die Sachen schnell<br />
hierher zu verfrachten und wir lagerten das meiste im großen Raum, wo<br />
auch noch mein Grundrissplan auf dem Tisch lag.<br />
Ich wunderte m<strong>ich</strong>, dass <strong>ich</strong> den Telekomtechniker n<strong>ich</strong>t auf dem Flur<br />
sah, aber der Sender immer noch an der Telefonleitung hing. Ich fragte<br />
Charlotte danach und sie sagte nur: »Der ist fluchend hier<br />
hereingekommen und sagte, das könne alles gar n<strong>ich</strong>t sein. Im Verteiler<br />
wäre die Leitung n<strong>ich</strong>t zu finden gewesen. Er ist dann wieder hinaus.«<br />
Tiffert ging an die alte Telefonzentrale und besah s<strong>ich</strong> interessiert, was<br />
hier wie geschaltet war und besah s<strong>ich</strong> auch die Kabel, die aus der Wand<br />
kamen und meinte trocken: »Der Mann kann n<strong>ich</strong>t sehr gut ausgebildet<br />
sein. Er hätte sofort sehen müssen, dass dies Kabel der Deutschen Post sind<br />
und die kommen grundsätzl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t aus Verteilerkästen. Dieses Kabel<br />
führt direkt in die nächste Vermittlungsstelle. Den Ausgang muss er ein<br />
paar Kilometer entfernt suchen. <strong>Teufel</strong>, das hättest du auch sehen müssen.<br />
Was hast du eigentl<strong>ich</strong> bei mir gelernt?«<br />
»N<strong>ich</strong>ts über die ehemals angewandten Praktiken der Deutschen Post«,<br />
war meine prompte Antwort, »die hättest du mir aber als mein Ausbilder<br />
beibringen müssen!«<br />
Tiffert grinste m<strong>ich</strong> nur an: »Um eine Antwort warst du noch nie<br />
verlegen«, und an Benny gewandt meinte er,<br />
53
»Benny vielle<strong>ich</strong>t kannst du den armen Menschen von der Telekom<br />
irgendwo im Keller finden. Kläre ihn über seine Unkenntnis auf und bring<br />
ihn einfach wieder mit hierher.«<br />
Benny meinte nur: »Ob <strong>ich</strong> wohl Paternoster fahren darf?«<br />
Tiffert vertiefte s<strong>ich</strong> in den Plänen, die der Telekomtechniker hier auf<br />
dem Tisch liegen ließ und <strong>ich</strong> wurde von Charlotte gerufen, weil die Möbel<br />
angeliefert wurden.<br />
Ich machte mir über die Parkmögl<strong>ich</strong>keiten des Lasters zu viele<br />
Gedanken, denn Sie durften auf einer Sonderstellfläche der Tankstellen<br />
innerhalb des Parkhausareals stehen und konnten von dort aus sogar einen<br />
Lastenaufzug benutzen, der mir bis dahin unbekannt gewesen war.<br />
Meine geliehenen Sackkarren konnte <strong>ich</strong> wieder <strong>zurück</strong>bringen, denn<br />
die Möbeltransporteure waren moderner ausgerüstet und brachten die<br />
größeren Stücke mit einem kleinen Gabelstapler heran.<br />
In der nächsten halben Stunde war ungeheure Hektik in unseren<br />
Räumen, denn ständig kam oder verließ jemand unser Büro. Der<br />
Installateur ließ s<strong>ich</strong> im kleinen Badezimmer häusl<strong>ich</strong> nieder und bastelte<br />
dort an der Rohrleitung. Die Sitzgarnitur für den Empfang wäre fast n<strong>ich</strong>t<br />
in den Raum gegangen, weil die Bar schon so weit in den Raum ragte, dass<br />
es keine vernünftige Mögl<strong>ich</strong>keit gab, die Couch so zu drehen, dass sie an<br />
den vorgesehenen Platz geschafft werden konnte. Erst als Mansfeld sagte:<br />
»Hochkant geht es bestimmt«, fasten wir alle mit an und transportierten<br />
die Couch an ihren Bestimmungsplatz.<br />
Erst als alles stand, einschließl<strong>ich</strong> einer modernen Espresso-Kaffee-<br />
Maschine, die gerade in eines der Schrankfächer passte, das gle<strong>ich</strong> neben<br />
der Spüle war, <strong>kehrt</strong>e wieder ein wenig Ruhe ein. Ich schrieb meinen<br />
Scheck und die Männer des Einr<strong>ich</strong>tungshauses waren wieder<br />
verschwunden. Ein halber Kasten Wasser war auch schon wieder leer.<br />
Benny, Tiffert und der Telekomtechniker krochen inzwischen im Keller<br />
herum und auch Mansfeld besah s<strong>ich</strong> sein Wunderwerk an<br />
Handwerkskunst noch einmal kritisch. Er sägte auch schon die<br />
Schranktüren so, dass die Kaffeemaschine n<strong>ich</strong>t hinter der Tür verschwand<br />
und auch kein Hitzestau dahinter entstehen konnte.<br />
Das herausgesägte Türstück hielt er gegen die Holzteile der Bar und<br />
betrachtete es lange, bevor er an seinen Werkzeugkasten ging und eine<br />
Dose und einen Pinsel herausnahm. Sein Geselle bekam eine weitere Dose<br />
in die Hand gedrückt und beide str<strong>ich</strong>en die Farbe oder das Öl über das<br />
Holz. Sie arbeiteten wirkl<strong>ich</strong> geschickt und <strong>ich</strong> bewunderte das.<br />
54
Ich muss wohl mit meinen Gedanken in die Vergangenheit gerutscht<br />
sein, als <strong>ich</strong> ihnen zusah, wie sie das Holz bearbeiteten.<br />
Ich sah m<strong>ich</strong> selbst, wie mir beigebracht wurde Bootslack in immer<br />
gle<strong>ich</strong>en Dicke auf das Holz zu bringen. Immer der gle<strong>ich</strong>e regelmäßige<br />
Druck des Pinsels und auch schon das Farbenaufnehmen in immer gle<strong>ich</strong>er<br />
Menge. Was musste <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> als Junge schinden den r<strong>ich</strong>tigen Schwung<br />
hinzubekommen. Aber <strong>ich</strong> wusste, <strong>ich</strong> konnte es noch immer.<br />
Ich riss m<strong>ich</strong> wieder aus meinen Betrachtungen und machte m<strong>ich</strong> <strong>daran</strong><br />
vom Stromverteiler in der Schrankwand eine Leitung zu verlegen. Von hier<br />
aus ließ <strong>ich</strong> es unter der Spüle hindurch an die Steckdose im unteren Teil<br />
der Bar laufen. Von hier verlief das Kabel dann innerhalb des ersten<br />
Holzpfeilers und konnte hier mit einem Kippschalter ein- und<br />
ausgeschaltet werden.<br />
Der Trafo für die Halogenstrahler war im ersten Fach des Flaschenfaches<br />
untergebracht.<br />
Mansfeld und sein Geselle machten gerade eine kleine Zigarettenpause,<br />
als <strong>ich</strong> das L<strong>ich</strong>t das erste Mal schaltete und das Ergebnis war umwerfend.<br />
Diese Theke sah wirkl<strong>ich</strong> gut aus. Und auch das Kühlaggregat war leise<br />
schnurrend angesprungen. Charlotte sollte einen Getränkehändler anrufen<br />
und Wasser und Bier ordern. Ich unterschätzte sie aber völlig, denn drei<br />
Minuten später kamen die Getränke schon. Sie bestellte sie schon viel<br />
früher telefonisch. Und sie bestellte einiges mehr, als <strong>ich</strong> es getan hätte,<br />
denn es waren auch etl<strong>ich</strong>e Schnapsflaschen dabei. Ich räumte alles ein und<br />
fragte Mansfeld, ob er und sein Geselle ein Bier möchte. Sie mochten. Ich<br />
auch.<br />
Wenig später auch Tiffert, Benny und der Telekomtechniker. Sie<br />
verdienten es s<strong>ich</strong> auch, denn erstens standen alle Leitungen bis hier hoch<br />
und Tiffert hatte noch eine fantastische Idee gehabt. Unsere Datenleitungen<br />
schaltete er einfach auf die alten direkten Leitungen und die<br />
entsprechenden Stadtler-Leitungen auf die neuen hier im Schaltkasten im<br />
Flur.<br />
Sie wollten am Nachmittag dann die alte Anlage stilllegen und zwei<br />
neue Zentralen hier einr<strong>ich</strong>ten. Einmal meine neue ISDN-Anlage und zum<br />
Zweiten eine kleine handl<strong>ich</strong>e Analoganlage für die verbleibenden<br />
Leitungen von Stadtler. Benny machte s<strong>ich</strong> schon schlau, wo er auf dem<br />
Dach unsere Satellitenschüssel setzen konnte, ohne das Hausbild zu<br />
verschandeln. Er fand außerdem noch einen Weg, dorthin von hier aus<br />
eine Leitung zu ziehen. Das wollte er Morgen einr<strong>ich</strong>ten.<br />
Nachdem wir unsere Bierflaschen geleert hatten, machten wir mit<br />
unserer Arbeit weiter.<br />
55
Die Tischler bearbeiteten das Holz erneut und <strong>ich</strong> half Tiffert beim<br />
Abbau der alten Telefonanlage.<br />
Um kurz vor 14 Uhr gingen wir alle hinüber in das Speiserestaurant, wo<br />
Charlotte im Voraus für uns alle Labskaus bestellte. Es schmeckte auch den<br />
Berlinern, obwohl sie es erst skeptisch beäugten.<br />
Eine halbe Stunde später waren wir alle wieder an der Arbeit. Die<br />
Tischler bearbeiteten das Holz zum dritten Mal und wir schalteten die<br />
neuen Telefone und Faxleitungen. Die alten analogen Geräte standen<br />
ebenfalls noch auf den Tischen und konnten auch weiterhin betrieben<br />
werden. Weil das Wetter schön war und Benny noch genügend Helligkeit<br />
zur Verfügung stand, war er schon aufs Dach geklettert und brachte die<br />
Schüssel dort an und justierte sie. Die Leitung würde er dann am nächsten<br />
Morgen folgen lassen.<br />
Nachdem sämtl<strong>ich</strong>e neuen Telefonleitungen angelegt waren und auch<br />
von der Telekom freigeschaltet waren, verabschiedete s<strong>ich</strong> der Techniker<br />
nach einer weiteren Flasche Bier von uns und sagte: »Es war toll mit euch<br />
zusammen zuarbeiten. Ich habe doch tatsächl<strong>ich</strong> noch eine Menge lernen<br />
können, und das ohne dafür zahlen zu müssen.«<br />
Dann bewunderten wir, was Mansfeld und sein Geselle gezaubert hatte<br />
im vollen L<strong>ich</strong>t. Es war fantastisch. Der Farbton des Holzes war jetzt genau<br />
wie der der alten Paneele und es sah wirkl<strong>ich</strong> so aus, als ob diese Bar schon<br />
seit Erstausstattung des Büros dort gestanden hätte.<br />
Wir waren mitten in unseren Bewunderungen, als die Tür s<strong>ich</strong> öffnete<br />
und Walter Stadtler in den Raum trat und s<strong>ich</strong> bewundernd umsah.<br />
»Das ist ja wirkl<strong>ich</strong> fantastisch. Wer ist denn auf diese tolle Idee<br />
gekommen?«<br />
»Charlotte und die Not, weil wir sonst n<strong>ich</strong>ts Passendes gefunden<br />
hätten. Und für die tolle Arbeit ist hier Herr Mansfeld zuständig«,<br />
antwortete <strong>ich</strong> ihm.<br />
»Und kann man <strong>daran</strong> auch etwas trinken«, fragte der alte Mann.<br />
»Was hätten Sie den gerne«, fragte Charlotte im Stile einer echten<br />
Barfrau.<br />
»Nen Bier und nen doppelten Wodka!«<br />
Stadtler wollte vom Glauben abfallen, als Charlotte nach unten griff und<br />
ein großes Schnapsglas aus einer eisbeschlagenen Flasche Wodka füllte<br />
und mit gekonnter Bewegung eine Bierflasche öffnete und in ein Bierglas<br />
schenkte und vor Stadtler hinstellte.<br />
56
»Ich kann´s n<strong>ich</strong>t glauben. Da bin <strong>ich</strong> zwei Tage n<strong>ich</strong>t da und schon<br />
verwandelt s<strong>ich</strong> mein Büro in eine Kneipe mit angeschlossenen<br />
Büromögl<strong>ich</strong>keiten. Es ist wirkl<strong>ich</strong> fantastisch.<br />
Dann passt ihr neues Schild aber wirkl<strong>ich</strong> hervorragend:<br />
»Wirtschaftsermittlungen«!«<br />
»Was für ein neues Schild?«<br />
»Na, Türschild natürl<strong>ich</strong>, was sonst. Und der Anschlag auf der Tafel im<br />
Erdgeschoss auf dem verze<strong>ich</strong>net ist, wer hier im Hause angesiedelt ist. Ist<br />
zwar noch ein Papieraufkleber drauf, der die Neueröffnung in Kürze<br />
aussagt, aber es ist schon da?«<br />
Ich muss zieml<strong>ich</strong> dumm dagestanden haben, denn Charlotte fing<br />
plötzl<strong>ich</strong> an, laut zu lachen. Sie brachte schon einen Schildermaler so weit,<br />
unser Türschild anzufertigen. Sie war wirkl<strong>ich</strong> für einige Überraschungen<br />
gut. Ich ging hinaus und bewunderte das polierte Messingschild neben<br />
unserer Tür. Es sah wirkl<strong>ich</strong> r<strong>ich</strong>tig edel aus.<br />
Ich kam <strong>zurück</strong> und ging direkt hinter die Theke und nahm die<br />
verdutzte Charlotte in den Arm und gab ihr einen dicken Schmatzer und<br />
sagte: »Du bist wirkl<strong>ich</strong> eine tolle Sekretärin. Danke.«<br />
Stadtler fing an zu k<strong>ich</strong>ern und meinte dann: »Ich wusste es, dass Sie<br />
Charlotte einfangen würden. Sie haben n<strong>ich</strong>t nur Gespür für tolle<br />
Arbeitskräfte, Sie haben außerdem auch einen guten Geschmack. Das habe<br />
<strong>ich</strong> schon bemerkt, nachdem <strong>ich</strong> Randy und Mareike kennengelernt habe.«<br />
Und Benny musste seinen Kommentar auch noch dazu geben: »Und<br />
meine Samantha ist auch seine Entdeckung.«<br />
»Nun ist aber genug«, mahnte <strong>ich</strong> alle, »wir sollten lieber die Herren hier<br />
im Hotel einchecken und dann gemeinsam Essen gehen.«<br />
»Du bist zu langsam, <strong>Teufel</strong>. Das Einchecken ist längst geschehen. Was<br />
glaubst du, wozu du eine Sekretärin hast«, grinste Charlotte m<strong>ich</strong> jetzt an.<br />
Stadtler k<strong>ich</strong>erte wieder und verabschiedete s<strong>ich</strong> dann und meinte nur:<br />
»Die Veränderungen hier im Büro kann <strong>ich</strong> mir am Montag ansehen. Ich<br />
wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.«<br />
Sprach´s und war verschwunden.<br />
Ich zahlte Mansfeld noch aus und setzte m<strong>ich</strong> auf unsere schöne neue<br />
Couch und sagte: »Feierabend.«<br />
»Ich will nur noch kurz die Gläser spülen, dann ist auch für m<strong>ich</strong><br />
Wochenende, oder brauchst du m<strong>ich</strong> noch, <strong>Teufel</strong>?«<br />
»Gläser spülen?«<br />
Ich vergaß den Installateur völlig. Er war längst fertig und die Zu- und<br />
Abwasserleitungen waren betriebsbereit.<br />
57
Charlotte unterschrieb seinen Stundenzettel und er würde eine<br />
Rechnung schicken.<br />
Das alles teilte mir Charlotte mit, als sie anfing die Gläser zu spülen und<br />
<strong>ich</strong> sagte ihr: »Doch Charlotte <strong>ich</strong> brauche d<strong>ich</strong> noch.«<br />
»Aber <strong>ich</strong> bin mit einer Bekannten drüben in der Gasthausbrauerei<br />
verabredet. Ab 18 Uhr wartet sie dort auf m<strong>ich</strong>.«<br />
Ich grinste Benny und Tiffert an und sagte nur: »Macht euch drüben<br />
frisch und erscheint dort unten in der Brauereigaststätte, wir warten auf<br />
euch.«<br />
»<strong>Teufel</strong>, so geht das n<strong>ich</strong>t«, empörte s<strong>ich</strong> Charlotte.<br />
»Vielle<strong>ich</strong>t doch, Charly. Vielle<strong>ich</strong>t haben wir zu fünft mehr Spaß, als ihr<br />
zu zweit. Bitte, sag n<strong>ich</strong>t nein.«<br />
»Na, gut, wenn´s denn sein muss.«<br />
8<br />
<strong>Teufel</strong> als Rettungsschwimmer<br />
Als die Gläser gespült waren zog Charlotte ihren Mantel über und <strong>ich</strong><br />
meine Windjacke und sie schloss das Büro sorgfältig ab. Wir verspürten<br />
keine Lust auf den relativ langsamen Fahrstuhl zu warten und gingen<br />
hinüber zu dem schönen Spindeltreppenhaus vor den bunten Glasfenstern.<br />
Die Farben der Fenster leuchteten auch im L<strong>ich</strong>t der Straßenlaternen in<br />
schönen Farben.<br />
Als wir auf die Straße traten, meinten wir beide, dass es für einen<br />
Dezemberabend angenehm warm war. Es war bestimmt noch über 10 Grad<br />
Celsius und es herrschte kaum Wind, der normalerweise gerade hier in der<br />
Wachtstraße immer von der Weser her fegte und es ungemütl<strong>ich</strong> machte.<br />
Wir brauchten aber auch nur über die Straße, um dann in der kleinen<br />
Straße hinter dem Schütting in den Eingang zu der Brauereigaststätte zu<br />
gelangen.<br />
Charlottes Freundin saß an einem Zweiertisch und sah Charlotte<br />
fragend entgegen. Charlotte begrüßte ihre Freundin mit Handschlag und<br />
n<strong>ich</strong>t mit einer sonst schon fast obligaten Umarmung und stellte m<strong>ich</strong><br />
dabei vor: »Das ist mein neuer Chef. <strong>Teufel</strong> heißt er. Ich bin ihn n<strong>ich</strong>t<br />
losgeworden, er wollte unbedingt mit. Das ist Sabine Schröter. Wir sollten<br />
sofort umsiedeln an den Tisch dort drüben, denn es kommen gle<strong>ich</strong> noch<br />
zwei Herren, die Freunde von <strong>Teufel</strong> sind. Gehen wir hinüber?«<br />
58
»Wirst du mal wieder einen Verehrer n<strong>ich</strong>t los? Geht es dir bei dem jetzt<br />
schon so wie bei Holger? Oder lässt er d<strong>ich</strong> jetzt langsam in Frieden?«<br />
»I wo, der terrorisiert m<strong>ich</strong> immer noch fast jede Nacht mit seinen<br />
blöden Anrufen.<br />
Ich könnte manchmal das Telefon aus der Wand reißen, so quält m<strong>ich</strong><br />
das. Er hört einfach n<strong>ich</strong>t auf.«<br />
Sabine nahm einfach ihr Glas auf und ging mit uns hinüber zu einem<br />
Sechsertisch und musterte m<strong>ich</strong> dabei die ganze Zeit interessiert. Dann<br />
meinte sie zu Charlotte, als ob <strong>ich</strong> überhaupt n<strong>ich</strong>t anwesend sei: »Der sieht<br />
aber n<strong>ich</strong>t so aus, als wenn er dir nur einfach nachdackelt, und n<strong>ich</strong>t<br />
wahrhaben will, dass du n<strong>ich</strong>ts mit ihm zu tun haben willst.«<br />
Ich überhörte alles erst einmal und fragte Charlotte nur: »Was möchtest<br />
du trinken?«<br />
»Ein Bier.«<br />
Ich orderte bei einer vorübereilenden Kellnerin ein Bier und ein Wasser<br />
und setzte m<strong>ich</strong> artig neben die Damen, nachdem <strong>ich</strong> Charlotte den Mantel<br />
abgenommen und an die Garderobe gehängt hatte.<br />
Ich bekam gerade noch mit, als Charlotte mit Nachdruck sagte: »Er ist<br />
mein neuer Chef.«<br />
Sabine sah m<strong>ich</strong> direkt an und fragte offen: »Warum sind Sie heute hier<br />
mit hergekommen?«<br />
Ich sah sie fest an und schaute ihr in die Augen, als <strong>ich</strong> sagte: »Mir ist<br />
w<strong>ich</strong>tig zu wissen, mit wem meine engsten und vertrautesten Mitarbeiter<br />
Umgang haben. Dieser Umgang verrät sehr viel über die Person. Ich bin<br />
heute mehrfach sehr angenehm überrascht worden von der Kompetenz<br />
Charlottes und würde m<strong>ich</strong> freuen, wenn auch ihr Umgang eine<br />
Bere<strong>ich</strong>erung für unsere Agentur wäre.«<br />
»<strong>Teufel</strong> unterhält eine Detektivagentur und <strong>ich</strong> habe m<strong>ich</strong> überreden<br />
lassen dort mit zu arbeiten.«<br />
»So eine r<strong>ich</strong>tige Privatdetektivagentur?«<br />
»Ja, spezialisiert auf Wirtschaftsermittlungen!«<br />
»N<strong>ich</strong>t so ein übler Schnüffler, der Bilder von ehebrecherischen<br />
Tätigkeiten erstellt, mit mögl<strong>ich</strong>erweise daraufhin arbeitenden Callgirls,<br />
die es den Ehefrauen le<strong>ich</strong>ter macht, s<strong>ich</strong> gegen gutes Geld scheiden zu<br />
lassen? Oder umge<strong>kehrt</strong>?«<br />
»Nee, lieber gebe <strong>ich</strong> meinen Beruf wieder auf.«<br />
»Aber das soll doch der Renner in der Branche sein. Beweise der<br />
Untreue zu schaffen.«<br />
59
»<strong>Wenn</strong> das die Aufgabe dieser Berufsgruppe wäre, gehörte sie<br />
abgeschafft. <strong>Wenn</strong> Ehefrauen oder Ehemänner n<strong>ich</strong>t in der Lage sind, diese<br />
Beweise selbst zu beschaffen, dann sollten sie auch betrogen werden und es<br />
klaglos erdulden. Meine Firmenziele sind ganz andere.«<br />
Sabine schien s<strong>ich</strong> damit zunächst zufriedenzugeben und wandte s<strong>ich</strong><br />
wieder Charlotte zu und fragte weiter, was der aber scheinbar peinl<strong>ich</strong><br />
war. Sabine fragte gerade: »Kannst du denn diesen Kerl n<strong>ich</strong>t wegen<br />
fortgesetzter Nötigung herankriegen? So r<strong>ich</strong>tig mit dem Ger<strong>ich</strong>t? Der<br />
macht d<strong>ich</strong> doch auch heute noch fertig.«<br />
Charlotte antwortete leise, dass <strong>ich</strong> es kaum verstand: »Aber wie soll <strong>ich</strong><br />
es denn überhaupt beweisen? Er wechselt doch dauernd seine Taktik m<strong>ich</strong><br />
einzuschüchtern. Er ist freundl<strong>ich</strong> am Telefon und <strong>ich</strong> hänge ihn ein. Er<br />
ruft wieder an, ist freundl<strong>ich</strong> und <strong>ich</strong> hänge ihn wieder ein. Dann steht er<br />
plötzl<strong>ich</strong> vor mir und macht mir fürchterl<strong>ich</strong>e Szenen. Dann geht es<br />
plötzl<strong>ich</strong> umge<strong>kehrt</strong>. Er steht vor Zeugen mit einem Blumenstrauß vor mir<br />
und bittet m<strong>ich</strong> lauthals darum es noch einmal mit ihm zu versuchen. Und<br />
kaum, dass <strong>ich</strong> in der Wohnung bin, klingelt das Telefon und er bedroht<br />
m<strong>ich</strong>, m<strong>ich</strong> zu vergewaltigen und m<strong>ich</strong> hinterher zu ermorden. Ich halte<br />
das n<strong>ich</strong>t mehr sehr lange aus.«<br />
Ich bemerkte es selbst n<strong>ich</strong>t, aber der Blick, den mir Sabine zuwarf, sagte<br />
eigentl<strong>ich</strong> alles. Ich musste wieder mein Lächeln auf dem Ges<strong>ich</strong>t gehabt<br />
haben. Dieses Lächeln, was anderen Menschen das Blut in den Adern<br />
gefrieren ließ. Und <strong>ich</strong> sagte nur: »Charlotte, gib mir Informationen über<br />
diese Dinge. Ich werde es stoppen. Für solche Dinge hast du jetzt einen<br />
kompetenten Partner. Du wirst n<strong>ich</strong>t meine Klientin werden, aber <strong>ich</strong> habe<br />
das Wohlergehen meiner Angestellten s<strong>ich</strong>erzustellen. Und das werde <strong>ich</strong>.«<br />
Den Rest meines Satzes bekamen scheinbar meine Freunde Benny und<br />
Tiffert mit, die an den Tisch getreten waren, ohne dass <strong>ich</strong> es bemerkte,<br />
denn Tiffert meinte mit seiner tiefen Stimme: »Und wenn <strong>Teufel</strong> etwas<br />
verspr<strong>ich</strong>t, dann kannst du d<strong>ich</strong> darauf verlassen, dass er es hält.«<br />
Ich schaute etwas irritiert auf, als <strong>ich</strong> seine Stimme hinter mir hörte, und<br />
stellte dann beide Sabine Schröter vor, die sofort fragte: »Sind das auch<br />
Detektive?«<br />
»Bessere als manche Polizeibeamte, aber ansonsten nur hervorragende<br />
Techniker des Siemenskonzerns, die mir helfen hier die notwendige<br />
Technik für Telekommunikation zu installieren.«<br />
Sabine lächelte dem wesentl<strong>ich</strong> älteren Tiffert sofort offen zu und <strong>ich</strong><br />
60
wusste, dass Tifferts Herz wieder höher schlug, denn Sabine war eine<br />
große blonde Frau, mit fantastischen Kurven. Tifferts Typ. Vor allem, weil<br />
seine Siv wieder nach Stockholm <strong>zurück</strong>ge<strong>kehrt</strong> war und den Kontakt zu<br />
Tiffert abbrach. Wir fanden inzwischen herausgefunden, dass sie dort mit<br />
einem millionenschweren Immobilienhai verheiratet war.<br />
Sie hatte s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> Tiffert gerne gehabt und seine Zuneigung genossen,<br />
aber war in den gesellschaftl<strong>ich</strong>en und finanziellen Abhängigkeiten zu der<br />
Überzeugung gekommen, dass Tiffert ihrer Seele und auch ihrem Körper<br />
gut tat, als sie im Ausland war; aber sie s<strong>ich</strong> jetzt wieder in die<br />
Normalordnung ihres Standes stellen musste.<br />
Ich erfuhr erst kürzl<strong>ich</strong> von dieser Trennung und Tiffert tat mir leid.<br />
Aber wie er damit bisher umgegangen war, imponierte mir.<br />
Benny, unser Youngster strahlte sowieso beide an.<br />
Es wurde ein wunderschöner Abend, an dem wir uns über Tod und<br />
<strong>Teufel</strong> unterhielten und ein wunderbar rustikales Essen genossen. Ich<br />
beschloss auf Bier zu verz<strong>ich</strong>ten und trank Wasser. Keiner protestierte<br />
dagegen.<br />
Benny verabschiedete s<strong>ich</strong> schon vor Mitternacht von uns, weil er noch<br />
mit seiner Samantha telefonieren wollte und Charlotte fragte m<strong>ich</strong>: »Er hat<br />
gesagt, dass du sie für ihn entdeckt hast. Was wollte er damit vorhin<br />
sagen?«<br />
Ich lachte und sagte nur: »Der Bengel hat mir doch wirkl<strong>ich</strong> meine<br />
Flamme ausgespannt!«<br />
»Und das hast du dir so einfach gefallen gelassen«, wollte Sabine wissen.<br />
»<strong>Wenn</strong> du gesehen und erlebt hättest, wie sehr Benny seine Samantha<br />
liebt, und wie sehr sie s<strong>ich</strong> ihn verliebt hat, dann ist jeder Einspruch<br />
vergebl<strong>ich</strong>, oder was meinst du Tiffert?«<br />
»Benny hat mit seinen Reaktionen <strong>Teufel</strong> und Samantha das Leben<br />
gerettet und nebenher noch das Leben von über fünfzigtausend Menschen,<br />
wenn n<strong>ich</strong>t noch unendl<strong>ich</strong> viel mehr. <strong>Teufel</strong> ist noch n<strong>ich</strong>t einmal ein<br />
Verlierer, sondern er wird auch in Samanthas Herz immer einen Platz<br />
behalten, aber immer nur als Freund. Und ist das n<strong>ich</strong>t manchmal viel<br />
w<strong>ich</strong>tiger, als das hormongesteuerte Hin- und Her?«<br />
Tiffert errötete, weil zwei Frauen nach im griffen und ihn knutschten.<br />
Sabine war es dann, die fragte, ob wir noch ein wenig weiter ziehen<br />
wollten, weil hier gle<strong>ich</strong> Feierabend sei. Sie hakte s<strong>ich</strong> dabei burschikos bei<br />
Tiffert unter und <strong>ich</strong> konnte ihm ansehen, dass er so stundenlang hätte<br />
sitzen können. Mit dem Druck Sabines Brüsten auf seinem Arm.<br />
61
Ich beschloss: »Zieht weiter, wenn ihr mögt, aber <strong>ich</strong> möchte jetzt<br />
Charlotte nach Hause bringen, damit sie uns später in der Firma helfen<br />
kann.«<br />
Sabine lachte laut auf und sagte: »Der Herr <strong>Teufel</strong> möchte seine<br />
Charlotte entführen und verführen.«<br />
Ich erwiderte völlig ernst, und das ließ sowohl Sabine als auch Charlotte<br />
aufhorchen, und selbst Tiffert, der schon in Träumen schwelgte, sah hoch:<br />
»Ich will Charlotte n<strong>ich</strong>t verführen, sondern sie nur s<strong>ich</strong>er nach Hause<br />
bringen. Tschüss, Ihr Lieben, vielle<strong>ich</strong>t haben wir die Chance uns später<br />
wieder zu sehen. Komm Charly, wir gehen.«<br />
»Warum nennst du m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t Lotte, Lotti oder Lottchen? Warum bin<br />
<strong>ich</strong> für d<strong>ich</strong> Charly? Warum«, fragte sie m<strong>ich</strong>, als <strong>ich</strong> ihr in den Mantel half.<br />
»Weil Charly viel kumpelhafter ist, und keinen Anspruch auf dein<br />
Geschlecht. Charly kann männl<strong>ich</strong> oder weibl<strong>ich</strong> sein, und da <strong>ich</strong> dir n<strong>ich</strong>t<br />
zu nahe treten will, ist es für m<strong>ich</strong> das beste Mittel neutral zu bleiben.«<br />
»Willst du das denn?«<br />
»Ich möchte es n<strong>ich</strong>t. Aber unsere Stellung als Arbeitgeber und als<br />
Arbeitnehmerin gebietet es so.«<br />
»Darf <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> trotzdem bei dir einhaken?«<br />
»Natürl<strong>ich</strong>. Ein Chef sollte seinen Mitarbeitern immer eine natürl<strong>ich</strong>e<br />
Stütze sein«, frozzelte <strong>ich</strong>.<br />
Wir waren am Anfang der Weserbrücke, als sie m<strong>ich</strong> plötzl<strong>ich</strong><br />
<strong>zurück</strong>hielt und mir ihr Ges<strong>ich</strong>t entgegenstreckte und leise sagte: »Bitte<br />
küss m<strong>ich</strong>, <strong>Teufel</strong>. Bitte ganz, ganz tüchtig.«<br />
Ich entsprach ihrem Wunsch. Aber <strong>ich</strong> bekam das Gefühl eine<br />
Papierpuppe zu küssen. So tot und leblos waren ihre Lippen. Und obwohl<br />
s<strong>ich</strong> unsere Zungen berührten, spürte <strong>ich</strong> nur Pappe. Ich war schreckl<strong>ich</strong><br />
enttäuscht.<br />
Ich machte m<strong>ich</strong> aus der Umarmung frei und war merkwürdig<br />
verwundert. Ich hatte alles erwartet, nur n<strong>ich</strong>t eine Person, die noch n<strong>ich</strong>t<br />
einmal verstand zu küssen. Ich spürte, dass ihr Körper zitterte, als wir<br />
weiter über die Brücke gingen. Ich verstand n<strong>ich</strong>t, warum ihr Körper vor<br />
Erregung zitterte, obwohl <strong>ich</strong> sie noch n<strong>ich</strong>t einmal berührte und auch der<br />
Kuss keinerlei Emotionen bei mir auslösen konnte.<br />
Vielle<strong>ich</strong>t war daher meine Reaktion auf der Mitte der Brücke auch<br />
überzogen, als urplötzl<strong>ich</strong> eine Stimme neben uns sagte: »Na, haste nun<br />
nen neuen Stecher, den du sogar in der Öffentl<strong>ich</strong>keit knutscht. Ich werde<br />
es dir vermiesen, du eiskaltes Weib.<br />
62
Und <strong>ich</strong> werde es sein, der d<strong>ich</strong> in Mund und Arsch….«<br />
Weiter kam er n<strong>ich</strong>t, denn <strong>ich</strong> ergriff seinen Arm, der n<strong>ich</strong>t das Fahrrad,<br />
das er fuhr, festhielt sondern frei war. Ich schleuderte ihn mit einem<br />
Schwung über das Brückengeländer.<br />
Charlotte schrie im gle<strong>ich</strong>en Augenblick: »Er kann n<strong>ich</strong>t schwimmen!«<br />
Es gelang mir Charlotte mein Handy aus meiner Jackentasche zu<br />
übergeben und zu schreien: »Ruf den Rettungsdienst«, und das war alles in<br />
einer Bewegung. Ich streifte nur noch meine Slipper von den Füßen und<br />
sah die Stelle, wo der Angreifer ins Wasser fiel. Mit einem Hechtsprung<br />
über das Geländer folgte <strong>ich</strong> ihm und als <strong>ich</strong> sah, wo er wieder auftauchte,<br />
sprintete <strong>ich</strong> im Kraulstil hinterher. Wie schwer das ist, erfuhr <strong>ich</strong> den<br />
nächsten Sekunden.<br />
Ich schien überhaupt n<strong>ich</strong>t voranzukommen, aber <strong>ich</strong> war ungefähr in<br />
der gle<strong>ich</strong>en Höhe ins Wasser gekommen, in der <strong>ich</strong> ihn in die Weser<br />
geschleudert hatte. Er kam kurz vor mir nochmals an die Oberfläche und<br />
<strong>ich</strong> beschleunigte meinen Schwimmstil nochmals und fing an zu tauchen in<br />
der trüben und eiskalten Brühe.<br />
Ich konnte in der Dunkelheit zwar n<strong>ich</strong>ts sehen, aber <strong>ich</strong> spürte es und<br />
wenig später bekam <strong>ich</strong> ein zappelndes Bündel an irgendwelchen<br />
Stoffteilen zu fassen und zog es nach oben. Meine Beine waren schwer,<br />
aber es gelang mir, ihn nach oben über die Wasseroberfläche zu<br />
bekommen.<br />
Die Fließgeschwindigkeit der Weser war nur gering und <strong>ich</strong> konnte ihn<br />
seitwärts zum Strom ziehen. Langsam, aber stetig. Meine Beine wurden<br />
immer schwerer und <strong>ich</strong> bekam das Gefühl, den L<strong>ich</strong>tern unten an der<br />
Schlachte n<strong>ich</strong>t näher zu kommen. Aber der Eindruck täuschte, denn schon<br />
kurz hinter den Martini-Anlegern hatte <strong>ich</strong> ihn so weit geschleppt, dass <strong>ich</strong><br />
beim Schwimmen an die Steine der Uferböschung stieß. Der Bursche war<br />
ohnmächtig und <strong>ich</strong> zerrte ihn die Böschung hoch. Ich schaffte es n<strong>ich</strong>t<br />
ganz, denn noch auf der letzten Schräge unterhalb des rettenden<br />
Fahrweges brach <strong>ich</strong> selbst zusammen. Aber wir waren oberhalb der<br />
Wasserlinie.<br />
Ich wurde einmal kurz wieder ins Bewusstsein gespült und spürte, dass<br />
<strong>ich</strong> in einem Krankenwagen lag, weil <strong>ich</strong> fast von der Liege gefegt wurde,<br />
als dieser in die Kurve ging. Und <strong>ich</strong> spürte die Wärme von Charlottes<br />
Hand, die meine Hände hielten.<br />
Als <strong>ich</strong> dann endgültig wieder zu mir kam, waren es die Hände anderer<br />
Personen, die m<strong>ich</strong> von meiner nassen Bekleidung befreiten und <strong>ich</strong> hörte<br />
die Stimmen weit entfernt, die nur zu rufen schienen: »Wir brauchen<br />
wärmende Decken. Die Burschen sind total unterkühlt.«<br />
63
Das Nächste, was <strong>ich</strong> mitbekam, war, dass s<strong>ich</strong> etwas angenehm<br />
Warmes an m<strong>ich</strong> schmiegte, und dann war <strong>ich</strong> erst einmal wieder weg.<br />
Voll zum Bewusstsein kam <strong>ich</strong> allerdings erst wieder, als eine grollende<br />
Stimme fragte: »Und warum haben Sie diesen Typen n<strong>ich</strong>t einfach<br />
absaufen lassen, oder dort auf den Steinen erfrieren? Dann wäre dem Staat<br />
etl<strong>ich</strong>es erspart geblieben.«<br />
Ich schlug die Augen auf und starrte in das grimmige Ges<strong>ich</strong>t von<br />
Kommissar Waldtmann.<br />
Das Einzige, was <strong>ich</strong> herausbekam, war nur: »Ist der Typ tot?«<br />
»Nein, der ist zwar immer noch ohnmächtig, aber lebt. Wieso bringen<br />
Sie ihn erst fast um, weil Sie ihn in die Weser werfen, und warum holen Sie<br />
ihn dann wieder da raus? <strong>Teufel</strong>, Sie sind dran. Ihre Lizenz können Sie<br />
abschreiben. Raufhändel mit fast Todesfolgen, das bringt Sie ins Gefängnis,<br />
obwohl Sie ihr Opfer aus der Brühe gerettet haben.«<br />
Ich machte das Vernünftigste, was <strong>ich</strong> tun konnte: Ich wurde wieder<br />
ohnmächtig.<br />
Dieser Zustand konnte aber n<strong>ich</strong>t lange angehalten haben, denn <strong>ich</strong><br />
hörte plötzl<strong>ich</strong> Charlotte schimpfen: »Dieser Mann hat den Mann der m<strong>ich</strong><br />
belästigt hat trotzdem vor dem Tod bewahrt, indem er ihm<br />
nachgesprungen ist. <strong>Wenn</strong> er n<strong>ich</strong>t so mutig gewesen wäre hinterher zu<br />
springen, dann hätten Sie nur ein Fahrrad auf der Weserbrücke, einen<br />
Toten bei Bremerhaven, von dem Sie wissen, dass Anklage wegen<br />
Vergewaltigung gegen ihn vorliegt, und sonst keinerlei Hinweise auf den<br />
Privatdetektiv <strong>Teufel</strong>. Es hätte so ausgesehen, als habe s<strong>ich</strong> Holger Oettel<br />
kurzfristig entschlossen aus Reue oder Verzweiflung in den Fluss gestürzt,<br />
um zu ertrinken. Sie hätten nie und nimmer Fremdeinwirkung feststellen<br />
können und das verlassene Fahrrad hätte keine Rückschlüsse auf einen<br />
Menschen geben können. Der Holger hätte einfach den Freitod gewählt,<br />
und damit aus und basta. Kommissar Waldtmann, dieser Mann hat m<strong>ich</strong><br />
wieder einmal belästigt, und das schwer. <strong>Wenn</strong> <strong>ich</strong> <strong>Teufel</strong> n<strong>ich</strong>t zugerufen<br />
hätte, dass Oettel n<strong>ich</strong>t schwimmen konnte, dann wäre dieser ganze Fall<br />
überhaupt n<strong>ich</strong>t bei Ihnen auf dem Schreibtisch gelandet. <strong>Teufel</strong> ist kein<br />
Mörder, sondern ein Lebensretter! Er hat dieses Stück Dreck aus dem<br />
Wasser geholt und hat dabei noch n<strong>ich</strong>t einmal gewusst, dass er einen<br />
gefährl<strong>ich</strong>en Sexualverbrecher rettet. Und jetzt lassen Sie m<strong>ich</strong> endl<strong>ich</strong> zu<br />
ihm!«<br />
Sekunden später konnte <strong>ich</strong> in das zornesrote Ges<strong>ich</strong>t von Charlotte<br />
blicken, die s<strong>ich</strong> über mein Bett beugte und s<strong>ich</strong> an m<strong>ich</strong> schmiegte und<br />
murmelte: »<strong>Teufel</strong>, was bist du nur für ein Mensch?«<br />
64
Zwanzig Minuten später durfte <strong>ich</strong> dann einen Bademantel des<br />
Krankenhauses anziehen, und ein Paar Badelatschen und Frau Charlotte<br />
Hansen durfte m<strong>ich</strong> zur genehmigten Nachversorgung mit in ihre nahe<br />
gelegene Wohnung nehmen.<br />
Meine nassen Kleidungsstücke trug Charlotte, die m<strong>ich</strong> sofort in ihrem<br />
Bett unterbrachte. M<strong>ich</strong> fror immer noch erbärml<strong>ich</strong>.<br />
Wenig später schlüpfte sie neben m<strong>ich</strong> und wärmte meinen Körper mit<br />
ihrem.<br />
Wie gut mir ihre Körpernähe tat, dokumentierte s<strong>ich</strong> in ihren Worten:<br />
»Ja, bitte komm in m<strong>ich</strong> <strong>Teufel</strong>«, gefolgt von einem langen Seufzer.<br />
9<br />
Ein arbeitsre<strong>ich</strong>er Samstag<br />
Ich erwachte und spürte den warmen Körper Charlottes an meiner Seite.<br />
So ganz r<strong>ich</strong>tig glauben mochte <strong>ich</strong> es n<strong>ich</strong>t, aber es war so. Sie regte s<strong>ich</strong><br />
ebenfalls und <strong>ich</strong> nahm sie sanft in den Arm und küsste sie. Meine Hände<br />
tasteten über ihre Haut und sie schloss die Augen wieder und hauchte:<br />
»Das ist schön, <strong>Teufel</strong>. Höre einfach n<strong>ich</strong>t auf und lass m<strong>ich</strong> einen weiteren<br />
kleinen Augenblick genießen.«<br />
Ich ließ sie genießen und stre<strong>ich</strong>elte nur einfach den warmen Körper. Sie<br />
lag völlig passiv dort und <strong>ich</strong> beugte m<strong>ich</strong> über ihr Ges<strong>ich</strong>t und küsste sie<br />
ganz sanft. Ihr Mund öffnete s<strong>ich</strong> und plötzl<strong>ich</strong> wurde es ein ganz anderer<br />
Kuss als gestern auf der kalten Brücke. Es war n<strong>ich</strong>t mehr Pappe, es war<br />
eine wunderbar lebendige kleine Schlange, die elektrische Ströme durch<br />
meinen Körper jagte. Diese spielerische Zunge, die meine Zungenspitze<br />
berührte.<br />
Charlotte öffnete die Augen wieder und jetzt sprühten ihre dunklen<br />
Augen geradezu Feuer.<br />
Sie gab mir einen weiteren Kuss und stemmte s<strong>ich</strong> dann hoch. Es schien<br />
ihr schwer zu fallen und sie sagte es auch: »<strong>Teufel</strong>, wir haben leider keine<br />
Zeit. Wir müssen uns beeilen, denn sonst stehen Benny und Tiffert vor<br />
verschlossenen Türen. Ich hoffe nur, dass deine Sachen inzwischen wieder<br />
trocken sind, denn du kannst wohl schlecht im Bademantel ins Büro<br />
laufen.«<br />
Dann konnte <strong>ich</strong> ihr nur noch nachsehen, und das war schon aufregend<br />
genug. Ich folgte ihr ins Badezimmer, als sie gerade aus der Duschwanne<br />
trat.<br />
65
Ihr Anblick versetzte m<strong>ich</strong> sofort in Erregung und <strong>ich</strong> verbarg es auch<br />
n<strong>ich</strong>t. Sie lachte m<strong>ich</strong> an und reckte s<strong>ich</strong> an mir hoch und flüsterte: »Das<br />
genießen wir später.«<br />
Dann schlang sie s<strong>ich</strong> in ein Badetuch und <strong>ich</strong> ließ erst einmal kaltes<br />
Wasser über m<strong>ich</strong> laufen. Dann duschte <strong>ich</strong> schnell und zog meine immer<br />
noch etwas klammen Sachen an.<br />
Zehn Minuten später waren wir unterwegs zur Firma. Benny stand<br />
wirkl<strong>ich</strong> schon vor der Tür und sah uns entgegen. Als er m<strong>ich</strong> sah, meinte<br />
er nur: »Du siehst zieml<strong>ich</strong> zerknautscht aus. Musstest du in einer gefüllten<br />
Badewanne schlafen?«<br />
»So ähnl<strong>ich</strong>. Ich fahr jetzt erst einmal nach Hause und besorge mir<br />
frische Klamotten. Ihr kommt wohl in der nächsten Stunde ohne m<strong>ich</strong> aus.«<br />
Als <strong>ich</strong> dann wirkl<strong>ich</strong> eine Stunde später wieder in frischen Sachen und<br />
rasiert wieder erschien, waren Tiffert und Benny gerade dabei, die letzten<br />
Handgriffe an der Satellitenübertragungseinr<strong>ich</strong>tung zu machen. Tiffert<br />
meinte nur: »Gut, dass du gerade kommst, dann kannst du es gle<strong>ich</strong> hier<br />
an deinem neuen Rechner ausprobieren.«<br />
Er wies dabei auf einen Rechner, der hinter der Bareinr<strong>ich</strong>tung unter<br />
dem Schreibtisch von Charlotte stand. Benny rief aus meinem zukünftigen<br />
Chefzimmer: »Die Vernetzung steht, Tiffert <strong>ich</strong> habe deinen Rechner hier<br />
auf meinem Monitor. Schau einmal, ob du m<strong>ich</strong> auch drauf hast.«<br />
Tiffert bediente die Maus und brüllte <strong>zurück</strong>: »Du liegst hier genauso<br />
fein an. <strong>Teufel</strong> wird jetzt die Fernverbindung aufbauen. Wunder d<strong>ich</strong> also<br />
n<strong>ich</strong>t, wenn du jetzt plötzl<strong>ich</strong> einen fernen Rechner auch noch entdeckst.«<br />
Und zu mir sagte er: »Bau doch einmal die Verbindung zu deinem<br />
Freund in Bad Homburg auf. Sag ihm vielle<strong>ich</strong>t besser vorher bescheid.«<br />
Ich rief Wiesel an und er schaltete seinen Rechner auf Empfang. Wenig<br />
später stand auch die Verbindung zu seinem Rechner und <strong>ich</strong> schob ihm<br />
eine kleine Datei hinüber. Das ging rasend schnell vonstatten.<br />
Danach tippte <strong>ich</strong> einen kurzen Befehl in die Tastatur und wenige<br />
Sekunden später leuchtete das Logo des BKA auf meinem Bildschirm und<br />
<strong>ich</strong> wurde aufgefordert, ein Passwort einzugeben. Ich trennte die<br />
Verbindung wieder, ohne den Zentralrechner in Wiesbaden weiter zu<br />
betreten. Es klappte also, und das war das W<strong>ich</strong>tigste.<br />
Es muss eine innere Eingebung gewesen sein, n<strong>ich</strong>t weiter in den<br />
Zentralrechner des BKA vorzudringen, denn gerade als <strong>ich</strong> die Verbindung<br />
trennte kam Waldtmann ins Zimmer gestürmt und brüllte schon an der<br />
Tür:<br />
66
»Wieso sind Sie n<strong>ich</strong>t mehr im Krankenhaus? Als <strong>ich</strong> eben dort war,<br />
sagte man mir nur Sie seien mit Frau Hansen einfach abgehauen. Ihr Bett<br />
war wohl kuscheliger als ein Krankenhausbett.«<br />
Ich baute m<strong>ich</strong> vor ihm auf. Auch <strong>ich</strong> brüllte: »Kommissar Waldtmann,<br />
wenn Sie m<strong>ich</strong> einvernehmen wollen, laden Sie m<strong>ich</strong> aufs Revier. Aber hier<br />
haben Sie n<strong>ich</strong>ts zu suchen.<br />
Die Aussagen über den Hergang haben Sie von einer Zeugin. Ich habe<br />
n<strong>ich</strong>ts dazu hinzu zufügen. Und persönl<strong>ich</strong>e Unterstellungen und abfällige<br />
Bemerkungen sind Dinge, die gute Polizisten zu unterlassen haben. Herr<br />
Tiffert hier wird diese persönl<strong>ich</strong>e Attacke gegen m<strong>ich</strong> und meine<br />
Mitarbeiterin bezeugen können. Und jetzt verschwinden Sie.«<br />
Benny und auch Charlotte, die im Chefzimmer arbeiteten, kamen durch<br />
mein Gebrüll in den Gang und starrten zu uns herüber.<br />
»Melden Sie s<strong>ich</strong> um 12 Uhr gemeinsam mit Frau Hansen im<br />
Polizeipräsidium. <strong>Wenn</strong> Sie n<strong>ich</strong>t kommen, lasse <strong>ich</strong> Sie holen.«<br />
Mit dem Satz ließ Waldtmann m<strong>ich</strong> stehen und drehte s<strong>ich</strong> um und<br />
verschwand aus dem Büro.<br />
»Ich habe Besseres zu tun, Sie Hornochse von W<strong>ich</strong>tigtuer«, sagte <strong>ich</strong><br />
leise gegen die hinter ihm zufallende Tür.<br />
Ich sah auf die Uhr. Wir hatte etwas mehr als eine Stunde Zeit und <strong>ich</strong><br />
hoffte einen Anwalt mobilisieren zu können, der uns begleiten konnte. Ich<br />
fragte Charlotte, ob sie einen wüsste und sie meinte: »<strong>Wenn</strong> wir Glück<br />
haben, ist Herr Klönkens heute im Hause. Er ist der Einzige, den <strong>ich</strong><br />
kenne.«<br />
»Gut, dann sollten wir es versuchen. Kannst du ihn benachr<strong>ich</strong>tigen?«<br />
Sie ging ans Telefon und wählte, ohne eine Nummer nachschlagen zu<br />
müssen. Wir hatten Glück. Charlotte erre<strong>ich</strong>te Klönkens und er wollte uns<br />
auch begleiten. Er sagte nur: »Kommen Sie schon einmal herunter, damit<br />
<strong>ich</strong> die Gesch<strong>ich</strong>te kenne.«<br />
Tiffert und Benny wollten weiter machen, während wir in das<br />
Erdgeschoss zu Klönkens gingen, wo Charlotte die Gesch<strong>ich</strong>te von gestern<br />
Abend wiederholte, wie Sie sie gestern schon Waldtmann erzählte.<br />
Dabei kam auch heraus, dass sie diesen Holger Oettel schon früher<br />
bemerkte und sie m<strong>ich</strong> deswegen auf der Brücke küsste. Sie wollte dem<br />
Mann damit zeigen, dass sie in intimer Begleitung wäre und er besser<br />
verschwinden sollte.<br />
Ich fragte sie: »Kennst du diesen Typen?«<br />
»Ja. Wir waren einmal ein Paar. Als <strong>ich</strong> ihn dann hinausgeworfen habe,<br />
weil er meinte, mit all meinen Freundinnen schlafen zu müssen, ist er<br />
immer wieder aufgetaucht und hat m<strong>ich</strong> vergewaltigt.<br />
67
Ich habe ihn daraufhin angezeigt, aber es kam bisher noch zu keiner<br />
Ger<strong>ich</strong>tsverhandlung. Sein Anwalt stellte es so dar, dass <strong>ich</strong> ihn verführt<br />
hätte, also freiwillig mit ihm ins Bett gegangen wäre.<br />
Beim zweiten Mal hat er m<strong>ich</strong> dort unten an der kleinen Weser erwischt<br />
und hat m<strong>ich</strong> dort im Freien vergewaltigt. Ich habe laut um Hilfe geschrien<br />
und habe sein Ges<strong>ich</strong>t zerkratzt.<br />
Diesmal hat man meine Anzeige ernst genommen, zumal es Zeugen<br />
gegeben hat. Und an seinem zerkratzten Ges<strong>ich</strong>t konnte man sehr genau<br />
erkennen, dass <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t freiwillig mit ihm geschlafen habe. Aber er hat ja<br />
einen festen Wohnsitz und deswegen ist er immer noch auf freiem Fuß. Er<br />
hat m<strong>ich</strong> schon mehrfach in der letzten Zeit belästigt und er terrorisiert<br />
m<strong>ich</strong> auch am Telefon. Vorgestern Nacht musste <strong>ich</strong> mein Telefon aus der<br />
Wand ziehen. Er drohte mir gedroht, dass er m<strong>ich</strong> umbringen würde,<br />
wenn <strong>ich</strong> meine Anzeige n<strong>ich</strong>t <strong>zurück</strong>ziehe.«<br />
Obwohl sie scheinbar ganz ruhig ber<strong>ich</strong>tete, merkte <strong>ich</strong>, dass sie am<br />
ganzen Körper zitterte. Ich ging hinüber und nahm sie einfach in den Arm<br />
und sagte leise: »Beruhige d<strong>ich</strong>. Er wird dir n<strong>ich</strong>ts mehr tun, mein Schatz.«<br />
Klönkens der alles zieml<strong>ich</strong> angewidert mit angehört hatte meinte:<br />
»Dann müsste man sogar den Staat belangen, dass er solche<br />
Gewaltverbrecher frei herumlaufen lässt. Aber machen Sie nachher im<br />
Präsidium n<strong>ich</strong>t wieder den Fehler und nehmen Frau Hansen n<strong>ich</strong>t<br />
beschützend in den Arm. Dann wird dieser Waldtmann es so auslegen,<br />
dass Sie von der ganzen Sache wussten und Sie s<strong>ich</strong> an Ihrem Vorgänger<br />
rächen wollten.<br />
So wie Sie es vorhin geschildert haben, wird er dann versuchen, einen<br />
versuchten Totschlag zu konstruieren. Ihre Aussage muss ganz klar sein.<br />
Sie haben Frau Hansen nach einer kleinen Geschäftsfeier zu Fuß nach<br />
Hause bringen wollen, als Frau Hansen von dem Burschen angepöbelt und<br />
angegriffen wurde. Sie haben nur aus Notwehr gehandelt und den Mann<br />
weggeschleudert. Dass er dabei in die Weser fiel, war eigentl<strong>ich</strong> nur sein<br />
Pech. Als Frau Hansen Sie dann darauf hinwies, dass der Mann n<strong>ich</strong>t<br />
schwimmen kann, haben Sie selbstlos gehandelt und den Mann wieder aus<br />
dem Wasser gefischt. Ende der Durchsage.«<br />
»Das stimmt ja auch so haargenau. Wir haben im kleinen Kreis von<br />
meinen Mitarbeitern in der Brauereigastwirtschaft nach der Arbeit etwas<br />
gegessen und getrunken. Herr Tiffert hat die andere anwesende Dame<br />
nach Hause gebracht und <strong>ich</strong> Frau Hansen. Der dritte Mann in der Runde<br />
verließ uns wenig vorher schon, weil er in seinem Hotel noch mit seiner<br />
Freundin telefonieren wollte. Ich habe gestern Abend durchgehend nur<br />
Wasser getrunken.<br />
68
Das ist w<strong>ich</strong>tig, dass es bezeugt wird, denn Waldtmann möchte m<strong>ich</strong> als<br />
Trunkenbold darstellen, dem man keine Lizenz hätte geben dürfen. Darauf<br />
wird er herumhacken.«<br />
»Aber wieso?«<br />
»Ich war Alkoholiker, Herr Klönkens, und Waldtmann weiß das.«<br />
Charlotte sah m<strong>ich</strong> verwundert an und fragte entsetzt: »Du warst<br />
Alkoholiker?«<br />
»Ja», antwortete <strong>ich</strong> schl<strong>ich</strong>t.<br />
Klönkens unterbrach und sagte: «Kommen Sie, wir wollen<br />
hinübergehen. Wir sollten unter diesen Umständen keineswegs zu spät<br />
kommen. Und das Sprechen überlassen Sie zunächst einmal nur mir.»<br />
In mir kochte schon wieder einmal ungeheure Wut. Wut auf einen<br />
Typen, der Charlotte belästigte, terrorisierte und vergewaltigte und dabei<br />
immer noch frei herumlaufen durfte, während man mir an den Kragen<br />
wollte, weil <strong>ich</strong> ihn aus dem Wasser fischte. Ich wusste, wenn er mir das<br />
nächste Mal in die Finger geraten würde, hätte er n<strong>ich</strong>ts mehr, womit er<br />
Frauen bedrängen konnte. Charlotte muss dies alles an meinem Ges<strong>ich</strong>t<br />
gesehen haben, denn sie sagte leise zu mir: «Er ist es n<strong>ich</strong>t wert, dass du<br />
d<strong>ich</strong> auch noch unglückl<strong>ich</strong> machst.»<br />
»Schon gut, Charly. Nur wenn er mir nochmals in die Finger gerät,<br />
zermalme <strong>ich</strong> ihm das Gekröse.«<br />
Es kam aber gar n<strong>ich</strong>t erst zu einer Gegenüberstellung. Nachdem<br />
Klönkens unsere Aussage Waldtmann wiederholte und darauf drängte,<br />
dass dieser gewaltbereite Verbrecher wegen Wiederholungstaten<br />
gegenüber Charlotte und telefonischen Morddrohungen in<br />
Untersuchungshaft gehörte, bis es zu einem Termin käme, wurde sogar<br />
Waldtmann zugängl<strong>ich</strong>er. Er befragte Charlotte nochmals nach<br />
Einzelheiten und entschied: »Wir werden die Telefonate des Herrn Oettel<br />
auswerten und wenn wir feststellen, dass er wiederholt Frau Hansen<br />
angerufen hat, vor allen vor zwei Tagen, dann werden wir ihn einlochen,<br />
da können Sie ganz s<strong>ich</strong>er sein. Und Sie, <strong>Teufel</strong>, werden einen höllisch<br />
großen Bogen um den Herren machen. Ich weiß, dass Sie immer wieder auf<br />
private Rachefeldzüge gehen. Wehe, da kommen Übergriffe. Dann sind Sie<br />
dran, und das wissen Sie.«<br />
»Ich werde n<strong>ich</strong>ts gegen Oettel unternehmen, was n<strong>ich</strong>t im<br />
Gesetzeseinklang wäre, Waldtmann, das verspreche <strong>ich</strong> Ihnen. <strong>Wenn</strong> er<br />
s<strong>ich</strong> mir oder meiner Angestellten allerdings noch einmal nähern sollte,<br />
kann <strong>ich</strong> für n<strong>ich</strong>ts garantieren.<br />
69
Komm, Charly, wir haben noch zu arbeiten.«<br />
Wir verließen zusammen mit Klönkens das Polizeipräsidium wieder<br />
und er warnte m<strong>ich</strong>: »Lassen Sie Oettel wirkl<strong>ich</strong> zufrieden, <strong>Teufel</strong>. Der ist<br />
bei Waldtmann jetzt gut aufgehoben. Er ist ein guter Polizist.«<br />
»Ich weiß«, sagte <strong>ich</strong> nur.<br />
Später fragte m<strong>ich</strong> Charlotte: »Woher weißt du, dass Waldtmann ein<br />
guter Polizist ist?«<br />
»Weil er als Einziger für m<strong>ich</strong> ausgesagt hat, dass <strong>ich</strong> in Notwehr<br />
gehandelt habe, als <strong>ich</strong> meine Frau erschoss. Und dass obwohl er m<strong>ich</strong><br />
hasst, wie die Pest.«<br />
»Aber warum?«<br />
»Es wäre eine viel zu lange Gesch<strong>ich</strong>te, Charly. Lass es einfach gut sein.«<br />
Wir arbeiteten den ganzen Nachmittag und um 18 Uhr kam Sabine und<br />
bewunderte unsere tolle Bar. Sie wollte Tiffert abholen und <strong>ich</strong> sagte ihr<br />
nur: »Sabine ist n<strong>ich</strong>t. Jetzt ziehen wir uns festl<strong>ich</strong> an und gehen alle in die<br />
»L´orchideé« und speisen fürstl<strong>ich</strong>. Das habt ihr alle verdient. Einen Tisch<br />
habe <strong>ich</strong> schon bestellt für fünf Personen um 20 Uhr. Aber einen Aperitif<br />
können wir hier schon nehmen.<br />
»Bin <strong>ich</strong> festl<strong>ich</strong> genug gekleidet«, fragte Sabine und öffnete ihren<br />
Mantel. Sie trug ein so genanntes »kleines Schwarzes« darunter und Benny<br />
pfiff anerkennend.<br />
»Halt d<strong>ich</strong> ja <strong>zurück</strong>«, mahnte Tiffert unseren Youngster.<br />
Wir nahmen dann doch keinen Aperitif mehr an unserer Bar. Sabine und<br />
Charlotten wollten in die Wohnung von Charlotte gehen und Tiffert und<br />
Benny wollten s<strong>ich</strong> im Hotel frisch machen und <strong>ich</strong> fuhr zu mir nach<br />
Hause, um m<strong>ich</strong> ebenfalls umzuziehen. Später wollten wir uns alle in der<br />
Hotelhalle wieder treffen.<br />
Ich wählte meinen englischen Maßanzug und fuhr <strong>zurück</strong> und stellte<br />
den Wagen wieder im Parkhaus in der Baumwollbörse ab. Als <strong>ich</strong> in die<br />
Hotelhalle kam, waren alle schon an der Bar versammelt und hielten<br />
jeweils ein Champagnerglas in der Hand. Ich bestellte mir ein gezapftes<br />
Bier. Charlotte trug ein schl<strong>ich</strong>tes, aber gewagt ausgeschnittenes<br />
burgunderrotes Kleid und sah wieder umwerfend aus. Auch Sabine in<br />
ihrem schl<strong>ich</strong>ten Schwarzen war eine Augenweide. Benny verschlang<br />
beide mit seinen Blicken und <strong>ich</strong> grinste vor m<strong>ich</strong> hin, denn auch für ihn<br />
hatte <strong>ich</strong> noch eine Überraschung. Sie kam drei Minuten später. Samantha.<br />
Auch sie trug ein schwarzes Kleid, was ihre Oberweite herrl<strong>ich</strong> betonte.<br />
70
Ich entdeckte sie zuerst und war ihr entgegen gegangen und drückte sie<br />
an m<strong>ich</strong>. Sie fühlte s<strong>ich</strong> so gut an, wie <strong>ich</strong> sie in Erinnerung hatte und das<br />
sagte <strong>ich</strong> ihr auch leise. Und sie flüsterte <strong>zurück</strong>: »Eigentl<strong>ich</strong> hast du noch<br />
ein Versprechen einzulösen«, dann lachte sie perlend und laut. Jetzt erst<br />
schalteten Benny und Tiffert, und auf Charlottes Ges<strong>ich</strong>t spiegelte s<strong>ich</strong> ein<br />
Anflug von Unmut, als sie m<strong>ich</strong> dort mit der hübschen Frau im Arm<br />
wahrnahm. Aber das verflog, als Samantha ihrem Benny an den Hals flog.<br />
Ich legte meinen Arm um Charlotte und drückte sie sanft an m<strong>ich</strong>, als<br />
<strong>ich</strong> die Frauen bekannt machte, und Samantha konnte s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t verkneifen<br />
zu fragen: »Bist du die Glückl<strong>ich</strong>e, die ihr Herz an einen <strong>Teufel</strong> gehängt<br />
hat? Er ist ein Höllenmeister, aber auch ein ganz, ganz lieber Kerl.<br />
<strong>Wenn</strong> dieses Bürschchen n<strong>ich</strong>t in meine Leben getreten wäre«, und<br />
damit zog sie Benny zu s<strong>ich</strong>, »dann hätte <strong>ich</strong> ihn nie wieder freigegeben.«<br />
Und zu Sabine sagte sie: »Du passt zu Tiffert. Er ist bestimmt der beste<br />
Freund, den man haben kann. Bekomme <strong>ich</strong> auch was zu trinken?«<br />
Benny brachte nur noch ihren Koffer aufs Zimmer und wir tranken<br />
unsere Getränke aus. Danach brachen wir auf, um ein Festmahl zu<br />
genießen. Ich rief am frühen Nachmittag heiml<strong>ich</strong> Samantha an und ihr<br />
gesagt, dass sie herüberfliegen sollte, damit ihr Benny heute Abend n<strong>ich</strong>t<br />
so allein sei. Als <strong>ich</strong> ihr auch noch sagte, dass sie das Ticket nur am Schalter<br />
abholen brauchte, weil <strong>ich</strong> es dort schon für sie hinterlegen ließ, zögerte sie<br />
keinen Augenblick. Benny war natürl<strong>ich</strong> selig und auf dem Weg zum<br />
Restaurant schmiegte s<strong>ich</strong> Charlotte ganz eng an m<strong>ich</strong> und flüstert mir zu:<br />
»Du bist wirkl<strong>ich</strong> ein bemerkenswerter Mann. Ich an Samanthas Stelle<br />
hätte d<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t wieder hergegeben.«<br />
Das Essen war vorzügl<strong>ich</strong> und die Weine, die uns der Sommelier dazu<br />
empfahl, passten hervorragend.<br />
Während des Essens machte <strong>ich</strong> Samantha ein Kompliment, weil sie<br />
schon sehr gut deutsch sprach. Sie freute s<strong>ich</strong> darüber und meinte: »Das<br />
musste <strong>ich</strong> ganz schnell lernen, denn in der Firma ist es notwendig, sonst<br />
verstehen m<strong>ich</strong> meine Untergebenen n<strong>ich</strong>t.«<br />
Das musste sie mir erklären, denn <strong>ich</strong> wusste n<strong>ich</strong>t, dass sie inzwischen<br />
zu einer Abteilungsleiterin aufgestiegen war, und immerhin zwanzig<br />
Männer befehligte. Benny schien über diese Leistung am stolzesten zu sein.<br />
Später, als wir alle wieder im Hotel versammelt waren sagte Sabine: »Ich<br />
fahre n<strong>ich</strong>t mehr nach Hause. Ich bleibe hier.«<br />
Charlotte und <strong>ich</strong> sahen uns an und dann fragte sie m<strong>ich</strong>: »Zu dir oder<br />
zu mir?«<br />
Ich fuhr uns in meine Wohnung.<br />
71
Ich wollte n<strong>ich</strong>t Gefahr laufen, wieder in die Weser springen zu müssen,<br />
obwohl <strong>ich</strong> s<strong>ich</strong>er war, dass <strong>ich</strong> heute auch n<strong>ich</strong>t gesprungen wäre.<br />
Charlotte sah s<strong>ich</strong> in meiner Wohnung neugierig um und es schien ihr<br />
zu gefallen, was sie sah. Als <strong>ich</strong> ihr mein Schlafzimmer als letzten Raum<br />
zeigte, streifte sie ihre Schuhe ab und sagte: »Ach wie schade, <strong>ich</strong> habe ja<br />
gar kein Nachtzeug mit.«<br />
»Im Kühlschrank liegt noch eine Gurke, für den Fall, dass du dir noch<br />
einen Ges<strong>ich</strong>tspackung machen möchtest.«<br />
Empört fragte sie: »Habe <strong>ich</strong> das etwa nötig?«<br />
Ich zeigte ihr, was sie nötig hätte, indem <strong>ich</strong> ihr Ges<strong>ich</strong>t und ihren<br />
Körper mit Küssen überzog.<br />
Später als sie an m<strong>ich</strong> gekuschelt im Einschlafen begriffen war,<br />
murmelte sie noch: »Dieses Schönheitsmittel sollte <strong>ich</strong> öfter anwenden.«<br />
10<br />
Beziehungen und Verbündete<br />
Am Sonntagmorgen genossen wir es gemeinsam aufzuwachen und<br />
dann mussten wir uns beeilen, denn wir wollten zusammen mit den<br />
anderen im Hotel frühstücken und Charlotte wollte s<strong>ich</strong> natürl<strong>ich</strong> vorher<br />
noch umziehen. Weil wir heute weiter werkeln wollten, zog <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> auch<br />
leger an und fuhr zu Charlys Wohnung. Sie zog wieder ihre Jeans und<br />
einen Pullover an und zog genau wie <strong>ich</strong> eine Lederjacke darüber.<br />
Es war immer noch angenehm warm, für einen Dezembertag.<br />
Als wir in den Frühstücksraum des Hotels kamen, waren schon alle<br />
versammelt. Selbst Sabine schaffte es schon mit einem Taxi nach Hause zu<br />
fahren, um s<strong>ich</strong> umzuziehen. Tiffert machte heute Morgen einen<br />
vergnügten Eindruck, obwohl <strong>ich</strong> ihn sonst morgens immer nur<br />
rummuffelnd kannte. Sabine tat ihm s<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong> gut. Unser Frühstück zog<br />
s<strong>ich</strong> dann doch länger hin, weil wir wie Marktfrauen schwatzten. Erst als<br />
die anderen Tische schon für das Mittagessen eingedeckt wurden, gingen<br />
wir hinüber in unser Büro und <strong>ich</strong> war sehr erstaunt, Stadtler hier schon<br />
vorzufinden.<br />
Er lachte, als er uns alle gemeinsam kommen sah und fragte, ob wir gut<br />
geschlafen hätten. Wir bestätigten ihm das und er nannte mir den Grund,<br />
warum er schon in der Firma war.<br />
72
Es waren noch einige Dinge, die hier im Tresor lagerten, die er durch<br />
seinen Fahrer in sein Haus bringen lassen wollte. Außerdem wollte er mir<br />
dann den Schlüssel und Kombination des riesigen Tresors aushändigen.<br />
Benny und Tiffert waren schon wieder dabei, die letzten Handgriffe für das<br />
Netzwerk zu machen und Benny wollte auch noch die<br />
Überwachungskameras in die Bar einbauen.<br />
Stadtlers Tresor war eine Offenbarung. Er war zimmergroß und hier<br />
konnten wir wirkl<strong>ich</strong> eine ganze Menge wirkl<strong>ich</strong> vertraul<strong>ich</strong>er Akten<br />
unterbringen. Und er enthielt außerdem noch eine Art Schließfachsystem,<br />
wo einzelne abschließbare Kleintresore vorhanden waren. Der ganze große<br />
Tresor war schon leer geräumt gewesen, aber in eben einem dieser<br />
Schließfächer bewahrte Stadtler noch die Unterlagen, weswegen er heute<br />
hierher gekommen war. Er bat m<strong>ich</strong> die Kassette herauszuheben, weil sie<br />
zu schwer für ihn war. Sie war auch mörderisch schwer und wenn er m<strong>ich</strong><br />
n<strong>ich</strong>t gewarnt hätte, wäre sie mir s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> aus den Händen geglitten.<br />
Er machte sie auf, als <strong>ich</strong> sie auf ein kleines Tischchen abstellte. Die<br />
Kassette war vollständig ausgelegt mit Goldbarren. Er witzelte: »Dies ist<br />
n<strong>ich</strong>t meine eiserne, sondern meine goldene Reserve. Sie verraten es doch<br />
dem Finanzamt n<strong>ich</strong>t?«<br />
»Ich hoffe nur, dass Sie bei s<strong>ich</strong> zu Hause ein ebenso gutes Versteck bzw.<br />
einen so guten Tresor besitzen.«<br />
»Habe <strong>ich</strong>, aber einen Teil davon, werde <strong>ich</strong> in die Filmproduktion<br />
stecken. Vermeer wird das für m<strong>ich</strong> arrangieren. Er hat es mir schon<br />
zugesagt.«<br />
Und wie gut s<strong>ich</strong> Vermeer darauf verstand, wusste <strong>ich</strong> nur zu gut, denn<br />
er und Mareike verwaltete mein Vermögen ja auch.<br />
»Sie sind doch S<strong>ich</strong>erungsfachmann, <strong>Teufel</strong>. Kommen Sie doch bitte<br />
heute Abend in mein Haus. Sie können dann meine<br />
S<strong>ich</strong>erheitsvorkehrungen überprüfen und mir vielle<strong>ich</strong>t raten, wie sie zu<br />
verbessern wären. Wir haben heute einen kleinen Empfang geplant. Ich<br />
möchte meinen Sohn und meine Schwiegertochter hier im Oberneulander<br />
Kreis einführen. Sie wissen doch, wie das ist, das beste Kapital ist immer,<br />
dass man die r<strong>ich</strong>tigen Beziehungen hat. Bei der Gelegenheit kann man<br />
s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> auch für Sie ein wenig Reklame machen. Auch Ihnen tun<br />
Beziehungen s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> gut. Sie müssen deswegen n<strong>ich</strong>t ja n<strong>ich</strong>t gle<strong>ich</strong> in<br />
den Club zur Vahr eintreten.«<br />
Ich lächelte ihn an und meinte: »Da würde <strong>ich</strong> als auf dem falschen<br />
Weserufer Geborener s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> sowieso n<strong>ich</strong>t angenommen und so ganz<br />
ist es n<strong>ich</strong>t meine Welt, dieser Snobismus.«<br />
73
»Nee, das ist auch n<strong>ich</strong>t meine Welt. Aber gegen ehrbare Kaufleute<br />
haben Sie doch s<strong>ich</strong>er n<strong>ich</strong>ts?«<br />
»<strong>Wenn</strong> Sie ehrbar sind, bestimmt nie.«<br />
»Gut, dann seien Sie bitte so gegen 18 Uhr da, dann ist noch kein Trubel<br />
und Sie können in Ruhe die S<strong>ich</strong>erheitsvorkehrungen überprüfen. Bringen<br />
Sie ruhig Ihre Charly mit, Sie ist bei mir immer gerne gesehen.<br />
Und machen Sie s<strong>ich</strong> keine Gedanken, dass s<strong>ich</strong> meine Gäste darüber<br />
mokieren, dass Sie mit einer Sekretärin an Ihrer Seite auftauchen. Die<br />
meisten meiner Freunde sind mit ihren ehemaligen Sekretärinnen<br />
verheiratet. <strong>Wenn</strong> <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t schon so alt wäre, hätte <strong>ich</strong> bestimmt um die<br />
Gunst Ihrer Charlotte gebuhlt. Sie ist wirkl<strong>ich</strong> eine Schönheit. Kleine<br />
Abendgarderobe, einverstanden?«<br />
Er streckte mir die Hand hin und <strong>ich</strong> schüttelte sie. Ich wusste Wiesel<br />
hätte diese Gelegenheit ebenfalls n<strong>ich</strong>t ausgeschlagen. Wir verstauten nur<br />
noch die Goldbarren in einem Koffer und <strong>ich</strong> trug ihn zu Stadtlers Wagen.<br />
Der Chauffeur riss den Wagenschlag auf, als er seinen Chef kommen sah.<br />
Er nahm mir den Koffer ab und verstaute ihn im Auto. Stadtler winkte mir<br />
noch einmal zu, bevor sie losfuhren. Ich schmunzelte vor m<strong>ich</strong> hin, als <strong>ich</strong><br />
wieder <strong>zurück</strong> ins Büro ging. Dieser alte Fuchs, lagerte ein Vermögen hier<br />
in seinem Tresor, und scheinbar kein Mensch wusste etwas davon. Ich<br />
mochte ihn, den alten Herrn.<br />
Benny war schon fast fertig mit dem Einbau der Kameras. Er justierte im<br />
Moment noch die Aufnahmewinkel. Danach wollte er mir zeigen, wie alles<br />
funktionierte.<br />
Ich wunderte m<strong>ich</strong>, dass die Frauen n<strong>ich</strong>t da waren und Benny klärte<br />
m<strong>ich</strong> auf: »Charly und Sabine zeigen Samantha die Sehenswürdigkeiten<br />
der Stadt. Sie haben etwas von Böttcherstraße und Schnoor gesagt.<br />
Weißt du damit etwas anzufangen?«<br />
»Klar, wenn wir hier gle<strong>ich</strong> fertig sein sollten, kann <strong>ich</strong> es euch auch<br />
einmal zeigen. Es sind die Sehenswürdigkeiten, die hier gle<strong>ich</strong> um die Ecke<br />
sind.«<br />
Ich ging <strong>zurück</strong> an den Tresor und programmierte die<br />
Zahlenkombination neu und überlegte mir, wo <strong>ich</strong> den Schlüssel wohl am<br />
Besten lassen konnte. Mir fiel wieder mein Amsterdamtrick ein. Am besten<br />
bewahrt man etwas so augenfällig auf, was versteckt werden muss, dass<br />
man gar n<strong>ich</strong>t auf die Idee kommt, dass es direkt vor der Nase ist. An der<br />
Bar gab es so viele Schlüssel für die einzelnen Fächer und Einschübe, da<br />
gab es ein ganz dickes Schlüsselbund.<br />
74
Jetzt lag es noch dort auf dem Tresen, aber wir konnte es auch in der<br />
Nähe der Kameras an einen Haken hängen. Auf die Idee, dass der<br />
Tresorschlüssel inmitten der Barschlüssel hängen könnte, würde so schnell<br />
keiner kommen.<br />
Tiffert kam auch wieder aus dem Keller und meinte: »So unsere<br />
Datenleitung ist jetzt so gut versteckt, die knackt uns hier keiner. Los,<br />
<strong>Teufel</strong> wir testen die Verbindungen. Kannst du heute jemanden in London<br />
erre<strong>ich</strong>en?«<br />
»Francis ist bestimmt da. Sonntags kann er am besten arbeiten, sagt er<br />
immer, dann guckt ihm keiner über die Schulter.«<br />
»Aber wir wollen in seinen Computer schauen. Ruf ihn schon Mal an.«<br />
Ich sprach fast eine Viertelstunde lang mit Francis und wir tauschten<br />
Informationen aus und er sagte mir, dass er mir einen Teil des Rechners<br />
freischalten wolle, damit <strong>ich</strong> r<strong>ich</strong>tig schön schnüffeln könne. Er lachte, als<br />
er mir sagte: »An deine Personalakte kommst du aber n<strong>ich</strong>t.«<br />
»So viel Schme<strong>ich</strong>eleien könnte <strong>ich</strong> an solch einem Tag auch gar n<strong>ich</strong>t<br />
gebrauchen, Francis.«<br />
Jetzt lachte er noch mehr und meinte: »Glaube ja n<strong>ich</strong>t, dass da nur<br />
Schme<strong>ich</strong>elhaftes über d<strong>ich</strong> vermerkt ist. Übrigens soll <strong>ich</strong> d<strong>ich</strong> ganz lieb –<br />
und dieses lieb zog er so r<strong>ich</strong>tig in die Länge – von meiner Frau grüßen. Sie<br />
ist gerade hier bei mir, und will dir ein Küsschen durch die Leitung<br />
hauchen. Eileen hauchte mir wirkl<strong>ich</strong> einen Kuss durch die Leitung und<br />
sagte dann: »Mehr darf <strong>ich</strong> aber n<strong>ich</strong>t, sonst verhaut m<strong>ich</strong> mein<br />
eifersüchtiger Ehemann«, damit gab sie den Hörer wieder an Francis weiter<br />
und der gab mir meine Zugangsdaten.<br />
Wenig später war <strong>ich</strong> dann im Londoner Rechner und <strong>ich</strong> konnte im<br />
Fallarchiv wühlen, soviel <strong>ich</strong> wollte. Es war wirkl<strong>ich</strong> fantastisch. Von hier<br />
aus konnte <strong>ich</strong> mit meinem Zugangscode sogar in den Rechner von<br />
Scottland Yard. Diesen Code erhielt <strong>ich</strong> damals, als wir gemeinsam die U-<br />
Bahn s<strong>ich</strong>erer machten. Er war immer noch gültig.<br />
<strong>Wenn</strong> Waldtmann davon gewusst hätte, wäre er s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> verrückt<br />
geworden.<br />
Wir beendeten gerade den zweiten Test mit Wiesels Rechner und<br />
diesmal war <strong>ich</strong> auch im BKA-Rechner gewesen, als mein Telefon klingelte.<br />
Ich schreckte regelrecht auf, denn wer kannte schon unsere neue<br />
Telefonnummer. Ich meldete m<strong>ich</strong> neugierig, um zu erfahren, wer s<strong>ich</strong><br />
verwählte, als mir Waldtmanns Organ ins Ohr blies: »<strong>Teufel</strong>, kommen Sie<br />
sofort ins große Krankenhaus. Unfallchirurgie, 1. Stock. Ihre Freundin ist<br />
angegriffen worden.«<br />
Dann hatte Waldtmann schon wieder aufgelegt gehabt.<br />
75
Ich schrie nur: »Verflucht. Kommt wir müssen sofort ins Krankenhaus.<br />
Der verrückte Oettel hat es wahr gemacht. Er hat Charlotte angegriffen.<br />
Von Sabine und Samantha hat er n<strong>ich</strong>ts gesagt, aber wir müssen davon<br />
ausgehen, dass auch ihnen etwas passiert ist. Los, alles zusperren und<br />
dann ein Taxi. Ich bring ihn um, wenn <strong>ich</strong> ihn erwische.«<br />
Keine Minute später saßen wir im Taxi und <strong>ich</strong> trieb den Fahrer an. Aber<br />
der war ein Gemütsmensch und meinte nur: »Sie wissen so gut wie <strong>ich</strong>,<br />
dass <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t schneller vorankomme.<br />
Die Ampeln sind nun einmal bescheiden geschaltet hier in dieser Stadt.«<br />
Bedauerl<strong>ich</strong>erweise wusste <strong>ich</strong> das nur zu gut und es würde n<strong>ich</strong>ts<br />
nützen, wenn wir jetzt auch noch verunglücken würden. Mein Herz raste<br />
wieder einmal.<br />
Es wurde auch n<strong>ich</strong>t besser als wir die Treppe zum ersten Stock<br />
hochliefen, aber es beruhigte s<strong>ich</strong> ein wenig wieder, als <strong>ich</strong> Sabine und<br />
Samantha dort sitzen sah. Beide weinten und mein Herz sank noch tiefer in<br />
meine Hose. In mir schrie es nur: »N<strong>ich</strong>t schon wieder, n<strong>ich</strong>t schon<br />
wieder.«<br />
Unsere Liebe war gerade erst erblüht, und <strong>ich</strong> wollte sie n<strong>ich</strong>t schon<br />
wieder sofort verloren haben. Ich rannte zu Sabine und schrie schon von<br />
Weitem: »Was ist mit Charlotte?«<br />
»Waldtmann ist bei ihr. Er befragt sie.«<br />
Mir schossen vor Erle<strong>ich</strong>terung Tränen in die Augen. <strong>Wenn</strong> Waldtmann<br />
sie befragen konnte, dann war sie n<strong>ich</strong>t tot, und auch n<strong>ich</strong>t so schwer<br />
verletzt, denn dann hätten es die Ärzte n<strong>ich</strong>t zugelassen, dass Waldtmann<br />
sie befragen konnte.<br />
Benny und Tiffert nahmen jeweils ihre Frauen beschützend in den Arm<br />
und <strong>ich</strong> wollte gerade fragen, was denn passiert wäre, als Waldtmann aus<br />
einem Zimmer kam und mir zuwinkte.<br />
»Kommen Sie, Sie können sie für einen Augenblick sehen. Sie ist<br />
schwach, aber sie ist bei Bewusstsein.«<br />
Er schob m<strong>ich</strong> ins Zimmer und sagte: »Aber nur fünf Minuten.«<br />
Es stahl s<strong>ich</strong> sogar ein schwaches Lächeln auf Charlottes Lippen, als <strong>ich</strong><br />
zum Bett kam und m<strong>ich</strong> zu ihr beugte. Ich küsste sie und als <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong><br />
wieder aufr<strong>ich</strong>ten wollte, sagte sie leise: »Bitte küss m<strong>ich</strong> einfach noch ein<br />
wenig mehr. Und viel sprechen soll <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t, weil <strong>ich</strong> dann mein verletztes<br />
Zwerchfell zu sehr anstrenge. Und deine Küsse sind so schön und <strong>ich</strong><br />
freute m<strong>ich</strong> so auf heute Abend und auf mein Schönheitsmittel.«<br />
Ich küsste sie weiter und ihre Augen fingen wieder an, zu leuchten. Als<br />
<strong>ich</strong> ihre Halsbeuge sanft küsste, hauchte sie: »Ich fühle, wie <strong>ich</strong> reagiere.<br />
Ach <strong>Teufel</strong>, mein ganzer Körper sehnt s<strong>ich</strong> schon wieder nach dir.«<br />
76
Ich küsste sie wieder auf den Mund, denn <strong>ich</strong> konnte es n<strong>ich</strong>t ertragen,<br />
dass sie s<strong>ich</strong> sehnte, aber <strong>ich</strong> ihr n<strong>ich</strong>t helfen konnte. Die fünf Minuten<br />
waren viel zu schnell zu Ende und <strong>ich</strong> wünschte ihr gute und schnelle<br />
Besserung, und dann holte m<strong>ich</strong> Waldtmann wieder und dirigierte m<strong>ich</strong> in<br />
das Raucherzimmer. Hier waren auch die anderen schon versammelt.<br />
Waldtmanns Ges<strong>ich</strong>t drückte maßlose Wut aus. Aber ausnahmsweise<br />
schien sie n<strong>ich</strong>t gegen m<strong>ich</strong> ger<strong>ich</strong>tet zu sein. Er schimpfte plötzl<strong>ich</strong> los:<br />
»Diese Riesenrindviecher, diese idiotischen Juristen. Da lassen die doch<br />
diese Kanaille laufen, obwohl <strong>ich</strong> sie dringend warnte.<br />
Und der macht genau das, wovor <strong>ich</strong> gewarnt habe, aber wegen<br />
Sexualdelikten wird er s<strong>ich</strong> in Zukunft n<strong>ich</strong>t mehr zu verantworten haben,<br />
dafür haben Sie ja endgültig gesorgt Frau Miller.«<br />
Ich sah Waldtmann fragend an und er ging auch sofort darauf ein:<br />
»Oettel liegt lebensgefährl<strong>ich</strong> verletzt ebenfalls hier im Krankenhaus. Frau<br />
Miller hat ihm mit ihren spitzen Absätzen die Hoden zertreten, als er auf<br />
dem Boden lag. Wir gehen davon aus, dass es immer noch in<br />
Notwehrsituation war, denn Oettel hielt immer noch das Messer in der<br />
Hand. Das haben jedenfalls einige Zeugen gesehen. Nachdem Oettel Frau<br />
Hansen angriff, haben Sie, Frau Miller, mit ihrer Handtasche den Mann am<br />
Kopf getroffen, sodass er strauchelte. Soweit wir wissen, haben sie dann<br />
weiter mit der Tasche nach seinem Kopf geschlagen, ihn aber n<strong>ich</strong>t schwer<br />
verletzt. Danach sind Sie ihm in den Unterbauch gesprungen und haben<br />
dabei weiter mit der Tasche nach ihm geschlagen. Ist das r<strong>ich</strong>tig so?«<br />
»Ich glaube ja, aber <strong>ich</strong> weiß es n<strong>ich</strong>t mehr so genau. Ich weiß nur, dass<br />
<strong>ich</strong> furchtbar geschrien haben muss, denn plötzl<strong>ich</strong> waren viele Menschen<br />
um m<strong>ich</strong>.«<br />
»Aber Sie würden dies so protokollieren können?«<br />
»Ja.«<br />
»Gut, Herr <strong>Teufel</strong>, als halbamtl<strong>ich</strong>e Person wird dieses Morgen für Sie<br />
zu Protokoll geben, dann können Sie schon heute mit Ihrem<br />
Lebensgefährten Herrn Schulz nach Berlin <strong>zurück</strong>fahren und brauchen hier<br />
eventuell nur noch im Prozess gegen Oettel aussagen, wenn er es<br />
überhaupt übersteht.«<br />
»Sie, Frau Schröter können dazu was aussagen?«<br />
»Wir waren gerade ungefähr in der Mitte des Schnoors angekommen<br />
und Charlotte erklärte gerade Samantha, was es mit diesem schmalen<br />
Gang auf s<strong>ich</strong> hätte, der dann in den Hof beim Katzen-Café führt, als dieser<br />
Verrückte aus dem Gang gerannt kam und ein Messer in der Hand hielt.<br />
77
Er rannte direkt auf Charlotte zu und hat etwas gebrüllt. Er hat<br />
geschrien: »Du blöde Nutte glaubst doch n<strong>ich</strong>t etwa, dass <strong>ich</strong> deinetwegen<br />
in den Knast gehe. Ich bring d<strong>ich</strong> um.«<br />
Dann hat er sofort auf sie eingestochen. Samantha hat fantastisch<br />
reagiert und mit ihrer Tasche nach ihm geschlagen. Dadurch ist er<br />
hingefallen und Samantha hat weiter mit der Tasche auf ihn<br />
eingedroschen. Er lag da wie ein Maikäfer und hat weiter mit seinem<br />
Messer rumgefuchtelt. Ich habe Angst gehabt, dass er Samanthas Beine<br />
trifft. Dann hat er plötzl<strong>ich</strong> ganz laut geschrien. Danach war Ruhe.<br />
Und ganz viele Menschen standen um uns herum und <strong>ich</strong> kniete neben<br />
Charlotte und habe versucht meine Handfläche gegen die Wunde da oben<br />
am Bauch, bei den Rippen zu drücken. Bis jemand gesagt hat: »Lassen Sie<br />
m<strong>ich</strong> das machen, <strong>ich</strong> bin Arzt. Wenig später kam auch schon ein<br />
Rettungswagen und kam n<strong>ich</strong>t zu uns durch, weil so viel Gaffer da waren.<br />
Es war so schreckl<strong>ich</strong>, weil Charlotte so geblutet hat und der<br />
Rettungswagen war so nah, aber die Leute gingen n<strong>ich</strong>t beiseite.«<br />
Sabine weinte wieder und schien alles noch einmal durchleben zu<br />
müssen. Tiffert legte wieder beruhigend seinen Arm um sie.<br />
»<strong>Teufel</strong>, Sie haben auch diese Aussage gehört. Um Frau Schröter das<br />
ständige Wiederholen der Aussage zu ersparen, könnten Sie die Aussage<br />
morgen mir und einem Polizeistenografen wiedergeben.«<br />
»Ja, Kommissar Waldtmann das kann <strong>ich</strong>. Wann soll <strong>ich</strong> im Präsidium<br />
sein?«<br />
»Kommen Sie um 10 Uhr. Am besten gle<strong>ich</strong> in meine Dienststelle.«<br />
»Ich werde da sein.«<br />
»Gut, dann ist die Befragung hier zu Ende und Sie Frau Miller und Sie<br />
meine Herren können nach Berlin <strong>zurück</strong>kehren. Und Sie, <strong>Teufel</strong>, können<br />
nach Hause gehen, und Sie Frau Schröter selbstverständl<strong>ich</strong> auch.«<br />
»Fahrt ihr schon rüber ins Hotel. Ich komme gle<strong>ich</strong> nach. Wir passen<br />
sowieso n<strong>ich</strong>t in eine Taxe.«<br />
Die Vier gingen und Waldtmann und <strong>ich</strong> boten uns gegenseitig<br />
Zigaretten an. Wir wählten jeweils unsere eigene Marke, aber <strong>ich</strong> gab ihm<br />
Feuer. Er dankte mit einem Kopfnicken.<br />
Als <strong>ich</strong> s<strong>ich</strong>er war, dass keiner mehr mithören konnte, fragte <strong>ich</strong><br />
Waldtmann: »Ein außergewöhnl<strong>ich</strong>es Vorgehen. Was hat Sie dazu<br />
bewogen?«<br />
»Ich hätte gegen Frau Miller ein Verfahren wegen schwerer<br />
Körperverletzung, eventuell mit Todesfolgen, einleiten müssen, wenn wir<br />
die Aussagen n<strong>ich</strong>t so hätten, wie wir sie haben.«<br />
78
»Wieso?«<br />
»Oettel, war schon nach dem Schlag mit der Tasche weggetreten, weil<br />
ein Buddelschiff in der Tasche war. Das hatte die Miller am Eingang der<br />
Straße gekauft. Außerdem steckte das Messer noch in der Wunde von Frau<br />
Hansen, also konnte er damit gar n<strong>ich</strong>t rumgefuchtelt haben. Aber dieses<br />
Schwein mussten wir doch endgültig festnageln, und n<strong>ich</strong>t auch noch Frau<br />
Miller dafür bestrafen, dass sie mutig war und einen Vergewaltiger<br />
entmannt, und eventuell sogar einen Mord verhindert hat.«<br />
Ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit durchfloss m<strong>ich</strong> und <strong>ich</strong> streckte ihm<br />
spontan die Hand hin und er schüttelte sie, während <strong>ich</strong> sagte: »Danke,<br />
Waldtmann, das werde <strong>ich</strong> Ihnen s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t vergessen.«<br />
»Trotzdem halte <strong>ich</strong> es für einen Fehler, dass man Ihnen eine Lizenz<br />
ausgestellt hat.«<br />
Der Satz hörte s<strong>ich</strong> schon wieder kämpferisch an. Wir waren zwar im<br />
Moment Verbündete geworden, aber Freunde noch lange n<strong>ich</strong>t.<br />
11<br />
Smalltalk und Geschäftsanbahnungen<br />
Ich bestieg vor den Toren des Krankhauses ein Taxi und war zum Hotel<br />
gefahren. Die Vier saßen etwas trübselig in der Hotelhalle und schienen auf<br />
m<strong>ich</strong> gewartet zu haben. Und zwar sehr heftig, denn kaum, als <strong>ich</strong><br />
eingetreten war, kamen sie zu mir herübergelaufen. Ich sagte ihnen nur:<br />
»Kommt, was wir zu besprechen haben, werden wir gle<strong>ich</strong> dort drüben in<br />
der Firma machen. Ihr Berliner checkt hier aus, damit ihr nach dem<br />
Gespräch sofort nach Berlin fahren könnt. Macht hier alles erst einmal klar.<br />
Sabine hast du noch Sachen hier bei Tiffert im Zimmer? Dann hole sie<br />
jetzt.«<br />
»Aber, <strong>ich</strong>..«<br />
»Das kannst du später noch drüben. Vielle<strong>ich</strong>t n<strong>ich</strong>t so intensiv, aber <strong>ich</strong><br />
glaube im Moment ist keiner so r<strong>ich</strong>tig drauf, noch Liebe zu machen. Aber<br />
gebührend verabschieden, kannst du d<strong>ich</strong> auch drüben noch. Es geht<br />
darum, dass ihr so schnell wie mögl<strong>ich</strong> aus der Stadt verschwindet. Also<br />
packt eure Sachen zusammen und gebt die Schlüssel ab. Die Rechnung<br />
übernehme <strong>ich</strong> sowieso. Wir müssen nur ganz schnell noch zusammen<br />
sprechen.«<br />
79
Sabine blieb bei mir, als Tiffert, Benny und Samantha nach oben in ihre<br />
Zimmer fuhren.<br />
Sabine fragte m<strong>ich</strong> fast schüchtern: »Meinst du das es was Festes werden<br />
könnte, zwischen Tiffert und mir?«<br />
»<strong>Wenn</strong> du den Altersunterschied n<strong>ich</strong>t scheust, dann sehe <strong>ich</strong> sogar sehr<br />
gute Chancen. Er ist übrigens wesentl<strong>ich</strong> jünger als du denkst; aber es sind<br />
schon ein paar Jährchen, die ihr auseinander seid.«<br />
»Ich habe noch nie einen so liebevollen und gescheiten Menschen<br />
getroffen wie ihn«, und plötzl<strong>ich</strong> hellte s<strong>ich</strong> ihr Ges<strong>ich</strong>t sogar ein wenig<br />
auf, »und selten einen so potenten Mann.«<br />
»Er ist ein wundervoller Mensch, Sabine. Aber er hat auch eine Marotte.<br />
<strong>Wenn</strong> er in ein Problem technischer Art verbissen ist, dann stehst du<br />
immer nur an zweiter Stelle. <strong>Wenn</strong> du damit leben kannst, dann hast du<br />
den besten Partner, den du dir vorstellen kannst.«<br />
»Nein, der Beste wärest du.«<br />
»Lass ihn das nie hören. Er würde unendl<strong>ich</strong> traurig sein, mein Schatz.<br />
Außerdem glaube <strong>ich</strong> inzwischen, dass <strong>ich</strong> kein Glücksbringer, sondern ein<br />
Unheilbringer bin. Ich schenke Glück und gle<strong>ich</strong>zeitig unendl<strong>ich</strong>es Leid.<br />
Von mir lässt man besser die Finger.«<br />
Tiffert kam fünf Minuten später mit seinem Koffer wieder und es<br />
dauerte nur noch wenige Augenblicke, bis Benny und Samantha auch aus<br />
dem Fahrstuhl stiegen und den Koffer gle<strong>ich</strong> dort stehen ließen. Wir<br />
gingen hinüber in die Baumwollbörse und gingen zunächst zu dem kleinen<br />
Lieferwagen der Firma und verstauten die Koffer. Erst danach fuhren wir<br />
in meine neuen Räume. Es dämmerte jetzt schon stark und umso<br />
interessanter sah unsere Bar aus. Ich fragte nur: »Wer fährt.«<br />
»Ich natürl<strong>ich</strong>«, beantwortete Benny meine Frage, »<strong>ich</strong> habe inzwischen<br />
sogar den Schein dafür«, verkündete er stolz.<br />
»Schlecht für d<strong>ich</strong>, denn dann bekommst du keinen Schnaps mehr, und<br />
auch kein Bier. Du bekommst dafür einen schönen Espresso.«<br />
Allen anderen schenkte <strong>ich</strong> einen eiskalten Wodka und ein Bier ein.<br />
Benny bekam einen doppelten Espresso. Dann kam <strong>ich</strong> zur Sache:<br />
»Waldtmann hat scheinbar aus schlechtem Gewissen heraus, weil man<br />
Oettel laufen gelassen hat, etwas gedreht. Er hätte dir Samantha einen<br />
Prozess wegen vorsätzl<strong>ich</strong>er Körperverletzung anhängen müssen, denn er<br />
hat d<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t mehr mit einem Messer bedroht, weil es immer noch in<br />
Charlottes Seite steckte. Außerdem hattest du ihn schon mit dem ersten<br />
Schlag mit deinem Buddelschiff ins Land der Träume geschickt. Alles was<br />
danach passierte, war ein Angriff auf eine hilflose Person.<br />
80
Darum hat er es so gedreht, dass ihr n<strong>ich</strong>t weiter aussagen müsst. <strong>Wenn</strong><br />
irgendein Idiot in seiner Dienststelle Zweifel <strong>daran</strong> äußert, müsstet ihr<br />
aussagen. Und wenn dann die Sache mit dem Messer herauskommen<br />
würde, dann sähe es schlecht für d<strong>ich</strong> aus. Obwohl vielle<strong>ich</strong>t jedermann<br />
und vor allen Dingen jede Frau, deine Beweggründe verstehen würde,<br />
strafrechtl<strong>ich</strong> wärest du dran. Falls Oettel draufgeht, sogar für<br />
Körperverletzung mit Todesfolgen und du würdest unweigerl<strong>ich</strong> in den<br />
Knast geschickt. Das ist der Grund, warum ihr so schnell verschwinden<br />
sollt.«<br />
»Ich muss trotzdem noch ein paar Worte mit Sabine unter vier Augen<br />
sprechen, <strong>Teufel</strong>«, sagte Tiffert wesentl<strong>ich</strong> ernster als <strong>ich</strong> es sonst von ihm<br />
kannte.<br />
»Zieht euch in mein Chefbüro <strong>zurück</strong>. Die Getränke könnt ihr<br />
mitnehmen«, meinte <strong>ich</strong> le<strong>ich</strong>thin.<br />
»Und du beurteilst das als eine Reaktion der Wut, dass die Justiz den<br />
Burschen wieder laufen ließ, seitens Waldtmann?«<br />
»N<strong>ich</strong>t nur das. Er ist genau wie <strong>ich</strong> ein Gerechtigkeitsfanatiker. Nur er ist<br />
einfach viel zu eingebunden in Vorschriften und Gesetze, die sowieso kein<br />
Mensch mehr versteht. Wo Täterschutz häufiger höher angesiedelt ist, als<br />
Opferschutz. Aber er kann trotzdem nur begrenzt über seinen Schatten<br />
springen, und in diesem Fall macht er schon einen Riesensatz.«<br />
»Aber warum behindert er dann immer wieder d<strong>ich</strong>?«<br />
»Weil <strong>ich</strong> einen Menschen getötet habe, Benny. Ich, als ziviler Mensch,<br />
habe einen Menschen getötet, und das darf <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t. Und einem<br />
Menschen, dem man diesen Vorwurf machen muss, dem kann man keine<br />
Lizenz für »fast amtl<strong>ich</strong>e« Nachforschungen geben. Das ist sein<br />
Standpunkt.«<br />
»Aber Samantha hat doch auch einen Menschen fast getötet und das<br />
toleriert er.«<br />
»Samantha hat auch keinen Antrag für die Lizenz als Privatermittlerin<br />
gestellt. Das ist der Unterschied, Benny.«<br />
Sabine und Tiffert kamen aus meinem Chefzimmer wieder zu uns und<br />
beide schienen erhitzt.<br />
Die Zeit, die sie dort verbrachten, schien mir n<strong>ich</strong>t zu re<strong>ich</strong>en noch Sex<br />
miteinander gehabt zu haben, aber beide sahen fast so aus. Sabine sagte<br />
nur: »Du, Tiffert«<br />
»Wir haben gerade beschlossen, unsere Klamotten zusammen zu werfen<br />
und es als Eheleute zu versuchen. Ich möchte Sabine so schnell als mögl<strong>ich</strong><br />
heiraten.«<br />
81
Ich bin ja schon ein schnelles Bürschchen, aber jetzt fiel mir die Kinnlade<br />
herunter. Nach zwei Abenden beschloss Tiffert, der Tüftler und so rational<br />
denkende Mensch, die Frau zu ehel<strong>ich</strong>en, die er eigentl<strong>ich</strong> nur für maximal<br />
20 Stunden gesehen hatte. Ich war perplex und konnte ausnahmsweise<br />
überhaupt n<strong>ich</strong>ts dazu sagen.<br />
Benny und Samantha starrten die Beiden ebenso fassungslos an wie <strong>ich</strong>,<br />
bis Sabine fragte: »<strong>Teufel</strong>, hast du n<strong>ich</strong>t wenigstens Sekt, oder so etwas im<br />
Hause, damit wir auf unsere Verlobung trinken können?«<br />
Wir hatten im Hause und es war auch noch Roederer Christal. Die<br />
Flasche opferte <strong>ich</strong> gerne, und bedauerte nur, dass Charlotte n<strong>ich</strong>t dabei<br />
sein konnte.<br />
Diesmal bekam auch Benny ein Glas ab. Kurz vor 17 Uhr fuhren sie<br />
dann endgültig ab. Ich setzte Sabine im vorderen Schwachhausen vor ihrer<br />
Haustür ab und beeilte m<strong>ich</strong> in mein eigenes Zuhause zu kommen.<br />
Duschen, nochmals rasieren, und in den dunkelblauen Anzug steigen, den<br />
<strong>ich</strong> gestern schon trug, war eine einzige fließende Bewegung. Ich kam nur<br />
die akademische Viertelstunde zu spät, als <strong>ich</strong> vor der Villa Stadtlers<br />
ankam.<br />
Der Fahrer, der scheinbar auch als Butler und Pförtner für Stadtler tätig<br />
war, fuhr meinen Wagen von der Einfahrt zu einer Garage und die<br />
Stadtlers nahmen m<strong>ich</strong> herzl<strong>ich</strong> in Empfang.<br />
Yvonne begrüßte m<strong>ich</strong> auf ihre Art und als sie m<strong>ich</strong> drückte, spürte <strong>ich</strong><br />
ihren Unterkörper sehr intensiv. Ich reagierte prompt, und <strong>ich</strong> sah in ihren<br />
Augen ein gewisses Triumphieren.<br />
Als <strong>ich</strong> dann erzählte, warum <strong>ich</strong> allein kommen musste, waren sie<br />
entsetzt und Stadtler fragte sofort, ob man für Charlotte etwas tun könne<br />
und ob sie dort im Krankenhaus auch genügend versorgt sei. Er bot an, sie<br />
sofort auf die Privatstation verlegen zu lassen und wollte dafür auch die<br />
Kosten übernehmen.<br />
Danach gingen Stadtler und <strong>ich</strong> sofort durchs Haus und <strong>ich</strong> besah mir<br />
seine S<strong>ich</strong>erheitseinr<strong>ich</strong>tungen und machte mir Notizen. Es gab ein paar<br />
Mängel und die Anlage war n<strong>ich</strong>t mehr unbedingt zeitgemäß, aber<br />
wahrscheinl<strong>ich</strong> noch effektiv. Dann besah <strong>ich</strong> mir seine private<br />
Computeranlage und fragte ihn, wie er sie nutze.<br />
Da er auch seinen Zahlungsverkehr darüber abwickelte, machte <strong>ich</strong> mir<br />
Notizen, wie er s<strong>ich</strong>erer gemacht werden musste, denn hier war jede<br />
Menge Potenzial, den Mann auszuspionieren.<br />
82
Yvonne füllte die Rolle der Gastgeberin hervorragend aus. Ihr Kleid war<br />
vielle<strong>ich</strong>t ein wenig zu gewagt ausgeschnitten und sie klemmte ihre etwas<br />
zu großen Brüste in einen etwas zu kleinen BH, und dadurch entstand der<br />
Eindruck, dass ihr Busen jeden Moment aus ihrem Kleid herausfallen<br />
könnte.<br />
Als die ersten Gäste erschienen, wurde mir ein wenig schwindelig bei<br />
den wohlklingenden Namen der Bremer Gesellschaft. Stadtler sagte mir<br />
gle<strong>ich</strong> eingangs, dass <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t von seiner Seite zu we<strong>ich</strong>en hätte, und so<br />
wurde <strong>ich</strong> herumgere<strong>ich</strong>t innerhalb der High Society Bremens.<br />
In der Mehrzahl waren es ältere Kaufleute und Banker mit ihren meist<br />
jüngeren Frauen und <strong>ich</strong> musste automatisch <strong>daran</strong> denken, dass Stadtler<br />
sagte: den ehemaligen Sekretärinnen.<br />
In meinem Alter waren nur wenige Gäste hier anwesend, wenn man<br />
davon absah, dass einige der Damen s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t älter waren.<br />
Die Gespräche waren belanglos und oberflächl<strong>ich</strong> und es war mancher<br />
Klatsch und Tratsch dabei, über Personen, die n<strong>ich</strong>t anwesend waren, aber<br />
in Bremen über große Namen verfügten. Aber hier kannte jeder jeden und<br />
Stadtler machte es ungemein geschickt n<strong>ich</strong>t nur seinen Sohn und seine<br />
Schwiegertochter aus Berlin, wie er es immer wieder betonte, sondern auch<br />
m<strong>ich</strong> als Freund des Hauses und mit dem außergewöhnl<strong>ich</strong>en Beruf, des<br />
Privatdetektivs vorzustellen. Wir waren wirkl<strong>ich</strong> die Einzigen hier in<br />
diesen Kreisen, die vorgestellt werden mussten.<br />
Eine auffallend hübsche blonde Frau, die mir als eine Frau Hertsch<br />
vorgestellt wurde, w<strong>ich</strong> in der ersten halben Stunde n<strong>ich</strong>t von meiner Seite.<br />
Ich schätzte sie auf Anfang vierzig, aber ihr Teint war auch ohne viel<br />
Schminke sehr zart und praktisch faltenlos. Ihr Mann, ein großer schlanker,<br />
sportl<strong>ich</strong>er Typ etwa zehn Jahre älter als sie, war schon gle<strong>ich</strong> nach der<br />
Vorstellung mit einer Gruppe anderer Männer weiter gezogen und<br />
unterhielt s<strong>ich</strong> mit denen in einer anderen Raumecke. Sie schienen s<strong>ich</strong><br />
über Finanzierungsfragen langfristiger Industrieanlagen zu unterhalten.<br />
Frau Hertsch wollte von mir eine ganze Menge aus meinem Beruf<br />
wissen. Ich erzählte ihr, dass <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> auf Wirtschaftsermittlungen<br />
spezialisiert hätte und wenig mit dem allgemeinen Erscheinungsbild, des<br />
observierenden, s<strong>ich</strong> hinter Bäumen oder Ecken versteckenden Schnüfflers<br />
übereinstimmte. Ich sagte ihr: »Ich beschäftige m<strong>ich</strong> mehr mit<br />
Buchungsjournalen und Lebensläufen, mit Banktransfers und<br />
Unternehmensstrategien, denn mit der Beobachtung von Menschen.<br />
Zwar werde <strong>ich</strong> auch immer Vers<strong>ich</strong>erungsbetrügern und<br />
Urkundenfälschern das Handwerk legen, aber sonst bin <strong>ich</strong> weniger hinter<br />
Ladendieben oder gar Mördern her.<br />
83
Meine große Aufgabe sehe <strong>ich</strong> vor allen Dingen darin,<br />
S<strong>ich</strong>erheitskonzepte zur Abwehr von Industriespionage zu erarbeiten oder<br />
Betriebsanlagen zu s<strong>ich</strong>ern.«<br />
Sie wollte noch etl<strong>ich</strong>e Dinge aus meinem Leben wissen und als <strong>ich</strong> ihr<br />
sagte, dass <strong>ich</strong> eigentl<strong>ich</strong> gelernter Schiffsbauer sei, verstärkte s<strong>ich</strong> ihr<br />
Interesse nochmals und sie erzählte mir von ihrem Hobby des Segelns.<br />
Außerdem wären sie mit einem Ehepaar befreundet, das heute noch eine<br />
kleine Werft für Segelschiffe und kleiner Privatjachten unterhielt. Ich<br />
wusste natürl<strong>ich</strong> sofort, welche Werft sie meinte und deren Inhaber m<strong>ich</strong><br />
auch kannten.<br />
Ich behielt dieses aber für m<strong>ich</strong>, denn die Leute kannten auch meine<br />
Vergangenheit und den tragischen Fall meines Todesschusses. Und dies<br />
fand <strong>ich</strong>, sollte heute Abend hier n<strong>ich</strong>t das Thema werden.<br />
Es waren auch eine Anzahl von Ärzten hier versammelt und <strong>ich</strong> sah,<br />
dass Stadtler mit einer Gruppe dieser Männer einen kleinen Augenblick<br />
länger zusammenstand und <strong>ich</strong> sah, dass einer von ihnen immer wieder<br />
nickte und Stadtler dem Mann die Hand drückte. Ich war mir s<strong>ich</strong>er, dass<br />
Stadtler etwas für Charlotte ausgehandelt hatte.<br />
Als wenig später dann ein paar jüngere Männer mit ihren Begleiterinnen<br />
ankamen, wurde <strong>ich</strong> blitzschnell an eine Party in London erinnert, die <strong>ich</strong><br />
eigentl<strong>ich</strong> besser vergessen hätte. Es waren aktive Fußballer von Werder<br />
Bremen mit ihren Frauen oder Freundinnen und sofort drehte s<strong>ich</strong> alles nur<br />
noch um Fußball.<br />
Dieser Trubel war natürl<strong>ich</strong> das Element, in dem s<strong>ich</strong> Yvonne wohl<br />
fühlte und sie war es auch, die m<strong>ich</strong> in diesen Kreis hineinzog und den<br />
Männern erzählte, dass <strong>ich</strong> auch schon mit dem großen Fußball zu tun<br />
gehabt hätte. Das bekam sie aus unseren Gesprächen in Berlin mit, denn<br />
Vermeer machte einige Bemerkungen darüber damals.<br />
Ich bestätigte dem Wortführer der Fußballer, dass <strong>ich</strong> maßgebl<strong>ich</strong> an der<br />
Entdeckung des »Dancers« bei Chelsea beteiligt gewesen sei, aber <strong>ich</strong> jetzt<br />
kaum noch Beziehungen dorthin unterhielt. Der Fußballer meinte nur<br />
bewundernd: »Ja, dieser John Trechet hat schon eine fantastische Karriere<br />
dort gemacht. Gegen den würde <strong>ich</strong> auch gerne einmal spielen.«<br />
»Und d<strong>ich</strong> von ihm vernaschen lassen«, meinte einer der Stürmerstars<br />
der Mannschaft.<br />
Wenig später stand <strong>ich</strong> dann in einem Pulk von Ärzten und der eine<br />
klagte mir sein Leid, das aus seiner Praxis jetzt schon das fünfte Mal<br />
Rezeptblocks und aus seinem Giftschrank Betäubungsmittel gestohlen<br />
worden seien.<br />
84
»Und das aus meiner Praxis in Schwachhausen. <strong>Wenn</strong> Kollegen aus dem<br />
Viertel darüber klagen, kann <strong>ich</strong> es ja noch verstehen, aber in<br />
Schwachhausen?«<br />
»Auch in den so genannt besseren Kreisen gibt es eine gehörige Zahl von<br />
Abhängigen. Sie sind zwar n<strong>ich</strong>t so auffällig, wie die Junkies auf der<br />
Sielwallkreuzung, aber es gibt sie häufiger als Sie denken. Haben Sie n<strong>ich</strong>t<br />
Patienten, bei denen Sie Auffälligkeiten entdeckt haben?«<br />
Er druckste ein wenig herum, bevor er antwortete: »Eigentl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t,<br />
obwohl <strong>ich</strong> mir bei einigen Jugendl<strong>ich</strong>en n<strong>ich</strong>t so ganz s<strong>ich</strong>er bin.<br />
Vielle<strong>ich</strong>t können Sie s<strong>ich</strong> einmal darum kümmern.«<br />
»Aber erst im nächsten Jahr. Ich muss mein Büro noch aufbauen und bin<br />
auch während der Weihnachtszeit auswärts. <strong>Wenn</strong> Sie damit<br />
einverstanden sind, werde <strong>ich</strong> mir nach meiner Einweihung diesen Fall<br />
annehmen. Ich darf Sie jetzt schon zu meiner Einweihungsfeier am 6.<br />
Januar in meine Büroräume einladen.«<br />
»Das ist schön, und so eilig ist es ja wirkl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t.«<br />
Ich bemerkte, dass Yvonne s<strong>ich</strong> sehr intensiv mit einem der Fußballer<br />
unterhielt und sie stand verdächtig nahe an dem Mann. Ein Kribbeln zog<br />
über meine Kopfhaut, denn das erinnerte m<strong>ich</strong> sehr stark. Meine<br />
Aufmerksamkeit wurde dann aber von einem Vers<strong>ich</strong>erungsdirektor in<br />
Anspruch genommen, der mir Fragen zu meinem Arbeitskonzept stellte.<br />
Ich sagte dem Mann, wie <strong>ich</strong> mir vorstellte für Vers<strong>ich</strong>erungen tätig zu<br />
werden. Dann entschuldigte <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> bei dem Mann, weil <strong>ich</strong> sah, wie<br />
Yvonne mit dem Fußballer im hinteren Teil des Hauses verschwand. Ich<br />
eilte hinterher. Sie waren in das Büro von Stadtler gegangen und<br />
knutschten zieml<strong>ich</strong> eindeutig. Der Fußballer wolle Yvonne gerade auf den<br />
Schreibtisch hieven, als <strong>ich</strong> den Raum betrat. Ich zischte dem Mann nur zu:<br />
»Verschwinden Sie ganz schnell. Ich bin kein Moralapostel, aber heute<br />
passt das n<strong>ich</strong>t. Hauen Sie ab, Mann, bevor <strong>ich</strong> Sie an die frische Luft<br />
befördere.«<br />
Der Mann musterte m<strong>ich</strong> einen kleinen Augenblick und war dann wohl<br />
zur Überzeugung gelangt, dass er s<strong>ich</strong> besser n<strong>ich</strong>t mit mir einlassen sollte.<br />
Er verließ wortlos das Zimmer.<br />
Ich drehte m<strong>ich</strong> um und sagte im Weggehen:<br />
»Und wenn du es so nötig hast, Yvonne, geh auf die Toilette und mach´s<br />
dir selbst, aber in drei Minuten will <strong>ich</strong> d<strong>ich</strong> bestens gestylt wieder im<br />
Kreise deiner Gäste sehen. N<strong>ich</strong>ts geht hier am heutigen Abend. Was du<br />
sonst treibst, interessiert m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t.«<br />
85
Ich ging zieml<strong>ich</strong> wütend <strong>zurück</strong> zu den Gästen. Es war wohl zieml<strong>ich</strong><br />
geschmacklos s<strong>ich</strong> bei seiner Einführungsparty wie eine läufige Hündin zu<br />
benehmen. Der Fußballer war mit seiner Freundin gerade im Aufbruch.<br />
Der Blick, mit dem er m<strong>ich</strong> bedachte, war alles andere als freundl<strong>ich</strong>.<br />
Hoffmann und Stadtler schienen n<strong>ich</strong>ts bemerkt zu haben und <strong>ich</strong><br />
gesellte m<strong>ich</strong> wieder zu dem Vers<strong>ich</strong>erungsdirektor. Yvonne war auch<br />
wieder inmitten der Gesellschaft, aber auch sie bedachte m<strong>ich</strong> mit<br />
unfreundl<strong>ich</strong>en Blicken. Ich war zieml<strong>ich</strong> s<strong>ich</strong>er, dass sie s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t wieder<br />
so an m<strong>ich</strong> schmiegen würde, wie zur Begrüßung.<br />
Um ein Uhr waren dann die meisten Gäste verschwunden und <strong>ich</strong> holte<br />
mir mein erstes Bier. Bis dahin trank <strong>ich</strong> nur Mineralwasser aus<br />
Sektgläsern. Stadtler, Hoffmann und die Eheleute Hertsch standen<br />
beieinander und Yvonne stand in einer kleinen Gruppe von Frauen. In<br />
einer anderen Ecke standen die Banker und auch mein<br />
Vers<strong>ich</strong>erungsdirektor und diskutierten. Ich ging hinüber zu Stadtler und<br />
seiner Gruppe und <strong>ich</strong> bekam gerade noch mit, wie Hoffmann begeistert<br />
sagte: »Es sollte keine Schwierigkeit sein, einen größeren Werbespot für<br />
Ihre Firmengruppe zu erstellen. Ich werde m<strong>ich</strong> mit Ihrer Werbeagentur in<br />
Verbindung setzen.<br />
Die Eheleute Hertsch verabschiedeten s<strong>ich</strong> und mit einem<br />
verheißungsvollen Blick von ihr meinte sie zu mir: »Sie sollten einmal zu<br />
uns in die Tennisanlage kommen, Sie sehen ganz schön fit aus und könnten<br />
gegen m<strong>ich</strong> antreten.«<br />
»Tennis ist n<strong>ich</strong>t mein Ding, Gnädige Frau. Ich bin mehr auf Squash<br />
spezialisiert.«<br />
Sie lächelte m<strong>ich</strong> an und meinte bloß: »Keine Schwierigkeit, denn zwei<br />
Courts stehen Ihnen dort auch zur Verfügung.«<br />
»Die Einladung sollten Sie auf jeden Fall wahrnehmen, <strong>Teufel</strong>. Die<br />
Hertschs sind sehr einflussre<strong>ich</strong>en Leute hier.«<br />
»Was fabrizieren sie denn?«<br />
»Medizinische Geräte und Zubehör. Den schwunghaftesten Handel<br />
treiben sie allerdings mit Siliconeinlagen für Brüste und Hüften.«<br />
»Darum ist es s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> einfach einen r<strong>ich</strong>tig sexy Werbespot zu<br />
kreieren. Da könnte s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> deine Freundin Randy eine Hauptrolle<br />
übernehmen, <strong>Teufel</strong>.«<br />
»Geht wohl schlecht, denn Ihre Brüste sind echt und sind keine<br />
Aufgeblasenen.«<br />
»Was du s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> bezeugen kannst«, ließ s<strong>ich</strong> Yvonne bissig<br />
vernehmen, weil sie den Rest des Gespräches mitbekam, als sie zu uns trat.<br />
86
Ich grinste sie freundl<strong>ich</strong> an und bestätigte es ihr: »Ja, <strong>ich</strong> durfte diesen<br />
wunderschönen Busen schon einmal ärztl<strong>ich</strong> versorgen.«<br />
Kurz darauf verabschiedete <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> von meinen Gastgebern und fuhr<br />
nach Hause. Auf dem Weg dorthin schellte mein Handy und <strong>ich</strong> meldete<br />
m<strong>ich</strong>. Es war Yvonne.<br />
»Vielen Dank, dass du m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t verraten hast. Es war sehr dumm von<br />
mir.«<br />
»Weitere Dummheiten sind ja vereitelt worden. Schlaf schön.«<br />
Na, jetzt war das auch geklärt und <strong>ich</strong> nahm an, dass sie s<strong>ich</strong> beim<br />
nächsten Mal auch wieder aufreizend an m<strong>ich</strong> lehnen würde.<br />
12<br />
Rezeptblocks<br />
Ich war an diesem Montag um 8 Uhr in der Firma und mir fehlte<br />
Charlotte jetzt schon. Ich frühstückte n<strong>ich</strong>ts und erstand mir nur beim<br />
Bäcker auf der Ecke zwei Croissants und ließ mir hier einen großen<br />
Espresso aus der neuen Maschine laufen und saß auf Charlottes Platz und<br />
futterte. Gle<strong>ich</strong>zeitig breitete <strong>ich</strong> die ganzen Visitenkarten auf ihrem<br />
Schreibtisch aus und legte eine neue Datenbank an.<br />
Adresse und Telefonnummern waren klar, aber dann versuchte <strong>ich</strong> auch<br />
eine Verknüpfung zu einem Dokument herzustellen, in dem <strong>ich</strong> meine<br />
Beobachtungen und Informationen über diese Personen niederlegen<br />
konnte. Dazu entwarf <strong>ich</strong> ein Grunddatenformular.<br />
Ich arbeitete <strong>daran</strong> bis kurz vor 10 Uhr, um alle Daten und Eindrücke<br />
über die Personen einzugeben und sie auch nach potenziellen<br />
Auftraggebern einzuordnen.<br />
Dieser Dr. Schönherr mit den gestohlenen Rezeptblöcken stand schon als<br />
erster Auftraggeber ganz oben auf der Liste.<br />
Ich ging dann hinüber ins Präsidium und man sagte mir, dass<br />
Kommissar Waldtmann n<strong>ich</strong>t im Hause sei und <strong>ich</strong> meine<br />
Aussagebestätigung einem jüngeren Beamten geben sollte.<br />
Ich schrieb es mir schon heute Morgen nach dem Aufstehen schon<br />
einmal auf und konnte es so gut wie auswendig.<br />
87
Ich war zieml<strong>ich</strong> s<strong>ich</strong>er, dass <strong>ich</strong> fast den genauen Wortlaut der<br />
Aussagen von Samantha und Sabine wiedergeben konnte. Der junge Mann<br />
nahm alles auf Band auf und fragte m<strong>ich</strong> danach, ob <strong>ich</strong> das später<br />
unterschreiben könne, wenn alles getippt sei. Ich versprach ihm, dass <strong>ich</strong><br />
am späten Nachmittag noch einmal vorbei schauen würde. Er bedankte<br />
s<strong>ich</strong> artig und <strong>ich</strong> war wieder gegangen. Es war ja nur einen Katzensprung<br />
von meinem Büro hierher.<br />
Als <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> dann fertig machte, um ins Krankenhaus zu Charlotte zu<br />
fahren, kam mir in den Sinn, dass <strong>ich</strong> diesen Auftrag ja schon heute<br />
annehmen könnte.<br />
Ich steckte mir auch ein Auftragsformular ein, dass <strong>ich</strong> mir von Wiesel<br />
kopiert und nur mit meinem Logo und Anschrift versah. Dann fuhr <strong>ich</strong><br />
zum Krankenhaus und ging hinüber zur Unfallchirurgie und musste<br />
feststellen: Charlotte war n<strong>ich</strong>t mehr da. Man verlegte sie in einen anderen<br />
Flügel.<br />
Ich musste m<strong>ich</strong> schon ganz schön durchfragen, bis <strong>ich</strong> endl<strong>ich</strong> das<br />
Zimmer in einem anderen Gebäude fand.<br />
Es war ein wesentl<strong>ich</strong> schöneres Zimmer und es fehlte ihr hier an n<strong>ich</strong>ts.<br />
Telefon und Fernseher waren vorhanden, und es war n<strong>ich</strong>t so ein<br />
Mickerding, wie sie in anderen Krankenzimmern aufgestellt waren.<br />
Charlotte hing immer noch am Tropf, aber sie besaß schon wieder etwas<br />
mehr Farbe im Ges<strong>ich</strong>t und ihre Augen leuchteten, als sie m<strong>ich</strong> mit meinem<br />
Blumenstrauß in der Hand erblickte.<br />
Auf ihrem Nachttisch stand schon ein Strauß mit lachsrosa Rosen. Es<br />
war ein großer Strauß, in dem auch noch eine Karte steckte. Charlotte sah<br />
meinen Blick und lächelte, als sie sagte: »Ja, einen Rosenkavalier habe <strong>ich</strong><br />
schon. Herr Stadtler hat sie bringen lassen. Aber jetzt komme endl<strong>ich</strong><br />
näher, damit du m<strong>ich</strong> küssen kannst. Ich hungere schon danach.«<br />
Ich wollte sie natürl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t länger hungern lassen. Es war ein langer<br />
zärtl<strong>ich</strong>er Kuss und sie legte ihren freien Arm um meinen Nacken und<br />
wollte m<strong>ich</strong> gar n<strong>ich</strong>t wieder loslassen.<br />
Dann versorgte <strong>ich</strong> zunächst die Blumen und sie sagte mir, wo <strong>ich</strong> die<br />
Vasen finden könnte und dann erzählte <strong>ich</strong> ihr von der gestrigen Party, auf<br />
der sie eigentl<strong>ich</strong> auch gewesen sein sollte. Die Gesch<strong>ich</strong>te mit Yvonne<br />
verschwieg <strong>ich</strong> ihr allerdings.<br />
Als <strong>ich</strong> ihr die Gesch<strong>ich</strong>te von dem Arzt erzählte, meinte sie nur:<br />
»Wohnt er im gle<strong>ich</strong>en Haus, wo er auch die Praxis hat? Hat der Kinder?«<br />
Ich wusste es n<strong>ich</strong>t, aber <strong>ich</strong> ahnte sofort, was Charlotte damit meinte.<br />
»Ich werde es als Erstes überprüfen.<br />
88
Du entwickelst d<strong>ich</strong> aber jetzt schon zu einer guten Assistentin,<br />
Kompliment.«<br />
Sie lächelte verschmitzt, als sie sagte: »Ich sehe ja auch im Fernsehen am<br />
liebsten <strong>Krimis</strong>.«<br />
Dann zeigte sie mir ihre Wunde, bzw. die Stelle, wo das Messer<br />
eingedrungen war und natürl<strong>ich</strong> jetzt von starken Verbänden abgedeckt<br />
war. Außerdem hatte man noch eine Dränage verlegt, damit s<strong>ich</strong> kein<br />
Wasser in ihrem Zwerchfell und in der Lungenhöhle bilden konnte. Die<br />
Verbände waren so gewickelt, dass ihr Busen wie durch einen BH hoch<br />
gedrückt wurde. Als sie mir das so zeigte, konnte <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t anders und<br />
küsste ihre harte Brustspitze.<br />
Sie hielt m<strong>ich</strong> sanft fest und murmelte: »Bitte ein wenig mehr und ein<br />
wenig fester.« Ich folgte ihrem Befehl und sie seufzte wohlig. Als <strong>ich</strong> sie<br />
dann wieder zudeckte, nahm sie meine Hand und schob sie unter die<br />
Bettdecke und legte sie an ihren Schoß und sagte: »Spürst du, was du<br />
anger<strong>ich</strong>tet hast.«<br />
Ich spürte es und sie konnte sehen, was sie an mir anr<strong>ich</strong>tete. Sie lachte,<br />
als sie es sah und sagte: »Dort ist ein Badezimmer, wenn du d<strong>ich</strong> abkühlen<br />
möchtest.«<br />
Dann wurde sie aber wieder ernst und sagte: »Die Ärzte haben mir<br />
heute schon erklärt, dass <strong>ich</strong> ihnen über die Weihnachtstage erhalten<br />
bleibe. Ich werde dir bei der Vorbereitung der Einweihungsparty n<strong>ich</strong>t<br />
allzu viel nützen. Vielle<strong>ich</strong>t solltest du dir zu diesem Zweck eine<br />
Ersatzsekretärin engagieren. Eine Datenbank mit Stadtlers Adressen<br />
findest du auf meinem Rechner. Er wird dir auch s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> seine<br />
Privatdatenbank zur Verfügung stellen, aber die meisten der Leute hast du<br />
ja wohl schon gestern kennengelernt. Ich weiß n<strong>ich</strong>t, wie groß deine<br />
persönl<strong>ich</strong>e Datenbank ist und wie du alles kombinieren kannst.«<br />
»Das ist alles kein Problem. Die Daten wollte <strong>ich</strong> in Bad Homburg<br />
aufbereiten lassen. Dort gibt es mehrere gute Sekretärinnen. Die können<br />
die Briefe auch von dort versenden. Eigentl<strong>ich</strong> wollte <strong>ich</strong> d<strong>ich</strong> dort mit<br />
hinnehmen über die Weihnachtsfeiertage.«<br />
»Darauf musst du verz<strong>ich</strong>ten. Meine Mutter kommt später und bringt<br />
mir meine eigenen Nachthemden und mein Waschzeug und<br />
Kosmetikkram. Sie werden am Heiligabend hier bei mir sein. Mache deine<br />
Sachen hier, soweit du kannst und dann fahr runter nach Bad Homburg.<br />
Da wirst du erwartet. Und außerdem ist es im Moment für m<strong>ich</strong> gar n<strong>ich</strong>t<br />
gut, wenn wir uns gegenseitig erregen aber n<strong>ich</strong>t befriedigen können.<br />
Ich will ganz schnell wieder gesund werden, damit wir das ändern<br />
können.<br />
89
Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie derartige Sehnsucht nach<br />
einem männl<strong>ich</strong>en Körper gehabt, wie jetzt und <strong>ich</strong> glaube, wenn <strong>ich</strong><br />
wieder gesund bin, wirst du einen Höllensturm über d<strong>ich</strong> ergehen lassen<br />
müssen.«<br />
»Ich freue m<strong>ich</strong> schon darauf.«<br />
»Und jetzt sehe zu, dass du deine Fälle löst, damit <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> gesund<br />
schlafen kann.«<br />
Ich küsste sie noch einmal zärtl<strong>ich</strong> und sagte ihr, dass <strong>ich</strong> abends noch<br />
einmal wieder kommen würde. Sie schloss die Augen und <strong>ich</strong> ging.<br />
Es war kurz vor ein Uhr, als <strong>ich</strong> auf einen Parkplatz vor der Praxis von<br />
Dr. Schönherr fuhr.<br />
Es war offens<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong>, dass er über der Praxis auch wohnte. Die<br />
Sprechstundenhilfe, eine niedl<strong>ich</strong>e kleine Blondine wollte m<strong>ich</strong> sofort<br />
wieder hinauskomplimentieren, weil jetzt die Mittagzeit anfinge. Aber <strong>ich</strong><br />
sagte ihr, dass <strong>ich</strong> mit dem Doktor eine private Verabredung hätte.<br />
»Davon hat er mir aber gar n<strong>ich</strong>ts gesagt!«<br />
»Er wusste auch n<strong>ich</strong>t, dass es heute schon sein würde. Könnten Sie so<br />
freundl<strong>ich</strong> sein, m<strong>ich</strong> anzumelden. Mein Name ist <strong>Teufel</strong>.«<br />
Es war immer das Gle<strong>ich</strong>e. Immer wenn <strong>ich</strong> meinen Namen nannte,<br />
schaute man m<strong>ich</strong> zunächst einmal an, wo mir denn die Hörner aus dem<br />
Kopf wüchsen, oder wo <strong>ich</strong> meinen Klumpfuß versteckte. Als <strong>ich</strong> sie<br />
anlächelte, zuckte sie unwillkürl<strong>ich</strong> <strong>zurück</strong> und beeilte s<strong>ich</strong> in einem der<br />
Zimmer zu verschwinden. Sie war wenige Sekunden später wieder da und<br />
sagte: »Nehmen Sie dort bitte einen kleinen Augenblick platz, der Herr<br />
Doktor kommt sofort.«<br />
Ich setzte m<strong>ich</strong> und sah m<strong>ich</strong> um. Die junge Frau saß wieder an der<br />
Rezeption und in einem anderen Raum hörte <strong>ich</strong> jemand sprechen. Wer in<br />
diese Räume wollte, musste hier einfach vorbei. <strong>Wenn</strong> es n<strong>ich</strong>t noch einen<br />
weiteren Eingang gab, was <strong>ich</strong> aber annahm, denn s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> gab es einen<br />
Eingang von der anderen Seite des Hauses zur Privatwohnung des Arztes,<br />
denn <strong>ich</strong> konnte mir n<strong>ich</strong>t vorstellen, dass der Arzt ums Haus gehen<br />
würde, um durch die Vordertür in seine Praxis zu gelangen.<br />
Die Frau hinter dem Empfangspult schrieb etwas am Computer aber ließ<br />
m<strong>ich</strong> auch n<strong>ich</strong>t aus den Augen. Dann öffnete s<strong>ich</strong> die Tür zum<br />
Behandlungszimmer und eine junge Frau kam heraus und sah ein wenig<br />
erhitzt aus. Sie ging an die Garderobe und holte s<strong>ich</strong> ihren Mantel und<br />
sagte gepresst: »Auf Wiedersehen«, und verschwand sehr eilig.<br />
90
Es dauerte noch eine kleine Weile, dann kam Dr. Schönherr aus dem<br />
Behandlungszimmer und gab eine Akte an die Praxishilfe und sagte ihr:<br />
»Sie können dann Mittag machen.«<br />
Dann wandte er s<strong>ich</strong> zu mir und sagte: »Das ist aber eine Überraschung.<br />
Ich erwartete Sie wirkl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t mehr in diesem Jahr.«<br />
»<strong>Wenn</strong> meine Sekretärin n<strong>ich</strong>t hier im Krankenhaus liegen würde, dann<br />
hätte <strong>ich</strong> es s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> auch n<strong>ich</strong>t einr<strong>ich</strong>ten können, aber so war <strong>ich</strong> schon<br />
auf dem Weg und dachte mir, dass <strong>ich</strong> mir die Räume gle<strong>ich</strong> einmal<br />
ansehen könnte. Können Sie m<strong>ich</strong> bitte einmal mit ihren Praxisräumen<br />
vertraut machen?«<br />
Die Sprechstundenhilfe schaute jetzt noch neugieriger als vorher schon<br />
und <strong>ich</strong> fragte sie: »<strong>Wenn</strong> Sie jetzt gle<strong>ich</strong> weggehen, schließen Sie dann von<br />
außen ab, oder wie geht das?«<br />
Sie sah m<strong>ich</strong> verwundert an und sagte dann: »Nein, <strong>ich</strong> schließe hier von<br />
innen ab, und gehe über den Hausflur aus der Praxis. Die Tür dort hat ein<br />
Schnappschloss und von außen nur einen Knauf. Schlüssel für die Praxis<br />
hat nur der Doktor.«<br />
»Danke schön, für die Auskunft, und guten Appetit, wo kann man denn<br />
hier überhaupt etwas Essen? Ich muss nachher auch noch etwas<br />
bekommen, sonst verhungere <strong>ich</strong>.«<br />
»Es gibt hier um die Ecke in der Wachmannstraße ein kleines<br />
Restaurant, die haben einen ganz guten Mittagstisch. Wir holen uns aber<br />
meistens nur beim Italiener eine Pizza oder Spaghetti, das geht schneller.«<br />
»Wir?«<br />
»Ja, meine Kolleginnen und <strong>ich</strong>.«<br />
»Danke Ihnen.«<br />
»Wie viel Helferinnen haben Sie denn hier in der Praxis«, fragte <strong>ich</strong> Dr.<br />
Schönherr.<br />
Er lächelte: »Da ist hier Frau Frings, außerdem haben wir noch Frau<br />
Sommer und Frau Bose. Sie arbeiten im Labor und bei der Bestrahlung und<br />
Frau Sommer assistiert mir manchmal. Kommen Sie, <strong>ich</strong> stelle Sie Ihnen<br />
vor, sie sind noch im Labor.«<br />
Wir gingen ins Labor, das wesentl<strong>ich</strong> größer war, als <strong>ich</strong> erwartete. Die<br />
beiden Frauen unterhielten s<strong>ich</strong> angeregt und schienen über ein Problem<br />
zu diskutieren. Sie bemerkten gar n<strong>ich</strong>t, dass wir eingetreten waren. Die<br />
dunkelhaarige Frau drehte s<strong>ich</strong> um und bemerkte den Arzt und fing an zu<br />
sprechen: »Herr Doktor, bei der Hanneweh, können wir aber….«<br />
»Das können Sie mir später erzählen Franziska.<br />
91
Ich möchte Herrn <strong>Teufel</strong> vorstellen, der s<strong>ich</strong> mit den verschwundenen<br />
Rezeptblöcken und den Entnahmen aus dem Giftschrank beschäftigen<br />
wird. Frau Sommer und Frau Bose, Herr <strong>Teufel</strong>.«<br />
Frau Bose war eine große, sehr schlanke Frau, mit einem strengen<br />
Pagenschnitt als Frisur. Das gab ihrem Ges<strong>ich</strong>t etwas Hartes und fast<br />
Männl<strong>ich</strong>es. Aber ihre strahlenden blauen Augen und ihr sinnl<strong>ich</strong>er Mund<br />
hoben das sofort wieder auf. Sie streckte mir spontan die Hand entgegen<br />
und fragte m<strong>ich</strong>: »Kommen Sie vom Rauschgiftdezernat?«<br />
»Nein, <strong>ich</strong> bin Privatdetektiv.«<br />
»Nachdem s<strong>ich</strong> auch auf meine fünfte Anzeige noch n<strong>ich</strong>ts getan hat,<br />
meine <strong>ich</strong>, sollten wir so vorgehen«, erklärte Dr. Schönherr, und dann<br />
schickte er auch diese beiden Frauen in die Mittagspause.<br />
Ich sah m<strong>ich</strong> in der Zwischenzeit genau um. Das Fenster zu diesem<br />
Raum bestand aus Milchglas und wie <strong>ich</strong> sehen konnte, n<strong>ich</strong>t vergittert.<br />
An Ausstattung schien es an n<strong>ich</strong>ts zu fehlen. Vom Mikroskop bis hin zu<br />
einem großen Sterilisator war hier wirkl<strong>ich</strong> alles.<br />
Schönherr zeigte mir auch alle anderen Räume, und überall gab es den<br />
gle<strong>ich</strong>en Schwachpunkt. Die Praxis lag im Erdgeschoss und überall gab es<br />
diese Fenster aus Milchglas. Das Wartezimmer besaß sogar eine<br />
Glasschiebetür und man konnte auf den rückwärtigen Garten sehen. <strong>Wenn</strong><br />
eines der Fenster oder eben diese Terrassentür n<strong>ich</strong>t fest verriegelt waren,<br />
konnte man hier kinderle<strong>ich</strong>t in die Praxis gelangen. Ich besah mir die<br />
Fenster- und die Türs<strong>ich</strong>erung, die war nachträgl<strong>ich</strong> eingebaut und sie<br />
waren effektiv. <strong>Wenn</strong> sie wirkl<strong>ich</strong> abgeschlossen waren, wurde es<br />
unmögl<strong>ich</strong> die Hebel zu bewegen. <strong>Wenn</strong> sie denn abgeschlossen waren. An<br />
allen Fenstern an den <strong>ich</strong> probierte, war es der Fall. Die Hebel waren um<br />
keinen Millimeter zu bewegen.<br />
Schönherr sah meinem Treiben schweigend zu und als <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> wieder<br />
zu ihm umdrehte, sagte er: »Die S<strong>ich</strong>erungen haben wir auf Anraten der<br />
Polizei nach dem ersten Verschwinden einbauen lassen. Es gab auch<br />
keinerlei Hinweise auf Einbrüche, das ist ja gerade das Merkwürdige.«<br />
»Und Sie sind fest davon überzeugt, dass die Rezeptblocks nur hier auf<br />
Ihrem Schreibtisch und die Ersatzblocks dort in dem abschließbaren<br />
Schrank aufbewahrt wurden. Und auch der Giftschrank nur von Ihnen mit<br />
einem Spezialschlüssel geöffnet werden kann?«<br />
»Ja, <strong>Teufel</strong>, so ist das.«<br />
Ich grübelte einen kleinen Augenblick, dann fragte <strong>ich</strong> ihn, weil <strong>ich</strong> noch<br />
n<strong>ich</strong>t einmal auf sein Praxisschild gesehen hatte: »Was für eine Art Praxis<br />
ist dies?«<br />
Er sah m<strong>ich</strong> verdattert an und meinte: »Ich dachte Sie wüssten das.<br />
92
Ich bin Schönheitschirurg. Kommen Sie, sie haben meinen letzten Raum<br />
noch n<strong>ich</strong>t gesehen. Dazu müssen wir in den Keller.«<br />
Wir gingen <strong>zurück</strong> zum ersten Behandlungsraum, der direkt neben dem<br />
Privateingang zur Praxis lag. Von hier aus gelangte man über ein separates<br />
Treppenhaus in die Kellerräume. Und hier gab es drei Räume. Einen<br />
gekachelten Raum mit einer etwas breiteren fahrbaren Liege, einen<br />
Waschraum, der stark nach antiseptischen Waschpasten roch mit einem<br />
Eingang zu einem perfekten OP. Hier gab es noch einen weiteren Ausgang,<br />
der auf den Gang davor führte, von wo aus die Räume eigentl<strong>ich</strong> abgingen.<br />
Er erklärte mir die Funktionsweise dieses OPs. »Hier werden von mir<br />
kleinere Schönheitsoperationen vorgenommen, die ambulant geschehen<br />
können, und wo die Patientinnen nach einer Aufwachphase vorne in Raum<br />
eins später nach Hause fahren können. Kleinere Faltenstraffungen,<br />
Nasenflügelkorrekturen, Muttermalentfernungen und so weiter.<br />
Größere Operationen erfolgen grundsätzl<strong>ich</strong> nur drüben in der Klinik.<br />
So alle wirkl<strong>ich</strong>en Faceliftings, Brustvergrößerungen und Verkleinerungen,<br />
Hüftimplantate und was neuerdings scheinbar in Mode kommt,<br />
Poaufpolsterungen. Und hier sind es fast immer Männer, die meine<br />
Patienten sind.«<br />
Ich musste grinsen, denn von den vielen Anpreisungen für<br />
Penisverlängerungen wusste <strong>ich</strong> schon aus dem Internet. Meine E-Mail-<br />
Accounts wurden fast dadurch gesprengt, aber von Poaufpolsterungen<br />
hörte <strong>ich</strong> noch nie.<br />
Nachdem <strong>ich</strong> feststellte, dass es hier herunter nur das Treppenhaus aus<br />
dem ersten Behandlungszimmer gab und keinerlei Fenster, waren diese<br />
Räume für m<strong>ich</strong> uninteressant. Ich fragte Dr. Schönherr nur noch, ob hier<br />
unten auch Betäubungsmittel lagerten. Er bejahte es und zeigte auf einen<br />
Stahlschrank und sagte dann nachdenkl<strong>ich</strong>: »Nur hier hat bisher noch nie<br />
etwas gefehlt, obwohl hier sogar Ampullen mit Morphinen lagern.«<br />
»Könnten Sie die Bestände kurz kontrollieren?«<br />
Er griff unter seinen Kittel, den er immer noch trug, und machte ein<br />
Schlüsselbund von seinem Gürtel los und schloss den Schrank auf und<br />
kontrollierte sorgfältig anhand eines Giftbuches. Es ging relativ schnell und<br />
er sagte mir: »Es ist alles ordnungsgemäß vorhanden.«<br />
Er verschloss den Schrank wieder und steckte diesmal das<br />
Schlüsselbund scheinbar achtlos in seine Hosentasche und <strong>ich</strong> sagte ihm:<br />
»Können wir jetzt wieder nach oben und vielle<strong>ich</strong>t außerhalb der Praxis<br />
weiterreden, denn <strong>ich</strong> müsste dringend meine persönl<strong>ich</strong>e Sucht<br />
befriedigen. Ich möchte gerne eine Zigarette rauchen.«<br />
Schönherr lachte und meinte:<br />
93
»Ich auch, gehen wir nach oben in meine Wohnung.«<br />
Schon im Treppenhaus bot er mir eine Zigarette aus seiner Packung an.<br />
Wir rauchten die gle<strong>ich</strong>e Marke und bevor wir sie uns anzündeten, roch<br />
<strong>ich</strong>, dass hier vor uns schon jemand geraucht haben musste.<br />
»Raucht hier noch jemand?«<br />
»Ja, Frau Bose raucht hier im Treppenhaus schon mal eine Zigarette und<br />
auch mein Sohn kommt hier rauchend durch.«<br />
Wir zündeten uns endl<strong>ich</strong> die Glimmstängel an. Ich fragte Schönherr:<br />
»Wie alt ist ihr Sohn?«<br />
»Gerade einmal sechzehn, aber qualmen muss er schon wie ein Großer.<br />
Aber wie soll <strong>ich</strong> ihm das verbieten, wenn <strong>ich</strong> selbst so ein Suchtbolzen bin.<br />
<strong>Wenn</strong> <strong>ich</strong> als Mediziner schon n<strong>ich</strong>t mit gutem Beispiel vorangehe, wie soll<br />
<strong>ich</strong> es ihm dann klarmachen«, sagte er hilflos die Schultern zuckend.<br />
Kurz bevor er die Wohnungstür aufschloss, sagte <strong>ich</strong> ihm noch: »Dr.<br />
Schönherr, wenn ihr Sohn gle<strong>ich</strong> da sein sollte, oder Ihre Frau, bitte <strong>ich</strong> Sie<br />
n<strong>ich</strong>ts über meinen Auftrag verlauten zu lassen, denn es war mir eigentl<strong>ich</strong><br />
schon n<strong>ich</strong>t recht, dass Ihre Praxishelferinnen wissen, was <strong>ich</strong> bin und<br />
welchen Auftrag <strong>ich</strong> habe.«<br />
»Ich bin geschieden. Mein Sohn lebt bei mir. Meine zehnjährige Tochter<br />
lebt bei ihrer Mutter in Spanien.«<br />
Wir betraten die Wohnung und <strong>ich</strong> war angenehm überrascht, denn sie<br />
war stilvoll einger<strong>ich</strong>tet und groß. Nach hinten zum Garten gab es einen<br />
großen Balkon, der wohl über dem Wartezimmer lag.<br />
Der Sohn war n<strong>ich</strong>t anwesend.<br />
Ich sagte Schönherr, dass <strong>ich</strong> diese Wohnung wunderschön fände und er<br />
meinte nur: »Kein Wunder. Meine Frau ist eine gefragte Innenarchitektin.<br />
Es ist nur n<strong>ich</strong>t ganz preiswert, von ihr einger<strong>ich</strong>tet zu werden. <strong>Wenn</strong> Sie<br />
dann dagegen die Rumpelkammer meines Sohnes sehen, dann stehen<br />
Ihnen die Haare zu Berge. Der hat mehr Technik um s<strong>ich</strong> versammelt, als<br />
manch ein Computerladen, und wenn er seine Musikanlage wirkl<strong>ich</strong><br />
einmal aufdreht, haben wir die Polizei am Hals. Ist tatsächl<strong>ich</strong> schon<br />
passiert an einem Wochenende, an dem <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t da war.«<br />
Ich lachte und sagte nur: »<strong>Wenn</strong> ihr Sohn solch ein Technikfreak ist,<br />
dürfte <strong>ich</strong> mir einmal ansehen, was er da so stehen hat.«<br />
»<strong>Wenn</strong> Sie m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t verraten, dass <strong>ich</strong> seine heiligen Hallen vorgezeigt<br />
habe, gerne. Aber fallen Sie n<strong>ich</strong>t in Ohnmacht.«<br />
»Da habe <strong>ich</strong> keine Angst. Ich habe ja einen Arzt dabei.«<br />
94
Wir gingen lachend über einen längeren Gang ans andere Ende des<br />
Hauses und Schönherr öffnete eine Tür und ließ m<strong>ich</strong> eintreten. Mir<br />
rutschte nur ein »Ach du meine Fresse« hinaus, als <strong>ich</strong> sah, was der Filius<br />
dort alles aufgebaut hatte. <strong>Wenn</strong> es aufgeräumt gewesen wäre, hätte <strong>ich</strong><br />
geglaubt in Tifferts Re<strong>ich</strong> zu treten. Es war wirkl<strong>ich</strong> eine sagenhafte<br />
Computeranlage, die dort mit mehreren Bildschirmen aufgebaut war und<br />
auch der Blick auf seine Musikanlage beeindruckte m<strong>ich</strong>. Technik vom<br />
Feinsten, aber eine Unordnung, die schon fast wieder an Genialität denken<br />
ließ, denn, wer s<strong>ich</strong> hier in diesem Chaos zurechtfand, musste ein<br />
fantastisches Gedächtnis haben. Wir verließen fast fluchtartig wieder den<br />
Raum und gingen <strong>zurück</strong> in die ruhige Ordnung des Wohnraumes. Wir<br />
setzten uns in Sessel gegenüber und steckten uns eine weitere Zigarette an<br />
und <strong>ich</strong> begann, ihm meine Fragen zu stellen.<br />
Als <strong>ich</strong> von ihm Daten der Feststellungen, dass etwas fehlte, wissen<br />
wollte, ging er an einen Schrank und holte einen Aktenordner hervor und<br />
sagte: »Dies sind die Fakten, die so von der Polizei aufgenommen worden<br />
sind. Da steht alles drin, den können Sie s<strong>ich</strong> mitnehmen. Der erste<br />
Einbruch erfolgte vor eineinhalb Jahren, der Letzte, Ende vergangenen<br />
Monats. Wir haben es jeweils beim monatl<strong>ich</strong>en Abgle<strong>ich</strong> des Giftbuches<br />
mit dem tatsächl<strong>ich</strong>en Bestand im Giftschrank bemerkt. Ich wäre s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong><br />
n<strong>ich</strong>t darauf gekommen, dass auch Rezeptblocks verschwunden waren,<br />
wenn <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t zufällig am Tag unserer ersten Feststellung noch ein Rezept<br />
ausstellen wollte, und keinen Block mehr vorhanden war. Der Einbruch<br />
muss in der Nacht davor passiert sein.«<br />
»Haben Sie diese Blocks schon blanko unterschrieben dort auf ihrem<br />
Schreibtisch?«<br />
»I, wo. Die unterschreibe <strong>ich</strong> grundsätzl<strong>ich</strong> erst, wenn <strong>ich</strong> etwas<br />
verordne.«<br />
»Geben Sie mir bitte eine Unterschriftsprobe. Sozusagen ein Autogramm<br />
bitte.«<br />
Er entnahm einem Zettelkasten einen Stoß mit Zetteln und unterschrieb<br />
mit einem Kugelschreiber. Ich sah, dass er zieml<strong>ich</strong> fest aufdrückte, und<br />
bat ihn mir auch die nächsten beiden Zettel mitzugeben. Er sah m<strong>ich</strong> zwar<br />
verwundert an, aber gab sie mir. Ich schaute mir das Gekrakel seiner<br />
Unterschrift an und meinte nur: »So le<strong>ich</strong>t ist die nun auch wieder n<strong>ich</strong>t zu<br />
fälschen.«<br />
»Das meine <strong>ich</strong> aber auch.«<br />
»Dann noch etwas anderes. Man kann doch s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> feststellen, in<br />
welchen Apotheken, diese Rezepte eingelöst wurden.<br />
95
Ist schon einmal aufgelistet worden, in welchen Apotheken die meisten<br />
Rezepte vorgelegt wurden? Und noch etwas scheint mir w<strong>ich</strong>tig. Können<br />
Ihre Damen mir eine Liste erstellen, was die von Ihnen am meisten<br />
verschriebenen Medikamente sind. Da <strong>ich</strong> davon ausgehe, dass Ihre<br />
Patienten mehrheitl<strong>ich</strong> aus Schwachhausen und Oberneuland kommen,<br />
sollten ja Ihre Rezepte ja wohl bei Apotheken in dem Gebiet eingelöst<br />
worden sein. <strong>Wenn</strong> da in einer Apotheke dann eine Häufung<br />
Betäubungsmittelverschreibungen auftauchen, dann könnte man den<br />
mögl<strong>ich</strong>en Täterkreis einschränken.«<br />
»Das ist eine sehr gute Idee, <strong>Teufel</strong>.«<br />
»Ich habe da noch eine etwas persönl<strong>ich</strong>ere Frage, Herr Dr. Schönherr.<br />
Wir trafen uns ja gestern bei Herrn Stadtler auf der Party. Sind Sie häufiger<br />
Gast auf Partys in der Gegend?«<br />
»Eher nein. Nachdem mir meine Frau abhandengekommen ist, haben<br />
s<strong>ich</strong> meine gesellschaftl<strong>ich</strong>en Verpfl<strong>ich</strong>tungen sehr stark reduziert. Ich habe<br />
diesen Rummel eigentl<strong>ich</strong> nie so recht gemocht, aber meine Frau musste<br />
s<strong>ich</strong> in diesen Kreisen bewegen, um an lukrative Aufträge zu kommen. Sie<br />
hätte s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> gestern dem Filme machenden Sohn und der etwas<br />
vulgären Schwiegertochter zu Füßen gelegen um Fuß in der Filmwelt zu<br />
fassen«, sagte er etwas bitter, »<strong>ich</strong> frage m<strong>ich</strong> bloß, wie Sie es geschafft<br />
haben, diese Frau von dem Fußballer loszueisen, als die nach hinten<br />
verschwanden.«<br />
Dr. Schönherr besaß eine fantastische Beobachtungsgabe. Ich antwortete<br />
bloß: »Ich habe ihn rausgeschmissen!«<br />
»Ich glaube, <strong>ich</strong> hätte Sie schon viel früher kennenlernen müssen.«<br />
»Ich glaube n<strong>ich</strong>t, dass es etwas genutzt hätte, auch <strong>ich</strong> bin schon<br />
reingelegt worden«, sagte <strong>ich</strong> jetzt mit dem bittergallenen Geschmack auf<br />
der Zunge.<br />
Bevor <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> verabschiedete, bat <strong>ich</strong> ihn noch einmal um die Liste der<br />
meistverschriebenen Medikamente und bat ihn dies mir zuzufaxen. Meine<br />
Faxnummer kannte er ja. Er versprach es.<br />
Ich fuhr wieder R<strong>ich</strong>tung Heimat und bekam dann aber noch eine<br />
andere Idee und fuhr ins Viertel. Erstaunl<strong>ich</strong>erweise fand <strong>ich</strong><br />
ausnahmsweise einen freien Parkplatz. Dann klapperte <strong>ich</strong> die nächsten<br />
Apotheken hier ab und fragte nach Rezepteinlösungen von Dr. Schönherr.<br />
Es war schon eine kleine Sensation, was <strong>ich</strong> hier herausfand. Dr. Schönherr<br />
war den Apothekern schon bekannt als eifriger Verschreiber von<br />
Betäubungsmitteln. Man wunderte s<strong>ich</strong> zwar über den Patientenkreis, den<br />
er betreute, aber da es auch hier in der Gegend etl<strong>ich</strong>e Ärzte gab, die<br />
Morphine verschrieben, n<strong>ich</strong>t zu sehr.<br />
96
M<strong>ich</strong> wunderte es allerdings umso mehr, denn Dr. Schönherrs normalen<br />
Patienten kamen wahrscheinl<strong>ich</strong> nur sehr selten in diese Gegend. Ich fragte<br />
die Apothekerin, ob wir wohl einen kleinen Unterschriftenvergle<strong>ich</strong> starten<br />
könnten, und legte ihr meine Unterschrift auf dem Zettel vor. Sie<br />
verschwand in den hinteren Räumen und sagte, als sie wiederkam: »Es ist<br />
die Unterschrift, kein Zweifel. Hier, wenn Sie es selbst vergle<strong>ich</strong>en wollen.«<br />
Sie hielt mir ein Rezept hin und <strong>ich</strong> vergl<strong>ich</strong> es selbst. Kein Zweifel es<br />
war Schönherrs Unterschrift. M<strong>ich</strong> wunderte nur die Menge der<br />
verordneten Ampullen. Zehn Ampullen auf einmal erschienen mir sehr<br />
viel. Ich fragte die Frau hinter dem Tresen und die sagte nur: »Das ist n<strong>ich</strong>t<br />
so ungewöhnl<strong>ich</strong>.<br />
Krebspatienten brauchen mitunter zwei Ampullen pro Tag.<br />
Normalerweise werden fünf für eine ganze Woche verschrieben, aber im<br />
Endstadium sind die Schmerzen so stark, dass es nur über einen sehr hohe<br />
Dosis geht.«<br />
»Aber ein derartiger Patient kommt dann doch n<strong>ich</strong>t mehr in die<br />
Apotheke und holt s<strong>ich</strong> sein Medikament.«<br />
»Natürl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t! Aber wissen wir denn, wen der Kranke schickt? Darauf<br />
achten wir nun wirkl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t.«<br />
Das konnte <strong>ich</strong> mir gut vorstellen. Denen war es doch egal, wem Sie was<br />
teuer verkauften. Ich merkte, wie Zorn in mir hoch stieg, aber <strong>ich</strong> konnte<br />
m<strong>ich</strong> noch gerade beherrschen, denn vielle<strong>ich</strong>t brauchte <strong>ich</strong> weitere<br />
Informationen von ihr. Ich bedankte m<strong>ich</strong> und ging wieder hinaus.<br />
Vor der Tür steckte <strong>ich</strong> mir eine Zigarette an und blieb einen Augenblick<br />
stehen, um mir den Trubel hier anzusehen. Wie oft war <strong>ich</strong> in der<br />
Vergangenheit hier in meinem Vollrausch gewesen, wenn es woanders<br />
n<strong>ich</strong>ts mehr zu trinken gab. Ekel überkam m<strong>ich</strong>, als <strong>ich</strong> die torkelnden<br />
Männer und Frauen sah, die s<strong>ich</strong> hier auf dem Bürgersteig bewegten, um<br />
an den Polizeiwagen zu kommen, wo sie, wenn sie Glück hätten, ein wenig<br />
Methanol bekamen, wenn die Entzugserscheinungen zu groß wurden. Es<br />
war n<strong>ich</strong>t der Ekel vor diesen Anhängigen, sondern der Ekel vor mir selbst,<br />
denn <strong>ich</strong> war einer von ihnen gewesen. Zwar kein Heroin, Koks und<br />
Morphium, sonder Alkohol.<br />
Und wer machte jetzt Geschäfte mit den Rezeptblocks Dr. Schönherrs?<br />
Ganz langsam keimte ein Verdacht in mir auf, weil <strong>ich</strong> hier so unendl<strong>ich</strong><br />
viele Rezepteinlösungen fand. Ich rief über Handy bei Dr. Schönherr an,<br />
und die junge Frau an der Rezeption meldete s<strong>ich</strong>. Ich erkannte sie an der<br />
Stimme.<br />
97
Ich verlangte den Doktor zu sprechen.<br />
»Er hat eine Patientin, das geht im Moment n<strong>ich</strong>t.«<br />
»Doch es geht, und zwar sofort.<br />
Ich brauche nur eine winzige Auskunft von ihm.«<br />
»Aber…«<br />
»Kein aber, verbinden Sie m<strong>ich</strong>. Und das schnell«, donnerte <strong>ich</strong> sie an.<br />
Nach nur zweimaligem Klingeln bekam <strong>ich</strong> Dr. Schönherr am Apparat<br />
und er meldete s<strong>ich</strong> unwirsch.<br />
»Was für eine Druckerei steht bei Ihnen unten auf dem Rezeptblock.«<br />
»Roland-Druckerei, Delmenhorst, Warum?«<br />
»Erkläre <strong>ich</strong> Ihnen später!« Damit legte <strong>ich</strong> schon auf.<br />
Ich ging hinüber zu meinem Wagen und fuhr los. In R<strong>ich</strong>tung<br />
Sebaldsbrück. Und <strong>ich</strong> fand die Druckerei, nach der <strong>ich</strong> suchte.<br />
Die Firma Gerhard-Druck.<br />
In der Werkhalle liefen die Maschinen auf Hochtouren. Sie druckten<br />
Werbeprospekte. Ich fragte in den Höllenlärm hinein, wer den die<br />
Auftragsannahme machte. Einer der Arbeiter machte mir ein Ze<strong>ich</strong>en zu<br />
einem Glaskäfig an der anderen Seite der Halle und <strong>ich</strong> fand eine ältere<br />
Frau an einem Schreibtisch, die s<strong>ich</strong> mit einem Computer abmühte. Sie<br />
schrieb offens<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong> Rechnungen. Ich klopfte n<strong>ich</strong>t an, sondern trat direkt<br />
ein und sie starrte m<strong>ich</strong> groß an.<br />
»Machen Sie auch die Auftragsannahme?«<br />
»Ja, warum? Ich kann jetzt vor Weihnachten n<strong>ich</strong>ts mehr annehmen, wir<br />
sind d<strong>ich</strong>t, junger Mann.«<br />
»Ich brauche aber dringend noch fünfhundert Rezeptblocks für Dr.<br />
Schönherr.«<br />
»Sie spinnen wohl. Was haben Sie mit den eintausend gemacht, die wir<br />
Ihnen am 7. Dezember ausgehändigt haben. Die gingen ja kaum in den<br />
winzigen Kofferraum dieses roten Flitzers. Der Junge, der sie geschleppt<br />
hat, ist ganz schön ins Schwitzen gekommen. <strong>Wenn</strong> die Frau n<strong>ich</strong>t bar<br />
bezahlt hätte, wären die nie so schnell fertig geworden. Wollen Sie auch<br />
bar zahlen?«<br />
»Was soll´s denn diesmal kosten?«<br />
»<strong>Wenn</strong> Sie mir jetzt eintausend DM hier hinlegen, können Sie das Zeug<br />
Morgen früh um zehn Uhr abholen.«<br />
»Sie sagen mir jetzt nur noch, wer die letzte Bestellung aufgegeben hat<br />
und wie die junge Dame aussah, die bezahlt hat, denn der Doktor ist ganz<br />
verzweifelt, weil sein Sohn alles im Keller eingeschlossen hat und schon in<br />
Weihnachtsferien gefahren ist.«<br />
98
Sie beschrieb mir die kleine Blonde vom Empfang und einen schlaksigen<br />
Jungen in typischen Jeans. Groß und dunkelhaarig. Ich wusste sofort, wer<br />
er war, obwohl <strong>ich</strong> noch n<strong>ich</strong>t einmal ein Bild von ihm gesehen hatte.<br />
»Ich brauche nur noch einen schriftl<strong>ich</strong>en Auftrag vom Doktor<br />
unterschrieben, weil es ja Rezeptblocks sind, hier für meine Unterlagen.«<br />
»Kein Problem«, sagte <strong>ich</strong> und zog meinen Zettel mit der Unterschrift<br />
Dr. Schönherrs aus meiner Jackentasche und bat um einen Stift. Ich schrieb<br />
über die Unterschrift: Bestellung, 500 Rezeptblocks DINA 6 und gab es der<br />
Frau.<br />
Sie machte das berühmte Ze<strong>ich</strong>en zwischen Daumen und Zeigefinger<br />
und <strong>ich</strong> zählte ihr eintausend DM auf den Tisch.<br />
Die Frau sagte nur, nachdem sie das Geld gewissenhaft nachgezählt<br />
hatte: »Kommen Sie mit. Sie können die Sachen direkt mitnehmen.<br />
Ich habe damals ein paar mehr machen lassen, weil <strong>ich</strong> schon hoffte,<br />
auch den Nachfolgeauftrag zu bekommen.«<br />
Fünf Minuten später fuhr <strong>ich</strong> mit zwei Kartons beladen vom Hof und<br />
fuhr direkt nach Schwachhausen. Diesmal musste <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> quer vor einen<br />
kleinen roten BMW Z3 stellen, weil sonst kein Parkplatz frei gewesen wäre.<br />
Im Zimmer von Schönherr junior brannte L<strong>ich</strong>t und <strong>ich</strong> ging direkt zum<br />
Privateingang und klingelte Sturm. Ohne weitere Nachfrage summte der<br />
Türöffner und <strong>ich</strong> rannte die Treppe hinauf. Der Schlaks stand in Jeans und<br />
Sweatshirt in der Tür und sah m<strong>ich</strong> verwundert an. Er erwartete<br />
offens<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong> jemand anders.<br />
Noch verwunderter war er, als <strong>ich</strong> ihm links und rechts Ohrfeigen<br />
versetzte, die seinen Kopf hin- und herfliegen ließen. Er jaulte auf und <strong>ich</strong><br />
drehte ihm den rechten Arm auf den Rücken und führte ihn die Treppe<br />
hinunter. Die Wohnungstür blieb offen stehen. Unten befahl <strong>ich</strong> ihm am<br />
Praxiseingang zu klopfen und sagte leise zu ihm: »Jetzt holen wir uns<br />
r<strong>ich</strong>tig Rezepte mein Lieber. Du hast ausgeschissen in dem Spiel.«<br />
Frau Bose öffnete die Tür und war völlig erschrocken, als <strong>ich</strong> den Jungen<br />
im Polizeigriff in die Praxis führte. Ich zischte: »Keinen Ton, holen Sie Dr.<br />
Schönherr und Ihre Kollegin von der Rezeption und bringen beide in den<br />
OP. Sagen Sie ihnen, dass es ein Notfall ist und sie ganz schnell kommen<br />
sollen.«<br />
Ich bugsierte den Jungen, dessen Vornamen <strong>ich</strong> noch n<strong>ich</strong>t einmal<br />
wusste, hinunter in den OP. Er jammerte jetzt leise, weil sein Arm<br />
schmerzte. Auch ihn zischte <strong>ich</strong> an: »Ich lasse d<strong>ich</strong> los, wenn du den Mund<br />
hältst. <strong>Wenn</strong> du schreist, bis du schneller K. o. als du nur ein ganzes Wort<br />
über die Lippen bekommst. Kapiert?«<br />
99
Er nickte und rieb s<strong>ich</strong> die Schulter, die durch den Griff mit dem <strong>ich</strong> ihn<br />
herunterführte, malträtiert worden war.<br />
Ich hörte schon die Frings und Dr. Schönherr die Treppe heruntereilen.<br />
Sie stürzten in den OP und <strong>ich</strong> griff mir sofort Frau Frings und wandte<br />
den gle<strong>ich</strong>en Griff an, mit dem <strong>ich</strong> schon Schönherr junior hier<br />
herunterbrachte. Ich herrschte beide an: »Hinsetzen. Auf den Fußboden<br />
hinsetzen, Arme und Beine nach vorne und gut s<strong>ich</strong>tbar.«<br />
Dr. Schönborn war völlig fassungslos und wollte m<strong>ich</strong> anfahren, aber <strong>ich</strong><br />
sagte nur müde: »Hier sind ihre Betäubungsmitteldiebe und<br />
Urkundenfälscher. Als sie den Hals n<strong>ich</strong>t voll genug bekommen konnten,<br />
haben sie in Ihrem Auftrag Rezeptblocks drucken lassen, um im großen Stil<br />
abzukassieren.<br />
<strong>Wenn</strong> Sie glauben, dass er über seinen Schularbeiten sitzt, malt er Ihre<br />
Unterschrift am Fließband. Am 7. Dezember wurden ihnen eintausend<br />
Rezeptblocks á fünfundzwanzig Blatt geliefert. Er muss<br />
fünfundzwanzigtausend Unterschriften leisten, die gut sind für zehn<br />
Ampullen Morphium, das heißt, für zweihundertfünfzigtausend Ampullen<br />
Morphium. Wissen Sie, wie viel Menschen man damit umbringen kann?«<br />
»<strong>Wenn</strong> ihr euch da unten auch noch einen Millimeter rührt, gibt´s<br />
wieder Maulschellen wie vorhin schon. Und Sie Frau Frings können davon<br />
ausgehen, dass <strong>ich</strong> meine Prinzipien brechen und auch ihnen Ohrfeigen<br />
verpassen, dass ihnen Hören und Sehen vergehen.«<br />
»Aber <strong>ich</strong>….«, flennte jetzt der Junior los. Als der Senior ihn trösten<br />
wollte, fuhr <strong>ich</strong> ihn an: »Bleiben Sie, wo Sie sind, Schönherr, die<br />
Herrschaften sollen uns jetzt erzählen, wie es dazu kam, wozu sie so<br />
dringend das Geld brauchten, und wie sie nach den Diebstählen auch noch<br />
darauf kamen, die Rezeptblocks drucken zu lassen.«<br />
»Aber lassen Sie uns das drüben im Aufwachraum machen.«<br />
Damit war <strong>ich</strong> einverstanden.<br />
13<br />
Es schlägt 13<br />
Ich ließ die beiden mit genügend Abstand zueinander auf der Liege<br />
sitzend platz nehmen und nahm Aufstellung in der Tür, die außerdem<br />
noch geschlossen war.<br />
100
Sie hätten durch m<strong>ich</strong> hindurch gemusst, um zu fliehen.<br />
»So, und nun zur Ber<strong>ich</strong>terstattung. Wer will anfangen?«<br />
Beide schwiegen natürl<strong>ich</strong> und <strong>ich</strong> sagte zu Dr. Schönherr ganz ruhig<br />
und sachl<strong>ich</strong>: »Gehen Sie ruhig erst einmal wieder nach oben und beenden<br />
normal Ihre Sprechstunde. Sie können dann an meinen Wagen gehen und<br />
aus meinem Kofferraum weitere fünfhundert Rezeptblocks hier ins Haus<br />
bringen. Dann sollten wir Ihrem Sohn und der jungen Dame hier<br />
Blutproben zum Nachweis von Betäubungsmittel entnehmen und wenn Sie<br />
n<strong>ich</strong>ts im Blut haben, ihnen ein wenig nachspritzen. Der jungen Dame<br />
vielle<strong>ich</strong>t ein wenig mehr. Immer nach dem Motto: Die Anstifterin und<br />
Verführerin des Schülers Schönherr –wie heißt der eigentl<strong>ich</strong> mit<br />
Vornamen? – spritzt s<strong>ich</strong> selbst aus Verzweiflung zu Tode.<br />
Tragik ohne Ende.«<br />
»Frieder«, sagte Schönherr knapp<br />
»Nein Papa…«<br />
»Ihrem Sohn verpasste sie vor ihrem Ableben noch eine Spritze, die ihn<br />
knapp am Tode vorbeischrammen lässt, weil Sie ihn rechtzeitig gefunden<br />
haben. Für die junge Dame kommt jede Rettung zu spät. Eine typisch<br />
teuflische Lösung. Ihr Sohn ist Opfer, die böse Sprechstundenhilfe hat alle<br />
Schuld und r<strong>ich</strong>tet s<strong>ich</strong> selbst. Gefällt mir gut.«<br />
»Das stimmt doch gar n<strong>ich</strong>t. Birgit wir doch selbst erpresst«, schrie der<br />
Junge.<br />
»Quatsch, du dummer Kerl, das hat sie erfunden, um d<strong>ich</strong> herum zu<br />
bekommen.«<br />
»Nein, <strong>Teufel</strong> das ist wirkl<strong>ich</strong> so«, sagte auf einmal mit ruhiger Stimme<br />
Birgit Frings, »<strong>ich</strong> habe m<strong>ich</strong> wirkl<strong>ich</strong> mit falschen Leuten eingelassen und<br />
habe keine andere Wahl gehabt. Unser Versuch mit den falschen<br />
Rezeptblocks sollte uns doch nur dazu dienen, dass wir flüchten können.«<br />
»Wir wollten zu Mama fliehen«, schrie Schönherr junior da hinein.<br />
»Immer mit der Ruhe. <strong>Wenn</strong> Sie Ihren Sohn vor dem Gefängnis retten<br />
wollen, gibt es nur den Weg, dass wir die Frings opfern und sie n<strong>ich</strong>ts<br />
mehr gegen ihren Sohn aussagen kann.«<br />
Jetzt flehte plötzl<strong>ich</strong> Birgit Frings: »Dann liefert besser den wirkl<strong>ich</strong>en<br />
Drahtzieher aus und macht ihn alle. Freddie Homer heißt das Schwein.«<br />
»Mir ist meine bisherige Lösung viel lieber, weil wir dann n<strong>ich</strong>t noch<br />
weitere Außenstehende damit hineinziehen müssen, denen wir eventuell<br />
n<strong>ich</strong>ts nachweisen können. Schönherr bereiten sie schon einmal Spritzen<br />
vor«, donnerte <strong>ich</strong>, denn an Freddie glaubte <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t.<br />
Dr. Schönherr schien einen Albtraum zu erleben.<br />
101
Da stand <strong>ich</strong> und brüllte, dass <strong>ich</strong> einen Menschen umbringen wollte,<br />
nur um seinen Sohn vor dem Jugendgefängnis zu bewahren. Er stand<br />
stocksteif da, und murmelte nur: »Das kann <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t zulassen, <strong>Teufel</strong>.«<br />
»Das werden Sie wohl müssen, mein Lieber, denn ansonsten könnte es<br />
sein, dass man Ihnen eine Mitschuld beweist. Denn wie sollen wohl die<br />
Originalunterschriften auf die Rezepte kommen. Und <strong>ich</strong> habe sie<br />
vergl<strong>ich</strong>en. Es sind Ihre Unterschriften.«<br />
»Aber die habe <strong>ich</strong> doch gefälscht. Sie haben Recht, als Sie sagten, <strong>ich</strong><br />
male Unterschriften am Fließband. Aber <strong>ich</strong> habe doch erst dreißig Blocks<br />
unterschrieben. Die anderen sind doch noch bei Birgit.«<br />
»Das heißt, da fliegen im Moment eintausendzweihundertfünfzig falsche<br />
Rezepte durch die Drogenszene. Wann habt ihr sie dem Homer<br />
ausgeliefert? Und was habt ihr dafür bekommen?«<br />
»Die habe <strong>ich</strong> ihm vorgestern gegeben gegen zehntausend Mark.«<br />
»Und wo ist das Geld?«<br />
»Ich habe es verloren.«<br />
Ich muss wieder einmal mein teuflisches Grinsen aufgesetzt haben, denn<br />
Dr. Schönherr zuckte, wie die Beiden auf der Liege auch, <strong>zurück</strong>, als <strong>ich</strong><br />
dazu auch noch grollend sagte: »Wie du dein Leben jetzt verlieren wirst,<br />
mein kleiner, niedl<strong>ich</strong>er Karbolengel. Dr. Schönherr nehmen Sie Ihren Sohn<br />
mit nach oben, und <strong>ich</strong> werde der Dame hier in Ihrem OP eine kleine<br />
Schönheitsoperation verpassen. Nur schade, dass sie s<strong>ich</strong> hinterher n<strong>ich</strong>t<br />
mehr selbst sehen kann.«<br />
Ich griff mir die Frings wieder und drehte ihr den Arm auf den Rücken<br />
und führte sie aus dem Zimmer in R<strong>ich</strong>tung OP. Dr. Schönherr und sein<br />
Sohn blieben wie versteinert <strong>zurück</strong>. Birgit Frings schrie und jaulte: »Nein,<br />
<strong>ich</strong> habe überhaupt kein Geld bekommen. Er hat nur gesagt, dass er m<strong>ich</strong><br />
verlassen wird, wenn <strong>ich</strong> ihm n<strong>ich</strong>t weitere Rezepte besorge. Er will m<strong>ich</strong><br />
einfach sitzen lassen und weggehen«, heulte sie, »aber <strong>ich</strong> kann doch n<strong>ich</strong>t<br />
ohne ihn leben. Ich kann n<strong>ich</strong>t ohne ihn sein.«<br />
Birgit Frings brach zusammen. Sie brach endgültig zusammen und<br />
wurde von einem Weinkrampf geschüttelt und der junge Schönherr<br />
murmelte ein- ums andere Mal: »Aber Birgit, du liebst doch m<strong>ich</strong>, und <strong>ich</strong><br />
d<strong>ich</strong>.«<br />
»Ach, was weißt du denn schon von Liebe, du dummer Junge«, schrie<br />
Birgit und wurde weiter von Weinkrämpfen geschüttelt. Der »dumme<br />
Junge« weinte jetzt auch, denn soeben brach für ihn eine Welt zusammen.<br />
Er flüchte s<strong>ich</strong> in die Arme seines Vaters und weinte jetzt auch haltlos.<br />
Ich sagte nur: »Dr. Schönherr nehmen Sie Ihren Jungen und bringen ihn<br />
nach oben in die Wohnung.«<br />
102
»Lasst m<strong>ich</strong> mit diesem Monstrum n<strong>ich</strong>t allein. N<strong>ich</strong>t mit diesem<br />
<strong>Teufel</strong>.«<br />
Aber Dr. Schönherr hielt seinen Sohn immer noch umarmt und führte<br />
ihn in R<strong>ich</strong>tung Treppenhaus. Birgit heulte noch lauter und flüchtete in die<br />
äußerste Ecke des Flures und hockte s<strong>ich</strong> völlig verängstigt dort hin, und<br />
legte die Hände schützend um ihren Kopf, als wenn sie Schläge fürchtete.<br />
Dabei weinte sie wimmernd.<br />
Ich ließ sie einen kleinen Augenblick dort hocken und sagte dann in<br />
ganz normalen Ton zu ihr: »So und jetzt beruhigst du d<strong>ich</strong> ein wenig und<br />
wir gehen auch nach oben und du erzählst deine ganze Gesch<strong>ich</strong>te. Von<br />
Anfang an und mit allen Details.<br />
Ich werde das Gespräch auf Tonband aufnehmen und wir werden später<br />
die noch n<strong>ich</strong>t unterschriebenen Rezeptblocks s<strong>ich</strong>erstellen.«<br />
Sie schielte hinter Ihren abwehrend erhobenen Händen hervor, um zu<br />
sehen, ob <strong>ich</strong> es wohl ernst meinen könnte und <strong>ich</strong> streckte ihr die Hand<br />
hin, damit sie s<strong>ich</strong> hochziehen konnte. Sie zuckte ängstl<strong>ich</strong> <strong>zurück</strong>, aber<br />
dann ergriff sie doch meine Hand und <strong>ich</strong> zog sie hoch. Wir gingen<br />
ebenfalls in den ersten Stock. Die Tür stand immer noch offen.<br />
Dr. Schönherr saß mit seinem verzweifelten Sohn auf der Couch und<br />
hatte seinen Arm immer noch beschützend um ihn gelegt. Der Junge<br />
weinte noch.<br />
Mit ganz normaler Stimme sprach <strong>ich</strong> ihn an: »Du hast doch bestimmt<br />
ein Tonbandgerät oder einen guten Kassettenrecorder mit einem ebenso<br />
guten Mikrofon. Hole alles und baue es hier auf dem Tisch auf und wir<br />
wollen die ganze Tragödie darauf festhalten.«<br />
Er sah m<strong>ich</strong> mit seinen verschwiemelten Augen an, aber rührte s<strong>ich</strong><br />
n<strong>ich</strong>t. Etwas eindringl<strong>ich</strong>er sagte: »Mach schon bitte, <strong>ich</strong> möchte das auch<br />
alles hinter mir haben.«<br />
Es dauerte nur zwei Minuten, bis er den Kassettenrecorder und das<br />
Mikrofon auf dem Tisch aufbaute und anschloss. Dann machte <strong>ich</strong> eine<br />
Sprechprobe und mein Verhör begann. Es war eigentl<strong>ich</strong> ein Monolog von<br />
Birgit Frings, die, nachdem wir die Anwesenden und das Datum nannten,<br />
begann ihren Liebes- und Leidensweg zu erzählen. Sie sprach erst leise und<br />
langsam und <strong>ich</strong> musste sie auffordern deutl<strong>ich</strong> und klar zu sprechen,<br />
dann kam aber die Gesch<strong>ich</strong>te aus ihr heraus:<br />
»Ich war noch 17 Jahre alt, als <strong>ich</strong> Freddie in einer Diskothek<br />
kennengelernt habe. Freddie ist acht Jahre älter als <strong>ich</strong> und ist eine Art<br />
König dort in der Disco gewesen. Er ist groß und r<strong>ich</strong>tig gut gebaut.<br />
103
Ein r<strong>ich</strong>tiger Mann, der bei allen Frauen großen Eindruck machte. Er hat<br />
die ganze Zeit mit mir getanzt und hat s<strong>ich</strong> um m<strong>ich</strong> gekümmert und hat<br />
die anderen von mir ferngehalten. Er hat r<strong>ich</strong>tig auf m<strong>ich</strong> aufgepasst.<br />
Später hat er m<strong>ich</strong> mitgenommen. Er war mein erster Mann, mit dem <strong>ich</strong><br />
schlief. Und es war schön. Es passierte an einem Freitag und <strong>ich</strong> blieb das<br />
ganze Wochenende bei ihm und bekam am Montagmorgen, als <strong>ich</strong> meine<br />
Schulsachen von zu Hause holen wollte, ganz tüchtigen Ärger mit meinen<br />
Eltern.<br />
Aber Freddie fuhr m<strong>ich</strong> in seinem tollen Auto vor und er hat auch meine<br />
Mutter sofort überzeugt, dass <strong>ich</strong> zu ihm gehöre. Die nächsten<br />
Wochenenden durfte <strong>ich</strong> sogar mit Genehmigung meiner Eltern bei ihm<br />
wohnen. Er war toll zu mir.<br />
Als <strong>ich</strong> dann 18 wurde, hat er dafür gesorgt, dass <strong>ich</strong> eine eigene<br />
Wohnung bekam, und er war dann bei mir, oder <strong>ich</strong> war bei ihm. Ich fing<br />
meine Lehre bei Dr. Schubert schon an und <strong>ich</strong> war glückl<strong>ich</strong> mit Freddie.<br />
Wir hatten immer noch viel Sex, aber manchmal habe <strong>ich</strong> ihn dann nur<br />
noch an den Wochenenden in der Disco gesehen. Und da waren immer<br />
seine Freunde und auch andere Mädchen dabei. Wir haben dann meistens<br />
bei ihm noch Partys veranstaltet und da ging es immer hoch her. Da kam es<br />
schon Mal vor, dass er mit mir Sex machte, wenn die anderen noch da<br />
waren.<br />
Die Partys wurden immer ausgelassener und eines Tages hat er von mir<br />
verlangt, dass <strong>ich</strong> auch mit seinen Freunden schlafe. Erst wollte <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t,<br />
aber er hat m<strong>ich</strong> geschlagen. Und er hat m<strong>ich</strong> brutal genommen. Es hat mir<br />
gefallen und es hat mir auch n<strong>ich</strong>ts ausgemacht, dass dann seine Freunde<br />
dran waren. Danach war er dann wieder ganz lieb zu mir.<br />
So ging das die ganze Zeit, und er brachte jetzt auch manchmal andere<br />
Mädchen mit, wenn wir bei ihm waren und <strong>ich</strong> musste es auch mit ihnen<br />
treiben. <strong>Wenn</strong> <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t wollte, hat er m<strong>ich</strong> wieder geschlagen und dann<br />
hat es mir am meisten Spaß gemacht.<br />
Bei seinen Partys hat es immer was zu rauchen gegeben. So Hasch und<br />
vor zwei Jahren dann kam er mit Koks an. Ich habe es n<strong>ich</strong>t genommen,<br />
aber die anderen waren dann immer besonders gut drauf und wenn<br />
Freddie geschnupft hat, dann ging es mir besonders gut. Er hat m<strong>ich</strong> dann<br />
auch schon gebeten, dass <strong>ich</strong> mit irgendwelchen Geschäftsleuten in ein<br />
Hotel ging. Das Geld, das die mir gaben, hat er dann genommen und hat<br />
neuen Koks gekauft und hat m<strong>ich</strong> dann dafür entschädigt, dass <strong>ich</strong> es mit<br />
diesen alten Säcken trieb. Irgendwann habe <strong>ich</strong> ihm einmal erzählt, dass<br />
Frieder so gut die Unterschrift von seinem Vater nachmachen konnte.<br />
104
Der zeigte mir das einmal hier in der Praxis, als er eine schlechte Arbeit<br />
geschrieben hatte und s<strong>ich</strong> eigentl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t traute sie seinem Vater zur<br />
Unterschrift vorzulegen.<br />
Da ist Freddie auf die Idee gekommen, dass Frieder mir ja auch ein paar<br />
Rezepte unterschreiben könnte und <strong>ich</strong> hab´s versucht.<br />
Erst wollte Frieder das n<strong>ich</strong>t, und <strong>ich</strong> musste ihn verführen. Als<br />
Belohnung für das Bumsen hat er mir dann ein paar Rezepte, die <strong>ich</strong> unten<br />
vom Block klaute, unterschrieben und <strong>ich</strong> hab sie Freddie gegeben, der<br />
m<strong>ich</strong> dann immer r<strong>ich</strong>tig gut belohnt hat. Ich habe ihm immer vorher<br />
gesagt, dass <strong>ich</strong> keine Rezepte bekommen hätte, dann hat er m<strong>ich</strong> gehauen<br />
und wenn <strong>ich</strong> ihm doch welche geben konnte, dann hat er es mir so<br />
gemacht, wie <strong>ich</strong> es brauche.<br />
Und eines Tages hat er mir gesagt, dass er ganze Blocks haben wollte<br />
und <strong>ich</strong> käme ja hier ja auch an den Giftschrank. Da haben Frieder und <strong>ich</strong><br />
uns eines Abends hier reingeschl<strong>ich</strong>en und er durfte m<strong>ich</strong> hier auf dem<br />
Untersuchungsstuhl nehmen, und <strong>ich</strong> habe die Rezeptblocks und die Mittel<br />
aus dem Giftschrank genommen.<br />
Danach durfte Frieder m<strong>ich</strong> in meiner Wohnung besuchen und hat dort<br />
die Rezeptblocks unterschrieben.<br />
Dann haben wir nach dem letzten Diebstahl gemeint, dass es zu<br />
gefährl<strong>ich</strong> würde und Freddie bekam die Idee, einfach Blocks drucken zu<br />
lassen. Weil Frieder ja so gut auf seinem Computer ist, habe <strong>ich</strong> ihn<br />
überredet, das Layout zu kopieren und auf CD zu brennen. Damit hab <strong>ich</strong><br />
die Blocks bei dieser Firma bestellt. Die Alte wollte erst n<strong>ich</strong>t, aber das<br />
Bargeld, dass mir Freddie mitgegeben hat, hat sie dann doch überzeugt.<br />
Und Frieder hat denn jedes Mal, wenn er bei mir war, einen Block<br />
unterschrieben.»<br />
«Und was macht Freddie mit den Blocks?»<br />
«Er verkauft sie Blockweise. Er kann s<strong>ich</strong> damit den Koks kaufen und<br />
dann ist er lieb zu mir.»<br />
Frieder Schönherr saß völlig zusammengesunken neben seinem Vater<br />
und daher kam sein Angriff völlig überraschend. Er war aufgesprungen<br />
und legte die Hände um Birgits Hals und würgte sie, bis <strong>ich</strong> endl<strong>ich</strong><br />
hochkam und ihn K. o. schlug. Er hätte sonst die junge Frau erdrosselt.<br />
Ich nahm meine Kabelbinder, die <strong>ich</strong> immer in meiner Jackentasche<br />
verwahre, heraus und fesselte Birgit Frings. Zu Dr. Schönherr sagte <strong>ich</strong> nur:<br />
«Versorgen Sie ihren Sohn ärztl<strong>ich</strong>. Und verwahren sie beide getrennt. Ich<br />
muss noch etwas erledigen.«<br />
105
Ich holte mir die Hausschlüssel von Birgit Frings aus ihrem Spind und<br />
setzte m<strong>ich</strong> in mein Auto und fuhr zu ihrer Wohnung. Hier stellte <strong>ich</strong> alle<br />
Rezeptblocks s<strong>ich</strong>er und fuhr dann weiter bis zu einem Haus ganz in der<br />
Nähe meiner eigenen Wohnung.<br />
Ich fand das Klingelschild sofort. Die Haustür stand offen und <strong>ich</strong> ging<br />
in den ersten Stock und klingelte bei Homer. Es dauerte eine Weile, bis er<br />
die Tür öffnete.<br />
Er erwartete wohl Birgit, denn er erschien an der Tür nur mit einem<br />
Handtuch um seine Hüften geschlungen. Er starrte m<strong>ich</strong> an und fragte:<br />
»Was wollen Sie?«<br />
Ich sagte gar n<strong>ich</strong>ts, sondern schlug ihm meine Fäuste an den Kopf und<br />
trieb ihn so zu der geöffneten Tür, aus der L<strong>ich</strong>tschein fiel. Wir landeten in<br />
seinem Schlafzimmer und aus dem Bett quiekte jemand und sprang auf.<br />
Ich nahm nur einen nackten weibl<strong>ich</strong>en Körper wahr, dann war er hinter<br />
einer Tür verschwunden.<br />
Bis jetzt brachte <strong>ich</strong> Homer durch meine sofort ausgeteilten Schläge so<br />
aus dem Konzept, dass er vor mir wegrannte. Aber jetzt hielt er sein<br />
Badetuch n<strong>ich</strong>t mehr fest und ging seinerseits zum Angriff über. Ich hielt<br />
m<strong>ich</strong> an keine sportl<strong>ich</strong>en Regeln und trat ihm voll in den Unterleib und<br />
als er zusammenknickte, schlug <strong>ich</strong> ihm die Faust seitl<strong>ich</strong> an den Kopf. Er<br />
fiel ohnmächtig aufs Bett.<br />
Ich riss die Tür zum Badezimmer auf und brüllte hinein: »Rauskommen,<br />
Anziehen und Verschwinden und bringen Sie ein nasses Handtuch mit.«<br />
Eine völlig verstörte Blondine kam zitternd aus dem Badezimmer und<br />
brachte tatsächl<strong>ich</strong> ein nasses Handtuch mit und re<strong>ich</strong>te es mir.<br />
Sie besaß eine hübsche Figur und <strong>ich</strong> herrschte sie an: »Ziehen Sie s<strong>ich</strong><br />
an, oder wollen Sie in eine Polizeirazzia verwickelt werden.«<br />
Sie stotterte etwas, aber griff s<strong>ich</strong> dann ihre Sachen und zog s<strong>ich</strong> eilig an.<br />
Ich wickelte das nasse Handtuch Freddie Homer schon um den Kopf.<br />
Als die Blonde gerade verschwand, rief <strong>ich</strong> ihr hinterher: »Und machen<br />
Sie die Tür zu.«<br />
Unter dem Handtuch kamen auch schon wieder unartikulierte Laute<br />
hervor. Der Herr erwachte wieder und wusste n<strong>ich</strong>t, wo er war. Ich riss<br />
ihm das Handtuch vom Kopf und brüllte den noch benommenen Mann an.<br />
»Anziehen und die Rezeptblocks rausrücken!«<br />
Er griff s<strong>ich</strong> die Unterhose, die neben dem Bett lag, und schlüpfte hinein.<br />
Er streifte auch seinen Pullover über und seine Hose hielt <strong>ich</strong> ihm hin,<br />
nachdem <strong>ich</strong> die Taschen abklopfte. Ich wollte näml<strong>ich</strong> keine<br />
Überraschung erleben.<br />
106
Das Schlüsselbund, das er in der Tasche trug, verschwand in meiner<br />
Jackentasche.<br />
Als er s<strong>ich</strong> die Hose hochgezogen hatte, griff <strong>ich</strong> blitzschnell nach seinen<br />
Händen und fesselte sie mit meinen berühmten Kabelbindern.<br />
»Und nun holen wir die Rezepte, aber dalli.«<br />
Er nuschelte: »Du hättest m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t zusammenschlagen brauchen, nur<br />
wegen der däml<strong>ich</strong>en Rezepte. <strong>Wenn</strong> du es gle<strong>ich</strong> gesagt hättest, hätte <strong>ich</strong><br />
sie dir freiwillig gegeben. Bist du der Neue von Max? Ist der stinkig, weil<br />
<strong>ich</strong> in seinem Revier wildere?«<br />
»Die Rezepte. Aber alle!«<br />
»Sind da drin«, dabei zeigte er mit seinen gefesselten Händen auf eine<br />
Kommode.<br />
»Rausholen«, befahl <strong>ich</strong> ihm.<br />
Als er keine Anstalten machte, trat <strong>ich</strong> wieder etwas näher an ihn heran.<br />
Es war kein Versehen, dass <strong>ich</strong> mit meinen schweren Schuhen auf seinen<br />
nackten Fuß trat. Er jaulte sofort auf und bückte s<strong>ich</strong> und zog mit den<br />
gefesselten Händen die oberste Schublade auf. Hier lagen fein säuberl<strong>ich</strong><br />
gestapelt die blanko unterschriebenen Rezeptblocks. Ich schubste ihn<br />
<strong>zurück</strong> und er stieß mit seinen Beinen gegen die Bettkante und fiel<br />
hintenüber aufs Bett. Ich befahl ihm nur: »Liegen bleiben. Ganz ruhig<br />
liegen bleiben.«<br />
Ich nahm die Blocks und griff mir dann das Telefon und wählte Dr.<br />
Schönherrs Nummer. Als er s<strong>ich</strong> meldete, fragte <strong>ich</strong> ihn: »Wie geht es dem<br />
Jungen?«<br />
»Ich habe ihm eine Beruhigungsspritze gegeben. Er schläft.«<br />
»Gut, dann setzen Sie s<strong>ich</strong> bitte mit der jungen Dame ins Auto und<br />
kommen zum Polizeipräsidium. Den Kassettenrecorder bringen Sie bitte<br />
auch mit. Wir treffen uns im Eingang in zwanzig Minuten.«<br />
»Und der Junge?«<br />
»Bitten Sie Frau Bose bei ihm zu bleiben, falls er unerwartet aufwachen<br />
sollte. Sie wird s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> verhindern können, dass er Blödsinn macht.«<br />
Freddie r<strong>ich</strong>tete s<strong>ich</strong> hinter mir auch schon wieder auf und war auf dem<br />
Sprung.<br />
»<strong>Wenn</strong> du wirkl<strong>ich</strong> mit deinen gefesselten Händen die Treppe<br />
hinunterstürzen willst, dann renn los. Ich wette, dass du dir den Hals<br />
br<strong>ich</strong>st, was unserer Justiz nur nützl<strong>ich</strong> sein könnte. Besser für d<strong>ich</strong> und<br />
vor allem wesentl<strong>ich</strong> gesünder ist, wenn du jetzt friedl<strong>ich</strong> mit mir kommst<br />
und wir eine kleine Spazierfahrt machen.«<br />
Er kapierte wohl inzwischen, dass <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t von der Konkurrenz kam.<br />
107
Ich ließ ihn gar n<strong>ich</strong>t in seine Schuhe steigen sondern befahl ihm<br />
mitzukommen, so wie er war. Ich nahm nur einen Rezeptblock mit, den<br />
Rest ließ <strong>ich</strong>, wo sie waren. Die Herren vom Amt sollten auch noch ein<br />
wenig Arbeit machen.<br />
Ich parkte meinen Wagen auf einem Dienstparkplatz direkt vor dem<br />
Präsidium und ging gemeinsam mit dem barfüßigen Homer ins Gebäude.<br />
Dr. Schönherr wartete mit Birgit Frings schon auf uns. Ich rechnete zwar<br />
damit, dass Homer s<strong>ich</strong> auf seine Freundin stürzen würde, weil sie ihn<br />
verraten hatte. Ich konnte es nur dadurch verhindern, dass <strong>ich</strong> ihm ein Bein<br />
stellte.<br />
Er knallte mit dem Kopf auf den Steinfußboden und war das zweite Mal<br />
heute K. o. und <strong>ich</strong> sagte den herbeistürzenden Beamten: »Wir müssen die<br />
beiden hier im Rauschgiftdezernat abgeben. Der braucht keinen Arzt. Dr.<br />
Schönherr hier ist Mediziner, der kann ihn dort dann verarzten. Helfen sie<br />
mir lieber den Verbrecher ins Verhörzimmer dort zu bringen.<br />
Das Geständnis der Frau ist schon auf dem Kassettenrecorder. Und dann<br />
können Sie mir helfen weiteres Beweismaterial aus meinem Wagen zu<br />
holen.<br />
Das Rauschgiftdezernat war erfreul<strong>ich</strong>erweise hier im Erdgeschoss und<br />
wir brauchten Homer n<strong>ich</strong>t allzu weit zu schleppen. Er blutete ein wenig<br />
aus dem Mund. Wahrscheinl<strong>ich</strong> schlug er s<strong>ich</strong> bei seinem Sturz ein paar<br />
Zähne aus.<br />
Dann holten zwei Beamte und <strong>ich</strong> die Kartons mit den<br />
Rezeptfälschungen und <strong>ich</strong> sagte ihnen, als wir alles auf einem Tisch<br />
abluden: »Dr. Schönherr bleibt bei Ihnen und wird die Gesch<strong>ich</strong>te auf der<br />
Kassette bestätigen. Ich muss nur den Wagen vom Dienstparkplatz<br />
entfernen. In der Zwischenzeit könnten ein paar Leute von Ihnen einmal<br />
die Wohnung, Lüneburger Str. 16, erster Stock auseinandernehmen. Dort<br />
finden Sie weitere Beweise. Es ist die Wohnung von dem Knaben da.<br />
Ich fuhr vom Dienstparkplatz direkt ins Krankenhaus und ging zu<br />
Charlotte ans Bett. Sie schlief schon. Als <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> gerade leise wieder aus<br />
dem Zimmer schle<strong>ich</strong>en wollte, war sie erwacht und sagte: »Ich hab schon<br />
auf d<strong>ich</strong> gewartet.«<br />
Und als sie mir nach unserem Begrüßungskuss in die Augen sah, sagte<br />
sie leise: »Du siehst müde und zerschlagen aus. Was hast du den ganzen<br />
Tag gemacht?«<br />
»Gle<strong>ich</strong> zwei Liebesbeziehungen zerschlagen, einem Mann einige Zähne<br />
gezogen, einer Frau eine unfreiwillige Schönheitsoperation angedroht und<br />
einen Sechszehnjährigen unglückl<strong>ich</strong> gemacht und die Arbeit von 18<br />
Monaten für das Rauschgiftdezernat, sonst n<strong>ich</strong>ts.«<br />
108
Charlotte fasste s<strong>ich</strong> plötzl<strong>ich</strong> an ihre Wunde und sagte: »Du sollst m<strong>ich</strong><br />
n<strong>ich</strong>t zum Lachen bringen, <strong>Teufel</strong>. Das tut mir weh.«<br />
»Der Tag war wirkl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t zum Lachen, mein Schatz.«<br />
Dann fing <strong>ich</strong> an zu erzählen.<br />
Ich war noch n<strong>ich</strong>t einmal bei der Hälfte meiner Gesch<strong>ich</strong>te, als mein<br />
Handy anfing zu klingeln. Als <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> vors<strong>ich</strong>tig meldete, brüllte m<strong>ich</strong><br />
Waldtmanns Stimme an. Er war so laut, dass selbst Charlotte mitbekam,<br />
was er brüllte: »Jetzt schlägt´s aber Dreizehn! Sie wirbeln hier das ganze<br />
Rauschgiftdezernat durcheinander und verkrümeln s<strong>ich</strong>, um s<strong>ich</strong> zu<br />
amüsieren. Kommen Sie sofort hierher <strong>zurück</strong>.«<br />
Ich re<strong>ich</strong>te den Hörer an Charlotte und hörte ihn weiterbrüllen, bis<br />
Charlotte mit erstaunl<strong>ich</strong> lauter Stimme sagte: »<strong>Teufel</strong> macht nur eine<br />
weitere Zeugenbefragung«, und trennte dann das Gespräch.<br />
»Küss m<strong>ich</strong> noch einmal und fahr hinüber, der bekommt sonst einen<br />
Schlag.«<br />
14<br />
Das Rauschgiftdezernat<br />
Für welchen Wirbel <strong>ich</strong> in der Abteilung »Bekämpfung von Delikten<br />
gegen das Betäubungsmittelgesetz« oder kurz dem Rauschgiftdezernat<br />
sorgte, merkte <strong>ich</strong> schon, als <strong>ich</strong> das Präsidium wieder betrat.<br />
Beamte, die s<strong>ich</strong> noch zu dem Zeitpunkt, als Dr. Schönherr und <strong>ich</strong> Birgit<br />
Frings und Freddie Homer hierher brachte, mit der Bewegl<strong>ich</strong>keit mittlerer<br />
Geldtresore auf dem Gang bewegten, flitzen jetzt durch die Gänge, dass<br />
mir fast schwindlig wurde. Beamte, die bis dahin schweigsam in<br />
gemächl<strong>ich</strong>en Tempo Akten von einem Zimmer zum anderen trugen,<br />
kommunizierten offen und laut in den Fluren und bewegten s<strong>ich</strong> dabei<br />
flink und gewandt.<br />
Ich wurde, ohne lange bürokratische Hürden überwinden zu müssen,<br />
sofort zum Zimmer 13 geleitet, wobei <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> wunderte, dass es in dieser<br />
abergläubischen Gesellschaft, einen solchen Raum mit dieser Nummer<br />
überhaupt gab.<br />
Als <strong>ich</strong> die Tür öffnete, stellte <strong>ich</strong> fest, dass es s<strong>ich</strong> um einen großen<br />
Raum handelte, in der eine Anzahl von Beamten um ein Pult herumstand<br />
und heftig diskutierte.<br />
109
Einer der Redner hinter dem Pult war Waldtmann, der hochrotem<br />
Kopfes seinen Gegenübern etwas zu erklären schien. Neben ihm standen<br />
eine zierl<strong>ich</strong>e Frau und ein weiterer älterer Mann.<br />
Dr. Schönherr saß etwas unbeteiligt auf einem Stuhl und starrte leer in<br />
den Raum. Er schien n<strong>ich</strong>t zu verstehen, was hier vorging. Ich ging einfach<br />
zu ihm und wurde von den übrigen Anwesenden überhaupt n<strong>ich</strong>t<br />
beachtet. Ich setzte m<strong>ich</strong> neben ihn und fragte: » Was herrscht hier denn für<br />
eine allgemeine Verwirrung?«<br />
»Sie sind am diskutieren, ob man die Frings und den Homer wieder<br />
laufen lassen muss, weil sie unrechtmäßig hier vorgeführt wurden. Sie<br />
haben sie noch n<strong>ich</strong>t einmal r<strong>ich</strong>tig verhört und die Tonbandkassette<br />
wollen sie n<strong>ich</strong>t anerkennen. Auch meine Aussage, dass die Frings alles<br />
freiwillig erzählt hat, zählt dabei n<strong>ich</strong>t.«<br />
Ganz leise sagte er dann noch: »Ich hätte Ihrem Vorschlag folgen sollen,<br />
und diese schreckl<strong>ich</strong>e Frau wirkl<strong>ich</strong> mit Gift vollpumpen, dann wäre alles<br />
gut verlaufen!«<br />
»Nein, Schönherr. Sie hätten immer damit leben müssen einen Menschen<br />
vorsätzl<strong>ich</strong> getötet zu haben, und das Unglück für Ihren Sohn wäre noch<br />
größer gewesen, als es jetzt schon ist. Er hätte zwar n<strong>ich</strong>t erfahren, dass die<br />
Frau ihn ledigl<strong>ich</strong> benutzt hat, aber Sie wären für ihn immer ein Mörder<br />
gewesen.«<br />
Dann entdeckte m<strong>ich</strong> Waldtmann und brüllte plötzl<strong>ich</strong> los: »Wo<br />
kommen Sie denn her und warum haben Sie s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t bei mir gemeldet?«<br />
»Hätte <strong>ich</strong> das tun sollen? Sie waren doch so sehr beschäftigt und vor<br />
allen Dingen, was haben Sie mit einer Rauschgiftsache zu tun?«<br />
»Dieser Homer hat Frau Frings schwer verletzt und wenn wir n<strong>ich</strong>t im<br />
letzten Moment dazwischen gegangen wären, hätte er sie umgebracht. Er<br />
würgte sie schon bis zur Bewusstlosigkeit.«<br />
»Wie zum <strong>Teufel</strong> konnte das passieren? Hier wusste man doch, dass der<br />
auf die losgehen wollte, weil er glaubte, sie hätte ihn verraten. Warum<br />
musste <strong>ich</strong> das bei der Einlieferung hier wohl dadurch verhindern, indem<br />
<strong>ich</strong> ihm ein Bein stellte. Sie waren hier doch vorgewarnt. Warum hat man<br />
sie überhaupt gemeinsam in einem Raum untergebracht? Sie hätten doch<br />
jeweils einzeln verhört werden müssen.«<br />
»<strong>Wenn</strong> Sie dabeigeblieben und n<strong>ich</strong>t auf Freiersfüßen durch die Gegend<br />
gerannt wären, dann wäre n<strong>ich</strong>ts passiert.«<br />
»Nein, Waldtmann. <strong>Wenn</strong> in Ihrem Schlampladen an zwei aufeinander<br />
folgenden Tagen die gle<strong>ich</strong>en Fehler gemacht werden und die Justiz sogar<br />
zum Helfer von Verbrechern wird, dann ist das eindeutig Ihr Fehler und<br />
n<strong>ich</strong>t meiner.<br />
110
<strong>Wenn</strong> dadurch auch noch zwei Frauen schwer verletzt werden, dann<br />
muss <strong>ich</strong> es schon als Beihilfe zu Mordversuchen darstellen.«<br />
»Wer ist denn dieser Kerl«, fragte die Frau, die vorhin mit Waldtmann<br />
diskutierte, »wie kommt der hier in unsere Konferenz?«<br />
Ich erhob m<strong>ich</strong> und deutete eine Verbeugung an und sagte: »<strong>Teufel</strong>, der<br />
Mann der die Täter hierher gebracht hat. Der es geschafft hat, die<br />
Machenschaften hinter den Rezeptdiebstählen aus der Praxis von Dr.<br />
Schönherr aufzudecken, was die Leute vom Rauschgiftdezernat n<strong>ich</strong>t in<br />
achtzehn Monaten fertig gebracht haben. Wieso hat man nie jemand aus<br />
der Praxis jemals verdächtigt, zumindest mit den Tätern in Verbindung zu<br />
stehen, denn es waren doch offens<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong> keine Einbrüche erfolgt? Wieso<br />
hat man n<strong>ich</strong>t die Apotheken, die am naheliegendsten für die Einlösung<br />
der Rezepte in Frage kamen, überprüft und so <strong>zurück</strong>verfolgt, woher die<br />
vielen Rezepte kamen?«<br />
»Was sollen diese Fragen? Wir haben mit ganz anderen Dingen zu tun,<br />
als uns um ein paar geklaute Rezepte zu kümmern. Was wissen Sie schon<br />
von unserer Arbeit?«<br />
»Ich weiß n<strong>ich</strong>ts von Ihren Sorgen, gnädige Frau, aber wenn sie von ein<br />
paar Rezepten sprechen, dann haben Sie s<strong>ich</strong> scheinbar noch überhaupt<br />
n<strong>ich</strong>t mit dem Ausmaß dieses Falles befasst. Da liegen Ihnen<br />
fünfundzwanzigtausend Rezepte für Minimum 10 Ampullen reines<br />
Morphium auf dem Beweistisch und mir ist es gelungen noch weitere<br />
fünfhundert Blocks für lumpige eintausend Mark innerhalb von einer<br />
halben Stunde zu beschaffen, und dann sprechen Sie von Kleinigkeiten? Ist<br />
denn hier in dieser Stadt alles bescheuert?<br />
Haben Sie diesen Homer einmal befragt, wer denn Max sei, dem er ins<br />
Handwerk gepfuscht haben könnte? Haben Sie ihn befragt, warum er vor<br />
dem Angst hat, und warum er mir die Rezepte freiwillig angeboten hat?<br />
Wo, zum <strong>Teufel</strong>, sehen Sie eigentl<strong>ich</strong> hin, hier in der Stadt?«<br />
Jetzt wurde die Dame r<strong>ich</strong>tig laut, als sie m<strong>ich</strong> andonnerte: »Sie<br />
eingebildeter Hund, was bilden Sie s<strong>ich</strong> überhaupt ein, mit mir so sprechen<br />
zu dürfen?«<br />
Weiter kam Sie n<strong>ich</strong>t, denn <strong>ich</strong> unterbrach Sie: »<strong>Wenn</strong> <strong>ich</strong> noch n<strong>ich</strong>t<br />
einmal weiß, wer Sie sind, und was Sie hier zu suchen haben, und hier den<br />
ganzen Laden mit Ihrem Gewäsch nur aufhalten, rede <strong>ich</strong> so mit Ihnen, wie<br />
<strong>ich</strong> es für r<strong>ich</strong>tig halte.«<br />
»Mein Name ist Anna Wagenfeld und <strong>ich</strong> leite hier die Abteilung!«<br />
»Ach du meine Güte«, war mein einziger Kommentar.<br />
Der ältere Mann, der vorhin ebenfalls in die Diskussion mit Waldtmann<br />
verstrickt gewesen war, sagte auch einmal etwas:<br />
111
»Ich bin Ferdinand Bauer, der leitende Staatsanwalt, und <strong>ich</strong> finde Ihre<br />
Vorwürfe geradezu unverschämt.«<br />
»Dann brauchen Sie uns wohl n<strong>ich</strong>t länger. Kommen Sie Dr. Schönherr,<br />
die Herrschaften sollten hier allein weiter wurschteln. Die Abhängigen<br />
werden s<strong>ich</strong> freuen. Und wenn s<strong>ich</strong> Verbrecher gegenseitig versuchen<br />
umzubringen, so sollten wir das ruhig zulassen. Das Einzige, was <strong>ich</strong> noch<br />
machen werde, ist ein Protokoll zu unterschreiben, dass bei Herrn<br />
Waldtmann im Büro liegen sollte. Zu dem anderen Kasperletheater habe<br />
<strong>ich</strong> keine Lust mehr. Und wenn Sie uns hier festhalten, dann nur mit einem<br />
begründeten Haftbefehl, der von meinem Rechtsanwalt innerhalb von<br />
Minuten angefochten werden würde.«<br />
Dr. Schönherr war ebenfalls aufgestanden und wir waren schon auf dem<br />
Weg zu Tür, als Waldtmann plötzl<strong>ich</strong> wesentl<strong>ich</strong> leiser hinter uns herrief:<br />
»Bitte, <strong>Teufel</strong>, wollen Sie uns n<strong>ich</strong>t vorher noch die Sachverhalte erklären.<br />
Es könnte uns nützl<strong>ich</strong> sein.«<br />
Ich drehte m<strong>ich</strong> um und sagte ihm: »Sie haben alles, was Sie benötigen,<br />
Kommissar Waldtmann. Ein Geständnis von Frau Frings auf der<br />
Tonkassette, die detailliert beschreibt, was sie wann und sogar warum<br />
getan hat. Die Druckerei, die die Rezepte hergestellt hat, steht unten auf<br />
den Formularen, die Apotheken sind um die Sielwallkreuzung angesiedelt,<br />
und in der Wohnung von Homer sollten Sie genügend anderes<br />
Belastungsmaterial gefunden haben. Sie sollte ihn aber ausquetschen nach<br />
diesem Max und seinen »Neuen«. Da soll s<strong>ich</strong> ein brutales Schwein hier<br />
angesiedelt haben, der die Kleindealer und Möchtegernzuhälter, wie dieser<br />
Homer einer ist, unter Druck setzt. Vielle<strong>ich</strong>t machen Sie dann einmal<br />
einen größeren Fang. Mehr ist dazu im Moment sowieso n<strong>ich</strong>t zu sagen.<br />
Und meine Unterschrift unter das gestrige Protokoll würde <strong>ich</strong> jetzt gerne<br />
setzen, weil <strong>ich</strong> Morgen für den Rest des Monats nach Bad Homburg reisen<br />
möchte.<br />
Waldtmann löste s<strong>ich</strong> aus dem Pulk der Menschen, die immer noch da<br />
standen und jetzt scheinbar sprachlos waren. Er sagte zu mir: »Kommen<br />
Sie, dann sind wir Sie hier wenigsten für ein paar Tage los und Sie können<br />
hier im Hause n<strong>ich</strong>t für noch mehr Wirbel sorgen. Freunde haben Sie s<strong>ich</strong><br />
hier bestimmt n<strong>ich</strong>t gemacht.«<br />
»Von solchen Freunden möchte <strong>ich</strong> auch in Zukunft verschont bleiben.<br />
Die schauen doch noch n<strong>ich</strong>t einmal bis zum Tellerrand, geschweige denn,<br />
über ihn hinaus.«<br />
112
»Sie könnten aber wesentl<strong>ich</strong> besser in dieser Stadt arbeiten, wenn Sie<br />
s<strong>ich</strong> etwas kooperativer verhalten würden.«<br />
»Ist es n<strong>ich</strong>t kooperativ, wenn <strong>ich</strong> Täter und Geständnisse hier abliefere.<br />
Mensch, Waldtmann, was soll <strong>ich</strong> denn sonst noch alles machen?«<br />
»Das Protokoll unterschreiben.«<br />
Ich stellte fest, dass Waldtmann sehr müde und abgespannt aussah und<br />
mein Magen knurrte schreckl<strong>ich</strong>. Waldtmann sah m<strong>ich</strong> an und fragte<br />
mitfühlend: »N<strong>ich</strong>ts zu Essen bekommen heute?«<br />
»Nein, dazu war bisher noch keine Zeit.«<br />
»Wie geht es Frau Hansen?«<br />
»Schon etwas besser? Aber sie wird über Weihnachten im Krankenhaus<br />
bleiben müssen, und was ist mit dem Angreifer«, wollte <strong>ich</strong> wissen.<br />
»Man hat ihm die Hoden entfernen müssen.<br />
Er ist immer noch in Lebensgefahr, aber scheint mir leider zu zäh, als<br />
dass er dem Staat n<strong>ich</strong>t doch für viele Jahre zur Last fallen würde.«<br />
Dieser Satz machte mir Waldtmann das erste Mal sympathischer.<br />
In der Eingangshalle verabschiedete <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> von Dr. Schönherr, der<br />
s<strong>ich</strong> noch einmal bei mir bedankte, und <strong>ich</strong> sagte ihm: »Meine Rechnung<br />
kommt im Neuen Jahr, oder müssen Sie die noch im Dezember haben.«<br />
»Schicken Sie sie mir, wenn Sie Geld brauchen.«<br />
»Und kümmern Sie s<strong>ich</strong> um Ihren Sohn. Bitte ganz intensiv.«<br />
»Darauf können Sie s<strong>ich</strong> verlassen. Ich glaube das Beste wird sein, wenn<br />
<strong>ich</strong> mit ihm einen r<strong>ich</strong>tigen Weihnachtsurlaub antrete und ganz viel Zeit<br />
für ihn habe.«<br />
Ich lächelte ihn an und drückte ihm nochmals die Hand.<br />
Waldtmann war schon vorgegangen und als <strong>ich</strong> in sein Büro trat, fragte<br />
er nur: »Soll <strong>ich</strong> es Ihnen vorlesen?«<br />
Ich schüttelte nur den Kopf und er zeigte mir, wo <strong>ich</strong> meine Unterschrift<br />
hinsetzen sollte. Ich unterschrieb.<br />
Als <strong>ich</strong> dann mit einem kurzen »Wiedersehen« den Raum verlassen<br />
wollte, sagte er hinter mir her: »Sie sind ganz schön le<strong>ich</strong>tsinnig, etwas<br />
ungelesen zu unterschreiben. Gerade nach den Vorkommnissen hier im<br />
Hause an den letzten Tagen.«<br />
»Ihre Unterschrift war schon drunter Waldtmann, und Sie haben es<br />
bestimmt kritisch gelesen, dass dort kein Mist drin steht. So viel Vertrauen<br />
muss <strong>ich</strong> haben.«<br />
Als die Tür zufiel bekam <strong>ich</strong> gerade noch mit das er sagte: »Danke, hätte<br />
<strong>ich</strong> gar n<strong>ich</strong>t erwartet.«<br />
113
15<br />
Die Weihnachtsreise<br />
Nachdem <strong>ich</strong> Waldtmann verlassen hatte, fuhr <strong>ich</strong> ins Viertel und war<br />
im Glück, dass auf der Einfahrt zu Paulas Kneipe kein Auto stand. Ich<br />
parkte dort und wurde mit großem Hallo von der Wirtin empfangen. Diese<br />
ungeheuer dicke Frau drücke m<strong>ich</strong> an ihren immensen Busen und wollte<br />
m<strong>ich</strong> gar n<strong>ich</strong>t wieder loslassen. Erst als sie das Knurren meines Magens<br />
vernahm, ließ sie m<strong>ich</strong> los und sagte: »Zapfe hier dein Bier, <strong>ich</strong> gehe in die<br />
Küche und mache dir etwas zu essen. <strong>Wenn</strong> jemand anderes noch<br />
Getränke haben möchte, kannst du das dann für m<strong>ich</strong> erledigen?«<br />
So wurde <strong>ich</strong> zum Bierzapfer. Viele der Gäste kannte <strong>ich</strong>, denn hier<br />
kamen fast ausschließl<strong>ich</strong> Stammgäste her.<br />
Einige dieser alten Bekannten waren von ihren Plätzen aufgestanden<br />
und herüber an den Tresen gekommen, und <strong>ich</strong> bekam r<strong>ich</strong>tig Arbeit und<br />
dabei musste <strong>ich</strong> erzählen, wie es mir denn in der Fremde ergangen sei und<br />
ob <strong>ich</strong> denn jetzt wieder fest <strong>zurück</strong> sei.<br />
Ich sagte, dass <strong>ich</strong> am nächsten Morgen schon wieder für die nächsten<br />
vierzehn Tage in den Süden verschwinden würde, meinte einer der<br />
Rentner, der hier jeden Abend erschien, um in seiner kleinen Wohnung<br />
n<strong>ich</strong>t so allein zu sein: »Schade, <strong>ich</strong> dachte wir könnten in diesem Jahr<br />
wieder an Heilig Abend hier eine schöne Bescherung machen. Als du noch<br />
deine Runden hier gedreht hast, haben wir das doch auch immer gemacht<br />
und haben bis zum frühen Morgen hinten Karten gespielt. Dann war es nie<br />
so traurig, an solch einem Tag allein herumzusitzen, wenn alle anderen vor<br />
ihren Tannenbäume hocken und Familienessen veranstalten.«<br />
Ich verstand, was er meinte, und meine Erinnerungen an diese Heilig<br />
Abende waren n<strong>ich</strong>t die Besten. Auch <strong>ich</strong> war in meiner Verzweiflung und<br />
Einsamkeit immer hier bei Paula gelandet und m<strong>ich</strong> betrunken. Auch <strong>ich</strong><br />
war der Einsamkeit und der Verzweiflung an diesen Tagen hier in den<br />
Alkoholnebel geflüchtet, und deshalb genoss <strong>ich</strong> es jetzt, so im Kreise<br />
meiner »Familie« im Kreise von Hedwig und Wilhelm Starck sein zu<br />
dürfen. Die Geborgenheit, die sie mir gaben, war letztendl<strong>ich</strong> die Stütze<br />
gewesen, die m<strong>ich</strong> von der Trinkerei wegbringen konnte. Schon jetzt<br />
wieder durchrieselte m<strong>ich</strong> ein wohliges Gefühl.<br />
114
Kurz darauf wurde dies noch verstärkt, als Paula mit meinem Teller<br />
kam. Eine große Portion hausgemachter Kartoffelsalat, auf dem oben drauf<br />
ein frisch gebratenes Kotelett lag, von dem <strong>ich</strong> wusste, dass es schmackhaft<br />
und saftig sein würde. Die Größe dieser Koteletts, die man bei ihr hier<br />
bekam, ließen m<strong>ich</strong> immer <strong>daran</strong> zweifeln, dass sie von wirkl<strong>ich</strong>en<br />
Schweinen kamen. Für meine Begriffe konnten sie nur von Riesensauriern<br />
stammen, denn <strong>ich</strong> meinte, keine so großen Schweine zu kennen. Aber <strong>ich</strong><br />
war auch lange n<strong>ich</strong>t mehr in ländl<strong>ich</strong>er Umgebung gewesen. Und dort wo<br />
<strong>ich</strong> auf dem Lande war, gab es keine Schweine, sondern nur widerl<strong>ich</strong>e<br />
Kreaturen, die s<strong>ich</strong> Menschen nannten.<br />
Paula schien an meinem Ges<strong>ich</strong>t gesehen zu haben, dass <strong>ich</strong> an etwas<br />
Schreckl<strong>ich</strong>es dachte, und plötzl<strong>ich</strong> in den Resten meines Essens<br />
herumstocherte. Sie kam mit einem großen, beschlagenen, bis zum Rand<br />
gefüllten Schnapsglas an meinen Tisch und sagte: »Trinke, mein Lieber.<br />
Aber nur diesen einen, der soll die trüben Gedanken verjagen.«<br />
Ich trank nur einen kleinen Schluck davon und dankte Paula.<br />
Danach schmeckte mir mein Essen auch wieder und erst als mein Teller<br />
blitzblank war, kam sie mit einem neuen Bier und einem Piccolo Sekt<br />
<strong>zurück</strong> an den Tisch und setzte s<strong>ich</strong> mir gegenüber und sagte: »Und nun<br />
erzähle.«<br />
Ich erzählte eigentl<strong>ich</strong> nur die schönen Sachen, die <strong>ich</strong> in der<br />
Zwischenzeit erlebte, und von den Erfolgen meiner Arbeit und den<br />
Zeugnissen, die <strong>ich</strong> erhielt. Und dass <strong>ich</strong> mir jetzt in der Baumwollbörse<br />
mein eigenes Büro einr<strong>ich</strong>tete. Ich fragte sie, ob sie mir am 6. Januar bei<br />
meiner Einweihungsfeier helfen könne, und sie sagte nur: »<strong>Teufel</strong>, das geht<br />
leider n<strong>ich</strong>t. Erstens, wer versorgt dann meine Gäste hier, und zweitens, ist<br />
hinter deiner Bar wahrscheinl<strong>ich</strong> gar n<strong>ich</strong>t genügend Platz für m<strong>ich</strong>. <strong>Wenn</strong><br />
du willst, besorge <strong>ich</strong> dir zwei ganz liebe und auch hübsche Mädchen, die<br />
dann dort servieren können. Sie sind attraktiver und sind auch aus dem<br />
Fach. <strong>Wenn</strong> <strong>ich</strong> hier größere Feiern habe, du weißt schon Geburtstage oder<br />
so etwas, helfen sie mir. Wann willst du denn wieder <strong>zurück</strong> sein, dann<br />
kannst du sie vorher vielle<strong>ich</strong>t schon einmal kennenlernen.«<br />
»Okay, Paula, <strong>ich</strong> ruf d<strong>ich</strong> einfach an, wenn <strong>ich</strong> wieder da bin. Das wird<br />
so am 2. spätestens am 3. Januar sein. Du kannst sie ja schon fragen, ob sie<br />
überhaupt Zeit und Lust haben. Was zahlst du denen denn?«<br />
»Ich zahle Ihnen nur 10 Mark die Stunde, aber hier bekommen sie immer<br />
noch ganz gute Trinkgelder, die sie bei deiner Feier n<strong>ich</strong>t bekommen, weil<br />
sie ja n<strong>ich</strong>ts kassieren. Zahl ihnen 15 Mark und damit sind sie s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong><br />
zufrieden.<br />
115
Und wenn sie dann auch ein Gläschen Sekt mittrinken dürfen, erst<br />
recht.«<br />
Ich grinste Paula an und fragte: »Trinken die auch Champagner?«<br />
Jetzt grinste auch Paula, als sie fragte: »Willst du ein Büro einweihen<br />
oder eine neue Privatbar? Das muss <strong>ich</strong> schließl<strong>ich</strong> wissen, denn<br />
dementsprechend müssen die Beiden s<strong>ich</strong> ja anziehen.«<br />
»Du bringst m<strong>ich</strong> auf eine großartige Idee, Paula. <strong>Wenn</strong> es im Beruf des<br />
Privatdetektivs n<strong>ich</strong>ts wird, kann <strong>ich</strong> es ja immer noch als Bordellwirt<br />
versuchen.«<br />
»Und du wärst der beste Kunde, oder?«<br />
»Nein, nur Türsteher, zu mehr re<strong>ich</strong>t´s bei mir n<strong>ich</strong>t!«<br />
»Tiefstapler, <strong>ich</strong> hole mir noch eine »kleine Mögl<strong>ich</strong>keit«, möchtest du<br />
noch ein Bier?»<br />
»Ja, aber nur noch eins, denn <strong>ich</strong> bin mit dem Wagen hier.«<br />
Nach diesen Getränken und einem weiteren Plausch verabschiedete <strong>ich</strong><br />
m<strong>ich</strong> und fuhr nach Hause und packte schon meinen Koffer für meine<br />
morgige Fahrt.<br />
Meine Gedanken kreisten immer weiter um den unglückl<strong>ich</strong>en Frieder<br />
und wie er wohl in der nächsten Zeit damit fertig wurde, so arglistig in der<br />
Liebe getäuscht worden zu sein. Ich hoffte nur, dass er es als Jugendl<strong>ich</strong>er<br />
besser wegstecken konnte, als <strong>ich</strong> damals.<br />
Am nächsten Morgen war <strong>ich</strong> sehr früh wieder hoch und fuhr schon um<br />
sieben Uhr ins Büro und brannte mir die Adressdaten der Firma Stadtler<br />
von Charlottes altem Rechner. Sie sollten die Grundlage meiner<br />
Einladungen sein und nur noch durch meine eigenen Bekannten ergänzt<br />
werden. Allzu viele waren es sowieso n<strong>ich</strong>t mehr. Denn viele meiner alten<br />
Bekannten wandten s<strong>ich</strong> naturgemäß von mir ab, als <strong>ich</strong> so langsam im<br />
Sumpf versank.<br />
Und von meinen Kumpanen während der schlechten Zeit konnte <strong>ich</strong><br />
schlecht jemanden zu den Wirtschaftsbossen einladen, die meiner<br />
Einladung folgen sollten.<br />
Ich war ganz eifrig beschäftigt gewesen und bemerkte gar n<strong>ich</strong>t, dass<br />
mein Büro betreten wurde. Dabei war es noch n<strong>ich</strong>t einmal 8 Uhr morgens.<br />
Als <strong>ich</strong> hoch schaute, sah <strong>ich</strong> direkt in das Ges<strong>ich</strong>t, der Frau, mit der <strong>ich</strong><br />
m<strong>ich</strong> am Vorabend im Polizeipräsidium gefetzt hatte: Frau Anna<br />
Wagenfeld, die Leiterin des Rauschgiftdezernats.<br />
Ich muss ein sehr überraschtes Ges<strong>ich</strong>t gemacht haben und sie sagte<br />
lächelnd:<br />
116
»Guten Morgen, Herr <strong>Teufel</strong>. Seien Sie n<strong>ich</strong>t zu überrascht, aber <strong>ich</strong><br />
möchte m<strong>ich</strong> bei Ihnen bedanken. <strong>Wenn</strong> wir gestern auch n<strong>ich</strong>t unbedingt<br />
den besten Einstieg zu einer guten Zusammenarbeit bekamen. Ich möchte<br />
m<strong>ich</strong> für Ihre ehrl<strong>ich</strong>e und s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> gerechtfertigte Kritik bedanken und<br />
natürl<strong>ich</strong> für das Material, das Sie uns geliefert haben. Aber <strong>ich</strong> habe da<br />
noch ein paar Fragen.«<br />
»Guten Morgen, Frau Wagenfeld. Sie haben m<strong>ich</strong> wirkl<strong>ich</strong> überrascht.<br />
Kommen Sie, wir gehen in mein Zimmer, da können wir ein wenig<br />
bequemer miteinander reden. Möchten Sie einen Kaffee, Espresso oder<br />
lieber einen Cappuccino?«<br />
»Ein großer Espresso wäre schon schön. Der bringt m<strong>ich</strong> wieder in<br />
Gang. Darf <strong>ich</strong> hier rauchen?«<br />
»Selbstverständl<strong>ich</strong>.«<br />
Sie kramte ihre Zigaretten aus ihrer Handtasche und <strong>ich</strong> gab ihr Feuer<br />
und machte uns jeweils einen dreifachen Espresso in einer normalen<br />
Kaffeetasse und stellte alles auf ein Serviertablett zusammen mit einem<br />
Milchkännchen und einem Zuckertopf und sagte: »Ich gehe schon vor, und<br />
zeige Ihnen den Weg.«<br />
Das war zwar n<strong>ich</strong>t weit, aber so fand sie wenigstens mein Zimmer. Ich<br />
forderte sie auf, s<strong>ich</strong> zu setzen und stellte den Kaffee vor ihr ab. Sie nahm<br />
genau wie <strong>ich</strong> nur Zucker und sie sah m<strong>ich</strong> dankbar und ganz offen an, als<br />
<strong>ich</strong> ihr den Aschenbecher ebenfalls dort auf den Tisch stellte. Ich steckte<br />
mir auch eine Zigarette an und fragte Sie dann: »Was möchten Sie noch<br />
von mir wissen?«<br />
»Zunächst möchte <strong>ich</strong> vorausschicken, dass Ihre Vorwürfe n<strong>ich</strong>t<br />
unberechtigt waren. Wir haben gle<strong>ich</strong> mehrere Fehler gemacht. Wir hätten<br />
auf keinen Fall die beiden Verdächtigen unbeaufs<strong>ich</strong>tigt zusammen<br />
wegsperren dürfen und wir hätten ehemals schon die Angestellten von Dr.<br />
Schönherr in unsere Überlegungen einbeziehen müssen. Ich möchte nur<br />
von Ihnen wissen, wie Sie so schnell darauf gekommen sind?«<br />
»Es waren eigentl<strong>ich</strong> mehrere Zufälligkeiten, nachdem <strong>ich</strong> mir die<br />
Räuml<strong>ich</strong>keiten der Praxis ansah. Zwar konnten eventuelle Einbrecher<br />
durch offen stehende Fenster in die Praxis gelangen, wenn jemand<br />
vergessen hätte, die Fenster fest zu verschließen. Aber da der letzte<br />
Einbruch Ende November stattfand, war es eher unwahrscheinl<strong>ich</strong>, dass<br />
ein Fenster offen stand. Dann habe <strong>ich</strong> festgestellt, dass keine der<br />
Helferinnen einen Schlüssel für die Praxis hat und die Türen von innen<br />
verriegelt wurden und der Eingang dann nur durch den privaten Hausflur<br />
erfolgen konnte. Das war meine erste Beobachtung.<br />
117
Als <strong>ich</strong> dann die technische Ausrüstung des Juniors sah, bekam <strong>ich</strong> den<br />
Verdacht, dass sein Vater ihm dies n<strong>ich</strong>t alles bezahlt hätte, und die<br />
Mögl<strong>ich</strong>keit bestand, dass der Sohnemann s<strong>ich</strong> ein Zubrot mit Rezepten<br />
verdiente. Ich besaß zu dem Zeitpunkt keine Ahnung, wie alt der Junge<br />
überhaupt war.<br />
Als Nächstes habe <strong>ich</strong> mir eine Unterschriftsprobe von Dr. Schönherr<br />
geben lassen und habe dabei zwei Dinge festgestellt. Erstens ist die<br />
Unterschrift n<strong>ich</strong>t le<strong>ich</strong>t zu fälschen und zweitens drückt er seinen<br />
Kugelschreiber sehr stark auf, sodass auch das darunter liegende Blatt den<br />
durchgedrückten Schriftzug enthält. Ideal um s<strong>ich</strong> eine Fälschungsvorlage<br />
zu beschaffen. Anhand solcher Blätter muss man nur ein wenig Talent und<br />
noch mehr Geduld mitbringen, um diese Unterschrift hinzubekommen.<br />
Dann habe <strong>ich</strong> mir noch eine Aufstellung der meist verschriebenen<br />
Medikamente von Dr. Schönherr geben lassen und habe mit einigen<br />
Apotheken in Schwachhausen telefoniert und nachgefragt, ob dort Rezepte<br />
mit Morphinen aufgetaucht waren. Es gab nur zwei Fälle. Dann bin <strong>ich</strong> ins<br />
Viertel gefahren und habe dort die Apotheken abgeklappert und siehe da,<br />
hier gab es haufenweise diese Verordnungen.<br />
Und dort machte <strong>ich</strong> auch die eigentl<strong>ich</strong>e Entdeckung.<br />
Ich sah den Aufdruck der Adresse der Druckerei, und die unterschied<br />
s<strong>ich</strong> wesentl<strong>ich</strong> vom Aufdruck des Rezeptblocks, den <strong>ich</strong> in der Praxis sah.<br />
Danach bin <strong>ich</strong> in die Sebaldsbrücker Druckerei gefahren und habe<br />
weitere 500 Blocks bestellt. Die Inhaberin der Druckerei wunderte s<strong>ich</strong><br />
zwar, warum <strong>ich</strong> schon wieder Blocks brauchte, weil sie doch erst am 7.<br />
Dezember 1000 Blocks fertigstellte. Ich befragte die Frau, wohin sie<br />
geliefert hätte und sie erzählte mir, dass die Blocks von einer jungen Frau,<br />
und einem ganz jungen Mann abgeholt worden seien und in bar bezahlt<br />
wurden. Ich ließ mir die Frau beschreiben und war mir s<strong>ich</strong>er, dass es s<strong>ich</strong><br />
nur um Frau Frings handeln konnte. Als die Druckereibesitzerin dann<br />
meine bestellten 500 Blocks gegen Barzahlung sofort aushändigen konnte,<br />
war <strong>ich</strong> s<strong>ich</strong>er, dass ihr ebenfalls aufgegangen war, dass hier n<strong>ich</strong>t alles mit<br />
rechten Dingen zuging.<br />
Ich bin mit den Blocks im Wagen <strong>zurück</strong> in die Arztpraxis und habe<br />
Frau Frings mit den Tatsachen vertraut gemacht, die <strong>ich</strong> bisher ermittelte.<br />
Nach einigen Lügen hat sie dann alles gestanden, und <strong>ich</strong> habe es sie auf<br />
die Kassette sprechen lassen. Das ist schon alles.<br />
Danach habe <strong>ich</strong> sie dort in der Wohnung festhalten lassen und bin zu<br />
Homer in die Wohnung gefahren, um die Blocks s<strong>ich</strong>erzustellen. Dabei hat<br />
er m<strong>ich</strong> für den »Neuen« von diesem Max gehalten und mir die Blocks<br />
ausgehändigt.<br />
118
Ich habe ihn dann überwältigt, nachdem er vergebl<strong>ich</strong> versuchte m<strong>ich</strong> zu<br />
überwältigen und habe nach Rücksprache mit Herrn Dr. Schönherr den<br />
Mann ins Präsidium gebracht. Dr. Schönherr brachte die Mittäterin. Da <strong>ich</strong><br />
annahm, dass damit alles so weit in Ordnung war, bin <strong>ich</strong> ins Krankenhaus<br />
um noch einige Fragen an ein Opfer eines Überfalls, der am Tag zuvor<br />
passiert war, zu stellen. Die Frau ist meine Sekretärin. Dort erre<strong>ich</strong>te<br />
Waldtmann m<strong>ich</strong> dann auch.«<br />
»Aber Sie haben bei der Übergabe ihrer Täter keinem der Beamten ein<br />
Wort von diesem »Max und seinem Neuen« gesagt.«<br />
»Nein, bis zu diesem Zeitpunkt hielt <strong>ich</strong> diese Information n<strong>ich</strong>t für<br />
w<strong>ich</strong>tig. Warum fragen Sie?«<br />
»Mit »Max« kann nur der uns schon seit längerer Zeit als mögl<strong>ich</strong>er<br />
Heroin und Kokaindealer verdächtigte Max Svetlov gemeint sein. Er und<br />
ein uns bisher unbekannter Mann wurden heute Nacht in der Villa von<br />
Svetlov ermordet.«<br />
»Und nun haben Sie m<strong>ich</strong> in Verdacht, dass <strong>ich</strong> das gewesen sein<br />
könnte?«<br />
»Nein, dann wäre Waldtmann längst hier.<br />
Wir haben vielmehr den Verdacht, dass jemand anderes, der Boss dieses<br />
Svetlov, aus unserem Haus gewarnt worden ist, dass wir uns eingehend<br />
mit Svetlov befassen wollten. Der Boss hat darum diesen Mordbefehl<br />
erteilt. Die Ausführung deutet darauf hin, dass es mehrere Männer waren,<br />
die Svetlov und diesen Unbekannte mit einer Garotte töteten.«<br />
»Sie meinen diese Drahtschlingen mit Griffen an den Enden?«<br />
»Genau diese Dinger.«<br />
»Und wann ist das geschehen? Und wie wurde es entdeckt?«<br />
»Es muss kurz vor Mitternacht gewesen sein, denn es lief eine Party bei<br />
Svetlov. Einer der Partygäste, der s<strong>ich</strong> mit einer der »Damen« dort in<br />
Svetlovs Büro <strong>zurück</strong>ziehen wollte, fand die Beiden dort in ihrem eigenen<br />
Blute liegend.«<br />
Sie betonte das Wort »Damen« so, dass kein Zweifel <strong>daran</strong> bestand,<br />
welchem Gewerbe diese Dame nachging.<br />
»Die Tat muss unmittelbar vor der Entdeckung passiert sein, denn den<br />
Toten floss noch Blut aus ihren Körpern und sie waren noch warm. Das<br />
heißt, sie besaßen sogar noch normale Körpertemperatur. Es ist<br />
auszuschließen, dass es jemand von den Partygästen gewesen ist, denn<br />
keiner hatte nur den geringsten Blutspritzer auf seiner Kleidung.<br />
Außerdem sind uns die Partygäste alle bekannt. Keiner von ihnen kommt<br />
für solche Morde in Frage.<br />
119
Die Gäste sind alles ältere und wohlhabende Herren aus der hiesigen<br />
Geschäftswelt. Sie haben alle nur den Hang dazu s<strong>ich</strong> mit solch<br />
halbseidenen Typen wie Svetlov und seinen Mädchen zu umgeben. Dass es<br />
auf diesen Partys auch re<strong>ich</strong>l<strong>ich</strong> Koks gibt, war uns schon länger bekannt.«<br />
»Das heißt aber auch mit anderen Worten, dass die Mörder n<strong>ich</strong>t von<br />
sehr weit herkommen konnten, denn meine Bemerkung machte <strong>ich</strong> erst<br />
gegen 21 Uhr. <strong>Wenn</strong> da jemand gewarnt worden ist, dann kann das erst<br />
nach diesem Zeitpunkt gewesen sein, und die Mörder musste erst einen<br />
Einsatzbefehl bekommen haben. Sie müssen hier in Bremen sitzen oder in<br />
allernächster Umgebung.«<br />
»Herr <strong>Teufel</strong>, die Mörder sind Sache von Waldtmann, m<strong>ich</strong> interessiert,<br />
wer wen gewarnt hat. Denn <strong>ich</strong> gehe davon aus, dass Sie später mit<br />
niemand sonst darüber gesprochen haben.«<br />
»Nein, <strong>ich</strong> habe nur noch das Protokoll unterschrieben und bin dann in<br />
eine Kneipe im Viertel gefahren, wo es die besten und größten Koteletts<br />
dieser Stadt gibt, weil <strong>ich</strong> Riesenhunger verspürte. Um Mitternacht war <strong>ich</strong><br />
schon zu Hause. Aber es sollte doch eigentl<strong>ich</strong> ganz einfach zu ermitteln<br />
sein, wer dieser Verräter ist, denn Sie müssten doch wissen, wer mit Ihnen<br />
zusammen dort versammelt war.«<br />
»Das ist es ja gerade, Herr <strong>Teufel</strong>. Alles sind ganz alte Mitarbeiter von<br />
mir, denen <strong>ich</strong> hundertprozentig vertraue. Und sonst nur der<br />
Oberstaatsanwalt, den <strong>ich</strong> aber auch für unbedenkl<strong>ich</strong> halte.«<br />
»Aber es kann doch nur jemand aus dieser Runde gewesen sein, und<br />
lassen Sie ruhig den Herrn vorm <strong>Teufel</strong> weg. Man nennt m<strong>ich</strong> immer nur<br />
<strong>Teufel</strong>!«<br />
Sie lächelte ein wenig, als sie sagte: »Das hat man mir schon ber<strong>ich</strong>tet.<br />
Und Sie scheinen auch ein r<strong>ich</strong>tiger zu sein. Meinen Sie, dass Sie m<strong>ich</strong><br />
unterstützen könnten, das Leck zu finden?«<br />
Ich bot ihr eine Zigarette an und gab uns beiden Feuer, bevor <strong>ich</strong><br />
langsam sagte: »Ich werde es versuchen, aber <strong>ich</strong> wüsste im Moment<br />
absolut n<strong>ich</strong>t wie. Ich werde nachher auf meiner Fahrt einmal darüber<br />
nachdenken. Das verspreche <strong>ich</strong> Ihnen. Ich müsste dann nur noch eine<br />
Telefonnummer von Ihnen haben, auf der <strong>ich</strong> Sie auch privat erre<strong>ich</strong>en<br />
kann. Und wenn <strong>ich</strong> sie im Präsidium anrufe, nennen Sie m<strong>ich</strong> bitte n<strong>ich</strong>t<br />
beim Namen, denn es sollte wirkl<strong>ich</strong> keiner, und damit meine <strong>ich</strong> auch,<br />
wirkl<strong>ich</strong> keiner mitbekommen, dass wir Kontakt zueinander unterhalten.«<br />
»Aber wie soll <strong>ich</strong> Sie dann nennen?«<br />
»Am besten sagen Sie nur, wenn wir telefonieren, mein Engel, oder nur<br />
Engel, dann wird wohl keiner auf die Idee kommen, dass Sie mit dem<br />
<strong>Teufel</strong> telefonieren.«<br />
120
Sie k<strong>ich</strong>erte plötzl<strong>ich</strong> wie ein Schulmädchen, und das gefiel mir gut.<br />
Dann schüttelte sie den Kopf und sagte: »Das ist es, was Trost mir aus<br />
Wiesbaden gesagt hat, Sie sind wirkl<strong>ich</strong> ein fintenre<strong>ich</strong>er <strong>Teufel</strong>. Auf einen<br />
so einfachen Trick kommt s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> keiner. Aber dann sollten wir uns<br />
wirkl<strong>ich</strong> duzen. Ich bin Anna.«<br />
Jetzt grinste <strong>ich</strong> sie auch an und meinte: »Und <strong>ich</strong> ab sofort dein Engel.«<br />
Sie k<strong>ich</strong>erte nochmals, dann re<strong>ich</strong>te Sie mir ihre Hand und sagte: »Bis<br />
bald. Ich glaube <strong>ich</strong> sollte auch einmal eine Stunde schlafen.«<br />
Sie drückte mir noch eine private Visitenkarte in die Hand und <strong>ich</strong><br />
machte mir eine Liste der gestern dort anwesenden Beamten.<br />
In meinem Kopf schwirrte es, aber <strong>ich</strong> bekam keine Idee, wie <strong>ich</strong> das<br />
Problem wohl lösen konnte.<br />
Ich vollendete meine Arbeit an Charlottes Computer und steckte alle<br />
Dinge in meine Aktenmappe und verschloss sorgfältig das Büro. Es waren<br />
keine unüberwindl<strong>ich</strong>en Schlösser, die hier eingebaut waren, aber <strong>ich</strong><br />
machte mir im Moment noch keine Gedanken darüber, wie <strong>ich</strong> es später<br />
gegen Einbruch besser s<strong>ich</strong>ern wollte, denn noch gab es keine Geheimnisse,<br />
die <strong>ich</strong> schützen musste.<br />
Bisher hätte man nur ein paar edle Getränke und eine Kaffeemaschine<br />
stehlen können, die mir nach so kurzem Gebrauch ans Herz gewachsen<br />
war.<br />
Ich machte m<strong>ich</strong> auf den Weg zum Krankenhaus, um Charlotte Lebwohl<br />
und gute Besserung zu sagen. Ich bedauerte, dass <strong>ich</strong> im dritten Jahr<br />
nacheinander n<strong>ich</strong>t meine dritte Freundin in die Obhut Hedwigs geben<br />
konnte, und ihr die Freuden eines besinnl<strong>ich</strong>en Festes schenken konnte.<br />
Und Charlotte war mir in dieser kurzen Zeit schon so ans Herz gewachsen,<br />
dass <strong>ich</strong> sie gerne Hedwig präsentiert hätte, wie ein Sohn stolz der Mutter<br />
seine neue Liebe. Und <strong>ich</strong> war Charlotte dankbar, dass sie m<strong>ich</strong> geradezu<br />
drängte, dieses Weihnachtsfest im Kreise der Menschen zu begehen, die<br />
mir schon länger so nahe standen.<br />
Nach einer zärtl<strong>ich</strong>en Begrüßung erzählte <strong>ich</strong> Charlotte, wie sehr m<strong>ich</strong><br />
Anna Wagenfeld überraschte, als sie heute Morgen in meinem Büro<br />
erschien und s<strong>ich</strong> entschuldigte. Sie war n<strong>ich</strong>t verwundert, als <strong>ich</strong> ihr sagte,<br />
dass wir demnächst eine Verbündete im Präsidium haben würden. Sie<br />
fragte nur: »Sieht sie gut aus und muss <strong>ich</strong> Konkurrenz befürchten?«<br />
»<strong>Wenn</strong>, du du bleibst, wirst du nie Konkurrenz zu befürchten haben,<br />
mein Herz«, vers<strong>ich</strong>erte <strong>ich</strong> ihr.<br />
»Dann fahr zu Hedwig und Wiesel, und wir holen so schnell wie<br />
mögl<strong>ich</strong> nach, dass <strong>ich</strong> sie kennenlerne.<br />
121
Wie du m<strong>ich</strong> erre<strong>ich</strong>en kannst, weißt du, und <strong>ich</strong> weiß, wie <strong>ich</strong> d<strong>ich</strong><br />
erre<strong>ich</strong>en kann, wenn <strong>ich</strong> Sehnsucht nach dir habe. Fahr los, <strong>Teufel</strong>.«<br />
Es war gegen 11 Uhr, als <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> auf die Autobahn klemmte, um nach<br />
Bad Homburg zu kommen. Ich wählte die Strecke über Dortmund und die<br />
A45 und fuhr in gemäßigtem Tempo. Es war schönes, sonniges<br />
Winterwetter und n<strong>ich</strong>t zu kalt. Erst bei Lüdenscheid erwischte m<strong>ich</strong> ein<br />
plötzl<strong>ich</strong> aufziehendes Schneegewitter. Ich tanke hier und wartete einen<br />
kleinen Augenblick in der Raststätte und kaufte mir ein n<strong>ich</strong>t zu üppiges<br />
Mittagessen.<br />
Als <strong>ich</strong> weiterfuhr, verzog s<strong>ich</strong> der Schnee und <strong>ich</strong> kam weiterhin zügig<br />
voran. Ab Giessen-Lützellinden fuhr <strong>ich</strong> über Bundesstraßen weiter. Ich<br />
ließ mir Zeit und kam erst gegen 18 Uhr an. Die herzl<strong>ich</strong>e Begrüßung<br />
entschädigte m<strong>ich</strong> für die vergangenen stressigen Tage. Ich rief, nachdem<br />
<strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> umgezogen hatte, Anna Wagenfeld an, und hörte an den<br />
Hintergrundgeräuschen, dass sie s<strong>ich</strong> in einer Gaststätte befinden musste.<br />
Nachdem <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> mit »hier ist dein Engel« meldete, flötete sie mir nur<br />
ins Ohr:<br />
»Hallo, geliebtes Engelchen, <strong>ich</strong> muss dir leider absagen. Ich bin immer<br />
noch in der Villa dieses Scheißers, der mit Rauschgift handelte, und s<strong>ich</strong><br />
jetzt die Radieschen von unten ansieht. Obwohl unsere Leute hier waren,<br />
hat man eingebrochen und sämtl<strong>ich</strong>e Unterlagen von dem Kerl entfernt.<br />
Weder geschäftl<strong>ich</strong>e Unterlagen noch private Aufze<strong>ich</strong>nungen sind hier<br />
vorhanden. Man hat sogar alle Computer geklaut, und das obwohl meine<br />
Leute das Objekt im Augen hielten. Ich kann wirkl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t kommen, mein<br />
Engel, so schade, wie es ist.«<br />
»Was ist los?«<br />
»Nein, mein Engel, bitte verstehe m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t falsch. Komme n<strong>ich</strong>t zu mir.<br />
Du kannst m<strong>ich</strong> wirkl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t trösten. Ich weiß noch n<strong>ich</strong>t einmal, ob <strong>ich</strong><br />
heute Nacht überhaupt nach Hause komme. Ja, mein Schatz, du bist ein<br />
wirkl<strong>ich</strong>er Engel, wenn du meine Wohnung schon ein wenig sauber<br />
machen willst.<br />
Ja, aber vergiss n<strong>ich</strong>t auch den Papierkorb im Schlafzimmer zu leeren.<br />
Du wirfst dort immer so merkwürdige Sachen hinein, die da eigentl<strong>ich</strong><br />
n<strong>ich</strong>t hineingehören.«<br />
Und sie lachte schreckl<strong>ich</strong> lüstern, aber auch gekünstelt.<br />
»Machst du das? Das ist schreckl<strong>ich</strong> lieb, denn es wäre mir doch ein<br />
wenig peinl<strong>ich</strong>, wenn unser Besuch das so vorfinden würde. Okay, mein<br />
Engel <strong>ich</strong> verlass m<strong>ich</strong> auf d<strong>ich</strong>.«<br />
Damit war mein Gespräch beendet und meine Antennen standen ganz<br />
steil nach oben und <strong>ich</strong> rannte hinunter zu Wiesel und sagte:<br />
122
»Da ist eine Frau in ganz schreckl<strong>ich</strong>er Gefahr. Wie komme <strong>ich</strong> in<br />
kürzester Zeit nach Bremen. Anna Wagenfeld braucht m<strong>ich</strong>.«<br />
Ich verstand Anna so, dass die Unterlagen, die Sie in ihren Papierkorb in<br />
ihrem Schlafzimmer schon weggeworfen hatte, von ungeheuer w<strong>ich</strong>tiger<br />
Bedeutung waren. Ich sollte sauber machen – also die Dinge in S<strong>ich</strong>erheit<br />
bringen, bevor sie in falsche Hände fielen. Jetzt ging mir erst auf, dass sie<br />
sagte, dass sie wahrscheinl<strong>ich</strong> in dieser Nacht n<strong>ich</strong>t <strong>zurück</strong>kehren würde.<br />
Das konnte auch bedeuten, dass sie von ihren Gegnern gefangen gehalten<br />
wurde.<br />
Und plötzl<strong>ich</strong> brannten bei mir alle Warnlampen. Das Kribbeln auf der<br />
Kopfhaut und das Aufstellen meiner Nackenhaare waren Ze<strong>ich</strong>en, die <strong>ich</strong><br />
n<strong>ich</strong>t übersehen durfte.<br />
123
16<br />
Anna<br />
Wiesel ahnte sofort, dass <strong>ich</strong> wieder einmal solche Ahnungen bekam,<br />
und handelte sofort. Er telefonierte mit einem Mann namens Meyer, von<br />
dem <strong>ich</strong> noch nie etwas hörte, und sagte, dass wir die Maschine brauchten.<br />
Bremen-Flughafen hörte <strong>ich</strong> ihn dann noch sagen. Danach scheuchte er<br />
m<strong>ich</strong> und befahl: »Dunkle Hose, dunkler Pullover und deine schwarze<br />
Lederjacke. Ich mache m<strong>ich</strong> auch fertig.«<br />
Ich ging nach oben und zog m<strong>ich</strong> um. Wiesel erschien genau eine<br />
Minute nach mir, ebenfalls so gekleidet und re<strong>ich</strong>te mir eine Pistole und ein<br />
Schulterholster. »Wir werden s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> keine Zeit haben, erst noch bei dir<br />
vorbei zu fahren, um d<strong>ich</strong> auszurüsten. Nimm diese.«<br />
Es war das gle<strong>ich</strong>e Modell, wie er mir eins letzten Weihnachten<br />
schenkte. Er musste aber nochmals telefoniert haben, denn ein Fahrer des<br />
Fahrdienstes hielt mit quietschenden Reifen vor dem Haus und wir liefen<br />
zum Wagen. Der Fahrer brauchte keine weitere Anweisung, denn er fuhr<br />
sofort los und wir rasten über die Autobahn und waren etwa eine halbe<br />
Stunde später in Egelsbach vor einem Hangar.<br />
Wenig später waren wir in einem zweimotorigen Flugzeug in der Luft<br />
und <strong>ich</strong> beruhigte m<strong>ich</strong> wieder ein wenig. Und <strong>ich</strong> dachte laut darüber<br />
nach, was Anna wohl wirkl<strong>ich</strong> meinte. S<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> waren die Unterlagen, die<br />
sie in ihren Papierkorb warf die w<strong>ich</strong>tigen Unterlagen, die m<strong>ich</strong><br />
weiterbringen sollte. Sie sagte aber auch, dass Sie in der Villa von Svetlov<br />
sei, wo man scheinbar trotz Polizeibewachung alle Unterlagen stehlen<br />
konnte. Das sah mir aber nach massiver Hilfe aus dem Präsidium aus,<br />
denn wieso konnte das passieren, obwohl Beamte vor Ort gewesen sein<br />
mussten. Am meisten beunruhigte m<strong>ich</strong> allerdings der Satz, dass sie<br />
eventuell n<strong>ich</strong>t nach Hause kommen könnte. Und so wie sie es gesprochen<br />
hatte, sah es so aus, als wenn sie n<strong>ich</strong>t ohne Bewachung dort war, denn<br />
ansonsten hätte sie Klartext geredet. Aber wieso besaß sie überhaupt noch<br />
ihr Telefon? <strong>Wenn</strong> man sie gefangen nahm, hätte man ihr doch s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong><br />
das Telefon abgenommen.<br />
Wiesel meinte dazu nur kurz: »Spekulationen nützen jetzt gar n<strong>ich</strong>ts.<br />
Wir müssen schnellstens in die Wohnung von Frau Wagenfeld und können<br />
dann nur hoffen, dass uns die Notizen, die im Papierkorb liegen,<br />
weiterhelfen. Und außerdem sollten wir schon herausfinden, wo denn<br />
diese Villa von dem Svetlov ist, damit wir dann dort ebenfalls<br />
vorbeischauen.<br />
124
Notfalls müssen wir dann nochmals das Handy von Frau Wagenfeld<br />
anrufen.«<br />
Am Flughafen in Bremen nahmen wir ein Taxi und <strong>ich</strong> sagte dem<br />
Fahrer, wo wir hinwollten und dass wir es sehr eilig hätten. In der Nähe<br />
des Hauptgesundheitsamtes ließ <strong>ich</strong> den Fahrer halten und wir stiegen<br />
eilig aus, und für den Fahrer sah es so aus, als wenn wir ins Amt wollten.<br />
Er schüttelte nur den Kopf, denn jetzt um 22 Uhr abends würden wir<br />
niemand dort noch erre<strong>ich</strong>en können. Er fuhr weiter und als er aus<br />
unserem Blickfeld verschwunden war, ging <strong>ich</strong> hinüber auf die andere<br />
Straßenseite und begutachtete das Altbremer Haus. Nirgends brannte<br />
L<strong>ich</strong>t, aber das hielt <strong>ich</strong> für normal, denn Anna Wagenfeld sollte ja auch<br />
n<strong>ich</strong>t zu Haus sein. Ich schritt die fünf Stufen des Aufganges hinauf und<br />
prüfte die Haustür. Sie war verschlossen. Wiesel kam dazu und er hielt<br />
sein »Besteck« schon in der Hand. Das Türschloss erwies s<strong>ich</strong> als zäher, als<br />
wir dachten und <strong>ich</strong> s<strong>ich</strong>erte nach allen Seiten, denn <strong>ich</strong> wollte n<strong>ich</strong>t als<br />
Einbrecher bei einer Kriminalbeamtin entlarvt werden.<br />
Nachdem Wiesel es schaffte, verschwanden wir beide in dem kleinen<br />
Hausflur und mussten die nächste Tür knacken, die aber nur ein ganz<br />
einfaches Schloss besaß. Das war kein Problem und wir standen in einem<br />
schmalen Flur. Gle<strong>ich</strong> rechts befand s<strong>ich</strong> eine Tür, die in ein Treppenhaus<br />
nach oben führte. Ich zupfte Wiesel am Ärmel und deutete an, dass wir<br />
nach oben wollten, denn in den meisten Häusern dieser Bauart lagen die<br />
Schlafzimmer im ersten Stock, oder sogar noch höher. Die Treppe knarrte<br />
und <strong>ich</strong> verhielt lauschend. Aber sonst war kein Laut zu vernehmen. Hier<br />
oben gab es drei Türen, die von einem kleinen Flur abgingen. Ich wählte<br />
die Tür, die zum hinteren Teil des Hauses lag. Und nach einem ganz<br />
kurzen Aufblitzen meiner Taschenlampe stellte <strong>ich</strong> fest, dass es das<br />
Schlafzimmer war. Es war mit einer Schiebetür, die geschlossen war, zum<br />
vorderen Raum abgegrenzt. Ich betätigte den L<strong>ich</strong>tschalter und starrte auf<br />
ein gemachtes großes französisches Bett. Ich sah m<strong>ich</strong> kurz um, aber fand<br />
n<strong>ich</strong>ts, was wie ein Papierkorb aussah, oder als solcher benutzt werden<br />
konnte. Wir mussten doch die Schiebetür öffnen. Wiesel baute s<strong>ich</strong> schon<br />
davor auf und <strong>ich</strong> löschte das L<strong>ich</strong>t im Raum wieder, damit der L<strong>ich</strong>tschein<br />
n<strong>ich</strong>t zur Straßenseite fallen würde. Hinter der Schiebetür befand s<strong>ich</strong> ein<br />
behagl<strong>ich</strong> einger<strong>ich</strong>teter Wohn-Arbeitsraum. Ich sah sofort, dass wir<br />
beruhigt L<strong>ich</strong>t machen konnten, denn die Jalousie vor dem Fenster war<br />
heruntergezogen.<br />
Hier fand <strong>ich</strong> auch sofort den Papierkorb und machte m<strong>ich</strong> darüber her.<br />
Der meiste Inhalt stammte von geleerten Zigarettenschachteln und enthielt<br />
weiterhin einige zerrissene Seiten, die mit Zahlencodes bedeckt waren.<br />
125
Ich verstand zunächst n<strong>ich</strong>t, was es damit auf s<strong>ich</strong> haben könnte, aber als<br />
<strong>ich</strong> die Zettel mehr zusammensetzte, sagte Wiesel: »Das sind die<br />
Telefonnummern, die von Einzelapparaten geführt worden sind. Und dies<br />
hier sind die Zeiten und die Dauer der Gespräche.«<br />
»Dann hat Anna diese Informationen aus der Telefonzentrale des<br />
Präsidiums. Sie hat sofort die Gespräche ihrer Mitarbeiter überprüft. Nur<br />
sagen mir die Nummern die angerufen wurden überhaupt n<strong>ich</strong>ts. Aber sie<br />
muss über die Nummern über etwas gefallen sein, was sie dazu veranlasst<br />
hat, nochmals in die Villa von Svetlov zu fahren. Warte«, sagte <strong>ich</strong>, als<br />
Wiesel das Zimmer schon wieder verlassen wollte, »ihr Computer ist noch<br />
an. Lass uns nachschauen, woran sie zuletzt gearbeitet hat.«<br />
Ich ruckelte an der Maus und der Bildschirm erhellte s<strong>ich</strong> langsam und<br />
<strong>ich</strong> konnte sehen, was sie dort anstellte. Sie hatte in einem Programm, die<br />
Rufnummernrückverfolgung vorgenommen und die letzte Nummer, die<br />
sie überprüfte, war eine Bremer Rufnummer, aber das Programm konnte<br />
sie n<strong>ich</strong>t identifizieren können.<br />
»Schaue bitte, auf welchem Blatt diese Nummer steht, Wiesel.«<br />
»Es ist die letzte Nummer auf dem obersten Blatt. Ich glaube hier oben<br />
ist die Nummer des Durchwahlapparates angegeben.«<br />
»Wir wissen nur n<strong>ich</strong>t, wem sie zuzuordnen ist.«<br />
»Das können wir aber sofort feststellen«, meinte Wiesel und griff zu<br />
Annas Telefon und fing an zu wählen. Ich konnte hören, dass es klingelte,<br />
aber es ging keiner an den Apparat. Nach dem zehnten Läuten meldete<br />
s<strong>ich</strong> eine weibl<strong>ich</strong>e Stimme mit: »Polizeipräsidium Bremen, Guten Tag.«<br />
»Habe <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> verwählt? Ich wollte Frau Wagenfeld sprechen. Wessen<br />
Nummer habe <strong>ich</strong> denn da erwischt?«<br />
»Sie haben die Nummer von Oberstaatsanwalt Bauer gewählt, aber sie<br />
werden bei beiden kein Glück haben. Sie sind dienstl<strong>ich</strong> unterwegs. Schon<br />
seit heute Mittag.«<br />
»Wissen Sie zufällig auch noch den Einsatzort«, wollte Wiesel wissen.<br />
»Mit wem spreche <strong>ich</strong> denn?«<br />
»Starck ist mein Name und <strong>ich</strong> rufe aus der Wohnung von Frau<br />
Wagenfeld an, und sollte ihr etwas durchgeben.«<br />
»Sie sind noch mal in den Gustav-Brandes-Weg gefahren rufen Sie Frau<br />
Wagenfeld doch einfach über ihr Handy an. Soll <strong>ich</strong> Ihnen die Nummer<br />
geben?«<br />
»N<strong>ich</strong>t nötig, die habe <strong>ich</strong>«, und damit legte Wiesel einfach wieder auf.<br />
»Das dürfte die Villa von Svetlov sein. Das ist im feinsten Viertel von<br />
Oberneuland.«<br />
»Dann n<strong>ich</strong>ts wie dahin.«<br />
126
Ich schaltete Annas Computer noch aus und wir sahen vors<strong>ich</strong>tshalber<br />
auch noch im Hochparterre in die Wohnzimmer, aber hier war alles<br />
verlassen.<br />
Jetzt hatten wir es eilig und rannten fast die Humboldtstraße in R<strong>ich</strong>tung<br />
Krankenhaus hinunter, weil <strong>ich</strong> wusste, dass dort ein Taxistand war. Als<br />
der Fahrer uns sah, wusste er schon, dass wir es eilig hatten. Es war der<br />
gle<strong>ich</strong>e Fahrer, der uns vom Flughafen in die Horner Straße brachte.<br />
Er meinte nur: »War wohl keiner mehr da, oder?«<br />
»Nein, darum müssen wir ja so eilig nach Oberneuland. In den Gustav-<br />
Brandes-Weg.«<br />
»Wohnt da einer von den Oberbonzen des Amtes?«<br />
»Wahrscheinl<strong>ich</strong>.«<br />
Jetzt fing aber das eigentl<strong>ich</strong>e Desaster an. Wir wussten natürl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t,<br />
welche Hausnummer das war.<br />
Ich fragte den Fahrer: »Sie können doch s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> in Ihrer Zentrale<br />
nachfragen, wo gestern Nacht, dieser Trubel um den Doppelmord war. Da<br />
wollen wir näml<strong>ich</strong> hin.«<br />
»Da brauche <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t nachzufragen, da war <strong>ich</strong> gestern selbst. War<br />
gerade in der Nähe, als der Notruf kam. Da bin <strong>ich</strong> dann mal hin und habe<br />
gesehen, wie die Polizei dann alles abgesperrt hat. Die Villa kenne <strong>ich</strong><br />
bestimmt wieder. Da war alles hell erleuchtet.«<br />
»Das ist ja noch besser.«<br />
»Sind Sie von der Presse? Und was hat da ein Oberbonze vom<br />
Gesundheitsamt damit zu tun?«<br />
»Nein, wir sind n<strong>ich</strong>t von der Presse. Wir suchen eine weitere<br />
verschwundene Person und es könnte sein, dass sie dorthin gebracht<br />
worden ist. Daher wird es w<strong>ich</strong>tig sein, dass Sie später in der Nähe der<br />
Villa auf uns warten, weil wir mögl<strong>ich</strong>erweise Ihren Funk nutzen müssen.<br />
Und Sie können gewiss sein, dass kein Oberbonze des Gesundheitsamtes<br />
da mitmischt. Wir waren n<strong>ich</strong>t beim Gesundheitsamt, sondern gegenüber.<br />
Und genau die Person, die wir dort besuchen wollten, ist jetzt<br />
verschwunden.«<br />
»Da ist ja r<strong>ich</strong>tig spannend. Soll <strong>ich</strong> schon einmal Verstärkung<br />
anfordern?«<br />
»Seien Sie n<strong>ich</strong>t idiotisch. <strong>Wenn</strong> wir Anze<strong>ich</strong>en dafür finden, dass dort<br />
in der Villa etwas n<strong>ich</strong>t in Ordnung ist, dürfen Sie die Polizei rufen, aber<br />
n<strong>ich</strong>t ihre Kollegen.«<br />
»Aber wir sind auch schon ganz schön effektiv. Wie letztes Jahr bei dem<br />
Taximörder. Den haben wir gestellt.«<br />
127
»Und fast umgebracht«, ergänzte Wiesel, »so geht das aber n<strong>ich</strong>t.<br />
Selbstjustiz ist immer eine schlechte Justiz.«<br />
Jetzt empörte s<strong>ich</strong> der Fahrer s<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong>, denn er schrie fast: »Und was hat<br />
der Bursche bekommen, der meinen Kollegen umgebracht hat. Sieben<br />
Jahre, weil er s<strong>ich</strong> damit rausreden konnte, dass mein Kollege ihn<br />
angegriffen hätte, weil er kein Geld besaß. Außerdem sei er so betrunken<br />
gewesen, dass er es n<strong>ich</strong>t gerafft hätte, was er mit seinem Messer machte.<br />
Sieben lumpige Jahre für einen Mord. Den hätte man auch mit dem Messer<br />
abstechen sollen, genau, wie er es mit meinem Kollegen gemacht hat.«<br />
»Achten Sie lieber auf den Verkehr und diskutieren Sie n<strong>ich</strong>t mit uns<br />
über die Todesstrafe. Sonst sind wir noch tot, weil Sie s<strong>ich</strong> zu sehr erregt<br />
haben.«<br />
Er fuhr schnell und konzentriert jetzt und überschritt das Tempolimit<br />
auf der Franz-Schütte-Allee ständig. Er musste nur etwas langsamer<br />
werden, als wir auf die Rockwinkler Landstraße und dann auf die<br />
Rockwinkler Heerstraße abbogen. Auf der schmalen Oberneulander<br />
Landstraße fuhr er dann wieder schneller. Wir brauchten gerade einmal<br />
zwanzig Minuten Fahrzeit, und das war eine wirkl<strong>ich</strong> gute Leistung.<br />
Wiesel drückte dem Mann zweihundert Mark in die Hand und sagte: »Und<br />
jetzt warten Sie.«<br />
Der Mann zeigte uns das Haus, das jetzt ganz im Dunklen lag. Das<br />
Polizeisiegel an der Vordertür war intakt, wie wir sofort feststellten. Ich<br />
ging um das Haus und fand den rückwärtigen Eingang, der<br />
merkwürdigerweise n<strong>ich</strong>t versiegelt war. Die Tür war verschlossen. Ich<br />
umrundete das Haus einmal, aber nirgends gab es Einstiegsmögl<strong>ich</strong>keiten.<br />
Wir konnten nur versuchen, durch die Hintertür ins Haus zu kommen.<br />
Wiesel nahm wieder sein Besteck hervor und knackte die Hintertür<br />
innerhalb weniger Sekunden. Wir zogen beide unsere Pistolen, als wir uns<br />
gegenseitig s<strong>ich</strong>ernd, in das Haus vordrangen. Als <strong>ich</strong> den<br />
Kellerniedergang entdeckte, machte <strong>ich</strong> Wiesel ein Ze<strong>ich</strong>en, dass <strong>ich</strong><br />
zunächst nach unten wollte. Hier ließen wir die Taschenlampen<br />
aufleuchten aber in sämtl<strong>ich</strong>en Räumen fanden wir keine Hinweise auf<br />
Bewohner.<br />
Wir gingen wieder nach oben und durchsuchten auch diese Räume. Wir<br />
machten jetzt überall L<strong>ich</strong>t an und unsere Untersuchungen waren schnell.<br />
Im Arbeitszimmer fanden wir die Tatorte immer noch abgesperrt und <strong>ich</strong><br />
sah mit einem Blick, was Anna gemeint hatte. In den Regalen, in denen<br />
einstmals Akten standen, wie man eindeutig an den Staubspuren erkennen<br />
konnte, war alles ausgeräumt.<br />
128
Von einem Computer gab es keine Spur, außer ein paar Strippen, die<br />
jetzt lose auf dem Tepp<strong>ich</strong> hinter dem Schreibtisch lagen. Im ganzen<br />
Untergeschoss war n<strong>ich</strong>ts zu finden. Selbst im Obergeschoss in den<br />
Schlafräumen konnte <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>ts entdecken, was auf die frühere<br />
Anwesenheit von Anna hätte deuten können. Ich untersuchte in fliegender<br />
Hast auch die Kleiderschränke, die alle sämtl<strong>ich</strong> gut gefüllt waren. In<br />
einem Kinderzimmer sah man ebenfalls Spuren, dass man hier auch<br />
suchte, aber hier stand der Computer, ein Laptop noch auf dem Tisch. Er<br />
hing an einer Modemleitung und <strong>ich</strong> stellte mit einem Blick fest, dass es<br />
s<strong>ich</strong> um eine DSL-Leitung handelte. Also Hochgeschwindigkeits-Internet.<br />
Das Kind, das hier wohnte, schien schon etwas älter zu sein, aber dazu<br />
passte die Einr<strong>ich</strong>tung überhaupt n<strong>ich</strong>t. Es war das Zimmer eines kleineren<br />
Kindes. Die Poster an der Wand und auch die Sachen, die sonst<br />
herumstanden, waren Sachen eines Kindes von unter zehn Jahren.<br />
Jetzt wurde <strong>ich</strong> plötzl<strong>ich</strong> hellwach und <strong>ich</strong> rief Wiesel, der schon die<br />
weiteren Räume untersuchte.<br />
Er besah s<strong>ich</strong> das Ganze und meinte dann: »Da stimmt wirkl<strong>ich</strong> etwas<br />
n<strong>ich</strong>t. Nimm das Ding einfach mit. In den anderen Räumen war auch<br />
n<strong>ich</strong>ts von Anna zu entdecken und von dem Oberstaatsanwalt ebenfalls<br />
n<strong>ich</strong>t. Vielle<strong>ich</strong>t sollte <strong>ich</strong> gle<strong>ich</strong> noch einmal im Präsidium anrufen, um zu<br />
erfahren, ob beide inzwischen <strong>zurück</strong>ge<strong>kehrt</strong> sind.«<br />
Wir verlöschten wieder die L<strong>ich</strong>ter und gingen wieder ins Erdgeschoss<br />
und drehten auch hier sämtl<strong>ich</strong>e L<strong>ich</strong>ter wieder aus und verließen das<br />
Haus auf dem Wege, auf dem wir gekommen waren. Die Hintertür<br />
schlossen wir zwar, aber schlossen n<strong>ich</strong>t wieder ab. Wir würden immer<br />
behaupten, dass wir die Tür in diesem Zustand vorgefunden hätten.<br />
Wiesel wählte die Nummer des Präsidiums und <strong>ich</strong> quälte m<strong>ich</strong> ab die<br />
Nummer von Anna in mein kleines Handy einzugeben und dabei auch<br />
noch das Notebook unter meinem Arm festgeklemmt zu halten. Als es mir<br />
zu bunt wurde, weil <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> dauernd vertippte, klemmte <strong>ich</strong> es mir<br />
zwischen die Beine.<br />
Wiesel sprach schon und <strong>ich</strong> hörte nur, als er sagte: »Gut, dann muss <strong>ich</strong><br />
es wohl noch mal zu Hause versuchen. Danke Ihnen.«<br />
Von meinem Handy ging jetzt endl<strong>ich</strong> der Ruf ab und <strong>ich</strong> lauschte auf<br />
den Klingelton, der hinausging. Ich hätte fast das Notebook aus meinen<br />
zusammengeklemmten Beinen verloren, als in diesem Garten plötzl<strong>ich</strong> ein<br />
Handy anfing zu klingeln. Ich drehte m<strong>ich</strong> zu Wiesel um, aber seins war es<br />
n<strong>ich</strong>t. Im gle<strong>ich</strong>en Abstand nur mit einer winzigen Verzögerung hörte <strong>ich</strong><br />
das abgehende Klingeln in meinem Handy und das Klingeln eines anderen<br />
Handys. Es kam aus dem Garten.<br />
129
Ich schrie nur: »Komm, Wiesel«, und klemmte mir das Notebook wieder<br />
unter den Arm und rannte los, auf das Klingeln zu. Ich bekam die böse<br />
Ahnung, dort im dunklen Garten Anna leblos liegend vorzufinden und<br />
schrie: »Wiesel leuchte.«<br />
Wiesel r<strong>ich</strong>tete den Dauerstrahl seiner Lampe auf den Weg vor mir.<br />
Dann fanden wir es. Das Handy lag auf dem Rasen und erfreul<strong>ich</strong>erweise<br />
Anna n<strong>ich</strong>t daneben. Ich atmete tief durch und hob das Handy auf. Es war<br />
sehr kalt und feucht. Es musste hier schon eine Weile liegen. Ich überlegte<br />
und rechnete nach, wann <strong>ich</strong> zuletzt mit ihr telefonierte und wie spät es<br />
jetzt war. Es waren gut drei Stunden zwischen unserem Telefonat und jetzt<br />
verstr<strong>ich</strong>en.<br />
Wiesel riss m<strong>ich</strong> aus meinen Betrachtungen.<br />
»Hier sind Schleifspuren im Gras. Renne zum Taxifahrer und rufe<br />
Waldtmann an. Er soll sofort mit einem Team hier anrücken. Das Notebook<br />
hinterlege beim Taxifahrer und er soll so auf die Auffahrt hier fahren, dass<br />
er auch das hintere Gelände mit seinem Fernl<strong>ich</strong>t erhellen kann. Ich suche,<br />
wohin die Spuren führen.«<br />
Mein Sprint war bestimmt olympiareif. Der Fahrer schreckte r<strong>ich</strong>tig<br />
hoch, als <strong>ich</strong> vor seinem Wagen auftauchte. Aber er schaltete schnell und<br />
startete den Wagen und brachte ihn in Aufstellung. Ich konnte sehen, dass<br />
Wiesel schnell auf ein Gartenhäuschen am Ende des Gartens zueilte. Ich<br />
bekam in der Zwischenzeit Waldtmann ans Telefon, der zwischen den<br />
einzelnen Worten einzuschlafen schien. Ich sagte ihm, wo wir seien und<br />
was wir vermuteten und <strong>ich</strong> bat ihn n<strong>ich</strong>t nur seine Mannschaft, sondern<br />
auch Rettungskräfte hierher zu beordern. Er sagte nur: »Ist in Ordnung. So<br />
schnell wir können.«<br />
Ich sagte dem Fahrer: »Lassen sie das L<strong>ich</strong>t so, wie es ist und kommen<br />
mit mir. Es könnte sein, dass wir Hilfe gebrauchen können.«<br />
Das Notebook warf <strong>ich</strong> auf den Rücksitz und wir liefen beide los. Der<br />
Taxifahrer war ebenfalls sehr gut in Form und konnte mir folgen. Er zog<br />
noch n<strong>ich</strong>t einmal den Schlüssel seines Wagens ab.<br />
Wir rannten in R<strong>ich</strong>tung Gartenhäuschen über den Rasen und Wiesel<br />
schien Schwierigkeiten zu haben, dort das Schloss zu öffnen. Ich sah, wie er<br />
seine Pistole zog und auf etwas an der Tür feuerte. Der Schuss kam mir<br />
unendl<strong>ich</strong> laut vor. Dann waren wir auch schon heran. Wiesel hatte ein<br />
Vorhängeschloss zerschossen und entfernte jetzt die Reste und riss die Tür<br />
auf.<br />
Dunkelheit, denn bis hierher trafen die Scheinwerfer n<strong>ich</strong>t mehr. Wiesel<br />
ließ seine Taschenlampe wieder aufleuchten und dann hörte <strong>ich</strong> ihn tief<br />
Luft holen.<br />
130
Ich konnte n<strong>ich</strong>t sehen, was er sah, aber an der Art, wie er die Luft<br />
einsog, ahnte <strong>ich</strong> Schlimmes.<br />
Dann konnte <strong>ich</strong> es selbst sehen. Bauer, der Oberstaatsanwalt lag mit<br />
völlig verdrehtem Kopf da und starrte uns aus blicklosen weit offenen<br />
Augen an. Zur weiteren Abschreckung hing seine Zunge aus dem Mund<br />
und war fast schwarz. Ich konnte von Anna n<strong>ich</strong>ts entdecken. Wiesel<br />
leuchtete seitl<strong>ich</strong> in den Raum und wieder hörte <strong>ich</strong>, wie er erneut tief Luft<br />
holte und mein Herz sank direkt in meine Hose und als Wiesel scharf<br />
befahl: »Los schnell«, stürmten wir beide nacheinander in den Raum. Anna<br />
lag seitl<strong>ich</strong> zu dem toten Bauer wie ein Embryo verschnürt und den Mund<br />
mit Klebeband zugeklebt auf der Seite und ihre Augen waren geschlossen.<br />
Wiesel und <strong>ich</strong> drückten dem Taxifahrer unsere Taschenlampen in die<br />
Hand und wir mussten ihm n<strong>ich</strong>t erzählen, was er tun sollte. Er leuchte für<br />
uns und wir befreiten Anna von ihren Fesseln. Wiesel stellte sofort fest,<br />
dass sie noch lebte. Ich riss ihr das Klebeband vom Mund und Wiesel<br />
säbelte an ihrer weiteren Verpackung. Der Schmerz des<br />
Klebebandabreißens war so stark gewesen, dass Anna für einen winzigen<br />
Moment an die Oberfläche kam und m<strong>ich</strong> dabei voll anstarrte. Sie war aber<br />
sofort wieder weg, ohne dass eine Reaktion des Erkennens s<strong>ich</strong>tbar wurde.<br />
Wir waren noch dabei, die Fesselung zu durchtrennen, als wir die<br />
Sirenen hörten, die die Ankunft Waldtmanns signalisierte.<br />
Obwohl er s<strong>ich</strong> so unendl<strong>ich</strong> müde anhörte, kam er mit Riesenschritten<br />
über den Rasen. Er war sofort im Bilde, was hier los war und sträubte s<strong>ich</strong><br />
auch n<strong>ich</strong>t, als <strong>ich</strong> dem Fahrer auftrug die Bewusstlose sofort ins große<br />
Krankenhaus, Notaufnahme zu schaffen. Ich trug die Bewusstlose zum<br />
Taxi und Waldtmann wandte s<strong>ich</strong> schon an Wiesel.<br />
Der Taxifahrer fragte m<strong>ich</strong> nur, was mit dem Notebook passieren sollte<br />
und <strong>ich</strong> sagte ihm, dass er es einfach mit abgeben solle und sagen solle,<br />
dass ihn ein Kommissar Waldtmann vom Morddezernat mit dieser Fahrt<br />
beauftragt hätte. Und <strong>ich</strong> bat ihn um eine Visitenkarte, damit <strong>ich</strong> ihn<br />
wieder auftreiben konnte. Er fuhr sofort los.<br />
Waldtmann war offens<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong> zu müde, dass er mit mir schimpfen<br />
konnte. Er fragte nur: »Was sollte das denn?«<br />
»Waldtmann Sie haben soeben veranlasst, dass Ihre Kollegin Wagenfeld<br />
sofort mit einem Taxi in das Zentralkrankenhaus eingeliefert wird,<br />
nachdem Sie auf die glorre<strong>ich</strong>e Idee gekommen sind, hier nach ihr zu<br />
suchen. Für Bauer haben Sie n<strong>ich</strong>ts mehr tun können, aber für Anna<br />
Wagenfeld. Wir, Herr Starck und <strong>ich</strong> sind überhaupt n<strong>ich</strong>t hier gewesen.<br />
131
Sie haben aus eigener Intuition herausgefunden, dass hier immer noch<br />
was im Argen lag. Ich habe Sie zwar angerufen, nachdem <strong>ich</strong> mit Anna<br />
Wagenfeld telefonierte, aber Sie haben dann die weitere Initiative ergriffen.<br />
Ich war zu dem Zeitpunkt weit weg. In Bad Homburg, wo Sie m<strong>ich</strong> in ein<br />
paar Stunden auch wieder erre<strong>ich</strong>en können. Sie können m<strong>ich</strong> gerne dort<br />
anrufen.«<br />
»Nee, <strong>Teufel</strong>, das wird die Kollegin Amelungen übernehmen. Sie kommt<br />
vom Lehrgang <strong>zurück</strong> und <strong>ich</strong> muss nach drei Tagen und Nächten ohne<br />
Schlaf endl<strong>ich</strong> ins Bett, sonst schlafe <strong>ich</strong> während der nächsten Worte ein.«<br />
Wiesel und <strong>ich</strong> riefen uns ein weiteres Taxi und ließen uns zum<br />
Flughafen fahren. Ich war auch müde.<br />
Im Flugzeug schlief <strong>ich</strong> schon ein wenig und auf der Fahrt von<br />
Egelsbach nach Bad Homburg musste <strong>ich</strong> dann Wiesel erklären, wie das<br />
alles zusammenhing.<br />
Es umriss die ganze Gesch<strong>ich</strong>te und <strong>ich</strong> folgerte, dass Anna Wagenfeld<br />
s<strong>ich</strong> mit Oberstaatsanwalt Bauer dort verabredete, um ihn des Verrats zu<br />
überführen. Sie war dann allerdings dort in die Falle geraten. Mir leuchtete<br />
allerdings im Moment noch n<strong>ich</strong>t ein, warum man Bauer ermordete aber<br />
Anna verschonte.<br />
In der Villa Starcks tranken wir nur noch ein Bier aus der Flasche.<br />
Danach verschwand <strong>ich</strong> sofort in meinem Bett.<br />
17<br />
Ruhige Weihnachtszeit<br />
Am nächsten Morgen erkundigte <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> als Allererstes im<br />
Krankenhaus nach dem Befinden von Anna Wagenfeld. Man teilte mir mit,<br />
dass es ihr erstaunl<strong>ich</strong> gut ginge und sie wohl nach der Morgenvisite schon<br />
wieder entlassen werden könne. Ihre Verletzungen seien weniger schlimm,<br />
als man zunächst annahm. Der Schlag auf den Kopf, den sie erhielt, hätte<br />
noch n<strong>ich</strong>t einmal eine Gehirnerschütterung zur Folge gehabt, obwohl man<br />
das zuerst annahm, denn Sie hätte sofort, nachdem sie aufgewacht war,<br />
nach einem Engel oder einem <strong>Teufel</strong> gefragt.<br />
Im Moment sei Kommissarin Amelungen bei ihr und holte s<strong>ich</strong><br />
Informationen bei ihrer Kollegin.<br />
132
Ich bedankte m<strong>ich</strong> für die Auskünfte und wählte erneut die Nummer<br />
des Krankenhauses, um m<strong>ich</strong> mit Frau Hansen verbinden zu lassen.<br />
Auch Charlotte ging es gut und beklagte s<strong>ich</strong> nur, dass die Wunde so<br />
schlecht heilte. Sie meinte verdrossen: »Dieser Mistkerl hat bestimmt<br />
wieder ein dreckiges Messer benutzt. Sieht ihm ähnl<strong>ich</strong>.«<br />
Danach plauschten wir noch einen kleinen Augenblick. Dann hängte sie<br />
m<strong>ich</strong> ein, weil auch bei ihr die Visite anstand. Ich ber<strong>ich</strong>tete ihr n<strong>ich</strong>t, dass<br />
<strong>ich</strong> gestern noch einmal <strong>zurück</strong> nach Bremen gekommen war.<br />
Danach stürzten wir uns heftig in die Arbeit und <strong>ich</strong> entwarf und<br />
bereitete gemeinsam mit Wiesel meine Einladungen für die Einweihung<br />
der Agentur am »Heiligen Drei Königstag« als Serienbrief vor.<br />
Die erste Serie war ganz auf Bremen zugeschnitten und sollte dorthin<br />
versandt werden. Die Adressen stammten vornehml<strong>ich</strong> aus dem Computer<br />
von Charlotte. Ergänzt durch meine Kontakte zur Schifffahrt und zu<br />
Hafenkreisen.<br />
Eine zweite Serie sollte an Firmen gehen, die aus dem Adressenmaterial<br />
von Wiesel stammte und der seine Empfehlung für m<strong>ich</strong> gab. Es waren<br />
Adressen aus ganz Norddeutschland und re<strong>ich</strong>ten von Kiel im Nordosten<br />
bis hinüber ins Ruhrgebiet im Westen. Es waren erstaunl<strong>ich</strong> viele Adressen<br />
im westfälischen Raum, und <strong>ich</strong> befragte dazu Wiesel. Er sagte nur, dass er<br />
in früheren Jahren durch seine Beziehungen zu den dort stationierten<br />
englischen Truppen hier Kontakte aufbauen konnte.<br />
Die dritte Gruppe, die <strong>ich</strong> anschreiben wollte, war ein wenig Privater.<br />
Ich wollte gerne meine Freunde aus Berlin, einschließl<strong>ich</strong> der guten<br />
Bekannten aus Polizeikreisen einladen. Hierbei vergaß <strong>ich</strong><br />
selbstverständl<strong>ich</strong> meine Freunde aus Stuttgart n<strong>ich</strong>t und ebenso wollte <strong>ich</strong><br />
Trost aus Wiesbaden dazu einladen. Es war selbstverständl<strong>ich</strong>, dass <strong>ich</strong><br />
auch meine Londoner Freunde und Hank Bakelaar aus Amsterdam und<br />
Jacelyn Fleurant dabei haben wollte.<br />
Ich fragte Wiesel, ob er mir auch raten würde, die Freunde von den<br />
dortigen Polizeikräften mit einzuladen. Er befürwortete das sofort und<br />
meinte nur, dass wir dann aber auch die Hotelunterkünfte mit einplanen<br />
sollten. Und dass wir diese Leute noch für das ganze Wochenende nach<br />
Bremen einladen sollten.<br />
Meine Freunde aus den USA wollte <strong>ich</strong> per Fax einladen, und <strong>ich</strong> wusste<br />
von Jim Killroy schon, dass er auf jeden Fall kommen würde. Das<br />
versprach er mir zum Abschied in New York.<br />
Wiesel frozzelte, dass <strong>ich</strong> an diesem Tage dann aber auch meinen Orden,<br />
den <strong>ich</strong> vom amerikanischen Präsidenten verliehen bekam, zu tragen hätte.<br />
133
Britt, die quirlige Sekretärin Wiesels, die uns dabei half alles in die<br />
Computer zu bekommen, freute s<strong>ich</strong> natürl<strong>ich</strong> besonders darauf, dass sie<br />
ihren Freund John Trechet, den Fußballspieler vom FC Chelsea nach ihrem<br />
Weihnachtsurlaub, den sie in London bei ihm verbringen wollte,<br />
mitbringen sollte. Wiesel meinte, dass wir dann auch einige der Werder-<br />
Spieler und auch die Verantwortl<strong>ich</strong>en des Vereins mit einbeziehen sollten.<br />
Als <strong>ich</strong> mir die Liste der Einladungen später am Nachmittag dann besah,<br />
und mitbekam, welche Mengen an Post Britt wegschleppte, wurde mir<br />
plötzl<strong>ich</strong> angst und bange. Wo sollten diese vielen Menschen nur in den<br />
Büroräumen untergebracht werden? Wiesel tröstete m<strong>ich</strong> und sagte: »Es<br />
werden sowieso n<strong>ich</strong>t alle kommen, die wir angeschrieben haben, aber<br />
gerade die Enge und der Auftrieb werden den Leuten lange in Erinnerung<br />
bleiben. Ich werde m<strong>ich</strong> hier bei unserem Partyservice erkundigen, ob sie<br />
mit einem Betrieb dort in Bremen zusammenarbeiten, oder ob wir den<br />
Lufthansa-Service einspannen sollten. Dann kam Wiesel auf eine<br />
großartige Idee, in dem er nur sagte: »Warum funktionierst du n<strong>ich</strong>t das<br />
ganze Stockwerk in diesem schönen Gebäude als Partyräume um. Deine<br />
Nachbarn werden ebenfalls mit eingeladen und einbezogen. Das macht<br />
s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> einiges her.<br />
Ich hatte keine Ahnung, dass er noch eine weitere Überraschung für<br />
m<strong>ich</strong> plante.<br />
Ich telefonierte mit Stadtler in dieser Angelegenheit und der war<br />
begeistert. Er meinte nur: »Dann sollten wir die gesamten Räume der<br />
Baumwollbörse nutzen. Keine Angst, <strong>Teufel</strong>, das organisiere <strong>ich</strong> schon mit<br />
den Verantwortl<strong>ich</strong>en der Börse. Und wenn der Börsenverein mitspielt,<br />
werden auch die Kosten erschwingl<strong>ich</strong>er. Der Verein wird s<strong>ich</strong> im<br />
Umlageverfahren die Gelder von den einzelnen Mitgliedern wieder holen.<br />
Es wird gle<strong>ich</strong>zeitig eine gute Reklame für die Baumwollbörse sein und<br />
auch die ganzen Rechtsanwälte und Notare werden dabei sein. <strong>Teufel</strong>, das<br />
ist eine wunderbare Idee. Nur sollten Sie dann gle<strong>ich</strong> nach den<br />
Weihnachtstagen wieder <strong>zurück</strong> sein, denn dann müssen wir gemeinsam<br />
mit den einzelnen Firmen planen. Aber das ist ja wohl keine<br />
Schwierigkeit.«<br />
Hedwig, die ins Zimmer gekommen war, bekam den Rest des<br />
Gespräches mit und sagte spontan: »Wilhelm, wir können Sylvester auch<br />
einmal in Bremen feiern. Das ist jetzt beschlossene Sache. Ich möchte im<br />
Park-Hotel wohnen. Und jetzt macht ihr Feierabend.<br />
Ich habe auch für unsere Leute hier eine kleine Weihnachtsfeier im<br />
großen Sitzungssaal organisiert. Ihr solltet euch ein wenig festl<strong>ich</strong> kleiden<br />
und in einer halben Stunde dort erscheinen.<br />
134
Deine Mitarbeiter wollen s<strong>ich</strong> auch in den Weihnachtsurlaub<br />
verabschieden, Wilhelm. Und wir sollten das gebührend feiern. Sie haben<br />
s<strong>ich</strong> das im letzten Jahr verdient.«<br />
Wir bemerkten von dem Trubel, der um uns herum los war, überhaupt<br />
n<strong>ich</strong>ts, so vertieft waren wir in unsere Arbeit gewesen. Wir bekamen auch<br />
von der Anlieferung durch den Partyservice n<strong>ich</strong>ts mit.<br />
Wiesel und <strong>ich</strong> machten uns für die Party fertig und wir wurden mit<br />
stürmischem Beifall begrüßt, als wir im Sitzungssaal erschienen. Alle<br />
Mitarbeiter Wiesels waren versammelt und warteten auf das Erscheinen<br />
ihres Chefs. Wiesel war gerührt, als der Partyservice die Wunderkerzen<br />
über dem Büfett entzündeten und mit zieml<strong>ich</strong> rauer Stimme sagte er<br />
dann: »Vielen Dank, meine Lieben für ein fantastisches Jahr der<br />
Zusammenarbeit. Aber wir wollen keine Zeit verlieren und wenigstens<br />
einmal im Jahr gemeinsam feiern. Bedient euch re<strong>ich</strong>l<strong>ich</strong>.«<br />
Wir bedienten uns und es wurde ein gelungenes lukullisches Fest. Ich<br />
unterhielt m<strong>ich</strong> längere Zeit mit den Technikern aber auch mit allen<br />
anderen Angestellten. Die Buchhalterin versprach Charlotte nach ihrer<br />
Genesung in das Computerprogramm einzuarbeiten und Hedwig<br />
vers<strong>ich</strong>erte mir, dass sie dies überwachen würde, denn um die finanziellen<br />
Belange der Firma kümmerte sie s<strong>ich</strong> meistens.<br />
Ich genoss den Trubel um m<strong>ich</strong> herum und entspannte das erste Mal<br />
nach Tagen. Dabei saß <strong>ich</strong> die meiste Zeit nahe Hedwigs und beobachtete<br />
das Treiben.<br />
Als s<strong>ich</strong> die Gesellschaft gegen Mitternacht auflöste und die Mitarbeiter<br />
s<strong>ich</strong> mit Handschlag und besten Wünschen für das Weihnachtsfest von den<br />
Starcks verabschiedeten konnte <strong>ich</strong> wieder feststellen, dass es Hedwig und<br />
Wiesel gelungen war, n<strong>ich</strong>t nur Mitarbeiter zu führen, sondern Freunde<br />
familiär in ihren Betrieb eingebunden zu haben. So war es kein Wunder,<br />
dass hier jeder für jeden einsprang, wenn es notwendig war. Eine<br />
homogene Gesellschaft, die durch die überragende Autorität Wiesels und<br />
der mütterl<strong>ich</strong>en Wärme Hedwigs so geformt war.<br />
Die kleine Britt war die Letzte, die s<strong>ich</strong> von uns verabschiedete und auch<br />
m<strong>ich</strong> in den Arm nahm und mir einen kleinen schwesterl<strong>ich</strong>en Kuss auf<br />
den Mund gab. Sie sagte mir zum Abschied: »Und <strong>ich</strong> werde auch den<br />
kleinen Devil drücken und küssen. Er sieht dir schon jetzt ganz ähnl<strong>ich</strong>.«<br />
Ich stand da und starrte sie an, bis Hedwig m<strong>ich</strong> am Ärmel zog und<br />
zieml<strong>ich</strong> befehlend sagte: »Komm, <strong>ich</strong> werde dir etwas zeigen.«<br />
135
Sie zog m<strong>ich</strong> in Wiesels Privatsalon und sagte: »Setz d<strong>ich</strong>«, und ging an<br />
den Cognacschrank im Bücherregal und holte zwei große Schwenker und<br />
die Flasche des edelsten Cognacs, den Wiesel besaß. Sie schenkte<br />
großzügig ein, während Wiesel noch die letzten Anweisungen an den<br />
Partyservice gab.<br />
Dann ging Hedwig zu ihrem Privatsekretär und holte einen Umschlag<br />
hervor und kam zu mir an den Tisch, wo <strong>ich</strong> während der ganzen Zeit mit<br />
unendl<strong>ich</strong> flauem Gefühl im Magen saß.<br />
»Du weißt Waldemar, dass <strong>ich</strong> mit Linda immer noch korrespondiere.<br />
Dies hier hat sie mir geschickt.«<br />
Sie griff in den Umschlag und holte ein Bild heraus, das sie vor m<strong>ich</strong><br />
hinlegte und sofort verkrampfte s<strong>ich</strong> mein Magen. Auf dem großen 18 x 24<br />
Farbbild lächelte mir Linda entgegen. Schöner denn je, und die beiden<br />
Ringe an der Halskette waren der Blickpunkt. Und die beiden Säuglinge in<br />
ihren Armen. Rechts hielt sie einen sehr hellhäutigen, dunkelhaarigen<br />
Jungen und links einen sehr dunkelhäutigen Jungen im Arm. Ich starrte auf<br />
das Bild und konnte es n<strong>ich</strong>t begreifen.<br />
Hedwig sagte sanft: »Es sind zweieiige Zwillinge, und der Hellhäutige<br />
heißt Devil und der Dunkelhäutige heißt Owen. Die englische Presse hat<br />
schon die ganze Häme über Malcolm ausgeschüttet und gefragt, wie es<br />
ihm denn gelungen sei, derart helle Pigmente zu vererben, da er doch aus<br />
dem schwärzesten Teil Afrikas stammte. Es ist offens<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong>, dass er n<strong>ich</strong>t<br />
der Vater ist. Waldemar du hast einen Sohn. Und er scheint der Stärkere zu<br />
sein, denn es ist der Erstgeborene.«<br />
»Unfassbar«, murmelte <strong>ich</strong> fast lautlos.<br />
Ich griff automatisch nach dem Cognacglas, aber Hedwig stoppte m<strong>ich</strong><br />
scharf mit den Worten: »Nein, Waldemar, den Cognac jetzt zu stürzen,<br />
wäre die falscheste Reaktion und würde d<strong>ich</strong> dorthin <strong>zurück</strong>bringen, wo<br />
du vor dreieinhalb Jahren warst. Begreife erst einmal, dass du jetzt noch<br />
mehr Verantwortung hast, obwohl der Junge n<strong>ich</strong>t unter deiner Obhut<br />
aufwächst. Und dass es dein Junge ist, ist wohl n<strong>ich</strong>t zu leugnen. Selbst<br />
diesen Haarwirbel, dort vorne auf dem Kopf, ist deinem Strubbelhaar<br />
völlig gle<strong>ich</strong>. <strong>Wenn</strong> Wilhelm gle<strong>ich</strong> kommt, dann trinkt in aller Ruhe auf<br />
dein Glück, das uns n<strong>ich</strong>t beschieden war.«<br />
Und plötzl<strong>ich</strong> k<strong>ich</strong>erte Hedwig wie ein Schulmädchen: »Oder <strong>ich</strong> es<br />
n<strong>ich</strong>t weiß, was Wilhelm sonst so angestellt hat.«<br />
Ich starrte weiter auf das Bild und plötzl<strong>ich</strong> schien es mir lebendig. Es<br />
war, als wenn Linda mir zuzwinkerte, und als wenn der kleine Devil s<strong>ich</strong><br />
mir entgegenstreckte.<br />
136
Mein Herz raste plötzl<strong>ich</strong> wieder aber diesmal jagte n<strong>ich</strong>t eine<br />
Hitzewelle durch meinen Körper, sondern es breitete s<strong>ich</strong> wohlige Wärme<br />
in mir aus und es brach aus mir heraus: »Ob <strong>ich</strong> das kleine Kerlchen auch<br />
wohl einmal in meinem Arm halten darf?«<br />
»Darauf wirst du wohl verz<strong>ich</strong>ten müssen«, sagte Wiesel von der Tür<br />
her, denn er bekam meinen letzten Satz mit »so sehr Linda ihren Mann<br />
auch quält, dies wird sie n<strong>ich</strong>t zulassen, weil dann der Hass von Malcolm<br />
auf dieses Kind so unermessl<strong>ich</strong> groß würde, dass er es seinerseits quälen<br />
würde, wann immer Linda ihn n<strong>ich</strong>t im Auge hätte. So hat sie es uns<br />
jedenfalls mitgeteilt. Linda wird ihre ganze Liebe zu dir auf den Jungen<br />
übertragen, aber auch ihren anderen Sohn lieben, denn sie hat ihn<br />
geboren.«<br />
Plötzl<strong>ich</strong> fühlte <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> wieder ein ungeheures Stück ärmer, aber mein<br />
Amulett am Arm ließ m<strong>ich</strong> wieder den Verbund fühlen. Als Wiesel dann<br />
sein Glas hob und <strong>ich</strong> mit ihm trank, genoss <strong>ich</strong> nur einen ganz kleinen<br />
Schluck. Ich hörte Hedwig regelrecht aufatmen. Danach ber<strong>ich</strong>tete sie mir,<br />
dass Linda ihr schon zum letzten Weihnachtsfest sagte, was sie fühlte und<br />
deswegen brachte m<strong>ich</strong> Hedwig am letzten Heilig Abend davon ab Linda<br />
den Verlobungsring zu schenken. Und sie wusste auch von Lindas<br />
Entschluss, dass sie unsere Liebe am Sylvesterabend beenden würde, und<br />
sie litt gemeinsam mit der jungen Frau. Sie hoffte immer noch, dass Linda<br />
ihre Rachepläne <strong>zurück</strong>stellen würde, aber sie schaffte es n<strong>ich</strong>t Linda<br />
umzustimmen. Linda sagte ihr: »<strong>Teufel</strong> ist der einzige Mensch, dem <strong>ich</strong> die<br />
Kraft zutraue, diese Enttäuschung ohne Schaden zu überstehen. Es wird<br />
ihm wehtun, aber n<strong>ich</strong>t vern<strong>ich</strong>ten. Und die Liebe, die er zu geben vermag,<br />
wird woanders noch dringender gebraucht. Ich werde sein Leben immer<br />
verfolgen, wie er meins verfolgen wird. Und sein Sohn wird immer in<br />
seinem Sinne erzogen werden.«<br />
Hedwig trug es ganz ruhig vor und <strong>ich</strong> musste trotzdem schnäuzen. Sie<br />
str<strong>ich</strong> mir über den Kopf und meinte: »Und Linda scheint schon wieder<br />
einmal Recht zu bekommen, denn wartet n<strong>ich</strong>t eine Charlotte auf d<strong>ich</strong>?«<br />
»Ich glaube schon, aber sie soll meine Sekretärin sein.«<br />
»Was glaubst du, was <strong>ich</strong> für Wilhelm immer war?«<br />
Da konnte <strong>ich</strong> auch wieder lachen und sagte: »Ob <strong>ich</strong> wohl auf den<br />
Schrecken noch ein schönes kaltes Bier trinken dürfte?«<br />
»Klar«, meinte Wiesel, »<strong>ich</strong> hole für uns alle eins.«<br />
Ich war der Einzige, der direkt aus der Flasche trank. Hedwig und<br />
Wiesel nahmen s<strong>ich</strong> ein Glas.<br />
Als <strong>ich</strong> später im Bett lag, schienen m<strong>ich</strong> die Augen Lindas immer noch<br />
anzustrahlen und in mir breitete s<strong>ich</strong> eine tiefe Ruhe aus. So schlief <strong>ich</strong> ein.<br />
137
Am nächsten Morgen fuhren Wiesel und <strong>ich</strong> nach Frankfurt und kauften<br />
ein. In der Innenstadt trennten wir uns und <strong>ich</strong> besuchte ein Antiquariat in<br />
der Nähe des Römers und wurde hier für Hedwig und Wiesel fündig. Mit<br />
meinen Paketen beladen wollte <strong>ich</strong> wieder zum Wagen gehen, als <strong>ich</strong><br />
Wiesel in der gle<strong>ich</strong>en Straße aus einem Bilderrahmengeschäft<br />
herauskommen sah. Ich ahnte, dass er für mein neues Büro ein Bild<br />
erstanden hatte.<br />
Als wir uns dann mit den Paketen gegenüberstanden, mussten wir beide<br />
grinsen und gingen schweigend zum Parkhaus und legten unsere Gaben in<br />
den Kofferraum. Dann meinte Wiesel: »Und jetzt gehen wir noch auf einen<br />
Schluck Bier in die Gaststätte dort an der Hauptwache, wo wir schon<br />
letzten Heilig Abend ein Bier getrunken haben. Mir wurde bewusst, dass<br />
<strong>ich</strong> noch kein Geschenk für Charlotte hatte. Mir wollte aber auch n<strong>ich</strong>ts<br />
einfallen, denn Schmuck wollte <strong>ich</strong> ihr nach so kurzer Bekanntschaft auf<br />
keinen Fall schenken. Ich fragte Wiesel, was er denn seiner »Sekretärin«<br />
Hedwig als erstes Weihnachtsgeschenk gemacht hätte. Er wusste es noch<br />
genau. »Sie sammelte damals schon diese edlen Porzellanfiguren, und <strong>ich</strong><br />
habe ihr eine winzige chinesische Miniaturvase geschenkt, in die man<br />
höchstens eine einzige Orchideenblüte hineinstellen konnte. Darüber hat<br />
sie s<strong>ich</strong> damals sehr gefreut.«<br />
Ich sah auch bei Charlotte ein kleines Wandbord in der sie zierl<strong>ich</strong>e<br />
Porzellanfiguren aufbewahrte.<br />
Ich bedankte m<strong>ich</strong> für den Tipp und ließ Wiesel allein weitergehen, denn<br />
<strong>ich</strong> eilte <strong>zurück</strong> zu einem Haushaltswarengeschäft, das in seinen<br />
Schaufenstern auch edle Glas- und Porzellanwaren ausstellte. Ich ging an<br />
die Glasvitrine und sah sofort das Stück, das <strong>ich</strong> haben wollte. Eine<br />
wunderbar einfach stilisierte Möwe aus weißem Porzellan die im<br />
Seitenflug nach unten zu stürzen schien. Die ganz klaren Linien, und das<br />
glänzende weiße Porzellan sprachen m<strong>ich</strong> sofort an. Der Preis ließ m<strong>ich</strong><br />
einen kleinen Augenblick stutzen, aber dann sagte <strong>ich</strong> nur: »Bitte<br />
einpacken. Es muss noch n<strong>ich</strong>t festl<strong>ich</strong> verpackt sein, das möchte <strong>ich</strong><br />
persönl<strong>ich</strong> machen.«<br />
Das stimmte zwar n<strong>ich</strong>t, aber <strong>ich</strong> wollte die Skulptur Hedwig zeigen<br />
und die würde sie mir auch bestimmt r<strong>ich</strong>tig verpacken.<br />
Wenig später kam <strong>ich</strong> in die Gaststätte und Wiesel hatte auch für m<strong>ich</strong><br />
schon ein Bier bestellt.<br />
Wir waren zu einem späten Imbiss <strong>zurück</strong> und bekamen von den<br />
Platten, die gestern von der Feier übriggeblieben waren.<br />
138
Den Nachmittag verbrachte <strong>ich</strong> mit Telefonaten in die Vereinigten<br />
Staaten.<br />
Am frühen Abend ging <strong>ich</strong> dann ins Erlebnisbad und schwamm meine<br />
Runden und machte anschließend zwei ausgedehnte Saunagänge.<br />
Ich war gerade wieder <strong>zurück</strong>ge<strong>kehrt</strong>, als mein Handy anfing zu<br />
klingeln. Anna war am Telefon und wollte nur von mir wissen, was es mit<br />
diesem Notebook auf s<strong>ich</strong> hätte, dass man ihr bei Ihrer Entlassung<br />
ausgehändigt hätte. Dann fiel ihr ein, dass <strong>ich</strong> ihr mögl<strong>ich</strong>erweise das<br />
Leben rettete und sie bedankte s<strong>ich</strong> bei mir, für meine tolle Reaktion und<br />
sie fragte m<strong>ich</strong>, wie <strong>ich</strong> auf die Idee gekommen sei, Waldtmann anzurufen,<br />
um ihn nach ihr suchen zu lassen. Gerade Waldtmann, der mein erklärter<br />
Gegner sei.<br />
Ich lachte nur und sagte ihr, dass sie n<strong>ich</strong>t die ganze Wahrheit wisse. Sie<br />
wollte natürl<strong>ich</strong> sofort wissen, was sie verpasste, aber <strong>ich</strong> stoppte ihren<br />
Redefluss und fragte scharf: »Wo bist du jetzt?«<br />
»In meiner Wohnung. Wo sonst sollte <strong>ich</strong> sein?«<br />
»Anna, packe sofort einen Koffer und nimm auch das Notebook mit.<br />
Fahre mit dem nächsten Taxi in die Henriettenstraße Nummer 39 und<br />
klingele bei Frau Schiemak, das ist meine Nachbarin. Sie wird dir meinen<br />
Wohnungsschlüssel aushändigen und du machst es dir dort so gemütl<strong>ich</strong>,<br />
wie es geht. Mache schnell, denn die Burschen sind immer noch hinter dir<br />
her. Du musst uns<strong>ich</strong>tbar sein. Und mit dem Notebook bist du noch<br />
gefährl<strong>ich</strong>er für sie. Ich habe es im Kinderzimmer von Svetlov gefunden,<br />
da sind wahrscheinl<strong>ich</strong>e heiße Informationen drauf.«<br />
»Aber…«<br />
»Mache, was <strong>ich</strong> dir gesagt habe, und mache das schnell. Ich rufe in der<br />
Zwischenzeit Frau Schiemak an und veranlasse alles. <strong>Wenn</strong> du dann in<br />
meiner Wohnung bist, können wir weiter telefonieren. Okay?«<br />
Sie interpretierte wahrscheinl<strong>ich</strong> die Dringl<strong>ich</strong>keit, mit der <strong>ich</strong> sprach,<br />
r<strong>ich</strong>tig, denn sie legte ohne weitere Frage auf.<br />
Ich telefonierte sofort mit Frau Schiemak und sagte ihr, dass eine Anna<br />
Wagenfeld gle<strong>ich</strong> zu ihr käme und meinen Wohnungsschlüssel brauche.<br />
Sie würde dort für ein paar Tage einziehen.<br />
»Aber wenn <strong>ich</strong> merke, da geht etwas n<strong>ich</strong>t mit rechten Dingen zu, dann<br />
informiere <strong>ich</strong> die Polizei.«<br />
»Das ist in Ordnung. Frau Wagenfeld muss geschützt werden. Sie ist<br />
selbst bei der Polizei, aber wenn etwas Ungewöhnl<strong>ich</strong>es passiert, rufen Sie<br />
Kommissar Waldtmann an. Hier ist seine Nummer.«<br />
Ich musste sie nochmals wiederholen, damit sie sie s<strong>ich</strong> aufschreiben<br />
konnte.<br />
139
»Und geben Sie Frau Wagenfeld auch die Nummer hier in Bad<br />
Homburg, damit sie m<strong>ich</strong> anrufen kann, sobald sie eingezogen ist.«<br />
Ich hörte sie noch stöhnen, als sie sagte: »Ach, Herr <strong>Teufel</strong>, warum<br />
machen Sie bloß immer so aufregende Dinge?«<br />
Sie hätte mir bestimmt noch die nächste halbe Stunde die Ohren voll<br />
gejammert, aber <strong>ich</strong> legte den Hörer ganz sanft auf.<br />
Ich konnte jetzt nur hoffen, dass die Burschen, die hinter Anna her<br />
waren, n<strong>ich</strong>t mitbekamen, wohin Anna s<strong>ich</strong> verkroch, dann würde es noch<br />
viel unangenehmer für meine gute alte Nachbarin. Daran mochte <strong>ich</strong><br />
überhaupt n<strong>ich</strong>t denken. Aber diese neue Anspannung weckte bei mir,<br />
auch das Hungergefühl und <strong>ich</strong> ging in die Küche. Hier war immer noch<br />
re<strong>ich</strong>l<strong>ich</strong> von den kalten Platten vorhanden und <strong>ich</strong> füllte mir einen<br />
größeren Teller voll und nahm mir eine Flasche Bier mit. Ich aß langsam<br />
mit Genuss und schaute nebenher in den Fernseher. Angenehme<br />
Nachr<strong>ich</strong>ten wurden n<strong>ich</strong>t gebracht. Nur dass man in Bremen in der Villa<br />
eines am Vortage ermordeten mutmaßl<strong>ich</strong>en Rauschgifthändlers im<br />
Gartenhaus, die Le<strong>ich</strong>e des ermittelnden Oberstaatsanwaltes gefunden<br />
hätte. Die Leitung der Fahndung nach den Mördern habe die Kommissarin<br />
Amelungen übernommen. Ich sah sie zum ersten Mal und war erstaunt,<br />
wie jugendl<strong>ich</strong> sie mir erschien. Ich ahnte n<strong>ich</strong>t, wie sehr sie später in mein<br />
Leben eingreifen würde. Und n<strong>ich</strong>t nur in mein Leben.<br />
Ich stellte gerade nach dem Wetterber<strong>ich</strong>t, der keine<br />
Witterungsveränderungen ansagte, den Fernseher ausgeschaltet und<br />
meinen Teller beiseitegestellt, als das Telefon klingelte. Es war Anna. Jetzt<br />
wollte Sie natürl<strong>ich</strong> wissen, was gestern wirkl<strong>ich</strong> los gewesen war,<br />
nachdem wir zusammen telefonierten.<br />
Ich sagte ihr: »Lass uns die ganze Sache mit dem Telefonat beginnen. Zu<br />
dem Zeitpunkt warst du doch schon in der Gewalt der Verbrecher, oder?«<br />
»Nein, aber <strong>ich</strong> wusste, <strong>ich</strong> war in akuter Gefahr. Aber Waldtmann hat ja<br />
meine Ermittlungen im Papierkorb gefunden und hat gesehen, dass Bauer<br />
diese eine Nummer, die n<strong>ich</strong>t zu identifizieren war, anrief.«<br />
Ich unterbrach sie: »Nein, diese Unterlagen habe <strong>ich</strong> gefunden.«<br />
»Wie? Du warst doch knappe fünfhundert Kilometer entfernt?«<br />
»Erzähle mir erst weiter.«<br />
»Nun daraufhin habe <strong>ich</strong> die Telekom angerufen und habe aber auch<br />
bei denen n<strong>ich</strong>ts in Erfahrung bringen können, obwohl <strong>ich</strong> mitteilte, dass es<br />
s<strong>ich</strong> um eine polizeil<strong>ich</strong>e Ermittlung handeln würde. Man hat m<strong>ich</strong><br />
abgeschoben und mir gesagt, dass <strong>ich</strong> mit einem r<strong>ich</strong>terl<strong>ich</strong>en Beschluss in<br />
die Hauptgeschäftsstelle kommen solle, dann würde man mir verraten,<br />
wer hinter dieser Geheimnummer steckt.<br />
140
Mir blieb also n<strong>ich</strong>ts anderes übrig, als selbst dort anzurufen. Es hat s<strong>ich</strong><br />
ein Typ namens Kirkoman gemeldet, aber <strong>ich</strong> habe Maschinengeräusche<br />
im Hintergrund gehört. Als <strong>ich</strong> sagte, dass <strong>ich</strong> im Auftrag von Bauer<br />
nochmals anrufen würde, weil man wohl Dinge in der Villa vergessen<br />
hätte und <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> gle<strong>ich</strong> mit Bauer da treffen wollte, wurde er ganz<br />
hektisch. Danach habe <strong>ich</strong> Bauer angerufen und m<strong>ich</strong> mit ihm in der Villa<br />
verabredet und wir haben uns dort getroffen. Ich habe ihm dort im Keller<br />
dann vorgeworfen ein bestechl<strong>ich</strong>es Verbrecherschwein zu sein und er hat<br />
mir immer wieder beteuert, dass dieser Kirkoman nur ein Informant der<br />
Staatsanwaltschaft sei, der ihm immer wieder w<strong>ich</strong>tige und gute<br />
Informationen aus den Kreisen der oberen Rauschgiftkreise zukommen<br />
ließ. Als wir noch dort unten waren, fing <strong>ich</strong> an zu telefonieren. Ich hörte<br />
näml<strong>ich</strong> Stimmen im Erdgeschoss. Daher dieser Anruf, damit du wusstest,<br />
wo <strong>ich</strong> war und meine Abteilung benachr<strong>ich</strong>tigen konntest. Dann kamen<br />
zwei Mann die Treppe heruntergestürzt und <strong>ich</strong> wollte wegrennen. Aber<br />
sie haben m<strong>ich</strong> zieml<strong>ich</strong> schnell erwischt. Dann war <strong>ich</strong> K.o.«<br />
»Wieso man m<strong>ich</strong> dann ins Gartenhäuschen brachte, weiß <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t,<br />
denn die Untersuchungen haben ergeben, dass sie Bauer dort unten schon<br />
das Genick gebrochen haben.«<br />
»Sie wollten s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong>, dass man euch n<strong>ich</strong>t so schnell findet, damit sie<br />
in Ruhe nochmals die Villa durchsuchen konnten, weil du ihnen ja<br />
weismachst, dass sie etwas vergessen hätten. Deshalb hat man d<strong>ich</strong> auch<br />
n<strong>ich</strong>t erschlagen, sondern nur betäubt. <strong>Wenn</strong> sie n<strong>ich</strong>ts finden würden,<br />
wollten sie d<strong>ich</strong> befragen können. Und sie konnten n<strong>ich</strong>t wissen, ob n<strong>ich</strong>t<br />
deine Leute schon auf dem Weg in die Villa waren. Wahrscheinl<strong>ich</strong> haben<br />
sie wirkl<strong>ich</strong> noch etwas gefunden und sind abgehauen. Hast du sie<br />
wenigstens gesehen?«<br />
»Das ist ja das Schlimme. Ich habe sie n<strong>ich</strong>t gesehen, weil <strong>ich</strong> von hinten<br />
angegriffen wurde. Es müssen aber zwei sehr große Burschen sein, denn<br />
<strong>ich</strong> hörte einen fluchen, dass es so niedrig dort sei.«<br />
»Deutsch?«<br />
»Ja, deutsch. Aber wie war das mit dir, und wieso sagst du, dass du die<br />
Unterlagen bei mir gefunden hast und n<strong>ich</strong>t Waldtmann?«<br />
»Als <strong>ich</strong> deinen Anruf empfangen habe, schwante mir Böses und Wiesel<br />
und <strong>ich</strong> haben hier ein Flugzeug gechartert und sind zu dir in die<br />
Wohnung. Wir haben dann festgestellt, dass du d<strong>ich</strong> mit Bauer in der Villa<br />
aufgehalten haben musstest und wir sind da hinaus und haben erst das<br />
Notebook und dann d<strong>ich</strong> gefunden.<br />
Während sie d<strong>ich</strong> da rübergeschleift haben, muss dir dein Handy aus<br />
deiner Jacke gefallen sein und als <strong>ich</strong> es anrief, klingelte es dort im Garten.<br />
141
So haben wir euch im Gartenhaus gefunden. Dann erst habe <strong>ich</strong><br />
Waldtmann benachr<strong>ich</strong>tigt. Ich habe ihm gesagt, dass er es so aussehen<br />
lassen sollte, dass wir niemals da waren, und er d<strong>ich</strong> schon mit einem Taxi<br />
ins Krankenhaus bringen ließ. Er war so müde, dass er darauf eingegangen<br />
ist.«<br />
»Er scheint dir inzwischen etwas mehr zu vertrauen.«<br />
»Das glaube <strong>ich</strong> zwar n<strong>ich</strong>t. Er war nur nach drei Tagen und Nächten<br />
einfach zu müde.«<br />
»Aber er hat immer noch gute Arbeit verr<strong>ich</strong>tet.«<br />
»Das glaube <strong>ich</strong> gerne, ändert aber an seiner Einstellung mir gegenüber<br />
n<strong>ich</strong>ts. Aber <strong>ich</strong> werde damit leben können.«<br />
»Und wie soll es jetzt weitergehen«, fragte m<strong>ich</strong> die erfahrene<br />
Polizeibeamtin.<br />
»Wir müssen herausfinden, was auf diesem Notebook für Informationen<br />
gespe<strong>ich</strong>ert sind. Und bis dahin musst du verschwunden bleiben. Auch für<br />
deine Kollegen. Und das meine <strong>ich</strong> deiner S<strong>ich</strong>erheit wegen.«<br />
»Hältst du m<strong>ich</strong> denn wirkl<strong>ich</strong> für gefährdet?«<br />
»Hochgradig, denn wenn sie bisher n<strong>ich</strong>t erfahren haben, wen Sie als<br />
Gegnerin n<strong>ich</strong>t getötet haben, dann werden Sie es nachholen wollen, wenn<br />
Ihnen klar wird, wer du bist. Durch deinen Anruf haben sie nur geglaubt,<br />
du seiest eine Sekretärin von Bauer, die etwas nachfragt. Aber sobald sie<br />
dahinter kommen, dass du eigentl<strong>ich</strong> ihre Hauptgegnerin bist, bist du<br />
keine Sekunde mehr s<strong>ich</strong>er. Und wenn sie dann noch mitbekommen, dass<br />
du eventuell den entscheidenden Datenträger in Händen hat, ist dein<br />
Leben keinen Pfifferling mehr wert.«<br />
»Also werde <strong>ich</strong> hier in dieser Höhle verborgen bleiben. Weißt du<br />
eigentl<strong>ich</strong>, wie schön <strong>ich</strong> dein Schlafzimmer und dein Bett finde?«<br />
»Nee.«<br />
»Ich habe m<strong>ich</strong> schon einmal ausgezogen und telefoniere aus deinem<br />
Schlafzimmer. Weißt du, wie schön es ist, gle<strong>ich</strong> in dein Bett zu sinken?«<br />
»Hej, du klingst geradezu lüstern. Wie alt bist du eigentl<strong>ich</strong>?«<br />
Jetzt klang ein wirkl<strong>ich</strong> lüsternes Lachen durch die Leitung und sie<br />
sagte: »Ich werde im nächsten Frühjahr fünfzig, fühl m<strong>ich</strong> an wie eine<br />
Dreißigjährige und bin drauf, wie eine Zwanzigjährige, nachdem <strong>ich</strong><br />
deinen Weinvorrat gefunden habe. Nur einzig und allein, mir fehlt die<br />
Einlage in diesem Bett.«<br />
»Anna bleib anständig.«<br />
»Bin <strong>ich</strong> leider und bleib <strong>ich</strong> leider viel zu oft.<br />
Gut <strong>ich</strong> werde m<strong>ich</strong> morgen <strong>daran</strong> setzen herauszufinden, was auf<br />
diesem Notebook enthalten ist. Aber jetzt, lege <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> erst einmal hin.«<br />
142
»Gut dann schlafe schön und wenn du morgenfrüh noch etwas Frisches<br />
zu essen brauchst, dann kann dir das Frau Schiemak besorgen. Dein<br />
Versteck ist viel zu nahe an deiner alten Wohnung, als dass du d<strong>ich</strong> auf die<br />
Straße wagen kannst. Bitte beherzige das.«<br />
»<strong>Teufel</strong>, du klingst ehrl<strong>ich</strong> besorgt.«<br />
»Bin <strong>ich</strong> auch. Schlaf gut.«<br />
Mir ging das Gespräch auch in den nächsten Stunden n<strong>ich</strong>t aus dem<br />
Kopf. Vor allen Dingen ging mir n<strong>ich</strong>t aus dem Kopf, dass<br />
Oberstaatsanwalt Bauer behauptete, dass dieser Kirkoman nur ein Spitzel<br />
gewesen sein sollte. <strong>Wenn</strong> dies wirkl<strong>ich</strong> so war, und das setzte <strong>ich</strong> plötzl<strong>ich</strong><br />
voraus, dann musste es etwas gewesen sein, was Bauer den Mann fragte,<br />
was die Verbrecher derart verschreckte, dass sie n<strong>ich</strong>t nur einen Bauern<br />
opferten. Vielle<strong>ich</strong>t gab es sogar in den Unterlagen des ermordeten<br />
Staatsanwalts Hinweise auf die R<strong>ich</strong>tung in der Bauer etwas erfahren<br />
wollte. Aber wie sollte <strong>ich</strong> an die Unterlagen von Bauer herankommen?<br />
Mir gingen die abenteuerl<strong>ich</strong>sten Ideen durch den Kopf. Vom Einbruch in<br />
sein Dienstzimmer bis zur Durchsuchung Bauers Wohnung. Die einfachste<br />
Mögl<strong>ich</strong>keit fiel mir wieder einmal ganz zuletzt ein. Es konnte eigentl<strong>ich</strong><br />
nur die vorgesetzte Behörde unter Einschaltung des BKA tätig werden.<br />
Und das mögl<strong>ich</strong>st unauffällig. Es war heute schon zu spät, um noch Trost<br />
anzurufen und mit ihm zu beratschlagen. Ich würde Wiesel am nächsten<br />
Morgen damit überfallen.<br />
Ich holte mir noch ein Bier und nuckelte es genusssüchtig aus und legte<br />
m<strong>ich</strong> dann auch hin. Ich malte mir aus, wie diese quirlige über zehn Jahre<br />
ältere immer noch gut aussehende Frau s<strong>ich</strong> in meinem Bett räkelte.<br />
Um kurz nach sechs Uhr in der Frühe war <strong>ich</strong> ausgeschlafen und voller<br />
Tatendrang. Ich zog meine Joggingsachen an und verließ das Haus zu<br />
einem Morgenlauf durch den dunklen Park. Ich nahm mir vor eine kleine<br />
Runde zu laufen, aber als <strong>ich</strong> eine Stunde später <strong>zurück</strong>kam, war <strong>ich</strong><br />
bestimmt meine 15 Kilometer gelaufen und war angenehm erschöpft und<br />
stellte m<strong>ich</strong> längere Zeit unter die Dusche. Als <strong>ich</strong> danach in die Küche<br />
kam, war Hedwig schon dabei ein Frühstück vorzubereiten und sah mir<br />
entgegen und meinte: »Was hat d<strong>ich</strong> denn schon so früh aus den Federn<br />
vertrieben? Du solltest hier die paar Tage ausspannen.«<br />
»Genau das habe <strong>ich</strong> getan. Früh ins Bett und früh wieder raus. Gestern<br />
Schwimmen und heute Laufen, das ist das beste Entspannungsprogramm,<br />
das <strong>ich</strong> mir vorstellen kann. Und danach an den gedeckten Frühstückstisch<br />
setzen. Hedwig, das ist schön.«<br />
143
Dann erzählte <strong>ich</strong> ihr, dass meine Wohnung inzwischen zum<br />
Flüchtlingslager für eine Polizeibeamtin geworden sei. Hedwig lächelte<br />
m<strong>ich</strong> nur auf ihre stille Art an und meinte: »Erst holt ihr sie aus einem<br />
Gartenhaus und müsst dafür tausend Kilometer fliegen. Dann gewährst du<br />
ihr zu ihrem Schutz Unterkunft. Du bist wirkl<strong>ich</strong> ein edler Ritter. Hast du<br />
dort Geheimnisse verborgen, die sie ausspionieren könnte?«<br />
»Du bist vielle<strong>ich</strong>t misstrauisch.«<br />
»Wer so lange mit einem Privatdetektiv verheiratet ist, der wird<br />
misstrauisch, mein Lieber. Aber das war auch nur ein Scherz. Und jetzt<br />
mache d<strong>ich</strong> über die Eier her, bevor sie kalt werden. Wilhelm kommt auch<br />
jeden Moment und dann könnt ihr hinterher versuchen herauszufinden,<br />
wer s<strong>ich</strong> hinter den Namen Kirkoman verbirgt und was Svetlov auf seinem<br />
Notebook verbarg. Und wenn ihr das per Telefon n<strong>ich</strong>t schafft, dann<br />
solltest du deine neue Freundin einfach hierher kommen lassen. Du fliegst<br />
jedenfalls da n<strong>ich</strong>t <strong>zurück</strong>. Ich brauche d<strong>ich</strong> für unseren morgigen<br />
Festtagsbraten. Denn wir wollen n<strong>ich</strong>t die Tradition brechen, dass du am<br />
ersten Weihnachtstag für uns kochst.«<br />
»Jetzt weiß <strong>ich</strong> endl<strong>ich</strong>, warum Wiesel immer so erfolgre<strong>ich</strong> arbeiten<br />
konnte. Du hast in inspiriert und ihm die besten Ideen eingeimpft. Das ist<br />
überhaupt die Lösung. Dann könnte Anna von hier aus auch die Kontakte<br />
zum BKA anknüpfen, die wir brauchen, um an die Unterlagen des<br />
ermordeten Staatsanwalts zu kommen. Anna soll s<strong>ich</strong> sofort in die nächste<br />
Maschine nach Frankfurt setzen. Den Flughafen werden die Burschen doch<br />
wohl s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t beobachten lassen.<br />
Ich ließ meine Eier, Eier sein und ging ans nächste Telefon um Anna in<br />
meiner Wohnung anzurufen. Sie meldete s<strong>ich</strong> auch sofort und wollte mir<br />
gerade ber<strong>ich</strong>ten, dass sie n<strong>ich</strong>t weiterkam. Ich unterbrach sie und sagte<br />
nur: »Auf zum Flughafen und bring das Ding mit. Wir können von hier aus<br />
am besten arbeiten. <strong>Wenn</strong> du d<strong>ich</strong> beeilst, kannst du die Maschine um<br />
Viertel vor neun Uhr noch bekommen. Und <strong>ich</strong> glaube n<strong>ich</strong>t, dass sie<br />
ausgebucht ist. Ich hole d<strong>ich</strong> in Frankfurt von Flughafen ab.«<br />
Sie sagte sofort zu und <strong>ich</strong> konnte m<strong>ich</strong> endl<strong>ich</strong> meinen Rühreiern<br />
widmen. Wiesel war inzwischen ebenfalls anwesend. Hedwig erzählte ihm<br />
schon, dass eine Freundin von mir die Festtage mit uns verbringen würde.<br />
Schon beim Frühstück überlegten wir, wie wir ausfindig machen<br />
könnten, wo dieses Telefon von diesem Kirkoman wohl stehen könnte und<br />
Wiesel murmelte geheimnisvoll etwas von Beziehungen und m<strong>ich</strong> dann<br />
gescheucht, dass <strong>ich</strong> zum Flughafen käme, denn man wüsste n<strong>ich</strong>t, mit<br />
welchem Verkehr <strong>ich</strong> auf der Autobahn zu rechnen hätte.<br />
144
Es musste am heutigen Tag davon ausgegangen werden, dass<br />
unendl<strong>ich</strong>e Menschenmassen noch einmal in die Stadt fahren würden, um<br />
zu bummeln oder die letzten Einkäufe zu machen.<br />
Ich kam aber ohne große Schwierigkeiten zum Flughafen und als die<br />
Maschine gelandet war, musste <strong>ich</strong> noch eine ganze Weile warten, bis <strong>ich</strong><br />
Anna schließl<strong>ich</strong> entdeckte. Ihr Koffer war zu groß gewesen, um als<br />
Handgepäck zu gelten, daher mussten wir ein Deck hinunter um den<br />
Koffer vom Band zu holen. Das Notebook war darin ebenfalls verstaut.<br />
Sie sagte mir, dass sie s<strong>ich</strong> mit einem einfachen Trick im Dezernat<br />
abgemeldet hätte. Sie habe vorgegeben, im Fall eine Spur in Rostock<br />
verfolgen zu wollen. Ich grinste, denn das schien mir ein Trick á la <strong>Teufel</strong>.<br />
Auf der Fahrt erzählte <strong>ich</strong> ihr schon einmal von meinen gestrigen<br />
Überlegungen und dass wir an die Unterlagen von Bauer herankommen<br />
müssten, um eventuell dort Spuren zu finden. Sie war zwar n<strong>ich</strong>t<br />
unbedingt begeistert, dass <strong>ich</strong> die Wiesbadener dafür einsetzen wollte, aber<br />
meinte schließl<strong>ich</strong>: »Es scheint wirkl<strong>ich</strong> der einzig gangbare Weg zu sein.<br />
Denn solange <strong>ich</strong> aus S<strong>ich</strong>erheitsgründen im Untergrund bleiben muss,<br />
kann <strong>ich</strong> auch n<strong>ich</strong>ts veranlassen. Ich könnte allerdings Karen schon einen<br />
Wink geben, damit sie das Zimmer von Bauer d<strong>ich</strong>t macht. Ich werde sie<br />
nachher anrufen.«<br />
»Aber damit die Aufmerksamkeit unserer Gegner eventuell erregen.<br />
Solange die meinen wir hätten nur die Vermutung, dass Bauer das Leck im<br />
Polizeiboot gewesen ist, werden sie s<strong>ich</strong> s<strong>ich</strong>erer fühlen.«<br />
»Bauer hatte so viele Sachen auf seinem Tisch, dass auch noch ganz<br />
andere für einen Mord in Frage kämen. N<strong>ich</strong>t nur die Rauschgiftsache. Die<br />
werden keine Ahnung haben, dass wir gezielt etwas suchen und Karen<br />
braucht auch n<strong>ich</strong>t anfangen zu wühlen, sondern nur das Zimmer<br />
überwachen lassen.«<br />
Plötzl<strong>ich</strong> bekam <strong>ich</strong> eine Idee, die zwar abenteuerl<strong>ich</strong> war, aber auch<br />
n<strong>ich</strong>t von der Hand zu weisen.<br />
»Diese Karen sollte nur erst einmal den Papierkorb von Bauer<br />
s<strong>ich</strong>erstellen. Vielle<strong>ich</strong>t handelte er ja ähnl<strong>ich</strong> wie du.«<br />
Anna grinste plötzl<strong>ich</strong> neben mir und meinte: »Du scheinst wirkl<strong>ich</strong> ein<br />
brauchbarer Ermittler zu sein, <strong>Teufel</strong>. Hat der Wagen auch ein Telefon?«<br />
»Unter dieser Abdeckung«, und dabei zeigte <strong>ich</strong> auf die Mittelkonsole<br />
des Mercedes.<br />
Kurz entschlossen bediente s<strong>ich</strong> Anna und rief in Bremen an. Es dauerte<br />
eine Weile, bis sie diese Karen an den Apparat bekam und ihr sagen<br />
konnte: »Kümmere d<strong>ich</strong> bitte darum, dass der Inhalt des Papierkorbes oder<br />
der Papierkörbe im Dienstzimmer von Bauer s<strong>ich</strong>ergestellt werden.<br />
145
Ich rufe d<strong>ich</strong> in einer Stunde wieder an und frage nach, was du dort<br />
gefunden hast.«<br />
»Gut, das machen wir so.«<br />
»Nein, <strong>ich</strong> weiß die Nummer n<strong>ich</strong>t, die du anrufen kannst. Ich rufe d<strong>ich</strong><br />
an.«<br />
Dann legte Anna wieder auf und wir fuhren auch schon auf den Hof der<br />
Villa Starck. Anna war beeindruckt vom Bau. Noch beeindruckter war sie<br />
wenig später von Hedwig und Wiesel.<br />
Hedwig zeigte ihr sofort ein Zimmer, in dem sie wohne konnte und <strong>ich</strong><br />
ber<strong>ich</strong>tete Wiesel, was Anna über Frau Amelungen veranlasste. Wiesel<br />
grinste, als <strong>ich</strong> ihm meine Idee von den Papierkörben mitteilte.<br />
Als Anna wenig später mit dem Notebook in Wiesels Privatbüro kam,<br />
waren wir gespannt. Ich baute alles mit einem Netzteil auf und schloss es<br />
an den großen Bildschirm auf Wiesels Schreibtisch an. Dann machte <strong>ich</strong><br />
m<strong>ich</strong> <strong>daran</strong> es hochzufahren und wir landeten sofort bei einer<br />
Passwortabfrage. Ich war mir sofort darüber im Klaren, dass wir so n<strong>ich</strong>t<br />
weiterkommen würden und sagte den beiden nur: »So geht es n<strong>ich</strong>t. Ich<br />
werde tricksen müssen.«<br />
Ich schaltete das Notebook wieder aus. Ich sagte beiden: »Das kann jetzt<br />
eine ganze Weile dauern und <strong>ich</strong> muss m<strong>ich</strong> konzentrieren.«<br />
Anna grinste verständig und sagte zu Wiesel: »Der Herr möchte uns<br />
jetzt rauswerfen, damit wir n<strong>ich</strong>t zu sehen bekommen, wie er den<br />
Passwortschutz knackt.«<br />
»Ich werde Ihnen in der Zwischenzeit das Haus zeigen.«<br />
Ich startete unterdessen das Notebook über eine Spezialdiskette und<br />
gelangte so an die Datenstruktur, und besah mir zunächst einmal, was der<br />
Herr da auf dem Rechner sammelte. Ich fühlte m<strong>ich</strong> sofort bestätigt, dass<br />
hier Firmendaten des Herrn Svetlov vorhanden waren und dies kein<br />
Spielcomputer eines Kindes war. Mit ein paar Eingaben über die Tastatur<br />
machte <strong>ich</strong> auch noch einige versteckte Dateiordner s<strong>ich</strong>tbar und dann<br />
installierte <strong>ich</strong> mit einer weiteren Diskette ein<br />
Datenübertragungsprogramm. Dann verband <strong>ich</strong> Wiesels Rechner mit<br />
einem Kabel mit dem Notebook und schaltete auch Wiesels Rechner ein.<br />
Hier legte <strong>ich</strong> einen ganz neuen Dateiordner an und startete das<br />
Übertragungsprogramm auf beiden Rechnern und zog die Daten des<br />
Notebooks in den neu erstellten Ordner. Den Datenfluss konnte <strong>ich</strong><br />
verfolgen und <strong>ich</strong> hoffte nur, dass n<strong>ich</strong>t auch noch die einzelnen<br />
Dateiordner passwortgeschützt wären.<br />
Aber das konnte <strong>ich</strong> erst später feststellen. Ich steckte mir erst einmal<br />
eine Zigarette an und verfolgte den Datenstrom.<br />
146
Die von mir verwendete Methode besaß sogar noch den Vorteil, dass wir<br />
später sämtl<strong>ich</strong>e Daten ebenfalls auf unseren Rechnern hatten, egal, was<br />
mit dem Notebook passierte.<br />
Ich sah mir an, was Wiesel da auf seinem Schreibtisch lag. Und das war<br />
erstaunl<strong>ich</strong>. Er war wohl darüber weggekommen, als wir mit dem<br />
Notebook ankamen, aber da stand neben der Telefonnummer die Bauer<br />
anrief eine Adresse. Eine Adresse aus dem Industriegebiet im Hafen. Eine<br />
Firmenadresse. Der Name der Firma sagte mir allerdings n<strong>ich</strong>ts.<br />
Während der Datenstrom von einem Rechner zum anderen floss und <strong>ich</strong><br />
an meiner Zigarette nuckelte, überlegte <strong>ich</strong> wie diese Adresse dort im<br />
Hafen mit Rauschgift in Verbindung gebracht werden könnte. Ich konnte<br />
mir n<strong>ich</strong>t vorstellen, dass dort im Hafengebiet unter den Augen der dort<br />
immer noch anwesenden Zöllner ein Lager sein könnte. Aber was sollte<br />
dieser Kirkoman dort als Informant oder auch als Vertrauensmann von<br />
Svetlov dort zu tun haben? Mir wollte dazu n<strong>ich</strong>ts einfallen.<br />
Als Anna und Wiesel <strong>zurück</strong>kamen und Anna schwärmte, was für eine<br />
tolle Ausstattung diese Agentur besaß, versiegte auch mein Datenstrom<br />
und <strong>ich</strong> fragte Wiesel sofort, was es mit dieser Adresse auf s<strong>ich</strong> hätte.<br />
»Das ist die Adresse an der Bauer diesen Kirkoman erre<strong>ich</strong>t hat. Es ist<br />
eine Lagerfirma für medizinische Maschinen, die von hier aus in alle Welt<br />
gehen. Darauf sollten wir aber im Moment keine Zeit verschwenden, denn<br />
dort wird jetzt zu Weihnachten kein Mensch sein. Wie weit bist du bisher<br />
gekommen?«<br />
»Ich habe die Daten des Notebooks inzwischen hier auf deinem Rechner<br />
und wir könnten anfangen, darin herumzuwühlen. Ich will nur erst die<br />
Leitungen hier trennen.«<br />
Da startete <strong>ich</strong> auch Wiesels Rechner wieder im normalen Modus und<br />
wir betrachteten die Dateien. Es war zunächst n<strong>ich</strong>ts Aufregendes.<br />
Korrespondenz, die uns n<strong>ich</strong>ts über seine Machenschaften in der<br />
Rauschgiftszene aussagte.<br />
Wir gingen die Dateien nacheinander durch und waren schon beim<br />
vorletzten Ordner, die von Svetlov so sorgfältig verborgen worden waren,<br />
als Hedwig uns zum Essen rief.<br />
Ich bekam gar n<strong>ich</strong>t mit, was wir aßen, denn <strong>ich</strong> war meilenweit<br />
entfernt. M<strong>ich</strong> wunderte näml<strong>ich</strong>, wie belanglos diese Briefe waren und<br />
zum Teil eigentl<strong>ich</strong> keinen Sinn ergaben.<br />
147
Und trotzdem versteckte Svetlov sie auf dem Rechner, und außerdem<br />
noch auf einem Rechner in einem Kinderzimmer, der aber mit einer<br />
Internethochgeschwindigkeitsverbindung versehen war. Ganz langsam<br />
keimte in mir der Verdacht, dass diese so harmlos wirkenden Texte,<br />
vielfach an die gle<strong>ich</strong>e Adresse in Berlin gesandt, eine ganz andere<br />
Bedeutung haben könnte, als wir bisher herauslasen. Ich sagte: »Wiesel wir<br />
sollten einmal diese Adresse, an die er die Briefe geschrieben hat, einmal<br />
unter die Lupe nehmen. Da stimmt etwas n<strong>ich</strong>t.«<br />
Während Wiesel, Anna und Hedwig darüber diskutierten, ob wir Trost<br />
einschalten sollten oder n<strong>ich</strong>t, weil Karen Amelungen n<strong>ich</strong>ts in den<br />
Papierkörben von Bauer entdeckte, saß <strong>ich</strong> schon wieder vorm Rechner<br />
und machte etwas ganz anderes. Ich versuchte die Datei mit dem<br />
Passwortschutz in den Systemdateien Svetlovs Notebook zu finden.<br />
Ich startete eine kleine Suchroutine und griff mir dabei das Telefon und<br />
rief Charlotte an. Der ging es n<strong>ich</strong>t besonders gut, denn man erneuerte ihr<br />
heute Morgen die Dränage aus der Wunde. Es gab wirkl<strong>ich</strong><br />
Komplikationen, weil s<strong>ich</strong> auch eine Entzündung gebildet hatte. Sie klang<br />
matt und wenig zuvers<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong> und bat m<strong>ich</strong> sie schlafen zu lassen. Ich<br />
hätte gerne ihre Hand gehalten, um ihr Mut zu machen. Ich legte mit einem<br />
kleinen Schuldgefühl den Hörer auf, denn <strong>ich</strong> ließ es mir hier gut gehen,<br />
während sie dort litt.<br />
Meine Betrachtungen wurden unterbrochen, als meine Suchroutine die<br />
Passwortdatei fand und <strong>ich</strong> sie auslesen konnte. Er verwandte einen wild<br />
zusammengewürfelten Buchstabenziffercode.<br />
Aus einem mir im Nachhinein n<strong>ich</strong>t erklärl<strong>ich</strong>en Grund kam <strong>ich</strong> beim<br />
Anblick dieses Codes auf die Idee Waldtmann anzurufen und ihm zu<br />
sagen, dass er das Anwesen von Svetlov beobachten solle, weil <strong>ich</strong><br />
annähme, dass die Mörder von Bauer und die Überwältiger von Anna<br />
Wagenfeld dort nochmals auftauchen würden. Er wollte m<strong>ich</strong> noch etwas<br />
fragen, aber <strong>ich</strong> legte schon wieder auf.<br />
Ich schloss das Notebook an unsere Hochgeschwindigkeitsleitung an<br />
und startete es. Nachdem <strong>ich</strong> das r<strong>ich</strong>tige Passwort eingab, wusste <strong>ich</strong>, dass<br />
<strong>ich</strong> r<strong>ich</strong>tig lag. Ich sah mir, an welche Internetseiten Svetlov als Letztes<br />
besuchte und das war interessant. Mir leuchteten kyrillsche Ze<strong>ich</strong>en<br />
entgegen, als <strong>ich</strong> sie aufrief. Und plötzl<strong>ich</strong> wurde mir klar, dass Svetlov<br />
seine deutschen Texte in kyrillischen Ze<strong>ich</strong>en übersetzt dorthin absetzte.<br />
Ich rief nach Wiesel und Anna und sie kamen aus der Küche herüber. Ich<br />
zeigte meine Ergebnisse und Schlussfolgerungen und beide waren sofort<br />
damit einverstanden, dass wir endl<strong>ich</strong> Trost mit seinen sprachgewandten<br />
Spezialisten <strong>daran</strong> setzen mussten.<br />
148
Trost war n<strong>ich</strong>t sehr erbaut, als Wiesel ihn endl<strong>ich</strong> zu Hause erwischte<br />
aber schließl<strong>ich</strong> sagte er: »Bringen Sie das Notebook in Wiesbaden vorbei.<br />
Ich werde meine Leute <strong>daran</strong> setzen. Die werden zwar stinksauer sein, am<br />
Heilig Abend arbeiten zu müssen, aber das scheint mir doch zu w<strong>ich</strong>tig.<br />
Frau Wagenfeld soll mitkommen, damit wir ihr bescheinigen können, dass<br />
sie uns das Notebook ausgehändigt hat. Sie und <strong>Teufel</strong> tauchen dann in<br />
dem Zusammenhang gar n<strong>ich</strong>t auf. Einverstanden?«<br />
Wir waren damit einverstanden und Anna und <strong>ich</strong> setzten uns in den<br />
Wagen und fuhren nach Wiesbaden.<br />
Zur Bescherung waren wir <strong>zurück</strong> und bekamen eine echte dicke<br />
Bescherung: Waldtmann rief an und sagte: »<strong>Teufel</strong> wir haben Kirkoman<br />
und einen Komplizen auf dem Gelände von Svetlovs Villa eingefangen.<br />
Beide sind verletzt, aber sie trugen solch elenden Garotten dabei. Wir<br />
werden ihnen s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> anhand der Spuren an den Dingern die Morde an<br />
Svetlov und dem immer noch Unbekannten nachweisen können. Danke.«<br />
»Wie sind Sie eigentl<strong>ich</strong> an diese Telefonnummer gekommen?«<br />
»Unsere Zentrale registriert doch die eingehende Rufe. So konnte <strong>ich</strong><br />
Ihren Anruf <strong>zurück</strong>verfolgen. Außerdem bekamen wir gerade einen Anruf<br />
aus Wiesbaden. Sie sind mit Verstärkung für uns auf dem Weg. Grüßen Sie<br />
Anna und <strong>ich</strong> wünsche ein gutes Weihnachtsfest.«<br />
Man höre und staune, dachte <strong>ich</strong> bei mir: Waldtmann war freundl<strong>ich</strong> zu<br />
mir gewesen. <strong>Wenn</strong> das keine Bescherung war? Was dann?<br />
Dann entzündete Wiesel die Kerzen am Tannenbaum, den er in unserer<br />
Abwesenheit schmückte und <strong>ich</strong> ging ganz schnell nach oben, um meine<br />
Geschenke für Hedwig und Wiesel zu holen. Ich bedauerte, dass <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t<br />
wenigstens eine Kleinigkeit für Anna hatte. Ich eilte wieder nach unten<br />
und auch Wiesel holte schon seine Geschenke und selbst Hedwig brachte<br />
ein kleines Geschenk, das sie als allererstes Anna übergab.<br />
Die machte ein sehr angespanntes Ges<strong>ich</strong>t und als sie es dann<br />
auspackte, sah <strong>ich</strong> wie ihr Tränen übers Ges<strong>ich</strong>t liefen, so sehr freute sie<br />
s<strong>ich</strong>. Es war ein kleines wunderbar ziseliertes silbernes Zigarettendöschen.<br />
Anna umarmte Hedwig stürmisch, danach Wiesel und zuletzt m<strong>ich</strong>. Es<br />
war sehr angenehm sie im Arm zu halten. Anne stammelte immer wieder:<br />
»Das letzte Mal, dass <strong>ich</strong> etwas zu Weihnachten geschenkt bekommen<br />
habe, war vor 15 Jahren. Wenig später ist mein Mann im Dienst erschossen<br />
worden.«<br />
Ich übergab Hedwig und Wiesel meine Geschenke. Einen Kupferst<strong>ich</strong><br />
von Frankfurt für Hedwig und eine alte Duellpistole in einem<br />
samtbeschlagenen Kästchen.<br />
149
Eine Pistole, mit der s<strong>ich</strong> ein preußischer Adeliger mit seinem<br />
Widersacher und Nebenbuhler duelliert haben sollte. Es fehlte auch n<strong>ich</strong>t<br />
das Pulversäckchen und die Reiniger. Nur schießen konnte man damit<br />
s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t mehr.<br />
Ich sah ja schon während des Einkaufens, dass Wiesel aus einem<br />
Bilderrahmengeschäft herausgekommen war, und war deshalb gespannt,<br />
was für ein Bild er für mein neues Büro aussuchte. Ich tippte auf einen<br />
Druck von Nolde, weil er wusste, dass <strong>ich</strong> diesen Maler besonders<br />
verehrte.<br />
Ich erwischte beim Auspacken die Rückseite des Bildes und als <strong>ich</strong> es<br />
herumdrehte, machte mein Herz einen Freudensprung.<br />
Es war meine Zulassungsurkunde als Detektiv. Woher er die bekam,<br />
war mir schleierhaft, denn man sagte mir auf dem Ordnungsamt doch,<br />
dass sie erst im nächsten Jahr fertig sein würde.<br />
Ein wunderschöner E<strong>ich</strong>enrahmen, der zu den Holzvertäfelungen<br />
unseres Büros passte, umgab diese Urkunde. Ich war mächtig gerührt und<br />
drückte Hedwig, Wiesel und zuletzt Anna.<br />
Ich hielt sie wohl ein wenig zu lange im Arm, als sie sagte: »Das ist<br />
schön, <strong>Teufel</strong>. An deine Umarmung könnte <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> gewöhnen.«<br />
Hedwig und Wiesel lachten.<br />
18<br />
Charlottes Genesung<br />
Ich telefonierte kurz vor dem Abendessen noch einmal mit Charlotte<br />
und sie fühlte s<strong>ich</strong> etwas besser aber wir sprachen n<strong>ich</strong>t lange, weil man<br />
auch dort das Abendessen servierte. Beim Essen sprachen wir dann über<br />
den schlechten Heilungsprozess und Wiesel war es der m<strong>ich</strong> überraschte,<br />
als er sagte: »Ich werde gle<strong>ich</strong> mit Dr. Krohn von der Hardtwald-Klinik<br />
einmal sprechen. Wir sollten Charlotte vielle<strong>ich</strong>t besser hierher verlegen<br />
lassen, weil Krohn und sein Team über sehr gute Techniken verfügen. Er<br />
soll in dieser R<strong>ich</strong>tung einmal mit seinem Kollegen in Bremen sprechen.«<br />
Als er gle<strong>ich</strong> darauf in seinem Büro verschwand, sagte Anna<br />
bewundernd: »Was ist das nur für ein Mann. Er setzt s<strong>ich</strong> so sehr für <strong>Teufel</strong><br />
und seine Belange ein. Das finde <strong>ich</strong> wunderschön.«<br />
Hedwig sagte nur: »Ja, so ist er, aber Waldemar ist uns auch sehr an<br />
Herz gewachsen. Er ist unser großer Sohn.«<br />
150
Mir war so warm ums Herz, wie <strong>ich</strong> es nie beschreiben konnte.<br />
»Manchmal etwas ungestüm und eigensinnig, aber sonst ganz gut<br />
geraten«, fuhr Hedwig fort. Anna grinste ein wenig, als wenn sie Hedwig<br />
r<strong>ich</strong>tig verstand, was sie wohl damit meinen konnte.<br />
Wiesel kam wieder aus dem Arbeitszimmer und verkündete: »Das geht<br />
alles in Ordnung. Meyer aus Egelsbach wird morgen früh den<br />
Krankentransport machen, und wir holen Charlotte dort ab. Ein<br />
Krankenwagen der Klinik steht uns zur Verfügung. Fritz wird ihn fahren.«<br />
»Dann könnte <strong>ich</strong> ja mit diesem Meyer <strong>zurück</strong> nach Bremen fliegen«,<br />
meinte Anna.<br />
»Kommt n<strong>ich</strong>t in Frage. Sie bleiben uns wenigstens die Festtage erhalten.<br />
Noch ist die Gefahr n<strong>ich</strong>t gebannt, Frau Wagenfeld.«<br />
»Könnten Sie s<strong>ich</strong> <strong>daran</strong> gewöhnen m<strong>ich</strong> Anna zu nennen, dann fühle<br />
<strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> wesentl<strong>ich</strong> integrierte in diese Familie.«<br />
Spontan nahmen Hedwig und Wiesel sie in den Arm und wir fanden,<br />
dass wir diese Integration mit einem guten Rotwein besiegeln sollten. Wir<br />
setzten uns gerade gemütl<strong>ich</strong> und Wiesel dekantierte den Rotwein, als das<br />
Telefon schrillte. Wiesel hob den Hörer ab und wir hörten nur: »Das ist ja<br />
ganz fantastisch. Und wann geht es los? So, so, dann ist alles schon<br />
angelaufen. Prima. Ja, und Ihnen auch. Dann werden wir wohl Morgen<br />
schon davon in den Nachr<strong>ich</strong>ten hören. Gut, sie wird morgenfrüh um 10<br />
Uhr bei Ihnen sein. Vielen Dank, für die Information.«<br />
Wir alle drei sahen Wiesel fragend an, aber der fuhr erst einmal fort, den<br />
Rotwein in die Kristallkaraffe umzufüllen. Erst als er uns allen aus der<br />
Karaffe einschenkte, hob er sein Glas und wir taten es ihm nach.<br />
Sein Trinkspruch war noch schöner, als wir erwarteten: »Das war Trost<br />
vom BKA. Die Daten auf dem Notebook sind so aufschlussre<strong>ich</strong>, dass<br />
soeben ein ganz großer Schlag gegen den internationalen Rauschgifthandel<br />
gestartet wurde. Allein in fünf Städten hier in der Bundesrepublik werden<br />
Großrazzien laufen und der Unbekannte ist inzwischen auch identifiziert.<br />
Es ist ein Georgier, der auch dem BND n<strong>ich</strong>t unbekannt war. Die<br />
Wiesbadener haben allerdings noch n<strong>ich</strong>t herausfinden können, woher der<br />
Mordbefehl für Svetlov gekommen ist. Dieser Georgier ist wahrscheinl<strong>ich</strong><br />
nur ein versehentl<strong>ich</strong>es Opfer dieses Kirkoman und seinem Komplizen.<br />
Innerhalb der Organisation scheint Svetlov durch die belastenden<br />
Aussagen dieses Kleindealers Homer als Schwachpunkt angesehen worden<br />
zu sein, der beseitigt werden musste. Aber der Georgier scheint nur<br />
zufällig in die Schusslinie gekommen zu sein, denn den Unterlagen nach,<br />
muss er einer der w<strong>ich</strong>tigsten Kuriere gewesen sein.<br />
151
Die Bremer Rauschgiftabteilung ist von der Untersuchung völlig<br />
ausgeschlossen, weil man immer noch n<strong>ich</strong>t mit S<strong>ich</strong>erheit sagen kann, ob<br />
da n<strong>ich</strong>t ein Leck ist. Man geht davon aus, dass man die entwendeten<br />
Unterlagen aus Svetlovs Villa in Hamburg s<strong>ich</strong>erstellen kann. Dir, Anna,<br />
dankt Trost und lässt d<strong>ich</strong> grüßen. Du möchtest bitte Morgen um 10 Uhr<br />
drüben in Wiesbaden sein. Auf unser Wohl und unsere Gesundheit. Dies<br />
ist wohl die schönste Bescherung.«<br />
Nachdem wir einen Schluck von diesem herrl<strong>ich</strong>en Getränk genossen,<br />
sagte Anna leise: »Und das alles verdanken wir <strong>Teufel</strong> und dir Wiesel, und<br />
kein Mensch weiß das wirkl<strong>ich</strong>. Ihr habt Ausgaben gehabt und könnt sie<br />
noch n<strong>ich</strong>t einmal berechnen und <strong>ich</strong> kann euch gar n<strong>ich</strong>t genug danken,<br />
denn <strong>ich</strong> verdanke euch das Leben.«<br />
Wiesel und <strong>ich</strong> wischten das einfach beiseite und danach wurde es ein<br />
äußerst besinnl<strong>ich</strong>er Abend. Gegen 23 Uhr verabschiedeten s<strong>ich</strong> Hedwig<br />
und Wiesel und <strong>ich</strong> bekam nach dem trockenen Rotwein r<strong>ich</strong>tig Durst. Ich<br />
fragte Anna, ob sie auch noch ein Bier trinken möchte, und sie sagte<br />
begeistert ja. Wir saßen uns dazu in der Küche gegenüber und rauchten<br />
unsere letzte Zigarette. Dann gingen wir auch nach oben. Wir mussten uns<br />
nur das Bad teilen, aber wir fanden, das sei kein Problem. Sie sagte: Ich<br />
mache m<strong>ich</strong> nur schnell fertig, dann kannst du das Bad benutzen.«<br />
Ich hörte sie einen kleinen Augenblick im Bad hantieren. Danach war<br />
alles ruhig. Sie ließ die Badezimmertür ein wenig offen und das L<strong>ich</strong>t<br />
brennen und signalisierte mir so, dass <strong>ich</strong> jetzt hinein könne. Ich zog schon<br />
meinen Pyjama an und putzen nur noch meine Zähne und löschte das<br />
L<strong>ich</strong>t und ging in mein Zimmer. L<strong>ich</strong>t brauchte <strong>ich</strong> keins, denn der<br />
Mondschein erhellte das Zimmer genügend. Und dann erschrak <strong>ich</strong> aber<br />
doch. Als <strong>ich</strong> das Bett aufdeckte, lag der Mondschein auf einem hellen<br />
weibl<strong>ich</strong>en Körper und Anna sagte: »Komm deck uns wieder zu, sonst<br />
wird mir zu kalt.«<br />
Ich legte m<strong>ich</strong> widerstandslos neben sie und sie knöpfte meinen Pyjama<br />
wieder auf und sagte leise: »Ich habe m<strong>ich</strong> heute so sehr <strong>daran</strong> gewöhnt,<br />
<strong>Teufel</strong>, in deinem Arm zu liegen, dass <strong>ich</strong> jetzt n<strong>ich</strong>t darauf verz<strong>ich</strong>ten<br />
wollte. Ich dachte <strong>ich</strong> könnte dir auch ein klitzekleines Geschenk machen.<br />
Auch wenn deine Charlotte morgen hierher kommt.«<br />
Sie fühlte s<strong>ich</strong> wunderbar an. Sie küsste m<strong>ich</strong> erst sanft, später<br />
leidenschaftl<strong>ich</strong>er. Dabei streifte sie während ihr Mund an meinem Körper<br />
abwärts glitt ganz langsam die Pyjamahose ab. Dann war sie ganz über mir<br />
und explodierte schon nach ganz kurzer Zeit.<br />
152
Sie hatte ihren Oberkörper aufger<strong>ich</strong>tet und <strong>ich</strong> griff nach ihren Brüsten,<br />
die immer noch rund und fest waren. Wie ihr ganzer Körper straff und fest<br />
war.<br />
Sie war eine reife, fordernde Geliebte und <strong>ich</strong> nahm ihr Geschenk<br />
dankbar an. Es waren schöne Stunden und schließl<strong>ich</strong> schliefen wir<br />
erschöpft umarmt ein. Sie wollte s<strong>ich</strong> ja in meinen Armen befinden.<br />
Sie befand s<strong>ich</strong> noch beim Aufwachen in meinen Armen und wir<br />
kuschelten uns nochmals aneinander und <strong>ich</strong> konnte n<strong>ich</strong>t anders als ihre<br />
Lust erneut zu wecken. Sie weckte meine allerdings auch und das sogar<br />
sehr.<br />
Als sie s<strong>ich</strong> dann doch von mir löste, sagte sie nur: »Es war wunderbar,<br />
endl<strong>ich</strong> wieder mit einem Mann zusammen einzuschlafen und noch<br />
schöner auch mit ihm wieder aufzuwachen. Ich danke dir für eine<br />
unvergessl<strong>ich</strong>e Nacht und mache deine Charlotte genauso glückl<strong>ich</strong> wie<br />
m<strong>ich</strong>.«<br />
Sie gab mir noch einen sanften Kuss und war dann aus dem Zimmer<br />
verschwunden. Ich ließ mir Zeit beim Aufstehen. Erst als <strong>ich</strong> hörte, dass sie<br />
nach unten gegangen war, ging <strong>ich</strong> hinüber ins Bad. Hier waberten noch<br />
die Wellen des Dampfes und <strong>ich</strong> ging unter die Dusche und sang fröhl<strong>ich</strong><br />
vor m<strong>ich</strong> hin.<br />
Ich war der Letzte, der an den Kaffeetisch kam, den die beiden Frauen<br />
gedeckt hatten. Ich aß genüssl<strong>ich</strong> und dann warf <strong>ich</strong> die Frauen und auch<br />
Wiesel aus der Küche. Die sollte nun für die nächsten Stunden mein<br />
Arbeitsplatz werden.<br />
Ich bekam überhaupt n<strong>ich</strong>t mehr mit, dass Anna von Wiesel zum BKA<br />
gefahren wurde und auch Hedwig sah <strong>ich</strong> bis 12 Uhr mittags n<strong>ich</strong>t wieder.<br />
Im Ofen brutzelte die Gans und die Beilagen standen vorbereitet so, dass<br />
<strong>ich</strong> alles nur noch fertig kochen musste. Aus der Flasche Bier, die <strong>ich</strong><br />
benutzte, um die Gans damit hin- und wieder zu bestre<strong>ich</strong>en naschte <strong>ich</strong><br />
auch schon, und <strong>ich</strong> benötigte für meine Arbeit eine zweite Flasche.<br />
Ich ging zu Hedwig und setzte m<strong>ich</strong> zu ihr und rauchte eine Zigarette<br />
und sagte ihr: »Hoffentl<strong>ich</strong> sind Anna und Wiesel pünktl<strong>ich</strong> um ein Uhr<br />
<strong>zurück</strong>. Es wäre schade, wenn wir das edle Mahl warm halten müssen.«<br />
Als wäre es ein Signal gewesen, klingelte das Telefon und Wiesel<br />
meldete nur kurz, dass sie jetzt in Wiesbaden losfahren würden.<br />
Ich bereitete die Beilagen und als die Beiden ins Haus kamen, konnte <strong>ich</strong><br />
auftragen.<br />
Wiesel bekam die Aufgabe den Rotwein dazu auszuwählen und zu<br />
kredenzen. Danach musste er den großen Vogel tranchieren und <strong>ich</strong> legte<br />
vor.<br />
153
Wir machten das wie ein eingespieltes Team und besonders Anna<br />
bekam glänzende Augen. Und sie drückte das aus, was man auf ihrem<br />
Ges<strong>ich</strong>t ablesen konnte: »Es ist für m<strong>ich</strong> ein ganz besonders schöner Tag.<br />
Ich habe m<strong>ich</strong> selten so fantastisch gefühlt.«<br />
Und nach dem Essen ergänzte sie: »Und du, mein lieber <strong>Teufel</strong>, hast<br />
einen Großteil dazu beigetragen.<br />
Hedwig und Wiesel sahen s<strong>ich</strong> wissend an.<br />
Ich telefonierte um zwei Uhr mit der Klinik hier in der Nähe und man<br />
sagte mir, dass die Untersuchungen und Behandlungen abgeschlossen<br />
wären und <strong>ich</strong> um drei Uhr Charlotte besuchen dürfe.<br />
Dann ber<strong>ich</strong>tete Anna ausführl<strong>ich</strong>, welch ein großartiger Schlag gegen<br />
den organisierten Rauschgifthandel geführt werden konnte. Man stellte<br />
Unmengen an Unterlagen s<strong>ich</strong>er und große Mengen Heroin und Kokain.<br />
Die Staatsanwaltschaften in fünf deutschen Großstädten mussten in den<br />
nächsten Wochen und Monaten Überstunden schieben. Und es würde ein<br />
Rennen der Rechtsanwälte geben, die zum Teil sehr honorigen Bürger, die<br />
in diesem Händlerring mitwirkten, zumindest bis zu den<br />
Hauptverhandlungen wieder auf freien Fuß zu bekommen. Sie wusste<br />
auch zu ber<strong>ich</strong>ten, dass Kommissar Waldtmann eine Belobigung für sein<br />
ums<strong>ich</strong>tiges und erfolgre<strong>ich</strong>es Handeln im Falle der Ergreifung der Mörder<br />
Svetlovs erhielt.<br />
Und Wiesel sagte nur: »Trost kommt mit ein paar Leuten ebenfalls zur<br />
Einweihung deines Büros. Sie möchten aber n<strong>ich</strong>t, dass du ihnen die Hotels<br />
besorgst. Er meinte, dass sie privat unterkommen könnten.«<br />
Ich lachte: »Nur um n<strong>ich</strong>t in den Verdacht zu geraten, sie seien<br />
bestechl<strong>ich</strong>.«<br />
»Das ist schon w<strong>ich</strong>tig, <strong>Teufel</strong>. Das weißt du.«<br />
»Klar weiß <strong>ich</strong> das, aber <strong>ich</strong> würde m<strong>ich</strong> freuen, wenn <strong>ich</strong> sie privat<br />
unterbringen könnte. Zusammen mit Loretta Blacksmith und Henderson<br />
und vielle<strong>ich</strong>t sogar Pender, der Ire, der erst so gegen m<strong>ich</strong> eingestellt war.<br />
Und auch zusammen mit Hunter und vor allen Dingen Jill Monteferri aus<br />
Philadelphia. Das Portland selbst kommt, glaube <strong>ich</strong> allerdings n<strong>ich</strong>t.«<br />
»Ich wüsste schon, wo man das arrangieren könnte. Als internationale<br />
Tatortbes<strong>ich</strong>tigung. In der Villa von Svetlov zum Beispiel«, meinte Anna<br />
lachend, »soweit <strong>ich</strong> weiß, gibt es da keine Erben und bis zur<br />
Zwangsversteigerung durch den Staat, würde das Anwesen sowieso leer<br />
stehen. Die benutzte Wäsche würde <strong>ich</strong> schon r<strong>ich</strong>ten lassen.«<br />
154
Jetzt lachte auch Wiesel und meinte: »<strong>Wenn</strong> du das hinbekommen<br />
würdest, könnten die Beamten s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> auch noch einen Teil der<br />
Reisekosten über Spesen abrechnen, aber hast du deine Freunde in<br />
Amsterdam vergessen, <strong>Teufel</strong>? Und deine Freunde aus Berlin?«<br />
»Nein, nur vergessen sie aufzuzählen.«<br />
»Die Villa ist zwar groß, aber so groß auch wieder n<strong>ich</strong>t. Aber <strong>ich</strong> könnte<br />
auch mindesten vier Leute aufnehmen und wie viele kannst du<br />
aufnehmen?«<br />
»Alle Weibl<strong>ich</strong>en, da brauchen wir weniger Betten.«<br />
Ich rechnete n<strong>ich</strong>t damit, dass sowohl Anna als auch Hedwig nach mir<br />
schlugen. »Sei n<strong>ich</strong>t solch ein Chauvi, sonst nehmen wir d<strong>ich</strong> einmal in die<br />
Mangel, dann brauchst du überhaupt keinen Platz mehr im Bett.«<br />
»Das Ganze wird mir hier zu gefährl<strong>ich</strong>, <strong>ich</strong> gehe jetzt ins Krankenhaus.«<br />
Mit allen mögl<strong>ich</strong>en guten Wünschen wurde <strong>ich</strong> hinüber ins<br />
Krankenhaus geschickt. Und hier erwartete m<strong>ich</strong> gle<strong>ich</strong> die nächste<br />
Überraschung und <strong>ich</strong> bekam wieder einmal die weibl<strong>ich</strong>e Übermacht zu<br />
spüren. Denn Charlotte empfing m<strong>ich</strong> lachend und den Worten: »N<strong>ich</strong>ts da<br />
mein Lieber, wenn ein weibl<strong>ich</strong>es Wesen in deinem Bett liegen sollte, dann<br />
bin <strong>ich</strong> das, und n<strong>ich</strong>t eine ganze Hundertschaft. Komm jetzt und küss<br />
m<strong>ich</strong>, du Weiberheld.«<br />
Es wurde ein langer Kuss und ein ganz klein wenig schlechtes Gewissen,<br />
wegen der letzten Nacht kam in mir hoch.<br />
Als <strong>ich</strong> ihr dann mein Weihnachtsgeschenk überre<strong>ich</strong>te, weinte sie vor<br />
Freude. Und als endl<strong>ich</strong> ihre Tränen getrocknet waren, meinte sie: »<strong>Teufel</strong>,<br />
du bist unmögl<strong>ich</strong>; aber du machst m<strong>ich</strong> unendl<strong>ich</strong> glückl<strong>ich</strong>. Dieses<br />
traumhafte Geschenk, das <strong>ich</strong> mir schon so lange wünschte. Ich habe es<br />
schon in der Bremer Böttcherstraße gesehen. Die Überführung hier ins<br />
Krankenhaus, die jetzt schon Wunder zu wirken scheint, weil <strong>ich</strong> keine<br />
Schmerzen mehr spüre. Und dann die Nachr<strong>ich</strong>ten, was du alles für die<br />
Bremer Polizei getan hast. Ich habe mit Anna Wagenfeld gesprochen. Sie<br />
schwärmt von dir. Ist sie wirkl<strong>ich</strong> so attraktiv, wie sie s<strong>ich</strong> am Telefon<br />
anhört?«<br />
»Ja, sie ist eine attraktive Frau, und nett und blitzgescheit.«<br />
»Gut dann reden wir jetzt von den Vorbereitungen für unsere Party.<br />
<strong>Wenn</strong> wir vorhin auch über die Unterbringung deiner privaten Gäste<br />
gelästert haben, und deinen Chauvinismus, auch <strong>ich</strong> könnte in meiner<br />
kleinen Wohnung noch mindestens zwei Frauen unterbringen.«<br />
155
»Du, es sind nur drei Polizistinnen, die <strong>ich</strong> unterbringen müsste. Es wird<br />
kein Problem sein, die bei Anna unterzubringen.<br />
Die Schwierigkeit sehe <strong>ich</strong> nur in der Anzahl der netten jungen Männer,<br />
die mir s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> alle Konkurrenz machen werden, in der Gunst dieser<br />
Frauen, d<strong>ich</strong> mit eingeschlossen. Ich glaube, <strong>ich</strong> halte besser diese ganze<br />
Veranstaltung n<strong>ich</strong>t ab.«<br />
Sie lachte höhnisch und meinte, dass <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> doch wohl gegen<br />
Konkurrenz durchsetzen könnte.<br />
Wir flachsten und wurden wieder ernst, und trotzdem kam dabei eine<br />
sinnvolle Planung heraus. Es war schon fantastisch, wie ihre planerischen<br />
Fähigkeiten waren. Dinge, die <strong>ich</strong> nie so betrachtete, wie zum Beispiel die<br />
Planung von Getränkebestellungen oder zu welchen Toiletten wir<br />
zusätzl<strong>ich</strong> Zugang haben müssten. Es ging ihr alles locker von der Hand.<br />
Und als sie die ganzen Punkte, die wir innerhalb der letzten drei Stunden<br />
besprachen, zusammenfasste, war <strong>ich</strong> überrascht, wie sie alles in<br />
konzentrierter Form wiedergab. Und dabei hatte sie s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t eine Notiz<br />
gemacht. Als ihr ein frühes Abendessen gebracht werden sollte, winkte sie<br />
ab, um anzuzeigen, dass sie jetzt noch keine Zeit habe und die Schwester<br />
fast verschüchtert fragte, ob es recht wäre, wenn sie in einer halben Stunde<br />
wiederkäme, da musste <strong>ich</strong> lachen. Charlotte hatte das Kommando<br />
übernommen, und dagegen würde <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>ts unternehmen können.<br />
Mit einem langen Kuss verabschiedeten wir uns voneinander und <strong>ich</strong><br />
schickte die Schwester ins Zimmer, als <strong>ich</strong> ging.<br />
M<strong>ich</strong> erfasste eine fast überschwängl<strong>ich</strong>e Stimmung, als <strong>ich</strong> wieder<br />
<strong>zurück</strong> zur Villa Starck ging. Ich war erfreut, dass es Charlotte wieder so<br />
gut ging. Und das innerhalb eines halben Tages, nachdem sie hier gelandet<br />
war. Man entfernte ihr sofort die Dränage, weil man hier der Meinung war,<br />
dass sie nur der Eingang für Bakterien wäre, und mit einem Wasserstau in<br />
Brustraum n<strong>ich</strong>t mehr zu rechnen wäre. Man ging hier sogar davon aus,<br />
dass s<strong>ich</strong> die Entzündungen erst durch diesen Kanal entwickeln konnten.<br />
N<strong>ich</strong>t ein verseuchtes Messer wäre der Auslöser gewesen. Man brachte<br />
durch den St<strong>ich</strong>kanal nochmals örtl<strong>ich</strong> wirkende Antibiotika mit langen<br />
Nadeln dort hin, wo man die Entzündungsherde ausmachte und damit<br />
wollte man es bewenden lassen. Man erklärte Charlotte, dass man die<br />
Verbände etwas straffer um ihren Oberkörper wickeln würde, aber n<strong>ich</strong>t<br />
mehr in der Dicke, wie es ehemals gewesen war. Außerdem platzierte man<br />
ledigl<strong>ich</strong> ein größeres Päckchen Verbandmull mit einer antiseptischen<br />
Heilsalbe über der Wunde und verwandte elastische Binden. Das engte<br />
zwar den Brustkorb ein wenig ein, aber zog auch die Wundränder<br />
zusammen.<br />
156
Sie fühlte s<strong>ich</strong> auf jeden Fall schon wesentl<strong>ich</strong> besser und war auch<br />
schmerzfrei, solange sie s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t heftig bewegte.<br />
Und ein weiterer Faktor schien ebenfalls Wirkung zu zeigen: Sie wurde<br />
mit weitaus mehr Aufmerksamkeit betreut, als dort im städtischen<br />
Krankenhaus. Sie belegte zwar auch dort ein Einzelzimmer, und war auch<br />
schon auf der Privatstation versorgt worden, aber immer noch städtisch<br />
anonym. Hier war sie wer. Letztendl<strong>ich</strong> dokumentierte sie diesen kleinen<br />
Machtanspruch ja auch dadurch, dass sie die Schwester einfach wieder<br />
hinausschickte, wie der Chef seine störende Sekretärin. Den Trick wollte<br />
<strong>ich</strong> mir merken. Ich war mir nur n<strong>ich</strong>t s<strong>ich</strong>er, ob <strong>ich</strong> jemals diese<br />
Handbewegung erlernen würde, die sie anwandte, um anzudeuten, dass<br />
die Schwester störte.<br />
Erst kurz vor der Villa kamen kurz schwärzere Gedanken in meinem<br />
Kopf auf. Irgendetwas passte in dem Fall Svetlov noch n<strong>ich</strong>t. Und zwar die<br />
Rolle des ermordeten Staatsanwalts Bauer. Das BKA ging in der<br />
Zwischenzeit davon aus, dass er log, und dass er den Mordbefehl an<br />
Kirkoman gab. Dann hätte er aber auch in den Unterlagen von Svetlov als<br />
Eingeweihter auftauchen müssen, oder in den Unterlagen der anderen<br />
Rauschgiftbosse. Auf der anderen Seite, wie sollte der Mörder Kirkoman<br />
als Informant für Bauer tätig gewesen sein. Für m<strong>ich</strong> gab es da immer noch<br />
eine große Lücke und wieso ermordete man ihn, aber Anne n<strong>ich</strong>t?<br />
Mir war klar, dass mir diese Frage auch in der nächsten Zukunft n<strong>ich</strong>t<br />
aus dem Kopf gehen würde. Auch wenn für die Polizei die Akten<br />
wunderbar geschlossen werden konnten und nur noch die Schuld der<br />
Einzelnen ger<strong>ich</strong>tsrelevant verwertet werden musste. Für m<strong>ich</strong> gab es noch<br />
zu viele offene Fragen. Ich wusste auch, dass <strong>ich</strong> bei Anna und Wiesel auf<br />
taube Ohren stoßen würde, wenn <strong>ich</strong> meine Bedenken an der ganzen<br />
Gedankenkonstruktion der Polizeikräfte anmeldete. Ich war der Meinung,<br />
das alles war n<strong>ich</strong>t schlüssig.<br />
Ich stand in Gedanken versunken in der Dunkelheit vor Wiesels Villa<br />
und grübelte weiter, ohne weiter zu gehen. Ich stand dort und versuchte<br />
meine Gedanken fliegen zu lassen. Erst als der Nieselregen einsetzte, ging<br />
<strong>ich</strong> ins Haus.<br />
Die Drei empfingen m<strong>ich</strong> natürl<strong>ich</strong> mit Spott, als <strong>ich</strong> nass geregnet ins<br />
Haus kam. Sie wollten von mir wissen, welche hübsche Schwester des<br />
Krankenhauses m<strong>ich</strong> denn hierher bringen musste, von der <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> dann<br />
n<strong>ich</strong>t lösen konnte und dabei dann so nass geworden war. Aber das würde<br />
mir als Frauenheld ja n<strong>ich</strong>t besonders viel ausmachen.<br />
Ich ließ sie lästern und sagte, nachdem <strong>ich</strong> auch einige Schnitten aß, die<br />
Hedwig wieder liebevoll anr<strong>ich</strong>tete: »Weil wir gerade dabei sind.<br />
157
Ich habe ein Plakat gesehen, dass heute Abend eine reine Frauenband<br />
drüben in Oberursel in einer Kneipe ein Konzert gibt, die sollte <strong>ich</strong> dann<br />
bei meinem Verschleiß vielle<strong>ich</strong>t auch noch mitnehmen. Wollen wir hin?«<br />
Als <strong>ich</strong> Hedwig auch noch den Namen der Band verriet, sagte sie sofort:<br />
»Da wollen wir n<strong>ich</strong>t hin, da müssen wir hin!«<br />
Hedwig erklärte Anna, welch eine Art von Lokal es sei und wie wir<br />
gekleidet sein sollten. Wir gingen nach oben und zogen uns um.<br />
Freizeitl<strong>ich</strong> locker verließen wir die Villa und orderten dazu ein Taxi. Der<br />
Eintritt war erschwingl<strong>ich</strong> und wir fanden an einem Stehtisch fast direkt<br />
vor der Bühne Platz. Wir orderten alle Bier, dass uns in Halbliterkrügen<br />
serviert wurde und zwanzig Minuten später ging das Spektakel los.<br />
Im ersten Augenblick glaubte <strong>ich</strong>, im falschen Film zu sein. Eine<br />
gertenschlanke Frau stieg hinter die Drumms und machte s<strong>ich</strong> warm. Mir<br />
flogen fast die Ohren weg, als sie ein Solo hinlegte, wie <strong>ich</strong> es in früheren<br />
Jahren bei der Hardrockband »Kiss« erlebte.<br />
Die weiteren vier Frauen hätten s<strong>ich</strong> ohne weiteres sofort für die<br />
Sumoringer-Oberklasse anmelden können. Das Gew<strong>ich</strong>t und die Figuren<br />
brachten sie auf jeden Fall dafür mit.<br />
Nach einem ganz kurzen Soundcheck legten sie los, und was sie<br />
spielten, war Rockmusik vom Feinsten. Die Gitarristin legte gle<strong>ich</strong> zu<br />
Anfang ein Solo hin, das m<strong>ich</strong> zittern ließ. So klare Töne und Tonfolgen<br />
waren selbst bei Meistern dieser Kategorie selten zu hören, und als endl<strong>ich</strong><br />
die Bassistin einfiel und ebenfalls zu einem Solo ansetzte, war der Anfang<br />
schon fast n<strong>ich</strong>t zu hören gewesen, weil der Beifall für die Gitarrespielerin<br />
so stark aufbrauste. Aber die Bassistin war routiniert genug, ihre Akkorde<br />
einfach zu wiederholen, um dann r<strong>ich</strong>tig loszulegen, als es wieder ruhiger<br />
in der großen Gaststätte wurde. Auch sie war einfach virtuos auf ihrem<br />
Instrument. Sie bekam ebenso viel Beifall wie die Gitarristin. Und dann<br />
setzten s<strong>ich</strong> die Saxofonistin und die Keyboarderin gle<strong>ich</strong>zeitig in Szene.<br />
Der Beifall erscholl fast während ihres ganzen Spiels. Sie waren aber auch<br />
Spitzenklasse und sie wurden sanft abgelöst, durch ein kurzes<br />
Schlagzeugsolo, in das alle Instrumente jazzartig einstimmten. Dann<br />
erschien aus den hinteren Regionen eine weitere Frau, die noch dicker war,<br />
als alle anderen Frauen auf der Bühne. Das Keyboard gab die Tonhöhe vor<br />
und schon bevor die Frau auf der Bühne war, röhrte ihre Stimme, in die<br />
das Saxofon hineinfiel. Zunächst war es kein Gesang im eigentl<strong>ich</strong>en Sinne.<br />
Es waren die Tonmodulationen, wie <strong>ich</strong> sie von Mike Oldfield her kannte,<br />
wo eine weibl<strong>ich</strong>e Stimme, die Genialität auf den verschiedensten<br />
Instrumenten untermalte.<br />
158
Dann kam der erste Text und die Stimme dieser hellhäutigen Frau besaß<br />
den Klang und das Volumen einer dunkelhäutigen Jazzsängerin. Es war<br />
absolut faszinierend. Nachdem Intro fetzten die Frauen einen so<br />
fantastischen Rock in den Raum, dass auch Wiesel und Hedwig die Beine<br />
zuckten. Hedwig hatte das beste Gespür, wann die Frauen eine kurze<br />
Getränkepause einlegen wollten und bestellte schon vorher eine frische<br />
Runde Bier. Wir bekamen fast sofort unsere Getränke, während die<br />
anderen Gäste ihre erst bekamen, als die Band schon wieder spielte.<br />
In einer weiteren kleinen Pause sagte Wiesel nur: »Die sollten wir zu<br />
deiner Einweihung in der Eingangshalle der Baumwollbörse haben. Stell<br />
dir einmal das Klangvolumen durch das Treppenhaus vor. Es wäre<br />
bombastisch.<br />
Ich bekam es überhaupt n<strong>ich</strong>t mit, dass Hedwig sofort die Idee aufnahm<br />
und mit einem Menschen hinter der Theke sprach. Wir bekamen eine neue<br />
Runde Bier und Hedwig war in den hinteren Gefilden der Gaststätte<br />
verschwunden. Als sie wieder kam, strahlte sie. Und wenig später ging das<br />
Konzert weiter. Wie die Frauen dabei mit s<strong>ich</strong> umgingen auf der Bühne,<br />
ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, dass <strong>ich</strong> bei ihnen keine Chance<br />
gehabt hätte. Nach dem Schlusssolo der Drummerin, dass eine<br />
Gesangseinlage über mindestens drei Oktaven der Leadsängerin abschloss,<br />
küssten s<strong>ich</strong> beide so intensiv auf den Mund, dass spätestens dann allen<br />
bekannt war, dass sie lesbisch waren. Auch die anderen Musikerinnen<br />
waren Pärchen.<br />
Die Leadsängerin sprang von der n<strong>ich</strong>t allzu hohen Bühne und kam<br />
direkt an unseren Tisch und streckte mir die Hand hin. Ich nahm sie in den<br />
Arm und küsste ihre Wangen und sagte ihr, wie toll <strong>ich</strong> das Konzert<br />
gefunden hätte.<br />
Sie sagte mit ihrer n<strong>ich</strong>t einzuordnenden Stimme: »Gebongt. Die Sache<br />
in Bremen machen wir. Und das soll jetzt am 6. Januar sein?«<br />
Ich war immer noch ein wenig verwirrt aber Hedwig antwortete für<br />
m<strong>ich</strong>: » Ja, am 6. Januar in der Baumwollbörse zu Bremen. Da gibt es ein<br />
irre großes Treppenhaus, das eine ganz andere Akustik hat, wie hier der<br />
geschlossene Raum. Ihr müsst mindestens am Abend des 5. Januar einen<br />
Soundcheck machen, der alle Veränderungen des Tonverhaltens<br />
berücks<strong>ich</strong>tigt. Wir gehen davon aus, dass mindestens Radio Bremen und<br />
der Norddeutsche Rundfunk über das Ereignis ber<strong>ich</strong>ten. Es könnte<br />
Nachfolgeauftritte daraus resultieren.«<br />
Inzwischen standen alle Mitglieder der Band an unserem Tisch und<br />
neben frischen Bieren kamen auch die Mixgetränke für die Frauenband.<br />
Die sahen ganz schön kräftig aus.<br />
159
Die nachfolgenden Verhandlungen wurden von Hedwig in meinem<br />
Namen geführt und keine der Frauen beachtete m<strong>ich</strong> überhaupt. Aber <strong>ich</strong><br />
wusste nach wenigen Sätzen: Diese fetzige Musik hätte <strong>ich</strong> zu meiner<br />
Eröffnungsfeier.<br />
So ganz langsam fing <strong>ich</strong> an, m<strong>ich</strong> auf das Ereignis zu freuen. <strong>Wenn</strong> alles<br />
so lief, wie wir es uns jetzt vorstellten, würde es mehr ein gelungener PR-<br />
Auftritt, denn eine Eröffnungsveranstaltung eines Privatdetektivbüros sein.<br />
Wie sollte <strong>ich</strong> nachher privat ermitteln, wenn mein Ges<strong>ich</strong>t überall bekannt<br />
war. Aber wenn <strong>ich</strong> strikt meiner eigenen Devise folgte, als<br />
Wirtschaftsexperte für dieserart Nachforschungen auftreten zu wollen,<br />
dann war es egal, ob man mein Antlitz kannte oder n<strong>ich</strong>t.<br />
Als wir nach Hause fuhren, kuschelte s<strong>ich</strong> Anna wieder an m<strong>ich</strong>, als<br />
wenn es Charlotte n<strong>ich</strong>t gab. Hedwig, die ebenfalls mit uns im Fond saß,<br />
übersah es einfach, und als wir nach Hause kamen, sagte sie nur noch:<br />
»Schlaft gut«, bevor sie auf der anderen Seite der Villa mit ihrem Wilhelm<br />
nach oben ging.<br />
Als Anna und <strong>ich</strong> uns in der Küche bei einer weiteren Flasche Bier<br />
gegenübersaßen, sagte Anna leise: »Ich werde heute von dir Abschied<br />
nehmen, mein geliebter <strong>Teufel</strong>. Ich werde d<strong>ich</strong> nochmals genießen und<br />
dann für immer für deine Charlotte freigeben. <strong>Teufel</strong>, <strong>ich</strong> will den Sex mit<br />
dir. Ohne Grenzen. Ich will d<strong>ich</strong> und m<strong>ich</strong> in Ekstase erleben, und wenn es<br />
mein letztes sexuelles Erlebnis ist. Ich will deinen Körper genießen und<br />
n<strong>ich</strong>ts von Liebe hören, sondern nur von deinem Verlangen nach mir und<br />
meinem Verlangen nach dir. Ich möchte d<strong>ich</strong> sexuell ausnutzen, für m<strong>ich</strong><br />
und meinen Körper. Ich möchte d<strong>ich</strong> spüren. Mit jeder Faser meines<br />
Körpers.«<br />
Sie ließ bei ihrer Ansprache ihre Hand sanft über meine Hose gleiten<br />
und konnte feststellen, wie <strong>ich</strong> reagierte.<br />
Mit rauer Stimme sagte <strong>ich</strong>: »Dann lass uns gehen.«<br />
Diesmal waren wir in ihr Zimmer gegangen und es herrschte helles<br />
L<strong>ich</strong>t. Ich konnte auch bei dieser Beleuchtung feststellen, was für einen<br />
jugendl<strong>ich</strong>en und straffen Körper sie besaß. Sie erinnerte m<strong>ich</strong> von ihrem<br />
Körperbau an Angelika, die ebenfalls Polizistin gewesen war.<br />
Ich reagierte schon beim Anblick ihres sportl<strong>ich</strong> durchtrainierten<br />
Körpers und sie stre<strong>ich</strong>elte m<strong>ich</strong> sanft. Danach folgte eine Liebesnacht der<br />
Superlative. Jedes Mal, wenn wir glaubten, dass der Partner schlapp<br />
machen würde, kannten wir andere Stimulierungsmögl<strong>ich</strong>keiten und der<br />
Partner war wieder fit.<br />
Irgendwann in der Nacht waren wir dann eingeschlafen, aber selbst im<br />
Aufwachen griffen wir wieder nacheinander.<br />
160
Mit einem sehr zärtl<strong>ich</strong>en Abschlussakkord verabschiedeten wir uns<br />
voneinander.<br />
Später, als wir nach dem Frühstück einen kleinen Augenblick allein in<br />
der Küche saßen, sagte Anna: »Es werden die unvergessl<strong>ich</strong>sten<br />
Weihnachtstage für m<strong>ich</strong> sein. Ich danke dir für diese Zeit. Und <strong>ich</strong> danke<br />
es Hedwig und Wiesel. Und nun vergiss, dass es eine ältere dankbare Frau<br />
gibt, und widme d<strong>ich</strong> nur noch deiner Charlotte. Ich hoffe, du hast die Zeit<br />
m<strong>ich</strong> gle<strong>ich</strong> zum Flughafen zu fahren.<br />
Am Flughafen verabschiedeten wir uns mit einer langen stummen<br />
Umarmung. Wenig später war sie durch die Personenkontrolle<br />
verschwunden.<br />
Ich fuhr langsam <strong>zurück</strong> und fühlte immer noch den sanften Druck ihres<br />
Körpers an meinem.<br />
Erst nach unserem Essen, den Resten unseres gestrigen Festschmauses,<br />
ging <strong>ich</strong> hinüber ins Krankenhaus. Eine lächelnde Charlotte kam mir auf<br />
dem Gang entgegen. Sie trug einen cremefarbenen Bademantel und hakte<br />
s<strong>ich</strong> bei mir ein. Wir gingen gemeinsam in die Kantine und als Erstes bat<br />
sie um eine Zigarette. Als wir uns dann gegenübersaßen, fragte sie schl<strong>ich</strong>t:<br />
»Ist es jetzt vorbei? Die Gesch<strong>ich</strong>te mit Anna?«<br />
»Ja, aber wir werden s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> Freunde fürs Leben bleiben.«<br />
Charlotte hauchte: »Das ist gut so. Ich hoffe, die Dritte im Bunde sein zu<br />
dürfen.«<br />
Nach einer Weile – wir hatten unsere Zigaretten schon ausgeraucht und<br />
ausgemacht – fragte <strong>ich</strong> sie: »Woher wusstest du?«<br />
»<strong>Teufel</strong>, du magst zwar ein guter Detektiv sein, aber eines wird dir<br />
immer fehlen: die weibl<strong>ich</strong>e Intuition und der weibl<strong>ich</strong>e Geruchssinn. Du<br />
kannst noch so gut geduscht haben, <strong>ich</strong> werde es immer riechen, ob du mit<br />
einer anderen Frau geschlafen hast. Und das habe <strong>ich</strong> gestern schon. Aber<br />
mein Gefühl hat mir gesagt, dass es für d<strong>ich</strong> keine Herzensangelegenheit,<br />
sondern nur eine eher physische Angelegenheit. <strong>Teufel</strong>, <strong>ich</strong> aber liebe d<strong>ich</strong><br />
von ganzem Herzen. Und jetzt gebe mir noch eine Zigarette und wir<br />
rauchen eine Friedenspfeife zusammen.<br />
Ich rauchte sie ihr an und ging um den Tisch und kniete neben ihrem<br />
Stuhl und gab ihr einen langen Kuss, den sie zärtl<strong>ich</strong> erwiderte. Eine<br />
Schwester, die in den Raum kam, hüstelte diskret und lächelte uns an, als<br />
sie an uns vorbeiging.<br />
161
Ich stand wieder auf und setzte m<strong>ich</strong> wieder auf meinen Stuhl. Als die<br />
Schwester wieder vorbeikam, sagte sie: »Frau Hansen, sie scheinen ja<br />
hervorragende Genesungsfortschritte zu machen.«<br />
Charlotte lächelte die Frau an und sagte: »Kein Wunder bei der Pflege,<br />
die mir von allen Seiten geleistet wird. Ob <strong>ich</strong> wohl schon einen kleinen<br />
Spaziergang machen darf?«<br />
»<strong>Wenn</strong> Sie s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t zu enge Kleidung anziehen hat der Arzt s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong><br />
n<strong>ich</strong>ts dagegen. Aber überanstrengen Sie s<strong>ich</strong> bitte noch n<strong>ich</strong>t.«<br />
Als wir ausgeraucht hatten, gingen wir in das Krankenzimmer und<br />
Charlotte zog ihren Bademantel und auch ihr Nachthemd aus. Ich<br />
bewunderte ihren makellosen Körper und sie lächelte m<strong>ich</strong> an und sagte:<br />
»Ganz vors<strong>ich</strong>tig darfst du m<strong>ich</strong> schon in den Arm nehmen. Ich fühle d<strong>ich</strong><br />
auch sehr gerne.«<br />
Und <strong>ich</strong> genoss es ebenso und so standen wir einen kleinen Augenblick<br />
aneinandergelehnt und <strong>ich</strong> spürte, wie es m<strong>ich</strong> erregte. Charlotte lachte<br />
und str<strong>ich</strong> leise mit der Hand über meine Hose und sagte: »Ich freue m<strong>ich</strong>,<br />
dass du m<strong>ich</strong> immer noch begehrst.«<br />
Dann zog sie s<strong>ich</strong> schnell an und sagte: »Und nun möchte <strong>ich</strong> deine<br />
»Familie« kennenlernen, die m<strong>ich</strong> hier so fantastisch untergebracht hat.«<br />
Wir fuhren mit einem Taxi hinüber und die Freude bei Hedwig und<br />
Wiesel war groß. Wir saßen bis zum Abendessen zusammen und<br />
diskutierten, wie unsere Party zur Eröffnung ablaufen könnte.<br />
Zum Abendessen brachte <strong>ich</strong> Charlotte <strong>zurück</strong> in die Klinik und sie<br />
lehnte s<strong>ich</strong> fest an m<strong>ich</strong> und sagte zum Abschied: »Was hast du für ein<br />
Glück, mit solchen Menschen zusammen zu sein.«<br />
Ich küsste sie sanft und sagte: »Du gehörst jetzt dazu, mein Herz.«<br />
19<br />
Jahreswechsel<br />
Als <strong>ich</strong> aus der Klinik <strong>zurück</strong>kam, setzten wir uns zu einem gemütl<strong>ich</strong>en<br />
Abend zusammen und Hedwig strahlte m<strong>ich</strong> auf ihre besondere Art an<br />
und sagte schl<strong>ich</strong>t: »<strong>Wenn</strong> du diesen Goldschatz n<strong>ich</strong>t festhalten kannst,<br />
dann hast du selbst schuld. Und <strong>ich</strong> muss dir n<strong>ich</strong>t sagen, dass sie d<strong>ich</strong><br />
liebt. Sie wird dir eine ebenbürtige Partnerin sein.«<br />
Als Wiesel dann mit einer Flasche besonderen Rotweins den Abend zu<br />
einem weiteren Festtag gestaltete, sagte er nur:<br />
162
»Die Verlegung hier in die Klinik scheint ein besonderer Glücksfall zu<br />
sein, denn welch tollen Fortschritte hat Charlotte doch schon in so kurzer<br />
Zeit gemacht. Ich werde morgen mit Dr. Krohn sprechen, damit wir weiter<br />
planen können. Wir wollen ja den Jahreswechsel in Bremen verbringen.<br />
Wir haben mit Ach und Krach noch eine Suite im Parkhotel bekommen, die<br />
möchte <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t absagen müssen.«<br />
Als <strong>ich</strong> später in meinem Bett lag, musste <strong>ich</strong> an Hedwigs Worte denken<br />
und nahm mir vor, m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t wieder so le<strong>ich</strong>t verführen zu lassen, wie es<br />
Anna konnte. Ich wollte endl<strong>ich</strong> einmal einen Goldschatz halten können<br />
und n<strong>ich</strong>t gle<strong>ich</strong> wieder verlieren.<br />
Das Gespräch am nächsten Tag zwischen Wiesel und Dr. Krohn verlief<br />
so positiv, dass wir planen, konnten am Mittwoch den 29. Dezember nach<br />
Bremen zu reisen. Nach der Morgenvisite war es Charlotte schon erlaubt<br />
worden mit in die Villa zu kommen. Sie musste allerdings vers<strong>ich</strong>ern, dass<br />
sie keine Schwerarbeit verr<strong>ich</strong>ten dürfte.<br />
Und dennoch verr<strong>ich</strong>tete sie Schwerarbeit, wenn auch keine Körperl<strong>ich</strong>e.<br />
Ich wies sie in das Buchhaltungsprogramm ein und sie machte s<strong>ich</strong> eifrig<br />
Notizen. Als wir dann nach dem Mittagessen, das Hedwig bereitete,<br />
wieder an den Computer gingen, sagte Charlotte plötzl<strong>ich</strong>: »Ich sollte m<strong>ich</strong><br />
eine Stunde hinlegen. Für mehr re<strong>ich</strong>t meine Kraft noch n<strong>ich</strong>t.«<br />
Ich brachte sie nach oben in mein Zimmer, gab ihr einen kleinen Kuss<br />
und sagte, dass sie s<strong>ich</strong> ausruhen solle.<br />
Während Charlotte ruhte, machten Wiesel und <strong>ich</strong> weitere Pläne für den<br />
Ablauf der Eröffnungsfeier.<br />
»Wir wollten auf jeden Fall versuchen, die Freunde von der Polizei<br />
schon am Mittwochabend zu einem gemeinsamen Essen in der Innenstadt<br />
zusammenzubringen. Und dabei sollten natürl<strong>ich</strong> auch Killroy, die<br />
Bradleys, und Wölbern sein. Deine Ausbildungsstätten und Lehrmeister.«<br />
Beim letzten Wort musste <strong>ich</strong> ein wenig grinsen, denn <strong>ich</strong> dachte <strong>daran</strong>,<br />
dass <strong>ich</strong> denen eigentl<strong>ich</strong> immer etwas beibrachte. Dass individuelle<br />
Inspiration den Herrschaften immer Dampf machte. Anstatt, dass <strong>ich</strong> dort<br />
lernte, im Team zu arbeiten, hatte <strong>ich</strong> mit meinen ausgefallenen Ideen<br />
immer wieder dafür gesorgt, dass ein Team für m<strong>ich</strong> arbeiten musste. Für<br />
m<strong>ich</strong>, den Einzelgänger.<br />
Aber es erfüllte m<strong>ich</strong> auf der anderen Seite mit großem Stolz, wie diese<br />
Männer und Frauen s<strong>ich</strong> auch immer für m<strong>ich</strong> einsetzten. Meine Freude<br />
auf »mein Fest« wuchs.<br />
Zwei Stunden später kam Charlotte wieder nach unten und wirkte<br />
frisch, als sei sie ganz gesund.<br />
163
Wir arbeiteten zusammen noch weitere zwei Stunden an dem<br />
Buchungsprogramm und dann brachte <strong>ich</strong> sie wieder mit Wiesels Auto in<br />
die Klinik. Auf der Fahrt dorthin meinte Charlotte nur le<strong>ich</strong>thin: »<strong>Wenn</strong><br />
wir unser erstes großes Honorar verdient haben, dann möchte <strong>ich</strong>, dass wir<br />
auch solch ein Auto fahren. Es ist edel.«<br />
Ich verschwieg ihr, dass <strong>ich</strong> mir mit meinem Vermögen es ebenfalls jetzt<br />
schon hätte leisten können, einen solchen Wagen zu fahren. Aber das hätte<br />
bedeutet, dass <strong>ich</strong> Gelder aus der Betreuung von Vermeer und seiner<br />
Tochter hätte abziehen müssen, und die waren dabei, es immer weiter zu<br />
vermehren. Aber dieser Re<strong>ich</strong>tum machte m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t glückl<strong>ich</strong>. Glückl<strong>ich</strong><br />
war <strong>ich</strong> nur durch den Menschen neben mir, und das wiederum sagte <strong>ich</strong><br />
ihr. Unser Abschiedskuss fiel daher auch wohl ein wenig zu heftig aus,<br />
denn sie stöhnte plötzl<strong>ich</strong> und sagte: »Schade, das geht immer noch n<strong>ich</strong>t.<br />
Schlaf gut, mein <strong>Teufel</strong>.«<br />
Wir saßen zu dritt dann drüben in der Villa noch zusammen und<br />
arbeiteten unsere Pläne konkreter aus.<br />
Am nächsten Morgen sollte noch einmal eine Generaluntersuchung von<br />
Charlotte vorgenommen werden, um eine endgültige Entscheidung zu<br />
bringen, ob sie am darauf folgenden Tag mit uns nach Bremen fahren<br />
könnte. Es war Wiesel gewesen, der heute Vormittag, als <strong>ich</strong> mit Charlotte<br />
im Buchhaltungsprogramm arbeitete, mit Stadtler die Verbindung, der die<br />
Vorbereitungen für die Mitwirkung der übrigen Mieter in der<br />
Baumwollbörse zu diesem Event ankurbeln sollte, besprach. Was mir<br />
Wiesel allerdings verschwieg, war die Tatsache, dass Stadtler inzwischen<br />
eine ungeheure Werbekampagne für die Baumwollbörse anschob. Die<br />
Baumwollbörse sollte mit der Eröffnung meines Büros als Institution und<br />
als Anreiz für Touristen für Bremen noch w<strong>ich</strong>tiger werden.<br />
<strong>Wenn</strong> <strong>ich</strong> das gewusst hätte, wäre <strong>ich</strong> sofort krank geworden und hätte<br />
alles abgeblasen.<br />
Am nächsten Tag schickte m<strong>ich</strong> Hedwig zu einem Friseur, der meinen<br />
Wildwuchs auf meinem Kopf ein wenig bändigen sollte. Kurz vor dem<br />
Mittagessen durfte <strong>ich</strong> dann Charlotte aus der Klinik holen. Die schönste<br />
Nachr<strong>ich</strong>t für m<strong>ich</strong> war, dass sie auch n<strong>ich</strong>t wieder dorthin <strong>zurück</strong> musste.<br />
Man machte ihr zwar zur Auflage, s<strong>ich</strong> weiterhin zu schonen aber<br />
ansonsten war sie als Rekonvaleszentin entlassen worden. Wir packten ihre<br />
Sachen und zogen um.<br />
Hedwig mahnte nur: »Und ihr solltet in dieser Zeit getrennte<br />
Schlafzimmer haben. Anstrengungen anderer Art sollten von Charlotte<br />
ferngehalten werden.«<br />
164
Die Blicke, die s<strong>ich</strong> beide dabei zuwarfen, waren wahrscheinl<strong>ich</strong> in<br />
weibl<strong>ich</strong>er Geheimsprache. Ich bekam sie jedenfalls n<strong>ich</strong>t mit.<br />
Als wir wiederum an das Buchhaltungsprogramm gehen wollten sagte<br />
Wiesel nur: »N<strong>ich</strong>ts da, wir wollen heute Nachmittag entspannen und den<br />
Sonnenschein und den Taunus genießen.«<br />
Und dann drückte er mir eine Pappschachtel in die Hand und sagte:<br />
»Dies ist eine weitere lizenzierte Ausgabe des Programms, die du auf euren<br />
Rechner ziehen kannst. Üben könnt ihr bis zur Eröffnung noch genügend.«<br />
So harmonisch der Tag war, so harmonisch war auch der Abend und als<br />
wir endl<strong>ich</strong> ins Bett gingen, sagte Charlotte zu mir: »Komm bitte in mein<br />
Bett, obwohl Hedwig das verboten hat. Du kannst später ins andere<br />
Zimmer gehen.«<br />
Charlotte ging ins Badezimmer und <strong>ich</strong> hockte herum. Sie kam nackt, bis<br />
auf den Verband um Ihren Brustkorb unterhalb ihrer Brüste <strong>zurück</strong> und<br />
sah m<strong>ich</strong> verwundert an und sagte: »Raus aus deinen Klamotten. Mach<br />
d<strong>ich</strong> frisch und komm wieder. Ich werde dir dann schon sagen, wie <strong>ich</strong><br />
d<strong>ich</strong> gerne spüren möchte. Und, beeile d<strong>ich</strong>!«<br />
Wenig später zeigte sie mir dann, wie man auch ohne Kraftaufwand in<br />
höchsten Höhen schweben kann. Sie schlief mit einem seligen Lächeln auf<br />
ihren Lippen ein.<br />
Am Mittwochmorgen packte <strong>ich</strong> meine Habseligkeiten in den Passat<br />
und Hedwig und Wiesel bepackten ihren Mercedes. Der Bequeml<strong>ich</strong>keit<br />
wegen sollte Charlotte bei Wiesel mitfahren. Bei Lüdenscheid bekamen wir<br />
den ersten Eindruck des Winters. Hier herrschte ein d<strong>ich</strong>tes Schneetreiben<br />
und erst als wir ins Münsterland fuhren, war dies wieder vorbei. Der<br />
Norden empfing uns mit strahlendem Sonnenschein. Nur war es<br />
wesentl<strong>ich</strong> kälter geworden.<br />
Der Verkehr war n<strong>ich</strong>t besonders stark und wir kamen gut voran und<br />
waren schon zur Mittagszeit in Bremen angekommen. Ich fuhr direkt in<br />
meine Wohnung und war angenehm überrascht, als <strong>ich</strong> auf meinen<br />
Wohnzimmertisch eine Vase voller Chrysanthemen mit einem kleinen<br />
Zettel fand. Anna hatte darauf geschrieben: »Danke für alles. Anna.«<br />
Ich packte meinen Koffer aus und verstaute alles wieder in den<br />
Schränken und brachte die Schmutzwäsche im dafür vorgesehenen<br />
Behälter unter. Frau Schiemak würde dafür sorgen, dass alles wieder<br />
ger<strong>ich</strong>tet wurde. Dann fuhr <strong>ich</strong> schon hinüber in die Baumwollbörse, wo<br />
wir uns um drei Uhr verabredeten. Ich spielte schon das<br />
Buchhaltungsprogramm auf Charlottes Rechner.<br />
165
Es war sehr ruhig hier im Büro und als <strong>ich</strong> dann meine<br />
Zulassungsurkunde, die Wiesel so schön rahmen ließ, in meinem<br />
»Chefzimmer« aufhängte, schaute <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> um, und war das erste Mal in<br />
meinem Leben wirkl<strong>ich</strong> stolz auf m<strong>ich</strong>. Ich hatte es geschafft. N<strong>ich</strong>t mehr<br />
der haltlose Trinker, der durch die Stadt torkelte, sondern der zugelassene<br />
Detektiv.<br />
Ich setzte m<strong>ich</strong> in den Besuchersessel und betrachtete die Urkunde und<br />
ein wunderbar schönes Gefühl machte s<strong>ich</strong> in mir breit. Das verflüchtigte<br />
s<strong>ich</strong> langsam wieder, als <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> selbst ermahnte. Ich wusste: Jetzt lag die<br />
Verantwortung voll und ganz bei mir diesen Status auch zu halten. Nun<br />
musste <strong>ich</strong> beweisen, dass <strong>ich</strong> ein tüchtiger Detektiv war. Zumindest die<br />
räuml<strong>ich</strong>en und technischen Voraussetzungen waren dafür geschaffen.<br />
Jetzt hieß es Aufträge zu erhalten und diese ordentl<strong>ich</strong> zu erfüllen.<br />
Charlotte war die Erste, die ankam und m<strong>ich</strong> sinnend in meinem Büro<br />
vorfand. Sie bewunderte die Urkunde und als sie mein nachdenkl<strong>ich</strong>es<br />
Ges<strong>ich</strong>t sah, nahm sie meinen Kopf in Ihre Hände und gab mir einen<br />
le<strong>ich</strong>ten Kuss. »Du wirst auch den Rest schaffen, mein Lieber und <strong>ich</strong><br />
werde dir dabei helfen.«<br />
Wir wollten uns gerade <strong>daran</strong> machen weiter im<br />
Buchhaltungsprogramm zu arbeiten als Hedwig und Wiesel erschienen.<br />
Hedwig war vom Büro ganz angetan und auch Wiesel, der ja die Räume im<br />
ursprüngl<strong>ich</strong>en Zustand kannte, meinte bewundernd: »Das habt ihr schon<br />
einmal toll hinbekommen. Jetzt müssen wir nur noch bekannt geben, dass<br />
es d<strong>ich</strong> gibt. Dann wirst du beweisen müssen, dass du ein guter Detektiv<br />
bist, zu dem man voller Vertrauen kommt. Du wirst dir deinen guten Ruf<br />
erarbeiten müssen, und das geht n<strong>ich</strong>t von heute auf morgen.«<br />
Wenig später kam Stadtler, der Wiesel und m<strong>ich</strong> gle<strong>ich</strong> zu einer<br />
Besprechung mit dem Börsenvorstand wegführte. Hedwig und Charlotte<br />
waren ganz darin vertieft, die Innenorganisation des Betriebes zu<br />
entwerfen.<br />
Obwohl wir uns mit dem Börsenvorstand sofort einig waren, zog s<strong>ich</strong><br />
die Besprechung in die Länge. Jeder bekam noch neue Ideen, wie man die<br />
Veranstaltung noch attraktiver und interessanter gestalten könnte. Ich<br />
warnte davor, es über die Maßen zu einem Volksfest umzugestalten. Aus<br />
meiner S<strong>ich</strong>t sollte es vor allen Dingen die sachl<strong>ich</strong>e Arbeit der Börse und<br />
des Börsenvereins in den Vordergrund stellen, weil dies auch besser zu der<br />
Vorstellung meines Arbeitsbere<strong>ich</strong>es passte. Es bot s<strong>ich</strong> aus meiner S<strong>ich</strong>t<br />
an, dass den Besuchern der Zutritt in die Labors zur Klassifizierung der<br />
Baumwolle gewährt würde und dass eine Schauauktion stattfinden könne,<br />
166
aber keine Drehorgelmusik und Zuckerwattestände, wie zu<br />
Freimarktzeiten aufgebaut werden sollten.<br />
Führungen durch die wunderschönen Tagungsräume und auch durch<br />
die Büros wären angebracht. Auf den Fluren könnten dann ruhig kleine<br />
Infostände über die einzelnen Firmen aufgebaut werden, an denen auch<br />
Erfrischungen gere<strong>ich</strong>t werden könnten.<br />
Als Stadtler dann sein Konzept der Vermarktung des Ganzen in den<br />
Medien vortrug, wurde mir wieder ganz we<strong>ich</strong> in den Knien. Aber Stadtler<br />
drückte das aus, was auch die anderen Herren im Hause hier meinten:<br />
»Wir sollten diese Gelegenheit n<strong>ich</strong>t auslassen, die Baumwollbörse und<br />
auch ihr Büro in den Mittelpunkt des Interesses stellen. Unsere Arbeit hier<br />
ist viel zu wenigen bekannt, und Ihr Büro soll erst bekannt werden. Ohne<br />
Aufträge können Sie n<strong>ich</strong>t leben und da Sie s<strong>ich</strong> auf<br />
Wirtschaftsnachforschungen spezialisieren wollen, ist auch n<strong>ich</strong>t damit zu<br />
rechnen, dass s<strong>ich</strong> plötzl<strong>ich</strong> hier Gangsterscharen tummeln, die mit Ihnen<br />
Rechnungen offen haben. Also können n<strong>ich</strong>t genügend Medienvertreter<br />
hier antanzen.<br />
Und wenn <strong>ich</strong> der Gästeliste, die mir Herr Starck vorhin schon einmal<br />
gezeigt hat, entnehme, welche Polizeigrößen eingeladen sind, dann können<br />
Sie s<strong>ich</strong> vorstellen, dass auch diese es s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> gerne sehen im Fernsehen<br />
gezeigt oder im Radio erwähnt zu werden. Und Ihnen <strong>Teufel</strong>, wird diese<br />
Präsenz helfen, dass Ihnen auch große Unternehmen Aufträge zuschanzen,<br />
weil damit bekannt wird, dass Sie Beziehungen auch zu den Polizeispitzen<br />
besitzen. <strong>Teufel</strong>, Sie sollten uns ruhig die Vermarktung des Gebäudes und<br />
deren Mieter überlassen.«<br />
Als wir dann gegen 19 Uhr unsere Konferenz beendeten, knurrte mein<br />
Magen und Wiesel meinte, dass wir schleunigst unsere Frauen einsammeln<br />
und zum Essen fahren sollten. Zu viert aßen wir dann später in einem sehr<br />
rustikalen Lokal in Hasenbühren. Hier gab es Aalspezialitäten in allen<br />
denkbaren Variationen. Ich suchte mir die Fetteste aus. Gebratenen Aal mit<br />
Bratkartoffeln. Auch die zwei Schnäpse, die <strong>ich</strong> hinterher trank, konnten<br />
mein Völlegefühl n<strong>ich</strong>t restlos vertreiben. Und mehr durfte <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t<br />
trinken, denn <strong>ich</strong> musste ja noch Auto fahren. Auf dem Rückweg setzte <strong>ich</strong><br />
Charlotte bei s<strong>ich</strong> zu Hause ab und fuhr die Eheleute Starck ins Parkhotel,<br />
um dann in meine Wohnung zu fahren. Hier trank <strong>ich</strong> noch zwei große<br />
Schnäpse und eine Flasche Bier. Ich schlief sehr schlecht. Das fette Essen<br />
und der Rummel, der mir bevorstand, ließen keinen ruhigen Schlaf zu.<br />
Es war noch dunkel, als <strong>ich</strong> wieder erwachte und in meinem Bauch<br />
rumorte es und Kopfschmerzen machten m<strong>ich</strong> übellaunig.<br />
167
Ich stand lange unter der Dusche aber die Kopfschmerzen verflüchtigten<br />
s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t. Ohne Frühstück fuhr <strong>ich</strong> schon um 7 Uhr hinüber ins Büro.<br />
Hier bereitete <strong>ich</strong> mir einen großen Espresso und checkte nochmals die<br />
Kommunikationsmögl<strong>ich</strong>keiten. Es lief alles wie geschmiert.<br />
Ich saß in meinem Büro und bewunderte meine Urkunde an der Wand<br />
und kam auf die Idee, dass <strong>ich</strong> noch ein, zwei Bilder hier aufhängen sollte,<br />
um den Raum wohnl<strong>ich</strong>er und freundl<strong>ich</strong>er zu gestalten. Ich wusste<br />
allerdings n<strong>ich</strong>t, wo <strong>ich</strong> hier in Bremen etwas bekommen könnte, was <strong>ich</strong><br />
mir vorstellte. Ich dachte flüchtig <strong>daran</strong> Jacelyn Fleurant anzurufen und<br />
mir ein oder zwei von den »echten Fälschungen« Ihres Vaters hierher zu<br />
holen, aber verwarf es dann wieder.<br />
Um 8 Uhr kam auch Charlotte ins Büro. Sie war schon vorher bei ihrem<br />
Hausarzt gewesen, der den Verband erneuerte. Ganz stolz verkündete<br />
Charlotte: »Ich habe jetzt nur noch ein größeres Pflaster dort. Die Mittel,<br />
die mir in Bad Homburg verabre<strong>ich</strong>t worden sind, haben scheinbar<br />
Wunder bewirkt. Und so wie sie es verbunden hatten, wird auch nur eine<br />
ganz kleine Narbe später s<strong>ich</strong>tbar bleiben.«<br />
Ich machte sie mit meinem Problem vertraut und sagte ihr, was <strong>ich</strong> mir<br />
vorstellte, um das Büro noch ein wenig persönl<strong>ich</strong>er zu gestalten. Sie sagte<br />
mir, dass sie das bestimmt lösen könnte, denn in der Rembertistraße und<br />
den kleinen Sträßchen hinter ihr und hinunter bis zur Contrescarpe seien<br />
eine Reihe von Antiquitätenläden, in der wir wohl fündig werden könnten.<br />
Aber diese Geschäfte würden erst um 10 Uhr öffnen.<br />
Charlotte und <strong>ich</strong> gingen dann wieder <strong>daran</strong>, im<br />
Buchhaltungsprogramm zu üben. Um kurz vor 10 Uhr kam dann auch<br />
Wiesel. Hedwig war im Hotel geblieben und wollte s<strong>ich</strong> dort eine neue<br />
Frisur und ein wenig Schönheitsbehandlungen über s<strong>ich</strong> ergehen lassen.<br />
Außerdem wollte sie dann anschließend einen ausgedehnten<br />
Innenstadtbummel machen. Wiesel grinste und meinte: »Au weia, das wird<br />
wieder teuer.«<br />
Ich sagte ihm, wo <strong>ich</strong> zu finden sei, und machte m<strong>ich</strong> auf den Weg, um<br />
nach ein paar St<strong>ich</strong>en zu suchen, die hier ins Büro passten. Charlotte<br />
empfahl mir eine Adresse besonders, dort wollte <strong>ich</strong> es als Erstes<br />
versuchen.<br />
Der Laden lag am Rembertikirchweg und <strong>ich</strong> hatte das Glück gehabt,<br />
einen Parkplatz an einer Parkuhr in der Rembertistraße zu erwischen. Der<br />
Inhaber des Geschäftes war ein alter Mann. Ich schätzte ihn auf über<br />
siebzig, aber er verstand sofort, was mir vorschwebte. Er fragte m<strong>ich</strong>, was<br />
für eine Art von Büro <strong>ich</strong> denn führte und <strong>ich</strong> gab ihm meine Visitenkarte<br />
und er las sofort und fragte: »Sie sind r<strong>ich</strong>tiger Privatdetektiv?«<br />
168
Ich lächelte ihn an und sagte ihm, dass <strong>ich</strong> wirkl<strong>ich</strong> einer wäre. Er führte<br />
sogar genau das, was mir vorschwebte. Eines war eine Kaltnadelradierung,<br />
dass die alte Wachtstraße mit der Baumwollbörse zeigte.<br />
Auch die Rahmung passte hervorragend, denn es war ein schl<strong>ich</strong>ter<br />
E<strong>ich</strong>enrahmen, ebenfalls schon so r<strong>ich</strong>tig schön nachgedunkelt. Das zweite<br />
Bild zeigte den Marktplatz mit dem Schütting und den Giebeln der<br />
heutigen Ratsapotheke und den übrigen Häusern dieser Zeile. Es war<br />
gle<strong>ich</strong> gerahmt und schien aus einer Sammlung zu stammen. Auch über<br />
den Preis wurden wir uns sofort handelseinig. Als er dann die Bilder<br />
einpackte, fragte er m<strong>ich</strong>: »Würden Sie für m<strong>ich</strong> eventuell eine<br />
Nachforschung anstellen?«<br />
»Worum würde es dabei gehen?«<br />
»Es ist mir peinl<strong>ich</strong> darüber zu reden, aber mir ist hier etwas gestohlen<br />
worden, das noch n<strong>ich</strong>t einmal mir gehörte. Ich nehme häufiger Dinge nur<br />
in Kommission und diese Dinge stehen dann bei mir, bis sie verkauft sind.<br />
Und genau solche Kommissionsdinge sind mir gestohlen worden. Ein<br />
jüngeres Ehepaar erbte ein paar schöne alte silberne Leuchter und eine<br />
silberne Servierplatte, die sie aber in ihrer modernen Wohnung eigentl<strong>ich</strong><br />
n<strong>ich</strong>t gebrauchen konnte und deshalb haben sie alles zu mir gebracht. Sie<br />
wissen noch gar n<strong>ich</strong>t, dass alles weg ist. Und das ist das Schlimme: Es sind<br />
nur ihre Sachen, die abhandengekommen sind. Sonst fehlt mir hier n<strong>ich</strong>ts.<br />
Ob Sie versuchen könnten, diese Sachen wieder zu besorgen?<br />
Aber <strong>ich</strong> sage es Ihnen gle<strong>ich</strong>: Ich kann es mir eigentl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t erlauben,<br />
einen Detektiv zu bezahlen. Die Miete hier ist schon wieder erhöht worden,<br />
und meine Umsätze sind leider n<strong>ich</strong>t mehr so, wie sie es einmal waren.<br />
Und Rente bekomme <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t, daher muss <strong>ich</strong> hier weitermachen.«<br />
»Haben Sie Fotos von den Sachen?«<br />
»Ja, <strong>ich</strong> habe sie gle<strong>ich</strong> fotografiert, als sie hereinkamen und bevor <strong>ich</strong> sie<br />
ins Schaufenster gestellt habe.«<br />
»Ich nehme an, die Sachen waren vers<strong>ich</strong>ert.«<br />
»Ja, und sie waren sogar weit über dem eigentl<strong>ich</strong>en Wert vers<strong>ich</strong>ert,<br />
weil es ja Erbstücke waren. Da hat der Verkäufer drauf bestanden, genau,<br />
wie er einen zieml<strong>ich</strong> hohen Preis festsetzte. Ich habe ihm damals schon<br />
gesagt, dass er diese Preise, zuzügl<strong>ich</strong> meiner Verkaufsprovision bestimmt<br />
n<strong>ich</strong>t erzielen würde, aber er hat darauf bestanden. Sie wissen, wie die<br />
Leute so sind, wenn sie meinen etwas Besonderes geerbt zu haben. Es<br />
waren allerdings auch besonders schöne Stücke, und nachdem <strong>ich</strong> sie<br />
poliert habe, waren sie auch ein Blickpunkt in meinem Schaufenster.<br />
169
Und das verleitet dann machen Besucher, der vielle<strong>ich</strong>t etwas ganz<br />
anderes sucht, hier hereinzukommen.«<br />
»Und seit wann sind die Sachen verschwunden?«<br />
»Sie können eigentl<strong>ich</strong> erst gestern abhandengekommen sein, denn der<br />
Verkäufer war gestern noch einmal hier und wir haben uns die Sachen<br />
noch gemeinsam im Fenster angesehen. Und eben als <strong>ich</strong> den Laden<br />
aufgeschlossen habe, stellte <strong>ich</strong> dann fest, dass sie n<strong>ich</strong>t mehr da waren.<br />
Und eingebrochen wurde hier n<strong>ich</strong>t. Die Schlösser sind zu kompliziert und<br />
es sind drei Verschiedene. Und hinten heraus sind die Fenster vergittert, da<br />
kommt auch niemand herein, es sei denn, dass er die Gitter entfernt, und<br />
die sind noch vorhanden.«<br />
»Das heißt mit anderen Worten, dass eigentl<strong>ich</strong> nur ein Besucher Ihres<br />
Ladens für den Diebstahl in Frage kommt.<br />
Und waren gestern besonders viele Kunden hier oder war es für einige<br />
Zeit unübers<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong> hier im Laden. Ich meine, dass eine ganze Horde von<br />
Besuchern hier im Laden war?«<br />
»Nein eigentl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t. Es war auch keine Busladung mit Japaner hier,<br />
was manchmal vorkommt. Als der Verkäufer da war, bekamen wir sogar<br />
die Zeit kurz nach hinten zu gehen und einen Mocca zusammen zu trinken,<br />
während wir hier den Kommissionszeitablauf verlängerten. Seine Frau war<br />
dann allein im Laden und als zwei jüngere Männer kamen, hat sie m<strong>ich</strong><br />
gerufen und hat mir gesagt, dass sie in die Parkuhr Geld nachwerfen<br />
müsse, und ist dann gegangen.«<br />
Ich sagte dem alten Mann, dass <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> um seinen Fall kümmern<br />
würde, aber bedauerl<strong>ich</strong>erweise noch kein Auftragsformular dabei hätte.<br />
<strong>Wenn</strong> er ein Faxgerät besäße, würde <strong>ich</strong> mir eins hierher senden lassen. Er<br />
besaß ein Fax und <strong>ich</strong> rief Charlotte im Büro über mein Handy an und<br />
sagte ihr die Nummer durch, wohin sie das Formular senden könnte. Weil<br />
im Laden so schlechter Empfang war, sagte <strong>ich</strong> dem alten Mann, dass <strong>ich</strong><br />
draußen auf der Straße telefonieren würde. Er rief von hinten nur, dass es<br />
in Ordnung sei. Ich nahm sehr schnell eine größere afrikanische Statue aus<br />
dem ersten Schaufenster und nahm es mit auf die Straße und stellte sie dort<br />
so vor die Mauer, dass man sie von drinnen n<strong>ich</strong>t sehen konnte.<br />
Das Fax kam schon an, als <strong>ich</strong> wieder in den Laden trat. Wir füllten das<br />
Formular schnell aus und er unterschrieb und gab mir auch die Bilder von<br />
den Objekten und den Durchschlag des Kommissionsvertrages. Dann<br />
beeilte <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> meine Bilder unter den Arm zu klemmen und aus dem<br />
Laden zu kommen, denn <strong>ich</strong> wollte n<strong>ich</strong>t, dass man mir die Statue, die dort<br />
draußen stand, ebenfalls entwendete.<br />
170
Die Statue verbarg <strong>ich</strong> dann hinter den Bildern und meinem Körper, als<br />
<strong>ich</strong> zum Wagen eilte und er mir aus dem Fenster nachschaute. Es war sehr<br />
einfach gewesen, ihn zu bestehlen.<br />
Ich verstaute alles im Kofferraum und fuhr zu der Adresse, die auf dem<br />
Kommissionsvertrag stand. Ich wollte mir die Verkäufer einmal ansehen.<br />
Eine Frau in den Vierzigern öffnete mir die Tür und <strong>ich</strong> sagte ihr, dass <strong>ich</strong><br />
von der Vers<strong>ich</strong>erung käme. Sie fragte gle<strong>ich</strong>, ob es um die Silbersachen<br />
gehen würde. Ich sagte sofort ja, denn <strong>ich</strong> sah meine Vermutung schon<br />
bestätigt. Denn eigentl<strong>ich</strong> konnte sie von dem Diebstahl noch gar n<strong>ich</strong>ts<br />
wissen. Ich fragte nur, ob <strong>ich</strong> hereinkommen könne, um die<br />
Schadensmeldung aufzunehmen. Sie führte m<strong>ich</strong> in ein größeres Ess-<br />
Wohnzimmer und <strong>ich</strong> wunderte m<strong>ich</strong> nur über ihre unglaubl<strong>ich</strong>e<br />
Dummheit.<br />
Ich sagte ihr, dass <strong>ich</strong> dazu den Originalkommissionsvertrag benötigte<br />
und sie ging in ein anderes Zimmer und holte ihn. Während der ganzen<br />
Zeit konnte <strong>ich</strong> die schönen Silberleuchter, die neben einer Servierplatte auf<br />
der Anr<strong>ich</strong>te standen, bewundern. So däml<strong>ich</strong> konnte man eigentl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t<br />
sein.<br />
Ich nahm am Esstisch platz und die Frau re<strong>ich</strong>te mir den Vertrag. Ich<br />
faltete ihn zusammen und steckte ihn ein und stand wieder auf und<br />
wandte m<strong>ich</strong> zum Gehen. Als <strong>ich</strong> schon im Flur war, rief sie mir nach:<br />
»Was soll das. Wir haben doch gar keine Schadensmeldung gemacht.<br />
Warum n<strong>ich</strong>t?«<br />
Sie war hinter mir hergeeilt und stand nun vor mir, als <strong>ich</strong> zieml<strong>ich</strong><br />
grollend sagte: »Wir können die Meldung sofort aufnehmen, nur dann<br />
gehen Sie und ihr Mann hinterher sofort in den Knast. Indem Sie die Ware<br />
im Antiquariat gegen den Kommissionsvertrag gelassen haben, ist der<br />
Besitz an Herrn Hackmann übergegangen. <strong>Wenn</strong> sie es s<strong>ich</strong> schon anders<br />
überlegt haben und den Plunder n<strong>ich</strong>t mehr verkaufen wollten, dann hätte<br />
Sie das gestern mitteilen müssen. So ist das Ganze schwerer Diebstahl in<br />
Einheit mit Vers<strong>ich</strong>erungsbetrug. <strong>Wenn</strong> <strong>ich</strong> nur einfach diesen Vertrag<br />
wieder mitnehme und Sie s<strong>ich</strong> verpfl<strong>ich</strong>ten, Herrn Hackmann die<br />
Kommissionsgebühr von zehn Prozent des Verkaufswertes, den Sie selbst<br />
bestimmt haben, zu zahlen, sehen wir von einer Strafverfolgung ab. Hier<br />
ist meine Karte. <strong>Wenn</strong> der Betrag n<strong>ich</strong>t innerhalb einer Woche auf dem<br />
Konto von Herrn Hackmann ist, werde <strong>ich</strong> wiederkommen. Und zwar in<br />
Begleitung einiger grün gekleideten Männer. Verstanden?«<br />
Dann öffnete <strong>ich</strong> die Wohnungstür und war gegangen. Die Frau sagte<br />
keinen Ton mehr.<br />
171
Ich fuhr zu Hackmann <strong>zurück</strong> und brachte ihm seine Statue und den<br />
Originalvertrag <strong>zurück</strong> und machte ihn darauf aufmerksam, dass es viel zu<br />
le<strong>ich</strong>t sei, seine Schaufenster auszuräumen. Ich gab ihm den Tipp, dass er<br />
Sensoren einbauen sollte, die sofort Alarm auslösten, wenn ein Gegenstand<br />
aus dem Bere<strong>ich</strong> der Schaufenster entfernt würde.<br />
Auf ein Honorar verz<strong>ich</strong>tete <strong>ich</strong>, denn <strong>ich</strong> musste nur ein paar Kilometer<br />
fahren und das kostete m<strong>ich</strong> noch n<strong>ich</strong>t einmal als etwas mehr als eine<br />
Stunde. Ich lud ihn zu unserer Einweihung ein und sagte ihm, dass er mir<br />
dann ber<strong>ich</strong>ten könne, ob das Geld eingegangen sei, oder n<strong>ich</strong>t. Dann<br />
verabschiedete <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> schnell von ihm. Er war zu Tränen gerührt.<br />
Als <strong>ich</strong> wieder ins Büro fuhr, war <strong>ich</strong> froh und pfiff falsch vor m<strong>ich</strong> hin.<br />
Ich hatte meinen ersten Fall als offiziell zugelassener Detektiv gelöst!<br />
R<strong>ich</strong>tig mit Auftrag und so weiter.<br />
Charlotte mobilisierte inzwischen einen Partydienst und <strong>ich</strong> wollte am<br />
Abend bei Paula Nachfragen, ob ihre beiden Barkräfte einsatzbereit wären.<br />
Dazu wollte <strong>ich</strong> Charlotte und die Starcks mitnehmen. Sie sollten auch in<br />
den Genuss der Riesenkoteletts kommen und bei der Gelegenheit gle<strong>ich</strong><br />
einen Teil meiner Vergangenheit kennenlernen.<br />
Heute wollten wir noch einmal ganz einfach ausgehen, um dafür<br />
Morgen den Jahreswechsel auf dem Sylvesterball des Parkhotels in Glanz<br />
und Gloria zu erleben. Ein wenig war mir angst, denn zum letzten<br />
Jahreswechsel verließ m<strong>ich</strong> Linda. Obwohl <strong>ich</strong> Charlotte wirkl<strong>ich</strong> gerne<br />
hatte, m<strong>ich</strong> schmerzte der Verlust von Linda immer noch.<br />
Als Charlotte und Hedwig kurz vor 17 Uhr mit allerlei Kartons und<br />
Einkaufstüten im Büro erschienen und Wiesel und <strong>ich</strong> die neue Frisur von<br />
Hedwig würdigten, beschlossen wir für heute Feierabend zu machen. Wir<br />
brachten erst die Sachen in Charlottes Wohnung und dann Hedwigs ins<br />
Hotel. Danach fuhren wir gemeinsam zu meiner Wohnung und dort ließ<br />
<strong>ich</strong> meinen Wagen stehen und wir gingen zu Fuß hinüber zu Paula. Es war<br />
ein angenehmer Spaziergang. Nur als wir an der Sielwallkreuzung das<br />
Elend der Drogenabhängigen sahen, wurden wir ganz ernst.<br />
Paula drückte m<strong>ich</strong> wie immer an ihren Riesenbusen und als <strong>ich</strong> ihr<br />
sagte, das Charlotte meine Freundin sei, wollte sie auch Charlotte sofort in<br />
den Arm reißen. Ich konnte es gerade noch verhindern, indem <strong>ich</strong> ihr sagte,<br />
dass sie derartige Belastungen leider noch n<strong>ich</strong>t wieder aushielt, denn das<br />
Messer stecke ihr quasi noch in den Rippen. Paula schimpfte mit mir, dass<br />
<strong>ich</strong> die Menschen immer in Gefahr brächte, mit denen <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> umgab.<br />
Hedwig und Wiesel sahen die Begrüßung lächelnd mit an und als <strong>ich</strong><br />
ihnen Paula vorstellte, war die sofort begeistert von meinen »Zieheltern«.<br />
172
»Dann sind Sie die wahren Lebensretter von diesem Burschen hier, den<br />
<strong>ich</strong> schon fast abgeschrieben hatte. Aber nur fast, denn wenn er einmal<br />
nüchtern war, konnte er ein r<strong>ich</strong>tig brauchbarer Bursche sein.<br />
Er hat hier sogar eine Zeitlang in der Küche gestanden, aber <strong>ich</strong> habe ihn<br />
n<strong>ich</strong>t losbekommen vom Alkohol.«<br />
Es war noch n<strong>ich</strong>t allzu viel los in der Kneipe. Nur die Stammgäste, die<br />
immer pünktl<strong>ich</strong> um 17 Uhr hier erschienen, saßen um den Stammtisch<br />
versammelt und Paula hatte heute mal wieder keinen Koch. Sie entschied:<br />
»Entweder machst du die Theke, während <strong>ich</strong> für euch brutzele, oder du<br />
gehst wieder in die Küche, die Koteletts braten.«<br />
Ich entschied m<strong>ich</strong> für die Theke und schenkte Bier und Schnaps aus.<br />
Die Starcks und auch Charlotte waren begeistert, wie <strong>ich</strong> das machte. Ich<br />
bediente sie ebenfalls und nach einer guten Viertelstunde stand unser<br />
Essen dampfend vor uns.<br />
Als wir gegessen und die Teller abgeträumt waren, kam Paula mit ihrer<br />
»kleinen Mögl<strong>ich</strong>keit« dem obligatorischen Piccolo und neuen Getränken<br />
für uns an den Tisch und sagte uns, dass die beiden jungen Frauen, die für<br />
uns die Theke machen sollten, gle<strong>ich</strong> kommen würden. Sie hätten Zeit.<br />
Ich kannte die beiden n<strong>ich</strong>t. Aber eins stellte <strong>ich</strong> sofort fest: Beide waren<br />
vielle<strong>ich</strong>t gerade erst volljährig geworden und beide waren ausgesprochen<br />
hübsch. Sie nahmen auch einen Piccolo, wie Paula und Hedwig und<br />
Charlotte schlossen s<strong>ich</strong> an. Wiesel und <strong>ich</strong> blieben beim Bier und Wiesel<br />
war es denn auch, der meinte nach diesem gewaltigen Kotelett dürften wir<br />
auch wohl noch einen Schnaps. Vera, die Blondine mit der kecken<br />
Stupsnase studierte Jura und Ilona, die langes dunkles Haar und ein<br />
italienisch klassisches Ges<strong>ich</strong>t mit großen grünen Augen besaß, studierte<br />
Betriebswirtschaft. Beide waren im dritten Semester und Wiesel kam auf<br />
die Idee, sie beide doch anzufordern, wenn bei mir in der Agentur viel zu<br />
tun sei.<br />
Beide meinten, dass sie s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> mithelfen könnten, denn sie hätten<br />
gute Computerkenntnisse und wären mit allen Bürotätigkeiten schon ein<br />
wenig vertraut.<br />
Nur Charlotte machte ein n<strong>ich</strong>t so begeistertes Ges<strong>ich</strong>t. Witterte sie dort<br />
Konkurrenz? Wiesel versprühte seinen ganzen Charme und er engagierte<br />
sie schon für den Mittwochabend, wenn wir unsere ganzen Polizeigrößen<br />
schon einmal durch das Büro führen wollten, um dann anschließend ein<br />
sogenanntes Arbeitsessen abzuhalten. Er verriet mir n<strong>ich</strong>t, was er<br />
zusammen mit Charlotte dort plante. Aber er machte ein ausgesprochen<br />
zufriedenes Ges<strong>ich</strong>t. Ich konnte ihm ansehen, dass er s<strong>ich</strong> etwas ganz<br />
Besonderes ausdachte.<br />
173
Als die beiden jungen Frauen dann gegangen waren, meinte Hedwig<br />
nur zu Charlotte:<br />
»Wir sollten besser mit Nilpferdpeitschen in der Nähe der Bar postiert<br />
sein, um unsere Männer immer im Zaume halten zu können. Die beiden<br />
sind ja r<strong>ich</strong>tig gefährl<strong>ich</strong>.<br />
So aufgedreht habe <strong>ich</strong> Wilhelm schon lange n<strong>ich</strong>t mehr gesehen.«<br />
»Und auch <strong>Teufel</strong> sind die Augen fast aus dem Kopf gefallen – und wo<br />
der immer bei dieser Ilona hingestarrt hat. Die muss ja eigentl<strong>ich</strong> Löcher in<br />
den Pullover bekommen haben«, ergänzte Charlotte den Kommentar.<br />
»Ja, die Theke wird ganz schön bevölkert sein am Donnerstag«, meinte<br />
<strong>ich</strong>.<br />
Wenig später zahlte <strong>ich</strong> dann und bestellte zwei Taxen für uns. Eine für<br />
die Starcks und eine für Charlotte und m<strong>ich</strong>. Wir fuhren zu Charlotte und<br />
sie schmiegte s<strong>ich</strong> während der Fahrt an m<strong>ich</strong>.<br />
Am Sylvestermorgen lagen wir lange im Bett und <strong>ich</strong> stre<strong>ich</strong>elte und<br />
küsste meine Charlotte. Dann frühstückten wir ausgiebig und lange. Auf<br />
ein Mittagessen konnten wir heute verz<strong>ich</strong>ten und <strong>ich</strong> fuhr mit einer Taxe<br />
in meine Wohnung. Wir wollten uns später in Starcks Suite wieder treffen.<br />
Ich warf m<strong>ich</strong> in den dunkelblauen Smoking, den <strong>ich</strong> in London auf<br />
Angels verhängnisvoller Party trug. Ich fand, <strong>ich</strong> müsse dem Spuk endl<strong>ich</strong><br />
ein Ende bereiten und zu diesem Jahreswechsel auch die Überreste meines<br />
Trennungsschmerzes über Bord werfen, um überhaupt für Charlotte frei zu<br />
sein. Die familiären Bande waren gegeben und mein Amulett an meinem<br />
linken Handgelenk und auch der Strohfisch an meiner Halskette waren<br />
Zeugnis der ewigen Verbundenheit. Ganz abgesehen von meinem Sohn,<br />
der mir n<strong>ich</strong>t zugeschrieben wurde.<br />
Ich wollte das Neue Jahr unbelastet von der Vergangenheit beginnen, so<br />
wie <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> vom Alkohol befreite und im Neuen Jahr meine eigene<br />
Existenz aufbauen wollte. Ich wusste, dass <strong>ich</strong> dabei immer von alten<br />
Freunden unterstützt würde, und war mir s<strong>ich</strong>er, dass auch neue noch<br />
hinzukommen würden. Ich ging voller Zuvers<strong>ich</strong>t zu diesem Ball und<br />
musste an die Worte Lindas denken, die zum Anfang dieses Jahres gesagt<br />
hatte: Jeder Neuanfang bedeutet auch ein Ende. Ich hoffte, dass dieser<br />
Neuanfang auch der Anfang eines neuen Lebens für m<strong>ich</strong> würde.<br />
Von dieser Euphorie getragen kam <strong>ich</strong> im Parkhotel an und Hedwig<br />
erkannte als erste, dass mit mir und in mir etwas vorgegangen sein musste,<br />
dass m<strong>ich</strong> verwandelte. Sie fasste es mit den Worten zusammen: »Ich<br />
glaube Wilhelm, Waldemar ist r<strong>ich</strong>tig erwachsen geworden. Schau ihn dir<br />
an, er strotzt nur so voller Optimismus und Lebensfreude.«<br />
Und es wurde ein Fest. Ein Büfett von Meisterhand gestaltet.<br />
174
Allein die aus Eis geformten Hintergrundfiguren, die farbl<strong>ich</strong>e<br />
Abstimmung der kulinarischen Köstl<strong>ich</strong>keiten, die Tischdekorationen aus<br />
frischen Blüten, das edle Porzellan und die blinkenden Gläser, gefüllt mit<br />
Champagner waren der Auftakt zur Reise in ein neues Jahrtausend. Später<br />
waren wir über das Parkett geglitten, ob mit Charlotte oder Hedwig im<br />
Arm.<br />
Ich erlebte diesen Abend wie im Rausch, obwohl <strong>ich</strong> nur zwei Gläschen<br />
Champagner trank.<br />
Beim Countdown zur Begrüßung des neuen Jahrtausends standen wir<br />
alle auf der Tanzfläche und zählten mit. Genau um Mitternacht flog die<br />
erste Rakete in den Himmel und <strong>ich</strong> küsste Charlotte lange. Wir wünschte<br />
uns n<strong>ich</strong>ts laut, wir waren uns stumm einig. Dann drückte <strong>ich</strong> Hedwig und<br />
Wiesel, der s<strong>ich</strong> nur zögernd aus Charlottes Armen löste. Und dann<br />
beobachteten wir das fantastische Feuerwerk über dem Hollersee. Hier<br />
spiegelte s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t nur das Feuerwerk des Hotels, sondern außerdem das<br />
Feuerwerk des gegenüberliegenden Maritim-Hotels. Es war ein<br />
fantastisches Erlebnis. Später tanzten wir weiter und erst gegen drei Uhr<br />
morgens sagte Charlotte: »Ich glaube <strong>ich</strong> muss in ein Bett.«<br />
Wiesel grinste, als wir ihm den Entschluss mitteilten, dass Charlotte ins<br />
Bett müsse. Er sagte nur: »Dann geht schon nach oben.«<br />
Ich sah ihn unverständig an und Charlotte zog m<strong>ich</strong> einfach hinter s<strong>ich</strong><br />
her. Sie wusste etwas mehr als <strong>ich</strong>. Auch für uns stand für diese Nacht eine<br />
Suite zur Verfügung.<br />
Und <strong>ich</strong> stellte mit Überraschung fest, dass der Schwächeanfall<br />
Charlottes nur noch sehr kurz anhielt, denn plötzl<strong>ich</strong> war sie gar n<strong>ich</strong>t<br />
mehr müde und wurde zu einer fast unersättl<strong>ich</strong>en Geliebten. Und <strong>ich</strong> hielt<br />
es mit Freddy Frinton aus dem Kultsketch zu Sylvester, der auf allen<br />
Kanälen gesendet wurde. Ich sagte wie Butler James: »I do my very best.”<br />
20<br />
Der Start<br />
An diesem Neujahrsmorgen war ein Brunchbüfett aufgebaut, an dem<br />
man s<strong>ich</strong>, bis ein Uhr mittags versorgen konnte. Wir genossen es gegen 11<br />
Uhr und fuhren dann gemeinsam nach Worpswede hinaus und spazierten<br />
über den Weiherberg und schauten uns in einigen kleineren Galerien um.<br />
In der alten Molkerei tranken wir Kaffee. Danach fuhr Wiesel uns <strong>zurück</strong><br />
ins Hotel.<br />
175
Charlotte und <strong>ich</strong> fuhren zu mir nach Hause und verbrachte einen<br />
ruhigen Abend und gingen früh schlafen.<br />
Die nächsten Tage würden genügend Hektik bringen.<br />
Auch am nächsten Tag, einem Sonntag konnten wir n<strong>ich</strong>t viel erledigen.<br />
Wir bummelten mit den Starcks durch die Kunsthalle, aßen im Ratskeller<br />
und waren abends früh in Charlottes Wohnung gefahren. Diesmal hatte <strong>ich</strong><br />
ein kleines Übernachtungsköfferchen dabei.<br />
Die Hektik setzte dann am Montag voll ein, obwohl <strong>ich</strong> dabei so gut wie<br />
n<strong>ich</strong>ts zu tun bekam, denn diese Vorbereitungen, wie Absprachen mit dem<br />
Partyservice wurden fast ausschließl<strong>ich</strong> von Hedwig, Charlotte und Wiesel<br />
geführt. Und Wiesel telefonierte von meinem Büro fast den ganzen Tag. Ich<br />
bekam n<strong>ich</strong>t mit, wen er alles anrief, denn er scheuchte m<strong>ich</strong> immer sofort<br />
aus dem Zimmer. Zweimal sprach er englisch, als <strong>ich</strong> hereinkam.<br />
Wirkl<strong>ich</strong> eingespannt wurde <strong>ich</strong> nur in die Gespräche zwischen Stadtler<br />
und den anderen Firmeninhabern. Diesmal waren auch verschiedene<br />
Anwälte dabei.<br />
Am Dienstag fing die Zimmerei in den Fluren an. Überall wurden<br />
Infostände aufgebaut und Büros auf Hochglanz geputzt. Einen so frühen<br />
Frühjahrsputz erlebte das altehrwürdige Haus wahrscheinl<strong>ich</strong> auch noch<br />
nie. Wiesel war wieder fast die ganze Zeit in meinem Chefbüro als<br />
Telefonist tätig gewesen.<br />
Abends schleppte er dann Hedwig, Charlotte und m<strong>ich</strong> mit hinüber in<br />
die Brauereigaststätte und <strong>ich</strong> war das erste Mal r<strong>ich</strong>tig verwundert, denn<br />
hier trafen wir fast die gesamte Firma Starck versammelt. Der gesamte<br />
Fahrdienst und auch die Techniker waren anwesend. Sie wohnten alle im<br />
Hotel über der Gaststätte.<br />
Ich flüsterte Wiesel zu: »Das kann <strong>ich</strong> doch nie bezahlen.«<br />
»Doch, du kannst, Jan Vermeer hat die Mittel dazu schon bereitgestellt«,<br />
meinte er grinsend.<br />
»Aber wozu, dieser Aufwand?«<br />
»Das wirst du sehen, mein Lieber. Wir brauchen die Leute.«<br />
Ich konnte mir n<strong>ich</strong>t vorstellen, wozu, aber <strong>ich</strong> wusste, Wiesel würde es<br />
mir n<strong>ich</strong>t verraten, bis er m<strong>ich</strong> vor vollendete Tatsachen stellen konnte. So<br />
langsam ergriff m<strong>ich</strong> das Fieber, das um m<strong>ich</strong> herrschte, auch. Wir aßen<br />
gemeinsam ein deftiges Mahl, danach schickte Wiesel seine Leute ins Hotel<br />
<strong>zurück</strong>. Es war noch n<strong>ich</strong>t einmal 22 Uhr. Sollten die denn schon Morgen<br />
am Mittwoch in aller Frühe etwas erledigen?<br />
Charlotte und Hedwig waren heute auch fast den ganzen Tag n<strong>ich</strong>t im<br />
Büro gewesen und <strong>ich</strong> wusste n<strong>ich</strong>t, was die beiden noch so<br />
Geheimnisvolles tun mussten.<br />
176
Nur als Charlotte mir dann sagte: »Du fährst heute zu dir nach Hause<br />
und <strong>ich</strong> zu mir, und du bist ab 10 Uhr in der Firma im dunkelblauen<br />
Zweireiher«, wurde <strong>ich</strong> langsam misstrauisch. Hatte man den ganzen<br />
Rummel um einen Tag vorverlegt und es mir verschwiegen? Und hatte <strong>ich</strong><br />
in meiner eigenen Firma schon jetzt n<strong>ich</strong>ts mehr zu sagen?<br />
»Kann mir Mal jemand sagen, was hier eigentl<strong>ich</strong> gespielt wird«, wollte<br />
<strong>ich</strong> wissen.<br />
»Wir planen deinen perfekten Start, mein Lieber. Dazu hast du uns ja.<br />
Und jetzt fahr schön nach Hause und bereite d<strong>ich</strong> in Ruhe auf den<br />
morgigen Tag vor. Den haben wir näml<strong>ich</strong> für d<strong>ich</strong> geplant. Und du wirst<br />
mit unserer Planung zufrieden sein. Und jetzt keine weiteren Fragen<br />
mehr«, beschied Wiesel und sandte m<strong>ich</strong> heim.<br />
Ich hätte verrückt werden können. Die planten etwas, womit sie m<strong>ich</strong><br />
überraschen wollte. So viel war klar, aber was konnte das sein?<br />
Ich zermarterte mir mein Hirn, was die s<strong>ich</strong> wohl ausdachten. Bis zu<br />
dem Zeitpunkt, als <strong>ich</strong> anfing darüber nachzudenken, wie man wohl meine<br />
Freunde von der Polizei aus den verschiedenen Ländern unterbringen<br />
wollte und ob es geklappt hätte private Unterkünfte zu stellen, war <strong>ich</strong><br />
n<strong>ich</strong>t auf die Idee gekommen, dass es damit zu tun haben könnte. Aber<br />
plötzl<strong>ich</strong> war <strong>ich</strong> mir s<strong>ich</strong>er, dass dies meine Überraschung werden würde.<br />
Ich würde jedenfalls so tun als sei <strong>ich</strong> gar n<strong>ich</strong>t überrascht. Mit dem<br />
Gedanken, dass <strong>ich</strong> sie so narren konnte, schlief <strong>ich</strong> ein.<br />
Wie enttäuscht war <strong>ich</strong> dann, als <strong>ich</strong> am nächsten Morgen nur feststellen<br />
konnte, dass zwar Charlotte und Hedwig in dunkelblauen Kostümen<br />
anwesend waren, aber sonst kein Mensch. Nur beide grinsten die ganze<br />
Zeit nur vor s<strong>ich</strong> hin.<br />
Auf den Gängen im ganzen Haus war schon mächtig Trubel. Hier<br />
wurde immer noch gezimmert und dekoriert. Nur bei uns war n<strong>ich</strong>ts los.<br />
Charlotte malte zwar sehr geschickt Hinweisschilder, wo unsere Agentur<br />
zu finden sei. Und Hedwig putzte wie verrückt Gläser. Ich wurde aus<br />
allem einfach n<strong>ich</strong>t schlau.<br />
Kurz vor 12 Uhr sagte Hedwig dann: »Charlotte bist du fertig? Dann<br />
können wir die Schilder schon einmal platzieren und du, <strong>Teufel</strong> kommst<br />
einfach mit.«<br />
Wir befestigten auf dem Gang ein Schild und dann in jedem Stockwerk<br />
im Treppenhaus eins. Ich durfte sogar helfen, indem <strong>ich</strong> den Tesafilm<br />
klebte. Dann meinte Hedwig nur: »Wir gehen jetzt hinüber«, und wir<br />
marschierten aus dem Haus und gingen in R<strong>ich</strong>tung Ratskeller.<br />
177
Es war ja auch schon wieder Mittagszeit. Als Hedwig dann allerdings in<br />
R<strong>ich</strong>tung Domshof ging, war <strong>ich</strong> schon wieder verwirrt.<br />
Noch verwirrter war <strong>ich</strong> allerdings, als <strong>ich</strong> die Fahrzeugschlange vor das<br />
Rathaus fahren sah und die Herren, die aus den Fahrzeugen ausstiegen,<br />
waren mir merkwürdig bekannt.<br />
Alle trugen ebenfalls dunkelblaue Anzüge oder entsprechende<br />
Anthrazitfarbene. Senatsdiener standen bereit, die Türen des<br />
Rathausaufganges aufzureißen, wenn wieder eine Wagenladung ankam.<br />
Von meinen weibl<strong>ich</strong>en Leibwächtern umrahmt, ließ man uns ebenfalls<br />
passieren und wir wurden in die obere Rathaushalle geführt. Es war ein<br />
Empfang des Bürgermeisters. Die Scheinwerfer der Fernsehteams<br />
blendeten.<br />
Wiesel war plötzl<strong>ich</strong> an meiner Seite und zog m<strong>ich</strong> am Ärmel nach<br />
vorne und zischte m<strong>ich</strong> an: »Steh n<strong>ich</strong>t einfach herum, der Herr<br />
Bürgermeister möchte d<strong>ich</strong> begrüßen.«<br />
Dann gab es das große Händeschütteln. Der Bürgermeister und zwei<br />
Senatoren begrüßten m<strong>ich</strong> und beglückwünschten m<strong>ich</strong> und sie freuten<br />
s<strong>ich</strong>, dass es mir gelungen sei, mit meiner Einladung die Polizeioberen aus<br />
verschiedenen Ländern hier nach Bremen zu dieser Konferenz<br />
zusammenzubringen. Und der Bürgermeister sagte zu mir: »Es ist schon<br />
erstaunl<strong>ich</strong>, dass ein Bremer Detektiv bei den Leitern der verschiedensten<br />
internationalen Polizeibehörden einen derart guten Ruf genießt, und wir<br />
jetzt erst in den Genuss kommen, dass Sie Ihre Dienste hier in der<br />
Hansestadt anbieten.«<br />
Und dann konnte <strong>ich</strong> all meine Bekannten begrüßen. Selbst Portland der<br />
Leiter des FBI war aus Washington dabei, begleitet von einigen Herren, die<br />
<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t kannte, die mir aber die Hand schüttelten, und natürl<strong>ich</strong> Hunter<br />
und n<strong>ich</strong>t zuletzt Jill Monteferri, aus Philadelphia, die m<strong>ich</strong> umarmte. Als<br />
weitere Überraschung drückte mir Londons Polize<strong>ich</strong>ef Smuder die Hand<br />
und re<strong>ich</strong>te m<strong>ich</strong> weiter an Loretta Blacksmith, die m<strong>ich</strong> ebenfalls in den<br />
Arm nahm. Trost vom BKA war ebenso anwesend, wie Polize<strong>ich</strong>ef<br />
Grotenhus aus Berlin. Fimmen und Siggi Arndt wollten gar n<strong>ich</strong>t aufhören,<br />
meine Hand zu schütteln. Dann erfolgte die Vorstellung des Bremer<br />
Polize<strong>ich</strong>efs Emde. Auch der Amsterdamer Vizechef van der Heyen, den<br />
Wiesel gut kannte und natürl<strong>ich</strong> mein Mitstreiter Mijers waren anwesend.<br />
Außerdem wurden mir noch einige Abteilungsleiter der Bremer Polizei<br />
vorgestellt, unter ihnen auch Anna Wagenfeld, die darauf verz<strong>ich</strong>tete m<strong>ich</strong><br />
in den Arm zu nehmen. M<strong>ich</strong> wunderte, dass niemand von der<br />
Mordkommission vertreten war. Den Grund erfuhr <strong>ich</strong> erst später.<br />
178
Trost stellte m<strong>ich</strong> gerade einem weiteren Mann aus seinem Hause vor,<br />
der ein Pfeifentäschchen in der linken Hand hielt. Andreas Kaufmann, der<br />
Leiter der Abteilung »Wirtschaftsstrafsachen«, und meinte dabei, das sei ja<br />
das Gebiet, auf dem <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> betätigen wollte, als der Bürgermeister<br />
dezent an sein Glas klopfte und seine Rede startete.<br />
All zuviel bekam <strong>ich</strong> von der Rede n<strong>ich</strong>t mit, nur der Name <strong>Teufel</strong><br />
wurde häufig erwähnt. Als er dann zu mir herüberkam und mir nochmals<br />
werbewirksam die Hand schüttelte, bekam <strong>ich</strong> mit, dass er wohl die ganze<br />
Zeit m<strong>ich</strong> gemeint haben musste. Dann wurden die Gläser erhoben und<br />
wir nahmen einen Schluck. Der Bürgermeister trank mir zu. Ich war<br />
wirkl<strong>ich</strong> mehr als verwirrt, denn wenn mir dies vor dreieinhalb Jahren<br />
prophezeit worden wäre, hätte <strong>ich</strong> geglaubt, dass m<strong>ich</strong> der Säuferwahn<br />
endl<strong>ich</strong> erre<strong>ich</strong>t hätte.<br />
Erst als <strong>ich</strong> Hedwigs und Wiesels Blicke, die unendl<strong>ich</strong> stolz zu sein<br />
schienen, auffing, wusste <strong>ich</strong>, dass dieses Wirkl<strong>ich</strong>keit war. Und ganz<br />
langsam wurde mir bewusst, jetzt war <strong>ich</strong> wer. Ich war wirkl<strong>ich</strong> in dieser<br />
Stadt angekommen. Und dies gle<strong>ich</strong> in den obersten Etagen. Jetzt durfte <strong>ich</strong><br />
nur n<strong>ich</strong>t abheben, mahnte <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> sofort.<br />
Die Scheinwerfer der Fernsehleute verloschen und Bedienstete re<strong>ich</strong>ten<br />
kalte Platten. Ich hoffte, dass unsere Morgen ein wenig frischer aussehen<br />
würden. Der allgemeine Smalltalk begann und <strong>ich</strong> war plötzl<strong>ich</strong> umgeben<br />
von nur Frauen. Hedwig war die erste, die m<strong>ich</strong> ganz heftig drückte, dann<br />
kam Charlotte, die mir zuflüsterte: »Ich bin ja so stolz auf d<strong>ich</strong>«, und dann<br />
folgten diesmal auch Anna, Jill und Loretta.<br />
Smuder stand in unmittelbarer Nähe und meinte: »Loretta Blacksmith,<br />
dies sollte sie Ihrem Chef auch öfter einmal antun.«<br />
Lächelnd erwiderte Loretta: »Chef, Sie haben doch immer so wenig Zeit,<br />
und wenn <strong>ich</strong> Sie schon einmal auf öffentl<strong>ich</strong>en Veranstaltungen treffe,<br />
habe <strong>ich</strong> Respekt vor Ihrer Gattin.«<br />
Smuder grinste und meinte: »Den sollten Sie auch besser haben.«<br />
Henderson, Pender und Walthers schlenderte ebenfalls auf uns zu und<br />
auch sie beglückwünschte m<strong>ich</strong> zu diesem tollen Einstand.<br />
Die Engländer waren die größte ausländische Gruppe, und <strong>ich</strong> bekam<br />
das Gefühl, dass s<strong>ich</strong> die Bremer Abteilungsleiter unter Führung von Chef<br />
Emde n<strong>ich</strong>t so recht trauten zu unserer Gruppe zu treten. Ich baute die<br />
Brücke, indem <strong>ich</strong> auf sie zuging.<br />
Henderson und Pender nahm <strong>ich</strong> einfach mit in Schlepptau, weil <strong>ich</strong><br />
wusste, dass beide perfekt deutsch sprachen.<br />
179
Falls es zu Sprachschwierigkeiten kommen sollte.<br />
Wiesel stand inzwischen mit Trost, Kaufmann und den Holländern<br />
zusammen, und sie schienen heftig zu diskutieren. Bremens Bürgermeister<br />
stand mitten unter ihnen und sagte scheinbar etwas W<strong>ich</strong>tiges, denn er rief<br />
sofort nach Emde.<br />
Eine halbe Stunde später war der Empfang beendet und wir gingen<br />
gemeinsam zu einer kurzen Vorausbes<strong>ich</strong>tigung meines neuen Büros<br />
hinüber zur Baumwollbörse.<br />
Vera und Ilona hatten hier schon die Vorbereitungen getroffen und<br />
weitere Sektgläser gefüllt.<br />
Mijers fing schallend an zu lachen, als er die Bar als unseren<br />
Empfangstresen sah, und fragte prustend: »Und die geheimsten Akten<br />
wieder mit der Aufschrift »Barutensilien« versehen offen hingestellt?«<br />
»So ähnl<strong>ich</strong>«, antwortete <strong>ich</strong> ihm.<br />
Lachend erklärte er den übrigen Anwesenden meinen Trick, den <strong>ich</strong> in<br />
Amsterdam anwandte, und auch die anderen Polizisten lachten. Mit<br />
unseren Gläsern wanderten wir durch die Räume und man war sehr<br />
angetan davon. Wenig später mussten die Herren wieder eilen, denn es<br />
gab ein gemeinsames spätes Mittagessen im Landhaus in Horn und danach<br />
würde die Tagung fortgesetzt.<br />
Wiesel überredete die Herren, s<strong>ich</strong> im Anschluss wieder hier zu<br />
versammeln. Zu einer gemütl<strong>ich</strong>eren Runde, wie er meinte.<br />
Ledigl<strong>ich</strong> Smuder musste s<strong>ich</strong> schon verabschieden, denn er würde<br />
schon um 19 Uhr 30 wieder <strong>zurück</strong> nach London müssen. Er sagte mir<br />
vertraul<strong>ich</strong>: »Die schlimmsten Verpfl<strong>ich</strong>tungen in meiner Stellung sind<br />
diese verflixten gesellschaftl<strong>ich</strong>en Verpfl<strong>ich</strong>tungen. Meine eigentl<strong>ich</strong>e<br />
Arbeit müssen sowieso meine Mitarbeiter verr<strong>ich</strong>ten. Aber sie sind ja auch<br />
verflucht gut«, und dann fast schon zu vertraul<strong>ich</strong>; »und wenn sie dann<br />
einmal n<strong>ich</strong>t weiter wissen sollten, sie wissen ja, wo Sie zu erre<strong>ich</strong>en sind.«<br />
Ich bedankte m<strong>ich</strong> artig für das Kompliment, fand es aber gegenüber<br />
seinen Mitarbeitern als ausgesprochen unfair. Er schien es bemerkt zu<br />
haben, denn er setzte nach: »War natürl<strong>ich</strong> ein Scherz.«<br />
»Oh, <strong>ich</strong> würde gerne wieder mit Ihren Mitarbeitern zusammenarbeiten.<br />
Es sind ganz überragende Polizisten.«<br />
»Sag <strong>ich</strong> ja auch immer!«<br />
Dann gingen alle wieder und als wir außer den beiden hübschen<br />
Serviererinnen wieder allein waren, lachte m<strong>ich</strong> Wiesel an: »Das war doch<br />
der gelungene Einstand <strong>Teufel</strong>. Besser hätte es n<strong>ich</strong>t sein können. Und du<br />
durftest doch n<strong>ich</strong>ts davon wissen. Du hättest dir doch vor Angst in die<br />
Hose gemacht und wärest wohlmögl<strong>ich</strong> abgehauen.«<br />
180
Ich umarmte ihn und gestand: »Das wäre <strong>ich</strong> beinahe noch, als <strong>ich</strong><br />
plötzl<strong>ich</strong> dem Bürgermeister gegenüberstand und er mir die Hand<br />
schüttelte. Wie hast du das alles nur gemeistert?«<br />
»Es war eigentl<strong>ich</strong> viel einfacher als <strong>ich</strong> es mir vorgestellt habe.<br />
Durch Trost und hier in Bremen durch Stadtler, bekam <strong>ich</strong> die<br />
notwendige Unterstützung. Das Problem war zunächst die so genannte<br />
private Unterbringung. Die Spekulationen, die Anna und wir vorher<br />
anstellten, waren natürl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t haltbar. Stadtler hat dann seine<br />
Beziehungen zum Senat mobilisiert und Trost hat Emde Honig um den<br />
Bart geschmiert, dass wir doch eine Arbeitstagung hier in Bremen ansetzen<br />
könnten. Und jetzt kommt der eigentl<strong>ich</strong>e Clou, Trost und <strong>ich</strong> haben eine<br />
Grundlage geschaffen, die zur Verbesserung der internationalen<br />
Kommunikation in der Zusammenarbeit der verschiedenen Länder dienen<br />
soll. Die langen Dienstwege sollen vereinfacht werden, und es sollen<br />
Kontaktbeamte die Dringl<strong>ich</strong>keiten von Anfragen an den jeweils anderen<br />
Dienst einschätzen und unbürokratisch weiterleiten. Van der Heyden und<br />
Emde wollen sogar regelrecht zusammenarbeiten. Sozusagen<br />
grenzüberschreitend. Beide wollen noch in naher Zukunft mit den<br />
niedersächsischen und nordrheinwestfälischen Polizeioberen verhandeln,<br />
und auch der heute im Rathaus anwesende Innensenator, will mit seinen<br />
Amtskollegen das Gle<strong>ich</strong>e machen. Alles im Moment noch auf rein privater<br />
Ebene.<br />
Dass, das Ganze auch für das FBI interessant werden könnte, siehst du<br />
schon <strong>daran</strong>, dass Portland n<strong>ich</strong>t gezögert hat ebenfalls hierher zu<br />
kommen.«<br />
Ich starrte Wiesel fast ungläubig an und fragte: »Und wie habt ihr die<br />
Unterbringung gelöst? Das kann doch n<strong>ich</strong>t städtisch gelöst worden sein,<br />
denn für Hotelkosten hat die Stadt doch bestimmt kein Geld.«<br />
»Aber sie hat in ihrem Etat, die Mittel für das Gästehaus des Senats. Ist<br />
zwar kein Vergle<strong>ich</strong> zum Parkhotel, aber wesentl<strong>ich</strong> schlechter, ist es auch<br />
n<strong>ich</strong>t.«<br />
»Ich wusste noch n<strong>ich</strong>t einmal, dass es so etwas überhaupt gibt!«<br />
»Ich vorher auch n<strong>ich</strong>t, aber Stadtler wusste es. Er konnte schon früher<br />
Wirtschaftsdelegationen aus den Exportländern der Baumwolle da<br />
unterbringen können, wenn s<strong>ich</strong> die Stadt Bremen etwas davon versprach,<br />
den eigenen Export in diese Länder zu erhöhen.«<br />
»Aber wie habt ihr die Stadt dazu gebracht, oder den Senat.«<br />
»Noch einfacher!<br />
181
Als die Herrschaften einmal Blut leckten, etwas Einzigartiges nach<br />
Bremen holen zu können, sind selbst die größten Bürokraten über ihre<br />
eigenen Schatten gesprungen. Die Bürgerschaftsvertreter haben die<br />
einmalige Chance erkannt hier im kleinsten Bundesland, die<br />
bahnbrechende Entwicklung der internationalen Polizeizusammenarbeit<br />
einzuleiten.<br />
Werbung für den kleinen Stadtstaat. Mal n<strong>ich</strong>t Baden-Württemberg, die<br />
schon seit Jahren versuchen mit den Franzosen zu einem vernünftigen<br />
Konsens zu kommen.<br />
Bremen, und das international! Und das Ganze ausgelöst, durch eine<br />
Neueinführung eines Bremer Detektivs, der schon mit all diesen Diensten<br />
kooperativ zusammengearbeitet hat. Begreifst du jetzt deine Rolle?«<br />
»Ich werd n<strong>ich</strong>t mehr! Wie soll <strong>ich</strong> denn dem in der Zukunft überhaupt<br />
gewachsen sein?«<br />
»Das weißt du am Besten. Bist du n<strong>ich</strong>t immer mit deinen Aufgaben<br />
gewachsen? Stell dein L<strong>ich</strong>t n<strong>ich</strong>t unter den Scheffel. Von heute an geht das<br />
sowieso n<strong>ich</strong>t mehr.«<br />
Als hätte er ein Zauberwort ausgesprochen marschierten plötzl<strong>ich</strong> einige<br />
Techniker hier in die Räume und karrten große Kartons herein.<br />
»Was ist das denn?«<br />
»Großbildfernsehgeräte.«<br />
»Willst du die Fußballeuropameisterschaft schon vorverlegen und<br />
morgen das Eröffnungsspiel übertragen, oder was soll das?«<br />
»Nein, dein Auftritt im Rathaus wird pausenlos abgespielt. Was meinst<br />
du, wie das auf deine Partybesucher wirkt.«<br />
»Ich bin doch kein Fernsehstar!«<br />
»R<strong>ich</strong>tig. Nur Macher. Der d<strong>ich</strong> und deine Gäste ins Rampenl<strong>ich</strong>t rückt.<br />
Die Leute sind ganz verrückt danach, dort gesehen zu werden. Und wenn<br />
sie in deiner Nähe gesehen werden, dann haben sie die Chance dort selbst<br />
abgebildet zu sein.«<br />
»Ach, du meine Fresse.«<br />
»Unterschätze n<strong>ich</strong>t die Mediengeilheit der Politiker und andere<br />
Größen.«<br />
Wie Recht er hatte, und welche Mittel und Macht man damit haben<br />
konnte, sollte s<strong>ich</strong> erst Jahre später zeigen. Mir war jetzt davor n<strong>ich</strong>t<br />
geheuer.<br />
»Aber was willst du denn meinen Gästen vorführen?«<br />
»Deinen glanzvollen Auftritt in Rathaus…«<br />
182
»Samt aller Umarmungen deiner weibl<strong>ich</strong>en Polizeifans«, ergänzte<br />
Charlotte, die gerade in den Raum trat.<br />
»Charly, heute war das ausgesprochen telegen«, tadelte Wiesel den<br />
zurechtweisenden Ton in Charlottes Worten. Und <strong>ich</strong> dachte nur: »So, so,<br />
auch Wiesel nennt sie schon Charly.«<br />
»Charly, Wiesel hat Recht. Das kommt an«, meinte Hedwig die ebenfalls<br />
ins Zimmer kam.<br />
Ich merkte, da war hinter meinem Rücken etwas passiert, wenn Hedwig<br />
sie auch Charly nannte. Ich stand Mal wieder auf sämtl<strong>ich</strong>en Schläuchen<br />
und ging nach vorne, um bei den beiden Hübschen einen Schnaps zu<br />
ordern.<br />
Ich bekam einen großen eisgekühlten Wodka und als <strong>ich</strong> ihn stürzte,<br />
schmeckte <strong>ich</strong> es sofort: Pures Wasser. Man hatte m<strong>ich</strong> voll im Griff.<br />
Als <strong>ich</strong> mit angewidertem Ges<strong>ich</strong>t wieder ins Chefzimmer <strong>zurück</strong><strong>kehrt</strong>e,<br />
lachte Hedwig voll auf und <strong>ich</strong> fragte hitzig: »Was geht hier eigentl<strong>ich</strong><br />
vor?«<br />
»<strong>Teufel</strong>, du wirst vermarktet. Und dazu musst du mehr als nüchtern<br />
sein«, sagte Wiesel sehr ernsthaft, »du wirst auch im Laufe des Abends<br />
deinen Schnaps bekommen, aber immer aus dieser Flasche. Die Herren von<br />
der Polizei dürfen gerne etwas über den Durst getrunken haben, aber d<strong>ich</strong><br />
wollen wir hier nüchtern. <strong>Teufel</strong>, du stehst so kurz vor deinem wirkl<strong>ich</strong>en<br />
Durchbruch, verdirb es n<strong>ich</strong>t dadurch, dass du heute rückfällig wirst.<br />
Bitte.«<br />
Ich begriff in der Zwischenzeit längst, was Wiesel in den letzten zwei<br />
Tagen alles schaffte, mit der Hilfe der beiden Frauen. Ich nahm deshalb<br />
Charlotte in den Arm und führte sie zu den Starcks und machte ganz lange<br />
Arme um uns alle zusammen zu umarmen und sagte: »Keine Angst, <strong>ich</strong><br />
werde euch n<strong>ich</strong>t enttäuschen. Weder heute, noch Morgen, noch in der<br />
gesamten Zukunft. Ich habe heute vor dem Bürgermeister gestanden und<br />
mir haben die Knie geschlottert, als <strong>ich</strong> <strong>daran</strong> dachte, dass bis zu deinem<br />
Entschluss m<strong>ich</strong> aus diesem Mist herauszuholen, <strong>ich</strong> noch n<strong>ich</strong>t einmal<br />
dazu gekommen wäre, die Schuhe des hohen Herren zu lecken. Heute hat<br />
er mir die Hand geschüttelt und mir ist bewusst geworden, was ihr alles<br />
für m<strong>ich</strong> getan habt.«<br />
»Ich glaubte, das Cornelia dir mehr Selbstwertgefühl vermittelte und<br />
dass deine Erfolge in Berlin, London, Amsterdam, und New York und<br />
Arizona, dir weitaus mehr vor Augen geführt hat, zu welchen wirkl<strong>ich</strong><br />
fantastischen Ergebnissen du aus dir heraus fähig bist. Du hast deine<br />
schlechte Zeit, deine selbstmörderische Zeit, hinter dir. Jetzt, verflucht,<br />
gehe deinen Weg!«<br />
183
Ich konnte Hedwig, die diese Worte ausstieß, nur verwundert<br />
anschauen, aber dann war auch der Groschen bei mir gefallen.<br />
Ich schämte m<strong>ich</strong> meiner Tränen n<strong>ich</strong>t, als <strong>ich</strong> sie sanft in den Arm nahm<br />
und sagte: »Liebe Hedwig, <strong>ich</strong> werde versuchen d<strong>ich</strong> nie zu enttäuschen.<br />
Ich werde…«<br />
»Quatsch und sentimentales Geschwätz, liebster Waldemar. Du wirst<br />
Fehler über Fehler machen.<br />
Du wirst immer wieder wanken, wie ein Schilf im Wind, aber so lange<br />
du weißt, dass du Wurzeln hast, die d<strong>ich</strong> festhalten können, wird dir n<strong>ich</strong>ts<br />
passieren.<br />
Du wirst nie verhindern können, dass du Menschen enttäuscht, denn du<br />
weißt n<strong>ich</strong>t, was sie insgeheim von dir erwarten.<br />
Solange du deinen Weg gehst und Recht und Gerechtigkeit im Auge<br />
behältst, dir deine Schwächen eingestehst, zu ihnen stehst und sie<br />
bekämpfst, solange bist du auf dem r<strong>ich</strong>tigen Weg. Und jetzt ist die<br />
Lehrstunde beendet. Denn Rest des Weges musst du allein finden!«<br />
Ich stand vor ihr und konnte n<strong>ich</strong>ts erwidern, bis sie m<strong>ich</strong> anfuhr: »Und<br />
jetzt geh hin und wasch dir dein Ges<strong>ich</strong>t. Du weißt gar n<strong>ich</strong>t, wie blöd es<br />
aussieht, wenn der strahlende Held mit verheulten Augen in der Gegend<br />
herumsteht.«<br />
Als in der Tür zu meinem Privatbad war, hörte <strong>ich</strong> nur noch:<br />
»Verdammt noch einmal ja. Er ist mir so ans Herz gewachsen. Ich liebe<br />
ihn.«<br />
Ich konnte n<strong>ich</strong>t dafür, dass <strong>ich</strong> länger zum Ges<strong>ich</strong>twaschen brauchte.<br />
Ich heulte weiter aus Rührung, über diese einzigartige Liebeserklärung.<br />
Wann hört schon ein Junge von seiner Mutter – und es erst recht von einer<br />
Ziehmutter, die einen erwachsenen Sohn aufnimmt – dass er geliebt wird?<br />
Ich machte nach ungefähr fünf Minuten etwas, was alle verblüffte. Ich<br />
war wieder topfit – schritt durch den Raum – und ging an die Bar und<br />
sagte nur ganz leise: »Und jetzt bringt ihr uns und euch einen Schnaps<br />
nach hinten. Wir werden ihn später bestimmt noch gebrauchen und kommt<br />
n<strong>ich</strong>t wieder auf die Idee, aus »meiner« Flasche zu servieren. Die brauchen<br />
wir später wieder.«<br />
Ilona servierte uns und sie brachte uns auch jeweils ein Bier, dass Wiesel<br />
orderte. Wir tranken und dann bat <strong>ich</strong> Wiesel m<strong>ich</strong> in die weiteren Pläne<br />
für den heutigen Abend einzuweihen, denn <strong>ich</strong> meinte, dass <strong>ich</strong> weiterhin<br />
unwissend nur Dinge gefährden könne.<br />
Das gab den Ausschlag und Wiesel erklärte mir seine weiteren<br />
Planungen und den weiteren Tagesverlauf.<br />
184
Die Tagung der Polizisten würde bis 18 Uhr gehen und danach würde<br />
man s<strong>ich</strong> wieder hier versammeln und wir würden dank Stadtler und<br />
einigen anderen Wirtschaftsgrößen drüben im Schütting ein gemeinsames<br />
Abendessen einnehmen. Hieran würden neben den Polizisten auch eine<br />
ganze Anzahl Bremer Politiker und Kaufleute teilnehmen. Danach wollten<br />
wir hier in den Büroräumen noch ein wenig weiterfeiern. Und <strong>ich</strong> musste<br />
immer mittendrin agieren.<br />
Die Kaufleute sollten vor Augen geführt bekommen, welch w<strong>ich</strong>tige<br />
Verbindungen <strong>ich</strong> zu den offiziellen Staatsschützern besaß. Das sollte<br />
meine Seriosität unterstre<strong>ich</strong>en.<br />
Als mir Wiesel dann die Gästeliste zeigte, fingen meine Knie wirkl<strong>ich</strong><br />
wieder an zu schlottern. Neben einigen hochrangigen Anwälten hier aus<br />
dem Hause waren auch die Herren aus Zür<strong>ich</strong> eingeladen. Herr Egli sagte<br />
schon zu.<br />
Später als wir beim Essen saßen, legte s<strong>ich</strong> meine ganze Nervosität und<br />
Wiesel rahmte m<strong>ich</strong> wunderschön ein durch Jacelyn Fleurant zu meiner<br />
Linken und Charlotte zu meiner Rechten. Jacelyn fungierte gle<strong>ich</strong>zeitig als<br />
Tischdame des ranghöchsten Polizisten, Portland, Leiter des FBI und rechts<br />
von Charlotte saß der Berliner Polizeipräsident Grotenhus.<br />
Es war insgesamt eine wohlabgestimmte Mischung aus Polizisten<br />
Rechtsanwälten, Bank- und Vers<strong>ich</strong>erungsvertretern und w<strong>ich</strong>tigen<br />
Importeuren dieser Stadt. Selbst der Chef der Lagerhausgesellschaft, für<br />
den Wiesel ehemals die S<strong>ich</strong>erheitskonzepte entwarf und m<strong>ich</strong> dabei<br />
beschäftigte, war anwesend. Er war der Einzige, der meinen gesamten<br />
Leidensweg und meinen Wiederaufstieg jetzt kannte. Er wechselte<br />
eingangs mit mir ein paar Worte und meinte, dass er es als besonders große<br />
Leistung wertete, wie <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> selbst aus meiner Misere herausarbeiten<br />
konnte.<br />
Es gab eine Reihe von Tischreden und am meisten beeindruckte m<strong>ich</strong><br />
die Rede von Portland. Er bemerkte zum Schluss nur: »Er ist ein Mann, der<br />
nie aufgibt und das ist etwas, was heute leider so rar geworden ist.«<br />
Nach all den Reden bedankte <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> bei den Rednern und sagte<br />
schl<strong>ich</strong>t: »Ich werde mein Bestes geben, um der Gerechtigkeit zu dienen.«<br />
»Und m<strong>ich</strong> dem geltenden Gesetz der Bundesrepublik unterwerfen«,<br />
ergänzte Bremens Polize<strong>ich</strong>ef Fritz Emde.<br />
»Darauf habe <strong>ich</strong> schon meinen Eid abgelegt«, konterte <strong>ich</strong>.<br />
Grotenhus fing an zu schmunzeln, aber sagte n<strong>ich</strong>ts. Er erzählte nur<br />
Charlotte ein wenig später, wie <strong>ich</strong> die deutschen Rechte interpretierte, und<br />
dabei lachte er jetzt offen.<br />
185
Nach dem Festmahl gingen wir hinüber ins Büro und hier standen wir in<br />
Gruppen und Grüppchen zusammen, tranken und diskutierten. Auch an<br />
diesem Abend war Frau Hertsch fast immer an meiner Seite.<br />
Als alle gegangen waren, schenkte <strong>ich</strong> mir einen großzügigen Schnaps<br />
ein und trank ein Bier aus der Flasche.<br />
21<br />
Die Feier<br />
Trotz des langen Abends gestern mit den Polizisten aus den<br />
verschiedenen Städten, an dem auch mehr als gewöhnl<strong>ich</strong> getrunken<br />
worden war, konnte <strong>ich</strong> am Morgen ohne Kopfschmerzen oder sonstigen<br />
Beschwerden früh aufstehen.<br />
Ich war pünktl<strong>ich</strong> um 8 Uhr in der Baumwollbörse. Hier waren<br />
inzwischen alle Infostände aufgebaut und die ersten wurden schon<br />
bestückt. Ab 10 Uhr sollten die Pforten geöffnet werden, um den Tag der<br />
offenen Tür einzuleiten.<br />
Wir rechneten schon in den Morgenstunden mit einem gewaltigen<br />
Andrang, denn die Fernsehber<strong>ich</strong>te über die Polizeikonferenz und den<br />
Empfang im Rathaus nannten den Grund für diese Veranstaltung mit der<br />
bevorstehenden Eröffnung meiner Agentur in der Baumwollbörse und den<br />
Tag der offenen Tür hier im Hause. Wir erwarteten vor allen in den<br />
Morgenstunden den Andrang von Schülern, die ja noch in den<br />
Weihnachtsferien waren.<br />
Aus S<strong>ich</strong>erheitsgründen stellte man den Paternoster ab. Hedwig und<br />
Charlotte waren schon im Büro und mit Jeans und Pullover gekleidet. Sie<br />
reinigten nochmals die Agentur, und wollten s<strong>ich</strong> später in meinem kleinen<br />
Ruheraum umziehen.<br />
Wiesel verabredete s<strong>ich</strong> mit den Holländern zum Frühstück und seine<br />
Fahrbereitschaft wollte die Gäste so weit wie mögl<strong>ich</strong> vom Flughafen zu<br />
den Hotels fahren. Die meisten auswärtigen Gäste konnten wir in den<br />
beiden Hotels gegenüber unterbringen.<br />
Nur ganz wenige wohnten im Maritim oder auch im Parkhotel. Dazu<br />
gehörten auch Vermeer und Mareike. Randy wollte so lange auf die kleine<br />
Nicole aufpassen, denn der Rummel wäre für sie dann doch wohl zu groß<br />
geworden. Ebenfalls dort wohnen sollten Britt und John Trechet.<br />
186
Nachdem <strong>ich</strong> gestern schon so völlig überrascht worden war, erwartete<br />
<strong>ich</strong>, dass auch für heute noch Überraschungen anstehen würden, denn<br />
wieder äußerte Wiesel s<strong>ich</strong> so merkwürdig <strong>zurück</strong>haltend, als <strong>ich</strong> ihn nach<br />
einer endgültigen Gästeliste fragte.<br />
Als dann um 10 Uhr die Pforten der Baumwollbörse geöffnet wurden,<br />
war der Andrang wirkl<strong>ich</strong> riesengroß. Bis in den dritten Stock kamen aber<br />
anfangs kaum Besucher. Sie waren meistens schon in den unteren<br />
Stockwerken und im Keller in die Labors der Baumwollleute verschleppt<br />
worden.<br />
Charlotte und Hedwig waren inzwischen auch schon festl<strong>ich</strong> gekleidet<br />
als zwei junge Männer in Jeans ins Büro kamen. Den einen erkannte <strong>ich</strong><br />
sofort: Frieder Schönherr, den anderen Jungen kannte <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t. Als <strong>ich</strong><br />
Frieder mitfühlend fragte, wie es ihm denn ginge, meinte er ein wenig<br />
flapsig: »Och es geht schon wieder. Solche Erfahrungen muss man wohl<br />
durchmachen. Ich bumse jetzt eine Klassenkameradin, oder gabele mir mit<br />
Jan was in der Disco auf.«<br />
Dadurch erfuhr <strong>ich</strong>, dass der zweite Junge, ein lang aufgeschossener,<br />
aber sportl<strong>ich</strong>er, dunkler Typ, Jan Hertsch war, der Sohn von Brigitte und<br />
Johann Hertsch, die <strong>ich</strong> bei Stadtler auf der Party kennenlernte, war.<br />
Beide interessierten s<strong>ich</strong> naturgemäß vor allem für meine Technik. Sie<br />
schienen begeistert.<br />
Als sie uns gegen 11 Uhr wieder verlassen wollten, sagte Charlotte nur:<br />
»Halt den Langen fest. Der hat mindestens drei Gegenstände von dir<br />
eingesteckt. Der klaut wie ein Rabe.«<br />
Ich holte die Beiden auf den Flur noch ein und hielt Jan Hertsch am Arm<br />
fest und befahl: »Mit <strong>zurück</strong>kommen und deine Taschen entleeren. Wir<br />
bieten schon genügend an, und alles andere bleibt hier.«<br />
Mit mürrischem aber sonst ungerührtem Ges<strong>ich</strong>t ließ er s<strong>ich</strong> filzen. Und<br />
siehe da, er hatte neben meinem digitalen Diktiergerät und meiner kleinen<br />
digitalen Kamera auch noch meinen edlen Füllhalter und unsere<br />
Büroschlüssel in seinen Taschen. Ich drohte ihm eine Tracht Prügel an und<br />
er grinste m<strong>ich</strong> nur höhnisch herablassend an und meinte: »Das wagen Sie<br />
eh n<strong>ich</strong>t, <strong>Teufel</strong>. Sie wüssten genau, dass mein Vater Sie sofort verklagen<br />
würde, und ihre Lizenz schon wieder weg wäre, bevor Sie überhaupt<br />
angefangen haben. M<strong>ich</strong> bluffen Sie n<strong>ich</strong>t so le<strong>ich</strong>t aus, wie die Frings.«<br />
»Raus hier!«<br />
Er grinste m<strong>ich</strong> nochmals über die Schulter an und sagte: »Man sieht<br />
s<strong>ich</strong>.«<br />
187
Über so viel Unverschämtheit kochte <strong>ich</strong> vor m<strong>ich</strong> hin, und es hob erst<br />
recht n<strong>ich</strong>t meine Laune, als Charlotte sagte: »Der weiß, was re<strong>ich</strong>e Eltern<br />
wert sind.«<br />
Nach einer Zigarette beruhigte <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> dann wieder, und meine gute<br />
Laune war sofort wieder hergestellt, als Sir John Bradley und John junior<br />
das Büro betraten. Ich begrüßte sie gerade freudestrahlend, als die erste<br />
wirkl<strong>ich</strong> große Überraschung des Tages eintrat. Die kleine Eileen schob<br />
ihren Ehemann im Rollstuhl über die Schwelle. Beide wurden von mir mit<br />
einer Umarmung begrüßt, und Francis strahlte m<strong>ich</strong> übers ganze Ges<strong>ich</strong>t<br />
grinsend an und meinte: »Und wir haben noch eine Überraschung für<br />
d<strong>ich</strong>.«<br />
Eileen öffnete die Tür und herein kamen Peter Townsend und er führte<br />
eine Frau an Krücken herein. Seine Frau Lian, die <strong>ich</strong> nur im Rollstuhl<br />
sitzend kannte. Ich nahm sie ganz vors<strong>ich</strong>tig in den Arm und sie küsste<br />
m<strong>ich</strong> und flüsterte mir zu: »Trag m<strong>ich</strong> bitte ganz vors<strong>ich</strong>tig bis zur<br />
entferntesten Sitzgelegenheit, <strong>ich</strong> bin so gerne in deinem Arm.«<br />
Peter hindert m<strong>ich</strong> <strong>daran</strong>, indem er mir seine Frau aus dem Arm nahm,<br />
um m<strong>ich</strong> selbst herzl<strong>ich</strong> zu umarmen. Ich fragte nur: »Ist das wirkl<strong>ich</strong><br />
wahr. Lian kann s<strong>ich</strong> ohne Rollstuhl bewegen?«<br />
»Ich muss m<strong>ich</strong> noch schonen, aber es geht wieder. Dank meiner guten<br />
Pflegemutter!«<br />
Das schien ein St<strong>ich</strong>wort gewesen zu sein, denn wieder öffnete s<strong>ich</strong><br />
unsere Tür und herein kamen John Trechet und Britt und hinter Ihnen<br />
kamen Mama und Papa Trechet. Meine Freude kannte nun keine Grenzen<br />
mehr und <strong>ich</strong> sauste an den Jüngeren vorbei und riss Mama Trechet in<br />
meine Arme. Wieder war es diese kaum zu unterdrückende Erregung, die<br />
m<strong>ich</strong> durchfuhr, wenn <strong>ich</strong> in ihren Armen war. Ihre bernsteinfarbenen<br />
Augen funkelten vergnügt, als sie es spürte. Dann befreite sie s<strong>ich</strong> aus<br />
meinen Armen und sagte mit ihrer kehligen Stimme: »Nun lass m<strong>ich</strong> los,<br />
du erdrückst m<strong>ich</strong> ja, mein Sohn.«<br />
Dann nahm <strong>ich</strong> auch Papa Trechet in den Arm und es war erst das<br />
zweite Mal, dass wir uns körperl<strong>ich</strong> so nahe waren. Er lächelte und sagte<br />
nur: »Das habe <strong>ich</strong> mir schon manches Mal gewünscht, dass du m<strong>ich</strong> in<br />
den Arm nimmst, mein Sohn.«<br />
Die Bemerkung haute m<strong>ich</strong> dann doch um. Ich war schreckl<strong>ich</strong> gerührt,<br />
dass m<strong>ich</strong> die Eheleute Trechet behandelten und ansprachen, als sei ihr<br />
Schwiegersohn geworden und n<strong>ich</strong>t Malcolm.<br />
Dann erst fand <strong>ich</strong> Zeit Britt und John, meine Fußballentdeckung<br />
»Dancer« in die Armen zu nehmen. Wir nahmen im Chefzimmer platz und<br />
Charlotte servierte die Getränke.<br />
188
Mama Trechet beobachtete sie die ganze Zeit dabei. Hedwig wiederum<br />
ließ uns n<strong>ich</strong>t aus den Augen, und <strong>ich</strong> merkte, wie ihre Augen anfingen zu<br />
strahlen, als sie mitbekam, was diese ältere Frau für m<strong>ich</strong> bedeutete.<br />
Ein wenig später musste <strong>ich</strong> ein Arztehepaar begrüßen, die <strong>ich</strong> ebenfalls<br />
schon auf Stadtlers Party traf, die s<strong>ich</strong> kurz umsahen und s<strong>ich</strong> dann<br />
entschuldigten, weil sie noch am gle<strong>ich</strong>en Tag in Winterurlaub fahren<br />
wollten. Die Ehefrau sagte zum Abschied nur: »Schade, wir wären sehr<br />
gerne heute Abend dabei gewesen. Viel Erfolg, Herr <strong>Teufel</strong>. Wir sehen uns<br />
bestimmt wieder.«<br />
Hedwig hielt m<strong>ich</strong> an der Theke fest, und fragte: »Und diese Menschen,<br />
wären deine Schwiegereltern geworden?«<br />
»Ja, so wie du meine Ersatzmutter bist.«<br />
»Sie lieben d<strong>ich</strong> über alles. Und Mama Trechet ist die stärkste Frau, die<br />
<strong>ich</strong> jemals getroffen habe. Sie strahlt eine Kraft aus, die unwahrscheinl<strong>ich</strong><br />
ist.«<br />
»Achte einmal auf Lian. Sie verfügt über ähnl<strong>ich</strong>e Gaben.«<br />
»Und ist zudem, die schönste Frau, die <strong>ich</strong> jemals gesehen habe.«<br />
Charlotte wollte gerade neue Getränke holen und lehnte s<strong>ich</strong> ganz kurz<br />
an m<strong>ich</strong> und sagte: »Was für ungewöhnl<strong>ich</strong>e Menschen du kennst. Sie<br />
lieben d<strong>ich</strong> alle.«<br />
»Und darum jetzt auch d<strong>ich</strong>.«<br />
»Meinst du wirkl<strong>ich</strong>?«<br />
»Ja, weil sie wissen, dass du zu mir gehörst.«<br />
Wir bekamen gerade noch Zeit uns allen zuzuprosten und zu spüren,<br />
wie von Mama Trechet s<strong>ich</strong> ein Kraftfeld ausbreitete, das uns verband, als<br />
der Trubel auch in unseren Räumen losging.<br />
Von dem Augenblick an war <strong>ich</strong> eigentl<strong>ich</strong> nur noch in unserem<br />
Empfangsraum anzutreffen, wo <strong>ich</strong> Hände zu schütteln hatte. Neben vielen<br />
Menschen, die <strong>ich</strong> schon bei Stadtler traf, kamen eine ganze Reihe von<br />
Menschen, die <strong>ich</strong> noch nie sah, und alle beglückwünschten m<strong>ich</strong>. In der<br />
Zeit von 14 bis 15 Uhr hielten s<strong>ich</strong> dann zwei Teams von Fernsehen in<br />
meinen Räumen auf und machten Interviews. Und immer wieder war es<br />
die Bar – unser Empfangstresen -, der die Aufmerksamkeit, die<br />
Verblüffung und Begeisterung der Besucher erregte. Mancher Witz, über<br />
die Wortspielerei »Wirtschaftsermittlungen« entstand, und Wiesel, der<br />
inzwischen mit den holländischen Polizisten ebenfalls anwesend war,<br />
machte die Journalisten und die übrigen Besucher immer wieder darauf<br />
aufmerksam, dass die meisten Geschäftsabschlüsse doch n<strong>ich</strong>t an<br />
Konferenztischen sondern an eben solchen Theken geschlossen würden.<br />
189
Vera und Ilona übernahmen die Bedienung hier an der Bar und waren<br />
ein Blickpunkt für jeden Besucher. Das kalte Büfett bauten wir im großen<br />
ehemaligen Probenzimmer aufgebaut und es war gut besucht. Hier<br />
bedienten zwei Köche und zwei weitere Hostessen. Charlotte übernahm<br />
die Versorgung meiner engsten Freunde, die in meinem Büro<br />
zusammenhockten. Da war es inzwischen recht eng geworden, denn<br />
sowohl Bakelaar, die Vermeers und Killroy mit Glenn Hoddel und zwei<br />
weitere Mitarbeiter waren eingetroffen. Um etwa 17 Uhr konnte <strong>ich</strong> Jacelyn<br />
Fleurant in den Arm nehmen und sie wagte es, m<strong>ich</strong> zärtl<strong>ich</strong> auf den Mund<br />
zu küssen.<br />
Wölbern, die Adlers mit Rosi und Pascal drängten s<strong>ich</strong> noch in den<br />
Raum und langsam mussten s<strong>ich</strong> meine Gäste mit Plätzen im Flur<br />
begnügen. Ich musste in meinem Leben zuvor noch nie so vielen Menschen<br />
die Hand schütteln. Und <strong>ich</strong> verteilte wie ein guter Japaner auf einer<br />
Messe, Hunderte von Visitenkarten.<br />
Um 19 Uhr erschien ein besonderer Gast. Der Antiquitätenhändler<br />
Hackmann, der ein Riesenpaket unter seinem Arm trug. Er überre<strong>ich</strong>te es<br />
mir und sagte fast schüchtern: »Es wird doch hoffentl<strong>ich</strong> noch einen Platz<br />
hier im Büro geben, den man damit füllen kann.«<br />
Ich packte zusammen mit Charlotte das Geschenk aus: Ein weiterer<br />
wunderschöner Kupferst<strong>ich</strong> des Panoramas Bremens um etwa 1750.<br />
Ebenfalls gerahmt in einem wunderschönen E<strong>ich</strong>enrahmen. Dies Bild<br />
würde hervorragend hier in unseren Empfang passen, der bisher eigentl<strong>ich</strong><br />
relativ nackt gestaltet war.<br />
Ich dankte ihm, und zeigte ihm, wohin <strong>ich</strong> es haben wollte. Es war<br />
unglaubl<strong>ich</strong>, wie flink s<strong>ich</strong> Charlotte bemühte, Hammer und Nagel zu<br />
beschaffen und wie fix Hackmann dann das Bild aufhing.<br />
Danach führte <strong>ich</strong> ihn mit in mein Chefzimmer, das inzwischen schon<br />
fast aus den Nähten platzte, und stellte ihn als meinen ersten Auftraggeber<br />
und Antiquitätenlieferanten vor.<br />
Ich habe n<strong>ich</strong>t mitbekommen, wie viele Aufträge zur Beschaffung von<br />
besonderen Dingen er an diesem Abend noch bekam. Als <strong>ich</strong> später erfuhr,<br />
dass auch Killroy für seine Agentur eine ganze Serie von alten<br />
Kupferst<strong>ich</strong>en bei ihm bestellte, war <strong>ich</strong> dann doch mehr als überrascht.<br />
Der r<strong>ich</strong>tige Rummel ging dann um 20 Uhr los. Jetzt schoben s<strong>ich</strong><br />
Menschenmassen durch die Gänge der Baumwollbörse und durch mein<br />
Büro. Ich stand vorne an der Bar und schüttelte Hände ohne Ende.<br />
Besonders laut wurde es dann, als alle Werder-Spieler samt Trainer und<br />
Vorstand eintrafen. Jetzt stand allerdings eher Dancer im Mittelpunkt des<br />
Geschehens.<br />
190
Ich stand umringt von Fußballstars an der Bar, als <strong>ich</strong> meinte, mein Herz<br />
würde aufhören zu schlagen. Es war als bilde s<strong>ich</strong> unwillkürl<strong>ich</strong> eine Gasse<br />
zwischen den Fußballern und herein kamen: Malcolm mit seiner Ehefrau<br />
Linda, die zwei Kinder in ihren Armen trug. Links Owen, rechts Devil, und<br />
ihre Augen strahlten m<strong>ich</strong> an wie Scheinwerfer. Ich konnte meinen Blick<br />
n<strong>ich</strong>t mehr bewegen, <strong>ich</strong> starrte sie mit offenem Mund an, und ihr<br />
typisches ein wenig spöttisches Lächeln glitt über ihr Ges<strong>ich</strong>t, als sie an<br />
m<strong>ich</strong> herantrat. Sie drehte s<strong>ich</strong> ein wenig zur Seite und drückte ihrem<br />
Mann die Kinder in den Arm, um mir dann die Arme um den Hals zu<br />
schlingen. Ich starrte in ihre offenen Augen, als sie m<strong>ich</strong> küsste. Und es war<br />
ein r<strong>ich</strong>tig heftiger Kuss, der meinen Körper sofort elektrisierte.<br />
Sie sagte bisher keinen Ton, und als sie s<strong>ich</strong> von mir löste, sagte sie:<br />
»Herzl<strong>ich</strong>en Glückwunsch, <strong>Teufel</strong>. Zu all dem was du geschaffen hast.«<br />
Sie ließ s<strong>ich</strong> von Malcolm die Kinder wiedergeben, und das hatte schon<br />
fast bedeutsamen Charakter zu ihren vorherigen Worten. Dann begrüßte<br />
m<strong>ich</strong> Malcolm ebenfalls mit Handschlag. Er schien fast verlegen. Dann<br />
drückte mir Linda die Kinder in den Arm und sagte laut und für alle<br />
vernehml<strong>ich</strong>: »Und hier stellen wir euch den Nachwuchs in der Gilde der<br />
Ermittler vor. Beide Jungs sollen später in die Fußstapfen des großen<br />
Privatdetektivs treten. Vorher werden sie s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> eine glänzende<br />
Karriere als Fußballspieler hinter s<strong>ich</strong> haben.«<br />
Beide Jungens kuschelte s<strong>ich</strong> sofort ein wenig ängstl<strong>ich</strong> über den Krach<br />
an m<strong>ich</strong>, und der Devil griff mit seinem kleinen Patschehändchen sofort<br />
nach meinem Ohr und hielt s<strong>ich</strong> <strong>daran</strong> fest.<br />
Die Werderspieler, die mehrheitl<strong>ich</strong> hier noch an der Bar versammelt<br />
waren, applaudierten Malcolm und seiner schönen Frau und mir als den<br />
jetzigen »Ziehvater« der beiden Nachwuchstalente.<br />
Mama und Papa Trechet, und auch John bekamen das Spektakel in<br />
meinem Büro mit und waren nach vorne gekommen. Es war eine<br />
Massenumarmung, die nur Malcolm und Britt ausschloss. Die Familie war<br />
vereint, wenn auch nur für wenige Sekunden.<br />
Danach war der Trubel fast n<strong>ich</strong>t mehr zu bremsen. Beide Jungen fingen<br />
an zu weinen, und <strong>ich</strong> sagte laut und deutl<strong>ich</strong>: »Erschreckt sie n<strong>ich</strong>t mit<br />
eurem Geschrei. Sie sollten sofort in ihre Bettchen.«<br />
Mama Trechet übernahm die weinenden Kinder und sofort waren sie<br />
ruhig. Sie fragte nur: »Gegenüber?«<br />
Linda nickte und die s<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong> stolze Großmutter sagte nur: »Ich bringe<br />
sie schon ins Bett«, und ging beide Kinder auf dem Arm den Gang<br />
hinunter.<br />
191
Den Rest der Eröffnungsfeier erlebte <strong>ich</strong> nur wie im Traum und alles<br />
schien s<strong>ich</strong> neben mir abzuspielen.<br />
Nur einmal wurde <strong>ich</strong> fuchsteufelswild, als <strong>ich</strong> mitbekam, dass Jan<br />
Hertsch, der in Begleitung seiner Eltern wieder erschienen war, wieder<br />
lange Finger machte, und erst einen weiteren Recorder in seinen Taschen<br />
verschwinden ließ und dann Ilona brutal an die Brüste griff. Ich versetzte<br />
ihm vor allen anwesenden Gästen eine schallende Ohrfeige und holte mein<br />
Diktiergerät wieder aus seiner Jackentasche. Seine Blicke, die er mir<br />
zuwarf, hätte m<strong>ich</strong> auf der Stelle tot umfallen lassen, wenn Blicke hätten<br />
töten können.<br />
Dann begann im Erdgeschoss das Konzert der Frauenband, und<br />
plötzl<strong>ich</strong> hielt es keinen mehr in unserer Agentur.<br />
Ledigl<strong>ich</strong> die Partyserviceangestellten hielten die Wache. Auf der<br />
Treppe, kurz oberhalb der Band, auf einem Platz, den man uns reservierte,<br />
standen wir und waren gebannt. Einen Arm legte <strong>ich</strong> um Charlotte, den<br />
anderen um Linda gelegt und vorn an meinem Körper lehnte Lian. Ich war<br />
glückl<strong>ich</strong>, wie schon lange n<strong>ich</strong>t mehr.<br />
Ich erlebte den Rest dieses Festes nur noch im Rausch, obwohl <strong>ich</strong> nur zu<br />
Anfang des Festes zwei Glas Champagner trank und danach nur noch<br />
Mineralwasser. Ich schwebte, ob der Resonanz und den vielen<br />
Umarmungen einfach über den Dingen.<br />
Ich bekam eigentl<strong>ich</strong> noch n<strong>ich</strong>t einmal mit, dass meine Freunde s<strong>ich</strong><br />
nacheinander verabschiedeten und m<strong>ich</strong> Charlotte bei s<strong>ich</strong> zu Hause ins<br />
Bett brachte. Dieser Zustand hielt s<strong>ich</strong> bis Sonntagabend, als auch die<br />
letzten Freunde nach Hause gefahren oder geflogen waren. Ich schwebte<br />
einfach voller Glücksgefühle neben mir her.<br />
Erst als mir Wiesel am Sonntagnachmittag sagte, dass am nächsten Tag<br />
mein wirkl<strong>ich</strong>es Leben anfange würde, wurde mir klar, dass jetzt erst die<br />
eigentl<strong>ich</strong>e Arbeit anfing.<br />
22<br />
Die ersten Aufträge<br />
Am Montag bekamen dann Charlotte und <strong>ich</strong> wirkl<strong>ich</strong> viel zu tun.<br />
Gemeinsam nahmen wir eine Grundreinigung unseres Büros vor und als<br />
wir uns am Nachmittag umsahen, meinten wir beide n<strong>ich</strong>ts geschafft zu<br />
haben, aber wir fühlten uns wieder wohl.<br />
192
Charlotte ließ uns einen Espresso in die Tassen laufen und meinte dann:<br />
»Das Telefon hat n<strong>ich</strong>t ein einziges Mal geklingelt. Ob es wohl kaputt ist?«<br />
»Ich glaube n<strong>ich</strong>t, denn <strong>ich</strong> habe heute Morgen noch mit Wiesel<br />
sprechen können. Die ganze Mannschaft ist dort schon wieder am<br />
Arbeiten. Wir haben zwar einen Riesenwirbel veranstaltet und auch jede<br />
Menge Visitenkarten verteilt, aber jetzt müssen wir abwarten, dass unsere<br />
Dienste gefragt sind. Es wird s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> einige Zeit brauchen, bis man<br />
dahinter kommt, dass wir gebraucht werden. Ich werde heute nur noch die<br />
Daten der Überwachungskameras von der Festplatte auf DVD brennen,<br />
damit wir wieder Platz bekommen.<br />
Tiffert hat mir ja ein solches Gerät zur Verfügung gestellt. Dann können<br />
wir gle<strong>ich</strong> einmal sehen, ob das auch funktioniert.<br />
Danach sollten wir Feierabend für heute machen. Und <strong>ich</strong> sollte meine<br />
hervorragende Sekretärin und Putzfrau bitten, mit mir ein Abendessen<br />
einzunehmen. Eins, bei dem wir eine Zweisamkeit und ohne Trubel<br />
gemütl<strong>ich</strong> beisammensitzen können.«<br />
»Und weißt du auch schon, wohin du deine Sekretärin entführen<br />
möchtest? Bedenke, die meisten guten Lokale haben am Montag<br />
geschlossen.«<br />
Ich hatte schon eine Idee und so landeten wir schon um 18 Uhr am alten<br />
Vegesacker Hafen und aßen in einem kleinen Fischrestaurant. Es war<br />
wunderbar ruhig hier und <strong>ich</strong> genoss, mit Charlotte an diesem Zweiertisch<br />
zu sitzen und ihr in die Augen schauen zu können. Sie war den ganzen Tag<br />
schon sehr still und nachdenkl<strong>ich</strong> gewesen und das änderte s<strong>ich</strong> auch n<strong>ich</strong>t<br />
während unseres Essens. Sie schien mir ein wenig bedrückt zu sein und<br />
deshalb fragte <strong>ich</strong> sie, als wir nach dem Essen rauchten.<br />
Etwas müde sagte sie: »Lass nur <strong>Teufel</strong>, <strong>ich</strong> mache mir nur sehr vielen<br />
Gedanken. Es ist ein wenig zuviel auf m<strong>ich</strong> eingestürmt in den letzten<br />
Tagen.«<br />
Als sie m<strong>ich</strong> dann vor Ihrer Haustür mit einem Kuss verabschiedete, war<br />
<strong>ich</strong> ein wenig verwundert, aber dachte mir noch immer n<strong>ich</strong>ts. Ich fuhr<br />
nach Haus und war bald darauf tief eingeschlafen.<br />
Am nächsten Morgen gingen wir noch einmal die Besucherlisten durch<br />
und <strong>ich</strong> versuchte, eine kleine Datenbank von den Leuten anzulegen.<br />
Charlotte werkelte über den Bankbelegen und nahm s<strong>ich</strong> auch sämtl<strong>ich</strong>e<br />
Belege aus der Zeit vor der Feier vor, um die Anlaufkosten der Firma zu<br />
erfassen. Um 11 Uhr bekamen wir die erste Besucherin. Es war Frau<br />
Hertsch.<br />
193
Ich bekam zunächst einen Schrecken, denn nachdem <strong>ich</strong> ihren Sohn vor<br />
allen anderen Besuchern ohrfeigte, nahm <strong>ich</strong> an, dass sie s<strong>ich</strong> beschweren<br />
wollte. Die Tonaufze<strong>ich</strong>nung der Überwachungskamera war n<strong>ich</strong>t<br />
eingeschaltet und daher konnte <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t verstehen, was sie Charlotte<br />
erzählte. Die lächelte munter und führte Frau Hertsch dann in mein<br />
Zimmer. Beide Frauen machten einen fröhl<strong>ich</strong>en Eindruck und <strong>ich</strong> gewann<br />
etwas mehr Zuvers<strong>ich</strong>t, dass eine Beschwerde wohl n<strong>ich</strong>t zu schlimm<br />
ausfallen würde.<br />
Es kam überhaupt keine. Frau Hertsch war gekommen, um s<strong>ich</strong> von uns<br />
ein S<strong>ich</strong>erheitskonzept für Ihre Villa ausarbeiten zu lassen. Das sagte sie<br />
auch wohl schon Charlotte.<br />
Wir besprachen eigentl<strong>ich</strong> nur kurz, was sie s<strong>ich</strong> vorstellte und gegen<br />
was sie alles geschützt sein wollte.<br />
Dann sagte <strong>ich</strong> ihr, dass es nützl<strong>ich</strong> sei, wenn <strong>ich</strong> die Baupläne der Villa<br />
in die Hand bekommen könnte und anhand der Baupläne und natürl<strong>ich</strong><br />
einer ausgiebigen Bes<strong>ich</strong>tigung meine Vorschläge ausarbeiten könne. Wir<br />
verabredeten uns für den späten Nachmittag in der Villa am Deliusweg.<br />
Als sie gegangen war, kam Charlotte zu mir ins Zimmer und fragte<br />
scheinbar harmlos: »Und Sie möchte tatsächl<strong>ich</strong> ein S<strong>ich</strong>erheitskonzept für<br />
die Villa? Sonst n<strong>ich</strong>ts?«<br />
»Zumindest hat sie mir nur das gesagt.«<br />
»Ich glaube sie will d<strong>ich</strong> eher als Bodyguard. Sie scheint mir ein wenig<br />
zu sehr an deiner Person interessiert zu sein«, meinte Charlotte spitz.<br />
Ich sah sie verwundert an.<br />
Charlottes Augen blitzten gefährl<strong>ich</strong> und <strong>ich</strong> beruhigte sie sofort: »Du<br />
glaubst doch n<strong>ich</strong>t im Ernst, dass <strong>ich</strong> eine derartige Rolle einnehmen<br />
würde. So gefährdet kann das Leben dieser Dame gar n<strong>ich</strong>t sein, als dass<br />
<strong>ich</strong> ihren persönl<strong>ich</strong>en Schutz übernehmen würde.«<br />
»Sie hat mir gegenüber aber schon geäußert, dass sie s<strong>ich</strong> bedroht fühlt,<br />
besonders nach den letzten Vorfällen hier in der Stadt.«<br />
»Was für Vorfälle meinst du denn? Habe <strong>ich</strong> etwas n<strong>ich</strong>t<br />
mitbekommen?«<br />
»Es hat doch diesen schreckl<strong>ich</strong>en Mord im Bürgerpark gegeben. Dort ist<br />
eine junge Frau regelrecht aufgeschlitzt worden. Der Fall war doch in allen<br />
Zeitungen. Daher konnten deine Freunde von der Mordkommission doch<br />
n<strong>ich</strong>t auf deinem Fest erscheinen. Die ganze Zeitung ist voll davon.«<br />
»Ich habe noch keine Zeitung gelesen, seitdem wir uns hier mit den<br />
Vorbereitungen beschäftigt haben.«<br />
»Sie vergle<strong>ich</strong>en es mit dem Anschlag auf m<strong>ich</strong>.<br />
194
Und sie haben noch n<strong>ich</strong>t die geringste Spur. Sie suchen nach einem<br />
Jogger, weil in der Nähe des Tatorts einer gesehen wurde.«<br />
»Ich werde m<strong>ich</strong> mit den Ber<strong>ich</strong>ten auseinandersetzen, aber werde auf<br />
keinen Fall als Bodyguard für Frau Hertsch arbeiten. Personenschutz steht<br />
n<strong>ich</strong>t auf unserem Programm!«<br />
»Das wäre auch ein Kündigungsgrund für m<strong>ich</strong> gewesen. Ich finde sie<br />
ist eine schreckl<strong>ich</strong> dominante Frau. Die will jeden für s<strong>ich</strong>, und das mit<br />
Haut und Haaren.«<br />
Charlotte sah meinen fragenden Blick und sagte nur: »Nein, <strong>Teufel</strong>,<br />
keine Eifersucht oder Zweifel. Die Frau strahlt einfach Gefahr aus. Sie ist<br />
eiskalt und berechnend und setzt alles ein um ihren Willen durchzusetzen.<br />
Nur ihr Mann ist ihr ebenbürtig, wenn n<strong>ich</strong>t sogar noch eine Spur kälter.<br />
Ich habe sie während des Empfangs beobachtet, weil die Hexe immer um<br />
d<strong>ich</strong> rumgeschwirrt ist.<br />
Ich kann sogar den Jungen verstehen, der dem ungeheuren Druck beider<br />
Seiten ausgesetzt ist. Der klaut, weil er wirkl<strong>ich</strong> einmal von einem<br />
Elternteil als Sohn und n<strong>ich</strong>t als eher lästiges Anhängsel betrachtet werden<br />
will. Es hat ihn n<strong>ich</strong>t so sehr gekränkt, dass du ihm eine Ohrfeige versetzt<br />
hast, es hat ihn mehr verletzt, dass keiner von Beiden s<strong>ich</strong> wenigstens für<br />
ihn eingesetzt hat. Er erwartete zumindest, dass sein Vater für ihn da sei,<br />
und d<strong>ich</strong> zur Rede stellen würde. Seine Mutter schrieb er wohl an dem Tag<br />
ganz ab, weil sie an deinem Rockzipfel hing.«<br />
Ich lächelte Charlotte an und sagte: »Du scheinst d<strong>ich</strong> mit dem Beruf<br />
Ermittler recht gut zu identifizieren. Interessante Beobachtungen. Du<br />
solltest versuchen heraus zu finden, was die Herrschaften wirkl<strong>ich</strong><br />
produzieren und wie erfolgre<strong>ich</strong> sie wirkl<strong>ich</strong> sind. Eintragungen im<br />
Handelsregister, Bankauskünfte, Herkunft der Leute usw..«<br />
»Vielle<strong>ich</strong>t sollte <strong>ich</strong> auch die Klatschspalten der Zeitungen<br />
durchforsten. Aber <strong>ich</strong> glaube n<strong>ich</strong>t, dass <strong>ich</strong> hier in den Bremer Zeitungen<br />
viel finden werde. Sie werden es schon hinbekommen, dass n<strong>ich</strong>t allzu viel<br />
nach außen dringt. Aber <strong>ich</strong> kümmere m<strong>ich</strong> darum.«<br />
»Und <strong>ich</strong> werde auch versuchen, m<strong>ich</strong> in ihrem Umfeld<br />
schlauzumachen. Vielle<strong>ich</strong>t kann <strong>ich</strong> ja schon heute Nachmittag in der Villa<br />
einiges erfahren.«<br />
»Sehe zu, dass du außer ihren persönl<strong>ich</strong>en Körpermaßen und ihren<br />
besonderen Sexvorlieben, mehr über ihre geistige Haltung mitbekommst.«<br />
»Also doch Besorgnis?«<br />
»Nein, das ist eine ganz andere Sache, über die wir demnächst noch<br />
sprechen müssen«, sprach´s, drehte s<strong>ich</strong> um und war aus dem Zimmer<br />
verschwunden.<br />
195
Verstehen konnte <strong>ich</strong> ihre Haltung n<strong>ich</strong>t.<br />
Ich holte mir bis zur Mittagspause noch zwei Tassen Kaffee, aber<br />
Charlotte sah noch n<strong>ich</strong>t einmal von ihrer Arbeit auf.<br />
Ich vertiefte m<strong>ich</strong> wieder in meine Datenbank und fügte prompt noch<br />
weitere Datenfelder ein, in denen besondere Beobachtungen eingetragen<br />
werden sollte. Beobachtungen der Art, wie sie Charlotte angestellt hatte.<br />
Also mehr Beobachtungen über die persönl<strong>ich</strong>en Eindrücke und n<strong>ich</strong>t nur<br />
berufl<strong>ich</strong>er, finanzieller und gesellschaftl<strong>ich</strong>er Hintergrund. Charlotte<br />
bekam bestimmt Recht, wenn wir mehr über zukünftige Klienten mehr<br />
wüssten, könnten wir auch mehr auf deren Bedürfnisse eingehen.<br />
Um 15 Uhr machte <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> dann auf den Weg zur Villa Hertsch.<br />
Sie war noch pompöser, als <strong>ich</strong> sie mir schon vorstellte.<br />
Schon der erste Eindruck sagte mir: Hier gab <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t mehr viel an<br />
S<strong>ich</strong>erheit anzubringen. Charlotte würde wahrscheinl<strong>ich</strong> Recht bekommen.<br />
Die S<strong>ich</strong>erheit der Villa war zweitrangig.<br />
Diesmal führte <strong>ich</strong> auch einen Auftragsblock mit und ließ mir zunächst<br />
einmal den Auftrag unterschreiben. Frau Hertsch geleitete m<strong>ich</strong> zunächst<br />
in einen Salon, der zwar einen Schreibtisch besaß, aber ansonsten recht<br />
weibl<strong>ich</strong> einger<strong>ich</strong>tet war. Es war zieml<strong>ich</strong> heiß hier im Raum und das<br />
mochte die dünne Bluse begründen, aber es war auch n<strong>ich</strong>t zu übersehen,<br />
dass sie darunter n<strong>ich</strong>ts trug. Charlottes Ahnungen schienen s<strong>ich</strong> zu<br />
bewahrheiten, nur wollte <strong>ich</strong> trotz aller Attraktivität der Frau n<strong>ich</strong>t von<br />
meinen eigentl<strong>ich</strong>en Aufgaben ablenken lassen.<br />
Der Sohn Jan kam ins Zimmer gestürmt und wollte anscheinend etwas<br />
von seiner Mutter und blieb wie angewurzelt stehen, als er m<strong>ich</strong> sah. Seine<br />
Mundwinkel verzogen s<strong>ich</strong> sofort verächtl<strong>ich</strong> nach unten und er spie<br />
aggressiv die Worte aus: »Ah, meine Frau Mutter legt s<strong>ich</strong> einen Beschützer<br />
zu. So nennen Nutten doch ihre Beschäler.«<br />
Ich konnte gar n<strong>ich</strong>t so schnell gucken, wie der Junge von seiner Mutter<br />
geohrfeigt wurde, und dann fragte sie kalt: »Und was wolltest du von<br />
mir?«<br />
»Geld, was sonst. Wollte heute mal einkaufen und n<strong>ich</strong>t stehlen!«<br />
Sie kramte kurz in Ihrer Schreibtischschublade und re<strong>ich</strong>te dann ihrem<br />
Sohn zwei Hundertmarkscheine. Der drehte s<strong>ich</strong> wortlos um und<br />
verschwand. Wenig später hörte <strong>ich</strong> einen Motorroller davonbrausen.<br />
Frau Hertsch zuckte ein wenig die Schultern und meinte: »Er ist<br />
momentan in einem wirkl<strong>ich</strong> schwierigen Alter.«<br />
Ich sagte vors<strong>ich</strong>tshalber n<strong>ich</strong>ts dazu, sondern forderte sie auf, mir den<br />
Bauplan und die bisherigen S<strong>ich</strong>erheitskomponenten zu zeigen.<br />
196
Als <strong>ich</strong> merkte, dass sie eigentl<strong>ich</strong> ungeduldig mit mir wurde, weil <strong>ich</strong><br />
auf ihre Versuche m<strong>ich</strong> zu verführen n<strong>ich</strong>t einging, sagte <strong>ich</strong> ihr nur: »Frau<br />
Hertsch, geben Sie mir einfach die Pläne mit, <strong>ich</strong> fotografiere ihre Zimmer,<br />
deren Eingänge und werde Ihnen ein S<strong>ich</strong>erheitskonzept, dass die<br />
vorhandenen Komponenten einschließt, erarbeiten. Aber jetzt habe <strong>ich</strong><br />
noch einen weiteren Termin wahrzunehmen. Soll <strong>ich</strong> meine Rechnung an<br />
Sie oder die Firma stellen?«<br />
»Nein, an m<strong>ich</strong> persönl<strong>ich</strong>.«<br />
Wir nahmen noch eine gründl<strong>ich</strong>e Bestandsaufnahme aller<br />
Mögl<strong>ich</strong>keiten auf, wo eventuelle Einbrecher ins Haus gelangen könnten,<br />
und <strong>ich</strong> fotografierte alle Zimmer, Fenster und Türen. In der angrenzenden<br />
Schwimmhalle fand <strong>ich</strong> dann das einzige Leck in der Anlage. Hier gab es<br />
keine Videoüberwachung.<br />
Und es gab keine Überwachung des Gartenpavillons, den nach ihren<br />
Aussagen immer nur ihr Sohn für seine Treffen mit gle<strong>ich</strong>altrigen Schülern<br />
nutzte.<br />
Frau Hertsch war offens<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong> enttäuscht, dass <strong>ich</strong> nach so kurzer Zeit<br />
das Anwesen wieder verließ. Ich tat so, als wenn <strong>ich</strong> dieses n<strong>ich</strong>t bemerkte,<br />
und fuhr wieder R<strong>ich</strong>tung Innenstadt.<br />
Ich bemerkte wohl, dass sie mir in einem BMW-Sportcoupe folgte. Ich<br />
hängte sie dadurch ab, dass <strong>ich</strong> in der Innenstadt in einem<br />
Vers<strong>ich</strong>erungsgebäude verschwand.<br />
Als <strong>ich</strong> ins Büro <strong>zurück</strong>kam, war Charlotte schon verschwunden und <strong>ich</strong><br />
fuhr zu mir nach Hause und stellte m<strong>ich</strong> an den Ze<strong>ich</strong>entisch. Die Pläne<br />
zur Verbesserung der Einbruchs<strong>ich</strong>erung erstellte <strong>ich</strong> in den nächsten vier<br />
Stunden und legte m<strong>ich</strong> dann schlafen.<br />
Verwundert stellte <strong>ich</strong> am nächsten Morgen fest, dass Charlotte n<strong>ich</strong>t<br />
anwesend war. Ich telefonierte mit meinen Verbündeten in der Industrie<br />
um Kostenvoranschläge für meine S<strong>ich</strong>erheitskonzepte zu bekommen und<br />
wollte danach diese Erkenntnisse an Frau Hertsch weitergeben. Ich sah mir<br />
gestern zwar das Haus genau an und fotografierte auch die<br />
Räuml<strong>ich</strong>keiten peinl<strong>ich</strong> genau. Ich wunderte m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t darüber, dass die<br />
Eheleute getrennte Schlaftrakte benutzten und der Sohn sein Re<strong>ich</strong> völlig<br />
getrennt von den Eltern in einem Nebenbau besaß. Einen eigenen Eingang<br />
besaß dieser Nebenbau allerdings n<strong>ich</strong>t. Im zweiten Nebenbau waren die<br />
Angestelltenwohnungen. Dieser Anbau verfügte allerdings über einen<br />
eigenen Eingang, der für meine Begriffe zu schwach ges<strong>ich</strong>ert war. Auch<br />
schien mir die riesige Glasfläche zur Terrasse und zum Pool hinaus, als zu<br />
anfällig, obwohl abends hier schwere Metallrollläden heruntergelassen<br />
werden konnten. Auch hier sah <strong>ich</strong> eine weitere Überwachungskamera vor.<br />
197
Beim Betrachten der Ze<strong>ich</strong>nungen kam <strong>ich</strong> dann zu der Erkenntnis, dass<br />
der Sohn dennoch über einen Fluchtweg verfügte, denn von seinem Anbau<br />
konnte man auch in die Schwimmhalle gelangen, die wiederum einen<br />
separaten Eingang hinter und aus dem Technikzimmer für den Pfleger der<br />
Anlage besaß. Außerdem konnten die Glasschiebetüren, des Hallenbades<br />
geöffnet werden. Auch sie waren nachts mit Metallrollläden ges<strong>ich</strong>ert, die<br />
aber auch nur dann etwas nützen, wenn sie wirkl<strong>ich</strong> heruntergelassen<br />
wurden. Ich plante nachträgl<strong>ich</strong> einen Helligkeitssensor ein, der die<br />
Rollläden bei einbrechender Dunkelheit automatisch schließen sollte.<br />
Die separate Metalltür zum Technikraum musste ebenfalls neu bes<strong>ich</strong>ert<br />
werden.<br />
Und noch etwas war mir aufgegangen.<br />
Ein weiteres kleines Gebäude, wie ein Gartenhaus, stand direkt auf der<br />
Grenze zum Golfplatz, an den das Grundstück grenzte und mit einem<br />
starken Zaun ges<strong>ich</strong>ert war. Diesen Zaun und auch das Gartenhaus musste<br />
<strong>ich</strong> nochmals untersuchen, obwohl es keinen Zugang direkt zum Hause<br />
besaß. Aber es wäre ein idealer S<strong>ich</strong>tschutz für Eindringlinge auf das<br />
Grundstück zu gelangen.<br />
Ich schrieb für Charlotte einen Zettel und fuhr nochmals zur Villa. Von<br />
der Familie Hertsch war niemand anwesend, aber der Gärtner, der auch<br />
die Poolanlagen versorgte, führte m<strong>ich</strong> zu dem Gartenhaus. Es war<br />
geräumiger, als es zunächst aussah und verfügte über zwei getrennte<br />
Zimmereinheiten. Die eine Seite diente zur Unterbringung von<br />
Gartengeräten und anderen technischen Dingen, die andere Seite enthielt<br />
einen gemütl<strong>ich</strong>en Wohnteil mit einem großen Fenster zum Golfplatz hin.<br />
Im Sommer konnte man s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> von hier aus die Golfspieler bei ihren<br />
Aktivitäten beobachten. Es gab gle<strong>ich</strong> zwei Dinge, die m<strong>ich</strong> an diesem<br />
Häuschen störten. Erstens war das große Fenster überhaupt n<strong>ich</strong>t ges<strong>ich</strong>ert,<br />
und man konnte ein- und aussteigen, wie man wollte und zum anderen<br />
war der Geruch von Haschisch wahrzunehmen.<br />
Ich befragte den Gärtner später. Er bestätigte meine Vermutung, dass<br />
Hertsch Junior dieses Gartenhäuschen häufig für Treffen mit seinen<br />
Freunden benutzte.<br />
Als <strong>ich</strong> ins Büro <strong>zurück</strong>kam, machte die inzwischen anwesende<br />
Charlotte ein grimmiges Ges<strong>ich</strong>t und meinte sofort: »Musstest du da schon<br />
wieder hin?«<br />
»Ja und habe dabei die kleine Haschischhöhle des Juniors entdeckt, und<br />
gle<strong>ich</strong>zeitig den Weg für ihn auch nachts ungesehen ein- und ausgehen zu<br />
können. Was macht d<strong>ich</strong> so grimmig?«<br />
198
»Ich habe heute schon einige Fakten über die Firma Hertsch<br />
zusammengetragen und bin dann hinaus zum Firmensitz, um mir dort von<br />
den Angestellten einmal den Umfang der Produktion erklären zu lassen,<br />
und bin prompt mit diesem Hertsch zusammengerasselt. Er hat m<strong>ich</strong><br />
zusammengefaltet, und m<strong>ich</strong> übel beschimpft, dass <strong>ich</strong> in seiner Firma<br />
herumspionierte.<br />
Als <strong>ich</strong> ihm sagte, dass es mit dem S<strong>ich</strong>erheitskonzept für seine Villa<br />
zusammenhängen würde, ist er vollends ausgerastet und hat m<strong>ich</strong> noch<br />
mehr beschimpft, dass dies doch alles Mumpitz wäre und er n<strong>ich</strong>t noch<br />
mehr Spionagekameras und sonstigen Kram in der Villa will. Als <strong>ich</strong> ihm<br />
sagte, dass diese Maßnahmen von seiner Frau beauftrag wären, ist er dann<br />
ganz aus dem Häuschen gewesen und hat m<strong>ich</strong> rausgeschmissen.«<br />
Ich schüttelte nur den Kopf und verstand die Welt n<strong>ich</strong>t mehr, denn <strong>ich</strong><br />
war schon davon ausgegangen, dass dieser Auftrag auch vom Hausherrn<br />
mitgetragen würde. Dass er n<strong>ich</strong>ts davon wissen sollte und wollte, war<br />
schon etwas verwunderl<strong>ich</strong>.<br />
Ich sagte Charlotte nur: »Dann werde <strong>ich</strong> denen nur noch den<br />
Kostenvoranschlag für die S<strong>ich</strong>erheitsmaßnahmen zukommen lassen und<br />
dann der guten Frau Hertsch unsere Rechnung stellen. Was sie dann<br />
bestellen und, wer es einbaut, soll wird n<strong>ich</strong>t mehr unsere Angelegenheit<br />
sein.«<br />
Ich war auch wütend, denn wenn schon der erste wirkl<strong>ich</strong>e Auftrag<br />
<strong>daran</strong> scheitern sollte, dass s<strong>ich</strong> die Auftraggeber n<strong>ich</strong>t einig waren, konnte<br />
es wohl in der Zukunft n<strong>ich</strong>t besonders gut aussehen. Ich wollte später mit<br />
Wiesel darüber sprechen, wie er in solchen Fällen arbeitete. Ich fragte<br />
Charlotte aber vorher, was sie denn inzwischen erfahren konnte.<br />
Die Ergebnisse ließen m<strong>ich</strong> dann überrascht aufhorchen. So wurde mir<br />
klar, dass Frau Hertsch schon allein den Auftrag an m<strong>ich</strong> vergeben konnte,<br />
denn das ganze Anwesen war ledigl<strong>ich</strong> auf ihren Namen im Grundbuch<br />
eingetragen. Dort konnte Johann Hertsch überhaupt n<strong>ich</strong>ts bestimmen.<br />
Wesentl<strong>ich</strong> unklarer waren die Besitzverhältnisse innerhalb der<br />
Firmengruppe. Durch die Verschachtelung verschiedenster Firmen, war<br />
ein Konglomerat entstanden, der klare Besitzverhältnisse prima<br />
verschlüsselte. Die Importfirmen standen offens<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong> ganz unter Johann<br />
Hertsch Kontrolle, bei den Produktionsstätten für medizinische Geräte gab<br />
es eine Beteiligung von Frau Hertsch und einem Eberhard Fister. Fister war<br />
an den zahnmedizinischen Geräten mehrheitl<strong>ich</strong> beteiligt, die wiederum<br />
zusammen mit Frau Hertsch an den Forschungsfirmen beteiligt waren.<br />
Hier tauchte dann noch ein weiterer Name auf: Eine Frau Dr. Rodika<br />
S<strong>ich</strong>etswilli.<br />
199
Anhand des Gesellschaftsvertrages, den Charlotte ebenfalls beim<br />
Handelsregister fotokopierte, stellten wir fest, dass diese<br />
fünfunddreißigjährige Frau Doktor eine pharmazeutische Firma in Tiflis<br />
vertrat und als alleinige Eigentümerin dieser Firma hier an der<br />
Forschungsfirma Hertschs mit knapp 40% beteiligt war.<br />
Alles war so wunderschön verschachtelt, dass es für einen Steuerberater<br />
eine reine Freude sein musste, durch Auftragsvergaben und Zahlungen<br />
innerhalb des Firmenverbundes dem Finanzamt so manches Schnippchen<br />
zu schlagen.<br />
Die Bankauskünfte, die Charlotte s<strong>ich</strong> mit Hilfe ihres Vaters besorgte,<br />
waren exzellent. Alle Firmen standen sehr gut da und waren als sehr<br />
finanzstark eingestuft. Alle Firmen waren als GmbH angelegt.<br />
Frau Hertsch verfügte nach diesen Auskünften über ein beträchtl<strong>ich</strong>es<br />
ererbtes Privatvermögen.<br />
Ich rief Vermeer an, um m<strong>ich</strong> noch ein wenig tiefer mit den Konten der<br />
Hertschs beschäftigen zu können. Auf jeden Fall schienen sie über einen<br />
mehr als soliden finanziellen Background zu verfügen, und damit auch<br />
eine gewisse beherrschende Macht in der Bremer Gesellschaft.<br />
Am Spätnachmittag waren alle Zahlen für einen Kostenvoranschlag für<br />
Frau Hertsch aufbereitet und faxte ihr meine Ergebnisse der festgestellten<br />
Mängel plus den Kostenvoranschlag zur Beseitigung durch.<br />
Charlotte erstellte eine n<strong>ich</strong>t gerade niedrige Rechnung für meine<br />
Bemühungen und wollte sie mit der Post senden.<br />
Eine Einladung zum Essen lehnte Charlotte ab, und <strong>ich</strong> fuhr nach Hause<br />
und machte m<strong>ich</strong> fertig zu einem abendl<strong>ich</strong>en Jogginglauf an der Weser<br />
entlang auf.<br />
Ich legte den Weg zum Weserwehr und <strong>zurück</strong> zur Weserbrücke in der<br />
Nähe unseres Büros dreimal <strong>zurück</strong> und kam zieml<strong>ich</strong> erschöpft zu Hause<br />
wieder an. Ich machte mir ein le<strong>ich</strong>tes Abendessen und sank dann in mein<br />
Bett.<br />
Im Einschlafen wunderte <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> noch ein wenig über Charlottes<br />
kühles Verhalten während der letzten Tage, aber schlief darüber ein.<br />
Am nächsten Morgen fand <strong>ich</strong> schon vor meinem Frühstück das<br />
Bestätigungsschreiben und die Bestellung der S<strong>ich</strong>erheitsanlagen als Fax<br />
von Frau Hertsch unterschrieben vor. Als Bedingung war vermerkt, dass<br />
<strong>ich</strong> diese Arbeiten zu überwachen hätte und sie bat m<strong>ich</strong> ihr mitzuteilen,<br />
wann mit dem Einbau begonnen werden könne.<br />
Ich telefonierte lange mit Tiffert in Berlin, der mir zusagte, dass alle<br />
Teile, die er zu liefern hätte, am nächsten Tag per UPS bei mir angeliefert<br />
werden könnten.<br />
200
Er empfahl mir auch einen Elektronikmeister aus Bremen, der den<br />
Einbau fachgerecht vornehmen könnte.<br />
Die Spezialschlösser, und den Helligkeitssensor für die Rollläden wollte<br />
<strong>ich</strong> hier in Bremen organisieren.<br />
Der Elektronikmeister sagte mir sofort zu, dass er alles am nächsten Tag<br />
einbauen könne und <strong>ich</strong> rief Frau Hertsch an und teilte ihr mit, dass bis<br />
zum morgigen Abend, alles ger<strong>ich</strong>tet sein könne. Sie bedankte s<strong>ich</strong> knapp<br />
und sagte nur: »Bitte erscheinen Sie n<strong>ich</strong>t vor 10 Uhr morgens.«<br />
In einer Spezialfirma für S<strong>ich</strong>erheitsschlösser bestellte <strong>ich</strong> die Schlösser<br />
und vereinbarte das Erscheinen der Spezialisten für den nächsten Tag um<br />
11 Uhr in der Villa. Den Helligkeitssensor bekam <strong>ich</strong> in einem Baumarkt,<br />
und wollte ihn vom Elektroniker mit einbauen lassen.<br />
Als <strong>ich</strong> wieder in die Firma kam, meinte Charlotte ganz aufgeregt, dass<br />
<strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> bei einer Vers<strong>ich</strong>erung melden solle, die einen Auftrag für m<strong>ich</strong><br />
hätte.<br />
Bei dieser Gelegenheit schimpfte sie über einen Mangel, der in unserer<br />
Organisation vorhanden war. Wir konnten uns n<strong>ich</strong>t erre<strong>ich</strong>en, wenn wir<br />
unterwegs waren. Daher beschlossen wir, dass wir sofort eingeschaltete<br />
Handys bei uns haben wollten, wenn wir unterwegs waren.<br />
Ich fragte sie, was sie denn an diesem Morgen schon so lange vom Büro<br />
ferngehalten hätte.<br />
»Ich habe versucht, ein wenig mehr über diese Teilhaberin in Hertschs<br />
Firma zu erfahren. Aber sie scheint bei keiner der Bremer Banken Konten<br />
zu unterhalten. Ich konnte jedenfalls auch mit Papas Hilfe n<strong>ich</strong>ts<br />
feststellen, und das macht m<strong>ich</strong> stutzig.«<br />
»Hast du herausfinden können, wo sie privat wohnt?«<br />
»Jedenfalls n<strong>ich</strong>t im Bremer Stadtgebiet. Ich habe beim zentralen<br />
Einwohnermeldeamt angefragt, aber die kannten keine S<strong>ich</strong>etswilli.«<br />
»Dann wohnt sie vielle<strong>ich</strong>t außerhalb auf niedersächsischem Gebiet. Wo<br />
haben die denn überhaupt ihre Produktionsstätten oder den<br />
Firmenhauptsitz?«<br />
»Die kaufmännische Zentrale ist in der Nähe der Uni Bremen, und da<br />
sind auch zwei der Forschungsfirmen untergebracht.«<br />
»Dann könnte es ohne weiteres sein, dass die Dame in Worpswede,<br />
Ritterhude oder dort in der Gegend wohnt. Aber weshalb bist du eigentl<strong>ich</strong><br />
so an dieser Frau interessiert?«<br />
201
»Ich würde sie mir gerne einmal ansehen, und noch besser, wenn <strong>ich</strong><br />
diesem Piesepampel nachweisen könnte, dass er was mit ihr hat, und<br />
würde ihm dann die Rechnung für seinen vorgestrigen Hinauswurf<br />
präsentieren. Das wäre für m<strong>ich</strong> eine Genugtuung.«<br />
»D<strong>ich</strong> scheint der Beruf des Privatdetektivs ja schon wirkl<strong>ich</strong> zu<br />
faszinieren und wenn es auch nur darum geht, eine Schmach<br />
auszugle<strong>ich</strong>en. Aber wir sollten uns vielle<strong>ich</strong>t n<strong>ich</strong>t zu tief in diese<br />
Familienangelegenheiten stecken, der Schuss könnte nach hinten losgehen.<br />
Noch können Sie uns empfehlen, aber das wäre garantiert vorbei, wenn wir<br />
sie selbst mit Dreck bewerfen.«<br />
»<strong>Teufel</strong>, du hast n<strong>ich</strong>t erlebt, wie er m<strong>ich</strong> behandelt hat. So lasse <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong><br />
auch n<strong>ich</strong>t von Klienten unserer Agentur behandeln. So wie er m<strong>ich</strong><br />
angegangen hat, sah es ja fast so aus, als habe er dringend etwas zu<br />
verbergen. Aber jetzt sehe erst einmal zu, dass du hinüber zu den<br />
Vers<strong>ich</strong>erern kommst. Da scheint ein weiterer Auftrag zu holen zu sein.«<br />
In meiner Aktenmappe lag auch wieder der Block mit den<br />
Auftragsformularen und <strong>ich</strong> ging frohgemut zur Wallanlage hoch, um<br />
m<strong>ich</strong> dort zu melden.<br />
Ich bekam wirkl<strong>ich</strong> einen Auftrag. In einer Firma, die ihr Lager im Hafen<br />
unterhielt, kamen immer wieder hochwertige Waren abhanden und trotz<br />
der Alarmanlage, die dort installiert war, konnte nie ein Täter ermittelt<br />
werden. Die Vers<strong>ich</strong>erung ging davon aus, dass die Inhaber der Firma in<br />
diese Diebstähle direkt verstrickt waren, und wollten, dass <strong>ich</strong> das bewies.<br />
Ich nahm den Auftrag an.<br />
Wenig später kurvte <strong>ich</strong> durch den Hafen und fand das Lagerhaus. Hier<br />
machte s<strong>ich</strong> der langsame Verfall des Bremer Hafens schon deutl<strong>ich</strong><br />
bemerkbar. Wo vor noch wenigen Jahren kaum Platz an der Pier frei war,<br />
da lag heute noch n<strong>ich</strong>t einmal eine kleine Binnenschute mehr. Die Kräne<br />
auf der Pier standen nutzlos vor s<strong>ich</strong> hinrostend in der einbrechenden<br />
Dunkelheit und verbreiteten eine düstere Stimmung. Auf m<strong>ich</strong> besonders,<br />
weil <strong>ich</strong> wusste, was hier früher auch zu dieser Tageszeit noch für Betrieb<br />
herrschte.<br />
Ich besah mir die Örtl<strong>ich</strong>keiten genau und prägte mir alle Ein- und<br />
Ausgänge gut ein. Dann fuhr <strong>ich</strong> <strong>zurück</strong> in die Firma. Charlotte war schon<br />
gegangen, und <strong>ich</strong> setzte m<strong>ich</strong> an den Computer, gab erst den Auftrag ein<br />
und danach beschäftigte <strong>ich</strong> mit den Melderegistern. Über eine Frau<br />
S<strong>ich</strong>etswilli lagen weder bei der Bremer Polizei oder beim LKA Hannover<br />
und auch n<strong>ich</strong>t beim BKA in Wiesbaden etwas vor. Über das<br />
Zentralregister für Fahrzeuge fand <strong>ich</strong> dann die Adresse.<br />
202
Sie wohnte, wie schon angenommen in Worpswede und hatte dort einen<br />
Porsche auf ihren Namen angemeldet.<br />
Da würde Charlotte zu Fuß wohl schlecht hinterher kommen. Ich<br />
beschloss ihr ein Auto zu kaufen und stellte fest, dass <strong>ich</strong> noch n<strong>ich</strong>t einmal<br />
wusste, ob Charlotte einen Führerschein besaß. Ich schaute nochmals im<br />
Computer nach. Sie besaß die Fahrerlaubnis, sogar für Motorräder und<br />
Lkws. Wieso sie einen derartigen Führerschein ebenfalls beantragte, war<br />
mir n<strong>ich</strong>t klar.<br />
Um 20 Uhr ging <strong>ich</strong> hinüber in Achims Beckshaus und kaufte mir ein<br />
rustikales Abendessen und ein großes Becksbier vom Fass.<br />
203
23<br />
1. Vers<strong>ich</strong>erungsfall<br />
Ich traf ungefähr gle<strong>ich</strong>zeitig mit dem Elektroniker zusammen vor der<br />
Villa Hertsch ein und Frau Hertsch begrüßte uns.<br />
Ich zeigte dem Mann, wo <strong>ich</strong> was eingebaut haben wollte und er machte<br />
s<strong>ich</strong> an die Arbeit. Er versprach, keinen Dreck zu machen.<br />
Frau Hertsch zog m<strong>ich</strong> in ihr Büro und fragte m<strong>ich</strong> in zieml<strong>ich</strong> harschen<br />
Ton, was es denn solle, dass meine Sekretärin hinter ihrem Mann<br />
herspioniere.<br />
»Sie spioniert weder Ihrem Mann nach, oder sonst jemanden in der<br />
Firma, sondern wollte s<strong>ich</strong> ledigl<strong>ich</strong> ein Bild Ihrer gesamten Produktpalette<br />
machen. Ich habe sie damit beauftragt, um meine Empfehlungen<br />
aussprechen zu können, wenn <strong>ich</strong> einmal gefragt werde, ob <strong>ich</strong><br />
medizinische Geräte beschaffen kann. Sie können s<strong>ich</strong> s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> vorstellen,<br />
dass <strong>ich</strong> meine Empfehlungen besonders für diejenigen ausspreche, von<br />
denn <strong>ich</strong> weiß, dass sie gute Dinge abliefern. Genau wie sie heute die<br />
Geräte der Firma Siemens eingebaut bekommen. Da weiß <strong>ich</strong>, um was für<br />
gute Sachen es s<strong>ich</strong> handelt. Also sollte s<strong>ich</strong> ihr Mann keine Sorgen<br />
machen. Ich will keine Informationen über sein Privatleben sammeln, dann<br />
würde <strong>ich</strong> Sie und Ihren Mann direkt befragen.«<br />
»Ich habe jedenfalls ganz schönen Ärger bekommen, weil er vermutet,<br />
dass <strong>ich</strong> Sie hinter ihm hergeschickt habe.«<br />
»Erstens übernehmen wir solche Aufträge n<strong>ich</strong>t, und zweitens hätte <strong>ich</strong><br />
n<strong>ich</strong>t meine Sekretärin mit solchen Aufgaben betraut. Ich würde die<br />
Recherchen selbst gemacht haben, denn <strong>ich</strong> habe die Lizenz und n<strong>ich</strong>t Frau<br />
Hansen. Aber dennoch möchte <strong>ich</strong> Sie auf einen ganz anderen Aspekt hier<br />
im Hause hinweisen. Ihr Sohn raucht Haschisch und das hinten im<br />
Gartenhaus. Sie sollten vielle<strong>ich</strong>t besser darauf achten, denn er sollte doch<br />
s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t auch noch mit dem Rauschgiftdezernat in Berührung<br />
kommen. Dummheiten machen s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> alle Jugendl<strong>ich</strong>en, und wer<br />
behauptet er hätte nie im Leben Gras oder Hasch geraucht, der kommt bei<br />
mir auf die Verdächtigenliste, dass er viel Schlimmeres probiert hat. Also<br />
achten Sie besser darauf, was er dort hinten macht.«<br />
»Da macht doch mein Sohn n<strong>ich</strong>t mit. Da können Sie ganz s<strong>ich</strong>er sein.«<br />
»Ich habe Ihnen ledigl<strong>ich</strong> meine Beobachtung mitgeteilt. Wie Sie damit<br />
umgehen, ist mir gle<strong>ich</strong>gültig. Ich sehe, da kommt mein Spezialschlosser,<br />
der noch ein paar S<strong>ich</strong>erheitsschlösser hinten in der Gartentür vom<br />
Schwimmbad einbauen soll. Ich werde das überwachen.<br />
204
Es wird nur drei Schlüssel geben. Einen für Sie, einen für Ihren Mann<br />
und einen für den Gärtner. Nachmachen kann man die Schlüssel n<strong>ich</strong>t. Sie<br />
sind elektronisch codiert.«<br />
Gegen Mittag waren wir mit den Einbauten fertig und <strong>ich</strong> wollte die<br />
Fertigstellung Frau Hertsch melden und die Funktionsweise<br />
demonstrieren, als Sie hochroten Kopfes auf m<strong>ich</strong> zugeschossen kam und<br />
sagte: »Bitte begleiten Sie m<strong>ich</strong>. Ich muss aufs Polizeipräsidium. Man hält<br />
dort meinen Sohn fest. Man hat ihn bei Karstadt beim Diebstahl erwischt.«<br />
»Ich dachte der sein wieder in der Schule, die Ferien sind doch vorbei.«<br />
»Das dachte <strong>ich</strong> auch. Aber er hat wohl wieder einmal geschwänzt.<br />
Kommen Sie, wir müssen uns beeilen.«<br />
»Ich fahre mit meinem eigenen Wagen, fahren Sie schon vor, <strong>ich</strong> komme<br />
dann nach. Wer verhört ihn denn, damit <strong>ich</strong> gle<strong>ich</strong> weiß, in welches<br />
Zimmer <strong>ich</strong> kommen muss.«<br />
»Eine Frau Wagenfeld.«<br />
»Wie bitte?«<br />
»Kennen Sie diese Frau?«<br />
»Ja, <strong>ich</strong> werde m<strong>ich</strong> beeilen. Fahren Sie schon los.«<br />
Ich sagte noch den Handwerkern, dass sie abrücken könnten und <strong>ich</strong> die<br />
Vorführung zu einem späteren Zeitpunkt nachholen wolle.<br />
»Die Rechnungen stellen Sie bitte an mein Büro. Der Ausgle<strong>ich</strong> wird<br />
schnellstmögl<strong>ich</strong> angewiesen. Und jetzt habe <strong>ich</strong> es eilig.«<br />
Der Schlosser übergab mir nur noch die Schlüssel und dann rannte <strong>ich</strong><br />
schon zu meinem Wagen, um Frau Hertsch nach zu fahren.<br />
Unterwegs überlegte <strong>ich</strong> mir schon, dass man den jungen Hertsch dort<br />
n<strong>ich</strong>t wegen Ladendiebstahls verhörte, sondern, dass es s<strong>ich</strong> um ein<br />
Rauschgiftdelikt handelte, weil er von Anna Wagenfeld verhört wurde.<br />
Und die verhörte keine Kleinkriminellen, die mit ein Gramm Hasch in der<br />
Tasche aufgegriffen wurden. Da brauten s<strong>ich</strong> dunklere Wolken an Jans<br />
Schülerhimmel zusammen, soviel war mir klar. Ich rief Charlotte im Büro<br />
an und sagte ihr, dass <strong>ich</strong> in der Angelegenheit Hertsch, den Sohn vor<br />
größerem Ungemach bewahren wollte. <strong>Wenn</strong> <strong>ich</strong> konnte.<br />
»Hier wartet noch ein Herr Egli auf d<strong>ich</strong>, von den Zür<strong>ich</strong>er<br />
Rechtsanwälten.«<br />
»Geh mit ihm im Ratskeller essen und empfehle ihm die Stubenkücken.<br />
Er ist Feinschmecker und sehr galant.«<br />
»Das habe <strong>ich</strong> schon bemerkt, <strong>Teufel</strong>. Kommst du dann nach?«<br />
»<strong>Wenn</strong> <strong>ich</strong> kann, ja. Sonst treffe <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> mit ihm später in seinem Hotel.<br />
Wie <strong>ich</strong> ihn kenne, logiert er im Parkhotel.«<br />
»Nein, im Hotel zur Post.<br />
205
Da hat er es n<strong>ich</strong>t soweit zum »L´orchidee«, hat er mir gesagt.«<br />
»Gut, <strong>ich</strong> melde m<strong>ich</strong> über Handy, sobald <strong>ich</strong> kann.«<br />
Als <strong>ich</strong> in den Raum trat, in der ein zieml<strong>ich</strong>es Chaos herrschte, weil<br />
Mutter Hertsch einen bühnenreifen Auftritt gegen diese böswillige<br />
Verhaftung ihres kleinen Jungen hinlegte. Weder Anna Wagenfeld noch<br />
die beiden Beamten ließen s<strong>ich</strong> vom Gezeter der Frau in irgendeiner Weise<br />
beeinflussen. Jan saß mit verstocktem Ges<strong>ich</strong>t auf einem Stuhl und hatte<br />
für m<strong>ich</strong> unverständl<strong>ich</strong>erweise Handfesseln angelegt bekommen. Das war<br />
allerdings schon eine ungewöhnl<strong>ich</strong>e Maßnahme, und <strong>ich</strong> fand es<br />
unangemessen. Bis <strong>ich</strong> Annas Ges<strong>ich</strong>t sah. Hier waren zwei dicke<br />
Kratzspuren auf der linken Wange und ihr Auge schien zuzuschwellen. Ich<br />
wusste sofort, was los gewesen war. Das Bürschchen war während des<br />
Verhörs auf Anna körperl<strong>ich</strong> losgegangen. Und er war für sein Alter groß<br />
und s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> auch kräftig.<br />
Als Anna m<strong>ich</strong> sah, sagte sie sofort: «<strong>Teufel</strong>, was willst du denn hier. Du<br />
hast gerade noch gefehlt.»<br />
«Frau Hertsch ist meine Klientin und hat m<strong>ich</strong> gebeten, sie hierher zu<br />
begleiten. Soweit <strong>ich</strong> informiert wurde, ist der Junge bei einem<br />
Ladendiebstahl erwischt worden und darum frag <strong>ich</strong> d<strong>ich</strong>, wieso wird er<br />
hier im Rauschgiftdezernat verhört und was war hier los? Holt erst einmal<br />
einen Arzt, Frau Hertsch bekommt sonst einen Zusammenbruch.»<br />
Einer der Beamten verließ den Raum und Anna antwortete trocken: «Er<br />
wurde zwar wegen Ladendiebstahls verhaftet. Nur das Zeug, was man bei<br />
dem Burschen gefunden hat, kann man unmögl<strong>ich</strong> bei Karstadt stehlen.<br />
Einhundertfünfzig Gramm bestes Heroin und noch zwei Stangen Hasch,<br />
ebenfalls bester Qualität. <strong>Wenn</strong> es das übern Ladentisch gäbe, wäre <strong>ich</strong><br />
arbeitslos.»<br />
«Und äußert er s<strong>ich</strong> dazu, wie er da rangekommen ist?»<br />
«Er behauptet, dass diese Kaufhausdetektive es ihm untergejubelt<br />
haben. Er behauptet steif und fest, dieses Zeug nie in den Fingern gehabt<br />
zu haben und er auch n<strong>ich</strong>ts damit zu tun hat.»<br />
Inzwischen war ein Polizeiarzt in den Raum gekommen und kümmerte<br />
s<strong>ich</strong> um Frau Hertsch als Jan Hertsch plötzl<strong>ich</strong> aufsprang und versuchte<br />
zur Tür zu rennen. Ich war schneller als die Beamten und bekam ihn an<br />
seiner Jacke zu fassen. Er versuchte s<strong>ich</strong> zu drehen und mir seine<br />
zusammen gefesselten Hände in den Bauch zu rammen. Aber der Stoß ging<br />
ins Leere und <strong>ich</strong> setzte den zappelnden Jan unsanft <strong>zurück</strong> auf seinen<br />
Stuhl. Er schrie jetzt: «Um meine Scheißmutter bemühen Sie s<strong>ich</strong>, aber<br />
m<strong>ich</strong>, der unter Schock stehe, den beachtet man gar n<strong>ich</strong>t.<br />
206
Erst wollen m<strong>ich</strong> diese komischen Detektivheinis, genauso blöde<br />
Idioten, wie dieser <strong>Teufel</strong> hier, m<strong>ich</strong> reinlegen. Ich wollte doch gar n<strong>ich</strong>ts<br />
stehlen. Die Sachen, die <strong>ich</strong> mir ausgesucht habe, wollte <strong>ich</strong> nur an der<br />
Sammelkasse zahlen. Das Geld hat man ja s<strong>ich</strong>ergestellt. Und zur Krönung<br />
jubeln die mir auch noch Rauschgift unter und die Tussi da, kommt mir<br />
während des Verhörs ganz nahe und stre<strong>ich</strong>elt mir über die Hose und sagt,<br />
wenn <strong>ich</strong> ganz nett zu ihr bin, könnte mir überhaupt n<strong>ich</strong>ts passieren.»<br />
Anna war vorher schon blass gewesen, jetzt wurde sie totenble<strong>ich</strong> und<br />
<strong>ich</strong> merkte, wie in ihr eine irre Wut hochkam. Ich war blitzschnell zwischen<br />
Anna und Jan und herrschte ihn an: «Halt die Schnauze, du missratenes<br />
Stück Mist. Du lügst ja schon, bevor du den Mund aufmachst.»<br />
Aus der anderen Ecken des Raumes jaulte plötzl<strong>ich</strong> Frau Hertsch wieder<br />
und schrie: «So dürfen Sie mit meinem Herzblatt n<strong>ich</strong>t umgehen. So n<strong>ich</strong>t,<br />
Herr <strong>Teufel</strong>.«<br />
Dann griff sie s<strong>ich</strong> mit theatralischer Geste an den Busen, an ihr Herz<br />
und jappste: »Oh, mein Herz, <strong>ich</strong> bekomme s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> gle<strong>ich</strong> einen<br />
Herzinfarkt.«<br />
Ich sagte ganz ruhig: »Sie dürfen Ihren Busen wieder loslassen, das Herz<br />
sitzt auf der anderen Seite. Sie sollten s<strong>ich</strong> beruhigen und einen Anwalt<br />
rufen. Mehr kann <strong>ich</strong> hier im Moment für Sie n<strong>ich</strong>t tun und so wie es<br />
aussieht, auch wohl der Anwalt n<strong>ich</strong>t.«<br />
Jan Hertsch schrie wieder: »Ich will n<strong>ich</strong>t länger von dieser sexistischen<br />
Frau verhört werden, die mir an die Hose geht, wenn keiner guckt. Ich will<br />
nach Hause zu meinen Eltern.«<br />
»Sperren Sie den Burschen erst einmal weg. In eine nette kleine Zelle,<br />
damit er s<strong>ich</strong> beruhigen kann. Und dann sollten Sie alle hier in Ruhe die<br />
wirkl<strong>ich</strong>en Untersuchungen beginnen. Frau Hertsch sollte, bis der Anwalt<br />
kommt, unter ärztl<strong>ich</strong>er Aufs<strong>ich</strong>t bleiben, aber n<strong>ich</strong>t hier. <strong>Wenn</strong> man meine<br />
Aussagen haben möchte, Anna, du weißt, wie du m<strong>ich</strong> erre<strong>ich</strong>en kannst.«<br />
Sie kam mir nach und baute s<strong>ich</strong> vor mir auf und fragte mit bangem<br />
Ges<strong>ich</strong>t: »Du glaubst doch hoffentl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t, was dieser Bursche da von s<strong>ich</strong><br />
gibt?«<br />
»Ich weiß, dass dieser Bursche lügt; aber für d<strong>ich</strong> wird die Schwierigkeit<br />
bestehen, beweisen zu müssen, dass du ihm n<strong>ich</strong>t zu nahe gekommen bist.<br />
Und das geht am Besten, wenn du beweist, dass er von Anfang an gelogen<br />
hat, um seinen Hals zu retten. Ihr werdet doch Fingerabdrücke von ihm<br />
auf den Packungen mit dem Gift gefunden haben. Dann hat er schon<br />
einmal ganz schlechte Karten. Hat es denn eine Situation gegeben, in der<br />
du allein mit den Burschen im Zimmer warst?«<br />
207
»Ja. Er bat ganz artig um ein Glas Wasser und Kollege Schneider ging<br />
eins holen. Er war kaum aus dem Zimmer, als dieser Verrückte plötzl<strong>ich</strong><br />
anfing zu schreien, dass <strong>ich</strong> ihm an die Hose ginge. Ich war etwa einen<br />
Meter von seinem Stuhl als plötzl<strong>ich</strong> aufsprang und auf m<strong>ich</strong> losging. Ich<br />
war so überrascht, dass <strong>ich</strong> seinen ersten Schlag voll einstecken musste.<br />
Und dabei hat er mir nach dem Auge gegriffen, wie mit Krallen. Die<br />
Spuren kannst du hier sehen.«<br />
»Sieht trotzdem verflucht schlecht für d<strong>ich</strong> aus. So langsam bekomme<br />
<strong>ich</strong> das Gefühl, der Bursche ist wirkl<strong>ich</strong> gemeingefährl<strong>ich</strong> und n<strong>ich</strong>t nur ein<br />
kleptomanisches Kind.«<br />
»Manchmal hasse <strong>ich</strong> meinen Beruf«, sagte Anna leise und ging <strong>zurück</strong><br />
ins Büro.<br />
Ich ging hinüber in den Ratskeller, denn <strong>ich</strong> konnte Charlotte übers<br />
Handy n<strong>ich</strong>t erre<strong>ich</strong>en und nahm an, dass es dort unten einfach keinen<br />
Empfang gab. Ich hatte Recht. Charlotte saß mit Egli zusammen und sie<br />
schienen s<strong>ich</strong> hervorragend zu unterhalten, denn das erste, was <strong>ich</strong> von<br />
Charlotte sah, war ihr lachender Mund. So gelöst sah <strong>ich</strong> sie die ganze<br />
Woche schon n<strong>ich</strong>t mehr, und <strong>ich</strong> hatte immer noch n<strong>ich</strong>t nachgeforscht,<br />
was eigentl<strong>ich</strong> los war. Ich setzte m<strong>ich</strong> zu ihnen und orderte ein<br />
Mineralwasser, nachdem <strong>ich</strong> Egli begrüßte.<br />
Charlotte sagte sofort: »<strong>Teufel</strong>, das scheint ein r<strong>ich</strong>tiger Auftrag für d<strong>ich</strong><br />
zu sein, was Herrn Egli schon wieder nach Bremen geführt hat. Lass d<strong>ich</strong><br />
selbst von ihm informieren.«<br />
»Nein, Charlotte, <strong>ich</strong> kann im Moment n<strong>ich</strong>ts annehmen. Darum bin <strong>ich</strong><br />
sofort hierher gekommen, weil Herr Egli eventuell uns erst einmal helfen<br />
muss. Anna Wagenfeld ist schwer in Bedrängnis geraten, durch eine<br />
Falschaussage von diesem Kleptomanen und wahrscheinl<strong>ich</strong> sogar<br />
Kleindealer Jan Hertsch. Seine Eltern werden Himmel und Hölle in<br />
Bewegung setzen und die besten Anwälte Bremens hinter s<strong>ich</strong> haben, um<br />
der Bremer Justiz und besonders Anna zu schaden. Ich brauche für Anna<br />
einen ebenbürtigen Anwalt, der sie, und damit die Bremer Polizei, aus dem<br />
Schlamassel holt. Und wir müssen mehr über diesen durchgeknallten<br />
Jungen erfahren. Das hat höchste Priorität. Dann erst kann <strong>ich</strong> für Herrn<br />
Egli in seiner Sache tätig werden. <strong>Wenn</strong> es etwas ganz Eiliges ist, müsste<br />
<strong>ich</strong> es woanders hin delegieren.«<br />
»Um was handelt es s<strong>ich</strong> in dieser Polizeiangelegenheit?«<br />
Ich erzählte, was passiert war und was Jan Hertsch inszenierte, und<br />
wieso Anna nur sehr schlechte Chancen bekam.<br />
208
»Ich brauche also einen Anwalt, der zumindest vorläufig verhindert,<br />
dass Medienspektakel gegen die Bremer Polizei anfängt, und dass Anna<br />
n<strong>ich</strong>t vorzeitig aus dem Polizeidienst geworfen werden kann.<br />
Dass sie bis zur Klärung des Falles zwar suspendiert wird, aber<br />
keineswegs gle<strong>ich</strong> entlassen.«<br />
»Aha, der Herr <strong>Teufel</strong> verz<strong>ich</strong>tet auf gute Honorare um seiner Geliebten<br />
helfen zu können«, entfuhr es Charlotte.<br />
Egli sah ein wenig pikiert zur Seite, und <strong>ich</strong> sagte schärfer als <strong>ich</strong><br />
beabs<strong>ich</strong>tigte: »Anna ist n<strong>ich</strong>t meine Geliebte. Sie ist eine gute korrekte<br />
Polizeibeamtin, die man fertig machen will. Und zwar von einem<br />
Rotzlöffel, der nur den Vorteil hat, in ein re<strong>ich</strong>es Elternhaus geboren zu<br />
sein. Und das diese Leute hier in Bremen einen Einfluss haben, lässt s<strong>ich</strong><br />
wohl kaum bestreiten. Ich will n<strong>ich</strong>t, dass hier Unwahrheiten zu<br />
Wahrheiten gebastelt werden, nur um einen missratenen Jungen zu<br />
decken. Der Bursche startet ungestraft Verbalattacken gegen seine Mutter,<br />
seinen Vater und gegen alles, was s<strong>ich</strong> bewegt. Und jetzt versucht er, eine<br />
verdienstvolle Beamtin in den Ruin zu treiben. Das kann <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t zulassen,<br />
und so verstehe <strong>ich</strong> meinen Beruf.«<br />
Charlotte sah m<strong>ich</strong> fast entsetzt an, und Egli war es der die Schärfe aus<br />
diesen Worten nahm, indem er sagte: »Genau das ist die Einstellung, die<br />
wir an <strong>Teufel</strong> so schätzen. Er will n<strong>ich</strong>t die Gerechtigkeit, die wir<br />
erkämpfen, weil wir Gesetzestexte kennen und auslegen können. Er<br />
kämpft für die menschl<strong>ich</strong>e Gerechtigkeit. Charlotte, er will n<strong>ich</strong>t in den<br />
Dschungeln der Paragrafen herumirren, sondern der menschl<strong>ich</strong>en<br />
Gerechtigkeit zu seinem Recht verhelfen. Er wird immer eher auf der Seite<br />
derjenigen stehen, die zwar Recht haben, und n<strong>ich</strong>t die Mittel haben, es<br />
auch zu bezahlen. Und er wird immer dagegen stehen, dass man Recht<br />
auch erkaufen kann, indem man die Anwälte beschäftigt, die die besseren<br />
Argumente liefern. Ihm geht es n<strong>ich</strong>t um seine persönl<strong>ich</strong>en Einnahmen,<br />
sondern darum, denen zu helfen die wirkl<strong>ich</strong> Recht bekommen sollten.<br />
Den Aufr<strong>ich</strong>tigen und Ehrl<strong>ich</strong>en. Ich verstehe seine Motive, und das ist der<br />
Grund, warum <strong>ich</strong> ihn für meinen Fall gewinnen will.«<br />
Dann wandte er s<strong>ich</strong> an m<strong>ich</strong> und sagte nur: »<strong>Wenn</strong> Sie meinen, <strong>Teufel</strong>,<br />
dass <strong>ich</strong> gut genug bin, für diese Frau Wagenfeld, dann übernehme <strong>ich</strong> ihr<br />
Mandat. Ich habe meine Zulassung für deutsche Ger<strong>ich</strong>te hier in<br />
Deutschland.«<br />
Ich konnte n<strong>ich</strong>t anders: Ich strahlte ihn an und re<strong>ich</strong>te ihm meine Hand<br />
über den Tisch.<br />
»Abgemacht. Ich hoffe Ihren Fall hier zu klären und Sie klären die<br />
Angelegenheit Wagenfeld.«<br />
209
Wir schüttelten uns die Hand und er wollte im Anschluss direkt ins<br />
Polizeipräsidium gehen. Ich wiederum wollte m<strong>ich</strong> um meine<br />
Angelegenheit im Hafen kümmern.<br />
Ich ließ Charlotte und Egli im Ratskeller sitzen und war schon auf dem<br />
Weg in den Hafen.<br />
Ich trug alle Protokolle der polizeil<strong>ich</strong>en Ermittlungen in meiner Tasche,<br />
als <strong>ich</strong> bei dem Firmeninhaber vorsprach. Er zeigte mir seine<br />
S<strong>ich</strong>erheitsvorkehrungen und wie sie geschaltet waren und es zeigte s<strong>ich</strong>,<br />
dass es keine Wege gab, die Anlage zu umgehen. <strong>Wenn</strong> hier Einbrüche<br />
stattfanden, mussten die Kontrollkameras geschickt getäuscht worden sein<br />
und <strong>ich</strong> fragte den Inhaber, wie lange die Videobänder aufbewahrt<br />
würden. Er sagte mir, dass die Kassetten tägl<strong>ich</strong> gewechselt wurden und<br />
im Turnus von 14 Tagen wieder neu bespielt würden. Und dass diese<br />
Kameras grundsätzl<strong>ich</strong> mit dem Abschließen des Gebäudes gestartet<br />
wurden, und somit immer eingeschaltet waren, wenn die Räume verlassen<br />
seien.<br />
Das ließ ja nur die Schlussfolgerung zu, dass die Waren während des<br />
Arbeitstages entwendet wurden. Dass bei ganz normalen Verladungen, die<br />
Waren mit auf die Lkws gebracht werden konnten. Dies wiederum müsste<br />
vom Lagermeister bemerkt werden.<br />
Der Inhaber ließ seinen Lagermeister rufen und der bestätigte mir, dass<br />
während seiner Sch<strong>ich</strong>ten nie etwas abhandengekommen war. Der<br />
Lagermeister war ein älterer Mann, der schon seit Jahrzehnten hier im<br />
Hafen die Verantwortung als Lagermeister bei den verschiedensten Firmen<br />
übernommen hatte. Noch nie waren ihm Waren gestohlen worden. Er<br />
machte einen unglückl<strong>ich</strong>en Eindruck, dass gerade hier in der Firma so<br />
kurz vor seiner Pensionierung diese Dinge passierten. Ich ging mit ihm zu<br />
seinem Büro, das in S<strong>ich</strong>tweite des Ladetors lag. Selbst wenn er kurzzeitig<br />
abgelenkt werden sollte, könnte es n<strong>ich</strong>t gelingen Ladungen gle<strong>ich</strong><br />
gabelstaplerweise an ihm vorbei zu bringen, ohne dass er es bemerken<br />
würde.<br />
Und noch eines stand fest: Die gestohlene Waren konnte nur durch<br />
dieses Rolltor, das auf die Laderampe hinausführte, verschwinden, denn<br />
die übrigen Türen waren zu schmal um die Ware dort hindurch zu<br />
bekommen.<br />
Während <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> dort im Büro des Lagermeisters umsah, ging die<br />
übl<strong>ich</strong>e Arbeit hier in der Halle ganz normal weiter.<br />
Einmal rief der Lagermeister über Mikrofon einem Gabelstapelfahrer<br />
etwas zu, und der machte mit der Hand ein Ze<strong>ich</strong>en, dass er verstanden<br />
hätte. Ich fragte den älteren Mann: »Was haben Sie ihm zugerufen?«<br />
210
»Ich habe ihm die Anweisung gegeben, von welchen Regalen er die<br />
nächste Lieferung auf den nächsten LKW bringen soll. Diese Ladung auf<br />
dem dort stehenden LKW ist vollständig.<br />
Schauen Sie hier die Ladepapiere. Die mache <strong>ich</strong> jetzt fertig, damit<br />
Kopien dem Fahrer übergeben werden können. Danach kommt schon der<br />
nächste Lastzug dran. Da werden wir einiges mehr darauf bringen. Es wird<br />
dann die letzte Fuhre für heute sein.«<br />
Ich sah mir an, was er dort alles niedergeschrieben oder ankreuzte und<br />
fummelte dabei in meiner Jackentasche. Der ältere Mann deutete dieses<br />
falsch und sagte: »Hier im Raum können Sie ruhig rauchen, aber bitte n<strong>ich</strong>t<br />
draußen in der Halle. Da ist es streng verboten. Da drüben steht ein<br />
Aschenbecher.«<br />
Ich lächelte den Mann scheinbar dankbar an und holte wirkl<strong>ich</strong> meine<br />
Zigaretten heraus und steckte mir eine an. Er machte m<strong>ich</strong> aber auf eine<br />
sehr interessante Tatsache aufmerksam. In der Halle durfte n<strong>ich</strong>t geraucht<br />
werden, aber <strong>ich</strong> entdeckte auf dem Weg hierher auf einem Gang<br />
Zigarettenkippen. Sie lagen halb versteckt unter einer Palette.<br />
Während der Lagermeister noch die Papiere fertigstellte und mit seinem<br />
Klemmbrett in R<strong>ich</strong>tung Rolltor ging, um die Papiere dem Fahrer<br />
auszuhändigen und s<strong>ich</strong> den Empfang der Ware quittieren zu lassen, baute<br />
<strong>ich</strong> meine kleine Funkkamera in der Ecke des Fensters auf. Es war nur ein<br />
weiteres kleines Päckchen, das dort zwischen anderen auf dem Finstersims<br />
lag. Ich stellte es so hin, dass <strong>ich</strong> annahm, dass die Kamera alle<br />
Bewegungen am Rolltor festhalten würde. Wo <strong>ich</strong> den Recorder dazu<br />
verstecken wollte, wusste <strong>ich</strong> noch n<strong>ich</strong>t.<br />
Außerdem wollte <strong>ich</strong> mir die Zigarettenkippen in der Halle noch einmal<br />
genauer ansehen. Ich war mir zieml<strong>ich</strong> s<strong>ich</strong>er, dass dem Lagermeister ein<br />
Raucher in der Halle sofort aufgefallen wäre und ihn gestoppt hätte. Die<br />
Kippen konnten nur in seiner Abwesenheit dort gelandet sein und könnten<br />
von den Dieben stammen.<br />
Nachdem <strong>ich</strong> ausrauchte und der ältere Mann wieder an seinem Platz<br />
saß und die nächsten Ladepapiere vorbereitete, verabschiedete <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong><br />
schon von ihm und sagte nur, dass <strong>ich</strong> mir das Lagersystem genauer<br />
ansehen möchte. Ich würde dann <strong>zurück</strong> zum Chefbüro gehen.<br />
Er mahnte m<strong>ich</strong> nur, dass <strong>ich</strong> den Gabelstapelfahrern n<strong>ich</strong>t die Quere<br />
kommen sollte, da die nur schlecht sehen könnten, wenn eine einzelne<br />
Person vor ihren beladenen Maschinen auftauchen würde. Ich sagte ihm,<br />
dass <strong>ich</strong> vors<strong>ich</strong>tig sein wollte.<br />
211
Ich sammelte die Kippen, die <strong>ich</strong> entdeckte in die Zellophanumhüllung<br />
meiner eigenen Zigarettenpackung und ging dann schnell <strong>zurück</strong> zum<br />
Firmeninhaber.<br />
Ich befragte ihn, wer außer seiner Firma hier im Schuppen noch<br />
residierte. Er sagte:<br />
»Hier im Hause ist nur noch ein kleines Büro eines Schiffsmaklers, das<br />
aber nur noch sehr selten benutzt wird.«<br />
Er lachte, als er sagte: »Ich glaube, das hat Anderthofen nur noch zu dem<br />
Zweck, dass er hier seine jüngeren Geliebten empfangen kann. Dabei ist er<br />
schon über siebzig. Aber <strong>ich</strong> habe ihn schon länger n<strong>ich</strong>t mehr gesehen.<br />
Bekommt wohl zu Haus keinen Ausgang mehr. Der hätte das Büro wohl<br />
auch schon längst aufgegeben, wenn die Miete n<strong>ich</strong>t so preiswert wäre. Der<br />
hat noch einen von diesen Uraltverträgen mit der Lagerhausgesellschaft.<br />
Die können weder die Miete erhöhen noch ihn rauswerfen.<br />
Ich befragte ihn noch zu den Maschinen, die er hier umschlug und er<br />
erzählte mir eine ganze Menge über diese Kühlaggregate, die hier lagerten.<br />
Während unseres Gespräches rauchte er mindestens fünf Zigaretten einer<br />
filterlosen Marke.<br />
Ich sagte ihm: »Meine Güte Sie rauchen aber viel. Ich dachte <strong>ich</strong> rauchte<br />
schon viel, aber sie scheinen die Dinger ja geradezu zu fressen. Lassen Sie<br />
s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t vom Hallenmeister erwischen, wenn Sie da durchgehen. Ich<br />
glaube der ist da sehr streng.«<br />
»Da können Sie s<strong>ich</strong> darauf verlassen. <strong>Wenn</strong> er m<strong>ich</strong> erwischen würde,<br />
könnte <strong>ich</strong> ganz schönen Stunk mit ihm bekommen. Der ist da ganz<br />
pingelig und macht auch keinen Halt vor seinem Chef.«<br />
Kurz darauf verabschiedete <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> und ging.<br />
Der Eingang zum Schiffsmaklerbüro war von der Laderampe aus zu<br />
erre<strong>ich</strong>en und <strong>ich</strong> probierte die Tür, die abgeschlossen war.<br />
Ich ging <strong>zurück</strong> zu meinem Wagen und holte den kleinen Funkrecorder<br />
und mein Einbruchsbesteck. Die Tür war kein Problem und <strong>ich</strong> war<br />
blitzschnell in den Räumen verschwunden. Hier gab es ein muffig<br />
riechendes Büro und einen weiteren Raum, der wie vom Nachbarn<br />
vermutet, als Liebeslager ausgestattet war. Ich baute im Büro meinen<br />
Funkrecorder auf und prüfte mit einem Handdisplay, ob meine Kamera<br />
r<strong>ich</strong>tig ausger<strong>ich</strong>tet war. Ich traf den r<strong>ich</strong>tigen Winkel und konnte so die<br />
Aktivitäten am Rolltor genau beobachten.<br />
Ich schaltete alles ein und aktivierte den Bewegungssensor an der<br />
Kamera per Funk. Die Kamera würde s<strong>ich</strong> jetzt grundsätzl<strong>ich</strong> einschalten,<br />
wenn dort drüben in der Halle Bewegungen stattfanden.<br />
Ich verließ eilig wieder dieses muffige Büro und wusste, dass <strong>ich</strong> hier<br />
212
nun regelmäßig alle zwei Tage wieder einbrechen musste, um die<br />
Festplatte des Recorders auszutauschen.<br />
Außerdem wollte <strong>ich</strong> die Kippen, die <strong>ich</strong> in der Halle fand mit der einen,<br />
die <strong>ich</strong> aus dem Aschenbecher des Firmeninhabers verschwinden ließ,<br />
vergle<strong>ich</strong>en lassen. Es musste zwar n<strong>ich</strong>ts heißen, aber <strong>ich</strong> war zieml<strong>ich</strong><br />
s<strong>ich</strong>er, dass auch die Kippen in der Halle vom Inhaber des Ladens<br />
stammten. Und der vers<strong>ich</strong>erte mir, dass der Hallenmeister wettern würde,<br />
wenn er seinen Chef rauchend in der Halle erwischte. Also konnten sie nur<br />
dort hingekommen sein, wenn der Hallenmeister n<strong>ich</strong>t anwesend war.<br />
Vom Wagen aus telefonierte <strong>ich</strong> mit dem Sachbearbeiter in der<br />
Vers<strong>ich</strong>erung, der mir den Auftrag gab, und sagte nur: »Sie sollten den<br />
Inhaber der Firma in S<strong>ich</strong>erheit wiegen. Er sollte den Eindruck bekommen,<br />
dass mein Besuch heute den Fall so weit abgeklärt hat, dass die<br />
Vers<strong>ich</strong>erung bald auszahlen würde. Diese scheinbar gute Nachr<strong>ich</strong>t<br />
könnte ihn dann unvors<strong>ich</strong>tig werden lassen, wenn er wirkl<strong>ich</strong> mit den<br />
Diebstählen etwas zu tun hat.«<br />
Der Mann am anderen Ende des Telefons wollte zwar von mir noch<br />
wissen, was <strong>ich</strong> anstellte, aber <strong>ich</strong> ließ ihn über meine Maßnahmen im<br />
Unklaren. Die würde <strong>ich</strong> erst aufdecken, wenn der Fall geklärt war.<br />
Dann eilte <strong>ich</strong> <strong>zurück</strong> in meine Firma. Charlotte und Egli hatten es s<strong>ich</strong><br />
im Chefzimmer gemütl<strong>ich</strong> gemacht und tranken Champagner zusammen.<br />
Egli sagte mir auch warum: »Anna Wagenfeld ist von allen<br />
Nachforschungen in der Angelegenheit Hertsch freigestellt. Sie wurde<br />
verdonnert, Innendienst und Aktenaufarbeitung zu machen. Sie haben<br />
Recht, <strong>Teufel</strong>. Diese Hertschs wollten einen Riesenwirbel veranstalten und<br />
der Junge beharrte darauf, dass Anklage gegen Anna erhoben wird.<br />
Die Eltern durften den Jungen dann wieder mit nach Hause nehmen. Die<br />
Anwälte von denen bereiten Anzeigen gegen die Kaufhausdetektive und<br />
gegen Anna vor.<br />
Ich habe dem Nachfolger von Anna geraten, die Pakete auf<br />
Fingerabdrücke und auf DNA-Spuren untersuchen zu lassen. Es muss<br />
doch beweisbar sein, dass der Junge die Pakete in Händen hielt. Es sieht<br />
also n<strong>ich</strong>t ganz so schlecht aus. Und <strong>ich</strong> habe Charlotte von meinem<br />
Anliegen erzählen können, und welche tolle Prämie ausgesetzt ist, wenn<br />
Sie die Beweise erbringen können, die wir brauchen. Daher der<br />
Champagner.«<br />
»Egli, Sie sollten hier in unserem Büro immer mit Champagner bewirtet<br />
werden, egal was für Prämien winken. Ich weiß doch, was Sie am liebsten<br />
trinken. Ich hole mir lieber ein Bier.<br />
Das glaube <strong>ich</strong>, habe <strong>ich</strong> mir heute schon verdient.«<br />
213
24<br />
Egli´s Fall<br />
»Nun, erzählen Sie mir von Ihrem Fall, Egli.«<br />
»Es ist wieder einmal eine Personennachforschung. Wir müssen<br />
beweisen, dass eine junge Frau wirkl<strong>ich</strong> die leibhaftige Tochter eines vor<br />
inzwischen 21 Jahren Verstorbenen ist. Unsere Kanzlei verwaltete schon<br />
vor dem Tod des Mannes ein Millionenvermögen. Der Mann war jüdischer<br />
Abstammung und war während des Krieges mit seiner Familie in die<br />
Türkei emigriert. Er hat dort einen Tepp<strong>ich</strong>handel gegründet und hat seine<br />
Verbindungen zu Baumwollanbauern dort sehr intensiv gepflegt.<br />
Er lebte dort mit seiner Frau und seinen vier Söhnen, wovon drei von<br />
ihnen auch dort geboren sind. 1948 kam er noch vor der Währungsreform<br />
hier nach Bremen <strong>zurück</strong> und betrieb hier im Hause die einzige, aber<br />
erfolgre<strong>ich</strong>e Firma, die s<strong>ich</strong> auf türkische Baumwolle spezialisierte. Er ließ<br />
zu diesem Zeitpunkt schon alle Kapitalverwaltung durch unser Haus in<br />
Zür<strong>ich</strong> machen. Wir waren die Treuhänder und die Kapitalverwaltung<br />
wurde natürl<strong>ich</strong> von den Banken vorgenommen.<br />
Kurz vor seinem Tod im Jahre 1978 veränderte er seine letzten<br />
Verfügungen für seine Besitztümer in der Schweiz vollständig. Da seine<br />
Frau ihn zwei Jahre zuvor verließ, und auch seine Söhne eigene Wege<br />
gingen und s<strong>ich</strong> dem Vater entfremdeten, enterbte er sie. Das betraf<br />
ledigl<strong>ich</strong> seine Schweizer Besitztümer. Sein deutsches Testament behielt<br />
unseres Wissens seinen alten Inhalt, und hier waren nur seine Söhne<br />
erbberechtigt, weil er zum Zeitpunkt seines Ablebens schon rechtskräftig<br />
geschieden war.<br />
Wir erhielten dann Kenntnis von seinem Ableben und das war eher<br />
zufällig fast ein Jahr nach dem Tode des Mannes, weil wir neue<br />
Anweisungen zu Anlageentscheidungen erwarteten und n<strong>ich</strong>ts geschah.<br />
Wir versuchten uns diskret mit ihm in Verbindung zu setzen, aber erfuhren<br />
dabei nur, dass der Mann verstorben war.<br />
Die Anweisung die er uns gegeben hatte lautete schl<strong>ich</strong>t: »Nach meinem<br />
Tod soll die Verwaltung meiner Güter durch die Kanzlei bis zum Ende<br />
dieses Jahrtausends vorgenommen werden. Am 2. Januar des Jahres 2000<br />
soll dann der versiegelte Brief den <strong>ich</strong> hier in der Kanzlei niedergelegt habe<br />
geöffnet werden und das Erbe soll dann an die dort genannte Person<br />
ausgezahlt werden.«<br />
Am 2. Januar dieses Jahres erbrachen wir den Brief und haben dort diese<br />
handschriftl<strong>ich</strong>e Verfügung vorgefunden.<br />
214
Er holte umständl<strong>ich</strong> ein sorgfältig gefaltetes Blatt Papier aus seiner<br />
Jackentasche. Es war die Fotokopie dieses Testaments.<br />
Der Brief fing mit der übl<strong>ich</strong>en Floskel für Testamente an und sagte im<br />
Übrigen aus, dass sämtl<strong>ich</strong>es Vermögen, das in seinem Namen von der<br />
Kanzlei verwaltet würde, an die Tochter der Sybille Scharnowski,<br />
wohnhaft in Bremen, Falkenstr. 26 fallen solle. Als einzige Bedingung sei<br />
<strong>daran</strong> geknüpft, dass der unumstößl<strong>ich</strong>e Beweis erbracht würde, dass es<br />
s<strong>ich</strong> um seine leibl<strong>ich</strong>e Tochter handelte.<br />
Dann folgte die ebenfalls übl<strong>ich</strong>e Floskel, dass der Unterze<strong>ich</strong>ner bei<br />
Niederschrift dieser Verfügung in geistiger und körperl<strong>ich</strong>er Gesundheit<br />
gewesen sei und diese Zeilen aus freien Stücken niedergeschrieben habe.<br />
Egli fuhr fort: »Frau Scharnowski haben wir inzwischen ermitteln<br />
können. Sie lebt immer noch und wohnt jetzt in der Parkstraße in Bremen.<br />
Sie hat auch eine Tochter, die immer noch bei ihr lebt. Frau Scharnowski<br />
war zu dem Zeitpunkt, als dieses Vermächtnis niedergeschrieben wurde<br />
als Animierdame in einer Bar hier in der Bremer Innenstadt tätig. Sie hat<br />
auch wohl als Stripteasedarstellerin dort in dem Club gearbeitet, aber das<br />
ist auch schon alles was wir über sie herausgefunden haben. Sie hat damals<br />
auch eine höhere Abfindung bei der Geburt der Tochter erhalten. Diese<br />
Zahlung wurde von uns damals geleistet. Wir haben jetzt noch fünf Jahre<br />
Zeit den unzweifelhaften Beweis für die Vaterschaft des Verstorbenen zu<br />
erbringen, bevor das Vermögen an den Schweizer Staat übergeben werden<br />
muss. Und hier kommen Sie ins Spiel <strong>Teufel</strong>, denn demjenigen, der den<br />
hundertprozentigen Nachweis der Vaterschaft erbringen kann, stehen 10%<br />
des Vermögens zu.«<br />
»Und Sie hoffen darauf, dass <strong>ich</strong> das kann, und außerdem, dass die<br />
Erbin aus steuerl<strong>ich</strong>en Gründen diese Erbschaft in Ihrer Verwaltung<br />
belässt, damit Ihnen die Verwaltungsgebühren auch weiterhin zufließen.«<br />
»Sie sind ein hervorragender Detektiv, <strong>Teufel</strong>. Sie haben es auf den<br />
Punkt gebracht.«<br />
Ich grinste zieml<strong>ich</strong> freudlos, als <strong>ich</strong> meinte: »Und diesen Nachweis<br />
könnten wir nur erbringen, wenn wir DNA-Proben vom Verstorbenen mit<br />
denen der jungen Frau abgle<strong>ich</strong>en könnten. Und da sehe <strong>ich</strong> schwarz, dass<br />
wir an die Knochenreste des Toten herankommen, denn wir müssten einen<br />
Grund für eine r<strong>ich</strong>terl<strong>ich</strong> angeordnete Exhumierung beantragen können<br />
und unter amtl<strong>ich</strong>er Aufs<strong>ich</strong>t diese Proben entnehmen.«<br />
»Das geht n<strong>ich</strong>t, weil der Tote feuerbestattet wurde.«<br />
»Ich wusste doch, dass die Gesch<strong>ich</strong>te mindestens einen Haken hat.«<br />
215
»Ja, wenn alles ganz einfach wäre, <strong>Teufel</strong>, dann hätten wir uns selbst<br />
schon die geschätzten Zehnmillionen Schweizer Franken verdient. Dann<br />
hätte <strong>ich</strong> Sie n<strong>ich</strong>t mit diesen Luftschlössern konfrontiert. Also lassen Sie<br />
s<strong>ich</strong> etwas einfallen.<br />
Ich werde in der Angelegenheit Anna Wagenfeld ja sowieso noch ein<br />
paar Tage in der Stadt bleiben. Sie wissen, wie Sie m<strong>ich</strong> erre<strong>ich</strong>en können.<br />
Im Hotel oder über Handy. Die Nummer hat s<strong>ich</strong> Charlotte schon notiert.<br />
Er trank sein Glas aus und verabschiedete s<strong>ich</strong>.<br />
Als er schon in der Tür war, rief <strong>ich</strong> ihm nach: »Faxen Sie mir bitte die<br />
Zahlungsanweisung von damals an Frau Scharnowski und das so schnell<br />
wie mögl<strong>ich</strong>.«<br />
»Hast du schon eine Idee, wie du das anpacken willst, <strong>Teufel</strong>?«<br />
»Nein, leider noch überhaupt keine, aber <strong>ich</strong> glaube wir sollten jetzt<br />
auch erst einmal unser eigenes Problem anpacken. Und <strong>ich</strong> glaube wir<br />
haben eins. Letztendl<strong>ich</strong> hat m<strong>ich</strong> deine Bemerkung heute Mittag im<br />
Ratskeller darauf gebracht. Also Charlotte, was ist los. Seit unserem<br />
Empfang ist scheinbar alles anders zwischen uns.«<br />
»Ja, das ist es auch, <strong>Teufel</strong>. Eigentl<strong>ich</strong> erst seit unserem Essen in<br />
Vegesack, aber die Gründe liegen sowohl im Empfang, als auch in deiner<br />
ganzen Vergangenheit. Ich komme n<strong>ich</strong>t damit klar, dass <strong>ich</strong> nur so eine<br />
Art Ersatz für deine Linda bin. Das ist es. Damit kann <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t leben. Und<br />
wenn <strong>ich</strong> dann auch noch mitbekomme, wie du von den ganzen anderen<br />
Frauen geradezu angehimmelt wirst. Ob es nun die FBI-Agentin aus<br />
Philadelphia ist, oder diese wunderschöne Chinesin, oder die Frau von<br />
Francis Bradley und ganz zu Schweigen von Jacelyn Fleurant und Mareike<br />
Vermeer. Aber am meisten hat m<strong>ich</strong> dein Blick auf diese Linda erschreckt.<br />
Es hat mir klargemacht, dass sie immer deine große Liebe bleiben wird,<br />
und <strong>ich</strong> nur ein kleiner Ersatz. <strong>Teufel</strong>, und damit kann <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t leben.<br />
Dafür liebe <strong>ich</strong> d<strong>ich</strong> zu sehr und es würde mit jeder Berührung noch<br />
schlimmer werden. <strong>Wenn</strong> <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> dir fernhalte, werde <strong>ich</strong> vielle<strong>ich</strong>t eines<br />
Tages darüber wegkommen.«<br />
Ich fühlte, wie Trauer in mir aufstieg. Und auch unendl<strong>ich</strong>e Wut, auf<br />
dieses Miststück von Angel, die erst Linda und m<strong>ich</strong> auseinander brachte<br />
und nun es auch noch schaffte, eine neue aufblühende Liebe, die auch von<br />
mir gegenüber Charlotte empfunden wurde, von Anfang an zu zerstören.<br />
Ich hörte m<strong>ich</strong> selbst murmeln: »Ja, Linda war die Liebe meines Lebens<br />
und Devil ist mein Sohn. Aber diese Liebe wurde zerstört und<br />
auseinandergerissen.<br />
216
Und nun, als <strong>ich</strong> anfing darüber hinwegzukommen, als s<strong>ich</strong> ein ganz<br />
kleiner neuer Hoffnungsschimmer abze<strong>ich</strong>nete, weil <strong>ich</strong> d<strong>ich</strong> kennen<br />
gelernt habe, da geht alles wieder kaputt, weil du n<strong>ich</strong>t damit leben kannst,<br />
dass es in meinem Leben schon Liebe gegeben hat. Tief empfundene Liebe.<br />
Ich habe auch meine erste Frau geliebt. Abgöttisch geliebt, aber wie endete<br />
es? Ich habe sie erschossen.«<br />
Ich bemerkte n<strong>ich</strong>t, dass Charlotte schon den Raum verließ. Auch sie<br />
machte ein sehr trauriges Ges<strong>ich</strong>t.<br />
Als <strong>ich</strong> später hinaus an den Empfang ging, um meine leere Bierflasche<br />
in den Kasten mit Leergut zu stellen, saß Charlotte an ihrem Platz und<br />
weinte. Ich wollte hinausgehen, aber sie hielt m<strong>ich</strong> mit den Worten <strong>zurück</strong>:<br />
»<strong>Teufel</strong>, wenn auch aus einer Liebesbeziehung zwischen uns n<strong>ich</strong>ts werden<br />
kann, <strong>ich</strong> will dir immer eine gute Sekretärin sein, und vielle<strong>ich</strong>t auch<br />
Freundin, wenn <strong>ich</strong> darf. Im Moment bin <strong>ich</strong> zu traurig, weil meine<br />
Träume verflogen sind, die <strong>ich</strong> im Krankenhaus geträumt habe, aber <strong>ich</strong><br />
werde am Montag wieder die alte Charly sein. Abgemacht?«<br />
Ich nickte ebenfalls traurig und sagte nur: »Abgemacht!«<br />
Ich fuhr einfach los, und hätte fast auf der Kreuzung an der<br />
Weserbrücke einen Unfall verursacht, weil <strong>ich</strong> völlig unkonzentriert fuhr.<br />
Ich stellte schließl<strong>ich</strong> den Wagen vor meiner Haustür ab, konnte m<strong>ich</strong> aber<br />
n<strong>ich</strong>t entschließen hineinzugehen. Ich ging zu Fuß weiter immer meinen<br />
traurigen Gedanken nachhängend. Ohne es zu wissen, wohin <strong>ich</strong> lief, stand<br />
<strong>ich</strong> plötzl<strong>ich</strong> vor der Tür zu Paulas Gaststätte. Von drinnen hörte <strong>ich</strong> den<br />
Krach. Dort war heute Hochbetrieb. Obwohl <strong>ich</strong> plötzl<strong>ich</strong> Hunger<br />
verspürte, weil <strong>ich</strong> ja heute noch n<strong>ich</strong>ts zu essen bekam, drehte <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong><br />
um und ging wieder. Ich wusste, dass <strong>ich</strong> heute keinen Trubel mehr<br />
gebrauchen konnte.<br />
Ich ging <strong>zurück</strong> bis zum Sielwall und aß eine halb verbrannte Bratwurst<br />
im Stehen und fing an, ein paar alte Bekannte zu suchen. Leute, die s<strong>ich</strong><br />
hier in der Gegend gut auskannten und die auch wussten, wo man s<strong>ich</strong><br />
Stoff besorgen konnte. Ich wollte doch einmal versuchen herauszufinden,<br />
wo der junge Hertsch am Morgen schon derartig viel Stoff her bezogen<br />
haben konnte. Ich sprach mit verschiedenen Junkies und mit<br />
Kleinhändlern, die <strong>ich</strong> noch aus meiner schlimmen Zeit kannte. Ich hockte<br />
m<strong>ich</strong> in Kneipen, die inzwischen längst die Besitzer gewechselt hatten, aber<br />
immer noch die gle<strong>ich</strong>en Gäste an den Theken hockten. Nach drei Stunden<br />
Herumirrens und Fragens wusste <strong>ich</strong> nur so viel: Es war unmögl<strong>ich</strong> hier in<br />
der Gegend am frühen Morgen so viel Stoff zu besorgen. Jan musste andere<br />
Quellen besitzen.<br />
217
Was m<strong>ich</strong> so stutzig an den Funden in seinen Taschen machte, war die<br />
Zusammenstellung. Einhundertfünfzig Gramm reines Heroin und zwei<br />
Stangen bestes Hasch. Das bezog man n<strong>ich</strong>t aus einer Quelle.<br />
Der Eine handelte mit Heroin, ein anderer mit Hasch, aber das jemand<br />
Quelle für beides war, schien mir kaum vorstellbar.<br />
Meine Bratwurst lag mir quer im Magen, aber <strong>ich</strong> wollte auch keinen<br />
Verdauungsschnaps trinken. Und wenn <strong>ich</strong> es mir r<strong>ich</strong>tig überlegte, war es<br />
n<strong>ich</strong>t die Bratwurst, sondern meine Probleme mit Charlotte, dem jungen<br />
Hertsch und Annas Zukunft.<br />
Ich wanderte wieder vor meine Haustür und dort bekam <strong>ich</strong> eine<br />
weitere Idee. Bei der Gelegenheit konnte <strong>ich</strong> auch gle<strong>ich</strong> einen<br />
Funktionstest meiner Bemühungen um die S<strong>ich</strong>erheit der Hertsch-Villa<br />
machen.<br />
Ich fuhr zum Botanischen Garten und stellte meinen Wagen kurz vor der<br />
Autobahnüberführung auf einen Parkplatz. An der dunkelsten Stelle<br />
überstieg <strong>ich</strong> den Zaun zum Golfplatz und suchte mir durch das Gestrüpp<br />
hier am Zaun einen Weg zum offeneren Gelände und ging dann in<br />
westl<strong>ich</strong>e R<strong>ich</strong>tung entlang der Rückseiten der Häuser an der Deliusstraße.<br />
Ich suchte nach dem Anwesen von Hertsch. Es war so stockdunkel, dass<br />
<strong>ich</strong> immer wieder meine Taschenlampe aufblitzen lassen musste.<br />
Schließl<strong>ich</strong> entdeckte <strong>ich</strong> das Gartenhäuschen und machte sofort eine<br />
Entdeckung, die m<strong>ich</strong> elektrisiert zusammenfahren ließ. Das Fenster stand<br />
einen Spalt offen, aber es war ansonsten alles dunkel. Ich öffnete das<br />
Fenster ganz und schnupperte hinein. Es roch n<strong>ich</strong>t mehr nach<br />
Haschrauch. Wahrscheinl<strong>ich</strong> lüftete Frau Hertsch hier und vergaß<br />
hinterher das Fenster wieder zu schließen. Das Lüften hatte sie bestimmt<br />
heute Nachmittag veranlasst oder selbst gemacht, weil sie befürchten<br />
musste, dass weitere Beamte des Rauschgiftdezernats die Zimmer des<br />
Jungen auf weitere Rauschgifthinweise untersuchen würden. Dass es eine<br />
derartige Untersuchung gab, davon ging <strong>ich</strong> zumindest aus. Ich stieg in das<br />
Gartenhaus ein und probierte als Erstes die Tür. Sie war verschlossen, aber<br />
mir fiel plötzl<strong>ich</strong> auf, dass der Schlüssel von innen steckte. Ich sah auf<br />
meine Uhr. Es war kurz vor Mitternacht, und <strong>ich</strong> war plötzl<strong>ich</strong> ganz s<strong>ich</strong>er,<br />
dass Jan da draußen auf dem Golfkurs war. Ich war sehr schnell wieder aus<br />
dem Fenster und versteckte m<strong>ich</strong> im Gebüsch seitl<strong>ich</strong> des Gartenhauses.<br />
Jetzt begann das Warten. Es wurde mir schnell kalt, trotz meiner<br />
Lederjacke. Und da <strong>ich</strong> in der Hocke kauern musste, schliefen mir die<br />
Beine schon nach kurzer Zeit ein. Ich setzte m<strong>ich</strong> mit gekreuzten Beinen<br />
direkt auf den kalten Boden.<br />
218
Die Feuchtigkeit drang sofort durch meine Hose und ließ m<strong>ich</strong> noch<br />
mehr frösteln. Hier unter dem Rhododendronbusch war es noch dunkler,<br />
als sonst auf dem übrigen Gelände und <strong>ich</strong> konnte noch n<strong>ich</strong>t einmal meine<br />
Uhr erkennen.<br />
Ich wusste n<strong>ich</strong>t, wie lange <strong>ich</strong> dort schon hockte, als <strong>ich</strong> gelegentl<strong>ich</strong>es<br />
Aufblitzen einer Taschenlampe bemerkte. Diese L<strong>ich</strong>tze<strong>ich</strong>en kamen aus<br />
der R<strong>ich</strong>tung, aus der <strong>ich</strong> auch gekommen war. Als die Gestalt näher kam,<br />
konnte <strong>ich</strong> Jan erkennen. Er ging sehr schnell und er war noch schneller in<br />
der Hütte verschwunden. Er machte sofort L<strong>ich</strong>t darinnen und <strong>ich</strong> konnte<br />
seine Gestalt im L<strong>ich</strong>t des Zimmers sehen. Er trug eine abwaschbare Jacke<br />
und Hose, wie <strong>ich</strong> sie im Geräteteil des Häuschens gestern sah. Er war<br />
scheinbar noch länger durch das Gestrüpp geeilt, denn sowohl an der Jacke<br />
als auch an der Hose waren dunkle feuchte Flecken. Er ging sofort in das<br />
angrenzende kleine Bad und es dauerte fast fünf Minuten, bis er wieder<br />
herauskam. Er trug jetzt seine ganz normalen Jeans und einen Pullover,<br />
und <strong>ich</strong> sah, dass er die andere Kleidung in die Dusche hängte. Dort sollte<br />
sie anscheinend abtrocknen. Dann löschte er das L<strong>ich</strong>t und verließ das<br />
Haus durch die Tür. Ich konnte hören, wie er die Tür diesmal von außen<br />
verschloss. Wenig später flammten die Scheinwerfer des Innenhofs auf und<br />
<strong>ich</strong> hörte das Schieben einer Metalltür. Er ging durch die Schwimmhalle<br />
<strong>zurück</strong> zu seinen Zimmern. Gle<strong>ich</strong> darauf hörte <strong>ich</strong> wie die Rollläden<br />
wieder vor die Fenster der Schwimmhalle gefahren wurden. Er schaltete<br />
die Automatik der Rollläden vorher scheinbar aus und fuhr sie manuell<br />
hoch und jetzt wieder herunter. Er musste schon ein begabtes Kerlchen<br />
sein, denn so einfach war die Schaltung n<strong>ich</strong>t, und <strong>ich</strong> hatte sie Frau<br />
Hertsch gestern in der Aufregung über seine Verhaftung n<strong>ich</strong>t erklärt. Jan<br />
musste es selbst herausgefunden haben.<br />
Ich schl<strong>ich</strong> durch die Dunkelheit <strong>zurück</strong> zu meinem Auto und stellte<br />
fest, dass es fast halb zwei Uhr war, als <strong>ich</strong> den Wagen startete. Ich<br />
wendete und fuhr <strong>zurück</strong> zu meiner Wohnung.<br />
Ich verspürte schreckl<strong>ich</strong>en Durst und trank erst eine ganze Flasche<br />
Mineralwasser und danach noch eine Flasche Bier. Als <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> hinlegte,<br />
fragte <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong>, was Jan wohl da draußen gemacht habe. Besorgte er s<strong>ich</strong><br />
neuen Stoff?<br />
219
25<br />
Giftsuche<br />
Ich war schon sehr früh wieder wach und wälzte m<strong>ich</strong> in meinem Bett<br />
hin- und her. Eigentl<strong>ich</strong> war <strong>ich</strong> zu faul jetzt schon aufzustehen, denn<br />
draußen war es immer noch dunkel. Aber dann überwand <strong>ich</strong> meine<br />
Faulheit und ging unter die Dusche. Dabei sah <strong>ich</strong> meine verschmutzte<br />
Hose, an der immer noch an meinem Hosenboden der Dreck des<br />
Golfplatzes haftete. Wahrscheinl<strong>ich</strong> verdreckte <strong>ich</strong> auch noch meinen Sitz<br />
im Auto.<br />
Ich packte meine Sachen in die neue Jeans, die <strong>ich</strong> anzog, und machte<br />
mir ein großes Frühstück. Frau Schiemak hatte dafür gesorgt, dass <strong>ich</strong> alles,<br />
was <strong>ich</strong> dazu brauchte, im Hause war. Ich briet Frühstücksbacon und<br />
Rühreier aus vier Eiern. Ich aß langsam und vertilgte dabei eine ganze<br />
Kanne Kaffee. Während des Kauens überlegte <strong>ich</strong> mir die ganze Zeit, was<br />
Jan zu der späten Zeit wohl in der Stadt gemacht haben konnte. Gestern<br />
dachte <strong>ich</strong> noch <strong>daran</strong>, dass er s<strong>ich</strong> neuen Stoff besorgt haben könnte.<br />
Heute Morgen überlegte <strong>ich</strong> in die andere R<strong>ich</strong>tung. Brachte er<br />
mögl<strong>ich</strong>erweise Stoff, der im Gartenhaus gelagert gewesen war, irgendwo<br />
auf dem Golfplatz in ein Versteck? Das schien mir noch naheliegender,<br />
aber dann hätte er wohl einen Spaten dabei haben müssen, um seine<br />
Schätze eingraben zu können. Und ein derartiges Gerät hatte er n<strong>ich</strong>t dabei<br />
gehabt, als er <strong>zurück</strong>kam.<br />
Ich würde später, wenn es hell war, noch einmal hinausfahren und m<strong>ich</strong><br />
näher zur Straße hin in dem d<strong>ich</strong>ten Gebüsch umsehen. Denn aus den<br />
dunklen Flecken an seiner Kleidung war <strong>ich</strong> ja schon darauf gekommen,<br />
dass er dort vom Gestrüpp zieml<strong>ich</strong> nass geworden war. Das konnte<br />
natürl<strong>ich</strong> sein, dass er dort etwas vergrub und den Spaten dort vor Ort<br />
liegen ließ.<br />
Zunächst fuhr <strong>ich</strong> aber in die Firma und entnahm dem Faxgerät die<br />
Zahlungsanweisung, die man mir aus Zür<strong>ich</strong> herüber schickte. Ich faltete<br />
sie ordentl<strong>ich</strong> zusammen und verstaute sie in meiner Jackeninnentasche.<br />
Dann ging <strong>ich</strong> mit meinen Kippen hinüber zum Polizeipräsidium. Ich<br />
schaute in die Rauschgiftabteilung und fand Annas Mitarbeiter über einer<br />
Akte vertieft. Er machte ein außerordentl<strong>ich</strong> grimmiges Ges<strong>ich</strong>t.<br />
Als er m<strong>ich</strong> sah, schimpfte er auch sogle<strong>ich</strong> los: »Das ist ein wirkl<strong>ich</strong><br />
starkes Stück. Wir dachten wir könnten den Jungen mit Fingerabdrücken<br />
rankriegen. N<strong>ich</strong>ts dergle<strong>ich</strong>en. Von ihm sind keine auf den Päckchen.<br />
220
Dafür aber jede Menge von diesen Hornochsen von Kaufhausdetektiven.<br />
Darunter waren zwar noch völlig verwischte, n<strong>ich</strong>t zu Identifizierende.<br />
Scheinbar haben alle Händler und der Junge, die diese Päckchen in Händen<br />
hielten, mit Handschuhen gearbeitet. Wir haben den Jungen noch n<strong>ich</strong>t<br />
einmal untersucht, ob er Handschuhe dabei hatte. Es ist zum Auswachsen.<br />
So wie es aussieht, bekommen die Kaufhausdetektive und auch Anna<br />
schreckl<strong>ich</strong>e Schwierigkeiten, und dass nur, weil <strong>ich</strong> so dumm war, dem<br />
Burschen ein Glas Wasser zu holen.<br />
Und hier im Haus ist sowieso der <strong>Teufel</strong> los. Schon wieder so ein<br />
grauenhafter Mord. Haben die erst heute Morgen entdeckt. Sieht so aus, als<br />
wäre er gestern im letzten Vorortzug von Vegesack hierher passiert. Der<br />
Zug endete hier im Hauptbahnhof und wurde auf ein Abstellgleis<br />
geschoben, wo er dann heute Morgen sauber gemacht werden sollte, bevor<br />
er wieder auf Linie gehen sollte. Oben in dem kleinen Raucherabteil lag sie.<br />
Völlig zerstochen. Das muss ein Wahnsinniger sein, der so etwas macht.<br />
Zwei dieser Schlachtereien innerhalb einer Woche. Unbegreifl<strong>ich</strong>, was hier<br />
in Bremen momentan abgeht.«<br />
»Meinen Sie, dass Sie mir mit einer DNA-Analyse helfen könnten. Ich<br />
habe hier drei Zigarettenkippen, die untersucht werden müssten, ob der<br />
gle<strong>ich</strong>e Mensch <strong>daran</strong> genuckelt hat.«<br />
»Nee, <strong>Teufel</strong>. Da kann <strong>ich</strong> Ihnen n<strong>ich</strong>t helfen, bei dem Trubel, der hier im<br />
Hause herrscht. Ich könnte aber ein gutes Wort für sie drüben im<br />
Zentralkrankenhaus einlegen. Die machen das auch; aber kostet natürl<strong>ich</strong>.<br />
<strong>Wenn</strong> Sie es erstattet bekommen, dann macht´s ja auch n<strong>ich</strong>ts. Ich würde es<br />
auf meine Kappe nehmen, es hier machen zu lassen, nachdem Sie den<br />
Anwalt für Anna besorgt haben, aber die sind wirkl<strong>ich</strong> überlastet.«<br />
»Es würde mir schon re<strong>ich</strong>en, wenn Sie mir die Tür zum Klinikum<br />
öffnen könnten. Ich denke, <strong>ich</strong> werde in der nächsten Zeit noch einige<br />
dieser Untersuchungen machen lassen müssen, und dann wäre es von<br />
Vorteil, wenn <strong>ich</strong> dort jemanden kenne.«<br />
Der Mann hängte s<strong>ich</strong> ans Telefon und sagte, nachdem er einen kleinen<br />
Augenblick privat mit jemanden dort sprach: »In Ordnung der<br />
Privatdetektiv <strong>Teufel</strong> wird s<strong>ich</strong> in der nächsten halben Stunde bei dir<br />
melden. Danke, der Mann hilft uns auch manchmal. Ja, er ist auch gut mit<br />
Anna bekannt.«<br />
Dann lächelte mir der Beamte zu und sagte: »Melden Sie s<strong>ich</strong> bei Dr.<br />
Atzhorn in der Pathologie. Der wird Ihnen helfen.«<br />
Dr. Atzhorn war ein kleiner Mann mit einer dicken Brille auf der Nase.<br />
Die Augen dahinter wurden durch die Brillengläser unnatürl<strong>ich</strong> groß<br />
vergrößert.<br />
221
Er sah aus wie ein kleiner grüner Laubfrosch, was auch noch durch<br />
seinen grünen Kittel betont wurde.<br />
Er war schlank und schien immer in Bewegung zu sein. Aber er<br />
verbreitete dadurch keine Hektik. Er streckte mir die Hand entgegen, als<br />
<strong>ich</strong> in sein Zimmer kam und <strong>ich</strong> bekam fast Angst sie ihm zu zerdrücken.<br />
Die Hand war so klein, dass sie in meinen Kohlenschaufeln förml<strong>ich</strong> zu<br />
verschwinden schienen. Trotzdem war sein Händedruck erstaunl<strong>ich</strong><br />
kräftig. Seine lebhafte Art und seine freundl<strong>ich</strong>e Ausstrahlung machten ihn<br />
mir sofort sympathisch.<br />
Ich sagte ihm, wo m<strong>ich</strong> mein Schuh drückte und gab ihm meine drei<br />
Zigarettenkippen. Er grinste m<strong>ich</strong> an und meinte: »Das Ergebnis können<br />
Sie s<strong>ich</strong> am Montagmorgen erfragen, re<strong>ich</strong>t das?«<br />
»Das re<strong>ich</strong>t Dr. Atzhorn. Aber <strong>ich</strong> habe noch eine ganz andere Frage an<br />
Sie, aber <strong>ich</strong> weiß noch n<strong>ich</strong>t einmal wie <strong>ich</strong> eigentl<strong>ich</strong> anfangen soll. Ich<br />
soll einen einwandfreien Beweis erbringen, dass ein Mensch Kind von<br />
einem längst Verstorbenen ist. Es gibt auch keine Gebeine, aus denen man<br />
Gewebeproben entnehmen könnte.«<br />
»Ganz schön kompliziert dann.«<br />
»Der Verstorbene hat allerdings noch vier Kinder, die ja auch die gle<strong>ich</strong>e<br />
Struktur der DNA aufweisen müsste, oder ist das falsch.«<br />
»Wir könnten damit nachweisen, dass alle Geschwister von einem<br />
Erzeuger sind, aber damit wäre immer noch n<strong>ich</strong>t der Beweis erbracht,<br />
dass sie Kinder dieses Verstorbenen sind. <strong>Wenn</strong> diese Kinder alle von<br />
jemand anders gezeugt wären, dann würde es gar n<strong>ich</strong>ts nützen, wenn<br />
beim fünften Kind die gle<strong>ich</strong>en Genanlagen vorhanden wären. Dann<br />
könnte man zwar die direkte Verwandtschaft aller fünf Kinder feststellen,<br />
aber der Erzeuger wäre immer noch draußen vor. Sie müssen schon etwas,<br />
was zur Identifikation des Verstorbenen dienen kann, mitliefern, anders<br />
geht es n<strong>ich</strong>t.«<br />
»Aber was könnte das sein?«<br />
»Mir würde schon ein alter Brief re<strong>ich</strong>en, den er einstmals zugeleckt hat.<br />
<strong>Wenn</strong> dann aus dieser uralten Spe<strong>ich</strong>elprobe und den DNA-Mustern der<br />
Kinder Gle<strong>ich</strong>klang bestehen sollte, würde <strong>ich</strong> unterschreiben können, dass<br />
der Briefeschreiber auch der Erzeuger dieser Kinder ist. Aber zu solch einer<br />
Analyse brauchte <strong>ich</strong> viel Zeit. Mindestens drei bis vier Wochen.«<br />
»Daran sollte es n<strong>ich</strong>t liegen, Dr. Atzhorn.«<br />
»Und es würde Sie schon ein kleines Vermögen kosten.«<br />
»Wie viel Überschlagsweise?«<br />
»Rechnen Sie mit ca. DM 10.000,00.«<br />
222
»Dann will <strong>ich</strong> einmal versuchen, ob <strong>ich</strong> all die Vergle<strong>ich</strong>sproben<br />
zusammen bekommen.<br />
Schon jetzt vielen Dank für die Kippenanalyse und Ihre Auskunft.«<br />
»Wir hören dann am Montag voneinander, und diese zweite Aufgabe<br />
würde <strong>ich</strong> auch gerne lösen. Und das n<strong>ich</strong>t nur im Hinblick auf mein<br />
Honorar. Die Aufgabe würde m<strong>ich</strong> reizen.«<br />
Ich sagte ihm n<strong>ich</strong>t, dass <strong>ich</strong> vorhatte, sein Honorar großzügig zu<br />
erhöhen, wenn er die Übereinstimmung feststellen könnte. Das könnte er<br />
als Grund nehmen, die Ergebnisse zu beeinflussen.<br />
Ich fuhr ganz frohgemut weiter zur Marcusallee und parkte meinen<br />
Wagen wieder dort, wo er heute Nacht schon stand. Dann wartete <strong>ich</strong> ab,<br />
bis niemand mehr in der Nähe war und stieg über den Zaun des<br />
Golfplatzes. Zwei Stunden krauchte <strong>ich</strong> durch das Gebüsch und suchte<br />
nach einem mögl<strong>ich</strong>en Rauschgiftversteck. Vergebl<strong>ich</strong>. Ich fand weder<br />
frische Grabungen noch einen Spaten. Dafür fand <strong>ich</strong> dann einen Ausgang.<br />
Eine Pforte im Zaun, die noch n<strong>ich</strong>t einmal verschlossen war. Direkt<br />
daneben befand s<strong>ich</strong> ein Telefonverteilerkasten, der auf keinem<br />
Betonsockel, sondern auf einem gemauerten Sockel stand. Hier hatten<br />
Kinder den Putz aus verschiedenen Ritzen herausgekratzt, und an einer<br />
Stelle sah es so aus, als sei sogar ein ganzer Stein gelockert.<br />
Ich war schon wieder auf dem Weg zu meinem Auto, bis <strong>ich</strong> begriff, was<br />
<strong>ich</strong> dort sah. Hier spielten keine Kinder. Das war das Versteck.<br />
Ich rief sofort Annas Kollegen an und sagte ihm, dass er mit einer<br />
Spurens<strong>ich</strong>erungsmannschaft hier erscheinen solle. Bis zu seiner Ankunft<br />
wollte <strong>ich</strong> das Versteck gut bewachen.<br />
Ich fuhr meinen Wagen näher an den Telefonverteiler herangefahren<br />
und rauchte drei Zigaretten, bis die Polizeibeamten endl<strong>ich</strong> kamen. Ich<br />
zeigte ihnen, was <strong>ich</strong> entdeckte und überließ ihnen die weitere Arbeit. Ich<br />
machte aber darauf aufmerksam, dass man direkt auf Fingerabdrücke<br />
achten solle. Ich machte auch darauf aufmerksam, dass auf eventuell<br />
vorhandene Folsäuren zu achten wäre, die man zwar n<strong>ich</strong>t so exakt wie<br />
einen Fingerabdruck zuordnen konnte, aber die Wahrscheinl<strong>ich</strong>keit, dass<br />
der Verdächtige dann <strong>daran</strong> gewesen war, konnte nachgewiesen werden.<br />
<strong>Wenn</strong> man dann noch weitere Beweise finden konnte, die eine eindeutige<br />
DNA-Analyse zuließ, dann war man auf der Gewinnerstraße. Ich konnte ja<br />
heute Morgen schon so viel darüber in der Klinik erfahren. Ich war r<strong>ich</strong>tig<br />
stolz auf m<strong>ich</strong>.<br />
223
<strong>Wenn</strong> wirkl<strong>ich</strong> der Beweis erbracht werden konnte, dass Jan Hertsch<br />
derjenige war, der hier ein Depot anlegte, dann konnte Anna auch ein<br />
wenig mehr durchatmen, denn dann stand die Aussage eines<br />
Drogenhändlers gegen Aussage einer verdienten Polizistin.<br />
Dabei bekam <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t einmal den Ansatz zu einem schlechten<br />
Gewissen, dass <strong>ich</strong> gegen Interessen meines Auftraggebers verstieß. Ich<br />
sollte deren Haus schützen, aber n<strong>ich</strong>t einen Rauschgiftnachwuchsdealer.<br />
Ich fuhr ganz langsam <strong>zurück</strong> R<strong>ich</strong>tung Innenstadt und direkt in die<br />
Parkstraße. Ich fand auch das Klingelschild, aber es war keiner zu Hause.<br />
Ich fuhr weiter in den Hafen und überprüfte im Schnelldurchgang, ob<br />
etwas aus der Halle nebenan etwas zu sehen war. Die Aufze<strong>ich</strong>nung war<br />
sehr kurz. Da fand gestern n<strong>ich</strong>ts mehr statt. Ich stellte alles wieder ein und<br />
verschwand aus dem Maklerbüro.<br />
Ich fuhr <strong>zurück</strong> ins Büro und setzte m<strong>ich</strong> an meinen Rechner. Hier<br />
suchte <strong>ich</strong> mir zunächst die Daten über den Verstorbenen zusammen. Er<br />
war bei einem Verkehrsunfall getötet worden und <strong>ich</strong> fand einige Hinweise<br />
zu den Söhnen, von denen keiner in der Baumwollbranche tätig geworden<br />
war. Aber <strong>ich</strong> fand alle Vornamen der vier Jungen in den Akten von<br />
Stadtler.<br />
Zusammen mit dem recht ungewöhnl<strong>ich</strong>en Nachnamen Gogwitschky<br />
sollte es keine Schwierigkeit sein, die Aufenthaltsorte der Söhne<br />
herauszufinden. Drei von ihnen fand <strong>ich</strong> im Telefonbuch von Bremen. Ich<br />
notierte mir die Adressen.<br />
Ledigl<strong>ich</strong> vom Letzten konnte <strong>ich</strong> keine Einträge in bundesdeutschen<br />
Telefonbüchern finden.<br />
Ich rief Stadtler an, der mir vielle<strong>ich</strong>t weiterhelfen konnte. Er konnte mir<br />
weiterhelfen. Der älteste Sohn war wieder in die Türkei <strong>zurück</strong>gegangen<br />
und führte dort einen großen Tepp<strong>ich</strong>handel, wie früher sein Vater in<br />
Izmir.<br />
Ich sagte mir, dass Egli vielle<strong>ich</strong>t auch etwas für sein Geld tun konnte,<br />
und rief ihn über Handy an, und sagte ihm, dass er eine Spe<strong>ich</strong>elprobe von<br />
dem ältesten Sohn für eine DNA-Analyse in Izmir besorgen müsse. Er<br />
könne auch die Analyse direkt in der Schweiz erstellen lassen. Er fragte<br />
m<strong>ich</strong>, was <strong>ich</strong> damit wolle, aber <strong>ich</strong> ließ ihn im Unklaren über meine<br />
geplanten Schritte. Er murrte ein wenig, aber sagte zu, dass er einen<br />
Kollegen damit beauftragen würde. Aus den Geräuschen im Hintergrund<br />
hörte <strong>ich</strong> heraus, dass er s<strong>ich</strong> in einem Lokal befinden musste.<br />
224
Ich meinte, auch die Stimme von Charlotte im Hintergrund gehört zu<br />
haben. Einen kleinen St<strong>ich</strong> versetzte es mir schon. Vor allen Dingen, wenn<br />
<strong>ich</strong> <strong>daran</strong> dachte, dass Egli verheiratet war.<br />
Nachdem <strong>ich</strong> auflegte, fing <strong>ich</strong> an, wirkl<strong>ich</strong> heftig zu fluchen. Warum<br />
hatte <strong>ich</strong> immer Pech, wenn meine Gefühle mitspielten.<br />
Nach zwei Minuten bekam <strong>ich</strong> keine Luft mehr und bekam m<strong>ich</strong> wieder<br />
unter Kontrolle. Und mein Galgenhumor kam wieder zum Vorschein, als<br />
<strong>ich</strong> mir selbst sagte: »Hast du schon einmal von einem verheirateten <strong>Teufel</strong><br />
gehört, du vielfach Gehörnter? Sieh lieber zu, dass dir eine Gesch<strong>ich</strong>te<br />
einfällt, wie du den Gogwitschky Söhnen eine Spe<strong>ich</strong>elprobe abluchsen<br />
kannst. Und vor allen Dingen sieh zu, dass du etwas in die Finger<br />
bekommen kannst, was die Vaterschaft auch an dieser jungen Frau<br />
beweist.«<br />
Ich fand zwar immer noch keine glaubwürdige Gesch<strong>ich</strong>te, die <strong>ich</strong><br />
erzählen wollte, aber <strong>ich</strong> fuhr schon einmal in R<strong>ich</strong>tung Oberneuland los.<br />
Alle drei wohnten in einem Umkreis von n<strong>ich</strong>t mehr als einem<br />
Quadratkilometer in Bremens Nobelviertel.<br />
Dr. Atzhorn gab mir heute Morgen geeignete Stäbchen zur Abnahme<br />
von Spe<strong>ich</strong>elproben sehr schön antiseptisch verpackt mit, und die sollte <strong>ich</strong><br />
nun in verschließbaren Plastiktütchen dort wieder abliefern.<br />
Es fing schon an ein wenig dämmrig zu werden, als <strong>ich</strong> in die Straße<br />
bog, in der der jüngste Sprössling von Gogwitschky wohnte. Ich bekam<br />
einen Schrecken, als <strong>ich</strong> sah, dass viele Autos vor dem Haus parkten und<br />
das Haus hell erleuchtet war. Ich parkte ein wenig abseits und ging mit<br />
meinem Köfferchen auf das Haus zu und überlegte immer noch<br />
krampfhaft, was <strong>ich</strong> wohl erzählen könnte. Ich klingelte und ein Mann von<br />
etwa sechzig Jahren öffnete mir die Tür und sah m<strong>ich</strong> mehr als verwundert<br />
an. Es war offens<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong>, dass er jemand ganz anderen erwartete.<br />
»Was wollen Sie«, fragte er m<strong>ich</strong> barsch.<br />
»Ich komme von der Uni Bremen und wir machen eine Vergle<strong>ich</strong>sstudie<br />
von Brüdern. <strong>Wenn</strong> Sie Herr Gogwitschky sind, dann haben wir Sie als<br />
einer von vier Brüdern ausgesucht, anhand dessen DNA-Strukturen der<br />
Beweis erbracht werden soll, dass trotz gle<strong>ich</strong>er Abstammung, linear die<br />
Strukturen auseinander laufen. Diese Forschung ist in so weit w<strong>ich</strong>tig, als<br />
dass nachgewiesen werden soll, dass trotz aller Übereinstimmungen des<br />
Aufbaues, Abwe<strong>ich</strong>ungen auftreten, die ledigl<strong>ich</strong> bei eineiigen Zwillingen<br />
n<strong>ich</strong>t vorkommen. Könnten Sie uns in dieser Forschung bitte unterstützen?<br />
Es tut n<strong>ich</strong>t weh und wird völlig anonymisiert. Es wird ledigl<strong>ich</strong><br />
festgehalten, dass es s<strong>ich</strong> um vier Brüder handelt.«<br />
»Und deswegen jagt man sie am Wochenende durch die Gegend?«<br />
225
»Ja, sonst treffen wir unsere Versuchskandidaten so schlecht zu Hause<br />
an, und außerdem müssen wir an Werktagen in den Labors die<br />
Auswertungen machen. Jetzt am Wochenende kommen wir n<strong>ich</strong>t hinein,<br />
und da bietet es s<strong>ich</strong> an, unsere Kandidaten an solchen Wochenendtagen<br />
zu besuchen. Sind Sie Herr Gogwitschky?«<br />
»Ja, das bin <strong>ich</strong>. Und wer sind Sie? Sie kommen mir merkwürdig<br />
bekannt vor. Ich glaube <strong>ich</strong> habe Sie schon gesehen.«<br />
»Aber <strong>ich</strong> …«<br />
Weiter kam <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t, denn er schnitt mir das Wort ab und sagte:<br />
»Kommen Sie. Sie wissen gar n<strong>ich</strong>t, welch unglaubl<strong>ich</strong>es Glück Sie haben.<br />
Weil heute mein sechzigster Geburtstag ist, sind meine zwei Brüder aus<br />
Bremen hier ebenfalls im Hause, und als es gerade klingelte erwartete <strong>ich</strong><br />
meinen ältesten Bruder auch noch, der aus der Türkei hier anreisen wollte.<br />
Er müsste wirkl<strong>ich</strong> jeden Moment ankommen. Sie können die<br />
Angelegenheit auf einen Stre<strong>ich</strong> erledigen. Was müssen wir denn tun?«<br />
Während er mir das erzählte, packte er schon meinen Arm und zerrte<br />
m<strong>ich</strong> hinter s<strong>ich</strong> her.<br />
»Sie brauchen nur Wattestäbchen, etwas länger als Q-Tipps für die<br />
Ohren, mit Spe<strong>ich</strong>el benetzen und <strong>ich</strong> verpacke sie einzeln in<br />
verschließbaren Behältnissen und dann geht es ab zur Auswertung. Das ist<br />
eine Sache von einer Minute.«<br />
Er zerrte m<strong>ich</strong> in einen großen Wohnraum und sagte lachend: »Brüder<br />
kommt einmal zu mir. Der gute Mann hier sammelt Vergle<strong>ich</strong>smaterial von<br />
Brüdern zur Genforschung. Er möchte eine Spe<strong>ich</strong>elprobe von uns. Da<br />
machen wir doch mit, wenn wir die Vergle<strong>ich</strong>swerte später betrachten<br />
können. Wie sehen diese Vergle<strong>ich</strong>swerte eigentl<strong>ich</strong> aus?«<br />
Jetzt musste <strong>ich</strong> auch lachen, als <strong>ich</strong> ihm antwortete: »Wie ein Str<strong>ich</strong>code<br />
auf einer Verpackung eines Discounters. Aber das ist ja der Witz an der<br />
Angelegenheit. Die Abwe<strong>ich</strong>ungen Ihrer Str<strong>ich</strong>codes werden nur so<br />
minimal sein, dass sie erst in der Mikroskopvergrößerung s<strong>ich</strong>tbar<br />
werden.«<br />
»Kann man das später vergrößert auch fotografieren«, wollte einer<br />
seiner Brüder wissen.<br />
»S<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong>. Ich könnte für jeden von Ihnen Ihren eigenen Str<strong>ich</strong>code<br />
ausarbeiten und ihnen als Foto zur Verfügung stellen.«<br />
Das Geburtstagskind meinte nur: »Das will <strong>ich</strong> haben. Ist ein wohl<br />
zieml<strong>ich</strong> einmaliges Geburtstagsgeschenk. Und ihr bekommt auch jeder so<br />
eins, dann können wir unsere Unterschiede anhand von Str<strong>ich</strong>codes sehen.<br />
Ich könnte m<strong>ich</strong> amüsieren.«<br />
226
Danach war es keine Schwierigkeit den Männern die Stäbchen zu<br />
überre<strong>ich</strong>en, und ihnen die Spe<strong>ich</strong>elproben zu entnehmen. Ich sagte ihnen<br />
nur, dass <strong>ich</strong> von meinen Prinzipien abwe<strong>ich</strong>en würde und die<br />
Nummerierung nach dem Alter der Einzelnen vorzunehmen, damit später<br />
auch jeder seinen Code zur Verfügung gestellt bekommen könnte. In der<br />
Zwischenzeit war auch der älteste der Söhne eingetroffen.<br />
Er schüttelte zwar den Kopf über diese Aktion, aber überre<strong>ich</strong>te mir<br />
dann doch seine Spe<strong>ich</strong>eprobe.<br />
Ich verabschiedete m<strong>ich</strong>, und tat so, als wenn <strong>ich</strong> zu Fuß nach Hause<br />
müsse. Erst als s<strong>ich</strong> im Haus der Trubel wieder anließ, ging <strong>ich</strong> auf der<br />
anderen Straßenseite zu meinem Auto <strong>zurück</strong> und beglückwünschte m<strong>ich</strong><br />
zu diesem Glück.<br />
Auf der Fahrt in R<strong>ich</strong>tung Innenstadt wählte <strong>ich</strong> dann die<br />
Handynummer von Egli. Er meldete s<strong>ich</strong> erst nach dem siebten Klingeln<br />
und meldete s<strong>ich</strong> etwas außer Atem. Er schien im Hotel zu sein, denn es<br />
war sehr ruhig in dem Raum, in dem er s<strong>ich</strong> befand.<br />
Ich sagte ihm nur: »Um die Spe<strong>ich</strong>elprobe aus der Türkei müssen Sie<br />
s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t mehr bemühen.«<br />
Dann kappte <strong>ich</strong> die Leitung wieder und schaltete mein Handy ganz<br />
aus. Ich wollte n<strong>ich</strong>t nochmals mit ihm telefonieren. Wahrscheinl<strong>ich</strong> rief <strong>ich</strong><br />
ihn zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt an. Plötzl<strong>ich</strong> empfand <strong>ich</strong><br />
meinen Triumph, dass <strong>ich</strong> es schaffte, all diese Spe<strong>ich</strong>elproben schon heute<br />
vollständig in Händen zu haben, überhaupt n<strong>ich</strong>t mehr. Ich fluchte leise:<br />
»Ach Scheiße, <strong>Teufel</strong>, du musst immer Erfolg und Misserfolg<br />
nebeneinander sehen. Du solltest vielle<strong>ich</strong>t heute einmal in die Spielbank<br />
gehen. Du weißt doch: »Pech in der Liebe, Glück im Spiel!« So r<strong>ich</strong>tig<br />
trösten konnte m<strong>ich</strong> das allerdings auch n<strong>ich</strong>t.<br />
Ich schaltete mein Handy wieder ein und rief das Zentralkrankenhaus<br />
an, und fragte dort, ob man mir die private Telefonnummer von Herrn Dr.<br />
Atzhorn geben könne, weil <strong>ich</strong> Fragen dazu hätte, wie <strong>ich</strong> mit<br />
Spe<strong>ich</strong>elproben zur DNA-Untersuchung umzugehen hätte. Der Mann an<br />
der Telefonzentrale sagte nur: »Dazu brauchen Sie die private Nummer<br />
von Herrn Dr. Atzhorn n<strong>ich</strong>t. Ich stelle Sie einfach durch.«<br />
Nach vier Klingelze<strong>ich</strong>en meldete s<strong>ich</strong> ein genervter Dr. Atzhorn am<br />
Gerät: »Wer zum <strong>Teufel</strong>….«<br />
»Ich selbst, sehr geehrter Herr Dr. Atzhorn. Ich möchte von Ihnen auch<br />
nur eins wissen: Wie muss <strong>ich</strong> mit den Spe<strong>ich</strong>elproben der vier Brüder<br />
umgehen?«<br />
»Herbringen!«<br />
227
Mehr kam n<strong>ich</strong>t, denn die Leitung war tot.<br />
Ich veränderte meine Fahrtr<strong>ich</strong>tung nur unwesentl<strong>ich</strong> und hielt fünfzehn<br />
Minuten später vor der Pathologie.<br />
Ich fand Dr. Atzhorn eine Zigarette rauchend in einem kleinen Zimmer<br />
vor der eigentl<strong>ich</strong>en Pathologie.<br />
Ich entdeckte ihn nur, weil aus der Tür gerade eine dicke Qualmwolke<br />
entw<strong>ich</strong>, die m<strong>ich</strong> zu einem neugierigen Blick veranlasste. Er wetterte<br />
plötzl<strong>ich</strong> los: »Es ist zum Kotzen. Ich hänge hier seit den frühen<br />
Morgenstunden, mache eine Untersuchung nach der anderen, die<br />
Mordkommission knallt mir noch eine übel zuger<strong>ich</strong>tete Le<strong>ich</strong>e auf den<br />
Tisch, weil die Herren im Präsidium schon im Wochenende sind und n<strong>ich</strong>t<br />
mehr gestört werden dürfen. Und dann teilt mir die kaufmännische<br />
Leitung mit, dass <strong>ich</strong> meinen Ber<strong>ich</strong>t selbst abzufassen hätte, weil man mir<br />
keine Schreibkraft zur Verfügung stellen könnte. Jetzt soll <strong>ich</strong> auch noch<br />
den Ber<strong>ich</strong>t selbst in den Computer bringen, und das mit meinem<br />
Zweifingersuchsystem. Ich könnt verrückt werden.«<br />
»Haben Sie das Ganze auf Band gesprochen?«<br />
»Klar, wie immer.«<br />
»Dann mache <strong>ich</strong> Ihnen einen Vorschlag: Sie fangen mit der Analyse der<br />
vier Brüder an, und <strong>ich</strong> schreibe Ihnen den Ber<strong>ich</strong>t in den Computer, damit<br />
er ausgedruckt werden kann.«<br />
»Und das können Sie?«<br />
»<strong>Wenn</strong> n<strong>ich</strong>t zu viel medizinisches Fachchinesisch enthalten ist, sogar<br />
ohne Rückfragen, und wenn wir damit fertig sind, schleppe <strong>ich</strong> sie an einen<br />
Ort, wo sie die größten Koteletts der Stadt bekommen. Ich ruf nur vorher<br />
eben an.«<br />
Ich telefonierte mit Paula und sagte ihr, dass <strong>ich</strong> noch zwei Koteletts<br />
haben wollte, und dass sie m<strong>ich</strong> auf jeden Fall noch einlassen solle.<br />
Dann machte <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> an meine selbst gewählte Sekretärinnentätigkeit.<br />
Während des ganzen Ber<strong>ich</strong>ts musste <strong>ich</strong> nur drei Spezialausdrücke<br />
nachfragen, und innerhalb der nächsten Stunde war alles zu Papier<br />
gebracht und ordentl<strong>ich</strong> in einem Hefter abgelegt.<br />
Dr. Atzhorn traf währenddessen, alle Vorbereitungen die Analysen der<br />
Spe<strong>ich</strong>elproben vorzunehmen. Jetzt brauchten sie nur noch für die<br />
nächsten Stunden durch den Spezialcomputer zu laufen.<br />
Wir ließen unsere Autos auf dem Parkplatz des Klinikums stehen und<br />
gingen zu Fuß hinüber zu Paulas Kneipe.<br />
Als wir uns über unsere Koteletts hermachten, sagte Dr. Atzhorn nur:<br />
»Klasse. Das hätte <strong>ich</strong> schon früher wissen müssen.«<br />
228
26<br />
Sonntagslauf<br />
Dr. Atzhorn war es gelungen, meine gedrückte Stimmung wegen<br />
Charlottes Verhalten aufzuhellen. Mit seinen Erzählungen brachte er m<strong>ich</strong><br />
ein ums andere Mal zum Lachen gebracht, obwohl er von vielen Le<strong>ich</strong>en<br />
erzählte, die über seinen Tisch gewandert waren.<br />
Am meisten faszinierten m<strong>ich</strong> allerdings die Mögl<strong>ich</strong>keiten auch nach<br />
Jahren noch Dinge herauszufinden, die als längst verschollene Beweise<br />
galten. Mit welchen Verfeinerungen die heutige pathologische und<br />
forensische Medizin vorgehen konnte.<br />
Er selbst schwärmte davon, welch Großtaten inzwischen vollbracht<br />
werden konnten, um aus uralten Knochenresten noch Zusammenhänge<br />
über das Leben unserer Urahnen zu erforschen.<br />
Es war ein lockerer Abend und als wir <strong>zurück</strong> zum Krankenhaus gingen,<br />
um unsere Autos dort abzuholen, verabschiedete er s<strong>ich</strong> mit dem Wunsch,<br />
solch ein Treffen in naher Zukunft wieder abzuhalten.<br />
Trotz des entspannten Abends schlief <strong>ich</strong> schlecht und stand am<br />
Sonntagmorgen übellaunig auf. Ich machte m<strong>ich</strong> fertig zu einem<br />
Jogginglauf, obwohl <strong>ich</strong> eigentl<strong>ich</strong> keine Lust dazu verspürte. Es regnete in<br />
der letzten Nacht und unten an der Weser blies ein eisiger Wind. Ich lief<br />
nur einmal bis zum Weserwehr, überquerte es und lief auf der<br />
Neustadtseite bis zur »Erdbeerbrücke«, wechselte wieder das Ufer und<br />
rannte wieder nach Haus. Ich schwitzte noch n<strong>ich</strong>t einmal sonderl<strong>ich</strong> und<br />
machte mir daher noch in Joggingkleidung mein le<strong>ich</strong>tes Frühstück. Als <strong>ich</strong><br />
es verzehrt hatte, blieb <strong>ich</strong> in der Kleidung und setzte m<strong>ich</strong> in meinen<br />
Wagen und fuhr hinüber zur Parkstraße. Ich parkte meinen Wagen in der<br />
Franz-Liszt-Straße und beobachtete das Haus in der Frau Scharnowski<br />
wohnte. Regenwolken hingen weiterhin über der Stadt, aber es war<br />
trocken. Trotzdem wollte es n<strong>ich</strong>t r<strong>ich</strong>tig hell werden heute.<br />
Aus dem Haus kam eine junge Frau ebenfalls in Joggingbekleidung und<br />
lief los in R<strong>ich</strong>tung Bürgerpark. Aus einem Impuls heraus entschloss <strong>ich</strong><br />
m<strong>ich</strong>, ihr nachzulaufen.<br />
Ich stieg aus dem Wagen, verschloss ihn und trabte hinter ihr her. Kurz<br />
hinter dem Stern, am Eingang des Bürgerparks holte <strong>ich</strong> sie ein. Obwohl es<br />
kaum Verkehr an diesem Sonntagmorgen gab, schien sie m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t hinter<br />
s<strong>ich</strong> gehört zu haben und als <strong>ich</strong> dann plötzl<strong>ich</strong> neben ihr auftauchte,<br />
schreckte sie regelrecht zusammen und schrie auf.<br />
Ich rief ihr zu: »Was ist? Habe <strong>ich</strong> Sie erschreckt? Das tut mir leid.<br />
229
Ich sah sie nur gerade über den Stern laufen und dachte mir, dass es<br />
angenehmer sei, zu zweit zu laufen, als allein meine Runde zu drehen.<br />
Haben Sie etwas dagegen, dass <strong>ich</strong> mit Ihnen laufe?«<br />
Sie sah m<strong>ich</strong> von der Seite an und entschied dann, dass sie es wagen<br />
könnte, mit mir zu laufen.<br />
»Sie haben m<strong>ich</strong> wirkl<strong>ich</strong> erschreckt. Denn nach diesem unheiml<strong>ich</strong>en<br />
Mörder, der vorige Woche hier oben an der Stadtwaldgrenze eine junge<br />
Frau ermordet hat, wird immer noch gefahndet. Man hat damals einen<br />
Jogger gesehen, aber niemand hat s<strong>ich</strong> bisher gemeldet. Aber Sie sehen<br />
n<strong>ich</strong>t wie ein Mörder aus.«<br />
»Sieht ein Mörder, wie ein Mörder aus«, fragte <strong>ich</strong> sie, »die tragen leider<br />
kein Schild um den Hals. Das wäre zu schön und <strong>ich</strong> hätte n<strong>ich</strong>ts mehr zu<br />
tun.«<br />
»Sind Sie von der Polizei?«<br />
»Nein, nur so etwas Ähnl<strong>ich</strong>es. Ich bin Privatdetektiv.«<br />
»Dann laufe <strong>ich</strong> ja jetzt mit Geleitschutz.«<br />
»So könnte man es nennen.«<br />
Wir liefen ganz locker und allmähl<strong>ich</strong> erhöhte sie das Tempo. Wir waren<br />
quer bis fast an den Torfkanal gelaufen und kreuzten jetzt beim Emmasee<br />
wieder zur anderen Seite. Dann schlug sie den Weg zur Meierei ein und<br />
wir umrundeten im großen Kreis den See und liefen direkt an der<br />
Gaststätte vorbei, wo schon Frühstücksgäste saßen.<br />
Ich grinste sie an und fragte: »Pause? Darf <strong>ich</strong> Sie zu einem Kaffee<br />
einladen?«<br />
»Nee, das würde uns aus dem Rhythmus bringen. Aber trotzdem<br />
herzl<strong>ich</strong>en Dank für die Einladung.«<br />
Wir waren weiter zur Parkallee gelaufen und liefen auf der Parkseite<br />
nebeneinander her. Ich musterte sie immer wieder von der Seite. Sie war<br />
eine hübsche junge Frau und <strong>ich</strong> vermutete eine prima Figur unter der<br />
doch etwas unförmigen Kleidung. Jedenfalls besaß sie einen schönen<br />
großen Busen und ihren straffen Po konnte <strong>ich</strong> schon bewundern, als sie<br />
loslief.<br />
Ich bemerkte, dass sie m<strong>ich</strong> ebenfalls ein paar Mal intensiv musterte.<br />
Als wir wieder vor ihrer Haustür angekommen waren sagte sie etwas<br />
außer Atem: »Ich habe Sie hier noch nie laufen gesehen. Wohnen Sie erst<br />
seit kurzer Zeit hier in der Gegend?«<br />
»Ich wohne gar n<strong>ich</strong>t hier in der Gegend. Ich habe nur hier um die Ecke<br />
einen Parkplatz gefunden.<br />
230
Da oben an der Parkallee bekommt man so schlecht welche und auch<br />
drüben an der Findorffallee sieht es meistens n<strong>ich</strong>t besonders gut aus. Ich<br />
heiße übrigens <strong>Teufel</strong>.«<br />
»Inga Scharnowski«, stellte sie s<strong>ich</strong> vor, »es war angenehm mit Ihnen zu<br />
laufen. Wollen Sie mit hineinkommen und bei mir eine Tasse Kaffee<br />
trinken?«<br />
»Revanche? Finde <strong>ich</strong> sehr nett, aber <strong>ich</strong> sollte zusehen, dass <strong>ich</strong> aus<br />
meinen verschwitzten Sachen herauskomme. Aber <strong>ich</strong> nehme trotzdem an,<br />
aber erst in einer halben Stunde. Ich ziehe m<strong>ich</strong> nur kurz um, und komme<br />
dann wieder. Ich möchte Ihnen dann einen interessanten Vorschlag<br />
machen. Sagen Sie bitte ja.«<br />
Sie sah m<strong>ich</strong> jetzt wirkl<strong>ich</strong> verwundert an aber grinste dann sehr<br />
jugendl<strong>ich</strong> und meinte: »Das ist Mal eine Anmache! Gut <strong>ich</strong> stimme zu,<br />
dann kann <strong>ich</strong> auch erst einmal duschen. Und Sie kommen bestimmt?«<br />
»Darauf können Sie s<strong>ich</strong> verlassen. In einer halben Stunde bin <strong>ich</strong> wieder<br />
da.«<br />
»Dann können Sie doch n<strong>ich</strong>t so weit von hier wohnen.«<br />
»Drüben beim Stadion, aber <strong>ich</strong> werde es bestimmt schaffen.«<br />
»Bis dann«, winkte sie mir noch zu und <strong>ich</strong> beeilte m<strong>ich</strong>, zum Auto zu<br />
kommen.<br />
»Das war ja ein Glücksfall«, beglückwünschte <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> selbst.<br />
Zu Hause sprang <strong>ich</strong> nur kurz unter die Dusche, zog einen Anzug an<br />
und raste wieder los. Beim Bahnhof hielt <strong>ich</strong> wenig später in der<br />
Halteverbotszone und kaufte einen hübschen und sündhaft teuren<br />
Blumenstrauß und fand sogar meinen Parkplatz, den <strong>ich</strong> vorher benutzte,<br />
noch unbesetzt. Dann klingelte <strong>ich</strong> an der Haustür und war verwundert,<br />
als mir eine Frau, die wohl nur etwas älter als <strong>ich</strong> war, die Tür öffnete. Sie<br />
musterte m<strong>ich</strong> kurz, aber eindringl<strong>ich</strong> und sagte: »Meine Tochter hat m<strong>ich</strong><br />
schon vorbereitet, dass sie einen Mann zum Frühstück eingeladen hat. Sie<br />
hat mir allerdings n<strong>ich</strong>t gesagt, dass er kein ganz junger Mann mehr ist. Ich<br />
dachte Sie seien ein Mitstudent.«<br />
»Nein, <strong>ich</strong> bin ihr heute Morgen zufällig beim Laufen begegnet. Mein<br />
Name ist <strong>Teufel</strong> und Sie sind Frau Scharnowski? <strong>Wenn</strong> <strong>ich</strong> geahnt hätte,<br />
dass Inga bei Ihrer Mutter wohnt, hätte <strong>ich</strong> bestimmt zwei Sträuße besorgt,<br />
so müssen Sie ihn s<strong>ich</strong> teilen.«<br />
Frau Scharnowski lächelte m<strong>ich</strong> belustigt an und sagte: »Kommen Sie,<br />
<strong>ich</strong> hoffe es stört Sie n<strong>ich</strong>t, wenn <strong>ich</strong> beim Frühstück dabei bin. N<strong>ich</strong>t weil<br />
<strong>ich</strong> Anstandswauwau spielen möchte, sondern weil <strong>ich</strong> Hunger habe.«<br />
Ich musste über ihre direkte Art lachen und erwiderte ihr:<br />
231
»Nein, das ist sogar hervorragend. Ich möchte gerne mit Ihnen<br />
gemeinsam sprechen.«<br />
Der Tisch war gedeckt und Inga kam mit noch n<strong>ich</strong>t ganz getrocknetem<br />
Haar ins Zimmer und strahlte m<strong>ich</strong> an, als sie die Blumen sah. »Gibt´s das<br />
auch noch? Ein r<strong>ich</strong>tiger Blumenkavalier? Mama, <strong>ich</strong> hab´s gle<strong>ich</strong> geahnt,<br />
die älteren Herren sind doch charmanter. Danke, Herr <strong>Teufel</strong>.«<br />
»Lassen Sie ruhig den Herrn vorm <strong>Teufel</strong> weg. M<strong>ich</strong> redet jeder nur mit<br />
<strong>Teufel</strong> an.«<br />
»Sie scheinen das auch zu sein, <strong>Teufel</strong>, denn so schnell ist meine Tochter<br />
eigentl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t Feuer und Flamme für einen Mann. Kommen Sie, setzen<br />
Sie s<strong>ich</strong>.«<br />
Beide Frauen waren völlig ungezwungen und es stellte s<strong>ich</strong> sofort eine<br />
freundl<strong>ich</strong>e Stimmung ein und Frau Scharnowski fragte m<strong>ich</strong>: »Und Sie<br />
sind wirkl<strong>ich</strong> Privatdetektiv? So r<strong>ich</strong>tig Menschen beobachten und so?«<br />
»Nein mein Betätigungsfeld liegt mehr auf der Wirtschaftsseite.«<br />
»Dann sind Sie derjenige, der in der vergangenen Woche diesen<br />
Rummel dort in der Baumwollbörse veranstaltet hat. Wo sogar der<br />
Bürgermeister einen Empfang gegeben hat.«<br />
Ich lächelte Sie an, und sagte: »Wo <strong>ich</strong> mir fast vor Ehrfurcht in die<br />
Hosen gemacht habe.«<br />
Mutter und Tochter lachten.<br />
Inga sagte plötzl<strong>ich</strong>: »<strong>Teufel</strong>, Sie haben vorhin gesagt, dass Sie mir einen<br />
interessanten Vorschlag machen wollen. Was sollte das?«<br />
»Ich suche einen Menschen, der eventuell über ganz viele Jahre noch<br />
persönl<strong>ich</strong>e Dinge eines Verstorbenen aufbewahrt hat, den Sie gut kannten,<br />
Frau Scharnowski. Dinge mit denen s<strong>ich</strong> auch nach einem<br />
Vierteljahrhundert noch beweisen lässt, dass sie unzweifelhaft ihm<br />
gehörten oder von ihm stammen. Der Verstorbene ist ein Herr<br />
Gogwitschky.«<br />
Mutter Scharnowski sog die Luft plötzl<strong>ich</strong> pfeifend ein und Inga sah<br />
m<strong>ich</strong> mit großen Augen an: »Meinem Vater?«<br />
»Ja, Ihrem Vater. Ich wusste heute Morgen n<strong>ich</strong>t, dass <strong>ich</strong> neben seiner<br />
Tochter herlief, als wir im Bürgerpark herumkurvten, das müssen Sie mir<br />
glauben. Erst als wir uns hier vor der Haustür vorstellten, ist mir es klar<br />
geworden. Ich war gestern schon einmal hier und habe geklingelt, aber<br />
keinen angetroffen. Ich wollte zu Ihnen, Frau Scharnowski. Ich wusste<br />
n<strong>ich</strong>t, dass Ihre Tochter noch bei Ihnen wohnt.«<br />
»Und warum spioniert man mir nach so langen Jahren immer noch<br />
nach«, fragte Mutter Scharnowski jetzt in scharfem Ton.<br />
»Hat man Ihnen früher nachspioniert?«<br />
232
»Und wie. Erst diese Hexe, die Walter weggelaufen ist, um diesen<br />
anderen Baumwollfritzen zu heiraten und dann die Söhne. Sie wollten<br />
herausbekommen, was <strong>ich</strong> mit dem Geld in der Schweiz gemacht hätte, das<br />
Walter da wohl gehabt haben soll. Aber <strong>ich</strong> wusste n<strong>ich</strong>ts. Walter versorgte<br />
m<strong>ich</strong> gut, als Inga auf die Welt kam, aber das war auch alles. Wir waren<br />
befreundet, bis er umgekommen ist. Nein, das ist zu wenig. Wir liebten<br />
uns. Aber von Geld in der Schweiz habe <strong>ich</strong> nie etwas gewusst.«<br />
»Das passt ins Bild, das <strong>ich</strong> von ihm gewonnen habe.«<br />
»Aber was haben Sie damit zu tun? Wollen Sie immer noch hinter den<br />
Re<strong>ich</strong>tümern, die Walter gehabt haben, soll im Auftrag seiner Söhne<br />
herrennen?«<br />
Frau Scharnowskis Worte waren noch ein wenig schärfer geworden.<br />
»Nein, wenn es Sie beruhigen könnte. Ich renne n<strong>ich</strong>t im Auftrag seiner<br />
Söhne durch die Gegend. Ganz im Gegenteil. Ich habe Sie gestern im<br />
Rahmen meiner Ermittlungen zwar alle kennen gelernt, aber das ist auch<br />
der einzige Kontakt zu Ihnen gewesen und wird es auch bleiben.«<br />
»Was wollen Sie denn dann von uns?«<br />
»Sie vielle<strong>ich</strong>t doch noch re<strong>ich</strong> machen«, sagte <strong>ich</strong> schl<strong>ich</strong>t.<br />
»Sie wollen uns veralbern, und wollen so herausfinden, ob <strong>ich</strong> über<br />
verschwundene Gelder etwas weiß. Ich glaube, Herr <strong>Teufel</strong>, Sie sollten jetzt<br />
das Haus verlassen und s<strong>ich</strong> auch n<strong>ich</strong>t wieder in der Gegend sehen<br />
lassen.«<br />
»Sie haben selbstverständl<strong>ich</strong> das Recht m<strong>ich</strong> hinauszuwerfen, aber<br />
vorher möchte <strong>ich</strong> nur von Ihnen eines wissen: Haben Sie eventuell alte<br />
Briefe von Walter, am besten samt Umschlag?«<br />
»Das geht sie überhaupt n<strong>ich</strong>ts an. Sie haben kein Recht in meiner<br />
Vergangenheit herumzuschnüffeln.«<br />
Plötzl<strong>ich</strong> traten Tränen in Ihre Augen und auch Inga erhob s<strong>ich</strong> und<br />
schrie m<strong>ich</strong> plötzl<strong>ich</strong> an: »Merken Sie denn n<strong>ich</strong>t, dass Sie meine Mutter<br />
quälen? Verschwinden Sie.«<br />
Ich war immer noch sitzen geblieben und holte nun die Durchschrift der<br />
Zahlungsanweisung der Schweizer Anwaltskanzlei aus der Tasche und<br />
legte sie auf den Tisch und sagte: »In dieser Kanzlei, die m<strong>ich</strong> beauftragt<br />
hat, in dieser Angelegenheit Nachforschungen anzustellen, liegt ein<br />
w<strong>ich</strong>tiger Brief für Sie Inga. Ich muss nur beweisen, dass Sie die leibl<strong>ich</strong>e<br />
Tochter von Walter Gogwitschky sind, damit er Ihnen ausgehändigt<br />
werden kann. <strong>Wenn</strong> Sie dies n<strong>ich</strong>t glauben, können Sie gerne mit einem der<br />
Anwälte, der s<strong>ich</strong> hier zurzeit in Bremen aufhält selbst sprechen. Er wohnt<br />
im »Hotel zur Post« und Sie können dort anrufen und s<strong>ich</strong> selbst mit ihm<br />
verabreden.«<br />
233
Ich legte eine Visitenkarte meiner Kanzlei auf die Faxmitteilung und<br />
kritzelte noch meine Handynummer auf die Rückseite und erhob m<strong>ich</strong><br />
auch und sagte: »<strong>Wenn</strong> Sie s<strong>ich</strong> überzeugt haben, dass <strong>ich</strong> die Wahrheit<br />
gesprochen habe, können Sie m<strong>ich</strong> ja anrufen, um das Gespräch<br />
fortzusetzen. Vielen Dank für das Frühstück.«<br />
Ich ging ohne weiteren Kommentar zur Tür und wollte den Raum und<br />
die Wohnung verlassen, als plötzl<strong>ich</strong> ein Gew<strong>ich</strong>t an meinem Arm hing.<br />
Inga holte m<strong>ich</strong> ein und ihr hübscher Körper presste s<strong>ich</strong> gegen meinen:<br />
»Bleib, bitte. Lass uns weiter reden, bitte.«<br />
»Nein, Inga. Die Wohnung gehört deiner Mutter und die möchte, dass<br />
<strong>ich</strong> gehe. Ich kann euch doch n<strong>ich</strong>t zu eurem Glück zwingen.«<br />
Aus dem Wohnraum kam leise: »Bleiben Sie, <strong>Teufel</strong>. Ich darf Inga keine<br />
Chance vermasseln, nur weil <strong>ich</strong> Angst habe, diese habgierigen Söhne<br />
stecken hinter einer abgefeimten Sache. S<strong>ich</strong>er habe <strong>ich</strong> gewusst, dass es<br />
diese Kanzlei gab, denn <strong>ich</strong> habe auch den Begleitbrief zu dieser<br />
Zahlungsanweisung aufbewahrt. Aber man teilte mir ausdrückl<strong>ich</strong> mit,<br />
dass <strong>ich</strong> niemals diese Adresse preisgeben dürfe, wenn <strong>ich</strong> mir n<strong>ich</strong>t selbst<br />
Schwierigkeiten bereiten wolle.«<br />
Inga zerrte m<strong>ich</strong> fast <strong>zurück</strong> ins Wohnzimmer und <strong>ich</strong> sagte: »<strong>Wenn</strong> Sie<br />
noch Unterlagen aufbewahren, die uns helfen könnte, dann sollte <strong>ich</strong> Herrn<br />
Egli besser auch schon dazurufen.«<br />
Frau Scharnowski sagte ihrer Tochter: »Räume schon einmal den<br />
Frühstückstisch ab, dann hole <strong>ich</strong> die Unterlagen.«<br />
Ich begann auf meinem Handy zu wählen und Egli meldete s<strong>ich</strong>. Ich<br />
konnte hören, dass er in einem Auto saß.<br />
»Wo treiben Sie s<strong>ich</strong> herum, Egli?«<br />
»Ich habe mir einen Leihwagen genommen und will gerade Charlotte<br />
zum Essen abholen. Wir wollen aufs Land fahren.«<br />
»Dann ändern Sie am besten die Pläne, wenn Sie s<strong>ich</strong> ihr Honorar in<br />
Sachen Gogwitschky verdienen wollen, und kommen eiligst in die<br />
Parkstraße zu Frau Scharnowski. Wir haben Gesprächsbedarf.«<br />
»Soll <strong>ich</strong> Charlotte mitbringen?«<br />
»N<strong>ich</strong>t nötig, die können Sie später zum Kaffeetrinken aufs Land fahren.<br />
Wir brauchen Sie aber jetzt hier.«<br />
Als <strong>ich</strong> auflegte, fragte m<strong>ich</strong> Inga ganz aufgeregt: »Und ist es da<br />
vielle<strong>ich</strong>t sogar drin, dass <strong>ich</strong> noch einen kleinen Betrag erbe, und <strong>ich</strong> mein<br />
Studium n<strong>ich</strong>t abbrechen muss?«<br />
»Du müsstest sonst dein Studium abbrechen?«<br />
»Ja, Mamas Geld re<strong>ich</strong>t n<strong>ich</strong>t mehr, und meine Aushilfsjobs re<strong>ich</strong>en<br />
gerade so aus, dass wir die Wohnung hier halten können.«<br />
234
»Dann drück die Daumen, dass deine Mama noch etwas hat, womit wir<br />
beweisen können, dass du wirkl<strong>ich</strong> Walter Gogwitschkys Tochter bist.<br />
Drücke alle Daumen.«<br />
»Und wie würde das alles weitergehen?«<br />
»<strong>Wenn</strong> der Beweis erbracht ist, dann wirst du Geldsorgen bestimmt<br />
n<strong>ich</strong>t mehr haben, aber stellt es euch n<strong>ich</strong>t zu einfach vor. Und <strong>ich</strong> will<br />
auch keine Hoffnungen wecken, denn n<strong>ich</strong>t nur deine Halbbrüder haben es<br />
auf dein Geld abgesehen, auch der Schweizer Staat würde es gerne<br />
kassieren. Darum habe <strong>ich</strong> ja diesen Anwalt hierher bestellt.«<br />
Frau Scharnowski kam mit einer ganzen Schublade voller Briefe und<br />
Fotos wieder ins Zimmer und stellte alles auf den jetzt abgeräumten Tisch.<br />
Ich stellte sofort fest, dass kein einziger Umschlag dabei war, sondern der<br />
Inhalt der Briefe ordentl<strong>ich</strong> zusammengebunden mit Bändchen vorhanden<br />
war. Ich brauchte aber mindestens Spe<strong>ich</strong>elspuren von Walter<br />
Gogwitschky.<br />
Wir wühlten gemeinsam in der Schublade und auf den vorhandenen<br />
Bildern, die Frau Scharnowski und Walter Gogwitschky zusammen<br />
zeigten, konnte man erkennen, welch eine fantastisch aussehende Frau<br />
Sybille Scharnowski gewesen war. Zwei Bilder ließ sie sofort verschwinden<br />
und <strong>ich</strong> lächelte ein wenig. Ich konnte noch erkennen, dass es s<strong>ich</strong> um<br />
Aktaufnahmen der Frau handelte. Sie gingen m<strong>ich</strong> zwar n<strong>ich</strong>ts an, aber <strong>ich</strong><br />
hätte sie gerne so gesehen. Ich bewunderte nun einmal Schönheit.<br />
Wir hatten schon alles durchgesehen, als Egli eintraf und <strong>ich</strong> fluchte leise<br />
vor m<strong>ich</strong> hin. Hier in der Schublade war wirkl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>ts, was wir<br />
verwerten könnten.<br />
Nachdem Egli s<strong>ich</strong> vorstellte, ber<strong>ich</strong>tete <strong>ich</strong> ihm, was uns noch fehlte,<br />
um das Glück hier perfekt zu machen. Egli fluchte ebenfalls n<strong>ich</strong>t sehr<br />
standesgemäß, bis Inga plötzl<strong>ich</strong> sagte: »Aber <strong>ich</strong> habe etwas, das uns<br />
weiterhelfen könnte.«<br />
Sie eilte aus dem Zimmer und kam wenige Augenblicke später mit<br />
einem Briefumschlag <strong>zurück</strong>. Es war ein Brief zu Ihrer Taufe. Ein<br />
handschriftl<strong>ich</strong>er Brief, in dem auch wohl ehemals ein größerer Geldbetrag<br />
steckte. Und noch etwas war oben an den Brief geklebt. Ein ganzes<br />
Haarbüschel schwarzen Haares, und auf der anderen Seite war ein zweites<br />
dünneres Bündel n<strong>ich</strong>t ganz so schwarzen Haares. Dünneres Haar.<br />
Kinderhaar.<br />
Der Vater schrieb dazu, dass sie diese Haarbüschel immer in Ehren<br />
halten solle, denn es würde ihren Verbund für ein Leben lang besiegeln.<br />
Walter konnte s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t ahnen, dass es sogar über seinen Tod hinaus<br />
das Glück seiner Tochter erhalten konnte.<br />
235
Ich sagte nur zu Sybille Scharnowski und Egli, als <strong>ich</strong> den Brief mit<br />
spitzen Fingern in eine Plastikhülle steckte: »Ihr bleibt hier und beredet<br />
schon einmal, wie es weitergehen könnte, <strong>ich</strong> fahre mit Inga zusammen ins<br />
Zentralkrankenhaus zu Dr. Atzhorn. Der sollte auch jetzt noch da sein. Der<br />
wird s<strong>ich</strong> dieser Dinge annehmen und auch gle<strong>ich</strong> Ingas Spe<strong>ich</strong>elprobe<br />
oder was er sonst noch braucht nehmen. Dann hoffe <strong>ich</strong>, dass wir<br />
einwandfrei nachweisen können, dass Inga die leibhaftige Tochter von<br />
Walter Gogwitschky ist.«<br />
Ich erre<strong>ich</strong>te Dr. Atzhorn über sein Handy in der Klinik und der sagte<br />
nur: »Ich hätte es doch ahnen müssen, dass Sie noch mit Arbeit auf m<strong>ich</strong><br />
zukommen würden am heiligen Sonntag. Ich wollte gerade weggehen und<br />
auch mal Ausspannen.<br />
Ganz nebenbei <strong>Teufel</strong>, die DNA der Spe<strong>ich</strong>elreste an den Kippen ist<br />
identisch.«<br />
»Das ist doch schon einmal etwas. Da bin <strong>ich</strong> aber gespannt, was meine<br />
sonstigen Nachforschungen noch bringen, aber <strong>ich</strong> glaube, auf dem<br />
r<strong>ich</strong>tigen Weg zu sein. Wir sind gle<strong>ich</strong> bei Ihnen und vielen Dank, für Ihre<br />
Untersuchung und die Zeit, die Sie jetzt noch für uns opfern.«<br />
»Sie haben m<strong>ich</strong> ja dafür ja gestern mit Koteletts geschmiert. Und<br />
außerdem kann <strong>ich</strong> das Honorar für diese Untersuchung ganz gut<br />
gebrauchen. Meine Ex will schon wieder mehr Geld.«<br />
Wir saßen kaum in meinem Wagen, als <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> plötzl<strong>ich</strong> umhalst<br />
fühlte. Inga umarmte m<strong>ich</strong> stürmisch und küsste m<strong>ich</strong> ebenso. Dann sagte<br />
sie mir einwenig außer Atem: »Das wollte <strong>ich</strong> heute Morgen schon im<br />
Bürgerpark, als du m<strong>ich</strong> zum Kaffee in die Meierei einladen wolltest. Und<br />
jetzt noch viel mehr.«<br />
Plötzl<strong>ich</strong> dämmerte mir, warum s<strong>ich</strong> Charlotte von mir <strong>zurück</strong>gezogen<br />
hatte. Ich wurde schon eifersüchtig, wenn <strong>ich</strong> meinte, Charlotte sei in der<br />
Nähe von Egli, wie musste sie dann wohl empfinden, wenn sie Szenen<br />
mitbekommen hätte, wie diese eben.<br />
Ich fuhr jetzt schweigend und konzentriert zur Klinik und als wir<br />
ausstiegen, fragte Inga fast schüchtern: »Habe <strong>ich</strong> etwas falsch gemacht,<br />
<strong>Teufel</strong>.«<br />
»Nein, Kleines«, sagte <strong>ich</strong> bewusst burschikos und kumpelhaft.<br />
Sie strahlte m<strong>ich</strong> immer noch an, als wir ins Gebäude gingen.<br />
Dr. Atzhorn empfing uns mit einem kräftigen Händedruck und als <strong>ich</strong><br />
ihm die Plastiktasche mit dem Brief übergab, meinte <strong>ich</strong>: »Wir sollten<br />
dieses Beweisstück dringend als Ganzes fotografieren und auch jeder<br />
Schritt Ihrer Untersuchung sollte fotografisch festgehalten sein.«<br />
236
»Dazu bräuchten wir einen Digitalcamcoder mit fortlaufender,<br />
sekundengenauer Datums- und Zeiteinblendung, und so etwas habe <strong>ich</strong><br />
n<strong>ich</strong>t, <strong>Teufel</strong>.«<br />
»Aber <strong>ich</strong>, Dr. Atzhorn. Haben Sie wenigstens einen Brenner, damit wir<br />
die Daten später auf DVD brennen können?«<br />
»Natürl<strong>ich</strong> habe <strong>ich</strong> so etwas n<strong>ich</strong>t. Wir sind ein städtisches<br />
Krankenhaus. Glauben Sie die Stadt Bremen hätte für so etwas Geld?<br />
Wovon träumen Sie sonst noch?«<br />
»Gut, dann nehmen Sie die notwendigen Untersuchungen an dieser<br />
jungen Dame vor und <strong>ich</strong> fahre und hole uns die notwendigen Geräte.«<br />
Dr. Atzhorn dachte weiter als <strong>ich</strong> und sagte: »Und bringen Sie am besten<br />
einen Notar mit, der protokolliert, was <strong>ich</strong> mache und was später auf den<br />
Bildern zu sehen ist.«<br />
Das brachte m<strong>ich</strong> ganz schön in Bedrängnis, denn woher sollte <strong>ich</strong> einen<br />
Notar am Sonntagmittag auftreiben. Der Einzige, der mir einfiel, war<br />
Hinr<strong>ich</strong> Klönkens aus der Baumwollbörse, aber wo konnte <strong>ich</strong> den heute<br />
erre<strong>ich</strong>en. Vielle<strong>ich</strong>t wusste Stadtler das und da <strong>ich</strong> sowieso ins Büro<br />
fahren musste, um eine der Überwachungskameras und meinen Computer<br />
zu holen, konnte <strong>ich</strong> von dort aus bei Stadtler anrufen.<br />
Und wieder besaß <strong>ich</strong> »teuflisches« Glück, denn Klönkens war bei<br />
Stadtler zu Hause. Ich fragte Stadtler, ob er Herrn Klönkens denn wohl<br />
bitte für ein paar Stunden entbehren könne, und ob dieser bereit wäre eine<br />
medizinische Untersuchung zu protokollieren, da es für einen jungen<br />
Menschen um eine Erbschaft ginge, die davon abhinge, dass dieses<br />
Protokoll erstellt würde.<br />
»Wieder so etwas Ähnl<strong>ich</strong>es, wie bei mir«, wollte Stadtler sofort wissen.<br />
»Es ist noch wesentl<strong>ich</strong> prekärer, denn der Erblasser ist schon seit über<br />
zwanzig Jahren verstorben.<br />
»Und da gibt es jetzt, nach so langer Zeit, noch Untersuchungen?«<br />
»Ja. Da können Sie s<strong>ich</strong> s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> vorstellen, dass es noch viel w<strong>ich</strong>tiger<br />
ist, jeden einzelnen Schritt unter notarieller Aufs<strong>ich</strong>t zu tun.«<br />
»<strong>Wenn</strong> wir Ihnen damit helfen können, <strong>Teufel</strong>, sind wir gerne bereit. Wo<br />
soll Herr Klönkens hinkommen.«<br />
Als <strong>ich</strong> ihm sagte, dass <strong>ich</strong> ihn gerne in der Pathologie des<br />
Zentralkrankenhauses sehen möchte, konnte <strong>ich</strong> ein Aufschnaufen<br />
Stadtlers hören und dann meldete s<strong>ich</strong> Klönkens persönl<strong>ich</strong>. »Aber, <strong>Teufel</strong><br />
<strong>ich</strong> muss doch wohl n<strong>ich</strong>t eine Obduktion beurkunden? Das könnte <strong>ich</strong> auf<br />
keinen Fall.«<br />
Ich konnte ihn beruhigen, und sagte ihm: »Nein es werden nur ein paar<br />
Haare spektroskopisch und auf DNA-Struktur untersucht.«<br />
237
»Gut dann komme <strong>ich</strong>. Ich werde vorauss<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong> eine halbe Stunde<br />
brauchen.«<br />
»Das ist prima, denn <strong>ich</strong> muss auch noch eine Kameraausrüstung<br />
abbauen und mit meinem Computer zusammen dort hinschaffen. Ich<br />
hoffe, wir werden zur gle<strong>ich</strong>en Zeit dort eintreffen. Bis später und jetzt<br />
schon einmal vielen Dank an Sie beide.«<br />
Es war wirkl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t nur Glück, sondern auch die Mitwirkung des<br />
immer noch sehr dankbaren Herrn Stadtler, der dies ermögl<strong>ich</strong>te, dass <strong>ich</strong><br />
an einem Sonntag einen Notar zur Verfügung bekam. Meine Probleme mit<br />
Charlotte vergaß <strong>ich</strong> vollständig darüber.<br />
Als <strong>ich</strong> auf den Parkplatz fuhr, sah <strong>ich</strong> Herrn Klönkens gerade aus<br />
seinem Wagen steigen und s<strong>ich</strong> fragend umsehen. Ich winkte ihm und trug<br />
meinen Rechner ins Gebäude. Klönkens folgte mir.<br />
Ich stellte Klönkens Dr. Atzhorn und Inga Scharnowski vor und ging<br />
wieder zum Wagen, um die restl<strong>ich</strong>e Ausrüstung zu holen.<br />
Dr. Atzhorn wies m<strong>ich</strong> an, wie <strong>ich</strong> die Kamera aufzubauen hätte, und<br />
Klönkens legte s<strong>ich</strong> einen Schreibblock zurecht. Dr. Atzhorn sagte: »Ich<br />
werde jeden Schritt, den <strong>ich</strong> unternehme, diktieren, die Kamera wird dieses<br />
dokumentieren und Sie werden es aufschreiben. Und Sie, <strong>Teufel</strong>, und Sie,<br />
junge Frau, verschwinden jetzt hier aus dem Raum und <strong>ich</strong> will Sie erst<br />
wieder sehen, wenn wir mit der Arbeit fertig sind. Gehen Sie von mir aus<br />
ein Bier trinken oder was auch immer Sie mögen. <strong>Teufel</strong> <strong>ich</strong> rufe Sie auf<br />
Ihrem Handy an, wenn wir fertig sind. Dann können Sie Ihr technisches<br />
Spielzeug wieder einpacken.«<br />
Es war eindeutig: Wir waren entlassen.<br />
Als wir draußen vor der Tür standen, steckte <strong>ich</strong> mir erst einmal eine<br />
Zigarette an. Ich fand <strong>ich</strong> hätte sie nötig.<br />
»Darf <strong>ich</strong> auch wohl eine? Ich bin ganz aufgeregt«, meinte Inga.<br />
Ich gab ihr auch eine Zigarette und musste zugeben, dass auch <strong>ich</strong><br />
zieml<strong>ich</strong> aufgeregt war. Ich war nur froh, dass sie keine Ahnung besaß, um<br />
welche Summen es hier ging.<br />
Als wir ausgeraucht hatten, fragte Inga m<strong>ich</strong>: »Und was machen wir<br />
jetzt?«<br />
»Hast du Lust m<strong>ich</strong> auf einer Einbrechertour zu begleiten?«<br />
Sie sah m<strong>ich</strong> ungläubig an und meinte: »Das ist doch n<strong>ich</strong>t dein Ernst,<br />
oder?«<br />
»Doch das ist mein Ernst, und du darfst Schmiere stehen.«<br />
Wir fuhren in den Hafen und als <strong>ich</strong> dann hinüber zu dem<br />
Lagerschuppen ging, war sie plötzl<strong>ich</strong> neben mir, und raunte mir zu:<br />
238
»Dann will <strong>ich</strong> aber wirkl<strong>ich</strong> dabei sein, n<strong>ich</strong>t nur einfach in dem blöden<br />
Auto herumsitzen.«<br />
Ich nahm sie mit. Als sie das Liebeslager neben dem Büro sah, meinte sie<br />
nur: »Das ist aber praktisch. Gehört dir das? <strong>Wenn</strong> wir hier schon einmal<br />
drin sind, könntest du m<strong>ich</strong> dort doch auch gle<strong>ich</strong> lieben.«<br />
Ich antwortete darauf lieber n<strong>ich</strong>t und untersuchte nur, ob s<strong>ich</strong> in der<br />
gestrigen Nacht etwas in der Lagerhalle getan hatte. Und siehe da, der<br />
nächste Einbruch lief vonstatten. Zumindest hatte das Lager Schwund zu<br />
verze<strong>ich</strong>nen, weil der Inhaber mit zwei anderen Männern zieml<strong>ich</strong> hastig<br />
vier Paletten mit diesen hochwertigen Kühlgeräten auf einem Laster<br />
verschwinden ließ. Als die hintere Klappe des Lkws wieder nach oben<br />
fuhr, konnte man sogar das Nummernschild identifizieren. Das war sogar<br />
mehr als <strong>ich</strong> erwartete. Ich baute alles wieder ab und bedeutete Inga, dass<br />
wir wieder hinaus wollten. Sie schmollte ein wenig und meinte: »Bin <strong>ich</strong><br />
denn wirkl<strong>ich</strong> so wenig attraktiv?«<br />
Erst als wir wieder im Wagen saßen, antwortete <strong>ich</strong> ihr darauf: »Nein,<br />
Kleines, du bist sogar ein außerordentl<strong>ich</strong> attraktives Mädchen, aber<br />
erstens bin <strong>ich</strong> gebunden, und zweitens bin <strong>ich</strong> viel zu alt.«<br />
»Ich hätte d<strong>ich</strong> schon sehr jung gemacht.«<br />
»Und <strong>ich</strong> hätte hinterher wirkl<strong>ich</strong> alt ausgesehen!«<br />
Jetzt musste sie schon wieder lachen und sagte: »Aber <strong>Teufel</strong>, <strong>ich</strong> finde<br />
d<strong>ich</strong> wirkl<strong>ich</strong> aufregend. Ich würde wirkl<strong>ich</strong> gerne…«<br />
»Erspar´s uns. Ich könnte sonst rückfällig werden und mit dir nochmals<br />
dort einbrechen. Aber im Ernst, das sollte kein Thema zwischen uns sein.«<br />
Wir waren schon fast wieder am Krankenhaus, als sie leise sagte:<br />
»Schade.«<br />
Wir gingen hinüber in die Cafeteria und sie trank eine Cola und <strong>ich</strong><br />
kaufte mir zur Feier des Tages ein Bier. Wir rauchten beide und <strong>ich</strong><br />
musterte sie eingehend. Sie war eine wirkl<strong>ich</strong> sehr gut aussehende Frau<br />
und als sie s<strong>ich</strong> zum Zeitungsstand reckte, wölbten s<strong>ich</strong> reife Brüste unter<br />
ihrem Pullover. Diesmal dachte <strong>ich</strong>: »Schade.«<br />
Zwanzig Minuten später klingelte mein Handy und trug mir strafende<br />
Blicke der Patienten ein, die hier herumsaßen und Kaffee tranken.<br />
Wir verließen zieml<strong>ich</strong> fluchtartig den Raum und gingen hinüber zur<br />
Pathologie.<br />
Dr. Atzhorns Untersuchungen waren alle vorgenommen und Klönkens<br />
protokollierte alles und <strong>ich</strong> brannte die dazugehörige DVD in wenigen<br />
Minuten.<br />
239
Dr. Atzhorn sagte, dass er jetzt aber endgültig ins Wochenende gehen<br />
werde, Klönkens verabschiedete s<strong>ich</strong> von uns und wollte <strong>zurück</strong> zu<br />
Stadtler fahren. Er sagte mir nur noch: »<strong>Teufel</strong>, dafür werde <strong>ich</strong> Ihnen eine<br />
saftige Rechnung schreiben. Sonntagsarbeit ist schreckl<strong>ich</strong> teuer.«<br />
Dabei grinste er aber freundl<strong>ich</strong>.<br />
Als <strong>ich</strong> meine technischen Geräte wieder im Wagen verstaute, fragte <strong>ich</strong><br />
Dr. Atzhorn: »Und wie stehen die Chancen, dass es wirkl<strong>ich</strong> eine<br />
Übereinstimmung gibt?«<br />
»So schnell arbeiten unsere Computer n<strong>ich</strong>t. <strong>Wenn</strong> wir Glück haben,<br />
spuckt er morgen früh, die ersten Ergebnisse aus. Sie können m<strong>ich</strong> ab 10<br />
Uhr anrufen.«<br />
Ich fuhr Inga nach Hause.<br />
Egli saß immer noch mit Sybille Scharnowski zusammen und schienen<br />
s<strong>ich</strong> sehr einig zu sein. Egli machte ein höchst zufriedenes Ges<strong>ich</strong>t. Er<br />
konnte s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> alles im Sinne seiner Kanzlei mit Sybille abklären. Jetzt<br />
fehlte nur noch der endgültige Beweis der Vaterschaft.<br />
Als Egli uns alle zum Essen in ein Feinschmeckerlokal im Weserstadion<br />
einlud, schlug <strong>ich</strong> die Einladung ab. Ich wollte die Technik <strong>zurück</strong> ins Büro<br />
schaffen, mir ebenfalls von der Untersuchung Dr. Atzhorns eine DVD<br />
brennen und ebenfalls von dem Abtransport der Kühlaggregate. Ich wollte<br />
sie auf jeden Fall fertig haben, wenn der Firmeninhaber, dieses wieder bei<br />
der Polizei als Diebstahl anzeigte.<br />
Als <strong>ich</strong> alles fertigstellte, war es nach 22 Uhr und <strong>ich</strong> überlegte, wo <strong>ich</strong><br />
um diese Zeit noch etwas zu Essen bekommen könnte. Ich entschied m<strong>ich</strong><br />
für die Brauereigaststätte gegenüber.<br />
Als <strong>ich</strong> dann allein an einem Zweiertisch saß und aß und ein Krug mit<br />
frischem Bier vor mir stand, dachte <strong>ich</strong>, dass <strong>ich</strong> heute s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> einen<br />
wirkl<strong>ich</strong>en Sonntagslauf hinter mir hatte, aber wirkl<strong>ich</strong> zufrieden war <strong>ich</strong><br />
n<strong>ich</strong>t. Mir fehlten die lachenden Augen Charlottes.<br />
27<br />
<strong>Teufel</strong>s Ahnung<br />
Schon als <strong>ich</strong> aufstand, wusste <strong>ich</strong>, dass es ein sehr heißer Tag werden<br />
würde, obwohl wir Winter schrieben.<br />
Ich war ohne Frühstück ins Büro gefahren und brachte mir nur vom<br />
Bäcker ein paar Brötchen mit und hier im Büro die Kaffeemaschine in Gang<br />
gesetzt.<br />
240
Über Wiesels Computer suchte <strong>ich</strong> mir den Halter des Lastwagens, der<br />
die Kühlaggregate abtransportierte heraus und holte die Firma, die in<br />
Emden beheimatet war, aus dem Telefonverze<strong>ich</strong>nis. Dann rief <strong>ich</strong> schon<br />
im Präsidium an, um herauszufinden, wer die Diebstähle der<br />
Kühlaggregate bearbeitete. Der Sachbearbeiter war allerdings noch n<strong>ich</strong>t<br />
da, aber <strong>ich</strong> bekam schon seinen Namen. Ich hinterließ, dass er m<strong>ich</strong> bitte<br />
anrufen sollte, wenn ein weiterer Diebstahl gemeldet würde.<br />
Ich sah vorhin, als <strong>ich</strong> mir die Brötchen kaufte, beim Bäcker auch das<br />
Boulevardblatt auf der Theke und nahm mir eine Ausgabe mit, weil hier<br />
etwas über den Mord im Vorortzug geschrieben war. Als mein Kaffee<br />
fertig war, setzte <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong>, mit Kaffee und Brötchen und meiner Zeitung in<br />
mein Zimmer und fing an zu lesen.<br />
Noch immer bekam die Polizei keinerlei Hinweise und <strong>ich</strong> konnte mir<br />
vorstellen, dass Waldtmann und seine Abteilung im Stress ohne Ende<br />
waren. Die ersten Rufe in dieser Zeitung nach einer Bürgerwehr wurden<br />
laut, die auch die immer größer werdenden Probleme des<br />
Rauschgifthandels bekämpfen und vor allen Dingen die kriminellen<br />
Ausländer bekämpfen sollte. Beim Lesen dieser Zeilen wurde mir mehr als<br />
nur angst und bange. Die Vorstellung, dass mit Schlagstöcken oder noch<br />
schlimmeren Waffen bewehrte Fanatiker Jagd auf vermeintl<strong>ich</strong>e<br />
Rauschgifthändler unerwünschte ausländische Nachbarn machen sollten,<br />
ließen meine Nackenhaare abstehen. <strong>Wenn</strong> <strong>ich</strong> mir vorstellte, dass<br />
harmlose Stadtstre<strong>ich</strong>er, die betrunken in Hausnischen pennten, von einer<br />
aufgebrachten Bürgerwehr niedergemacht werden sollten, überkam m<strong>ich</strong><br />
das Grauen. Hatte <strong>ich</strong> doch vor gar n<strong>ich</strong>t allzu langer Zeit, selbst zu diesen<br />
Kreaturen gehört. Ich diente jetzt dem Recht, aber <strong>ich</strong> musste dafür eine<br />
dreijährige Ausbildungszeit hinter m<strong>ich</strong> bringen.<br />
Die Polizei würde mehr hinter fanatischen Bürgerwehrleuten herjagen<br />
müssen, als heute den wirkl<strong>ich</strong>en Verbrechern. Mir wollte mein Brötchen<br />
überhaupt n<strong>ich</strong>t mehr schmecken.<br />
Über den Fund eines Rauschgiftdepots fand <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>ts in dieser Zeitung.<br />
Sollte <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> so getäuscht haben?<br />
Ich rief erneut im Präsidium an und bekam auch den jetzt Zuständigen<br />
an die Leitung. Er säuselte mir ins Ohr: »Nein, wir haben keine<br />
Erklärungen für die Presse. Unsere Suchaktionen im ganzen Stadtgebiet<br />
werden noch ausgewertet. Ja, <strong>ich</strong> kann Ihnen die Nummer geben.«<br />
Dann folgte schnell eine weitere Durchwahlnummer des Präsidiums<br />
und <strong>ich</strong> wusste, dass <strong>ich</strong> dort Anna erre<strong>ich</strong>en konnte.<br />
241
Ich konnte mir vorstellen, dass einige Mithörer im Raum gewesen<br />
waren, die n<strong>ich</strong>t mitbekommen sollten, dass man mir Informationen gab.<br />
Es sollte wohl überhaupt vermieden werden, dass der Name <strong>Teufel</strong><br />
genannt wurde, denn er vermied geflissentl<strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> anzureden und legte<br />
schnell wieder auf.<br />
Ich rief die Nummer an, die er mir gab, und bekam wirkl<strong>ich</strong> Anna an<br />
den Apparat. Sie sprudelte sofort los: »Das ist vielle<strong>ich</strong>t eine Schweinerei.<br />
Sie haben die Fingerabdrücke des Jungen und einige anderen Spuren, die<br />
eindeutig sind, gefunden. Was machen die, nachdem sie mit fast einer<br />
Hundertschaft dort aufgekreuzt sind, sie lassen alles so, wie es ist, und<br />
beschließen, den Jungen auf frischer Tat zu ertappen. Seitdem sie wieder<br />
abgerückt sind, steht da ein Transporter, aus dem ein Observierungsteam<br />
den Standort beobachtet. Die spinnen doch. Da hat fast alle Welt<br />
mitbekommen, dass wir etwas gefunden haben, nur der Täter der Luftlinie<br />
keine einhundert Meter davon entfernt wohnt, soll es n<strong>ich</strong>t bemerkt haben.<br />
Der lässt sein Zeug da verschimmeln, und <strong>ich</strong> schaue immer noch in die<br />
Röhre. Da steckt mehr dahinter, <strong>Teufel</strong>. Da bin <strong>ich</strong> jetzt ganz s<strong>ich</strong>er. Und<br />
solange <strong>ich</strong> hier im Hause noch Zugriff auf alle mögl<strong>ich</strong>en Akten habe,<br />
werde <strong>ich</strong> auch klären, wer und was dahintersteckt.«<br />
»Hast du eigentl<strong>ich</strong> schon gefrühstückt?«<br />
»Was soll denn diese blöde Frage?«<br />
»<strong>Wenn</strong> du es noch n<strong>ich</strong>t hast, könntest du dir doch eine<br />
Frühstückspause gönnen, und im kleineren Hotel gegenüber der<br />
Baumwollbörse frühstücken. Vielle<strong>ich</strong>t bekommst du dann ein paar andere<br />
Gedanken. Es sollen interessante Gesprächspartner dort logieren.«<br />
Dann legte <strong>ich</strong> einfach auf. Ich hoffte sie würde r<strong>ich</strong>tig schalten. Ich legte<br />
Charlotte einen Zettel hin, dass <strong>ich</strong> über Handy zu erre<strong>ich</strong>en wäre, und<br />
machte m<strong>ich</strong> auf den Weg. Ich nahm kaum Platz und der Bedienung<br />
gesagt, dass <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t Hotelgast sei, aber ein Frühstück für zwei Personen<br />
mit Kaffee haben wollte, als auch schon Anna in den Frühstücksraum<br />
gestürzt kam.<br />
»Was soll das denn schon wieder?«<br />
»Anna, wenn du n<strong>ich</strong>t Gefahr laufen willst, dass jedes Wort was du am<br />
Telefon sagst, mitgeschnitten und eventuell von deinen größten Gegnern<br />
im Präsidium ausgewertet wird, hältst du besser den Mund am Telefon.<br />
Ich bin mir inzwischen s<strong>ich</strong>er, dass der Mord an Oberstaatsanwalt Bauer<br />
n<strong>ich</strong>t ein Racheakt war. Bauer war n<strong>ich</strong>t der Informant, wie jetzt im<br />
Präsidium angenommen wird. D<strong>ich</strong> hat man doch in sein Büro gesteckt,<br />
damit du nach weiteren Beweisen für seine Schuld suchen sollst.<br />
Hast du schon etwas entdeckt?«<br />
242
»Nein, absolut gar n<strong>ich</strong>ts. Ich habe auch keine Hinweise dafür gefunden,<br />
dass er s<strong>ich</strong> überhaupt mit dem Svetlov befasste. Der stand nur unter loser<br />
Beobachtungen durch uns. Ich habe mir alle seine Fälle, die noch zu<br />
bearbeiten waren, vorgenommen. Da war kein einziger Rauschgiftfall<br />
dabei. Bei ihm auf dem Tisch lagen hauptsächl<strong>ich</strong> Betrugsfälle. Zieml<strong>ich</strong><br />
große grenzüberschreitende Sachen. Das wäre eigentl<strong>ich</strong> dein Fach.<br />
Subventionserschle<strong>ich</strong>ungen durch Hin- und Herlieferungen von Waren.<br />
Da war sogar ein schmaler Ordner, den er wohl gerade erst anlegte, von<br />
den Herzklappenimporten von dieser Hertschfirma dabei, und die ganzen<br />
Silikonbusenimporte aus Tiflis. Die schicken wohl nur die äußeren Hüllen<br />
und hier werden sie dann nach den Wünschen der Frauen weiter<br />
aufgefüllt. So r<strong>ich</strong>tige Atombusen werden dann in die Staaten geliefert. Er<br />
hat sogar Fotos von den Kunsteinsätzen mit dabei. Wie sie ankommen und<br />
wie sie wieder weitergeliefert werden. Ich möchte solche Dinger n<strong>ich</strong>t<br />
eingebaut bekommen, und wenn meine Brüste bis zum Bauchnabel hingen.<br />
Mensch, was sind das für Apparate.<br />
Geliefert wird in drei Größen, die alle noch vielle<strong>ich</strong>t auszuhalten wären.<br />
Ein- und Zweikilodinger. Und für die Amerikanerinnen werden die bis zu<br />
acht Kilo pro Seite angefertigt. Du musst doch vorderlastig werden, und<br />
das muss doch wehtun, wie sonst etwas. Hörst du mir überhaupt noch<br />
zu?«<br />
»Doch <strong>ich</strong> höre sehr genau zu. Aber <strong>ich</strong> war am überlegen, was Bauer<br />
<strong>daran</strong> so gefesselt haben könnte. Wie können Kunstbusen zu Betrügereien<br />
verwendet werden?«<br />
»Das habe <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> auch schon gefragt. Die werden in keiner Weise<br />
subventioniert, und passen auch sonst wohl nur in das Schema, mit dem er<br />
s<strong>ich</strong> sonst beschäftigte, wenn man die verschachtelten Firmenstrukturen<br />
von diesen von Hertsch kontrollierten Firmen berücks<strong>ich</strong>tigt. Ich bin<br />
jedenfalls noch n<strong>ich</strong>t dahinter gekommen, was diese Akte überhaupt soll.«<br />
»Hast du diese Akte gelistet? Steht sie in deinem Ber<strong>ich</strong>t?«<br />
»Nee. Es war eine ohne Aktenze<strong>ich</strong>en und lag einfach in seiner<br />
Schreibtischschublade. Ich habe sie nur gefunden, weil <strong>ich</strong> nach einem<br />
schreibfähigen Kugelschreiber gesucht habe und dahinein gesehen, weil<br />
<strong>ich</strong> die Fotos entdeckte. Ich habe noch nie Silikoneinlagen gesehen.«<br />
»Dann kannst du die auch ohne weiteres Verschwinden lassen?«<br />
»Ich würde sie einfach in der Schublade lassen. Soll s<strong>ich</strong> doch sein<br />
Nachfolger damit auseinandersetzen. Da ist im Moment sowieso schon das<br />
Gerangel um die guten Startplätze für seine Nachfolge losgegangen.<br />
243
Der Mann, dem <strong>ich</strong> das Meiste zutraue, ist noch zu jung für den Posten,<br />
und die anderen sind alles nur Paragrafenreiter, die ihre Gesetzestexte<br />
auswendig können, aber Zusammenhänge überhaupt n<strong>ich</strong>t erkennen.<br />
Bauer war schon ein zieml<strong>ich</strong>es Ekelpaket, aber er sah wenigstens<br />
manchmal über den Tellerrand. Was jetzt nachkommt, wird uns die Arbeit<br />
noch mehr erschweren, anstatt erle<strong>ich</strong>tern. Und bei den neuen jungen<br />
Untersuchungsr<strong>ich</strong>tern ist es noch schlimmer. <strong>Teufel</strong>, <strong>ich</strong> bin auch fast<br />
dafür, dass wir eine Bürgerwehr bekommen, die Recht erkennt und<br />
durchsetzt. Da gibt es drüben in Hamburg so einen Politiker, der ganz<br />
scharf gegen die Drogenleute vorgehen will und endl<strong>ich</strong> Recht und<br />
Ordnung per Gesetz verordnen will. Den sollten sie Mal nach Bremen<br />
holen.«<br />
Mein schaler Geschmack in meinem Munde verstärkte s<strong>ich</strong>. Ich konnte<br />
zwar Anna verstehen, dass sie s<strong>ich</strong> von Gesetzgeber verschaukelt fühlte,<br />
aber dennoch ging mir ihre Vorstellung von Recht und Ordnung gegen den<br />
Str<strong>ich</strong>. Aber vielle<strong>ich</strong>t konnte <strong>ich</strong> die Gunst der Stunde nutzen. Ich sagte<br />
ihr: »Lass die Akte n<strong>ich</strong>t in seinem Schreibtisch vergammeln. Ich möchte<br />
mir sie mir einmal ansehen, vielle<strong>ich</strong>t komme <strong>ich</strong> darauf, was Bauer im<br />
Auge hatte, als er sie anlegte. Ich habe inzwischen auch schon einige<br />
Fakten über meinen »Auftraggeber« angelegt. Sie könnte meine<br />
Recherchen bestens ergänzen. Spiel sie mir einfach zu.«<br />
»Aber das geht doch n<strong>ich</strong>t, <strong>Teufel</strong>. Das sind Dienstgeheimnisse.«<br />
»<strong>Wenn</strong> eine Aktennummer draufstehen würde, dann hätte <strong>ich</strong> dir<br />
niemals dieses Ansinnen gestellt. Aber private Notizen, die sowieso<br />
niemanden interessieren, könntest du doch einfach in den Papierkorb<br />
werfen. Oder so ähnl<strong>ich</strong>. Und <strong>ich</strong> bin sogar ein prima Aktenvern<strong>ich</strong>ter.«<br />
»Na gut, <strong>Teufel</strong>, du bekommst sie am Ende des Tages, aber dann re<strong>ich</strong>t<br />
es n<strong>ich</strong>t, dass du m<strong>ich</strong> so »uneigennützig« zum Frühstück eingeladen hast.<br />
Da muss schon ein Abendessen mit drin sein.«<br />
»Oh, weia. Beamtenbestechung, nur wer ist der aktive und wer der<br />
passive Bestecher? Nein, damit du keinen falschen Eindruck von mir<br />
bekommst: Ich wollte d<strong>ich</strong> aus der Schusslinie eines Informanten bringen.<br />
Du bist vielle<strong>ich</strong>t viel gefährdeter als wir bisher ahnen. Du musst noch viel<br />
vors<strong>ich</strong>tiger sein. Du weißt, dass eure Telefonate mitgeschnitten werden.<br />
Das ist zu eurem Schutz gedacht, kann aber auch sehr le<strong>ich</strong>t umgedreht<br />
werden.«<br />
»Höre <strong>ich</strong> dort echte Sorge um m<strong>ich</strong> und meine Person heraus?«<br />
»Ja, Anna, das solltest du hören.«<br />
»In Ordnung, du hast meine Sinne geschärft.<br />
244
Ich werde noch mehr Augen und Ohren offen halten, aber meinen Mund<br />
zunähen.«<br />
Ihre schalkhaft blitzenden Augen und ihr breites Grinsen, bei der<br />
Bemerkung, dass <strong>ich</strong> ihre Sinne geschärft hätte, waren n<strong>ich</strong>t zu übersehen.<br />
Gle<strong>ich</strong> darauf war sie wieder verschwunden.<br />
Ich zahlte, und ging wieder hinüber ins Büro.<br />
Charlotte empfing m<strong>ich</strong> mit einem: »Du kommst spät <strong>Teufel</strong>.«<br />
»Hast du meinen Zettel n<strong>ich</strong>t gefunden?«<br />
»Doch, aber <strong>ich</strong> dachte, den hättest du gestern schon geschrieben. Ich<br />
habe sogar schon bei dir zu Hause angerufen.«<br />
»Was gibt es denn?«<br />
»Frau Hertsch hat s<strong>ich</strong> schon fürchterl<strong>ich</strong> aufgeregt. Sie hat angefragt, ob<br />
du n<strong>ich</strong>t ihren Sohn gegen Übergriffe der Polizei schützen könntest. Er ist<br />
heute schon wieder von ein paar Beamten vor der Schule aufgehalten<br />
worden, und alle Klassenkameraden haben das mitbekommen. Sie<br />
wünscht, dass du ihn s<strong>ich</strong>er zu Schule bringst und auch da wieder<br />
abholst.«<br />
»Ich bin doch kein Babysitter. Was hast du inzwischen Weiteres über die<br />
Firma herausfinden können?«<br />
»Liegt schon auf deinem Schreibtisch. Soll <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> weiter um diese Frau<br />
da kümmern?«<br />
»Besser n<strong>ich</strong>t, Charlotte. <strong>Wenn</strong> die dahinter kommen, dass wir sie<br />
auskundschaften, dann kommt es bestimmt zu einem handfesten Skandal,<br />
wie <strong>ich</strong> vor allen Dingen Frau Hertsch kenne.«<br />
»Ich lasse m<strong>ich</strong> aber von so einem arroganten Hund n<strong>ich</strong>t behandeln,<br />
wie ein Stück Mist. Das lasse <strong>ich</strong> mir n<strong>ich</strong>t bieten!«<br />
»Charlotte <strong>ich</strong> bitte d<strong>ich</strong>. Lass die Finger im Moment davon. Es ist<br />
brandgefährl<strong>ich</strong> den Leuten in die Quere zu kommen. Anna weiß<br />
inzwischen ein Lied davon zu singen. Ich möchte n<strong>ich</strong>t auch d<strong>ich</strong> noch in<br />
Gefahr wissen.«<br />
»Anna und immer wieder Anna. Kommst du vielle<strong>ich</strong>t gerade von ihr?<br />
Ich will diesem Hertsch <strong>zurück</strong>zahlen, wie er m<strong>ich</strong> behandelt hat.«<br />
»Liebes..«<br />
»Nenn m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t Liebes. Behandele m<strong>ich</strong> wie eine mündige Sekretärin,<br />
die auf ihrem Recht pocht, n<strong>ich</strong>t behandelt zu werden wie ein Stück<br />
Dreck.«<br />
»Charly! Wir haben im Moment keine Zeit für private Rachefeldzüge,<br />
und erst recht n<strong>ich</strong>t, wenn sie d<strong>ich</strong> in Gefahr bringen könnten. In<br />
Lebensgefahr.<br />
245
Bist du denn so blind in deiner Rachsucht, dass du n<strong>ich</strong>t merkst, dass <strong>ich</strong><br />
d<strong>ich</strong> schützen will? Und aus der Ecke Hertsch kommt Gefahr, das spüre<br />
<strong>ich</strong>.«<br />
»Mit deinen okkultischen Verbindungen zu deinen jamaikanischen<br />
Freunden? Mit den übersinnl<strong>ich</strong>en Fähigkeiten, die d<strong>ich</strong> so gefangen<br />
nehmen? Mit Ahnungen?«<br />
Obwohl <strong>ich</strong> wütend war, wie sie meine Freunde und deren Fähigkeiten<br />
versuchte in den Dreck zu ziehen, nur weil sie eine schreckl<strong>ich</strong><br />
eifersüchtige Frau war, die noch n<strong>ich</strong>t einmal mit meiner Vergangenheit<br />
leben konnte, blieb <strong>ich</strong> ruhig und sagte: »Ja, auch mit deren und meinen<br />
Fähigkeiten. Aber <strong>ich</strong> kann d<strong>ich</strong> nur schützen, wenn du n<strong>ich</strong>t selbst ins<br />
offene Messer rennst. Ich glaube es wäre besser, wenn du die nächsten<br />
Wochen deinen Dienst in Bad Homburg versehen würdest und d<strong>ich</strong> noch<br />
näher mit der Büroorganisation und der Logistik eines solchen<br />
Unternehmens beschäftigen würdest.«<br />
Jetzt war Charlottes Ges<strong>ich</strong>t hochrot und sie schrie: »Damit du hier mit<br />
allen Weibern rumhuren kannst?«<br />
Jetzt riss auch bei mir der Geduldsfaden und <strong>ich</strong> brüllte <strong>zurück</strong>: »Ob,<br />
und mit wem <strong>ich</strong> hure oder n<strong>ich</strong>t, geht d<strong>ich</strong> einen Scheißdreck etwas an.<br />
Du solltest sehen, dass du deinen Job machst, und <strong>ich</strong> mache meinen, und<br />
wenn das n<strong>ich</strong>t klappt, dann ist unsere Zusammenarbeit beendet, bevor sie<br />
begonnen hat. Mache deine Arbeit, und versuche n<strong>ich</strong>t in meinen<br />
Ermittlungen herumzupfuschen. Du machst mehr kaputt, als <strong>ich</strong> erarbeiten<br />
kann, und bringst d<strong>ich</strong> selbst damit auch noch in Lebensgefahr. Begreif es<br />
endl<strong>ich</strong>!«<br />
Jetzt wechselte ihre Ges<strong>ich</strong>tsfarbe auf Schneeweiß, aber sie drehte s<strong>ich</strong><br />
um und ging an ihren Computer.<br />
Ich ging, um mit dem Sachbearbeiter der Vers<strong>ich</strong>erung zu sprechen und<br />
teilte ihm mit, dass es auch an diesem Wochenende Verladungen von<br />
Maschinen gegeben hätte. Wir aber erst zuschlagen könnten, wenn dieses<br />
als Diebstahl angemeldet werden würde. Er war einverstanden, dass wir es<br />
abwarten wollten.<br />
Danach diktierte <strong>ich</strong> den Ber<strong>ich</strong>t meiner Nachforschungen in diesem Fall<br />
und brachte Charlotte das Band und bat sie auch eine Zwischenrechnung<br />
für den Zeit- und Technikaufwand zu schreiben.<br />
Sie schaute nur kurz auf und nickte bestätigend. Ich wunderte m<strong>ich</strong> ein<br />
wenig, dass sie n<strong>ich</strong>t nach den Ergebnissen aus unseren Bemühungen aus<br />
dem Egli-Fall fragte, bis <strong>ich</strong> mir sagte, dass Egli sie wahrscheinl<strong>ich</strong> schon<br />
direkt informierte.<br />
246
Ausnahmsweise ahnte <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t, dass sie gestern versuchte s<strong>ich</strong> an mir<br />
zu rächen und versuchte Egli zu verführen und s<strong>ich</strong> dabei eine<br />
schreckl<strong>ich</strong>e, wenn auch charmante, Abfuhr holte. Das erfuhr <strong>ich</strong> erst<br />
wesentl<strong>ich</strong> später.<br />
Und <strong>ich</strong> ahnte auch n<strong>ich</strong>t, dass dies der Auslöser für ihre wahnsinnig<br />
schlechte Laune an diesem Morgen gewesen war, denn sie befürchtete nun,<br />
dass mir Egli alles brühwarm mitteilen würde.<br />
Als <strong>ich</strong> dann bei Dr. Atzhorn anrief, teilte man mir nur mit, dass er im<br />
Moment n<strong>ich</strong>t zu sprechen sei, weil er einen Auftrag der Polizei<br />
übernehmen musste. Er stand unter Druck am Obduktionstisch. Ich fragte<br />
auch n<strong>ich</strong>t nach, was schon wieder passiert sei, denn <strong>ich</strong> befürchtete, dass<br />
die Boulevardpresse jetzt erst recht nach einer Bürgerwehr verlangte.<br />
Ich vertiefte m<strong>ich</strong> stattdessen in die Akte Hertsch, die Charlotte in der<br />
Zwischenzeit zusammentrug. Der Wohnort der Teilhaberin S<strong>ich</strong>etswilli<br />
war Worpswede und <strong>ich</strong> wollte mir bei Gelegenheit diese Dame ein wenig<br />
näher ansehen. Charlotte arbeitete auch die Firmenstrukturen inzwischen<br />
klarer heraus und <strong>ich</strong> musste ihr bescheinigen, dass es eine wirkl<strong>ich</strong> tolle<br />
Arbeit war. Ich wollte es ihr mitteilen, aber sie war n<strong>ich</strong>t anwesend.<br />
Um kurz vor zwölf rief m<strong>ich</strong> dann der Leiter des Diebstahlsdezernat an<br />
und sagte nur: »Ich soll hier eine Anzeige wegen Diebstahls aufnehmen.<br />
Könnte Sie bitte dazukommen?«<br />
Charlotte war immer noch n<strong>ich</strong>t <strong>zurück</strong> an ihrem Arbeitsplatz und<br />
daher schrieb <strong>ich</strong> ihr auf, dass <strong>ich</strong> drüben im Präsidium sei. Dann verließ<br />
<strong>ich</strong> das Büro und eilte hinüber. Der Firmeninhaber saß scheinbar mit<br />
wutentbranntem Ges<strong>ich</strong>t einem Beamten gegenüber. Als <strong>ich</strong> in den Raum<br />
trat, wurde er sogar laut und schrie zu mir hinüber: »Sie haben s<strong>ich</strong> selbst<br />
am Freitag von unseren S<strong>ich</strong>erheitsvorkehrungen überzeugen können, und<br />
kaum drehen Sie s<strong>ich</strong> um, passiert es das nächste Mal. Das kann nur von<br />
der Konkurrenz inszeniert sein. Die wollen m<strong>ich</strong> fertig machen! Die stehlen<br />
wie die Raben, und machen m<strong>ich</strong> kaputt.«<br />
Völlig niedergeschmettert ließ er s<strong>ich</strong> wieder auf seinen Stuhl sinken,<br />
und es sah fast so aus, als wenn er gle<strong>ich</strong> in Tränen ausbrechen wolle.<br />
Ich kniff dem Beamten ein Auge zu und ihm damit signalisiert, dass er<br />
im Moment n<strong>ich</strong>t eingreifen solle. Ich stellte umständl<strong>ich</strong> mein Notebook<br />
auf den Tisch und fragte mitfühlend: »Um wie viele Stücke geht es denn<br />
nun schon wieder? Wie kann das nur angehen?«<br />
»Es sind schon wieder 18 Einheiten gestohlen worden.«<br />
»Wie so viele?« entfuhr es mir unwillkürl<strong>ich</strong>, denn <strong>ich</strong> besaß nur neun<br />
Einheiten auf meinem Computer.<br />
247
»Ja, die haben uns diesmal sämtl<strong>ich</strong>e Einheiten für unsere Lieferung<br />
nach Senegal geklaut. Das war ein Staatsauftrag. Er war gle<strong>ich</strong> groß, wie<br />
der Auftrag nach China, aber den hat man vollständig stehen lassen,<br />
obwohl er näher zum Rolltor stand.«<br />
Ich schloss die Augen und plötzl<strong>ich</strong> verstand <strong>ich</strong> alles.<br />
Ich sah die Logistik der Halle vor mir, wie die einzelnen Palettenstapel<br />
aufgebaut waren und ein Lacher kam in mir hoch.<br />
Der Beamte schnauzte m<strong>ich</strong> an und fragte m<strong>ich</strong> nur: »<strong>Teufel</strong>, schlafen Sie<br />
bei der Art meiner Befragung ein und träumen dann. Was gibt es da zu<br />
Grinsen?«<br />
»Ich habe mir nur vorgestellt, dass Gegner Senegals, dieses Land<br />
sabotieren. Ein Land wird ausgeplündert, und das noch n<strong>ich</strong>t einmal auf<br />
heimischen Boden. Das ist doch zum Lachen, n<strong>ich</strong>t wahr? Die Diebe wollen<br />
n<strong>ich</strong>t der Firma schaden, die wollen den Ländern schaden, die diese Waren<br />
bestellt und bezahlt haben. Da steckt viel mehr dahinter.«<br />
»Ja, so sehe <strong>ich</strong> das auch«, ereiferte s<strong>ich</strong> der Firmeninhaber. Er war im<br />
Überschwang seiner Gefühle. Das passte genau in seine Vermutungen,<br />
warum er immer wieder bestohlen wurde.<br />
Ganz nebenher fragte <strong>ich</strong> ihn: »Wie stehen Sie eigentl<strong>ich</strong> zu der Firma<br />
Freudenthal aus Emden?«<br />
»Die machen normalerweise die Speditionsarbeiten für unsere<br />
Lieferungen nach Afrika, denn dort werden auf den Autotransportern nach<br />
Afrika auch immer unsere Maschinen mit verladen.«<br />
Ich wandte m<strong>ich</strong> lässig an den Beamten und sagte fast beiläufig:<br />
»Verhaften Sie den Mann, wegen fortgesetzten Diebstahls an seiner<br />
eigenen Firma. Stoppen Sie alle Schiffstransporte von Autos nach Afrika<br />
und suchen sie dort nach neun Einheiten der Lieferung nach Senegal. Und<br />
überprüfen Sie in der Lagerhalle die Bestände innerhalb der Lieferung nach<br />
China anhand der Maschinennummern und Sie werden feststellen, dass<br />
neun Einheiten aus der ursprüngl<strong>ich</strong> für den Senegal zu liefernden<br />
Maschinen stammen. Die Herrschaften haben n<strong>ich</strong>t nur bei der<br />
Auslieferung betrogen, sondern auch bei der Anlieferung. Man hat dem<br />
Hallenmeister die Protokolle verfälscht und die früher gestohlenen<br />
Maschinen ledigl<strong>ich</strong> innerhalb der Halle umgesetzt. Wir sollten uns<br />
vielle<strong>ich</strong>t auch einmal mit der Maschinenfabrik beschäftigen, die diese<br />
Kühlaggregate herstellt. Was ist das eigentl<strong>ich</strong> für eine Firma?«<br />
»Eine Firma aus der Hertsch-Gruppe hier aus Bremen. Sie produzieren<br />
drüben in Nordrhein-Westfalen. Im Ruhrpott.«<br />
Spätestens jetzt gingen bei mir bei der Nennung des Namens Hertsch<br />
alle Warnlampen auf Rot.<br />
248
»Und sorgen Sie dafür, dass dem Mann n<strong>ich</strong>ts passieren kann. Er ist in<br />
absoluter Lebensgefahr, weil er zuviel weiß. Das muss Ihnen und auch ihm<br />
klar sein. Er war nur Befehlsempfänger und ist deshalb als lästiger<br />
Mitwisser nur noch Ballast. Schützen Sie ihn!«<br />
Ich stand auf und sagte nur:<br />
»Ich habe da ein paar Ahnungen, und darum muss <strong>ich</strong> weg. Passen Sie<br />
gut auf ihn auf. Er ist n<strong>ich</strong>t nur ein Dieb seiner eigenen Firma, er ist ein<br />
Rädchen eines großen Syndikats. Und halten Sie es auch hier im Präsidium<br />
geheim, was für einen Fang Sie gemacht haben. <strong>Wenn</strong> sie damit prahlen, ist<br />
dieser Mann tot!«<br />
Ich wandte m<strong>ich</strong> noch einmal an den Firmeninhaber und beugte m<strong>ich</strong> zu<br />
ihm und sagte: »Sie sollten jetzt Ihr Gewissen erle<strong>ich</strong>tern und die<br />
Hintergründe aufklären. Dann haben Sie eine Chance, dass Sie mit einer<br />
milden Strafe davonkommen, nur wenn sie versuchen zu schweigen, dann<br />
verurteilen Sie s<strong>ich</strong> selbst zum Tode. Und das wissen Sie!«<br />
»Ich bin schon jetzt tot!«<br />
Ich ahnte, dass er Recht bekommen würde.<br />
Ich übergab dem Beamten noch meine DVD mit den gebrannten<br />
Aufnahmen des Tatherganges und klemmte mir mein Notebook wieder<br />
unter den Arm und verließ sehr nachdenkl<strong>ich</strong> das Präsidium.<br />
Ich wusste jetzt mit S<strong>ich</strong>erheit, dass Hertsch noch viel tiefer in der<br />
ganzen Angelegenheit steckte und <strong>ich</strong> wusste, dass auch <strong>ich</strong> im Visier<br />
dieser Firmengruppe stand. Und mir war klar, dass <strong>ich</strong> Charlotte dringend<br />
aus der Gefahrenzone bringen musste.<br />
Ich zermarterte mir auf dem kurzen Rückweg ins Büro den Kopf<br />
darüber, wie <strong>ich</strong> sie mit einem scheinbar w<strong>ich</strong>tigen Auftrag aus Bremen<br />
herauskomplimentieren konnte, damit sie in S<strong>ich</strong>erheit wäre. Plötzl<strong>ich</strong><br />
bekam <strong>ich</strong> wirkl<strong>ich</strong> Angst und <strong>ich</strong> kam mir schreckl<strong>ich</strong> hilflos vor.<br />
28<br />
Charlys S<strong>ich</strong>erheit<br />
Als <strong>ich</strong> ins Büro trat, war alles anders. Charlotte strahlte und servierte<br />
gerade Kaffee für zwei Gäste, die <strong>ich</strong> so schnell n<strong>ich</strong>t wieder zu sehen<br />
erwartete. Stadtler und Klönkens saßen in meinem Zimmer und Stadtler<br />
machte wohl gerade eine Bemerkung zu Charlotte, die sie stolz zu machen<br />
schien und sie fragte gerade: »Und das hat dieser <strong>Teufel</strong>skerl gestern<br />
wirkl<strong>ich</strong> alles hinbekommen?«<br />
249
Klönkens erwiderte: »Und mit welcher Ums<strong>ich</strong>t. Ich habe alles<br />
protokollieren müssen, damit auch für die Behörden ers<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong> sein wird,<br />
dass keine Tricks angewandt wurden. Das war schon beeindruckend. Und<br />
dieser Dr. Atzhorn ist eine wirkl<strong>ich</strong>e Spitzenkraft.«<br />
»Was habe <strong>ich</strong> hinbekommen?«<br />
»Den Nachweis, dass diese junge Frau Scharnowski wirkl<strong>ich</strong> die von<br />
Gogwitschky gezeugte Tochter ist. Wissen Sie es denn noch gar n<strong>ich</strong>t?«<br />
»Nein, Dr. Atzhorn war vorhin noch mit anderen Sachen beschäftigt und<br />
konnte n<strong>ich</strong>t gestört werden. Das Ergebnis der gestrigen Untersuchungen<br />
ist mir noch n<strong>ich</strong>t bekannt.«<br />
»Es ist aber so, wie <strong>ich</strong> eben gesagt habe. Dr. Atzhorn hat eben als wir<br />
hier hereinkamen das Ergebnis durchgegeben.«<br />
»Das ist eine wunderbare Nachr<strong>ich</strong>t. Charly, du kannst Rechnungen<br />
schreiben und unsere Existenz für diesen Monat ist schon einmal gerettet.<br />
Die Rechnung an die Vers<strong>ich</strong>erung kannst du auch gle<strong>ich</strong> als Endversion<br />
fertig stellen. Den Dieb habe <strong>ich</strong> auch entlarvt und die Vers<strong>ich</strong>erung muss<br />
n<strong>ich</strong>t zahlen. Da gibt es auch eine Prämie, auf die eingesparten Kosten.<br />
Dann kann <strong>ich</strong> auch wohl Ihre Rechnung bezahlen, für die Sonntagsarbeit,<br />
Herr Klönkens«, meinte <strong>ich</strong> jetzt auch lachend.<br />
»Nein, die werde <strong>ich</strong> Ihnen n<strong>ich</strong>t stellen sondern mit einem Auftrag<br />
verrechnen, den Sie für Stadtler erledigen sollen. Deshalb sind wir ja hier.«<br />
»Worum geht es denn?«<br />
»Ich habe festgestellt, warum es um die Firma meines Sohnes so schlecht<br />
steht. Da scheint s<strong>ich</strong> der Buchhalter der Firma sehr freundl<strong>ich</strong> selbst<br />
bedient zu haben. Herrn Klönkens war ja deswegen gestern bei mir, da wir<br />
die einzelnen Verträge, die mein Sohn da geschlossen hat, durchgegangen<br />
sind. Da sind wir auf einige Ungereimtheiten gestoßen und nun wollen<br />
wir, dass Sie die gesamten Bücher in Berlin durchgehen. <strong>Wenn</strong> m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t<br />
alles täuscht, hat der Buchhalter einige Lücken in den Vertragswerken<br />
genutzt und hat s<strong>ich</strong> daraus eine goldene Nase zuungunsten von Jakob<br />
verdient.«<br />
»Puh, wenn <strong>ich</strong> nur wüsste, wie <strong>ich</strong> das anstellen sollte. Dazu müsste <strong>ich</strong><br />
doch bestimmt nach Berlin. Und in der Rauschgiftsache bin <strong>ich</strong> hier von<br />
den Polizisten eigentl<strong>ich</strong> verhaftet. Sie brauchen m<strong>ich</strong> immer wieder zu<br />
Aussagen, und jetzt kommen auch noch die ganzen Aussagen und<br />
Nachweise, die <strong>ich</strong> in der Diebstahlsgesch<strong>ich</strong>te erbringen muss. Ich glaube<br />
n<strong>ich</strong>t, dass die m<strong>ich</strong> reisen lassen.«<br />
Ich überlegte einen kleinen Augenblick und dann meinte <strong>ich</strong>:<br />
250
»Herr Klönkens könnten Sie n<strong>ich</strong>t Frau Hansen erklären, aus welchen<br />
Verträgen heraus sie annehmen, dass dieser Buchhalter sie zur<br />
Eigenbere<strong>ich</strong>erung benutzt hat. <strong>Wenn</strong> Frau Hansen als gute Buchhalterin<br />
dann die Bücher in Berlin durchgehen könnte, dann würde sie doch<br />
bestimmt die Unregelmäßigkeiten herausfinden können. Oder?«<br />
Stadtler war sofort begeistert. »Klar kann sie das.<br />
Sie hat doch auch die Unregelmäßigkeiten damals in den Abrechnungen<br />
der Lagerhausgesellschaft aufgeklärt. Da sollten wir auch von einem der<br />
Buchhalter dort aufs Kreuz gelegt werden. Und der hat ein ganz schön<br />
raffiniertes Verfahren angewandt, um uns die Gelder aus der Tasche zu<br />
ziehen. Das kann sie bestimmt.«<br />
Dann wandte s<strong>ich</strong> Stadtler direkt an Charlotte und sagte: »Würden Sie<br />
das für m<strong>ich</strong> machen? Ich zahle selbstverständl<strong>ich</strong> alle Spesen und die<br />
Stunden werden auf der Basis der Agentur hier bezahlt.«<br />
»<strong>Wenn</strong> m<strong>ich</strong> <strong>Teufel</strong> dafür freistellt, werde <strong>ich</strong> das gerne übernehmen«,<br />
sagte Charlotte sofort eifrig. Und ihr Ges<strong>ich</strong>t glühte vor Stolz.<br />
»Herr Stadtler und auch Herr Klönkens, Sie haben mir in den<br />
vergangenen Tagen und Wochen so viel Hilfe angedeihen lassen, wie<br />
könnte <strong>ich</strong> da widersprechen. Und für Charly wäre es eine fantastische<br />
Gelegenheit s<strong>ich</strong> als mein Vertreter, als echter Vertreter detektivisch zu<br />
betätigen. Sie geben auch ihr eine große Chance. Ja, <strong>ich</strong> bin einverstanden,<br />
nur werde <strong>ich</strong> meine Honorarforderungen auf ein Minimum beschränken.<br />
Spesen ja, aber der Stundensatz wird mit Charly selbst verhandelt. Ich bin<br />
doch kein Ausbeuter, meiner w<strong>ich</strong>tigsten Mitarbeiterin.«<br />
Jetzt griente auch Charlotte und meinte sachl<strong>ich</strong>: »<strong>Wenn</strong> man sonst keine<br />
Mitarbeiter hat, wird auch die Einzige zur W<strong>ich</strong>tigsten, oder wolltest du<br />
etwas anderes damit sagen.«<br />
Ich lächelte sie an und meinte: »Das würde <strong>ich</strong> dir lieber unter vier<br />
Augen sagen.«<br />
Klönkens hüstelte diskret und meinte nur zu Stadtler: »Komm wir<br />
wollen n<strong>ich</strong>t auch noch Liebenden im Wege stehen s<strong>ich</strong> zu offenbaren.«<br />
»Nein, nein, meine Herren, entweder erteilen Sie mir jetzt den Auftrag,<br />
oder <strong>ich</strong> widme m<strong>ich</strong> wieder meinen Aufgaben hier in der Agentur. Seine<br />
Plänkeleien dürfen Sie ruhig überhören. Es ist schon ganz schön schwierig,<br />
s<strong>ich</strong> seinen Chef immer vom Hals zu halten.«<br />
Wir grinsten alle und <strong>ich</strong> forderte Charly auf ein Auftragsformular<br />
vorzubereiten und ein Glas Sekt einzuschenken, auf ihren ersten Auftrag<br />
als meine Stellvertreterin.<br />
251
Als die Formalitäten erledigt waren, begleitete <strong>ich</strong> die Herren noch mit<br />
hinaus und auf dem Gang vor dem Büro schüttelte <strong>ich</strong> beiden Männern die<br />
Hände und sagte zu Stadtler: »Danke, ganz vielen Dank. <strong>Wenn</strong> m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t<br />
alles täuscht, haben Sie soeben das Leben Charlottes gerettet.«<br />
Er sah m<strong>ich</strong> verständnislos an, aber <strong>ich</strong> erklärte es ihm n<strong>ich</strong>t näher. Eine<br />
Stunde später war Charlotte unterwegs nach Berlin und <strong>ich</strong> machte eine<br />
Datens<strong>ich</strong>erung, indem <strong>ich</strong> alle Daten meines Rechners auf den<br />
Zentralrechner von Wiesel in Bad Homburg übertrug.<br />
Dabei dachte <strong>ich</strong> voller Dankbarkeit <strong>daran</strong>, dass <strong>ich</strong> Stadtler<br />
kennenlernte, der mir einen so grandiosen Start ermögl<strong>ich</strong>te und der jetzt<br />
ohne es zu wissen Charlotte schützte.<br />
Kurz bevor <strong>ich</strong> die Übertragung beendete, klingelte mein Telefon. Im<br />
Display erkannte <strong>ich</strong>, dass m<strong>ich</strong> Anna von ihrem Handy aus anrief. Sie<br />
sagte knapp: »Im Papierkorb im Gang zur Staatsanwaltschaft liegt ein roter<br />
Aktenordner. Man hat m<strong>ich</strong> gerade verhaftet. Egli wird jeden Moment hier<br />
erscheinen. Machs gut, <strong>Teufel</strong>.«<br />
In dem Moment war auch die Übertragung der Daten beendet und <strong>ich</strong><br />
kappte die Leitung. Dann stellte <strong>ich</strong> nur noch das Telefon auf<br />
Rufumleitung zu meinem Handy und dann rannte <strong>ich</strong> aus dem Büro zum<br />
Polizeipräsidium.<br />
Ich fand den roten Hefter sofort und verstaute ihn eilig in meiner<br />
Aktenmappe, in der auch mein Notebook steckte, dass <strong>ich</strong> seit heute<br />
Morgen hier im Hause noch n<strong>ich</strong>t wieder umgepackt hatte.<br />
Ich fragte m<strong>ich</strong>, was man Anna denn diesmal vorwarf.<br />
Während <strong>ich</strong> noch die Räuml<strong>ich</strong>keiten suchte, in der man Anna<br />
einvernahm, hörte <strong>ich</strong> die Sirenen der Einsatzfahrzeuge, die in Scharen<br />
ausrückten. Hier im Hause schien plötzl<strong>ich</strong> alles Drunter und Drüber zu<br />
gehen und keiner konnte oder wollte mir Auskünfte erteilen, was den los<br />
sei. Schließl<strong>ich</strong> raunzte <strong>ich</strong> einen uniformierten Beamten an, dass er m<strong>ich</strong><br />
zu dem Vernehmungszimmer führen sollte, in der Anna Wagenfeld<br />
vernommen würde.<br />
Er führte m<strong>ich</strong> zu einem Raum, eigentl<strong>ich</strong> nur zu einem Vorraum und<br />
<strong>ich</strong> konnte Anna zusammengesunken auf einem Stuhl sitzen sehen. Es war<br />
n<strong>ich</strong>t mehr Anna, wie <strong>ich</strong> sie kannte. Sie saß vornüber geneigt da und alles<br />
an ihr schien glanzlos und stumpf zu sein. Zwei Beamte redeten mit<br />
Händen und Füßen auf sie ein. Die einzige Reaktion, die <strong>ich</strong> beobachten<br />
konnte, war immer wieder das Kopfschütteln von Anna.<br />
252
Egli stand ebenfalls im Raum und schien mit den Beamten zu streiten. Er<br />
war s<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong> aufgebracht und fuchtelte ebenfalls mit seinen Händen in der<br />
Luft herum. Dann schien er zu schreien. Aber die Glaswände waren<br />
schallisoliert. Ich konnte keinen Ton hören.<br />
Dann musste wohl ein scharfer Verweis ausgesprochen worden sein,<br />
denn er musste s<strong>ich</strong> auf einen Stuhl neben Anna setzen. Sie schlug gerade<br />
die Hände vors Ges<strong>ich</strong>t und <strong>ich</strong> bekam mit, dass man ihr Handschellen<br />
angelegt hatte.<br />
Wenig später kamen einige Herren, die <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t kannte und in ihrem<br />
Gefolge kam auch Waldtmann dazu. Mit bitterbösem Ges<strong>ich</strong>t. Ich sprach<br />
ihn an. Er sah m<strong>ich</strong> mit einem noch böseren Blick an und sagte nur: »Es ist<br />
n<strong>ich</strong>t zu fassen. Erst geht sie einem Jugendl<strong>ich</strong>en an die Hose und jetzt<br />
bringt sie auch noch einen Diebstahlsverdächtigen mit Gift um. Die<br />
Giftflasche befand s<strong>ich</strong> noch in ihrer Handtasche. Hauen Sie ab, <strong>Teufel</strong>. Sie<br />
bringen unseren besten Leuten nur Pech. Egal, wer von uns in Ihrer Nähe<br />
ist, wenig später passiert etwas. Hauen Sie endl<strong>ich</strong> ab und verschwinden<br />
aus dem Präsidium, bevor <strong>ich</strong> veranlasse, dass Sie dort sitzen.«<br />
Ich war verwirrt und auch verängstigt. Anna als Giftmischerin war mir<br />
genauso unwahrscheinl<strong>ich</strong> wie als sexuelle Nötigerin von Jugendl<strong>ich</strong>en.<br />
Hier wurde doch wieder einmal getrickst und zwar gewaltig. Hier sollte<br />
ganz offens<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong> die Leiterin des Rauschgiftdezernats Bremens aus dem<br />
Wege geräumt werden. Ich musste dringend Beistand aus Wiesbaden<br />
anfordern. Nur das BKA konnte hier helfen, einen Riesenskandal zu<br />
vermeiden und eine Unschuldige zu vern<strong>ich</strong>ten. Immer noch heulten<br />
überall Sirenen von Einsatzfahrzeugen und zwei Löschfahrzeuge mit<br />
Leiterwagen rasten an mir vorbei in R<strong>ich</strong>tung Marktplatz. Menschen<br />
rannten in R<strong>ich</strong>tung Markt und <strong>ich</strong> wurde auch neugierig. Was war dort<br />
vorne los? Ich ging schneller und hörte einige Menschen schreien. Dann<br />
rasten weitere Rettungswagen entgegen die Einbahnstraßenregelung in<br />
R<strong>ich</strong>tung Baumwollbörse und die ersten entsetzten Menschen flüchteten<br />
wieder in meine R<strong>ich</strong>tung, die wild durcheinander riefen. Ich verstand nur<br />
so viel. Es musste eine Riesenexplosion in der Baumwollbörse gegeben<br />
haben und viele Menschen waren durch herumfliegende Glassplitter auch<br />
auf der Wachtstraße verletzt worden. Jetzt rannte <strong>ich</strong>.<br />
Vor dem Haupteingang standen Rettungswagen und Menschen wurden<br />
auf Liegen dort hineingeschoben. Das größte Gejaule der Sirenen kam aus<br />
der Wachtstraße. Hier schienen noch viel mehr Rettungswagen zu sein. Ein<br />
Polizist wollte m<strong>ich</strong> aufhalten weiterzulaufen, aber <strong>ich</strong> rannte einfach an<br />
ihm vorbei und dann sah <strong>ich</strong> es sofort. Fast die gesamte Fensterfront des<br />
dritten Stocks war herausgeschleudert worden.<br />
253
Selbst Fußgänger auf der anderen Straßenseite schienen verletzt worden<br />
zu sein, denn Sanitäter bemühten s<strong>ich</strong> um am Boden liegende Menschen.<br />
Ich starrte wie gebannt nach oben. Dort, wo jetzt Flammen aus dem Haus<br />
schlugen, war mein Büro gewesen. Dort hätten vorhin Charlotte und <strong>ich</strong><br />
sitzen sollen. Ich merkte, wie der Schock in mir hochkroch, wie s<strong>ich</strong> die<br />
Lähmung über meinen ganzen Körper ausbreitete, aber s<strong>ich</strong> dann in einem<br />
n<strong>ich</strong>t endenwollenden Schrei verwandelte. Zwei Sanitäter, die eine am<br />
Kopf verletzte Frau verbanden, schnellten hoch und packten m<strong>ich</strong>.<br />
Der ältere von ihnen versetzte mir zwei schallende Ohrfeigen und mein<br />
Schrei brach abrupt ab.<br />
Ich konnte nur stammelnd sagen: »Da hätte <strong>ich</strong> drin sitzen sollen und<br />
Charly auch.«<br />
Der ältere Sanitäter fragte sofort nach: »Was sagen Sie da?«<br />
Ich hatte m<strong>ich</strong> wieder einigermaßen gefangen und sagte matt: »Das war<br />
mein Büro. Und wenn <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t zufällig meine Sekretärin vor einiger Zeit<br />
für eine Aufgabe weggeschickt und <strong>ich</strong> zum Polizeipräsidium gerufen<br />
wurde, dann würden Sie jetzt nur noch Le<strong>ich</strong>enteile von uns hier auf der<br />
Straße aufsammeln können. Tut mir leid, wenn <strong>ich</strong> eben so ausgerastet<br />
bin.«<br />
»Soll <strong>ich</strong> Ihnen eine Beruhigungsspritze geben?«<br />
Ich konnte nur müde lächeln und sagen: »Nee, <strong>ich</strong> glaube, nen Schnaps<br />
könnte <strong>ich</strong> eher gebrauchen.«<br />
»Das glaube <strong>ich</strong> Ihnen.«<br />
Sie wandten s<strong>ich</strong> wieder der blutenden Frau zu und <strong>ich</strong> ging mit<br />
hängenden Schultern über den Marktplatz, als wollte <strong>ich</strong> mögl<strong>ich</strong>st viel<br />
Abstand zwischen dem zerstörten Büro und m<strong>ich</strong> bringen. Im Haus am<br />
Markt kaufte <strong>ich</strong> mir gle<strong>ich</strong> zwei große Schnäpse, bevor <strong>ich</strong> mein Handy<br />
nahm und in Wiesbaden anrief. Ich ließ m<strong>ich</strong> mit Trost direkt verbinden<br />
und schilderte ihm, was hier in Bremen los war. Er wollte s<strong>ich</strong> sofort<br />
einschalten. Ich sagte ihm, wie er m<strong>ich</strong> erre<strong>ich</strong>en konnte.<br />
Er sagte nur: »Halten Sie s<strong>ich</strong> bedeckt, <strong>Teufel</strong>. Erst wenn meine Leute<br />
vor Ort sind, melde <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> bei Ihnen. Lassen Sie Ihre Gegner ruhig im<br />
Glauben, dass Sie n<strong>ich</strong>t davongekommen sind.«<br />
Danach versuchte <strong>ich</strong> Charlotte zu erre<strong>ich</strong>en, aber ihr Handy war<br />
ausgeschaltet. Wahrscheinl<strong>ich</strong> war sie noch im Flugzeug nach Berlin. Dann<br />
bekam <strong>ich</strong> Wiesel ans Gerät und <strong>ich</strong> hörte ihn stöhnen: »Mensch, <strong>Teufel</strong>,<br />
was für ein Talent hast du nur. Du klärst deine Fälle in einer<br />
Geschwindigkeit, die andere Menschen schwindlig machen und auf der<br />
anderen Seite ziehst du Gewalt scheinbar magisch an.<br />
254
Du willst Wirtschaftsverbrechen verhindern und Buchfälschern das<br />
Handwerk legen und gerätst unweigerl<strong>ich</strong> in übelste Mordgesch<strong>ich</strong>ten. Du<br />
scheinst Ausgangs- und Angelpunkt für Mörder und Rauschgifthändler zu<br />
sein. Gott sei Dank war Charlotte schon weg. Aber bist du dessen s<strong>ich</strong>er?<br />
Ist sie n<strong>ich</strong>t vielle<strong>ich</strong>t noch einmal <strong>zurück</strong> ins Büro, weil sie etwas<br />
vergessen hatte? Wie ist der Sprengstoff in euer Büro gekommen, wenn ihr<br />
beide n<strong>ich</strong>t da ward?«<br />
Plötzl<strong>ich</strong> wurde mir siedend heiß und <strong>ich</strong> sagte schnell zu Wiesel: »Ich<br />
melde m<strong>ich</strong> bald wieder.<br />
Ich muss m<strong>ich</strong> überzeugen, dass sie n<strong>ich</strong>t doch da war.«<br />
Dem Kellner legte <strong>ich</strong> einen Geldschein auf den Tisch und war einfach<br />
losgelaufen. Ich ließ m<strong>ich</strong> auch n<strong>ich</strong>t durch die Rettungsmannschaften<br />
aufhalten, die immer noch im Eingang der Baumwollbörse beschäftigt<br />
waren. Ich rannte die Treppe hoch, immer zwei Stufen auf einmal<br />
nehmend und stand dann im dritten Stock inmitten der Trümmer. Hier sah<br />
es schlimm aus, und die Feuerwehrleute löschten immer noch die<br />
brennenden Überreste meines Büros. Aus der hölzernen Wandverkleidung<br />
züngelten immer noch Flammen. Von der Theke war n<strong>ich</strong>ts mehr übrig<br />
geblieben und auch Charly Schreibtisch dahinter war nur noch ein<br />
Trümmerhaufen. Ich schrie die Feuerwehrleute an und fragte, ob sie hier in<br />
den Räumen Tote oder Verletzte bergen mussten.<br />
Einer der Männer schüttelte den Kopf und sagte nur: »Hier draußen auf<br />
dem Flur hat die Le<strong>ich</strong>e von einem Jugendl<strong>ich</strong>en gelegen und drei Zimmer<br />
weiter hat man einen Mann gefunden, der von der einstürzenden Wand<br />
erschlagen wurde. In dem Büro sind auch noch zwei Frauen verletzt<br />
worden, aber hier hat man niemand drin gefunden. Auch keine<br />
Le<strong>ich</strong>enteile, denn mehr wäre wohl von einem Menschen, der hier drinnen<br />
gewesen wäre, n<strong>ich</strong>t übriggeblieben.«<br />
Eine Welle der Erle<strong>ich</strong>terung durchflutete m<strong>ich</strong> und dann fiel mir auch<br />
wieder ein, wie der Attentäter in die Räume gelangt war. Ich hatte die Tür<br />
n<strong>ich</strong>t verschlossen, als <strong>ich</strong> nach dem Anruf von Anna zum Präsidium<br />
gelaufen war. Charlotte schien in S<strong>ich</strong>erheit. Ich rief Wiesel noch aus den<br />
Trümmerbergen heraus an und ber<strong>ich</strong>tete ihm. Auch er war erle<strong>ich</strong>tert.<br />
»Ich würde an deiner Stelle im Moment auch n<strong>ich</strong>t nach Hause gehen.<br />
Du weißt noch n<strong>ich</strong>t, ob sie n<strong>ich</strong>t auch da noch hoch Explosives deponiert<br />
haben. Sag auch deiner Nachbarin bescheid, dass sie n<strong>ich</strong>t dort<br />
hineingehen soll. Und warte auf Trosts Leute und strenge deinen Kopf an,<br />
um herauszufinden, wer dahinter steckt.«<br />
»Wiesel, das weiß <strong>ich</strong> längst, aber noch kann <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>ts beweisen. Hinter<br />
all diesen Sauereien steckt dieser Hertsch.<br />
255
Und die Beweise werde <strong>ich</strong> auch noch beschaffen. Ich muss mir nur<br />
einen Standort suchen, an dem sie m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t vermuten.«<br />
»Geh am besten ins Hotel gegenüber, dann bist du immer noch nahe<br />
genug an den Schauplätzen. Miete d<strong>ich</strong> unter meinem Namen ein. Am<br />
besten mache <strong>ich</strong> die Reservierung von hier aus. Ich lasse das Britt machen.<br />
Ich buche eine Suite, in der du auch alle Kommunikationsmögl<strong>ich</strong>keiten<br />
hast. Britt wird so tun, als sei <strong>ich</strong> schon unterwegs. Dann kannst du in einer<br />
Stunde da einziehen.«<br />
»Ich gehe jetzt erst einmal etwas Essen, die ganze Sache ist mir ganz<br />
schön auf den Magen geschlagen.«<br />
Ich ging hinüber zu meiner Bank und versorgte m<strong>ich</strong> mit Bargeld. Zwei<br />
Frauen kümmerten s<strong>ich</strong> um einen Mann, der weinend gle<strong>ich</strong> hinter dem<br />
Schalter saß. Ich hörte, wie er immer wieder sagte: »Aber da oben hat doch<br />
meine Tochter gearbeitet und <strong>ich</strong> weiß n<strong>ich</strong>t, was mit ihr passiert ist.«<br />
Ich ging hinüber und fragte: »Herr Hansen?«<br />
Verstört sah er auf.<br />
»Charlotte ist n<strong>ich</strong>ts passiert. Sie ist auf dem Weg nach Berlin.«<br />
»Woher wollen Sie das wissen?« Aber dann ging ein Leuchten des<br />
Erkennens über ein Ges<strong>ich</strong>t. »Sie sind Herr <strong>Teufel</strong>, ihr neuer Chef. Ich habe<br />
Sie im Fernsehen gesehen. Und sie war wirkl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t da oben, als das<br />
passierte?«<br />
»Nein, warten Sie, vielle<strong>ich</strong>t hat sie ihr Handy schon wieder<br />
eingeschaltet.«<br />
Ich wählte schon und Charlottes Telefon klingelte. Nach dem dritten<br />
Ton meldete sie s<strong>ich</strong> und <strong>ich</strong> sagte nur: »Warte, hier möchte jemand mit dir<br />
sprechen«, und übergab das Handy an Herrn Hansen.<br />
Ein Leuchten der Erle<strong>ich</strong>terung spiegelte s<strong>ich</strong> auf seinem Ges<strong>ich</strong>t, als er<br />
ihre Stimme hörte, und dann prasselte der Mann los.<br />
Ich sagte ihm nur: »Bitte geben Sie mir das Telefon jetzt wieder. Ich muss<br />
Charlotte dringende Anweisungen geben. Zu ihrer S<strong>ich</strong>erheit.«<br />
Er gab mir das Handy wieder und <strong>ich</strong> konnte die unendl<strong>ich</strong>e<br />
Erle<strong>ich</strong>terung in seinem Ges<strong>ich</strong>t sehen. Ich sagte nur: »Charly bleib in<br />
Deckung. Versuche n<strong>ich</strong>t hier mit Bremen mit irgendjemand außer mir in<br />
Verbindung zu treten. Man hat Anna unter Mordverdacht an diesem<br />
diebischen Gerätehändler verhaftet. Nach meinen Informationen ist auf<br />
dem Flur vor unserem Büro ein toter Jugendl<strong>ich</strong>er aufgefunden worden.<br />
Ich weiß allerdings noch n<strong>ich</strong>t, wer er war. Ich tippe auf Jan Hertsch. Und<br />
<strong>ich</strong> werde auch n<strong>ich</strong>t in meine Wohnung <strong>zurück</strong>kehren. Jedenfalls im<br />
Moment n<strong>ich</strong>t.<br />
256
Also rufe auch bitte n<strong>ich</strong>t bei mir zu Hause an, falls dort jemand lauert<br />
und mitbekommen könnte, von wo aus du anrufst. Versprochen?«<br />
»<strong>Teufel</strong>, <strong>ich</strong> glaube <strong>ich</strong> habe dir Unrecht getan.«<br />
»Schon gut, Charly. Im Moment haben wir ganz andere Sorgen. Sei ein<br />
guter Detektiv und kläre die Sache mit den Büchern. Ich melde m<strong>ich</strong><br />
wieder.«<br />
Ich trennte die Leitung, um für Trosts Leute erre<strong>ich</strong>bar zu sein und ging<br />
dann hinüber zu Achims Beckshaus und bestellte mir eine Kleinigkeit zu<br />
essen und ein großes Bier.<br />
Und nach dem Essen genehmigte <strong>ich</strong> mir noch einen großen Schnaps.<br />
Den brauchte <strong>ich</strong>, weil <strong>ich</strong> mir die Unterlagen Bauers, während des<br />
Essens ansah. Und <strong>ich</strong> wusste, woher der junge Hertsch den Stoff bekam,<br />
den man bei seinem Kaufhausdiebstahl fand. Und mir war aufgegangen,<br />
dass er es sehr geschickt anfing. Er wollte verhaftet werden, um näher an<br />
die Leiterin der Rauschgiftabteilung zu kommen. Er hatte alles wirkl<strong>ich</strong> gut<br />
durchorganisiert gehabt. Er musste dann nur noch die Gelegenheit<br />
schaffen, dass er für einen Moment allein mit ihr im Raum war, um die<br />
große Show abziehen zu können. Hertsch wollte Anna bewusst belasten,<br />
damit ihr die Leitung der Abteilung genommen werden konnte. Anna<br />
schien Rückschlüsse gezogen zu haben, die ihn gefährden konnten. Was<br />
das war, wusste <strong>ich</strong> im Moment leider noch n<strong>ich</strong>t, weil <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t mit Anna<br />
reden konnte.<br />
Hertsch nahm seinen Sohn an diesem Morgen mit in Firma und n<strong>ich</strong>t zu<br />
Schule geschickt, und dort begann diese Show. Als man Anna dann doch<br />
n<strong>ich</strong>t suspendierte, weil <strong>ich</strong> Egli zu ihrer Verteidigung losschickte, musste<br />
Hertsch fürchten, dass Anna weiterforschte. Als <strong>ich</strong> dann auch noch die<br />
Sache mit den Kühlaggregaten aufklärte und Hertsch fürchten musste, dass<br />
der Mann etwas Belastendes aussagen könnte, musste er beseitigt werden,<br />
und er kam auf die Idee, zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen zu<br />
können. Wie er es allerdings schaffte, dem Mann das Gift zu verabre<strong>ich</strong>en<br />
und die Giftflasche in Annas Tasche zu praktizieren, war mir bislang noch<br />
unklar. Hatte Hertsch eventuell noch mehr Helfer im Präsidium? Das war<br />
meine nächste Frage. Und wenn, wo saßen die?<br />
Klar war mir ledigl<strong>ich</strong> geworden, wie Hertsch an sein Rauschgift kam.<br />
Es war so einfach, dass der Trick von mir stammen könnte. Als <strong>ich</strong> sah, in<br />
welchen Behältnissen die Silikoneinlagen aus dem fernen Tiflis hier<br />
ankamen, war es mir sofort klar gewesen. Sie kamen in größeren<br />
Edelmetallbehältern und schwammen in einer Desinfektionsflüssigkeit.<br />
257
Da konnte selbst der erfahrenste und beste Rauschgifthund n<strong>ich</strong>ts<br />
erschnüffeln.<br />
Hertschs Firma war ein idealer Umschlagplatz für die Leute aus Tiflis.<br />
Was n<strong>ich</strong>t hier in den deutschen Markt geschleust wurde, ging in noch<br />
größeren Mengen in die USA, indem man schwerere Buseneinlagen<br />
dorthin exportierte und dies funktionierte auch mit anderen Ländern.<br />
W<strong>ich</strong>tig würde es nun für m<strong>ich</strong> werden, den wirkl<strong>ich</strong>en Umschlagplatz<br />
und die Umfüllstation herauszufinden. Vielle<strong>ich</strong>t waren da schon von<br />
Charlotte die einzelnen Firmen- und Produktionsstandorte in ihren<br />
Unterlagen aufgelistet worden.<br />
Ich wusste ja, dass die Firmenzentrale in der Nähe der Universität<br />
angesiedelt war und Charlotte sprach davon, dass dort auch Labors<br />
einger<strong>ich</strong>tet waren. Ich müsste m<strong>ich</strong> dort eventuell einmal umschauen. Ich<br />
ging durch den Eingang in der Böttcherstraße ins Hotel, weil die<br />
Wachtstraße immer noch gesperrt war.<br />
Mein Handy klingelte und <strong>ich</strong> sah auf dem Display eine mir fremde<br />
Nummer. Ich meldete m<strong>ich</strong> mit einem kurzen »Ja, bitte?«<br />
»Kaufmann hier. Wir sollten uns treffen. Wo sind Sie?«<br />
»Wo sind Sie?«<br />
»Am Tatort Baumwollbörse.«<br />
»Sie sind der Mann mit dem Pfeifenkoffer?«<br />
»R<strong>ich</strong>tig.«<br />
»Dann sollten Sie einen Spaziergang durch die Böttcherstraße in<br />
R<strong>ich</strong>tung Weser unternehmen. Am Ende der Böttcherstraße an der<br />
Martinistraße ist eine Unterführung, die direkt zur Weserpromenade führt.<br />
Dort unten am Wasser werden Sie m<strong>ich</strong> finden. Sie kommen doch gewiss<br />
alleine.«<br />
»Bestimmt.«<br />
Ich ging schnell nach unten und blieb hinter der Rauchglastür stehen<br />
und beobachtete den Fußgängerstrom, der s<strong>ich</strong> hier durch die<br />
Böttcherstraße ergoss. Sonst liefen hier schon unzählige Touristen, aber<br />
heute nach dem großen Knall, schienen noch mehr Passanten als sonst<br />
diesen Weg zu nehmen. Ich entdeckte Kaufmann, der dort ebenfalls<br />
R<strong>ich</strong>tung Weser lang schlenderte. Als <strong>ich</strong> mir s<strong>ich</strong>er war, dass er allein war<br />
und n<strong>ich</strong>t verfolgt wurde, trat <strong>ich</strong> aus der Tür und ging hinter ihm her. In<br />
der Unterführung war es schon schummrig und die Beleuchtung war noch<br />
n<strong>ich</strong>t eingeschaltet. Es gingen nur sehr wenige Menschen durch diese<br />
Unterführung, aber dennoch waren wir auch n<strong>ich</strong>t die einzigen Menschen<br />
dort.<br />
258
Er hatte es n<strong>ich</strong>t eilig und <strong>ich</strong> konnte bis auf drei Schritte an ihn<br />
herankommen, ohne dass er etwas bemerkt zu haben schien. Dann holte<br />
<strong>ich</strong> ihn mit zwei schnellen, großen Schritten ein und sagte nur: »Guten Tag,<br />
schön Sie wiederzusehen.«<br />
»Und <strong>ich</strong> finde schön, Sie überhaupt noch einmal wieder zu sehen. Sie<br />
scheinen zieml<strong>ich</strong> knapp an der Katastrophe vorbeigeschrammt zu sein.«<br />
»Wie kommt es, dass man Sie hierher gesandt hat? Sie sind doch<br />
Wirtschaftsexperte.«<br />
»Trost hat gemeint, das sei eine Wirtschaftssache. Gibt´s hier eine in der<br />
Nähe? Ich bräuchte ein schönes Bier.«<br />
»Dann lassen Sie uns hier unter den Arkaden nach links wandern. Etwas<br />
weiter gibt es den nächsten Aufgang, dann ist es n<strong>ich</strong>t mehr weit und liegt<br />
fast in S<strong>ich</strong>tweite zum Präsidium.«<br />
»N<strong>ich</strong>t schlecht.«<br />
Wir gingen schweigend nebeneinander her, bis wir in einer alten<br />
Gastwirtschaft am Eingang des Schnoorviertels in einer kleinen Nische<br />
saßen und wir uns ein Bier bestellten und Kaufmann s<strong>ich</strong> umständl<strong>ich</strong><br />
seine Pfeife stopfte.<br />
Dann konnte <strong>ich</strong> es n<strong>ich</strong>t länger aushalten: »Was ist mit Anna?«<br />
Er lächelte ein wenig spöttisch: »Die Giftmischerin? Sie wird von<br />
Staatsanwalt Schmücker heute noch nach Wiesbaden überstellt. Warten Sie,<br />
<strong>ich</strong> muss nur schnell telefonieren.«<br />
Er nahm sein Handy und wählte und als s<strong>ich</strong> jemand meldete, sagte er:<br />
»Ich gebe eben weiter«, und drückte mir das Telefon in die Hand und sagte<br />
zu mir: »Erklären Sie ihm, wo wir hier sind.«<br />
Ich wusste noch n<strong>ich</strong>t einmal, mit wem <strong>ich</strong> sprach, aber <strong>ich</strong> sagte es ihm<br />
und von der anderen Seite kam nur: »Sehr gut«, und dann wurde wieder<br />
aufgelegt. Ich re<strong>ich</strong>te das Telefon <strong>zurück</strong>.<br />
Er nahm es wieder an s<strong>ich</strong> und griff s<strong>ich</strong> dann sein Bierglas und prostete<br />
mir zu. Er lächelte verschmitzt dabei, weil er sehen konnte, wie <strong>ich</strong> vor<br />
Neugierde fast platzte.<br />
259
29<br />
Der BKA-Trick<br />
Nachdem er auch noch einen tiefen Zug aus seiner Pfeife nahm und eine<br />
dicke Rauchwolke genüssl<strong>ich</strong> wieder ausstieß, sagte er: »<strong>Teufel</strong>, n<strong>ich</strong>t dass<br />
Sie denken, wir hätten n<strong>ich</strong>t auch ein paar kleine Tricks auf Lager. Einen<br />
werde <strong>ich</strong> Ihnen gle<strong>ich</strong> vorführen, bei den Nächsten sollen Sie uns helfen.<br />
Ich sage Ihnen gle<strong>ich</strong>, dass es n<strong>ich</strong>t ungefährl<strong>ich</strong> ist, aber Sie werden das<br />
schon de<strong>ich</strong>seln. Wie haben Sie es eigentl<strong>ich</strong> geschafft, Frau Hansen<br />
untertauchen zu lassen. Ist sie bei Ihnen?«<br />
»Nein, sie ist Gott sei Dank, weitab vom Schuss, und <strong>ich</strong> hoffe dadurch<br />
in S<strong>ich</strong>erheit.«<br />
»Das hoffe <strong>ich</strong> auch, denn Sie leben hochgradig gefährl<strong>ich</strong>. Eine<br />
Kostprobe der Gewaltbereitschaft haben Sie ja heute gle<strong>ich</strong> mehrfach<br />
erleben können.<br />
Erst ein Giftmord, den man einer Beamtin unterschieben will und dann<br />
dieser schlimme Sprenganschlag auf Ihr Büro. Zwei weitere Tote und jede<br />
Menge zum Teil erhebl<strong>ich</strong> Verletzte. Man scheut wirkl<strong>ich</strong> keine Mittel,<br />
Anna Wagenfeld und Sie aus dem Verkehr zu ziehen. Waldtmann ist zwar<br />
Sturm gelaufen, als man ihm einen endl<strong>ich</strong> völlig klaren Fall aus den<br />
Händen gerissen hat, nachdem die Mordkommission s<strong>ich</strong> an den<br />
Frauenmorden die Zähne ausbeißt, aber er konnte n<strong>ich</strong>ts machen, als wir<br />
ihm klarmachten, dass höhere Interessen des BKA zu verfolgen sind. Er<br />
kraucht jetzt schon die ganze Zeit in Ihrem Büro herum und hofft<br />
Beweismittel zu finden, dass Sie in der ganzen Gesch<strong>ich</strong>te mit drinhängen<br />
und diesen Anschlag nur verübt haben, um von s<strong>ich</strong> abzulenken. Was<br />
haben Sie dem Mann bloß getan, dass er so hinter Ihnen her ist? Er scheint<br />
wirkl<strong>ich</strong> davon überzeugt, dass Sie mit den Verbrechern unter einer Decke<br />
stecken und auch Anna Wagenfeld angestiftet haben, den Mord an diesem<br />
notorischen Dieb zu begehen. Er faselt immer davon, dass Sie ja auch<br />
unsere Kollegin in Berlin damals so weit gebracht haben, den Verbrecher<br />
und s<strong>ich</strong> selbst zu erschießen. Er ist völlig darauf fixiert, dass Sie n<strong>ich</strong>t nur<br />
<strong>Teufel</strong> heißen, sondern auch einer sind.«<br />
»Waldtmann ist doch sonst immer ein außerordentl<strong>ich</strong> korrekter<br />
Beamter gewesen, diese neuerl<strong>ich</strong>e Besessenheit kann <strong>ich</strong> auch n<strong>ich</strong>t<br />
verstehen.«<br />
»Aber <strong>ich</strong>«, meldete s<strong>ich</strong> eine Stimme hinter mir, und dann wurde <strong>ich</strong><br />
umarmt und heftig geküsst.<br />
260
»Anna, das ist schön.«<br />
»Das könnten Sie ruhig auch einmal mit mir machen«, sagte Kaufmann<br />
lachend. Anna ließ s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t lange bitten und küsste auch Kaufmann, der<br />
s<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong> verlegen wurde. Und als dann auch noch der jüngere Mann, der<br />
mit Anna hereingekommen war geküsst wurde, bekam der ganz rote<br />
Ohren. Ich hatte den jungen Mann zwar schon gesehen und erinnerte m<strong>ich</strong>,<br />
dass er Schmücker hieß. Er war einer der jungen Staatsanwälte. Wir<br />
begrüßten uns mit Handschlag. Dann bestellten wir vier Biere und<br />
Kaufmann forderte Anna auf, zu ber<strong>ich</strong>ten, warum Waldtmann jetzt noch<br />
verbissener hinter mir her sei.<br />
»Wir waren eine kurze Zeit ein Paar«, sagte Anna schl<strong>ich</strong>t, »aber es ging<br />
n<strong>ich</strong>t lange gut. Und nun muss Waldtmann mitbekommen haben, dass <strong>ich</strong><br />
und <strong>Teufel</strong>….,<br />
Na, ja, uns ein wenig näher gekommen sind.«<br />
Kaufmann grinste offen und meinte: »Und seitdem machen er und<br />
Charlotte Hansen Jagd auf sie beide?«<br />
»Quatsch, <strong>Teufel</strong> und <strong>ich</strong> sind Freunde.<br />
Und wenn Charlotte eifersüchtig sein sollte, ist es zumindest nun völlig<br />
unbegründet.«<br />
»Bei dem Kuss eben, wäre sie aber wohl aus der Wäsche gehüpft«,<br />
meinte <strong>ich</strong> lächelnd.<br />
»Wo ist sie überhaupt?«<br />
»Etwa vierhundert Kilometer entfernt.«<br />
»Also in S<strong>ich</strong>erheit.«<br />
»In relativer S<strong>ich</strong>erheit, solange niemand weiß, wo sie ist.«<br />
»Gut, aber über eins sollte sie informiert werden, damit sie n<strong>ich</strong>t in eine<br />
Falle läuft. Informieren Sie sie, dass in der Presse verlauten wird, dass Sie<br />
zusammen mit Frau Wagenfeld verhaftet wurden und in der Zwischenzeit<br />
intensiv beim BKA in Wiesbaden weiter verhört werden. Wir werden<br />
gezielte Falschinformationen hinaussickern lassen, dass Sie <strong>Teufel</strong> schon<br />
andeutungsweise gestanden haben, Anna Wagenfeld zum Mord an diesem<br />
Spediteur oder Gerätehändler angestiftet zu haben. Alle Unterlagen über<br />
die Diebstähle haben wir sowieso schon beschlagnahmt, sodass Hertsch<br />
n<strong>ich</strong>ts mitbekommt, dass wir seine Firma in Emden überwachen. <strong>Teufel</strong>,<br />
wollen Sie jetzt bitte gle<strong>ich</strong> Frau Hansen informieren, denn auf der<br />
Pressekonferenz, die <strong>ich</strong> gle<strong>ich</strong> abhalten werde, sollen diese Fakten schon<br />
angedeutet werden.«<br />
Ich nahm mein Handy und drückte die Kurzwahltaste für Charlottes<br />
Handy. Ich sagte ihr nur kurz, dass sie n<strong>ich</strong>t in Panik geraten solle, wenn<br />
sie über meine Verhaftung und den Grund aus den Medien erführe.<br />
261
»Ich werde nur unter dem Schutz des BKA weiter ermitteln, ist dir das<br />
klar?«<br />
»Wird es gefährl<strong>ich</strong>«, fragte sie mit ängstl<strong>ich</strong>er Stimme.<br />
»N<strong>ich</strong>t mehr, als vorher auch, aber sie glauben zumindest, dass <strong>ich</strong> aus<br />
dem Verkehr gezogen bin und genau das sollen sie auch.«<br />
Dann beendete <strong>ich</strong> das Gespräch und Kaufmann sagte nur: »Gut, und<br />
jetzt sollten Sie uns Ihre Meinung zu den Entwicklungen geben. Vor allen<br />
Dingen sollten Sie mir erklären, wie der Frieder Schönherr in diese Sache<br />
verwickelt ist.«<br />
Ich muss etwas dümml<strong>ich</strong> ausgesehen haben und sagte: »Der hat durch<br />
den sexuellen Anreiz für seine Freundin, eine Praxishelferin in Dr.<br />
Schönherrs Praxis Rezepte geklaut und drucken lassen und mit der<br />
Unterschrift seines Vaters versehen.«<br />
»Das meine <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t, <strong>Teufel</strong>. Ich meine, warum er tot auf dem Flur vor<br />
Ihrem Büro lag. Warum er es wahrscheinl<strong>ich</strong> gewesen ist, der die Bombe<br />
dort hineingefahren hat und eventuell zu früh gezündet.«<br />
»Frieder Schönherr ist der Tote?«<br />
»Ja, <strong>ich</strong> dachte das wüssten Sie.«<br />
»Nein, <strong>ich</strong> glaubte, dass es s<strong>ich</strong> bei dem Toten um Jan Hertsch handelte,<br />
dann hätte meine Theorie gepasst. Denn nach meinen Beobachtungen wird<br />
der Jan Hertsch von seinen Eltern ständig missbraucht. N<strong>ich</strong>t im sexuellen<br />
Sinn, sondern im gegenseitigen Kampf um ihn. Mutter und Vater spielen<br />
s<strong>ich</strong> gegenseitig aus, um die Gunst ihres Sohnes zu erlangen. Dieser<br />
wiederum hat dies längst wahrgenommen und fühlt s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t als Kind<br />
und Mensch, sondern nur als menschl<strong>ich</strong>e Schachfigur auf dem Spielbrett<br />
seiner Eltern. Er ist nach meinen Beobachtungen hochgradig gestört, und<br />
versucht die wirkl<strong>ich</strong>e menschl<strong>ich</strong>e Zuwendung seiner Eltern durch<br />
sinnlose Taten zu erlangen, in dem sie s<strong>ich</strong> schützend vor ihn stellen. Er ist<br />
aber wohl inzwischen auch dahinter gekommen, dass sie ihn n<strong>ich</strong>t wirkl<strong>ich</strong><br />
schützen wollen, sondern nur den guten Ruf der Familie nach außen hin.<br />
Ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass die ganze Gesch<strong>ich</strong>te mit der<br />
Verleumdung von Anna, ledigl<strong>ich</strong> darauf hinauslaufen sollte, dass er<br />
seinem Vater beweisen wollte, welch toller Kerl er ist und dabei auch noch<br />
die ermittelnde Beamtin in der Rauschgiftaffäre um diesen Svetlov<br />
kaltstellen konnte.<br />
Er lässt s<strong>ich</strong> von seinem Vater mit in die Firma nehmen, weil er weiß,<br />
dass er dort an Rauschgift herankommt. Er fasst diese Päckchen in der<br />
Firma nur mit Handschuhen an.<br />
262
Bei Karstadt lässt er s<strong>ich</strong> abs<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong> beim Diebstahl erwischen, damit er<br />
gefilzt wird. <strong>Wenn</strong> <strong>ich</strong> r<strong>ich</strong>tig in Erinnerung habe, hat er s<strong>ich</strong> geweigert<br />
seine Taschen selbst zu leeren und ist deswegen von den<br />
Kaufhausdetektiven zwangsweise ausgeräumt worden. Dabei wurde das<br />
Rauschgift von den Männern gefunden, die es natürl<strong>ich</strong> ohne Handschuhe<br />
angefasst haben. –Man lerne daraus, dass auch Kaufhausdetektive zur<br />
Untersuchung von Tascheninhalten von Dieben Handschuhe tragen<br />
sollten, um n<strong>ich</strong>t ihre eigenen Fingerabdrücke auf den Waren zu<br />
hinterlassen und s<strong>ich</strong> sagen lassen müssen, dass sie das Diebesgut den<br />
untersuchten Menschen untergeschoben haben - …«<br />
»Danke für den Kurzvortrag zu den Arbeitsanweisungen für<br />
Kaufhausdetektive. Sollten unsere Leute auch beherzigen«, meinte<br />
Kaufmann trocken.<br />
»Damit wusste Jan Hertsch, dass er der Leiterin des Rauschgiftdezernats<br />
vorgeführt werden musste. Nun musste er nur noch etwas konstruieren,<br />
das er für nur einen Augenblick mit Anna alleine blieb. Diesen Augenblick<br />
nutzte er um Anna anzugreifen und so zu tun, als wenn Anna ihm an die<br />
Wäsche gegangen sei. Ein alter Trick, der sonst aber eigentl<strong>ich</strong> nur in<br />
umge<strong>kehrt</strong>en Fällen angewandt wird. Es hat ja auch funktioniert.<br />
<strong>Wenn</strong> auch n<strong>ich</strong>t ganz so, wie er es s<strong>ich</strong> dachte, denn Anna wurde zwar<br />
von der Untersuchung des laufenden Falles abgezogen, aber n<strong>ich</strong>t<br />
endgültig suspendiert. Sie arbeitete weiter im Hause und blieb damit<br />
weiterhin eine Gefahr. Wir wissen n<strong>ich</strong>t, wie lange Anna schon im Fokus<br />
von Hertsch steht. Als sie vorher in der Svetlov Angelegenheit zusammen<br />
mit Oberstaatsanwalt Bauer verabredet war, entschied man, dass Bauer der<br />
geeignete Sündenbock war, und hat ihn ermordet, damit der Eindruck<br />
entstehen konnte, dass er der Informant gewesen sei, der dafür sorgte, dass<br />
Svetlov ermordet wurde. Ich gehe inzwischen davon aus, dass dieser<br />
Mörder wirkl<strong>ich</strong> ein Zuträger Bauers gewesen ist, denn Bauer hat eine<br />
bemerkenswerte Akte angelegt, über die Anna bei der Durchsuchung<br />
seines Büros gefallen ist. Daraus lässt s<strong>ich</strong> sehr klar rekonstruieren, wie das<br />
Rauschgift, das Hertsch hier verteilt, nach Bremen kommt. Es kommt aus<br />
Tiflis und wird in den dort gefertigten Silikonbrusteinlagen, die Hertsch<br />
importiert, verpackt und unter der Desinfektionslösung auch<br />
geruchsneutral für jeden Spürhund hier angeliefert.<br />
Mit vergrößerten Buseneinlagen wird es dann in noch größeren<br />
Einzelmengen in die USA transportiert und selbstverständl<strong>ich</strong> in alle<br />
Länder, die Hertsch mit seinen Kunstwerken beliefert. Ein zieml<strong>ich</strong><br />
gefahrloser Transportweg.<br />
263
Diese Informationen hat s<strong>ich</strong> Bauer wahrscheinl<strong>ich</strong> von diesem<br />
Garottemörder geholt.<br />
Da der bisher den Mund n<strong>ich</strong>t aufmacht, sollten Sie ihn mit den Bildern<br />
bluffen und behaupten, dass sie Fingerabdrücke von ihm darauf gefunden<br />
hätten, und dies nun der Presse mitteilen wollten. Vielle<strong>ich</strong>t unter dem<br />
Motto: Wissen Frauen nach einer Brustvergrößerung überhaupt, dass sie<br />
als Zwischenlager für Rauschgift verwendet werden?«<br />
»Makaber«, meinte Anna.<br />
»Ich könnte mir vorstellen, dass dieser bisher so harte Bursche anfängt<br />
zu singen, wie eine Nachtigall, um n<strong>ich</strong>t hinger<strong>ich</strong>tet zu werden, wie der<br />
Gerätehändler. Von dessen Ableben sollten Sie ihn allerdings vorher<br />
unterr<strong>ich</strong>ten.«<br />
»Die Kunde wird er schon vernommen haben. Im Gefängnis gehen<br />
solche Nachr<strong>ich</strong>ten schneller um, als in der normalen Medienwelt«, meinte<br />
Kaufmann zu diesem Thema, und dann ergänzte er, »und das sollte der<br />
Ansatzpunkt unsere Gespräche heute Abend sein. Ich muss jetzt rüber zur<br />
Pressekonferenz, und Sie sollten s<strong>ich</strong> wieder verkriechen. Wo finde <strong>ich</strong> Sie<br />
überhaupt?«<br />
»Im Hotel gegenüber. Zimmer 534. Als Wilhelm Starck verkleidet.«<br />
»Was brauchen Sie von s<strong>ich</strong> zu Hause?«<br />
»Einen Koffer mit Kleidung, <strong>ich</strong> habe n<strong>ich</strong>ts Anderes, als was <strong>ich</strong> auf<br />
dem Leib trage.«<br />
»Und <strong>ich</strong> auch, bitte.«<br />
»Meine Leute werden dafür sorgen, dass Sie etwas anzuziehen haben.<br />
Anna Sie gehen mit dort hinüber?«<br />
»Eine andere Alternative wäre wohl schlecht, oder?«<br />
»Gut, Schmücker machen Sie s<strong>ich</strong> ein paar angenehme Tage auf dem<br />
Land, und lassen s<strong>ich</strong> hier n<strong>ich</strong>t sehen.«<br />
»Er sollte ebenfalls dort im Hotel wohnen. Ich werde ihm ein Zimmer<br />
besorgen.«<br />
»Ich habe wenigstens einen Koffer im Auto«, meinte Schmücker.<br />
»Dann fahren Sie Ihren Wagen am besten in die Tiefgarage des Hotels.«<br />
»Nein, Schmücker fährt seinen Wagen in die Garage am Flughafen. Dort<br />
bleibt er schön auffällig stehen, bis er wieder offiziell hier ist. Wir wollen<br />
doch kein unnötiges Risiko eingehen. Und ins Hotel kann er mit der<br />
Straßenbahn fahren«, entschied Kaufmann.<br />
Und schon war er entschwunden.<br />
Ich zahlte alles und Schmücker ging seinen Wagen zum Flugplatz zu<br />
fahren, und Anna und <strong>ich</strong> gingen den Weg <strong>zurück</strong> den <strong>ich</strong> gekommen war.<br />
264
Sie hakte s<strong>ich</strong> bei mir ein und sagte: »<strong>Teufel</strong>, wenn du wüsstest, wie<br />
dankbar <strong>ich</strong> dir bin, dass du das BKA gerufen hast. Die hätten m<strong>ich</strong> hier<br />
doch gnadenlos den Raubtieren zum Fraß vorgeworfen.«<br />
Ich sagte n<strong>ich</strong>ts dazu und wir gingen schweigend bis zum Hotel und<br />
fuhren nach oben in die Suite. Sie sah s<strong>ich</strong> um, und meinte dann: »So lässt<br />
es s<strong>ich</strong> wohnen. Ich kann mir das n<strong>ich</strong>t leisten.«<br />
Ich wusste auch n<strong>ich</strong>t, ob <strong>ich</strong> es mir leisten konnte, aber wenn Wiesel das<br />
für m<strong>ich</strong> buchte, dann konnte <strong>ich</strong> eigentl<strong>ich</strong> davon ausgehen, dass <strong>ich</strong><br />
konnte, denn der wusste wesentl<strong>ich</strong> besser über meine Finanzen bescheid<br />
als <strong>ich</strong>. Ich muss irgendwie vor m<strong>ich</strong> hingegrinst haben, dann Anna sagte<br />
plötzl<strong>ich</strong>: »Wieso grinst du eigentl<strong>ich</strong> so einfältig.«<br />
»Ich habe nur <strong>daran</strong> gedacht, wie unermessl<strong>ich</strong> re<strong>ich</strong> <strong>ich</strong> doch bin. In<br />
Amerika habe <strong>ich</strong> fast dreihundert Millionen Dollar gespendet und hier<br />
weiß <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t, ob <strong>ich</strong> mein Hotelzimmer wirkl<strong>ich</strong> bezahlen kann oder<br />
n<strong>ich</strong>t.«<br />
Anna sah m<strong>ich</strong> fast böse an und fragte: »<strong>Teufel</strong>, bist du bekloppt?«<br />
»Nein, <strong>ich</strong> glaube eher gescheit. Das ganze Geld, das <strong>ich</strong> zwar legal<br />
erworben habe, weil es keinem gehörte, hätte m<strong>ich</strong> nur korrumpiert. Ich<br />
hätte alles gehabt und es hätte s<strong>ich</strong> noch n<strong>ich</strong>t einmal mehr gelohnt, für die<br />
Gerechtigkeit zu kämpfen.<br />
Ich hätte d<strong>ich</strong> nie kennengelernt und säße jetzt mit dicken Hintern<br />
irgendwo in der Sonne und würde mir den X-ten Drink in m<strong>ich</strong> schütten.<br />
Anna, sag selbst, wäre das ein Leben gewesen?«<br />
Sie schüttelte den Kopf.<br />
»Wofür hast du das viele Geld gespendet?«<br />
»Für die von diesem Wissenschaftler missbrauchten Frauen, damit sie<br />
wieder in ein normales Leben <strong>zurück</strong>finden können. Für die<br />
psychiatrischen Behandlungen von Menschen, denen jeder Wille, jede<br />
eigene Emotion genommen wurde, die ihre Röcke hoben, um begattet zu<br />
werden, wenn sie einen Mann sahen. Denen dieser Reflex anerzogen<br />
wurde, wie Hunden denen man nur »Sitz« sagen braucht und sie setzen<br />
s<strong>ich</strong>. Weißt du, wie furchtbar es ist, zu sehen, wie den Menschen die freie<br />
Entscheidung etwas zu tun oder zu lassen, genommen worden ist?<br />
Maschinen geworden sind, die man fernlenken kann? <strong>Wenn</strong> Frauen zu<br />
reinen Gebärmaschinen umfunktioniert werden, und Männer zu perfekten<br />
Tötungsmaschinen? Ich wollt, <strong>ich</strong> hätte noch viel mehr Geld gehabt, um<br />
ihnen zu helfen, wieder zu s<strong>ich</strong> selbst zu finden.«<br />
Anna weinte plötzl<strong>ich</strong> und sie stürzte s<strong>ich</strong> an meine Brust und weinte<br />
heftig.<br />
265
Ich stre<strong>ich</strong>elte über ihr Haar und über ihren Rücken und ihr Schluchzen<br />
wurde weniger. Mit trotzdem fast versagender Stimme sagte sie: »Und das<br />
hast du alles schon erlebt, und bist trotzdem noch ein so ausgegl<strong>ich</strong>ener<br />
Mensch, der unendl<strong>ich</strong> viel Liebe geben kann?«<br />
»Anna, auch <strong>ich</strong> empfange unendl<strong>ich</strong> viel Liebe. Viele von den<br />
Menschen, mit denen <strong>ich</strong> Kontakt habe, geben mir viel von ihrer Liebe ab.<br />
Manche bemerken es noch n<strong>ich</strong>t einmal, wie viel Zuneigung sie mir geben<br />
und <strong>ich</strong> habe nur die Gabe dies weiterzugeben. Manche geben sogar etwas<br />
Gutes, obwohl sie mir eigentl<strong>ich</strong> schaden wollten. Schau dir Waldtmann<br />
an. Er wollte mir schaden, aber hat uns gle<strong>ich</strong>zeitig die Idee gegeben, wie<br />
wir unseren gemeinsamen Weg gegen Hertsch und diese Konsorten weiter<br />
gestalten können.«<br />
Die Tränen in Ihren Augen waren wieder da, und sie stammelte: »Du<br />
bist wirkl<strong>ich</strong> einmalig, <strong>Teufel</strong>. Anstatt wütend auf ihn zu sein, und ihn<br />
vern<strong>ich</strong>ten zu wollen, spr<strong>ich</strong>st du so über ihn. Als würdest du ihn<br />
verstehen. Und er würde n<strong>ich</strong>t dein Gegner sein, der d<strong>ich</strong> vern<strong>ich</strong>ten<br />
möchte. Bist du n<strong>ich</strong>t stinkig auf ihn?«<br />
»Nein, n<strong>ich</strong>t wirkl<strong>ich</strong>, denn <strong>ich</strong> kann ihn verstehen. Er ist ein wirkl<strong>ich</strong><br />
guter Beamter, der s<strong>ich</strong> nur in einen viel zu engen Anzug gezwängt hat. Ich<br />
bin n<strong>ich</strong>t stinkig auf ihn, nur bisweilen habe <strong>ich</strong> Angst vor ihm. Angst, weil<br />
er m<strong>ich</strong> eventuell dazu treiben könnte, etwas zu tun, was ihm Anlass geben<br />
könnte, meinen Wunschtraum zu zerstören, der Gerechtigkeit zu dienen.<br />
Davor habe <strong>ich</strong> Angst, liebe Anna.«<br />
Sie schniefte noch einmal und sagte dann:<br />
»Hast du einen Schnaps in deiner Hausbar?«<br />
»Sieh nach, <strong>ich</strong> würde m<strong>ich</strong> sehr wundern, wenn keiner da wäre.«<br />
Ich ging in der Zwischenzeit an meinen Aktenkoffer und holte mein<br />
Notebook und schloss es an die hier vorhandenen DSL-Leitung und klinkte<br />
m<strong>ich</strong> in Wiesels Rechner, um mir die w<strong>ich</strong>tigsten Daten über das Hertsch<br />
Imperium, die Charlotte schon zusammengetragen hatte auf diesen<br />
Rechner zu laden. Wir würden sie später brauchen.<br />
Ich rauchte eine Zigarette und beobachtete den Datenstrom. Der<br />
Download war wesentl<strong>ich</strong> schneller als mein morgendl<strong>ich</strong>er Upload, und<br />
<strong>ich</strong> besaß schon nach vier Minuten alle relevanten Daten. Ich blieb im<br />
Rechner Wiesels und wählte m<strong>ich</strong> von dort aus in einen Rechner in<br />
München ein. Anna kam gerade wieder aus dem Badezimmer, wo sie s<strong>ich</strong><br />
frisch machte und starrte wie gebannt darauf, was <strong>ich</strong> tat. Ich sagte ihr nur:<br />
»Vergiss sofort, was du hier siehst.«<br />
Dann gab <strong>ich</strong> meine Suchoptionen eingegeben und der Bildschirm<br />
wurde schwarz.<br />
266
Wenig später bekam <strong>ich</strong> zieml<strong>ich</strong> umfangre<strong>ich</strong>e Daten auf dem<br />
Bildschirm und <strong>ich</strong> fing an zu fluchen, denn <strong>ich</strong> besaß hier keinen Drucker,<br />
mit dem <strong>ich</strong> diese Informationen ausdrucken konnte. Ich schaltete alles<br />
wieder weg und trennte sogar die Leitung nach München und auch zu<br />
Wiesel.<br />
Ich rief an der Rezeption an und fragte, ob man mir einen Laserdrucker<br />
für diese Suite besorgen könne. Ich lehnte es ab, die Datei auf den<br />
Druckerserver des Hotels zu leiten und dort ausdrucken zu lassen. Und<br />
nach einigem Hin- und Her bekam <strong>ich</strong> die Zusage, dass <strong>ich</strong> den privaten<br />
Drucker des Hotelmanagers hier aufgebaut bekam. Über Kosten redeten<br />
wir n<strong>ich</strong>t. Ich sandte Anna samt ihrem Bierglas ins Schlafzimmer und<br />
wartete auf den Service, der den Drucker bringen sollte. Bevor der kam,<br />
erschien Schmücker. An den dachte <strong>ich</strong> während der ganzen Zeit<br />
überhaupt n<strong>ich</strong>t gedacht, denn <strong>ich</strong> versprach ihm ein Zimmer zu besorgen.<br />
Wieder rief <strong>ich</strong> an der Rezeption an, dass <strong>ich</strong> noch ein Zimmer für einen<br />
Geschäftsfreund brauchen würde. Am besten im gle<strong>ich</strong>en Stockwerk. Als<br />
man m<strong>ich</strong> nach dem Namen fragte, gab <strong>ich</strong> Hansen an: Mike Hansen, und<br />
<strong>ich</strong> sagte, dass man mir die Anmeldung und den Schlüssel gle<strong>ich</strong> mit nach<br />
oben senden sollte.<br />
Der Drucker und die Anmeldung kamen auf einem Servierwagen.<br />
Während <strong>ich</strong> den Drucker anschloss, füllte »Hansen« seine Anmeldung aus<br />
und wurde dann vom Boy, der alles brachte und von mir mit einem guten<br />
Trinkgeld bedacht wurde, zu seinem Zimmer geleitet. Er brachte ohnehin<br />
nur seinen Koffer hinüber und war dann wieder <strong>zurück</strong>.<br />
In seiner Gegenwart wagte <strong>ich</strong> es allerdings n<strong>ich</strong>t, die Leitung zum BND<br />
nochmals aufzubauen.<br />
Mit Schmücker diskutierten wir dann, wie wir weiter vorgehen könnten,<br />
um ihm später auch die Beweise zu bringen, die er für eine erfolgre<strong>ich</strong>e<br />
Anklage brauchte. Er meinte zu mir: »Da ist klar, dass wir keine n<strong>ich</strong>t<br />
genehmigten Haus- oder Firmendurchsuchungen starten. Alles muss Hand<br />
und Fuß haben und mit den Gesetzen übereinstimmen, sonst laufen die<br />
noch in hundert Jahren frei rum.«<br />
Ich war etwas barscher als <strong>ich</strong> es eigentl<strong>ich</strong> sein wollte, als <strong>ich</strong> ihm sagte:<br />
»Wir sollen Ihnen alles auf dem Silbertablett servieren, damit der Herr<br />
endgültig anr<strong>ich</strong>ten kann?«<br />
»Nein, nur so mundgerecht, dass mir kein Winkeladvokat die Anklage<br />
zerbröseln kann, wie einen Zwieback.<br />
267
Ich habe keine Lust einen Prozess zu verlieren, nur weil einer von denen<br />
sagen kann, wir hätten die Beweise illegal erworben. Ich will die Schweine<br />
hinter Gittern wissen. N<strong>ich</strong>t weil <strong>ich</strong> einen Prozess n<strong>ich</strong>t verlieren kann,<br />
sondern, weil <strong>ich</strong> Verbrecher wirkl<strong>ich</strong> aus tiefsten Herzen hasse. Ich hätte<br />
es mir le<strong>ich</strong>ter machen können, wenn <strong>ich</strong> dem Rat meines Vaters gefolgt<br />
wäre, und Ganoven mit juristischen Tricks mit einer Kanzlei vor der<br />
Strafverfolgung bewahren könnte. Das wäre bestimmt lukrativer<br />
gewesen.«<br />
»Noch so ein Verrückter«, urteilte Anna, »willkommen in der Runde.<br />
Wollen Sie auch etwas trinken, Schmücker?«<br />
»Bring uns noch jeweils ein Bier, bitte.«<br />
»Du solltest vielle<strong>ich</strong>t noch ein zwei Kisten gekühltes Bier bestellen,<br />
denn <strong>ich</strong> weiß n<strong>ich</strong>t, mit wie viel Leuten Kaufmann hier erscheint. Es wäre<br />
doch schade, wenn wir später hier auf dem Trockenen sitzen müssten.«<br />
Ich bestellte also noch zwei Kisten Bier und eine Kiste Mineralwasser<br />
und die wurden uns innerhalb der nächsten halben Stunde angeliefert.<br />
Wir diskutierten zwar immer wieder verschiedene Lösungsvorschläge<br />
durch, aber da wir die nächsten Schritte, die Kaufmann einleiten wollte,<br />
n<strong>ich</strong>t kannten, wurden es nur immer Denkmodelle, die n<strong>ich</strong>t realisierbar<br />
waren. Mein Magen knurrte inzwischen hörbar.<br />
Ich fragte beim Service nach, wie lange wir noch etwas Warmes zu Essen<br />
bekommen könnten, da wir hier eine längere Diskussionsrunde hätten, bei<br />
der noch n<strong>ich</strong>t alle Teilnehmer eingetroffen wären, sagte man mir, dass um<br />
22 Uhr die Küche schließen würde.<br />
<strong>Wenn</strong> <strong>ich</strong> allerdings kurz vorher für alle etwas bestellen würde, könnte<br />
man es uns auf Warmhalteplatten servieren. Dazu wären einfachere<br />
Ger<strong>ich</strong>te besser geeignet, als Gourmetmenüs.<br />
Und der Service machte mir dann einen Vorschlag, der mir sofort gefiel.<br />
Ich bestellte einen großen Topf mit Gulaschsuppe und entsprechender<br />
Weißbrotbeilage. Diesen Topf konnten wir so lange warm halten, wie wir<br />
wollten. Ich ließ vors<strong>ich</strong>tshalber Geschirr für zehn Personen kommen.<br />
Zwanzig Minuten später kam ein großer Rechaudwagen mit einem sehr<br />
großen Topf, dem Geschirr und einem riesigen Brotkorb. Wir waren<br />
gerüstet und beschlossen jetzt schon ein wenig davon zu kosten. Es war<br />
wirkl<strong>ich</strong> gut, und wir wussten, davon konnten wir uns später weiter<br />
bedienen. Es war dann auch fast 22 Uhr, als Kaufmann mit drei weiteren<br />
Mitarbeitern erschien. Die Freude, dass wir auch noch für das leibl<strong>ich</strong>e<br />
Wohl sorgten, war groß. Kaufmann sagte mir: »<strong>Teufel</strong>, Ihre Ums<strong>ich</strong>t etwas<br />
zu organisieren ist wirkl<strong>ich</strong> bemerkenswert.«<br />
Ich wehrte bescheiden ab und sagte:<br />
268
»Das war Gemeinschaftsproduktion. Wir konnten uns nur vorstellen,<br />
dass Sie genauso großen Hunger hätten wie wir. Nur wussten wir n<strong>ich</strong>t,<br />
wie viele Leute Sie mitbringen würden.«<br />
»Die Mannschaft ist noch drei Leute stärker. Die sind aber auf<br />
Beobachtungsposten geblieben und werden später von den Leuten hier<br />
abgelöst.«<br />
Nachdem auch er und seine Leute aßen, nahmen wir uns Charlottes<br />
Informationen vor und beschlossen gegen die Stimme von Schmücker, dass<br />
wir sämtl<strong>ich</strong>e Telefonleitungen der Firmen im Bremer Raum, und auch die<br />
Produktionsstätte in Delmenhorst abhören wollten und diese Gespräche<br />
auf Band spe<strong>ich</strong>ern wollten.<br />
Ich sollte auf jeden Fall die Leitungen aus dem Haus in Worpswede<br />
anzapfen. Und <strong>ich</strong> sollte mir die Technik besorgen, die auch<br />
Handygespräche aus diesem Hause mithören konnte.<br />
Schmücker war außer s<strong>ich</strong>: »So etwas können wir doch nie als Beweise<br />
vorlegen!«<br />
»Wollen wir auch gar n<strong>ich</strong>t Schmücker. Wir wollen nur über jeden<br />
Schritt, den die machen wollen, vorher informiert sein. Wir wollen die<br />
nächste Sendung Gift unter Quarantäne stellen, weil irgendein erfundener<br />
Virus es n<strong>ich</strong>t zulässt, dass die Ware freigegeben wird. Sie müssen auf die<br />
Lieferung warten. <strong>Wenn</strong> sie so dumm sein sollten, eine Zweite zu ordern,<br />
gle<strong>ich</strong>es Spiel. Sie werden Lieferschwierigkeiten bekommen und versuchen<br />
es auf andere Weise ins Land zu bekommen. Sie werden Fehler machen,<br />
und wir werden sie dazu treiben, welche zu machen.<br />
<strong>Wenn</strong> wir wissen, wie Sie s<strong>ich</strong> auf anderen Wegen versorgen wollen,<br />
können wir es abfangen und so tun als hätten wir Tipps bekommen. Das<br />
wird sie entscheidend beunruhigen.<br />
Sie werden ihre eigenen Leute verdächtigen und sie unter Druck setzen.<br />
<strong>Wenn</strong> wir wissen wer, werden wir aus ganz simplen Gründen zufassen,<br />
und denen den Glauben einimpfen, die Leute plauderten. Das wird sie<br />
weiter veruns<strong>ich</strong>ern. Und dadurch werden sie Fehler machen, die uns zum<br />
Eingreifen zwingt. Fehler, die dann rechtfertigen, was wir vorher schon<br />
illegal getan haben.«<br />
»Aber das ist doch n<strong>ich</strong>t rechtens, Kaufmann!«<br />
»Es ist aber n<strong>ich</strong>t illegal, wenn <strong>Teufel</strong> s<strong>ich</strong> Insiderinformationen<br />
beschafft. Wir wollen zu diesem Zeitpunkt keine ger<strong>ich</strong>tsrelevanten Daten<br />
beschaffen, Herr Staatsanwalt, sondern nur Informationen. <strong>Wenn</strong> die dann<br />
überreagieren, werden wir r<strong>ich</strong>terl<strong>ich</strong>e Beschlüsse bekommen, die eine<br />
offizielle Abhöraktion rechtfertigt. Ich möchte noch einen Teller Suppe.»<br />
269
Anna war das einzige weibl<strong>ich</strong>e Wesen in der Runde und sie fühlte s<strong>ich</strong><br />
befleißigt, dem Herren Kaufmann das Süppchen zu kredenzen. Ich fragte<br />
süffisant: »Darf Ihnen Frau Wagenfeld vielle<strong>ich</strong>t auch noch ein Bier<br />
bringen, das in Armeslänge von Ihnen steht?«<br />
»Sorry, <strong>ich</strong> hole es mir schon selbst. Kommen wir zu den Einzelheiten,<br />
wie wir etwas unternehmen wollen.«<br />
Die nächsten drei Stunden vergingen mit Detailplanungen, wer, wann,<br />
wo, welche Leitungen anzuzapfen hätte.<br />
Dann erhob er s<strong>ich</strong> und sagte: »Dieses Zimmer hier wird unser<br />
Operationszentrum und Anna wird an der Schaltzentrale sitzen. Da wir<br />
n<strong>ich</strong>t über die Telefonzentrale dieses Hauses miteinander in Verbindung<br />
stehen sollten, habe <strong>ich</strong> hier fünf weiter Handys requiriert, dass wir auch<br />
immer durchkommen. Hier eine Liste der Nummern, die Sie anrufen<br />
können.«<br />
Dann verschwanden sie alle und auch Schmücker verabschiedete s<strong>ich</strong><br />
und wusste n<strong>ich</strong>t recht, wie er s<strong>ich</strong> verhalten sollte, uns beide allein hier in<br />
der Suite zu lassen. Doch dann war auch er verschwunden. Anna und <strong>ich</strong><br />
streiften fast gle<strong>ich</strong>zeitig die Schuhe ab, und <strong>ich</strong> fischte aus dem fast leeren<br />
Bierkasten noch zwei Flaschen für uns heraus und öffnete sie.<br />
Ich freute m<strong>ich</strong>, dass sie wenig damenhaft ebenfalls aus der Flasche<br />
trank.<br />
Sie hatte n<strong>ich</strong>ts dagegen, dass <strong>ich</strong> sie dann mit in das Schlafzimmer<br />
nahm und sie langsam entkleidete. Nach ihrem zweiten Orgasmus sagte<br />
sie nur: »Es ist n<strong>ich</strong>t recht, aber es gefällt mir.«<br />
Mir gefiel es auch.<br />
30<br />
Einkreisen<br />
Anna schlief noch, als <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> schon fertig machte. Ich war sehr leise<br />
und ging hinüber ins Arbeitszimmer und rief Tiffert zu Hause an. Es war<br />
eine längere Liste an Zubehörteilen, die <strong>ich</strong> benötigte, und wir kamen<br />
überein, dass <strong>ich</strong> nach Berlin fliegen würde und von dort aus mit einem<br />
werkseigenen Kastenwagen nach Bremen <strong>zurück</strong>fahren würde.<br />
Er versprach mir, dass er mir den Wagen zur Verfügung stellen wollte,<br />
den wir schon in Berlin zu einer Überwachung benutzten.<br />
270
Dann setzte <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> mit Kaufmann in Verbindung und teilte ihm meine<br />
Pläne mit und fragte ihn, ob man n<strong>ich</strong>t besser das Giftdepot am Golfplatz<br />
jetzt endl<strong>ich</strong> leeren könnte, um die Fingerabdruckbeweise gegen Hertsch<br />
junior im Amt zu haben und die sinnlose Überwachung dort zu beenden.<br />
Kaufmann lachte nur: »Ist schon gestern Abend geschehen. Selbst diese<br />
kleinen Mengen stehen ihnen n<strong>ich</strong>t mehr zur Verfügung. Meine Leute<br />
waren auf dem Platz versteckt, als wir die Order gaben, die Überwachung<br />
einzustellen, um s<strong>ich</strong>er zu gehen, dass nach Abzug der offiziellen<br />
Bewachung n<strong>ich</strong>t der Junge alles ausräumt. Er hat s<strong>ich</strong> aber n<strong>ich</strong>t sehen<br />
lassen. Ich habe noch eine weitere Maßnahme angeordnet. Alle Telefonate<br />
der Mitarbeiter des Rauschgiftdezernats werden ab sofort auf einem<br />
gesonderten Recorder mitgeschnitten. Sagen Sie Anna aber n<strong>ich</strong>ts davon.<br />
Wir haben auch ihren Apparat mit eingeschlossen, weil mögl<strong>ich</strong>erweise ein<br />
Mitarbeiter von ihrem Apparat aus Gespräche führt. Außerdem habe <strong>ich</strong><br />
angeordnet, dass die alten Aufze<strong>ich</strong>nungen der letzten Woche nach<br />
Wiesbaden zur Auswertung geschickt werden. Wir haben alle Bänder<br />
requiriert. Ab heute werden nur noch neue unbespielte Bänder hier<br />
verwendet. Das hat zwar im Präsidium für Stunk gesorgt, aber sie konnten<br />
n<strong>ich</strong>ts dagegen unternehmen. Ich habe außerdem noch vier Techniker aus<br />
Wiesbaden angefordert, die im Präsidium n<strong>ich</strong>t in Erscheinung treten. Kein<br />
Mensch wird wissen, dass sie da sind und vor allen Dingen wird niemand<br />
wissen, wie sie aussehen. Die Männer sollen Sie unterstützen.«<br />
»Und überwachen«, dachte <strong>ich</strong> bei mir, aber <strong>ich</strong> fragte ihn: »Haben Sie<br />
aus den Trümmern meines Büros den Digitalrecorder fischen können, der<br />
aufgeze<strong>ich</strong>net hat, wie die Bombe ins Büro kam?«<br />
»Wir haben einen völlig zerstörten Recorder gefunden und einen von<br />
dem wir n<strong>ich</strong>t wissen, wie wir an die Bilder herankommen.«<br />
»Das Gerät muss an einen Computer angeschlossen werden, lassen Sie<br />
es einfach hierher bringen.<br />
Wir können dann Morgen die Auswertung vornehmen, denn <strong>ich</strong> kann<br />
mir n<strong>ich</strong>t vorstellen, dass mein Computer im Büro die Explosion<br />
überstanden haben könnte. Ich bringe heute Abend einen neuen mit.<br />
Haben Sie inzwischen herausfinden können, wie der Zünder<br />
funktionierte?«<br />
»Ja, es war ein Funkzünder und was w<strong>ich</strong>tig ist, wir haben bei dem toten<br />
Schönherr n<strong>ich</strong>ts gefunden, was solch ein Funksignal abgeben kann. Die<br />
Bombe wurde von ganz woanders gezündet. Wir gehen davon aus, dass<br />
der Zünder von jemand ausgelöst wurde, der in S<strong>ich</strong>erheit war. Ob er es<br />
versehentl<strong>ich</strong> zu früh gezündet hat, oder ob es die Abs<strong>ich</strong>t war, den Jungen<br />
gle<strong>ich</strong> mit umzubringen, wissen wir allerdings n<strong>ich</strong>t.<br />
271
Nach unserer Darstellung, und dies ist vornehml<strong>ich</strong> die Theorie von<br />
Waldtmann, haben Sie die Bombe gezündet, als sie im Präsidium waren.<br />
Daher hat man Sie auch zu Vernehmungen nach Wiesbaden gebracht. Steht<br />
bestimmt heute schon in der Boulevardpresse.«<br />
»Na, prima. <strong>Teufel</strong> als Hauptverdächtiger des Bombenanschlags auf sein<br />
eigenes Büro.«<br />
»Also reisen Sie besser n<strong>ich</strong>t auf eigenen Namen, <strong>Teufel</strong>.«<br />
Den Rat hätte er s<strong>ich</strong> ersparen können. Und trotzdem war <strong>ich</strong> ein wenig<br />
uns<strong>ich</strong>er, denn dieser Empfang beim Bürgermeister hatte hier in der<br />
Region mein Ges<strong>ich</strong>t zieml<strong>ich</strong> bekannt gemacht. Ich konnte nur hoffen,<br />
dass die Zeitung n<strong>ich</strong>t auch gle<strong>ich</strong> ein Bild vom »Bösew<strong>ich</strong>t <strong>Teufel</strong>« mit<br />
abdruckte.<br />
Aber <strong>ich</strong> konnte später im Flugzeug beruhigt feststellen, dass man zwar<br />
die Explosion groß herausbrachte, aber erst auf Seite 5 zum Ende des<br />
Artikels den Hinweis auf meine Festnahme im Zusammenhang mit dem<br />
Attentat schrieb. Hier war aber nur erwähnt, dass <strong>ich</strong> zu Vernehmungen<br />
nach Wiesbaden gebracht worden sei.<br />
Tiffert meinte, als <strong>ich</strong> ihn begrüßte: »Na, da kommt ja der schwere Junge.<br />
Und unsere ganzen Mühen, ein wirkl<strong>ich</strong> tolles Büro für d<strong>ich</strong> zu basteln,<br />
sind auch schon wieder Vergangenheit. Ich habe die Bilder gesehen. <strong>Wenn</strong><br />
ihr wirkl<strong>ich</strong> da gewesen wäret, dann wäre von euch n<strong>ich</strong>ts übriggeblieben.<br />
Ich dachte du wolltest d<strong>ich</strong> aus diesen Gewalttätigkeiten seit Amerika ganz<br />
heraushalten. Aber wo du auftauchst, stinkt´s nach Rauch und Schwefel.<br />
Du solltest heiraten und den Namen deiner Frau annehmen, dann würde<br />
das vielle<strong>ich</strong>t aufhören.«<br />
»Was macht Sabine?«<br />
»Die hört s<strong>ich</strong> seit gestern Abend die Klagen einer gewissen Charlotte<br />
über einen wild gewordenen <strong>Teufel</strong> an«, und dann ernster werdend, »sie<br />
scheint wirkl<strong>ich</strong> darunter zu leiden, dass du ein Frauenliebling bist.«<br />
»Aber <strong>ich</strong> kann und will meine Vergangenheit n<strong>ich</strong>t ungeschehen<br />
machen, und <strong>ich</strong> kann m<strong>ich</strong> auch n<strong>ich</strong>t derart vereinnahmen lassen, wie<br />
Charlotte s<strong>ich</strong> das vorstellt. Ich könnte zwar treu sein, aber <strong>ich</strong> kann doch<br />
meine Ausstrahlung n<strong>ich</strong>t abschalten. Sie ist ein Teil von mir, Tiffert. Ich<br />
habe schon die Hoffnung aufgegeben, dass wir wirkl<strong>ich</strong> ein Paar sein<br />
könnten. Sie möchte m<strong>ich</strong> umkrempeln und m<strong>ich</strong> mit Haut und Haaren<br />
fressen. Ich konnte zwar meine Trunksucht erfolgre<strong>ich</strong> bekämpfen, aber <strong>ich</strong><br />
kann n<strong>ich</strong>t in ein anderes Wesen schlüpfen, das n<strong>ich</strong>t <strong>ich</strong> bin. M<strong>ich</strong><br />
rüpelhaft gegenüber anderen Frauen zu benehmen, nur um ihren<br />
Wünschen n<strong>ich</strong>t ausgesetzt zu sein, und Charlotte keinen Anlass zur<br />
Eifersucht zu geben, ist etwas, was mir n<strong>ich</strong>t liegt.<br />
272
Nein, privat werden wir wohl getrennte Wege gehen müssen, ob es<br />
dann zu einer vernünftigen Zusammenarbeit re<strong>ich</strong>t, weiß <strong>ich</strong> jetzt noch<br />
n<strong>ich</strong>t, aber an mir würde es bestimmt n<strong>ich</strong>t scheitern.«<br />
Tiffert sagte n<strong>ich</strong>ts weiter zu dem Thema, denn er wusste, dass <strong>ich</strong><br />
immer noch unter dem Verlust Angelikas zu leiden hatte und er bekam<br />
auch mit, wie sehr <strong>ich</strong> danach unter der Trennung von Linda zu kämpfen<br />
hatte, n<strong>ich</strong>t wieder <strong>zurück</strong> in den Sumpf zu fallen. Aber er schien zu<br />
bedauern, dass es zwischen Charlotte und mir n<strong>ich</strong>t so klappte.<br />
Wir gingen meine ganzen Neuanschaffungen durch und er meinte: »Du<br />
investierst ganz schön, mein Lieber. Ich habe etwas für d<strong>ich</strong> Günstigeres<br />
ausarbeiten lassen. Die ganzen Gerätschaften kannst du im Hause Siemens<br />
leasen. Immer wenn wir Neuerungen auf den Markt bringen, kannst du<br />
auf die nächstbessere Generation umsteigen. Und da wir dir Geräte<br />
mitgeben, die noch in der Testphase sind, ist man sogar bereit d<strong>ich</strong> als<br />
Tester einzusetzen, wenn du bereit bist, darüber auch Testber<strong>ich</strong>te<br />
anzufertigen. Das müsste doch eigentl<strong>ich</strong>, bei deinem technischen<br />
Verständnis drin sein.«<br />
Ich sah in dankbar an. Er besorgte mir schon die tollsten technischen<br />
Hilfsmittel und dachte auch noch an meinen Geldbeutel. Die mögl<strong>ich</strong>e<br />
Prämie aus der Schweiz war schon längst wieder aus meinem Kopf<br />
verdrängt.<br />
Zum Mittagessen waren wir in die Kantine gegangen und hier waren<br />
auch Benny und Samantha dazu gekommen und wir saßen eine halbe<br />
Stunde zusammen und uns des Lebens erfreut.<br />
Tiffert gab mir dann zum Abschied noch mit auf den Weg, dass die<br />
Firma das Technikautomobil gerne am Stück und funktionstüchtig wieder<br />
<strong>zurück</strong>haben möchte. Einen Zeitpunkt für diese Rückgabe setzte man mir<br />
allerdings n<strong>ich</strong>t.<br />
Ich sagte Tiffert noch, dass er Charly schön grüßen sollte und dann fuhr<br />
<strong>ich</strong> kurz vor 14 Uhr vom Hof und reihte m<strong>ich</strong> auf der Autobahn ein, um<br />
über Hamburg wieder nach Bremen zu kommen.<br />
Es war schon fast 19 Uhr, als <strong>ich</strong> vorm Hotel ankam. Ich durfte den<br />
Kleinlaster auf dem Busparkplatz an der Martinistraße parken und bekam<br />
es mit meinem Computer n<strong>ich</strong>t ganz so weit. Er war doch ganz schön<br />
schwer. Anna war allein in der »Zentrale«. Schmücker war schon wieder<br />
ausgezogen und war auf dem Weg seinen Wagen wieder vom Flughafen<br />
abzuholen. Er wäre ganz froh gewesen, dass er von unseren weiteren<br />
Planungen verschont bliebe, denn er wollte von unseren »illegalen«<br />
Machenschaften besser gar n<strong>ich</strong>t erst Kenntnis erlagen.<br />
273
Kaufmann brachte seine Techniker, die im Laufe des Tages<br />
angekommen waren, in einem kleinen Hotel in der Nähe der Faulenstraße<br />
unter. Ich baute meinen Computer auf und schloss alles an.<br />
Während <strong>ich</strong> anschließend duschte, bestellte Anna uns ein Abendessen<br />
aufs Zimmer und als <strong>ich</strong> erfrischt wieder kam, konnten wir dinieren. Es<br />
gab eine schwedische Fischvariation, die <strong>ich</strong> noch n<strong>ich</strong>t kannte, und<br />
hervorragend schmeckte. Wir tranken Bier dazu. Dann ließen wir wieder<br />
abräumen. Wenig später kam Kaufmann mit seinen Technikern. Wir fingen<br />
sofort mit der Aufgabenverteilung an.<br />
Aus meinen Erfahrungen aus Berlin lernte <strong>ich</strong>, dass die<br />
Funkübertragung zum Wagen über etl<strong>ich</strong>e Kilometer einwandfrei<br />
funktionierte. <strong>Wenn</strong> wir den Wagen auf dem Unigelände gle<strong>ich</strong> am<br />
Hochschulring unauffällig wieder als Immissionsmesswagen aufbauten,<br />
würden wir sowohl die Signale aus der Firmenzentrale und auch aus dem<br />
Privathaus empfangen können. Ob es noch bis Worpswede re<strong>ich</strong>te, konnte<br />
<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t beantworten. Das mussten wir versuchen. Da aber in der<br />
Zwischenzeit Verbesserungen an der Funkqualität sogar unter der Erde in<br />
den U-Bahn-Schächten Londons vorgenommen worden waren, schätze <strong>ich</strong><br />
es positiv ein.<br />
An diesen drei Orten wollten wir neben der Telefonüberwachung auch<br />
eine Camcoderüberwachung laufen lassen. Die übrigen Standorte sollten<br />
zunächst nur am Telefon abgehört werden. Dazu zählte auch das<br />
Lagerhaus, in dem die beiden Mörder gearbeitet hatten. Auch von diesen<br />
Standorten sollten uns die Funksignale im Wagen erre<strong>ich</strong>en.<br />
Ledigl<strong>ich</strong> in Delmenhorst mussten wir einen PKW benutzen, der in der<br />
Nähe der kleinen Fabrik geparkt und mit einem Recorder ausgestattet<br />
werden sollte.<br />
Einer der BKA-Techniker meinte: »<strong>Wenn</strong> wir einen Funkverstärker dort<br />
einbauen, können wir auch von dort aus ans Mobil senden. Das bekomme<br />
<strong>ich</strong> schon hin. Von dort aus brauchen wir ja vorerst noch keinen Bildfunk.«<br />
Dann erklärte uns der Handyfunkexperte, welche Maßnahmen sie heute<br />
Nachmittag schon vornahmen und das, was er uns ber<strong>ich</strong>ten konnte,<br />
schien mir sehr gut ausgereift. Das einzige Problem, dass bei dieser<br />
Überwachung auftreten konnte, war die mögl<strong>ich</strong>e Vielzahl von<br />
Gesprächen, die wir aufze<strong>ich</strong>neten. Denn wir würden in jedes Gespräch,<br />
das in einem Umkreis von 200 Metern um den Standort geführt wurde,<br />
einfangen. Gerade dort in Uni-Nähe würde es zu einem Problem führen,<br />
alle Gespräche sauber von den anderen zu trennen.<br />
Und dann kam er auf etwas, was wir bisher n<strong>ich</strong>t berücks<strong>ich</strong>tigten:<br />
274
Er sah eine überdimensionale Satellitenschüssel auf dem Grundstück in<br />
Worpswede und meinte: »Es könnte sein, dass die Satellitenübertragungen<br />
für Daten und Telefonverkehr nutzen, da kämen wir dann n<strong>ich</strong>t ran.«<br />
Ich wusste natürl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t genau, was in dem Siemenswagen alles<br />
eingebaut war, aber wie <strong>ich</strong> Tiffert kannte, dachte er auch genau <strong>daran</strong>.<br />
Den Telefonverkehr konnten wir auch mit einem guten<br />
Satellitenradioempfänger abfangen. Ich rief Tiffert wieder einmal zu Hause<br />
an und er klärte m<strong>ich</strong> auf und beschrieb mir, welches Antennenteil <strong>ich</strong> nur<br />
auf die Schüssel r<strong>ich</strong>ten müsse, um die Wellenlänge auszulesen. Und wenn<br />
wir die Frequenz wüssten, brauchten wir nur die Recorder darauf<br />
einr<strong>ich</strong>ten, dann bekämen wir automatisch, sowohl den digitalisierten<br />
Sprach- und Datenstrom zugespielt.<br />
Ich lachte: »Das ist einfach. Das werden wir morgen klären.«<br />
»N<strong>ich</strong>t bis morgen möchte die junge Dame neben mir warten, sie möchte<br />
jetzt schon mit dir sprechen. Tschüss, <strong>Teufel</strong>.«<br />
»Was ist nun mit unserem Büro«, war Charlottes erste Frage, »und wieso<br />
hast du es n<strong>ich</strong>t für nötig befunden m<strong>ich</strong> hier zu besuchen, wenn du schon<br />
in Berlin warst. Bin <strong>ich</strong> dir das n<strong>ich</strong>t wert?«<br />
»Wir sind hier in außerordentl<strong>ich</strong> schwierigen Ermittlungen und wir<br />
brauchten die Technik ganz schnell. Ich bin auch im Moment umringt von<br />
acht BKA-Beamten, die auf meine Erklärungen warten. Können wir private<br />
Diskussionen so lange <strong>zurück</strong>stellen? Was machen eigentl<strong>ich</strong> deine<br />
Nachforschungen?«<br />
»We<strong>ich</strong> mir n<strong>ich</strong>t aus. Für m<strong>ich</strong> ist dies Thema w<strong>ich</strong>tig.«<br />
»Ich habe keine Zeit für private Dinge. Jedenfalls n<strong>ich</strong>t, solange man mir<br />
sogar Beihilfe zum Mord und zu einem Bombenattentat mit zwei weiteren<br />
Toten und vielen Verletzte nachsagt. Da haben andere Dinge die Priorität.<br />
Frage Tiffert, was <strong>ich</strong> von ihm gewollt habe, dann weißt du, woran wir<br />
arbeiten. Gute Nacht.«<br />
Ich legte den Hörer vors<strong>ich</strong>tig wieder auf die Gabel, obwohl <strong>ich</strong> ihn<br />
darauf schmettern wollte. Meine ganze Wut und Enttäuschung, dass<br />
Charlotte s<strong>ich</strong> nur darum kümmerte, dass <strong>ich</strong> ihr n<strong>ich</strong>t guten Tag gesagt<br />
hatte, als <strong>ich</strong> durch Berlin gebraust war, ohne s<strong>ich</strong> darum zu kümmern,<br />
was hier für Schwierigkeiten auf uns warteten, empörte m<strong>ich</strong>. Anna<br />
erfasste es wohl noch mehr, als die anwesenden Herren und sie sagte<br />
mitfühlend: »Sei n<strong>ich</strong>t so getroffen, <strong>Teufel</strong>. Normale Frauen reagieren<br />
anders, als Polizisten und Polizistinnen.«<br />
275
Da musste <strong>ich</strong> ihr wohl Recht geben, denn war n<strong>ich</strong>t auch eine meiner<br />
Liebesbeziehung in Berlin an der brutalen Wirkl<strong>ich</strong>keit meines Berufes<br />
gescheitert. Nur war dieser Bruch friedl<strong>ich</strong> und in aller Freundschaft<br />
geschehen. Ich zuckte die Achseln und Kaufmann meinte nur: »Fragen Sie<br />
mal in die Runde, wer von meinen Mitstreitern verheiratet ist, und fragen<br />
Sie weiter, wer schon verheiratet war. Die Antwort bekommen sie von<br />
allen gle<strong>ich</strong>. Dieser Beruf zerstört jede Zweierbeziehung. Und nun lassen<br />
Sie uns weitermachen. Ich muss Trost später noch Rede und Antwort<br />
stehen.«<br />
Ich gab den Technikern noch die Erklärung, wie wir auch an die<br />
Satellitendaten gelangen könnten und wir verabredeten, dass wir morgen<br />
früh schon um sieben Uhr zunächst in Worpswede starten wollten, um<br />
dann den Wagen fest auf dem Unigelände zu stationieren.<br />
Dann machten wir uns über die Daten auf meinem Recorder her, der in<br />
meinem Chefzimmer gestanden hatte und alles zieml<strong>ich</strong> gut überstand.<br />
Was wir dann zu sehen bekamen, war kaum fassbar. Mit dem Öffnen der<br />
Bürotür begann die letzte Übertragung und wir sahen nur ein mit einem<br />
Bildschirmkarton beladenes Skateboard in den Raum gefahren kommen.<br />
Ganz kurz war Frieder Schönherr zu sehen, der dieser merkwürdigen<br />
Fracht noch einen Schubs gab, dass sie aus dem Ges<strong>ich</strong>tsfeld der Kamera<br />
herausrollte. Dann drehte s<strong>ich</strong> der Junge wortlos wieder um und verließ<br />
das Zimmer. Die Tür war wieder hinter ihm zugefallen. Dann passierte<br />
einen Augenblick gar n<strong>ich</strong>ts mehr. Danach waren ein Feuerball und ein<br />
ohrenbetäubender Knall im Raum und die Übertragung brach ab. Beide<br />
Kameras lagen zu dem Zeitpunkt schon völlig zerstört als Kleinstteile im<br />
Raum.<br />
»Ich habe heute Nachmittag mit einem völlig verstörten Dr. Schönherr<br />
zusammengesessen. Er ist über die Tat seines Sohnes und natürl<strong>ich</strong> über<br />
seinen Tod zutiefst veruns<strong>ich</strong>ert. Er ber<strong>ich</strong>tete von dem kurzfristig<br />
angesetzten Weihnachtsurlaub mit seinem Sohn in die Karibik. Er glaubte,<br />
dass sein Sohn über die ärgste Krise nach seinem Liebeskummer hinweg<br />
gewesen sei, denn er habe dort sogar mit einer jungen Einheimischen<br />
wieder flirten können, und Dr. Schönherr war s<strong>ich</strong> sogar zieml<strong>ich</strong> s<strong>ich</strong>er,<br />
dass Frieder mit der Frau auch geschlafen hätte.<br />
Ich habe Dr. Schönherr auch nach dem Freundeskreis seines Sohnes<br />
befragt. Schönherr wusste relativ wenig über diesen Kreis, wusste aber zu<br />
ber<strong>ich</strong>ten, dass Frieder zu einem Kreis gehört hätte, der etwas älter als<br />
Frieder gewesen sei und auch schon Mal Partys feierte, die bis in die frühen<br />
Morgenstunden gingen.<br />
276
Manchmal hätte er auch gesagt, dass er bei Freunden übernachten<br />
würde. Meistens war das dann der zwei Jahre ältere Jan Hertsch gewesen,<br />
bei dem er blieb. Da Schönherr die Familie Hertsch auch von anderen<br />
gesellschaftl<strong>ich</strong>en Begegnungen kannte, wandte er n<strong>ich</strong>ts dagegen ein. Jan<br />
hätte auch ein paar Mal bei Frieder übernachtet, und so habe er diese<br />
Partys bei Hertsch als eine normale Sache angesehen.<br />
Ich habe mir daraufhin später diese Birgit Frings vorgenommen und die<br />
wusste zu ber<strong>ich</strong>ten, dass es auf diesen Partys wohl recht locker zuging. Sie<br />
sei zwar nur zweimal mit Frieder dort gewesen, weil ihr Homer zuriet, um<br />
den jungen Frieder zufrieden zu stellen. Aber jedes Mal sei dort ganz schön<br />
gekifft worden und die Mädels hätte man s<strong>ich</strong> ehrl<strong>ich</strong> geteilt. Mit anderen<br />
Worten, zu später Stunde war Rudelbumsen angesagt. Sie sei dann durch<br />
den Jan Hertsch jedes Mal wenigstens entschädigt worden, meinte sie<br />
zynisch. Es schien, als wenn sie s<strong>ich</strong> sogar vorstellen konnte, den Jan gegen<br />
ihren Homer einzutauschen, aber der hätte s<strong>ich</strong> scheinbar aus Mädchen<br />
sowieso n<strong>ich</strong>ts gemacht, aber im Bett wäre er eine Kanone gewesen. So<br />
jedenfalls die Aussagen dieser Dame.<br />
Als <strong>ich</strong> sie befragte, wie sie zu der Meinung gekommen sei, dass Jan s<strong>ich</strong><br />
n<strong>ich</strong>t allzu viel aus weibl<strong>ich</strong>en Wesen machte, hat sie nur geantwortet: »Er<br />
hat sie genommen, und hat sie dann einfach weggeworfen und<br />
gedemütigt, indem er ihnen sagte, was für Nutten sie doch seien. Sie selbst<br />
war zwar auch als Nutte beze<strong>ich</strong>net worden, aber sie trotzte ihm ein wenig,<br />
indem sie ihm dann einfach Geld abverlangte. Das schien ihm imponiert zu<br />
haben und habe ihr Geld gegeben und sie dann noch heftiger<br />
rangenommen. Das hätte dann beiden eine gewisse Genugtuung gegeben.<br />
Sie bekam das Geld und ihre Befriedigung, und er bekam seine<br />
Vorstellung, dass er nur eine Nutte benutzte.<br />
Aber so bin <strong>ich</strong> auch darauf gekommen, dass die Information, dass s<strong>ich</strong><br />
die Bremer Polizei näher mit Max Svetlov befassen wollte, gar n<strong>ich</strong>t aus<br />
Polizeikreisen gekommen sein muss. Vater Schönherr erzählte von dem<br />
Abgang im Polizeipräsidium, den Sie inszenierten, <strong>Teufel</strong>, seinem Sohn,<br />
der es umgehend seinem Busenfreund Jan erzählte, der wohl doch weitaus<br />
mehr über die Machenschaften seines Vaters weiß, als wir bisher vermuten<br />
konnten.<br />
Der hatte n<strong>ich</strong>ts Eiligeres zu tun als seinen Vater damit zu drohen, dass<br />
er jetzt auffliegen würde. So stelle <strong>ich</strong> mir das in der Zwischenzeit vor.«<br />
Ich nickte während seiner Sätze zustimmend. Das war eine Theorie, die<br />
genau in meine Überlegungen passte.<br />
277
Sohn Jan bekam natürl<strong>ich</strong> mit, was sein Vater veranlasst hatte und <strong>ich</strong><br />
nahm an, dass Jan jetzt wenigstens als Komplize seines Vaters gelten<br />
wollte, und somit eine gewisse Anerkennung von ihm erhalten würde.<br />
Scheinbar re<strong>ich</strong>te das aber im Sinne des Sohnes n<strong>ich</strong>t aus, und er ersann<br />
s<strong>ich</strong> die Sache, mit der Attacke gegen Anna, nur um zu beweisen, dass er<br />
ein großer Planer war. Und dass er etwas gegen m<strong>ich</strong> unternehmen musste,<br />
war schon fast eine Selbstverständl<strong>ich</strong>keit. Da gab es gle<strong>ich</strong> mehrere<br />
Punkte, für die er s<strong>ich</strong> rächen musste. Als Erstes zog <strong>ich</strong> seine so willige<br />
Nutte, an der er seine Verachtung gegenüber dem weibl<strong>ich</strong>en Geschlecht<br />
am besten austoben konnte, aus dem Verkehr. Zum Zweiten ohrfeigte <strong>ich</strong><br />
ihn öffentl<strong>ich</strong>, als <strong>ich</strong> ihn beim Klauen erwischte, und <strong>ich</strong> musste auch noch<br />
mit ansehen, wie seine Mutter ihn demütigte, indem sie ihn ebenfalls in<br />
meiner Gegenwart ohrfeigte. N<strong>ich</strong>t genug damit, <strong>ich</strong> versaute ihm auch<br />
noch seinen großen Coup mit Anna, als <strong>ich</strong> Egli ins Rennen schickte und<br />
verhinderte, dass Anna aus dem Polizeidienst flog. Er plante erneut und<br />
<strong>ich</strong> war mir s<strong>ich</strong>er, dass Frieder n<strong>ich</strong>t wusste, was er in dem<br />
Bildschirmkarton eines großen Discounters in Wirkl<strong>ich</strong>keit transportierte.<br />
Der glaubte s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong>, mir würde das Ding vor meiner Nase implodieren,<br />
weil Jan <strong>daran</strong> herummanipulierte.<br />
Aber <strong>ich</strong> war zieml<strong>ich</strong> s<strong>ich</strong>er, dass Frieder n<strong>ich</strong>t ahnte, dass er viele Kilo<br />
hochbrisanten Sprengstoff in mein Büro schob. Und jetzt war <strong>ich</strong> auch<br />
zieml<strong>ich</strong> s<strong>ich</strong>er, dass Jan bewusst die Zündung so vornahm, dass Frieder<br />
dabei umkommen musste. Denn der hätte viel zu viel gewusst. Und s<strong>ich</strong>er<br />
sein, ob Frieder den Mund halten würde, nach solch einem Ausgang,<br />
konnte er wirkl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t. Ganz langsam kam das Grauen in mir hoch, weil<br />
<strong>ich</strong> das Ausmaß erkannte, wie krank der Junge durch seine Eltern gemacht<br />
worden war.<br />
Dieser gekränkte und immer missachtete Junge, der nach Zuneigung<br />
gierte, aber nie bekam, wurde gefährl<strong>ich</strong>er als sein Vater, der ja »nur«<br />
einzelne Menschen ermorden ließ, und n<strong>ich</strong>t willkürl<strong>ich</strong> eine<br />
Menschenmasse opfern wollte, nur um sein Geltungsbedürfnis zu<br />
befriedigen. Ein weiterer Gedanke schoss in meinen Kopf und <strong>ich</strong> fragte in<br />
die Runde: »Wann geschah eigentl<strong>ich</strong> der erste Frauenmord hier im<br />
Bürgerpark?«<br />
»Einen Tag vor deiner Eröffnungsfeier, warum fragst du«, wollte Anna<br />
wissen.<br />
»Ich habe nur überlegt, ob diese sinnlose Tat n<strong>ich</strong>t auch in das Schema<br />
passen könnte, die Polizei an den verschiedensten Einsatzorten zu<br />
beschäftigen, um an ganz anderer Stelle etwas noch viel Größeres<br />
abzuwickeln. Aber <strong>ich</strong> scheine m<strong>ich</strong> vom Zeitablauf her zu irren.«<br />
278
Das brachte die Logik meiner Überlegungen dann doch durcheinander,<br />
denn die öffentl<strong>ich</strong>e Ohrfeige gab es erst am Abend der Eröffnungsfeier.<br />
Wie sehr r<strong>ich</strong>tig <strong>ich</strong> mit meinen Überlegungen lag, stellte s<strong>ich</strong> später erst<br />
heraus. Keiner hatte näml<strong>ich</strong> die Le<strong>ich</strong>e einer jungen Frau, die ebenfalls<br />
brutal mit Messerst<strong>ich</strong>en ermordet, aber auch total von den Rädern von<br />
rangierenden Güterwagen entstellten Toten auf dem Hamburger<br />
Rangierbahnhof auf der Rechnung.<br />
Diese Frau wies zwar die gle<strong>ich</strong>en typischen Merkmale, wie die Tote im<br />
Bürgerpark auf, aber da ein Informationsaustausch zwischen den Bremer<br />
und Hamburger Kollegen n<strong>ich</strong>t erfolgt war, konnten keine<br />
Zusammenhänge konstruiert werden. Und dennoch war diese Frau im<br />
letzten Zug nach Hamburg hier im Waggon ermordet worden und war bis<br />
nach Hamburg, wo der Zug endete, gelandet. Der Mann vom<br />
Reinigungspersonal, der sie am nächsten Tag fand, benachr<strong>ich</strong>tigte n<strong>ich</strong>t<br />
die Polizei, weil er ein vorbestrafter Triebtäter war. Er hievte die Le<strong>ich</strong>e<br />
ledigl<strong>ich</strong> aus dem Zug, und schleifte sie mehrerer Gleise weiter. Hier<br />
verlief die Hauptstrecke der Rangierfahrten ohne Lokomotivbegleitung.<br />
Die Waggons wurden nur je nach Bestimmungsort über die We<strong>ich</strong>en<br />
geschoben, um s<strong>ich</strong> dann mit eigener Kraft zusammenzukoppeln.<br />
Erst als der Gesamtzug, der so entstanden war, abgeholt werden sollte,<br />
entdeckte man die Le<strong>ich</strong>e der Frau dort auf den Gleisen.<br />
Kein Mensch war auf die Idee gekommen, dass sie schon in Bremen<br />
ermordet worden war.<br />
Diese Le<strong>ich</strong>e fand man am Samstag, also zwei Tage nach meiner<br />
Eröffnungsfeier.<br />
Auch wenn mit der Theorie, dass Schönherr ungewollt der Informant<br />
gewesen sei, es noch n<strong>ich</strong>ts bewiesen war, dass es keine Informationen aus<br />
den Reihen der Rauschgiftermittler gab, gingen die Beamten aus<br />
Wiesbaden jetzt mehrheitl<strong>ich</strong> davon aus, dass es keinen »Maulwurf« in<br />
Annas Abteilung gab.<br />
Ich war allerdings immer noch der Meinung, dass es dort ein Leck geben<br />
müsse, denn wie sonst hätte der Mord an dem Gerätehändler passieren<br />
und die Giftflasche in Annas Tasche landen können. Niemand in unserer<br />
Runde konnte s<strong>ich</strong> vorstellen, mit welcher Tollkühnheit vorgegangen<br />
worden war. Und dabei war sogar in Kauf genommen worden, dass es gar<br />
n<strong>ich</strong>t den Gerätehändler erwischen würde. Dass dies so war, war nur ein<br />
weiterer Glücksfall gewesen. Dass zudem der Gerätehändler gar n<strong>ich</strong>ts<br />
Wesentl<strong>ich</strong>es hätte aussagen können, stellten wir ebenfalls erst viel später<br />
fest.<br />
279
Diese Aufnahmen bestätigten eigentl<strong>ich</strong> nur, was wir schon vermuteten.<br />
Frieder war derjenige gewesen, der das Sprengstoffpaket ins Büro brachte.<br />
Ich fragte m<strong>ich</strong> allerdings, wie er das schwere Paket überhaupt in die<br />
Baumwollbörse geschafft haben konnte, und machte Kaufmann darauf<br />
aufmerksam.<br />
Er sollte die Pförtner am Haupteingang der Börse befragen. Mir kam<br />
noch eine weitere Idee. Wir sollten die Überwachungskameras des<br />
Parkhauses überprüfen, denn es konnte ja sein, dass die Kiste in einem<br />
PKW befördert worden war, und von dort aus ins Gebäude gekommen<br />
war. Auf diese Art konnten wir dann den oder die Mittäter ebenfalls<br />
ermitteln.<br />
Kaufmann nickte nur und meinte: »Das werde <strong>ich</strong> sofort veranlassen,<br />
bevor die Bänder mögl<strong>ich</strong>erweise schon wieder neu bespielt werden.<br />
Fermont und Höppner, gehen Sie direkt hinüber und beschlagnahmen die<br />
Bänder des gestrigen Tages und bringen sie die zur Auswertung ins<br />
Präsidium.«<br />
Die beiden Männer erhoben s<strong>ich</strong> und zogen los.<br />
Wenig später gingen auch die übrigen Beamten und Kaufmann. Anna<br />
und <strong>ich</strong> sahen uns an und wussten, dass wir jetzt nur untätig warten<br />
konnten, was weiter passierte.<br />
Ich holte uns jeweils eine Flasche Bier und wir tranken uns aus der<br />
Flasche trinkend zu. Anna meinte nur: »Ich lege m<strong>ich</strong> schon hin, du solltest<br />
vielle<strong>ich</strong>t noch einmal versuchen Charlotte zu erre<strong>ich</strong>en und d<strong>ich</strong> mit ihr<br />
am Telefon aussprechen.«<br />
Anna ging ins Schlafzimmer und <strong>ich</strong> hockte zieml<strong>ich</strong> unentschlossen vor<br />
dem Telefon, bevor <strong>ich</strong> anfing, Tifferts Nummer zu wählen. Charlotte war<br />
dort schon gegangen und ihr Handy, auf der <strong>ich</strong> dann versuchte<br />
anzurufen, war ausgeschaltet. Ich konnte nur eine Nachr<strong>ich</strong>t auf den<br />
Anrufbeantworter sprechen.<br />
Müde holte <strong>ich</strong> mir ein weiteres Bier und trank es langsam aus. Dann<br />
ging <strong>ich</strong> auch ins Schlafzimmer. Anna schlief schon.<br />
280
31<br />
Anschle<strong>ich</strong>en<br />
Pünktl<strong>ich</strong> kam <strong>ich</strong> zu meiner Verabredung zum Kastenwagen auf dem<br />
Busparkplatz. Ich setzte m<strong>ich</strong> kaum hinters Steuer, als die vier Beamten aus<br />
der Böttcherstraße um die Ecke bogen und m<strong>ich</strong> begrüßten. So<br />
ungewöhnl<strong>ich</strong> es auch scheinen mochte, Kaufmann schien ihnen gesagt zu<br />
haben, dass <strong>ich</strong> der Boss des Unternehmens war, denn der älteste von<br />
ihnen, sagte: »Es kann losgehen Boss!«<br />
Die beiden Männer, die Kaufmann gestern mit Fermont und Höppner<br />
ansprach, kamen zu mir in die Fahrerkabine und die beiden anderen<br />
stellten s<strong>ich</strong> als Clemens und Gerstemeier vor. Die Ersteren waren noch<br />
relativ junge Männer, und Clemens war der Älteste. Er war bestimmt<br />
schon kurz vor der Pensionsgrenze, machte aber einen ausgesprochen<br />
fitten Eindruck. Gerstemeier war auch schon bestimmt fünfzig Jahre und<br />
besaß einen völlig kahlen Kopf. Er war der einzige Brillenträger, aber<br />
hinter diesen Gläsern blitzten helle wache Augen. Er war der Funkexperte.<br />
Wir alle trugen dunkle Jeans, schwarze Lederjacken und Turnschuhe<br />
und sahen aus wie Türsteher einer Diskothek. Ich witzelte darüber und<br />
Clemens meinte nur: »Ich glaube, <strong>ich</strong> kenne ein paar schmutzige Tricks<br />
mehr, als die Burschen, die vor solchen »Zappelbuden« stehen. Und <strong>ich</strong><br />
könnte denen die ganze aufwendige Technik in Sekunden lahmlegen.«<br />
Alle vier hatten Le<strong>ich</strong>tmetallkoffer bei s<strong>ich</strong> gehabt und <strong>ich</strong> fragte sie, was<br />
darin sei. Fermont grinste m<strong>ich</strong> nur an und sagte: »Unsere beliebtesten<br />
Spielzeuge. Spezialwerkzeuge der Telekom und solche Dinge eben. Damit<br />
finden wir die r<strong>ich</strong>tigen Leitungen in Sekunden, obwohl n<strong>ich</strong>t darauf<br />
gesprochen wird.<br />
Damit wusste <strong>ich</strong> schon bescheid. Geräte, wie sie auch hier in den<br />
Unterbodenschubkästen des Wagens verstaut waren. Das einzige Problem<br />
was wir noch überwinden mussten war die Stromversorgung der<br />
Überwachungskamera und <strong>ich</strong> fragte: »Ihr habt doch schon die<br />
Telefonleitungen angezapft, wisst ihr auch schon, woher wir den Strom<br />
bekommen für den Betrieb des Senders. Clemens lachte leise und sagte:<br />
»Den holen wir uns direkt beim Versorger. Zwei Häuser weiter als das<br />
Zielobjekt. Der direkte Nachbar hat uns schon seinen Fahnenmast als<br />
Wetterstation überlassen. Auf der Spitze werden wir eine<br />
Windmesseinr<strong>ich</strong>tung setzen und die Kamera kommt unauffällig direkt<br />
darunter.<br />
281
Wird so aussehen als gehöre sie zur Ausrüstung des kleinen Windrades.<br />
Wir sind Beamte des Umweltministeriums, du n<strong>ich</strong>t auch?«<br />
»<strong>Wenn</strong> uns die Sendeleistung n<strong>ich</strong>t ausre<strong>ich</strong>en sollte, haben wir schon<br />
die Genehmigung des Funknetzbetreibers, dass wir einen weiteren<br />
Zwischensender an dem Funkturm auf dem Weiherberg anbringen dürfen.<br />
Hat Kaufmann gestern alles schon geregelt«, ergänzte Gerstemeier.<br />
»Und <strong>ich</strong> darf wieder wie ein Affe auf den Fahnenmast klettern. Gut, das<br />
es n<strong>ich</strong>t regnet und auch n<strong>ich</strong>t so kalt ist. Ich habe auch keine Masthalter<br />
dabei, und mit Handschuhen kannst du auch n<strong>ich</strong>t arbeiten bei den kleinen<br />
Fummeldingern«, meinte Fermont.<br />
»Ich würde ja unheiml<strong>ich</strong> gerne dort in den Innenräumen eine<br />
freundl<strong>ich</strong>e Wanze anbringen«, sinnierte <strong>ich</strong> laut vor m<strong>ich</strong> hin.<br />
»Dafür haben wir aber kein grünes L<strong>ich</strong>t, <strong>Teufel</strong>.«<br />
»Müsst ihr denn alles wissen, was <strong>ich</strong> mache?«<br />
Wieder hörte <strong>ich</strong> Clemens hinten lachen. Er sagte aber n<strong>ich</strong>ts dazu.<br />
Das Haus lag im Dunkeln, als wir <strong>daran</strong> vorüberfuhren. Ich fragte:<br />
»Habt ihr besondere S<strong>ich</strong>erungsmaßnahmen feststellen können, als ihr<br />
gestern beim Nachbarn ward?«<br />
»Nee, das scheint es auf jeden Fall keine Außenüberwachung zu geben.<br />
Ob allerdings innen eine Alarmanlage installiert ist, wissen wir n<strong>ich</strong>t. Aber<br />
wenn du nahe genug rankommst, kannst du es dir ja ausmessen.«<br />
Ich steckte mir eine der batteriebetriebenen Minikameras ein, die wir<br />
damals bei Benz schon einsetzten, und stellte die Frequenz auf die<br />
Frequenz der anderen Kameras ein und schl<strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> schon davon,<br />
während die anderen noch die Stromversorgung s<strong>ich</strong>erstellten.<br />
Was <strong>ich</strong> machen wollte, war natürl<strong>ich</strong> außerordentl<strong>ich</strong> gewagt, weil <strong>ich</strong><br />
n<strong>ich</strong>ts über diese Frau wusste. Ich wusste n<strong>ich</strong>t, ob sie dort allein lebte,<br />
oder ob sie verschiedene Bedienstete beschäftigte. Das Haus war jedenfalls<br />
n<strong>ich</strong>t so groß, als das man vermuten konnte, dass hier noch Heerscharen<br />
von Bediensteten mit wohnten. Der Garten war zwar gut gepflegt, brauchte<br />
aber jetzt im Winter keiner Wartung. Ein Gärtner war n<strong>ich</strong>t zu erwarten.<br />
Aber eventuell gab es eine Haushälterin, die m<strong>ich</strong> natürl<strong>ich</strong> überraschen<br />
konnte.<br />
Auf der Rückseite des Hauses, von der <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> anschl<strong>ich</strong>, brannte jetzt<br />
L<strong>ich</strong>t. Ich konnte eine dunkelhaarige Frau in der Küche hantieren sehen.<br />
Sie trug einen Morgenrock und bereitete scheinbar ein Frühstück. Dann<br />
verschwand sie wieder.<br />
Wenig später ging im oberen Stockwerk L<strong>ich</strong>t an, und <strong>ich</strong> konnte<br />
verschwommen hinter dem Milchglas des Fensters kurz einen nackten<br />
weibl<strong>ich</strong>en Körper erspähen.<br />
282
Es schien s<strong>ich</strong> um einen ausgesprochen weibl<strong>ich</strong>en Körper zu handeln,<br />
denn der kurze Blick auf ihr seitl<strong>ich</strong>es Profil zeigte einen ausgeprägten<br />
Busen. Ich kam mir vor wie ein Spanner, der <strong>ich</strong> in Wirkl<strong>ich</strong>keit sogar noch<br />
in viel schlimmerer Form war. Ich wollte diese Frau noch wesentl<strong>ich</strong><br />
genauer beobachten. Ganz wohl war mir dabei n<strong>ich</strong>t, denn noch gab es nur<br />
Vermutungen, dass sie in die ganze Gesch<strong>ich</strong>te verstrickt war.<br />
Es dauerte n<strong>ich</strong>t sehr lange, dann erschien sie wieder in der Küche. Jetzt<br />
trug sie ein dunkelgraues Hosenkostüm. Sie trank ihren Kaffee im Stehen<br />
und biss von etwas ab, was <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t erkennen konnte. Kurz darauf<br />
verlöschte das L<strong>ich</strong>t und sie war verschwunden. Dass sie s<strong>ich</strong> ihr Frühstück<br />
selbst bereitete machte mir Mut, denn dann war es unwahrscheinl<strong>ich</strong>, dass<br />
eine Hausangestellte hier im Hause wohnte. Vielle<strong>ich</strong>t kann sie später.<br />
Dann leuchteten die Scheinwerfer eines Autos auf der Auffahrt auf und<br />
<strong>ich</strong> hörte das automatische Schließen einer Garagentür. Dem<br />
Motorengeräusch nach zu urteilen fuhr die Frau einen Mercedes. Das<br />
verwirrte m<strong>ich</strong> einen Augenblick, denn <strong>ich</strong> fand doch heraus, dass sie<br />
Porschefahrerin war. Die Scheinwerferl<strong>ich</strong>ter entfernten s<strong>ich</strong> und alles war<br />
wieder dunkel.<br />
Ich huschte direkt ans Haus und die Frau machte es mir wirkl<strong>ich</strong> le<strong>ich</strong>t.<br />
Das Küchenfenster war gekippt. Es war für m<strong>ich</strong> keine Schwierigkeit das<br />
Fenster zu öffnen und dort einzusteigen. Der Kaffeeduft war noch frisch<br />
und erinnerte m<strong>ich</strong> <strong>daran</strong>, dass <strong>ich</strong> heute Morgen n<strong>ich</strong>ts gefrühstückt hatte.<br />
Meine Turnschuhe zog <strong>ich</strong> vor dem Fenster aus, um keine verräterischen<br />
Spuren zu hinterlassen. Selbstverständl<strong>ich</strong> trug <strong>ich</strong> an den Händen<br />
Latexhandschuhe. Ich bewegte m<strong>ich</strong> schnell und fand auch sofort den<br />
großen Wohn- und Arbeitsraum der Dame. Ein großes Wandbild mit einer<br />
Landschaft war ideal geeignet, meine Kamera zu verstecken. Ich wählte<br />
den weitesten Winkel der Objektiveinstellung und war zieml<strong>ich</strong> s<strong>ich</strong>er,<br />
dass <strong>ich</strong> fast jeden Winkel dieses Raumes erfasste. Nur die direkt darunter<br />
stehende Couch konnte <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t mit erfassen. Ich sah m<strong>ich</strong> nochmals im<br />
Raum um, und dann entschied <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong>, die Kamera doch noch<br />
umzusetzen. Ich klemmte sie le<strong>ich</strong>t schräg oben ins Bücherregal, sodass <strong>ich</strong><br />
den Arbeitsplatz besser ins Blickfeld bekam.<br />
Diese zusätzl<strong>ich</strong>e Zeit, die <strong>ich</strong> dafür gebrauchte, hätte fast dazu geführt,<br />
dass man m<strong>ich</strong> im Haus erwischt hätte. Ich war zwar schon wieder in der<br />
Küche, als <strong>ich</strong> das Türschloss rasseln hörte und kletterte geschwind aus<br />
dem Fenster und duckte m<strong>ich</strong> und schl<strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> mit meinen Schuhen in der<br />
Hand seitl<strong>ich</strong> zur Hausecke. Keinen Moment zu früh, denn in der Küche<br />
ging wieder das L<strong>ich</strong>t an, und <strong>ich</strong> hätte direkt im L<strong>ich</strong>tkreis gestanden.<br />
283
Ich hörte eine Frauenstimme schimpfen: »So ein Le<strong>ich</strong>tsinn. Ich hab ihr<br />
schon so oft gesagt, dass sie das Fenster schließen soll, wenn <strong>ich</strong> noch n<strong>ich</strong>t<br />
da bin. Es gibt so viele schlechte Menschen. Nachher komme <strong>ich</strong> hier an<br />
und ein Einbrecher sitzt hier schon im Haus und wartet nur darauf m<strong>ich</strong> zu<br />
vergewaltigen und umzubringen.«<br />
Ich verzog m<strong>ich</strong> seitl<strong>ich</strong> vom Haus wieder in den rückwärtigen Garten<br />
und konnte die Frau nun sehen. Sie war bestimmt schon über sechzig und<br />
sehr dick. Ich musste grinsen, denn vielle<strong>ich</strong>t erhoffte sie s<strong>ich</strong> insgeheim<br />
noch einen Mann, der s<strong>ich</strong> an sie heranwagte. Das Fenster war nun wieder<br />
geschlossen und wenig später ging auch im Wohnzimmer L<strong>ich</strong>t an, und <strong>ich</strong><br />
eilte zum Wagen, um zu kontrollieren, ob meine Kamera funktionierte.<br />
Sie arbeitete einwandfrei und <strong>ich</strong> konnte die dicke Frau beim<br />
Aufräumen beobachten. Ich war hochzufrieden mit meiner Arbeit und<br />
steckte mir eine Zigarette an und wartete auf meine Mitstreiter. Ich konnte<br />
inzwischen Umschalten und erhielt auch ein Bild vom Eingangsbere<strong>ich</strong> des<br />
Hauses. Ich verz<strong>ich</strong>tete im Moment noch darauf die Schwenk- und<br />
Zoomeinr<strong>ich</strong>tung der Kamera zu probieren. Ich wollte n<strong>ich</strong>t, dass s<strong>ich</strong><br />
Fermont die Finger klemmte. Eine Viertelstunde später waren alle wieder<br />
versammelt und Gerstemeier schlug vor, dass wir sofort weiter zum<br />
Funkturm auf dem Weiherberg fahren sollten, um den Sendeverstärker<br />
dort zu aktivieren. Er wollte es einfach vorsorgl<strong>ich</strong> tun, damit wir n<strong>ich</strong>t<br />
später vielle<strong>ich</strong>t noch ein zweites Mal hier nach Worpswede mussten.<br />
Die Vier waren dort eine kleine Weile beschäftigt und es wurde langsam<br />
hell. Ich machte mir die ganze Zeit schon Gedanken, woher Jan Hertsch<br />
wohl den Sprengstoff bezogen hatte und was für ein Zeug es überhaupt<br />
gewesen war. Darüber müsste Kaufmann inzwischen Erkenntnisse<br />
gewonnen haben. Ich rief ihn auf seiner Handynummer an und er sagte<br />
nur knapp: »Ich rufe <strong>zurück</strong>, Herr Trost.«<br />
Ich war mir s<strong>ich</strong>er, dass er sehen konnte, wer ihn anrief, und <strong>ich</strong> konnte<br />
mir auch vorstellen, dass Trost ihn über ein ganz normales Telefon im<br />
Präsidium anrief. Ich überlegte mir deshalb, mit wem er wohl gerade im<br />
Gespräch gewesen war, den er damit täuschen wollte. Es konnte eigentl<strong>ich</strong><br />
nur jemand aus dem Präsidium gewesen sein. Ich konnte n<strong>ich</strong>t ahnen, dass<br />
Kaufmann in einer Konferenz der Einsatzleiter der verschiedenen<br />
Abteilungen steckte, in der er seine Sonderstellung geltend machen musste,<br />
weil man darauf beharrte, dass endl<strong>ich</strong> gegen diese Wagenfeld und gegen<br />
<strong>Teufel</strong> vorgegangen werden sollte. Es wäre doch wohl eindeutig bewiesen,<br />
dass Anna Wagenfeld den Mann mit dem Gift aus der Giftflasche in ihrer<br />
Handtasche ermordete.<br />
284
Und <strong>ich</strong> sei ihr Helfershelfer, machte s<strong>ich</strong> Waldtmann wieder einmal<br />
stark. Selbst Emde und Frau Amelungen sagten zu Kaufmann: »Herr<br />
Kaufmann, wir halten n<strong>ich</strong>ts von Ihrer großen Komplottidee. Sie ist doch<br />
viel zu weit hergeholt. Und wie wollen Sie denn wohl beweisen, dass die<br />
Morde an dem Svetlov und dem Georgier und Herrn Bauer<br />
zusammenhängen. Es gilt doch wohl als erwiesen, dass es Bauer war, der<br />
die Mörder gerufen hat.«<br />
»Frau Amelungen, <strong>ich</strong> gehe sogar noch weiter, dass näml<strong>ich</strong> die<br />
Frauenmorde und das Attentat auf das Büro von <strong>Teufel</strong> aus einer Quelle<br />
stammen. Sie sollten Ihre Ermittlungen n<strong>ich</strong>t zu sehr auf diesen Jogger dort<br />
im Park fokussieren, sondern die Überwachungsvideos der Bahnhöfe<br />
einmal auf ein- und aussteigende Jugendl<strong>ich</strong>e überprüfen, wenn es diese<br />
Videos überhaupt noch gibt, und n<strong>ich</strong>t längst wieder überspielt sind.<br />
Dieser <strong>Teufel</strong> und Frau Wagenfeld bleiben jedenfalls unter unserem<br />
Verschluss. Wir wissen jedenfalls jetzt, dass die Bombe von Frieder<br />
Schönherr in die Agentur von <strong>Teufel</strong> gebracht wurde, und wir wissen, dass<br />
er sie n<strong>ich</strong>t gezündet haben kann. Also gibt es Komplizen, und nach<br />
unseren Erkenntnissen besaß Schönherr keine Kontakte zu irgendeiner<br />
Terrorgruppe. Sie sollten seinen Umgang einmal unter die Lupe nehmen.«<br />
»Sie meinen seine Mitschüler?«<br />
»Und den ganzen Kreis der Partyteilnehmer bei den Veranstaltungen<br />
des jungen Hertsch. Ja, das meine <strong>ich</strong>.«<br />
»Aber es gibt doch überhaupt keine Hinweise auf einen mögl<strong>ich</strong>en<br />
Täterkreis aus dieser Ecke. Das sind alles Kinder hoch geachteter Bremer<br />
Bürger«, wollte Emde die Entwicklung des Gesprächs abwürgen.<br />
»Wovon immerhin einer in der Lage war, eine riesiges Sprengstoffpaket<br />
zu schnüren und <strong>Teufel</strong> ins Büro zu karren. Finden Sie heraus, wer in<br />
diesen Kreisen Zugang zu Sprengstoff hat und wer in der Lage ist<br />
Funkzünder zu besorgen oder selbst zu bauen, dann kommen Sie auch der<br />
Tätergruppe auf die Spur. Schönherr kann unmögl<strong>ich</strong> ein Fünfzigkilopaket<br />
im häusl<strong>ich</strong>en Keller mit diesem hochbrisanten Zeug zusammengestellt,<br />
einen Funkzünder gebaut und quer durch die Stadt getragen haben. Da<br />
gibt es Helfer, und das waren nach unseren Einschätzungen keine<br />
Erwachsenen, denn dort war der Kreis Schönherrs eher eingeschränkt.«<br />
»Könnte man den Jungen n<strong>ich</strong>t auch als Boten missbraucht haben«,<br />
wollte Frau Amelungen wissen.<br />
»Diese Mögl<strong>ich</strong>keit gibt es schon, aber die Einzige, die ihn früher dazu<br />
hätte verleiten konnte, sitzt hier im Untersuchungsgefängnis. Und selbst<br />
die und ihr Beschützer haben nachweisl<strong>ich</strong> keine Beziehungen zu<br />
terroristischen Gruppen.<br />
285
Die waren auf die schnelle Mark im Drogengeschäft fixiert.«<br />
»Und welche Feinde hat s<strong>ich</strong> <strong>Teufel</strong> eventuell während seiner<br />
Abwesenheit und so genannten »Lehrzeit« geschaffen? Was wissen Sie<br />
über ihn und seine Feinde? <strong>Wenn</strong> meine Informationen stimmen, hat er<br />
s<strong>ich</strong> mit einer sehr mächtigen Gruppe in den USA angelegt, könnte die<br />
n<strong>ich</strong>t jetzt <strong>zurück</strong>geschlagen haben«, warf Waldtmann ein.<br />
»Und diese Gruppe sucht s<strong>ich</strong> den Jungen Schönherr und beauftragt ihn,<br />
das Paket dort abzuliefern?«<br />
»Ausschließen können Sie es n<strong>ich</strong>t, Kaufmann. Oder?«<br />
»Nein, auch das ist n<strong>ich</strong>t auszuschließen, entzieht s<strong>ich</strong> aber jeder Logik,<br />
weil nach meinen Informationen durch das FBI, diese Gruppe vollständig<br />
zerschlagen wurde. Was n<strong>ich</strong>t auszuschließen wäre, ist, dass s<strong>ich</strong> ein<br />
Sympathisant dieser Gruppe hier in Deutschland mit Hilfe von dem<br />
enttäuschten Schönherr an ihm rächen wollte. Nur ist das alles viel zu<br />
nebulös. Hier in Bremen gibt es im Umfeld von Frieder Schönherr<br />
wesentl<strong>ich</strong> offenere Ansatzpunkte. Sind die Untersuchungen der<br />
Handtasche von Frau Wagenfeld jetzt endgültig abgeschlossen? Haben s<strong>ich</strong><br />
dort neue Spuren an der Oberfläche der Tasche ergeben? Sind wirkl<strong>ich</strong> alle<br />
Spuren, die s<strong>ich</strong> zu einer DNA-Analyse eignen würden s<strong>ich</strong>ergestellt?«<br />
Dies wusste keiner der Teilnehmer an diesem Treffen mit S<strong>ich</strong>erheit zu<br />
sagen.<br />
Emde beendete die Konferenz und nahm Kaufmann beiseite. »Was<br />
erwartet Wiesbaden jetzt von uns«, wollte er wissen.<br />
»Herr Emde, setzen Sie ein Team auf Jan Hertsch an. Dieses Team sollte<br />
ihn n<strong>ich</strong>t eine Sekunde aus den Augen lassen. Dabei sollte es egal sei, ob er<br />
die Observation bemerkt, oder n<strong>ich</strong>t.«<br />
Im Wegdrehen meinte Emde nur: »Was für ein Blödsinn. Der Junge<br />
kommt aus hervorragender Familie!«<br />
Aus welch einer »heilen« Welt der Junge stammte, bekamen wir<br />
Techniker gle<strong>ich</strong>, nachdem wir unser Überwachung für das Anwesen der<br />
Hertsch in Oberneuland geschaltet hatten, mit.<br />
Ich störte die von mir entworfene Überwachung durch Funk. Auf den<br />
Monitoren im Inneren des Hauses konnten n<strong>ich</strong>ts mehr empfangen<br />
werden. Das wäre schlecht gewesen, weil <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t mehr den<br />
Terrassenbere<strong>ich</strong> sondern durch Schwenk der Kameras die Innenräume<br />
des Hauses observierte und Hertsch sofort erkannt hätte, das seine Anlage<br />
n<strong>ich</strong>t mehr seinem Schutz, sondern seiner Observierung diente.<br />
Wir sahen Frau Brigitte Hertsch in sehr aufreizendem Negligé vor ihrem<br />
Sohn stehen und hörten, wie sie ihm an den Kopf warf:<br />
286
»Du beze<strong>ich</strong>nest m<strong>ich</strong> als Nutte, nur weil Fister gestern länger hier war,<br />
aber hast n<strong>ich</strong>ts dagegen, wenn dein Vater mit dieser S<strong>ich</strong>etswilli in<br />
Worpswede rummacht.«<br />
»Nein, <strong>ich</strong> hab was dagegen, dass du wie eine Nutte gekleidet vor mir<br />
stehst. Wo <strong>ich</strong> deine Titten und dein Geschlecht so aufreizend vorgeführt<br />
bekomme. Willst du m<strong>ich</strong> wieder stre<strong>ich</strong>eln? Ich will n<strong>ich</strong>t mehr. Und<br />
wenn Papa mit der S<strong>ich</strong>etswilli rumbumst und du hier mit Fister, ist es mir<br />
scheißegal. Ihr seid mir alle so scheißegal.«<br />
»Mach, dass du in Schule kommst.«<br />
»Was soll <strong>ich</strong> da? Mehr als Einsen schreiben kann <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t, und <strong>ich</strong> habe<br />
keine Lust diesen Idioten von Lehrern noch etwas beibringen zu wollen,<br />
was die sowieso nie kapieren. Die können mir doch n<strong>ich</strong>ts mehr<br />
beibringen. Was denn? Doch höchstens noch, wie <strong>ich</strong> mein Potenzial<br />
verschleudere an Nutten wie d<strong>ich</strong> und Hurenböcke wie Vater. Ihr habt<br />
noch n<strong>ich</strong>t einmal so simple Figuren wie Svetlov oder <strong>Teufel</strong> im Griff. Wie<br />
lächerl<strong>ich</strong> <strong>Teufel</strong> damit einfangen zu wollen, dass er hier<br />
S<strong>ich</strong>erheitseinr<strong>ich</strong>tungen einbaut. Den wolltest du doch auch nur in dein<br />
Bett holen. Und überhaupt diesen ehemaligen Trunkenbold, der gewagt<br />
hat m<strong>ich</strong> zu schlagen. Der seine eigene Frau erschossen hat. Der s<strong>ich</strong> in die<br />
Hosen scheißt, wenn du sagst, Vanessa holt d<strong>ich</strong> doch noch. Einer, der<br />
Gerechtigkeit auf seine Fahnen geschrieben hat und noch nie wusste, dass<br />
derjenige Recht hat, der stärker ist? Der heult, wenn etwas seine<br />
Gefühlswelt verletzt? So ein We<strong>ich</strong>ei wolltest du dir ins Bett holen. Ein<br />
Mensch, der n<strong>ich</strong>t denkt, sondern nur fühlt? Du musst so blöd sein.«<br />
Dann drehte er s<strong>ich</strong> scheinbar angewidert um und war aus dem Raum<br />
gegangen.<br />
Mir wurde noch mehr klar, wie sehr dieser junge Mann darunter litt,<br />
überdurchschnittl<strong>ich</strong> intelligent zu sein und von Mutter und Vater<br />
missbraucht zu werden. Und wie sehr es ihn verletzt haben musste, dass<br />
<strong>ich</strong> Gefühle zeigte, die er nie zu sehen und zu spüren bekommen hatte.<br />
Und <strong>ich</strong> ahnte, dass er eine weitere Untat plante. Ich musste ihm<br />
zuvorkommen, aber wusste n<strong>ich</strong>t, wie <strong>ich</strong> das bewerkstelligen sollte, zumal<br />
<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>ts von der Bewachung wusste, die Emde dann doch veranlasste.<br />
Unsere größte Schwierigkeit fanden wir dann in der Auskundschaftung<br />
der Firmenzentrale Hertschs. Wir konnten wirkl<strong>ich</strong> nur die Bewegungen<br />
vor dem Eingang zu dem Gebäude festhalten und das Gle<strong>ich</strong>e auf der<br />
Rückseite des Gebäudes.<br />
287
Es gab wirkl<strong>ich</strong> keinen Weg näher an die Fenster heranzukommen und<br />
selbst die stärkste Zoomeinstellung unserer Kameras re<strong>ich</strong>ten n<strong>ich</strong>t aus, die<br />
Personen wirkl<strong>ich</strong> einwandfrei zu identifizieren, die s<strong>ich</strong> dort hinter den<br />
Fenstern bewegten.<br />
Die Kollegen, die das S<strong>ich</strong>erheitsnetz um den Firmensitz aufbauten,<br />
waren wirkl<strong>ich</strong>e Könner gewesen. Wir standen eigentl<strong>ich</strong> draußen vor und<br />
bekamen keine Chance die Hindernisse zu überwinden. Unsere<br />
Messungen ergaben einen wirkl<strong>ich</strong> d<strong>ich</strong>ten Schutz um das Gebäude, der<br />
mit unseren Mitteln unüberwindl<strong>ich</strong> war. Wir bauten also unsere Kameras<br />
so auf, dass sie wenigstens den Personenverkehr vor dem Haus und hinter<br />
den Fenstern aufze<strong>ich</strong>nen konnte.<br />
Ich überlegte die ganze Zeit, wie man ins Innere des Hauses vordringen<br />
könnte, aber meine Gedanken waren nur immer im Kreis gelaufen, ohne zu<br />
Ergebnissen zu führen. Etwas enttäuscht fuhren wir unsere mobile<br />
Beobachtungsstation auf den festen Standplatz auf den Uni-Gelände. Wir<br />
checkten sämtl<strong>ich</strong>e Kameras und Telefonüberwachungen ab, und es gab<br />
keine Schwierigkeiten. Wir mussten nur noch im Hafen und in<br />
Delmenhorst die Sender einbauen, dann war unser Netz hier in Bremen<br />
perfekt.<br />
Kaufmann verschwieg uns, dass auch die Produktionsstätten in<br />
Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz überwacht wurden.<br />
Ich telefonierte wieder einmal mit Tiffert und klagte ihm mein Leid, das<br />
wir der Firmenzentrale einfach n<strong>ich</strong>t näher kommen konnten. Er<br />
entwickelte dann die einfache Idee: »Lasst einen zierl<strong>ich</strong>en Menschen im<br />
Kofferraum eines Autos mitfahren, der in die Tiefgarage fährt. Dann<br />
können sogar Kameras im Innern des Baues eingebracht werden.<br />
Ansonsten müsst ihr übers Dach in die in die Klimaanlageschächte<br />
kommen, oder was aber schwieriger ist, über die Kanalanlage. Mache<br />
deinen BKA-Leuten diese Ideen klar, dann sollen die sehen, wie sie es<br />
umsetzen können. Hast du inzwischen Kontakt zu Charlotte gehabt?«<br />
»Sie hat ihr Handy ausgeschaltet, wie sollte <strong>ich</strong>«, fragte <strong>ich</strong> bitter.<br />
Und dann explodierte <strong>ich</strong>: »Ich brauche keine Partnerin, die s<strong>ich</strong> zerfrisst<br />
in Eifersucht, <strong>ich</strong> brauche keine moralinsaure Kommentare, <strong>ich</strong> brauche<br />
einen Menschen an meiner Seite, der versteht, was <strong>ich</strong> erre<strong>ich</strong>en möchte.<br />
Der s<strong>ich</strong> selbst n<strong>ich</strong>t so w<strong>ich</strong>tig nimmt, dass er nur seinen Interessen sieht,<br />
sondern das Ziel. Einen Menschen, der m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t an meiner<br />
Vergangenheit misst, sondern m<strong>ich</strong> als Ganzes. Der versteht, dass <strong>ich</strong> zu<br />
lieben im Stande bin und es tue. Der einfach begreift, dass <strong>ich</strong> ein Mensch<br />
bin, der auch Dinge liebt, die längst vergangen sind. Der seine Gefühle aber<br />
immer auf den Menschen überträgt, der ihm im Moment nahen steht.<br />
288
Wie könnte <strong>ich</strong> aufhören, d<strong>ich</strong> als Menschen zu lieben Tiffert? Warum<br />
<strong>ich</strong> Benny und Samantha so in mein Herz geschlossen habe und warum <strong>ich</strong><br />
Vermeer, Mareike und ihr Tochter Nicole über alles liebe. Damit<br />
eingeschlossen ist auch Randy und unendl<strong>ich</strong> viele Menschen, denen <strong>ich</strong><br />
begegnet bin in meinem Leben. N<strong>ich</strong>t weil <strong>ich</strong> ehemals eventuell sexuelle<br />
Kontakte mit ihnen unterhielt, sondern weil <strong>ich</strong> den Menschen gerne habe.<br />
<strong>Wenn</strong> Charlotte dies begreifen würde, könnte sie meine Traumfrau sein,<br />
aber im Moment entwickelt sie s<strong>ich</strong> eher zu meiner Albtraumfrau.«<br />
»Ich werde m<strong>ich</strong> besser mit all meinen Worten <strong>zurück</strong>halten. <strong>Teufel</strong>, das<br />
ist allein eure Sache.«<br />
»Sehr r<strong>ich</strong>tig, nur im Moment völlig unwesentl<strong>ich</strong>. Ich muss Mörder<br />
fangen, um n<strong>ich</strong>t selbst umzukommen. Grüß trotzdem alle schön.«<br />
Wenig später fragte Fermont m<strong>ich</strong>: »Und wie können wir?«<br />
»Als Froschmänner in der Kloake, als blinde Passagiere in Autos, oder<br />
als Engel übers Dach. Du musst dir nur aussuchen, was dir lieber ist.«<br />
Unsere abendl<strong>ich</strong>e Lagebesprechung mit Kaufmann erbrachte eigentl<strong>ich</strong><br />
auch n<strong>ich</strong>ts, außer dass er sagte: »Ich will versuchen Katie anzufordern, die<br />
wäre klein und tollkühn genug, in einem Autokofferraum mit<br />
hineinzufahren.«<br />
An diesem Abend stellten wir nur fest, dass alle Überwachungseinheiten<br />
funktionierten und wir jetzt den Wachdienst organisieren mussten.<br />
Kaufmann teilte seine Leute ein, ohne m<strong>ich</strong> zu berücks<strong>ich</strong>tigen.<br />
Nach der Sitzung schl<strong>ich</strong>en Anna und <strong>ich</strong> uns aus dem Hotel und<br />
gingen zu Paula Kotelett essen. Es wurde ein langer Abend, mit vielen<br />
kleinen Mögl<strong>ich</strong>keiten für Paula und Anna, die s<strong>ich</strong> Paula dort anschloss.<br />
Ich trank immerhin fünf Biere, bevor uns ein Taxi <strong>zurück</strong> ins Hotel brachte.<br />
Keiner musste den anderen verführen. Anna und <strong>ich</strong> wollten uns. Und<br />
wir wollten uns heftig. Wir genossen uns. Im Einschlafen begriff <strong>ich</strong>, das<br />
Anna und m<strong>ich</strong> nur eine wunderschöne sexuelle gegenseitige Begierde<br />
verband, die wir n<strong>ich</strong>t mit Liebe verwechselten. Daher konnten wir uns<br />
genießen, ohne Forderungen gegenseitig zu stellen.<br />
Und beide wussten wir, dass am nächsten Tag unser Anschle<strong>ich</strong>en an<br />
den Gegner weiter ging. Anna kam dabei die härteste Aufgabe zu.<br />
Sie sollte den ganzen Tag in dem Kastenwagen hocken und sämtl<strong>ich</strong>e<br />
Monitore im Auge behalten und uns über Handys über die Entwicklung in<br />
den einzelnen Standorten unterr<strong>ich</strong>ten.<br />
Wir waren unterwegs, um die Kameras auf Anweisung von Anna immer<br />
wieder neu auszur<strong>ich</strong>ten.<br />
289
Unsere abendl<strong>ich</strong>en Konferenzen mit Kaufmann wurden immer kürzer<br />
und wir konnten nur konstatieren: Es gab keine Entwicklungen, die uns<br />
zum Eingreifen zwang.<br />
32<br />
Charlottes Erfolg<br />
Ich bat gle<strong>ich</strong> zu Beginn meines Hotelaufenthaltes Frau Schiemak ,<br />
meine Wohnung vors<strong>ich</strong>tshalber n<strong>ich</strong>t zu betreten, da <strong>ich</strong> vermutete, dass<br />
man auch hier Sprengstoff einbaute. Wie r<strong>ich</strong>tig <strong>ich</strong> damit lag, stellten<br />
Gerstemeier und <strong>ich</strong> am Montag fest. Wir waren von Frau Schiemaks Haus<br />
aus über den Hof über den Begrenzungszaun zum Nachbargrundstück<br />
geklettert und durch die Hoftür in mein Haus vorgedrungen.<br />
Als <strong>ich</strong> die Kellertreppe nach oben ging, fing meine Kopfhaut an zu<br />
kribbeln und meine Nackenhaare sträubten s<strong>ich</strong>. Ich bat Gerstermeier<br />
Abstand von mir zu halten und legte die nächsten Stufen vors<strong>ich</strong>tig<br />
<strong>zurück</strong>. Die Tür, die dieses Kellertreppenhaus zum Eingangsflur abschloss,<br />
stand einen Spalt offen und <strong>ich</strong> lugte behutsam in den Flur. Die Tür<br />
berührte <strong>ich</strong> noch n<strong>ich</strong>t. Ganz langsam schob <strong>ich</strong> sie ein wenig weiter auf<br />
und sah das Paket auch schon. Es stand mitten im Flur und <strong>ich</strong> entdeckte<br />
auch die Leitung, die zur Eingangstür führte.<br />
Die Zündung war simpel gebaut. <strong>Wenn</strong> die Tür geöffnet wurde, drückte<br />
eine Schraube, die der Täter in die Innenseite der Tür anbrachte auf einen<br />
einfachen Druckschalter. Bis zu einem gewissen Grad konnte man die Tür<br />
öffnen, wenn aber die Tür normal geöffnet würde, wurde der Sprengstoff<br />
gezündet.<br />
Das W<strong>ich</strong>tigste erschien mir, dass Kaufmanns Beamten, die mir einen<br />
Koffer mit Kleidung besorgten, n<strong>ich</strong>t schon in die Luft geflogen waren.<br />
Diese ganze Installation musste erst danach eingebaut worden sein.<br />
Ein Bombens<strong>ich</strong>erungsteam entfernte alles und meine ganze Wohnung<br />
wurde auf Fremdspuren untersucht. Die Ergebnisse dieser<br />
Untersuchungen standen noch aus.<br />
Ein gle<strong>ich</strong>artiges Paket fanden wir dann auch in Annas Wohnung.<br />
Ich war inzwischen schon so argwöhnisch, dass <strong>ich</strong> zwei Leute übers<br />
Dach in Charlottes Dachgeschosswohnung einsteigen ließ. Hier waren<br />
meine Befürchtungen allerdings grundlos gewesen.<br />
290
Ich wurde langsam zappelig. N<strong>ich</strong>ts passierte, was uns auch nur einen<br />
winzigen Schritt vorwärtsbrachte. Jan Hertsch wurde zwar von Beamten<br />
des BKA rund um die Uhr bewacht, aber auch er verhielt s<strong>ich</strong> für seine<br />
Verhältnisse völlig normal. Obwohl seine Abiturarbeiten ihn beschäftigen<br />
mussten, war er mehr in der Stadt unterwegs, als dass er gepaukt hätte.<br />
Durch die Observierung bekamen wir auch heraus, dass er ein eifriger<br />
Besucher des Hafenstr<strong>ich</strong>s war, und dort Kontakte zu den meist älteren<br />
Nutten unterhielt. Dabei schien er n<strong>ich</strong>t besonders wählerisch zu sein.<br />
Am vierten Tag ließ Kaufmann eine dieser Frauen gle<strong>ich</strong> nach dem<br />
Besuch von Jan verhaften. Im Verhör ergab s<strong>ich</strong>, dass Jan die Frau<br />
benutzte, um sie zu demütigen. Er konnte erst den Höhepunkt erlangen,<br />
wenn er die Frau regelrecht verprügelte. Er zahlte aber den Betrag von DM<br />
500 ohne zu murren. Das passte zu der Aussage, die Brigitte Frings von<br />
den Partys im Gartenhäuschen machte.<br />
Anna bemerkte dazu nur: »Was muss dieser gerade 18-Jährige für eine<br />
kaputte Type sein?«<br />
Darauf konnte keiner der Anwesenden unserer Konferenz eine<br />
Bemerkung machen.<br />
Wir besorgten uns in der Zwischenzeit vom Bauamt sämtl<strong>ich</strong>e Pläne des<br />
Baues der Firmenzentrale und studierten die Räuml<strong>ich</strong>keiten auf dem Plan.<br />
Die Forschungslabors lagen ausnahmslos in der Kellerregion, und der<br />
Rauschgiftspezialist und Anna waren s<strong>ich</strong> darüber einig, dass hier auch die<br />
Umfüllstation für das Gift angesiedelt sein musste.<br />
Wir konnten beobachten, dass es recht hohen Verkehr an<br />
Kleintransportern dort gab, die nur immer sehr kurz dort in die Tiefgarage<br />
einfuhren und sehr schnell danach wieder ausfuhren. Einen dieser<br />
Kleintransporter stoppten wir mit einem Trick, indem ein Radfahrer, dies<br />
war Fermont gewesen, so unglückl<strong>ich</strong> auf der Auffahrt stürzte, dass der<br />
Kastenwagen anhalten musste, bevor er ausfahren konnte. Fermont brachte<br />
an dem jetzt stehenden Wagen einen Peilsender an und ließ s<strong>ich</strong> versorgen.<br />
Wir beobachteten die weitere Fahrt des Wagens. Er war direkt zu einer<br />
Schönheitsklinik nach Lübeck gefahren und sofort nach Bremen<br />
<strong>zurück</strong>gekommen. So kamen wir dahinter, dass eine kleinere<br />
Speditionsfirma im Industriegebiet an der Bayernstraße im<br />
Osterfeuerbergviertel ebenfalls zu dem Firmenimperium von Hertsch<br />
gehörte. Hier war der Einsatzort der vielen Kleinlaster. Es gelang uns, eine<br />
ganze Reihe von Wagen mit Sendern zu versehen. Wir konnten uns jetzt<br />
ein Bild machen, wie die Einsätze gefahren wurden.<br />
291
Und meine Theorie, dass Jan Hertsch auch hinter den Frauenmorden in<br />
der Stadt stecken könnte, zerbrach an einem Samstag, als wieder eine Frau<br />
in einem Vorortzug erstochen wurde. Man fand das junge Mädchen in<br />
Verden im Zug, als dort Passagiere in das Raucherabteil stiegen. Das<br />
Mädchen lebte noch, als man sie fand; aber sie hatte so viel Blut verloren,<br />
dass sie auf dem Weg ins Krankenhaus verstorben war.<br />
Während dieser mögl<strong>ich</strong>en Tatzeit zwischen Mitternacht und ein Uhr<br />
morgens lief aber eine Party in Hertschs Gartenhaus. Und zwar mit großer<br />
Besetzung. Man benutzte auch das Schwimmbad zur Feier mit und wir<br />
bekamen einige Bilder hübscher junger nackter Mädchen zu sehen. Die<br />
Party ging bis zum frühen Morgen. Die Eheleute Hertsch waren auswärts<br />
und Jan nutzte die Gunst der Stunde für eine ausschweifende Party.<br />
Kaufmann fasste das am Sonntagabend in unserer Konferenz so<br />
zusammen: »<strong>Teufel</strong>, Sie scheinen s<strong>ich</strong> bei den Frauenmördern verrannt zu<br />
haben. Jan Hertsch ist mehrfach auf unserem Überwachungsfilm zu sehen.<br />
Die Theorie werden Sie s<strong>ich</strong> abschminken müssen. Wir können auch dieses<br />
Theater, dass wir Sie und Anna in Wiesbaden weiter verhören n<strong>ich</strong>t länger<br />
aufrechterhalten. Ich habe mit Schmücker und Emde vereinbart, dass Anna<br />
hier nach Bremen <strong>zurück</strong>kommt, aber bis zum Ende der endgültigen<br />
Abschlussprüfung der Untersuchungsergebnisse vom Dienst suspendiert<br />
sein wird.<br />
<strong>Teufel</strong>, auch Sie können s<strong>ich</strong> wieder frei in der Hansestadt bewegen,<br />
denn gegen Sie liegen keine Verdachtsmomente mehr vor. Die Auswertung<br />
der Videos des Parkhauses hat nur ergeben, dass Schönherr die Kiste dort<br />
transportiert hat, aber es gab keinen Wagen, aus dem sie ausgeladen<br />
wurde. Er hat die Kiste die Auffahrtsrampe bis in den dritten Stock auf<br />
seinem Skateboard nach oben geschoben und ist dann über den Übergang<br />
ins Haus gelangt. Die einzige Spur, die wir noch haben, ist der Sprengstoff<br />
selbst. Aber die Rückverfolgung der Herkunft gestaltet s<strong>ich</strong><br />
außerordentl<strong>ich</strong> schwierig, denn es scheint s<strong>ich</strong> um Material zu handeln,<br />
das aus den Ostblockländern hierher gekommen ist. Und wir fragen uns<br />
natürl<strong>ich</strong>, wieso besaß Schönherr Verbindungen zu Händlern, die so etwas<br />
hierher bringen.<br />
Anna und <strong>ich</strong> zogen am Sonntag wieder in unsere eigenen Wohnungen.<br />
Ich baute meine gesamte Technik im Hotelzimmer wieder ab und holte<br />
meinen Wagen aus der Baumwollbörse. Es gab für m<strong>ich</strong> noch eine kleine<br />
Schrecksekunde, als <strong>ich</strong> den Wagen anließ, weil <strong>ich</strong> überhaupt n<strong>ich</strong>t <strong>daran</strong><br />
dachte, dass man auch ein Bömbchen darunter versteckt haben konnte.<br />
Aber als <strong>ich</strong> dann ausfuhr atmete <strong>ich</strong> tief durch.<br />
292
Es war Gott sei Dank n<strong>ich</strong>ts geschehen. Aber als <strong>ich</strong> in der<br />
Hoteltiefgarage stand, wo <strong>ich</strong> meine ganze Technik umladen wollte, fiel<br />
mir noch etwas ein. Ich ging <strong>zurück</strong> zum Parkhaus und fragte den<br />
Aufs<strong>ich</strong>tsangestellten: »<strong>Wenn</strong> hier Kleinlaster etwas auszuladen haben,<br />
können Sie doch dort drüben so lange parken, wie sie für das Ausladen<br />
benötigen. Gib es auch für diesen Platz eine Überwachungskamera?«<br />
»S<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong>. Es ist eine Bedarfskamera, die s<strong>ich</strong> nur einschaltet, wenn s<strong>ich</strong><br />
dort etwas bewegt. Aber es wird festgehalten, wer dort anliefert.«<br />
»Dann könnte es doch sein, dass die Anlieferung des Sprengstoffs, der<br />
die dritte Etage zerstört hat, dort erfolgte. Und wir es auf Band haben.<br />
Meinen Sie, dass die Daten nach 12 Tagen noch vorhanden sind?«<br />
»Das können wir le<strong>ich</strong>t feststellen. Kommen Sie hier herein, dann lassen<br />
wir das Band <strong>zurück</strong>laufen und sehen uns an, wieweit die Aufze<strong>ich</strong>nung<br />
<strong>zurück</strong>re<strong>ich</strong>t.«<br />
Im Schnelldurchlauf spulten wir <strong>zurück</strong> und wie ein Wunder waren<br />
auch die Aufnahmen des 18. Januar noch auf dem Band. Es gab sogar noch<br />
länger <strong>zurück</strong>re<strong>ich</strong>ende Aufze<strong>ich</strong>nungen dort. Der Mann startete die<br />
Wiedergabe des 18. Januar und der erste Wagen, der hier ausgeladen<br />
wurde, war ein Weinlaster, der den Spirituosenladen im Hause belieferte.<br />
Danach kam noch ein Büroausstatter der Kisten mit Papier anlieferte und<br />
dann sahen wir deutl<strong>ich</strong> einen hellgrauen Mercedessprinter, wie sie auch<br />
zu den Lieferungen von Hertsch Buseneinlagen benutzt wurden. Ich bat<br />
den Mann die Vorführung zu stoppen und <strong>ich</strong> versuchte anhand des<br />
Standbildes, das Kennze<strong>ich</strong>en auszulesen. Das war leider unmögl<strong>ich</strong>, weil<br />
der Wagen zu sehr von der Seite aufgenommen war. Der Mann begriff aber<br />
worum es mir ging und sagte: »<strong>Wenn</strong> er nachher wieder abfährt, wird man<br />
das Kennze<strong>ich</strong>en direkt von vorn zu sehen bekommen, denn der Wagen<br />
muss ja in R<strong>ich</strong>tung Kamera fahren, um wieder hinauszukommen.«<br />
Wir starteten die Aufnahme wieder und man konnte den Fahrer, der<br />
n<strong>ich</strong>t ausgestiegen war, erkennen. Es war eindeutig Jan Hertsch, der eine<br />
Baseballkappe trug. Zwei Jungen tauchten dann an der Heckklappe auf<br />
und einer stieg in den Wagen und ein Brett wurde als Rutsche<br />
herausgeschoben. Draußen vor der Tür wartete Frieder Schönherr mit<br />
seinem Skateboard.<br />
Er half dem anderen Jungen die Kiste sanft das Brett herunterrutschen<br />
zu lassen und auf dem Skateboard zu platzieren. Einmal kippelte die<br />
schwere Kiste, aber mit vereinten Kräften gelang es den beiden Jungens,<br />
dass die Kiste oben blieb und n<strong>ich</strong>t herunter fiel. Jan Hertsch hielt die<br />
Fahrertür jetzt geöffnet und rief etwas nach hinten.<br />
293
Frieder hatte es jetzt eilig und schob das Ganze vor s<strong>ich</strong> her, indem er<br />
das Skateboard wie einen »Möbelhund« benutzte. Er verschwand auf der<br />
Auffahrt. Jan schloss die Fahrertür wieder und der andere Junge schien<br />
wieder auf den Beifahrersitz geklettert zu sein und der Wagen fuhr sofort<br />
los. Er kam direkt auf die Kamera zugefahren und <strong>ich</strong> konnte mir die<br />
Zulassungsnummer aufschreiben. Ein Bremer Kennze<strong>ich</strong>en, wie <strong>ich</strong> es<br />
erwartete.<br />
Ich fragte dem Parkhausangestellten, ob er mir das Band freiwillig<br />
aushändigen würde, oder ob er einen r<strong>ich</strong>terl<strong>ich</strong>en Beschluss dazu<br />
brauchte und es von einem Polizeibeamten abgeholt werden sollte.<br />
Er gab es mir einfach mit. Ich sagte ihm nur, dass er besser <strong>daran</strong> täte,<br />
n<strong>ich</strong>ts von all den Dingen zu wissen, denn wenn die jugendl<strong>ich</strong>en Gangster<br />
herausfanden, dass sie gefilmt worden waren bei der Anlieferung des<br />
Sprengstoffs, könnten sie ihm Unannehml<strong>ich</strong>keiten bereiten. Er verstand,<br />
was <strong>ich</strong> meinte.<br />
Ich nahm das Videoband in Empfang und quittierte es dem Mann. Er<br />
legte ein neues Band ein und <strong>ich</strong> verabschiedete m<strong>ich</strong>.<br />
Als <strong>ich</strong> dann endl<strong>ich</strong> meine ganzen Sachen verladen hatte, fuhr <strong>ich</strong> los,<br />
um alles bei mir zu Hause wieder aufzubauen.<br />
Es war schon fast Mitternacht, als mein Handy anfing zu vibrieren. Ich<br />
sah sofort, es war Charlotte.<br />
Ich freute m<strong>ich</strong>, denn es war der erste Anruf nach einer Woche, und was<br />
<strong>ich</strong> dann zu hören bekam, ließ m<strong>ich</strong> noch mehr jubeln. Charlotte konnte<br />
n<strong>ich</strong>t nur den Betrug lückenlos belegen, sie machte auch mithilfe Vermeers<br />
die Konten ausfindig, auf die das Geld geflossen war, und konnte eine<br />
Sperrung des Kontos veranlassen. Sie rief von Vermeer aus an.<br />
Danach musste sie mir in allen Einzelheiten die Feinheiten des Betruges<br />
erzählen und auch wie Jan Vermeer die Konten aufspürte. Charlotte war<br />
glückl<strong>ich</strong> und sehr stolz auf s<strong>ich</strong>. Und das konnte sie auch wahrl<strong>ich</strong> sein.<br />
Sie rettete Hoffmann dadurch fast eine halbe Million.<br />
Ich erzählte ihr, was hier in Bremen lief und wie sehr wir im Moment auf<br />
der Stelle traten. Ich erzählte ihr auch von den Bomben in Annas und<br />
meiner Wohnung, und das wir aus Angst, dass auch in ihrer Wohnung<br />
etwas versteckt worden sein konnte, übers Dachfenster bei ihr<br />
eingedrungen waren.<br />
Charlotte war entsetzt, aber auch wieder froh, dass man ihre Wohnung<br />
verschonte. Ich sagte ihr, dass ein Glaser die Scheibe am gle<strong>ich</strong>en Tag noch<br />
ersetzt hätte, aber aus irgendeinem Gefühl heraus konnte <strong>ich</strong> hören, dass es<br />
ihr n<strong>ich</strong>t recht gewesen war, dass <strong>ich</strong> allein in Ihrer Wohnung gewesen<br />
war.<br />
294
Ich erzählte ihr dann, dass <strong>ich</strong> jetzt wieder in meiner Wohnung sei und<br />
was <strong>ich</strong> am frühen Abend entdeckte.<br />
Dass näml<strong>ich</strong> Jan Hertsch direkt an dem Sprengstoffanschlag beteiligt<br />
gewesen wäre.<br />
»Ich werde das Band gle<strong>ich</strong> morgen früh im Präsidium abgeben, damit<br />
auch der dritte Junge identifiziert werden kann. D<strong>ich</strong> möchte <strong>ich</strong> bitten<br />
noch ein paar Tage in Berlin zu bleiben, denn <strong>ich</strong> halte es immer noch für<br />
zu gefährl<strong>ich</strong>, wenn du d<strong>ich</strong> in meiner Nähe aufhältst.«<br />
»Damit du Anna auch weiter beschützen kannst«, fragte sie diesmal aber<br />
ohne Schärfe in ihrer Stimme.<br />
»Die ist Polizistin, die kann schon ganz gut auf s<strong>ich</strong> selbst aufpassen. In<br />
den Dienst gehen, darf sie aber immer noch n<strong>ich</strong>t. Sie ist bis auf Weiteres<br />
suspendiert. Aber sie hilft natürl<strong>ich</strong> den Kollegen vom BKA. Die hockt von<br />
morgens bis abends in dem Überwachungsmobil. Die hat schon ganz<br />
viereckige Augen vom vielen Monitorgucken.«<br />
»Ist sie denn auch wieder in ihre Wohnung gezogen?«<br />
»Ja. Sie meint mit Angreifern würde sie schon fertig werden und sie ist<br />
eigentl<strong>ich</strong> lange genug dabei.«<br />
»Und was willst du jetzt anfangen?«<br />
»Ich werde endl<strong>ich</strong> versuchen, etwas mehr über diese Frau Dr.<br />
S<strong>ich</strong>etswilli herauszufinden. Außerdem scheint es da noch einen Teilhaber<br />
in der Firma zu geben, den <strong>ich</strong> bisher noch nie zu Ges<strong>ich</strong>t bekommen habe,<br />
der aber wohl ein inniges Verhältnis zu Frau Hertsch pflegen soll, wenn<br />
man den Aussagen des Sohnes Glauben schenken kann.«<br />
Zum Abschied fragte Charlotte dann: »Aber telefonieren können wir<br />
doch jetzt wieder?«<br />
»Ich glaube schon, dass man n<strong>ich</strong>t nach Berlin reist, um dir etwas Böses<br />
zu tun. Schlaf gut und grüß mir alle.«<br />
»Ich soll d<strong>ich</strong> auch schön grüßen. Besonders von Nicole.«<br />
»Dann drück sie morgen früh von mir.«<br />
»Sonst noch jemand«, fragte sie m<strong>ich</strong> neckend.<br />
»Ja, drück sie einfach alle.«<br />
»Da werde <strong>ich</strong> s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> am längsten Jan drücken. Er ist einfach ein<br />
unheiml<strong>ich</strong> lieber Kerl und irgendwie seid ihr euch erschreckend ähnl<strong>ich</strong>.<br />
So, wie ihr mit Frauen umgeht.«<br />
Als <strong>ich</strong> auflegte, durchströmte m<strong>ich</strong> ein wunderbares Gefühl. Charlotte<br />
war heute n<strong>ich</strong>t biestig gewesen und was m<strong>ich</strong> noch euphorischer machte:<br />
Sie errang einen ungeheuer großen Erfolg.<br />
Sie würde s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> für m<strong>ich</strong> mehr werden als nur eine gute, ums<strong>ich</strong>tige<br />
Sekretärin.<br />
295
Sie würde m<strong>ich</strong> in Wirtschaftsangelegenheiten bestimmt unterstützen<br />
können.<br />
Obwohl wir hier mit unseren Nachforschungen überhaupt n<strong>ich</strong>t recht<br />
vorankommen wollten, blickte <strong>ich</strong> plötzl<strong>ich</strong> wieder weit aus optimistischer<br />
in die Welt.<br />
33<br />
Internet-Chat<br />
Ich lieferte am frühen Montagmorgen das Videoband der Garage an<br />
Kaufmann aus und sagte ihm: »Machen sie etwas daraus.«<br />
Für m<strong>ich</strong> selbst kopierte <strong>ich</strong> den 18 Januar heraus und vervielfältigte die<br />
Aufnahmen. Die Zulassungsnummer des Kleinlasters überprüfte <strong>ich</strong> schon<br />
und es wunderte m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t, dass der Wagen zu der Spedition an der<br />
Bayernstraße gehörte. Ich vereinbarte dann mit Kaufmann noch, dass wir<br />
unsere abendl<strong>ich</strong>en Meetings von nun ab im Hotel der Techniker abhalten<br />
wollten, und war dann gegangen. Ich wollte n<strong>ich</strong>t durch Zufall hier<br />
Waldtmann in die Arme laufen.<br />
Ich machte m<strong>ich</strong> auf den Weg nach Worpswede, weil <strong>ich</strong> mir die Dame<br />
S<strong>ich</strong>etswilli gerne einmal persönl<strong>ich</strong> ansehen wollte. Wir konnten leider<br />
bisher überhaupt noch keinen großen Eindruck von ihr gewinnen können,<br />
denn sie war an dem Tag, als wir unsere Überwachung einbauten über<br />
Frankfurt nach Tiflis geflogen und war erst gestern wieder angekommen.<br />
Es gab einige wenige Aufnahmen von ihr, als sie s<strong>ich</strong> ein Paar Unterlagen<br />
aus dem Haus holte, bevor sie zu Flughafen fuhr.<br />
Aber die wenigen Bilder machten m<strong>ich</strong> sehr neugierig auf sie, denn sie<br />
war eine wirkl<strong>ich</strong> atemberaubend schöne Frau. Anhand ihrer Passdaten<br />
wusste <strong>ich</strong>, dass sie 35 Jahre alt und einen Meter achtundsiebzig groß war,<br />
und schwarze Augen besitzen sollte. Die Aufnahmen, die in ihrem<br />
Arbeitszimmer entstanden waren, zeigten sie in einem engen Reisekostüm,<br />
das ihre Figur betonte. Und dies war eine aufregende Figur. <strong>Wenn</strong> ihre<br />
Oberweite n<strong>ich</strong>t aus selbst hergestellten Implantaten bestand, war sie mehr<br />
als beachtl<strong>ich</strong>.<br />
Meine Bemühungen sie noch in Worpswede anzutreffen waren<br />
vergebl<strong>ich</strong>. Sie war schon wieder unterwegs und das Wohn- und<br />
Arbeitszimmer der Dame lag verlassen da, wie <strong>ich</strong> an meinem kleinen<br />
Handbildschirm feststellen konnte.<br />
296
Ich telefonierte mit Anna im Überwachungsmobil und es wurde mir<br />
bestätigt, dass Dr. Rodika S<strong>ich</strong>etswilli schon in der Firma eingetroffen war.<br />
Ich schimpfte leise vor m<strong>ich</strong> hin, denn es war uns immer noch n<strong>ich</strong>t<br />
gelungen, die Zentrale zu verwanzen. Die S<strong>ich</strong>erheitsvorkehrungen waren<br />
einfach zu mächtig, als dass wir sie so einfach knacken konnten. Wir<br />
fanden heraus, dass es intern eine Videoüberwachung gab. Aber selbst<br />
Clemens war es noch n<strong>ich</strong>t gelungen, diese interne Netzleitung zu orten<br />
geschweige denn sie anzuzapfen. Das konnten wir nur, wenn wir ins<br />
Gebäude gelangten, und bisher fanden wir dafür noch keinen Weg.<br />
Die angeforderte zierl<strong>ich</strong>e Katie war zwar eingetroffen und konnte s<strong>ich</strong><br />
auch in dem Kofferraum von Hertsch großer Mercedes Limousine<br />
verstecken, aber sie musste das Unternehmen abbrechen. Sie war zwar in<br />
der Tiefgarage gelandet, aber musste feststellen, dass hier schon die<br />
Videoüberwachung anfing. Sie konnte von dort aus n<strong>ich</strong>t weiter. Katie<br />
hatte dann gle<strong>ich</strong> zweifach Glück gehabt, n<strong>ich</strong>t entdeckt zu werden und<br />
schon bald wieder aus ihrem Gefängnis klettern zu können. Hertsch hatte<br />
Unterlagen bei s<strong>ich</strong> gehabt, als er eine Viertelstunde nach seiner Ankunft in<br />
der Firma wieder erschien und diese Unterlagen n<strong>ich</strong>t in den Kofferraum<br />
verstaute sondern auf dem Rücksitz. Hertsch war dann zu seinem<br />
Steuerberater in die Innenstadt gefahren und Katie konnte unversehrt aus<br />
dem unbequemen Versteck ausbrechen. Dabei wäre sie fast zu früh<br />
herausgeklettert, denn Hertsch vergaß etwas und war noch einmal an sein<br />
Auto gegangen und holte das, was er vergessen hatte. Es war höchste Zeit<br />
für sie geworden da herauszukommen, denn die kompakte Bauart des<br />
Wagens ließ n<strong>ich</strong>t zu, dass frische Luft in den engen Raum kam. Der<br />
Sauerstoff war schon knapp geworden, als sie s<strong>ich</strong> endl<strong>ich</strong> befreite.<br />
Danach gaben wir es zunächst auf, weil es uns zu riskant erschien, denn<br />
wir wussten, falls entdeckt würde, dass wir eine illegale Überwachung<br />
veranstalteten, dann würde wir in eventuell nachfolgenden Prozessen alles<br />
verlieren, was es zu verlieren gab. Wir spielten ein hochgradig riskantes<br />
Spiel, zumal wir bisher keine nennenswerten Ergebnisse erzielten. Die<br />
Auswertung der Daten, die nach Tiflis per Satellit übertragen wurden,<br />
stockte in Wiesbaden ebenfalls, weil die Sprachgenies doch n<strong>ich</strong>t so<br />
zahlre<strong>ich</strong> vorhanden waren, wie man es s<strong>ich</strong> gewünscht hätte.<br />
Und Trost und Kaufmann wollten s<strong>ich</strong> natürl<strong>ich</strong> auch keine Hilfe aus<br />
München holen.<br />
Ich war zum Überwachungswagen gefahren und stellte meinen Wagen<br />
auf den Parkplätzen bei der Universität ab. Ich schlenderte auf das<br />
Überwachungsmobil zu, als <strong>ich</strong> sie entdeckte. Sie kam direkt auf m<strong>ich</strong> zu.<br />
297
Ihr Mantel war n<strong>ich</strong>t geschlossen und flatterte um ihren Körper. Sie schien<br />
das in keiner Weise zu stören.<br />
Ich lächelte sie an, aber sie schien m<strong>ich</strong> gar n<strong>ich</strong>t zu bemerken, denn sie<br />
ging schnellen Schrittes an mir vorbei, ohne m<strong>ich</strong> scheinbar überhaupt zu<br />
bemerken. Sie ging sehr schnell und schien gehetzt. Sie ging in R<strong>ich</strong>tung<br />
Mensa und <strong>ich</strong> folgte ihr. Vielle<strong>ich</strong>t wollte sie ja nur frühstücken. Dann<br />
würde <strong>ich</strong> ihr Gesellschaft leisten, das nahm <strong>ich</strong> mir vor.<br />
Ich betrat wenige Augenblicke nach ihr die Mensa und sah m<strong>ich</strong> um. Sie<br />
war schon auf der anderen Seite zu den Fenstern geeilt und <strong>ich</strong> sah, dass<br />
sie verabredet war. Ihre Verabredung war Jan Hertsch. Ich ging schnell<br />
hinüber zum Tresen und blieb somit im Rücken von Jan. Der hatte sowieso<br />
nur Blicke für die heraneilende Frau gehabt. Ich kaufte mir einen Becher<br />
Kaffee und ein belegtes Brötchen und ging mit meinem Tablett zur<br />
Fensterreihe und nahm einen Tisch weiter als das Paar platz. Ich setzte<br />
m<strong>ich</strong> mit Blickr<strong>ich</strong>tung auf die Frau und strengte m<strong>ich</strong> an zu verstehen,<br />
was die beiden zu besprechen hatten. Viel Erfolg bekam <strong>ich</strong> dabei n<strong>ich</strong>t,<br />
denn die Nebengeräusche waren zu stark und sie sprachen leise.<br />
Dann wurde die Frau allerdings etwas lauter als sie sehr vernehml<strong>ich</strong><br />
sagte: »Nein Jan, mehr von diesem Knallzeug gibt es n<strong>ich</strong>t. Du hast schon<br />
re<strong>ich</strong>l<strong>ich</strong> Spuren gelegt, die zu uns führen können. Ich werde dir n<strong>ich</strong>t<br />
helfen können.«<br />
Jetzt verstand <strong>ich</strong> ihn auch, als er bitterböse zischte: »Du glaubst doch<br />
n<strong>ich</strong>t im Ernst, dass du dann hier überhaupt weiter machen kannst. Ich<br />
habe das Gespräch mitgeschnitten, in dem du die Anweisung gegeben<br />
hast, diesen Svetlov umzubringen. Dass ein Mann aus deiner Organisation<br />
dabei mit draufgehen würde, damit hast du n<strong>ich</strong>t gerechnet, aber was<br />
meinst du, was mit dir passiert, wenn deine Bosse mitbekommen, dass du<br />
es warst, der ihren besten Mann ausschalten ließ. Ob man d<strong>ich</strong> leben lässt?<br />
Sie können d<strong>ich</strong> zu le<strong>ich</strong>t ersetzen. Und das Zeug zu strecken, wie du es<br />
hier machst, kann selbst <strong>ich</strong>. Dazu braucht man keinen Dr. S<strong>ich</strong>etswilli.<br />
Also mit der nächsten Ladung, die übermorgen fällig ist, kommen weitere<br />
50 Kilo von der hübschen Sprengmasse, oder <strong>ich</strong> schneide dir deine<br />
hübschen Titten ab und du landest in einem Zug nach nirgendwo. Wie all<br />
die anderen Mädchen. Hau jetzt wieder ab und gib deine Bestellung auf.<br />
Dieser <strong>Teufel</strong> läuft immer noch frei rum.«<br />
»Du bist krank, Jan. Ganz gefährl<strong>ich</strong> krank. Du bist n<strong>ich</strong>ts als ein<br />
hundsgemeiner Mörder. Es hat dir wohl Spaß gemacht, den Bauer<br />
ebenfalls mit der Garotte umzubringen. Warum hast du eigentl<strong>ich</strong> diese<br />
Wagenfeld n<strong>ich</strong>t auch noch erdrosselt, du Vollidiot. Wolltest du d<strong>ich</strong> an ihr<br />
noch ein bisschen vergreifen? Sie so langsam zu Tode foltern?«<br />
298
»Hau ab, und gib die Bestellung weiter. Du weißt, was mit dir passiert,<br />
wenn du n<strong>ich</strong>t spurst.«<br />
Ich erhob m<strong>ich</strong> schon, bevor sie aufstand. Wir gingen in verschiedene<br />
R<strong>ich</strong>tungen. Sie zum Ausgang und <strong>ich</strong> zur anderen Seite zu den Toiletten.<br />
Es war n<strong>ich</strong>t zu fassen, was <strong>ich</strong> soeben hörte.<br />
Jan Hertsch gab indirekt zu die Frauen in den Zügen ermordet zu haben<br />
und drohte es Dr. S<strong>ich</strong>etswilli ebenfalls an, wenn sie keinen weiteren<br />
Sprengstoff besorgte. Was Jan damit wollte, war mir klar. Diesmal sollte <strong>ich</strong><br />
wirkl<strong>ich</strong> in die Luft fliegen. Als <strong>ich</strong> die Toilette wieder verließ, waren beide<br />
verschwunden. Ich ging <strong>zurück</strong> an den Tisch und holte das Geschirr und<br />
mein Diktiergerät, das dort immer noch eingeschaltet lag. Ich schaltete es<br />
ab und brachte tief in Gedanken das Geschirr zum Laufband für<br />
Schmutzgeschirr.<br />
Draußen vor der Mensa ging <strong>ich</strong> an den Anfang der Aufze<strong>ich</strong>nung und<br />
horchte hinein. Es war zwar nur schwer zu verstehen, aber das Gespräch<br />
war drauf. Mit ein wenig Geschick konnte man die Nebengeräusche<br />
wegfiltern und das konnte <strong>ich</strong> am besten im Überwachungswagen. Es<br />
kostete m<strong>ich</strong> zwei Stunden Arbeit, dann war die Aufnahme so, wie <strong>ich</strong> sie<br />
haben wollte.<br />
Ich brannte davon eine CD und steckte sie durch eine Hülle geschützt in<br />
meine Jackentasche.<br />
Ich trug ja die ganze Zeit meine Kopfhörer und bekam jetzt erst mit, was<br />
Anna m<strong>ich</strong> die ganze Zeit fragte: »Was machst du da eigentl<strong>ich</strong>? Was ist da<br />
drauf?«<br />
»Unser Todesurteil!«<br />
Anna wurde blass und sagte: »<strong>Teufel</strong>, <strong>ich</strong> weiß, dass du immer wieder<br />
makabre Sprüche loslässt, aber das geht denn doch wohl zu weit.«<br />
»<strong>Wenn</strong> es d<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t zu sehr ablenkt, können wir es uns ja einmal<br />
anhören.«<br />
Ich schaltete die Lautsprecher ein und startete die Wiedergabe meiner<br />
bearbeiteten Tondatei. Jetzt wurde Anna n<strong>ich</strong>t nur blass sondern käsig<br />
weiß.<br />
Es dauerte eine Weile, bis sie s<strong>ich</strong> so weit erholte, um zu fragen: »Und<br />
was machen wir jetzt?«<br />
»Etwas höchst Ungesetzl<strong>ich</strong>es.<br />
Ich werde mir die Dame greifen, bevor sie ihre Bestellung aufgeben<br />
kann. Du übergibst diese CD Kaufmann bei unserer abendl<strong>ich</strong>en<br />
Konferenz, an der <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t teilnehme. Ich bin n<strong>ich</strong>t da, und die dürfen<br />
ruhig glauben, dass <strong>ich</strong> aus Angst vor weiteren Racheakten des Jungen<br />
abgehauen bin.<br />
299
Ich werde die junge Frau Doktor in der Zwischenzeit verschleppen.«<br />
»Aber <strong>Teufel</strong>, wohin?«<br />
»Dorthin wo m<strong>ich</strong> keiner vermutet, aber diesem Mädchenserienmörder<br />
immer wieder gelingt, den Überwachungen durch die Bremer Polizei zu<br />
entgehen. Ins Gartenhäuschen der Hertschs. Ich werde den gle<strong>ich</strong>en Weg<br />
nehmen dort hineinzugelangen, wie er daraus verschwindet. Ich weiß<br />
inzwischen, wie er es macht. Und <strong>ich</strong> werde dafür sorgen, dass ihr durch<br />
die interne Überwachung, die von Hertsch bestellt wurde, das Geständnis<br />
aller Beteiligten hierher in den Beobachtungswagen erhaltet. Es wird<br />
gle<strong>ich</strong>zeitig und parallel auf dem Recorder der Familie Hertsch<br />
aufgeze<strong>ich</strong>net sein, die m<strong>ich</strong> offiziell beauftragt haben diese Mitschnitte<br />
anzufertigen. Darum ist es kein illegal erworbenes Wissen.«<br />
»Nein, <strong>Teufel</strong>, das kannst du n<strong>ich</strong>t tun. Es ist einfach viel zu gefährl<strong>ich</strong>.<br />
Das ist eine Polizeiaktion. Zerstöre jetzt n<strong>ich</strong>t unsere ganze Arbeit. Wir<br />
wissen wieder etwas mehr, aber wir können noch n<strong>ich</strong>t zugreifen.<br />
Dadurch, dass wir jetzt auch schon eine ganze Menge Zwischenstationen<br />
kennen, an die das Rauschgift weiterverteilt wird, haben wir schon so viel<br />
Material gesammelt, dass wir eventuell den gesamten Ring ausheben<br />
können.<br />
Wir haben es doch mit vier Komponenten zu tun. Auf der einen Seite ein<br />
riesiges Netz an Rauschgifthändlern, zum Zweiten die Morde an den<br />
Dealern und Bauer und zum Dritten die Mordversuche an dir und mir und<br />
als Letztes die Morde an den jungen Frauen. Die letzten beiden Sachen<br />
gehen nach diesem belauschten Gespräch eindeutig auf das Konto des<br />
Jungen. Die Morde an den Dealern waren auf Anweisung der Georgierin<br />
vorgenommen worden, aber damit haben wir immer noch n<strong>ich</strong>ts gegen<br />
Hertsch in der Hand. Der könnte s<strong>ich</strong> immer damit herausreden, dass er<br />
von den ganzen Machenschaften seiner Teilhaberin n<strong>ich</strong>ts gewusst hat und<br />
von Zusammenhängen mit den Mädchenmorden durch seinen Sohn erst<br />
recht n<strong>ich</strong>t. Und <strong>ich</strong> glaube zudem n<strong>ich</strong>t, dass du aus dem Sohn ein<br />
Geständnis herausprügeln könntest. Er ist wirkl<strong>ich</strong> ein schlaues Kerlchen.<br />
Das Einzige, was wir im Moment machen können ist zu verhindern, dass<br />
wir diese Sendung, die das nächste Rauschgift hierher bringt und<br />
gle<strong>ich</strong>zeitig den Sprengstoff, abfangen.«<br />
»Und damit weitere Mädchen der Gefahr aussetzen von diesem<br />
Irrsinnigen ermordet zu werden.«<br />
»Nein, <strong>Teufel</strong>. Du scheinst zu ahnen, wie der Verrückte seine Taten<br />
umsetzt.<br />
300
Du kannst hautnah an ihm dranbleiben, dann kannst du eventuell den<br />
nächsten Mord verhindern, aber es bringt n<strong>ich</strong>ts, wenn wir versuchen sie<br />
jetzt alle hochgehen zu lassen. Wir müssen nur die Übersetzungen der<br />
Gespräche und Anweisungen der S<strong>ich</strong>etswilli, die sie in der Zeit zwischen<br />
dem Gespräch in der Mensa und jetzt sofort bekommen, damit wir<br />
überhaupt wissen, wohin die Lieferung geht.«<br />
Wir konnten Kaufmann n<strong>ich</strong>t erre<strong>ich</strong>en und so wandte <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> direkt<br />
an Trost in Wiesbaden. Der ordnete nur an: Ȇberspielen Sie mir die Daten<br />
von Ihrem Computer, direkt hierher. Ich lasse eine Leitung freischalten.<br />
Gerstemeier soll das machen. Und Sie halten s<strong>ich</strong> wirkl<strong>ich</strong> <strong>zurück</strong> <strong>Teufel</strong>.<br />
Im Moment könnten Sie wirkl<strong>ich</strong> mehr kaputt machen, als wir gebrauchen<br />
können. <strong>Wenn</strong> Sie mit einer Einzelaktion, den Erfolg der Gesamtaktion<br />
zerstören, werde <strong>ich</strong> Ihnen den Kopf persönl<strong>ich</strong> abreißen. Das Einzige was<br />
Sie tun dürfen, ist diesen Jungen ausschalten. Aber wieso kommen Sie<br />
darauf, dass er auch für den letzten Mord verantwortl<strong>ich</strong> ist? Nach meinen<br />
Informationen hat er doch ein lückenloses Alibi durch die Aufnahmen von<br />
dieser Party in dem Hallenbad.«<br />
»Er ist zwar darauf, aber er ist n<strong>ich</strong>t jede Minute darauf zu sehen. Da die<br />
Party in verschiedenen Räumen stattfand, wurde er n<strong>ich</strong>t lückenlos gefilmt,<br />
weil im Gartenhaus selbst keine Kamera angebracht ist. <strong>Wenn</strong> er wie übl<strong>ich</strong><br />
hinten zum Fenster hinaus und über den Golfplatz verschwunden ist, hätte<br />
er ausre<strong>ich</strong>end Zeit gehabt. Ich werde diese Wege später noch<br />
kontrollieren.«<br />
In der nächsten Stunde kontrollierte <strong>ich</strong> als Erstes die Aufze<strong>ich</strong>nung der<br />
Party. Ich prägte mir jedes Ges<strong>ich</strong>t der Jungen und Mädchen ein, die<br />
angekommen waren. Dann gl<strong>ich</strong> <strong>ich</strong> ab, wer in der Schwimmhalle<br />
anwesend war und das war ein n<strong>ich</strong>t ganz so einfaches Unterfangen, weil<br />
immer wieder einige Leute verschwanden und wieder erschienen. Aber<br />
dann zwischen der letzten halben Stunde vor Mitternacht und auch noch<br />
zwanzig Minuten nach Mitternacht, waren alle im Bad versammelt, außer<br />
Jan Hertsch. Und genau, das war die Zeit, in der der Mord passiert sein<br />
musste. Die Polizeibeamten identifizierten inzwischen alle Teilnehmer<br />
dieser Party und auch namentl<strong>ich</strong> festgehalten. Ich sah mir die Liste<br />
genauer an, und stellte fest, dass die Jungen ausnahmslos Schüler der<br />
letzten Klassen des Hermann-Böse-Gymnasiums waren.<br />
Auch die meisten Mädchen kamen von dieser Schule.<br />
Nur drei Mädchen waren schon berufstätig. Alle drei waren<br />
Krankenschwesternschülerinnen im Zentralkrankenhaus. Eine von ihnen<br />
war schon 23 Jahre alt und mit der vergnügte s<strong>ich</strong> Jan später.<br />
301
Sie war eine große rotblonde Frau, die auch von der Größe sehr gut zu<br />
dem lang aufgeschossenen Jan passte. Und sie besaß eine tadellose Figur.<br />
Ich druckte mir ein paar Bilder von ihr aus. Eins zeigte sie voll bekleidet bei<br />
ihrer Ankunft und mehrere stammten aus dem Schwimmbad.<br />
Sie zeigten sie nackt, und zwei Bilder zeigten das Liebesspiel der Beiden.<br />
Es waren sehr eindeutige Bilder.<br />
Ich fuhr ins Zentralkrankenhaus und fragte m<strong>ich</strong> durch, bis <strong>ich</strong> die<br />
Station fand, in der die Frau Dienst machte.<br />
Sie machte gerade Pause und <strong>ich</strong> fragte sie, ob sie mit mir eine Zigarette<br />
rauchen wolle. Sie sah m<strong>ich</strong> zwar verwundert an und fragte m<strong>ich</strong>, was <strong>ich</strong><br />
von ihr wollte, aber war dann mitgegangen, als <strong>ich</strong> ihr sagte, dass es s<strong>ich</strong><br />
um Jan Hertsch handeln würde, weswegen <strong>ich</strong> mit ihr reden wolle.<br />
Sie schlug meine angebotene Zigarette aus und nahm ihre Eigenen und<br />
saß mir jetzt mit fragendem Blick gegenüber. Ich fragte sehr gerade heraus:<br />
»Was zahlt Ihnen Jan für die Liebesspiele im Schwimmbad?«<br />
Sie wollte gerade in die Luft gehen, als <strong>ich</strong> nur die Bilder herausholte<br />
und sie vor sie hinlegte.<br />
»Kommen Sie n<strong>ich</strong>t damit, so etwas gäbe es gar n<strong>ich</strong>t, oder sie würden<br />
ihn n<strong>ich</strong>t kennen. Sie und zwei weitere Kolleginnen waren am letzten<br />
Samstag auf dieser Party, also wie läuft das? Werden Sie in bar oder in<br />
Drogen bezahlt?«<br />
»Wer sind Sie und was wollen Sie wirkl<strong>ich</strong> von mir«, flüsterte sie mit<br />
rauer Stimme.<br />
»Ich bin der Privatdetektiv <strong>Teufel</strong>, den er unter Mithilfe eines<br />
Schulkameraden namens Frieder Schönherr in meinem Büro in die Luft<br />
jagen wollte. Frieder hat statt meiner dran glauben müssen. Dafür gibt es<br />
eindeutige Beweise. Außerdem ist Jan der Mörder aller Mädchen, die in<br />
der letzten Zeit hier in Bremen ermordet wurden. Sie haben drei<br />
Wahlmögl<strong>ich</strong>keiten: Sie beschreiben mir den genauen Verlauf dieser Party<br />
und sagen mir, wo Jan während der Zeit von dreiundzwanzig Uhr 30 bis<br />
Null Uhr 25 war und halten über dieses Gespräch gegenüber jedermann<br />
den Mund. Und wenn <strong>ich</strong> sage jedermann, dann meine <strong>ich</strong> das wörtl<strong>ich</strong>.<br />
Dann passiert Ihnen gar n<strong>ich</strong>ts und Sie dürfen die Bilder behalten.<br />
Die zweite Mögl<strong>ich</strong>keit wäre, dass Sie mir gar n<strong>ich</strong>ts sagen und sofort,<br />
nachdem <strong>ich</strong> verschwunden bin, Jan anzurufen, dann sind Sie innerhalb<br />
der nächsten Stunden tot.<br />
Die dritte Mögl<strong>ich</strong>keit wäre, dass Sie mir n<strong>ich</strong>ts sagen, aber sonst den<br />
Mund halten.<br />
302
Dann würde <strong>ich</strong> die Polizei einschalten, die Sie in den nächsten Stunden<br />
wegen Beihilfe zum Mord einlochen würde. Aber auch dort in der Zelle<br />
des Untersuchungsgefängnisses wären Sie vor Jan n<strong>ich</strong>t s<strong>ich</strong>er. Ein<br />
Mitwisser von Geschäften seines Vaters wurde dort im Präsidium mit Gift<br />
umgebracht.<br />
Und es war keineswegs die öffentl<strong>ich</strong> beschuldigte Leiterin des<br />
Drogendezernats, die dafür verantwortl<strong>ich</strong> war, sondern ein bisher<br />
unbekannter Zuarbeiter der Verbrecher. Und jetzt sollten Sie s<strong>ich</strong> zieml<strong>ich</strong><br />
schnell entscheiden, welchen Weg Sie wählen wollen.«<br />
Sie war jetzt le<strong>ich</strong>enblass und umklammerte die Bilder.<br />
»Aber <strong>ich</strong> habe doch gar n<strong>ich</strong>ts getan«, flüsterte sie noch leiser, »<strong>ich</strong> habe<br />
tausend Mark dafür bekommen, dass <strong>ich</strong> das Hallenbad für diese<br />
Dreiviertelstunde absperrte. Er hat mir gesagt, dass er noch Stoff besorgen<br />
wolle, den er in der Schule gebunkert hätte, aber natürl<strong>ich</strong> keiner merken<br />
dürfe, dass er n<strong>ich</strong>t da wäre. Sonst wäre die Gefahr zu groß, dass die<br />
Mitschüler herausfinden könnten, wo er seinen Stoff versteckt hätte und<br />
hinterher sollte <strong>ich</strong> es dann mit ihm ganz wild treiben und damit die<br />
anderen auch so r<strong>ich</strong>tig anheizen. Ich brauche das Geld doch so nötig für<br />
mein Fernstudium, und <strong>ich</strong> habe weder etwas von dem Zeug geschnupft,<br />
was es dort massenweise gab und was er dann auch mit dabei hatte, als er<br />
wiederkam, noch habe <strong>ich</strong> »geraucht«. Ich finde diese ganzen Drogen<br />
widerl<strong>ich</strong>.«<br />
»Okay, das ist schon einmal eine brauchbare Aussage. Aber wie kamen<br />
Sie überhaupt zu der Bekanntschaft?«<br />
»Über den Chatroom.«<br />
»Was für einen Chatroom?«<br />
»Radio Bremen hat doch so einen Chat für junge Leute, da verabreden<br />
s<strong>ich</strong> die verschiedensten Jugendl<strong>ich</strong>en zu »Hitpartys« oder auch sonst. Und<br />
immer wenn <strong>ich</strong> hier Nachtwache habe, bin <strong>ich</strong> da drin gewesen. Da ist<br />
auch viel über die Morde an den Mädchen geschrieben worden und viele<br />
Mädchen verabreden s<strong>ich</strong> jetzt schon und fahren in Fahrgemeinschaften,<br />
wenn sie mit dem letzten Zug fahren müssen, um n<strong>ich</strong>t allein auf den<br />
Verrückten zu treffen. Jan ist zwar ein brutaler Kerl und zieml<strong>ich</strong><br />
demütigend, aber meinen Sie wirkl<strong>ich</strong>, dass er der Mörder ist«, fragte sie<br />
plötzl<strong>ich</strong>.<br />
»Ja, <strong>ich</strong> weiß es aus seinem eigenen Munde. Er hat heute schon einer<br />
weiteren Frau gedroht, dass sie auf gle<strong>ich</strong>e Weise enden würde, wenn Sie<br />
s<strong>ich</strong> seinen Plänen widersetzt.<br />
303
Erzählen Sie mir ein wenig mehr über diesen Chatroom. Wie ist er an Sie<br />
herangetreten?«<br />
»Ich habe bei den Girls angefragt, ob eine von ihnen bei irgendeinem Job<br />
Vertretung brauchte, damit <strong>ich</strong> ein wenig Geld verdienen könne. Da kamen<br />
schon ein paar schräge Angebote. Zwei waren ganz eindeutig.<br />
Da wurde angefragt, ob <strong>ich</strong> auch bereit sei, in einem Club auszuhelfen.<br />
Ich habe dann gebeten, dass diese eine mir die E-Mail-Adresse geben<br />
könne, weil <strong>ich</strong> ein paar Fragen dazu hätte, die die Öffentl<strong>ich</strong>keit des Chats<br />
n<strong>ich</strong>t zu interessieren hat.<br />
Ich bekam prompt die Adresse von einer Rodika_S, und die hat mir<br />
genau beschrieben, was alles zu machen wäre. Sie wollte dann auch genau<br />
wissen, wie <strong>ich</strong> aussehen würde. Zwei Tage später hat sie m<strong>ich</strong> dann<br />
gebeten ihr ein paar Aktbilder zuzusenden und <strong>ich</strong> solle schon einmal<br />
meine Kontoverbindung bekannt geben.<br />
Noch am gle<strong>ich</strong>en Tag stellte <strong>ich</strong> fest, dass dort zweihundert Mark auf<br />
mein Konto eingezahlt worden waren, für so ein paar lächerl<strong>ich</strong>e<br />
Nacktbilder. Diese Rodika hat m<strong>ich</strong> dann wieder angemailt und mir<br />
gesagt, dass <strong>ich</strong> ein paar schärfere Fotos senden sollte, damit sie m<strong>ich</strong> in<br />
einem Katalog aufnehmen könne.<br />
Eine Kollegin von mir hat dann mit einer Digitalkamera ein paar Fotos<br />
von mir gemacht, wo <strong>ich</strong> so tue, als würde <strong>ich</strong> es mir selbst besorgen. Und<br />
dann kam die Einladung zur Party von diesem Jan Hertsch. Er hat<br />
angefragt, ob <strong>ich</strong> am Samstag Zeit hätte und wir haben uns dann vorher<br />
am Freitag zu einem Kennenlernen in einem Café an der Schwachhauser<br />
Heerstraße getroffen. Er ist ja wirkl<strong>ich</strong> ganz charmant, und er hat nur<br />
gemeint, dass <strong>ich</strong> ruhig Kolleginnen mitbringen könnte, die Spaß an einer<br />
tollen Party hätten. Da könnte er aber dann n<strong>ich</strong>ts dafür bezahlen. Die<br />
müssten nur einfach Lust haben, an solch ausgelassener Party<br />
mitzumachen. Er sagte mir, dass er mir Fünfhundert zahlen würde, wenn<br />
<strong>ich</strong> dann mit ihm schlafen würde. Ich habe zugesagt und zwei Kolleginnen<br />
mitgenommen. Später kam diese Sache, dass er noch kurz weg müsse, um<br />
Nachschub zu besorgen und wenn <strong>ich</strong> die anderen aus diesem Gartenhaus<br />
fernhielte, würde er mir noch mal Fünfhundert oben drauf packen. Das ist<br />
alles.«<br />
»Haben noch Andere auf der Party bemerkt, dass Jan für einige Zeit<br />
n<strong>ich</strong>t da war?«<br />
»Nur zwei von den jüngeren Mädchen, die ganz scharf darauf waren,<br />
dass er sie vernaschen sollte. Aber vor allen Dingen wollten sie noch Koks<br />
haben, darum haben Sie gefragt, wo er denn sei.«<br />
304
»Gut, diese beiden Mädchen werden Sie auf einer Aufze<strong>ich</strong>nung des<br />
ganzen Geschehnisses noch identifizieren müssen. Aber jetzt gehen Sie<br />
wieder an Ihre Arbeit. Wann haben Sie Feierabend?«<br />
»Heute um 18 Uhr.«<br />
»Gut, dann warten Sie bitte hier auf m<strong>ich</strong>. Ich hole Sie ab.<br />
Und denken Sie <strong>daran</strong>, wenn Sie gegenüber Hertsch reden, sind Sie<br />
unweigerl<strong>ich</strong> das nächste Opfer dieses Knaben.«<br />
Ich konnte nur hoffen, dass sie mir glaubte, denn <strong>ich</strong> besaß keine<br />
Chance, sie zu schützen. Ich musste seine Wege nachvollziehen, und <strong>ich</strong><br />
bekam auch schon eine Ahnung, wie er es bewerkstelligte, in der kurzen<br />
Zeit zum Bahnhof zu kommen und von Sebaldsbrück <strong>zurück</strong>. Seine<br />
vollständige Beobachtung ergab, dass er grundsätzl<strong>ich</strong> mit seinem<br />
Motorroller in die Schule fuhr und wieder <strong>zurück</strong>. Sein Roller hatte in der<br />
Garage gestanden, und konnte ihm also deswegen n<strong>ich</strong>t in Sebaldsbrück<br />
zur Verfügung gestanden haben. Wie war er dann aber von dort so schnell<br />
wieder <strong>zurück</strong>gekommen, denn dies war der einzige Halt vor Mahndorf<br />
gewesen, an dem er aus dem Zug hätte kommen können. Denn <strong>ich</strong> ging<br />
davon aus, dass er die junge Frau n<strong>ich</strong>t schon im Bremer Hauptbahnhof<br />
erstochen hatte, sondern erst auf der Fahrt.<br />
Es musste also eine Gelegenheit für ihn gegeben haben vom Bahnhof<br />
Sebaldsbrück <strong>zurück</strong> zum Golfclub zu gelangen. Ich stellte mir dabei ein<br />
geparktes Auto oder einen weiteren Roller vor, den er schon vorher an den<br />
Bahnhof brachte. Unklar war mir nur, wie er das Gefährt trotz Bewachung<br />
dahin bekommen haben könnte. Ich berücks<strong>ich</strong>tigte dabei allerdings n<strong>ich</strong>t,<br />
wie sportl<strong>ich</strong> der junge Mann war. Erst später stellten wir fest, dass er ein<br />
schweres Geländemotorrad am Tage vorher dort hinfuhr, das<br />
normalerweise von ihm in der Paul-Singer-Straße abgestellt war. Es stand<br />
sonst immer inmitten eines ganzen Pulks von Maschinen anderer<br />
Anwohner der Hochhäuser dort. Von Bahnhof aus war der junge Mann<br />
dann als Jogger die knappen viereinhalb Kilometer <strong>zurück</strong>gelaufen.<br />
Ich rekonstruierte an diesem Nachmittag, dass Jan in seinem<br />
Angleranzug aus dem rückwärtigen Fenster gestiegen war, quer über den<br />
Golfclub zum Hotel an der August-Bebel-Allee gelaufen und dort in ein<br />
wartendes Taxi gestiegen und zum Hauptbahnhof gefahren war. Dort hatte<br />
er das Mädchen, das er unter einem weibl<strong>ich</strong>en Decknamen im Chat dort<br />
hin bestellte in den Zug begleitet und sie dort erstochen. In Sebaldsbrück<br />
war er wieder ausgestiegen und dort sein Motorrad gestartet und war<br />
<strong>zurück</strong> in die August-Bebel-Allee gefahren und war wieder quer über den<br />
Golfplatz <strong>zurück</strong>gelaufen.<br />
305
Er entledigte s<strong>ich</strong> wieder seines blutverschmierten Angleroutfits und<br />
kam nackend wieder <strong>zurück</strong> zu den anderen Partygästen. Das Kokain<br />
bewahrte er in seinen Räumen auf und brachte es mit. Jeder glaubte, dass<br />
er nur Nachschub aus seinem Zimmer in Gartenhäuschen holte, und kaum<br />
jemand bemerkte, dass er dazu fast eine drei viertel Stunde brauchte.<br />
Ich war mir jetzt auch fast s<strong>ich</strong>er, dass er ahnte, durch Kameras<br />
beobachtet zu werden.<br />
Ich versuchte auch die Protokolle der Chatbegegnungen von Provider zu<br />
bekommen, aber die signalisierten mir schon, dass dies ein wenig dauern<br />
könne. Auch als <strong>ich</strong> denen sagte, dass es w<strong>ich</strong>tig zur Aufklärung eines<br />
Mordfalles sein könnte, sagte man mir nur, dass <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> zu gedulden<br />
hätte, und dass man ohne r<strong>ich</strong>terl<strong>ich</strong>en Beschluss n<strong>ich</strong>ts herausgeben<br />
würde. Ich war entsprechend sauer, weil dies gle<strong>ich</strong> bedeutend mit der<br />
Umkehr der Reihenfolge war, die <strong>ich</strong> anstrebte. Ich wollte beweisen, dass<br />
die späteren Opfer durch den Chatroom erst Opfer werden konnten, aber<br />
wenn <strong>ich</strong> erst nachweisen musste, dass Jan der Täter war, um dann<br />
nachweisen zu können, dass er seine Opfer durch dieses Medium<br />
angelockt und in S<strong>ich</strong>erheit gewiegt hatte, dann besaß <strong>ich</strong> äußerst schlechte<br />
Karten.<br />
Ich fluchte, aber wusste, dass <strong>ich</strong> es n<strong>ich</strong>t ändern konnte. Zu dem<br />
Zeitpunkt war <strong>ich</strong> noch n<strong>ich</strong>t so weit, die Server des Providers einfach zu<br />
knacken und mir die notwendigen Daten herauszuziehen.<br />
Dann machte <strong>ich</strong> noch etwas, was meine Theorie untermauern sollte und<br />
wurde auch tatsächl<strong>ich</strong> fündig. Es war auch ein Motorrad auf eine der<br />
Firmen von Hertsch zugelassen. Mit der Zulassungsnummer fuhr <strong>ich</strong> in die<br />
Vahr und suchte in der Paul- Singer-Straße die Parkplätze ab. Hier fand <strong>ich</strong><br />
die Maschine. Ordentl<strong>ich</strong> aufgebockt und mit einem sehr starken Schloss<br />
ges<strong>ich</strong>ert. Ich fotografierte die Maschine und machte m<strong>ich</strong> dann wieder auf<br />
den Weg, um die Krankenschwester abzuholen.<br />
In der Zwischenzeit rief <strong>ich</strong> im Präsidium an und hinterließ dort zwei<br />
Aufträge. Man sollte s<strong>ich</strong> die Überwachungsbänder des Bahnsteiges, wo<br />
der Vorortzug nach Verden abgegangen war, für die Abfahrtzeit besorgen<br />
und sie darauf untersuchen, ob ein mit Motorradkluft gekleideter Mann in<br />
den Zug gestiegen war. Außerdem sollten die Beamten herausfinden, wer<br />
einen jungen Mann vom Hotel in der fragl<strong>ich</strong>en Nacht zum Bahnhof oder<br />
in Bahnhofsnähe gefahren hätte. Mögl<strong>ich</strong>erweise hätte der Mann eine<br />
Motorradkluft getragen und einen Helm dabei gehabt. Als Letztes machte<br />
<strong>ich</strong> das Überwachungsteam von Jan Hertsch darauf aufmerksam, dass in<br />
der Paul-Singer-Straße ein Motorrad stehen würde, das man beobachten<br />
solle. Ich gab auch die Zulassungsnummer mit durch.<br />
306
Man fragte m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t, warum sie diese Spuren aufnehmen sollten, aber<br />
<strong>ich</strong> hoffte, dass man es ernst nahm, und meiner Bitte um Nachforschung<br />
nachkommen würde.<br />
34<br />
Die Krankenschwestern<br />
Ich war pünktl<strong>ich</strong> am Krankenhaus und musste noch einen kleinen<br />
Augenblick warten, in dem die junge Frau s<strong>ich</strong> umzog.<br />
Als sie dann neben mir stand und wir abmarschbereit waren, fragte sie<br />
m<strong>ich</strong>: »Und Herr <strong>Teufel</strong>, wie wollen Sie m<strong>ich</strong> beschützen?«<br />
»Lassen Sie den Herrn vor dem <strong>Teufel</strong> weg. Nennen Sie m<strong>ich</strong> einfach<br />
<strong>Teufel</strong>. Ich denke, je näher <strong>ich</strong> Ihnen bin, je besser kann <strong>ich</strong> auf Sie<br />
aufpassen. Ich werde Sie nach Hause fahren und Sie werden mir noch ein<br />
wenig mehr über diesen Chat erzählen. Haben Sie zu Hause auch einen<br />
Computer?«<br />
»Nein, habe <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t, aber <strong>ich</strong> müsste mir dringend einen zulegen. Mein<br />
Fernstudium würde s<strong>ich</strong> dadurch wesentl<strong>ich</strong> erle<strong>ich</strong>tern. Aber nach Hause<br />
fahren brauchen Sie m<strong>ich</strong> wirkl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t, denn <strong>ich</strong> wohne gle<strong>ich</strong> um die<br />
Ecke hier. Drüben in der Hemelinger Straße. Da würden Sie um diese Zeit<br />
nur schlecht einen Parkplatz erwischen. Wahrscheinl<strong>ich</strong> würden wir dann<br />
weiter laufen müssen, als von hier.«<br />
»Dann sind wir ja fast Nachbarn. Ich wohne von der Hemelinger auch<br />
nur noch ein paar Schritte weiter. Dann sollten wir zu mir gehen, denn dort<br />
habe <strong>ich</strong> Computer stehen.«<br />
»Und haben Sie auch etwas zu essen? Ich sterbe fast vor Hunger.«<br />
»Dann sollten wir vorher etwas essen gehen. Kommen Sie, wenn Sie<br />
Kotelett mögen. Ich weiß, wo es hier die Besten gibt.«<br />
»Ist das weit von hier?«<br />
»Nein ganz in der Nähe.«<br />
»Dann möchte <strong>ich</strong> erst meine Sachen hier nach Hause tragen und mir<br />
noch etwas anderes anziehen. Es ist wärmer geworden und in meinem<br />
dicken Pullover schwitze <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> sonst tot.«<br />
Meinen Wagen ließ <strong>ich</strong> auf dem Krankenhausparklatz stehen und wir<br />
gingen zu ihrer Wohnung. Sie wohnte, wie Charlotte in einer kleinen<br />
Dachgeschosswohnung, die sehr gemütl<strong>ich</strong> einger<strong>ich</strong>tet war.<br />
307
Sie lachte, als <strong>ich</strong> ihr das sagte und meinte: »Dabei sind es alles Möbel<br />
vom Sperrmüll. Mehr konnte <strong>ich</strong> mir n<strong>ich</strong>t leisten. <strong>Wenn</strong> Sie rauchen<br />
möchten, rauchen Sie ruhig, <strong>ich</strong> qualme ja auch.«<br />
Sie stellte mir einen Aschenbecher hin und verschwand im<br />
angrenzenden Schlafzimmer. Die Tür ließ sie offen stehen und sie zog s<strong>ich</strong><br />
wie selbstverständl<strong>ich</strong> aus. Sie besaß in natura eine noch viel hübschere<br />
Figur, als <strong>ich</strong> sie auf den Bildern wahrnahm.<br />
Sie verschwand im Badezimmer und <strong>ich</strong> hörte das Wasser rauschen.<br />
Wenig später kam sie wieder heraus und hatte s<strong>ich</strong> ein Handtuch um den<br />
Kopf gewunden und ein Laken um ihren Körper gewickelt. Es sah sehr<br />
sexy aus, als sie herüberkam und s<strong>ich</strong> auch eine Zigarette ansteckte. Dazu<br />
hockte sie s<strong>ich</strong> mit untergeschlagenen Beinen auf die Couch und bot mir<br />
einen sehr aufreizenden Einblick.<br />
Ich befragte sie, wie s<strong>ich</strong> Jan nach seiner Rückkehr benommen hätte auf<br />
der Party.<br />
»Er war wie von Sinnen. Ich dachte, er habe ebenfalls geschnupft, aber<br />
<strong>ich</strong> habe keine Veränderungen an seinen Pupillen bemerken können. <strong>Wenn</strong><br />
Sie die Bilder gesehen haben, dann sollten Sie wissen, dass er geradezu<br />
unersättl<strong>ich</strong> war. Und er war mir entschieden zu grob. Ich würde jedenfalls<br />
an einer weiteren Party n<strong>ich</strong>t teilnehmen und wenn er mir das Doppelte<br />
zahlen würde. Ich glaube, das war sowieso eine Schnapsidee, mit dieser<br />
Rodika_S. Ich bin für so etwas n<strong>ich</strong>t geschaffen. Ich habe zwar gerne Sex,<br />
aber <strong>ich</strong> suche mir meine Männer lieber selbst aus. Wie der wohl an diese<br />
Agentur gekommen ist?«<br />
»Ich schätze sehr einfach. Er ist die Agentur Rodika_S. Er hat s<strong>ich</strong> diese<br />
E-Mail-Adresse für s<strong>ich</strong> reservieren lassen, und gibt s<strong>ich</strong> als Frau aus. Den<br />
Namen hat er gewählt, weil eine Teilhaberin seines Vaters Rodika<br />
S<strong>ich</strong>etswilli heißt. Ich schätze, die weiß noch n<strong>ich</strong>t einmal, dass solche eine<br />
E-Mail-Adresse überhaupt existent ist.«<br />
»Meinen Sie wirkl<strong>ich</strong>?«<br />
Ich lachte: »Da bin <strong>ich</strong> ganz s<strong>ich</strong>er. Und nun schlüpfen Sie wieder in<br />
Bekleidungsstücke, damit wir essen gehen können. So wecken Sie nur die<br />
niedrigen Instinkte in mir.«<br />
»Kann <strong>ich</strong> das«, fragte sie kokett.<br />
Ich antwortete vors<strong>ich</strong>tshalber n<strong>ich</strong>t darauf und sie ging ihr Haar<br />
r<strong>ich</strong>ten. Sie nahm schon auf dem Gang zum Badezimmer das Badelaken ab<br />
und <strong>ich</strong> bewunderte ihre schöne Kehrseite.<br />
Nachdem sie s<strong>ich</strong> frisiert hatte, trat sie wieder aus dem Badezimmer und<br />
diesmal konnte <strong>ich</strong> ihre Vorderseite in voller Größe bewundern. Ich steckte<br />
mir vors<strong>ich</strong>tshalber eine Zigarette an und <strong>ich</strong> hörte sie leise lachen.<br />
308
Wenig später trat sie wieder aus dem Schlafzimmer und trug eine helle<br />
Hose und eine dunkelrote Bluse aus einem matt schimmernden seidigen<br />
Stoff. Dass sie dabei keinen Wert darauf legte, einen Büstenhalter<br />
anzuziehen, war n<strong>ich</strong>t zu übersehen. Sie legte es offens<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong> darauf an,<br />
m<strong>ich</strong> zu reizen.<br />
Sie schlüpfte noch in einen le<strong>ich</strong>ten Mantel.<br />
Ich war gespannt, wie Paula auf sie reagieren würde.<br />
Ich wurde wie immer an Paulas mächtigen Busen gedrückt, als wir in<br />
die Gaststätte kamen und <strong>ich</strong> stellte Paula Karin Wolters vor als meine<br />
momentane Schutzbefohlene. Paula war ganz begeistert und meinte nur:<br />
»<strong>Teufel</strong>, du hast bestimmt gewusst, dass du nur so hübsche Frauen zu<br />
beschützen hast, und bist deswegen Detektiv geworden.«<br />
Ich sagte leise vor m<strong>ich</strong> hin: »Und dabei jage <strong>ich</strong> noch eine wesentl<strong>ich</strong><br />
attraktiver aussehende wirkl<strong>ich</strong>e <strong>Teufel</strong>in in Menschengestalt.«<br />
Von der <strong>ich</strong> noch n<strong>ich</strong>t wusste, ob sie von Jan Hertsch missbraucht wird,<br />
oder ob die den Jungen so ausr<strong>ich</strong>tete. Ich selbst war allerdings eher davon<br />
überzeugt, dass es Jans Eltern waren, die den Jungen so irreleiteten.<br />
Karin Wolters und <strong>ich</strong> setzten uns an einen Tisch, nachdem wir unser<br />
Schwätzchen am Tresen mit Paula beendet und unsere Bestellung<br />
aufgegeben hatten. Wir zündeten uns jeder eine Zigarette an und warteten<br />
auf das erste Bier.<br />
Ich fragte beiläufig, wo die anderen beiden Schwesternschülerinnen<br />
denn wohnten und sie sagte mir: »Drüben auf dem Gelände der Klinik gibt<br />
es ein Schwesternwohnheim. Da herrscht nach 22 Uhr strenge Zucht und<br />
Ordnung. Herrenbesuche verboten. Vielle<strong>ich</strong>t waren Anke und Leoni<br />
daher am letzten Samstag so außer Rand und Band. Endl<strong>ich</strong> gab es Mal<br />
wirkl<strong>ich</strong> etwas zum Anfassen und n<strong>ich</strong>t nur zum Träumen. Und diese<br />
jungen Männer sind ja schon ganz schön leistungsfähig. Die beiden<br />
bekamen s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> mehr Spaß als <strong>ich</strong>.«<br />
Ich sagte dazu n<strong>ich</strong>ts, denn nach den Aufnahmen zu urteilen ekelte es<br />
sie lange n<strong>ich</strong>t so, wie sie es jetzt darstellen wollte. Zumindest sah es auf<br />
den Aufnahmen so aus. Wie es in ihr aussah, konnte <strong>ich</strong> wirkl<strong>ich</strong> nur<br />
erahnen.<br />
Ich fragte sie nach ihrem Studium, und es wunderte m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t, dass es<br />
Medizin war. Bis unsere Koteletts kamen, unterhielten wir uns über einige<br />
Schwierigkeiten, die sie in ihrem Beruf bekam, aber sie sagte, dass es ihr<br />
sehr viel Freude bereitete kranke Menschen zu pflegen und dass sie s<strong>ich</strong><br />
darauf freute, später noch mehr für die Patienten tun zu können.<br />
309
Dann kam unser Essen und sie staunte über die Portion und war<br />
begeistert, und meinte nur noch: »So toll habe <strong>ich</strong> noch nirgends Koteletts<br />
bekommen und der Kartoffelsalat ist einfach köstl<strong>ich</strong>.«<br />
Dann hörte <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>ts wieder von ihr, bis der Teller bis auf den<br />
Kotelettknochen leer gegessen war. Sie machte es wie <strong>ich</strong> und nagte den<br />
Knochen auch noch ab. Paula kam unaufgefordert mit neuem Bier und<br />
einem eiskalten Schnaps für jeden. Sie selbst brachte s<strong>ich</strong> wie immer einen<br />
Piccolo mit und setzte s<strong>ich</strong> zu uns und fragte neugierig: »Wovor musst du<br />
die Hübsche denn beschützen, <strong>Teufel</strong>?«<br />
»Vor dem Mädchenmörder, der seine Opfer vorzugsweise in<br />
Vorortzügen ablegt. Wir wissen inzwischen, wer es ist, aber die Polizei<br />
kann es ihm noch n<strong>ich</strong>t beweisen. Und einen Teil der Beweise kann Karin<br />
liefern, daher habe <strong>ich</strong> Angst, dass er s<strong>ich</strong> auch an ihr vergreifen wird. Und<br />
<strong>ich</strong> weiß auch, dass er das nächste Attentat gegen m<strong>ich</strong> plant. Er hat den<br />
Sprengstoff schon dafür bestellt. Ich hoffe, dass man den abfangen kann,<br />
damit <strong>ich</strong> ein wenig mehr Zeit gewinne.«<br />
»Ich denke, der Junge, der d<strong>ich</strong> in die Luft sprengen wollte, ist selbst<br />
dabei umgekommen.«<br />
»Der Junge, der dabei umgekommen ist, wusste wahrscheinl<strong>ich</strong> noch<br />
n<strong>ich</strong>t einmal, was er transportierte. Er hat nur einem Freund einen Gefallen<br />
getan. Nein, der Bursche, hinter dem wir her sind, ist ein oberschlaues<br />
Kerlchen, der hochgradig gefährl<strong>ich</strong> ist und dem es bisher gelungen ist, die<br />
Polizei zu narren.«<br />
»Auf was musst du d<strong>ich</strong> auch immer einlassen, <strong>Teufel</strong>. Da warst du mir<br />
früher fast lieber, da kanntest du nur einen Feind: d<strong>ich</strong> selbst. Aber jetzt<br />
scheinst du nur noch umgeben von gefährl<strong>ich</strong>en Gangstern.«<br />
»Paula, mache uns noch einen Schnaps und mir auch noch ein Bier, und<br />
dann wollen wir uns <strong>daran</strong> setzen herauszufinden, was der Bursche als<br />
Nächstes vorhat.«<br />
Paula ging und Karin Wolters grinste ein wenig und flüsterte: »Sie<br />
bemuttert Sie wirkl<strong>ich</strong> rührend. Was meinte sie damit, dass Sie früher nur<br />
s<strong>ich</strong> selbst zum Feinde hatten?«<br />
»Ich war Alkoholiker, der hier nächtelang herumgelungert und versucht<br />
hat, s<strong>ich</strong> mit Schnaps umzubringen.«<br />
»Sie?«<br />
»Ja, <strong>ich</strong>. In einem früheren Leben, das <strong>ich</strong> so langsam vergesse. Und nun<br />
nochmals zu den beiden Kolleginnen. Weiß Jan, wo die beiden wohnen?<br />
Und weiß er, wo Sie wohnen?«<br />
310
»Ich bin zieml<strong>ich</strong> s<strong>ich</strong>er, dass er weiß, wo die beiden wohnen, denn am<br />
frühen Abend machten wir im großen Kreis Witze darüber, dass wir die<br />
nächste Party im Schwesternheim veranstalten würden. Und Jan war ganz<br />
begeistert gewesen, dass er es dann ja den Schwestern, die dort die<br />
Aufs<strong>ich</strong>t haben, so r<strong>ich</strong>tig zeigen könne. Meine Adresse müsste er über die<br />
Agentur wissen, denn <strong>ich</strong> habe kein Geheimnis darum gemacht. Wieso<br />
fragen Sie, <strong>Teufel</strong>?«<br />
»Er könnte versuchen, sie alle als mögl<strong>ich</strong>e Belastungszeuginnen<br />
auszuschalten. Er geht mit einer außerordentl<strong>ich</strong>en Energie vor, dass selbst<br />
so etwas n<strong>ich</strong>t auszuschließen ist.<br />
Ich habe ihm zwar seine Bewegungsfähigkeit noch ein wenig mehr<br />
eingeschränkt, aber <strong>ich</strong> weiß n<strong>ich</strong>t, ob <strong>ich</strong> ihm damit wirkl<strong>ich</strong> alle<br />
Mögl<strong>ich</strong>keiten s<strong>ich</strong> unauffällig vom Haus zu entfernen, ohne, dass er durch<br />
Polizeibeamte überwacht wird, genommen habe.«<br />
Karin fröstelte plötzl<strong>ich</strong> und meinte: »Und das halten Sie für wirkl<strong>ich</strong><br />
vorstellbar, dass er kommt, um uns zu ermorden, um uns am Sprechen zu<br />
hindern?«<br />
»Bis jetzt weiß er nur, dass die Polizei ihn überwacht. Aber wenn er nur<br />
die leiseste Ahnung davon bekommt, was <strong>ich</strong> inzwischen über ihn weiß,<br />
und wer das bezeugen könnte, dann wird er wie ein in die Enge<br />
getriebenes Tier reagieren und mit aller Brutalität zuschlagen, um uns<br />
<strong>daran</strong> zu hindern gegen ihn aussagen zu können. Da können Sie ganz<br />
s<strong>ich</strong>er sein.«<br />
Karin Wolters nagte plötzl<strong>ich</strong> an ihrer Unterlippe und ihre Augen<br />
weiteten s<strong>ich</strong>, als sie sähe sie Schreckensbilder vor s<strong>ich</strong>.<br />
Sie murmelte: »Wie schreckl<strong>ich</strong>. Ich habe heute Nachmittag mit den<br />
beiden Mädchen gesprochen und habe sie ebenfalls gewarnt, dass dieser<br />
Jan Hertsch mögl<strong>ich</strong>erweise ein Mörder ist und sie auf der Hut sein sollten.<br />
Ich dachte <strong>ich</strong> müsste sie warnen. Sie haben mir aber n<strong>ich</strong>t glauben wollen.<br />
Was passiert, wenn die versuchen s<strong>ich</strong> mit ihm zu treffen?«<br />
Ich explodierte augenblickl<strong>ich</strong> und fuhr sie leise aber scharf an: »Ich<br />
habe ausdrückl<strong>ich</strong> gesagt: Schweigen zu jedermann. Mensch, Sie haben die<br />
beiden schreckl<strong>ich</strong> gefährdet. Kann man sie anrufen?«<br />
»Nein, dort gibt es nur Stationstelefone. Man müsste sie dann rufen.<br />
Aber jetzt sind sie schon in S<strong>ich</strong>erheit, denn jetzt ist es schon nach 22 Uhr,<br />
da ist dort alles verriegelt und verrammelt. Ich muss sie nur morgen ganz<br />
früh warnen. Können wir sie n<strong>ich</strong>t außerhalb irgendwo unterbringen,<br />
damit der Bursche sie n<strong>ich</strong>t finden kann?«<br />
Ich überlegte schon, wo <strong>ich</strong> sie unterbringen könnte. Mir fiel dabei nur<br />
Wiesel ein, der sie für eine kurze Zeit aufnehmen könnte.<br />
311
Aber damit waren die drei Frauen zu weit weg, wenn wir ihre Aussagen<br />
hier brauchten. Ich musste mir etwas einfallen lassen, wo sie hier<br />
unterkriechen konnten, und wo Hertsch garantiert keinen Zutritt<br />
bekommen würde. Und es würde die unbedingte Disziplin der Frauen<br />
voraussetzen, dass sie bis zur Aufklärung die Räuml<strong>ich</strong>keiten n<strong>ich</strong>t<br />
verlassen würden, in die <strong>ich</strong> sie schaffen müsste.<br />
Mir fiel nur mein neuer Freund Hackmann ein, der Antiquitätenhändler.<br />
Aber <strong>ich</strong> wusste n<strong>ich</strong>t, ob er Räuml<strong>ich</strong>keiten besaß, in denen wir eine<br />
Unterkunft für drei Frauen einr<strong>ich</strong>ten konnten. Ich nahm mein Handy und<br />
versuchte den alten Mann zu erre<strong>ich</strong>en.<br />
Nach dem fünften Rufze<strong>ich</strong>en ging er schließl<strong>ich</strong> ans Telefon und<br />
meldete s<strong>ich</strong> immer noch ganz munter: »Wer wagt es m<strong>ich</strong> bei meinem<br />
Krimi zu stören?«<br />
»Ich, <strong>Teufel</strong>. Und dazu noch mit einer Bitte, die mehr als ungewöhnl<strong>ich</strong><br />
ist. Ich brauche eine Unterkunft für drei junge Damen, die s<strong>ich</strong> auch<br />
tagsüber n<strong>ich</strong>t sehen lassen dürfen. Haben Sie die Mögl<strong>ich</strong>keit drei Frauen<br />
unterzubringen und sie im Schach zu halten? Das Leben der Frauen hängt<br />
davon ab. <strong>Wenn</strong> sie n<strong>ich</strong>t untertauchen können, werden sie nach meiner<br />
Einschätzung in den nächsten 24 Stunden umgebracht.«<br />
Der alte Mann atmete einmal tief durch. Das konnte <strong>ich</strong> am Telefon<br />
hören: »Wann bringen Sie sie?«<br />
»In der nächsten Stunde.«<br />
»Gut, <strong>ich</strong> werde im dunklen Laden auf sie warten.«<br />
»Paula, <strong>ich</strong> brauche ein schnelles Taxi.«<br />
»<strong>Wenn</strong> du d<strong>ich</strong> mir anvertraust, kann <strong>ich</strong> d<strong>ich</strong> fahren«, sagte einer der<br />
Männer an der Theke. Er hatte zwar schon etwas getrunken, aber für den<br />
kurzen Weg in die Hemelinger Straße sollte das gehen und <strong>ich</strong> sagte:<br />
»Prima, Heiner, mach den Wagen schon startklar.«<br />
Ich wusste, seine Taxe stand hier auf dem Hinterhof, wenn er Feierabend<br />
machte. Er wohnte hier mit im Hause.<br />
Zu Karin sagte <strong>ich</strong>: »Kommen Sie, wir wollen einen kleinen Koffer für<br />
Sie packen und dann die beiden anderen Mädchen aus dem Heim holen<br />
und s<strong>ich</strong>er unterbringen.«<br />
Zu Paula meinte <strong>ich</strong>: »Mach nen Deckel für m<strong>ich</strong>, <strong>ich</strong> bezahl das nächste<br />
Mal.«<br />
»Hoffentl<strong>ich</strong> gibt es das auch«, meinte sie leise und ein wenig ängstl<strong>ich</strong>.<br />
Dabei dachte sie s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t an die Zeche.<br />
Heiner fuhr uns rasch hinüber und fragte: »Soll <strong>ich</strong> warten?«<br />
»Nein, Heiner, wir gehen zu Fuß hinüber ins Klinikum, da steht mein<br />
Wagen dann.«<br />
312
Er fuhr ab, und wir eilten nach oben ins Dachgeschoss.<br />
Jetzt war von Karins Koketterie des früheren Abends n<strong>ich</strong>t mehr übrig<br />
geblieben. Sie packte schnell und konzentriert Unterwäsche und einige<br />
andere Kleidungsstücke ein und ging nur kurz ins Badezimmer, um ihre<br />
Kosmetika zu holen. Viel war es n<strong>ich</strong>t. Dann waren wir bereit und <strong>ich</strong> trug<br />
galant das kleine Köfferchen.<br />
Als wir zwischen den geparkten Pkws hindurch auf die andere<br />
Straßenseite treten wollten, nahm <strong>ich</strong> das Aufblitzen eines Scheinwerfers<br />
aus den Augenwinkeln wahr. Und das Aufröhren eines Motorrades. Ich<br />
sah, wie die Maschine wie ein Geschoss auf uns zuraste.<br />
Ich schleuderte Karin brutal <strong>zurück</strong> zwischen die geparkten Wagen, als<br />
das Motorrad auf m<strong>ich</strong> zugeschossen kam. Ich sah die Klinge der S<strong>ich</strong>el,<br />
die der Fahrer in der rechten Hand hielt und meine einzige Reaktion war,<br />
den Koffer in meiner Hand nach oben zu reißen und in die Bahn der nach<br />
mir geschwungenen S<strong>ich</strong>el zu werfen. Der Koffer wurde vollständig<br />
aufgerissen und Kleidung flatterte um m<strong>ich</strong> herum. Der Motorradfahrer<br />
war durch die Wucht des Aufpralles aus dem Gle<strong>ich</strong>gew<strong>ich</strong>t geraten und<br />
raste mit seiner rechten Seite in den geparkten Wagen. Vor dem Kreischen<br />
des Metalls, das beim Aufeinandertreffen der schweren Maschine gegen<br />
das Blech des Wagens entstand, konnte <strong>ich</strong> deutl<strong>ich</strong> das Brechen der<br />
Knochen, des Beines hören. Dann flogen Funken und das Motorrad samt<br />
Fahrer flog quer über das Kopfsteinpflaster. Es knallte noch einmal, als die<br />
Maschine gegen das Auto auf der anderen Seite prallte. Der Fahrer war<br />
unter dem Motorrad begraben.<br />
Hinter mir hörte <strong>ich</strong> das Jammern von Karin Wolters, das aber<br />
augenblickl<strong>ich</strong> durch die Sirenen eines Polizeieinsatzfahrzeuges übertönt<br />
wurde, der von der Hamburger Straße angeschossen kam.<br />
Quietschend Reifen, rotierendes Blaul<strong>ich</strong>t und aufgeregt durcheinander<br />
schreiende Polizisten und Passanten, die aus den Häusern gestürzt kamen,<br />
und die wie von Zauberhand an den Fenstern der Wohnhäuser erschienen,<br />
waren die nächsten Eindrücke. Ich half Karin, s<strong>ich</strong> aufzur<strong>ich</strong>ten. Sie blutete<br />
aus einer Platzwunde an der Stirn und schien s<strong>ich</strong> auch die Rippen<br />
schreckl<strong>ich</strong> geprellt zu haben. Sie presste ihren Arm an den Körper und<br />
dabei bemerkte <strong>ich</strong>, dass er etwas ungewöhnl<strong>ich</strong> gewinkelt war. Ihr Arm<br />
war gebrochen.<br />
Ich schrie: »Hier ist noch eine Verletzte. Wir müssen Sie ins<br />
Krankenhaus bringen.«<br />
Ein Polizist, der s<strong>ich</strong> den Menschenklumpen unter den Motorradresten<br />
ansah, meinte trocken: »Der braucht nur noch ne Kehrmaschine, die den<br />
Rest zusammen<strong>kehrt</strong>.<br />
313
Der Schweinehund hat bekommen, was er verdient hat. Nur ist es<br />
wahrscheinl<strong>ich</strong> viel zu schnell gegangen.«<br />
»Wieso Schweinehund? Und warum waren Sie hinter ihm her?«<br />
»Das Schwein hat einen Amoklauf im Schwesterheim drüben<br />
veranstaltet. Zwei junge Frauen sind tot, und zwei ältere<br />
Aufs<strong>ich</strong>tsschwestern sind schwer verletzt. Er hat sie mit einer S<strong>ich</strong>el zum<br />
Grasschneiden gemeuchelt.«<br />
Ich konnte gerade noch Karin Wolters auffangen, die in Ohnmacht<br />
gefallen war. Ich rief in die Menge, die s<strong>ich</strong> inzwischen ansammelte: »Kann<br />
jemand die Frau hier ins Krankenhaus schaffen. Mit einem Auto, was<br />
hinter der Unfallstelle steht?«<br />
Keiner der Passanten rührte s<strong>ich</strong> und <strong>ich</strong> stand immer noch mit der<br />
ohnmächtigen Karin auf dem Arm und schritt auf die Menschenmenge zu.<br />
Den ersten Mann, der im Pyjama auf der Straße stand, herrschte <strong>ich</strong> an.<br />
»Ziehen Sie s<strong>ich</strong> was an, sonst erkälten Sie s<strong>ich</strong> Ihren Charakter. Und wer<br />
kann mir ein Auto zur Verfügung stellen.«<br />
Schließl<strong>ich</strong> bequemte s<strong>ich</strong> ein Mann und öffnete sein Auto und <strong>ich</strong><br />
konnte Karin auf den Rücksitz an m<strong>ich</strong> lehnen.<br />
»Fahren Sie zur Notaufnahme. Sie hat nur einen Armbruch, eine kleine<br />
Platzwunde an der Stirn und einen Schock, psychischer Art. Bitte fahren<br />
Sie.«<br />
Zwei Minuten später waren wir in der Notaufnahme. Hier herrschte ein<br />
wahres Chaos, weil die verletzten Krankenschwestern hier in die einzelnen<br />
Operationssäle verteilt wurden. Aber <strong>ich</strong> konnte Karin auf einer Liege<br />
ablegen und machte dann bei einer gestressten älteren Schwester, meine<br />
Angabe zur Verletzung und sagte ihr: »Sie ist ebenfalls eine Kollegin von<br />
hier, die der Irre außerhalb des Schwesternheimes angegriffen hat. Sie ist<br />
Schwester Karin Wolters aus der Chirurgie III.«<br />
»Und wer sind Sie? Ein Verwandter?«<br />
»Nein, mein Name ist Waldemar <strong>Teufel</strong>. Ich bin Privatdetektiv. Ich muss<br />
jetzt <strong>zurück</strong> in die Hemelinger Straße, dort liegt der Attentäter tot herum,<br />
und man braucht meine Aussage über den Tathergang.«<br />
Ich ließ die Frau einfach stehen und war hinaus. Mir war fürchterl<strong>ich</strong><br />
schlecht und <strong>ich</strong> wollte n<strong>ich</strong>t dort in den Flur spucken müssen. Wenig<br />
später, als <strong>ich</strong> durch die Anlagen dort hastete, erbrach <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> dann, über<br />
einem Blumenbeet.<br />
Als <strong>ich</strong> wieder am Unfallort erschien, schrie der Polizist, der schon<br />
hinter mir herrief, als wir Karin abtransportierten: »Kommen Sie sofort<br />
hierher. Wir brauchen Ihre Aussage, denn augenscheinl<strong>ich</strong> haben Sie<br />
gesehen, was passierte.<br />
314
Kommen Sie hier herüber zum Wagen der Mordkommission.«<br />
Als <strong>ich</strong> in den Wagen kletterte, sah <strong>ich</strong> als Erstes das müde Ges<strong>ich</strong>t<br />
Waldtmanns, der aufschaute und nur murmelte: »Sie, <strong>Teufel</strong>? Was machen<br />
Sie schon wieder in der Nähe eines Tatortes?«<br />
»Ich habe den dritten Mord verhindert. Die junge Frau, die <strong>ich</strong> eben ins<br />
Krankenhaus gebracht habe, sollte das nächste Opfer des Wahnsinnigen<br />
werden. Sie ist auch Krankenschwester und kann bezeugen, dass Jan<br />
Hertsch am letzten Samstag über eine Dreiviertelstunde von der Party<br />
abwesend war und sehr wahrscheinl<strong>ich</strong> dem Mord im Vorortzug begangen<br />
hat, obwohl Sie ihn überwacht haben.<br />
Ich möchte wetten, dass die drüben im Heim ermordeten<br />
Krankenschwestern, diejenigen sind, die ebenfalls auf der Party in Hertsch<br />
Schwimmbad anwesend waren. <strong>Wenn</strong> <strong>ich</strong> Karin Wolters n<strong>ich</strong>t<br />
<strong>zurück</strong>geschleudert hätte, und n<strong>ich</strong>t ihren Koffer hochgerissen, dann wäre<br />
sie wahrscheinl<strong>ich</strong> jetzt auch noch tot.«<br />
»Dann sind Sie für das unrühml<strong>ich</strong>e Ende dieses Verrückten<br />
verantwortl<strong>ich</strong>?«<br />
»Eher seine Idiotie von einer rasenden Maschine aus, m<strong>ich</strong> mit der S<strong>ich</strong>el<br />
ummähen zu wollen. Der hätte genauso stürzen müssen, wenn er m<strong>ich</strong><br />
erwischt hätte. Der Widerstand wäre immer zu groß gewesen und es hätte<br />
ihn immer aus dem Gle<strong>ich</strong>gew<strong>ich</strong>t gebracht. Waldtmann lassen Sie m<strong>ich</strong><br />
jetzt nach Hause gehen, mir ist kotzelend und <strong>ich</strong> kann meine Aussage<br />
besser morgen früh machen. Und außerdem muss <strong>ich</strong> dringend<br />
telefonieren. Ich muss einem alten Mann leider sagen, dass wir n<strong>ich</strong>t<br />
schnell genug waren, um die Mädchen bei ihm unterzubringen und damit<br />
in S<strong>ich</strong>erheit.«<br />
»Okay, <strong>Teufel</strong>. Seien Sie morgen früh um zehn Uhr im Präsidium. Wir<br />
waren auch zu langsam. Die Mannschaft, die das Motorrad bewachte, hat<br />
n<strong>ich</strong>t damit gerechnet, dass der Bursche auch kleine Fußwege mit der<br />
Maschine befahren konnte. Er ist ihnen entwischt. Und erst als der<br />
Amoklauf drüben im Schwesterheim anfing, wusste man, wohin er<br />
verschwunden war. Und dann ist er dem Streifen nochmals entwischt, weil<br />
er über das Parkgelände des Klinikums rasen konnte. Die Kollegen hätten<br />
ihn <strong>daran</strong> hindern müssen, überhaupt auf die Maschine zu steigen, denn<br />
der besaß noch n<strong>ich</strong>t einmal einen Führerschein dafür. Verflucht, da ist so<br />
beschissen viel daneben gegangen. Ich könnte heulen.«<br />
»Ich auch, Waldtmann. Ich hätte nur schneller schalten müssen. Ich hätte<br />
die Mädchen dort noch früher herausholen können. Sie könnten noch<br />
leben!«<br />
315
»Und <strong>ich</strong> muss das Verbrecherpack von Eltern auch noch vom Ableben<br />
ihres hoffnungsvollen Sprösslings unterr<strong>ich</strong>ten.«<br />
Ich beneidete Waldtmann n<strong>ich</strong>t. Als <strong>ich</strong> ging, dachte <strong>ich</strong> nur: »Dies war<br />
das erste Mal, das Waldtmann und <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t aneinandergeraten sind.«<br />
Hackmann war erschüttert, als <strong>ich</strong> ihn unterr<strong>ich</strong>tete.<br />
Von Zuhause aus erre<strong>ich</strong>te <strong>ich</strong> dann Kaufmann und ber<strong>ich</strong>tete ihm, was<br />
passiert war. Man verständigte ihn bisher noch n<strong>ich</strong>t einmal und er meinte<br />
nur: »Typisch!«<br />
Ich schlug ihm vor, den Sack jetzt endgültig zuzumachen.<br />
»Aber wie denn, <strong>Teufel</strong>?«<br />
»Bauen Sie bis morgen früh alle Mannschaften so auf, dass sie<br />
zuschlagen können. Sie haben eine E-Mail von einer Absenderadresse<br />
Rodika_S erhalten, die Ihnen die Zusammenhänge in der Firma gestehen.<br />
Diese E-Mail wird auch Einzelheiten über die letzte Lieferung von<br />
Rauschgift und Sprengstoff enthalten und weitere Details über den<br />
Verteilerring. Sie werden darin auch Informationen über die Abfüllstation<br />
im Keller der Firmenzentrale erhalten, die Sie zwingen einzugreifen. <strong>Wenn</strong><br />
Sie nachforschen, woher diese Informationen stammen, werden Sie<br />
feststellen können, dass sie von einem gewissen Jan Hertsch, der diese<br />
Adresse benutzt, stammen. Bevor er auf seine letzte Mordfahrt gegangen<br />
ist, hat er die Machenschaften seiner Eltern offen gelegt. <strong>Wenn</strong> Sie diese<br />
Nachr<strong>ich</strong>t sehr früh am Morgen im Präsidium bekannt geben, werden Sie<br />
auch den Informanten, das Leck dort, finden können, denn der wird n<strong>ich</strong>ts<br />
Eiligeres zu tun haben und die Hertschs oder die S<strong>ich</strong>etswilli zu warnen. Er<br />
darf nur keine Gelegenheit bekommen, außerhalb des Hauses zu<br />
telefonieren. Damit dürften Sie auch den wahren Mörder des<br />
Gerätehändlers finden. Die Nachr<strong>ich</strong>t wird morgen früh um sieben in der<br />
Rauschgiftabteilung als zeitversetzt versandte E-Mail ankommen.<br />
Mobilisieren Sie all ihre Kräfte und verhindern, dass diese Georgierin<br />
fliehen kann.«<br />
»Und woher wissen, dass diese E-Mail eintrifft?«<br />
»Ich kann m<strong>ich</strong> eben in das kranke Hirn dieses Jan Hertsch<br />
hineinversetzen. Er will s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t nur an allen Frauen rächen, sondern vor<br />
allen Dingen an seinen Eltern. Darum hat er es gemacht.«<br />
»<strong>Teufel</strong>, Sie wissen doch schon wieder mehr. Was tricksen Sie dort<br />
gerade wieder?«<br />
»Kaufmann, <strong>ich</strong> trickse n<strong>ich</strong>t. Mir ist schlecht, weil <strong>ich</strong> mehrere Morde<br />
n<strong>ich</strong>t verhindert habe, und weil außerdem noch diverse Verletzte im<br />
Krankenhaus liegen. Unter anderem eine sehr hübsche Frau, die m<strong>ich</strong><br />
eigentl<strong>ich</strong> heute Nacht verführen wollte.<br />
316
Ich verkrieche m<strong>ich</strong> jetzt in meinem Bett.«<br />
»<strong>Teufel</strong>, <strong>ich</strong> glaube Ihnen n<strong>ich</strong>t.«<br />
»Dann lassen Sie es bleiben«, damit trennte <strong>ich</strong> die Leitung endgültig.<br />
Dann hatte <strong>ich</strong> es eilig m<strong>ich</strong> umzuziehen und in mein Auto zu kommen.<br />
Ich fuhr in die Paul-Singer-Straße und stellte den Wagen fast dort ab, wo<br />
früher das Motorrad stand. Durch das Gebüsch gelangte <strong>ich</strong> auf das<br />
Gelände des Golfclubs, den <strong>ich</strong> schnell überquerte. Ich brach in das<br />
Gartenhäuschen ein und setzte m<strong>ich</strong> an das Notebook, dass <strong>ich</strong> dort sah.<br />
Mir war vorhin klar geworden, dass Jan von hier aus seine<br />
Internetaktivitäten tätigte.<br />
Ich fand alles so vor, wie <strong>ich</strong> es erwartete. Ganz so schlau, wie <strong>ich</strong><br />
gedacht hatte, war Jan dann aber wieder n<strong>ich</strong>t gewesen. Die einzelnen<br />
Keywords für drei verschiedene Provider legte er in einer Datei ab, die <strong>ich</strong><br />
sofort fand. Es war immer das gle<strong>ich</strong>e Passwort und es war mehr als<br />
makaber: Ripper<br />
Es war selbstverständl<strong>ich</strong>, dass <strong>ich</strong> mit Vinylhandschuhen arbeitete, als<br />
<strong>ich</strong> die E-Mail über die Adresse Rodika_S zeitversetzt für sieben Uhr an<br />
das Drogendezernat des Polizeipräsidiums absetzte. Das Notebook ließ <strong>ich</strong><br />
angeschaltet, sodass der Eindruck entstehen musste, dass es seine letzte Tat<br />
gewesen war, bevor er s<strong>ich</strong> auf seine Mördertour machte.<br />
Ich hetzte wieder zu meinem Wagen und fuhr zu Paula. Ich parkte auf<br />
der Hofeinfahrt. Es war null Uhr vierundvierzig, als <strong>ich</strong> aus dem Wagen<br />
stieg. Paula fragte n<strong>ich</strong>ts. Sie sah mir nur mit sorgenvollem Ges<strong>ich</strong>t<br />
entgegen und schenkte schon einen ganz großen Schnaps ein und stellte<br />
ihn für m<strong>ich</strong> auf die Theke und beschäftigte s<strong>ich</strong> dann damit, mir auch<br />
noch ein großes Bier zu zapfen. Erst als sie mir auch das noch hinstellte<br />
und mit etwas zittrigen Fingern einen Piccolo öffnete, fragte sie: «Ist die<br />
Hübsche auch tot? Ich hab´s im Radio gehört.«<br />
»Nein, Karin hat nur einen Armbruch, geprellte Rippen und eine<br />
Platzwunde an der Stirn. Das hab <strong>ich</strong> ihr verpasst. Aber Sie lebt<br />
wenigstens. Für die beiden Anderen, waren wir n<strong>ich</strong>t schnell genug.«<br />
Danach tranken wir schweigend. Paula wusste, dass <strong>ich</strong> jetzt n<strong>ich</strong>ts<br />
mehr erzählen wollte.<br />
Erst eine halbe Stunde später, als alle übrigen Gäste verschwunden<br />
waren, erzählte <strong>ich</strong> ihr, was drüben in der Hemelinger Straße passiert war.<br />
317
35<br />
Ende der Bösartigkeiten<br />
Um kurz nach sieben Uhr schrillte mein Telefon wie verrückt. Ich<br />
meldete m<strong>ich</strong> noch ein wenig verschlafen, denn <strong>ich</strong> verließ Paulas<br />
Gaststätte erst kurz vor zwei Uhr.<br />
Es war Kaufmann, der m<strong>ich</strong> anraunzte, dass <strong>ich</strong> sofort hinüber ins<br />
Präsidium zu kommen hätte. Ich war ehrl<strong>ich</strong> erschrocken, in welchem Ton<br />
er mit mir redete. Plötzl<strong>ich</strong> bekam <strong>ich</strong> das Gefühl, dass etwas schief<br />
gegangen sein konnte. Ich wollte ihn etwas fragen, aber er legte schon auf.<br />
Zwanzig Minuten später wurde <strong>ich</strong> zu einer Chaossitzung geführt.<br />
Kaufmann stand mit Emde zusammen und Emde schien einen Vortrag<br />
oder eine Beschimpfung loszulassen. Bei dem Stimmengewirr im Raum<br />
war absolut n<strong>ich</strong>t zu verstehen, was die beiden diskutieren.<br />
Erstaunl<strong>ich</strong>erweise waren auch die BKA-Techniker und auch Anna schon<br />
anwesend. Anna saß mit blicklosen Augen in einer Ecke. Sie schien die<br />
übrigen Menschen gar n<strong>ich</strong>t wahrzunehmen. Sie schien einfach<br />
niedergeschlagen zu sein. Ich ging hinüber zu ihr, und fragte sie: »Anna,<br />
was ist los?«<br />
»Ich kann es n<strong>ich</strong>t fassen. Der Mann, auf den <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> immer am<br />
meisten verlassen habe und von dem <strong>ich</strong> glaubte, er sei mein<br />
zuverlässigster Mitarbeiter, ist der Verräter und der Mörder von diesem<br />
Gerätehändler. Nur weil er seinem drogensüchtigen Sohn helfen wollte.<br />
Der ging mit Hertsch in eine Klasse. Verflucht, ist das eine beschissene<br />
Welt.«<br />
Trotzdem verstand <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t, was Emde und Kaufmann so in Rage<br />
brachte. Einer der Techniker des BKA – der junge Fermont – hielt m<strong>ich</strong><br />
<strong>zurück</strong>, als <strong>ich</strong> zu Kaufmann und Emde gehen wollte. Er raunte mir nur zu:<br />
»Jetzt n<strong>ich</strong>t. Die streiten darüber, ob wir das Bildmaterial, dass den<br />
Totschlag an Frau Hertsch durch ihren Mann verwenden dürfen oder<br />
n<strong>ich</strong>t.«<br />
»Was ist da denn noch gelaufen?«<br />
»Zieml<strong>ich</strong> Grässl<strong>ich</strong>es. Nachdem Waldtmann den Hertschs die<br />
Nachr<strong>ich</strong>t vom Ableben ihres Sohnes und den Umständen, wie es dazu<br />
gekommen ist, überbrachte, sind die beiden übereinander hergefallen.<br />
318
Sie beschimpfte ihn, dass er den Sohn immer nur für s<strong>ich</strong> beansprucht<br />
hätte, er sie, dass sie den Jungen sogar sexuell missbraucht hätte und so<br />
weiter und so fort. Als dieser stille Teilhaber, dieser Fister, mit dem die<br />
Hertsch wohl ein Verhältnis hatte, dann Partei für Frau Hertsch ergriff und<br />
dem Hertsch vorgeworfen hat, dass der mit der S<strong>ich</strong>etswilli n<strong>ich</strong>t nur ein<br />
Verhältnis hätte, sondern Frau Hertsch und ihn um Geld betrog, da ist der<br />
Hertsch endgültig ausgerastet und hat den Fister mit einer Tischlampe<br />
niedergeschlagen. Die Hertsch war dann so blöd und hat ihrem Mann<br />
dann mit einem Messer angreifen wollen. Der hat nur noch einmal<br />
zugeschlagen. Er hat ihr den Kopf total zertrümmert. N<strong>ich</strong>t genug damit.<br />
Er ist dann zu dem Fister und hat dem die Lampe mindestens noch<br />
zehnmal über den Kopf gehauen, bis der nur noch Brei war. Der muss so<br />
r<strong>ich</strong>tig im Blutrausch gewesen sein. Dann ist der seelenruhig ins Bad hat<br />
s<strong>ich</strong> umgekleidet und hat s<strong>ich</strong> in seinen Wagen gesetzt und ist<br />
weggefahren.<br />
Er ist nach Worpswede und hat bei seiner Geliebten gepennt. Wir<br />
wussten, dass er dort ist, aber wir sollten noch n<strong>ich</strong>t zugreifen, weil<br />
Kaufmann auf etwas wartete. Er hat n<strong>ich</strong>t gesagt auf was. Wir sollten nur<br />
auf jeden Fall verhindern, dass dieses schräge Paar, dort n<strong>ich</strong>t<br />
klammheiml<strong>ich</strong> abhaute. Kurz vor sieben Uhr kam dann der Befehl:<br />
«Zugriff».<br />
Keinen Augenblick zu spät, denn wir mussten sie mit Waffengewalt<br />
<strong>daran</strong> hindern S<strong>ich</strong>etwillis Wagen vom Hof zu fahren. Die Frau ist dabei<br />
zieml<strong>ich</strong> verletzt worden, weil wir n<strong>ich</strong>t nur die Reifen getroffen haben,<br />
sondern auch die Windschutzscheibe. Die hätte uns sonst über den Haufen<br />
gefahren.«<br />
»Und wie seid ihr hier so schnell hergekommen?«<br />
»Mit einem Hubschrauber. Den ließ Kaufmann für uns bereitstellen. Der<br />
ist erst hier in die Klinik und wir haben die S<strong>ich</strong>etswilli abgeliefert, und<br />
dann den Hertsch hierher und jetzt streiten s<strong>ich</strong> die Herren, welches<br />
Material zugelassen werden kann, und welches n<strong>ich</strong>t. Und wem welcher<br />
Erfolg zuzuschreiben ist.«<br />
»Und was soll <strong>ich</strong> dann hier? Ich hätte gerne in Ruhe gefrühstückt und<br />
wäre dann ganz gemütl<strong>ich</strong> zu meiner Vernehmung zu Waldtmann<br />
gegangen. Und jetzt gibt´s hier Kompetenz und Erfolgsgerangel. Ich<br />
glaube, die spinnen alle. Hoffentl<strong>ich</strong> habt ihr alle Überwachungsdaten per<br />
Satellit nach Wiesbaden übertragen.«<br />
Fermont grinste m<strong>ich</strong> an und meinte nur: »Darauf kannst du d<strong>ich</strong><br />
verlassen.«<br />
319
»Dann sollte <strong>ich</strong> das nette Auto wohl besser ganz schnell wieder nach<br />
Berlin überstellen, wo es hingehört. Es ist Privatbesitz. Nur dann sollte<br />
m<strong>ich</strong> einer von euch besser bei Waldtmann entschuldigen, der m<strong>ich</strong> ja zu<br />
Zeugenaussagen um zehn Uhr vorgeladen hat.«<br />
Fermont nickte und meinte: »Das kann Kaufmann nachher für Sie<br />
erledigen.«<br />
Als <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> gerade absetzen wollte, kam Waldtmann in den Raum und<br />
wurde kurz von einem Beamten über die neueste Sachlage informiert. Die<br />
Flüche, die Waldtmann von s<strong>ich</strong> gab, waren wirkl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t druckreif.<br />
Erstaunl<strong>ich</strong>erweise ließ er s<strong>ich</strong> durch m<strong>ich</strong> mit auf den Flur ziehen und<br />
<strong>ich</strong> sagte ihm: »Waldtmann Sie brauchen doch gar keine Aussage von mir.<br />
Frau Wolters wollte wegfahren – aus welch einem Grunde auch immer –<br />
als dieser verrückte Jan Hertsch ihr den Garaus machen wollte. Sie ist<br />
durch das herannahende Motorrad derart erschreckt, dass sie hingefallen<br />
ist.<br />
Das war ihr großes Glück, denn Sekunden später raste das Motorrad in<br />
den Wagen und schleuderte auf die andere Seite. Es braucht nirgendwo<br />
auftauchen, woher der Tipp mit dem Motorrad kam. Vergessen Sie m<strong>ich</strong><br />
einfach in der ganzen Angelegenheit. Ich habe eine w<strong>ich</strong>tige persönl<strong>ich</strong>e<br />
Verabredung gle<strong>ich</strong> in Berlin. Sie haben mindestens drei Tage weniger<br />
Schreibkram und <strong>ich</strong> kann meine persönl<strong>ich</strong>en Dinge in Berlin regeln.<br />
Haben die Auswertungen der Bahnsteigüberwachung ergeben, dass einen<br />
Motorradfahrer in den Zug gestiegen ist?«<br />
Waldtmann nickte nur.<br />
»Dann sollten s<strong>ich</strong> an der Montur eventuell sogar noch verwertbare<br />
Spuren finden lassen, die den Mord an dem Mädchen beweisen könnte,<br />
wenn es die gle<strong>ich</strong>e Montur war.«<br />
»Es war eine andere, aber die haben wir inzwischen im Gartenhaus<br />
s<strong>ich</strong>ergestellt. Hauen Sie ab, <strong>Teufel</strong> und erledigen Sie in Gottes Namen Ihre<br />
»persönl<strong>ich</strong>en« Angelegenheiten. <strong>Wenn</strong> alles erledigt ist, sollten wir<br />
vielle<strong>ich</strong>t einmal ein Bier zusammen trinken.«<br />
Ich verschwand wie der Blitz aus dem Präsidium und konnte gerade<br />
noch verhindern, dass mir eine Politesse ein Ticket für Parken auf einem<br />
Dienstparkplatz verpasste. Ich fuhr <strong>zurück</strong> in meine Wohnung und packte<br />
einen kleinen Übernachtungskoffer und rief Jan Vermeer und später Tiffert<br />
an und sagte an, dass <strong>ich</strong> sie besuchen käme. Ich sagte Tiffert, dass <strong>ich</strong><br />
Großteile der Überwachungsgeräte wieder mitbringen würde.<br />
Ich fuhr dann mit einem Taxi zum Überwachungsmobil.<br />
320
Kaufmann hielt m<strong>ich</strong> telefonisch an und sagte nur kurz: »Gerstemeier<br />
und seine Leute bergen schon die Geräte. Warten Sie, bis Sie alles<br />
zusammenhaben, dann ist der Krempel wenigstens wieder beisammen. Ich<br />
hoffe, wir sehen uns demnächst einmal. Ich habe ganz schönen Durst.«<br />
»Sie wissen doch: Damit bin <strong>ich</strong> durch, Kaufmann.«<br />
Um zwölf Uhr mittags waren dann alle Sachen wieder zusammen und<br />
<strong>ich</strong> konnte über den Universitätszubringer direkt auf die Autobahn fahren.<br />
Mein Magen knurrte, aber Appetit hatte <strong>ich</strong> sowieso keinen. Ich wollte bis<br />
Berlin durchhalten. Aber das schaffte <strong>ich</strong> dann doch n<strong>ich</strong>t. Beim Autohof<br />
Herzsprung verspürte <strong>ich</strong> dann solch großen Hunger, dass <strong>ich</strong> von der<br />
Autobahn abbog und dort ein großes Stück Hausmacherapfelkuchen aß,<br />
und einen Pott Kaffee trank. Dann setzte <strong>ich</strong> meine Reise fort und war kurz<br />
nach 18 Uhr auf dem Siemensgelände.<br />
Sie waren alle versammelt: Tiffert und Sabine, Benny und Samantha, alle<br />
Vermeers einschließl<strong>ich</strong> der kleinen Nicole und der großen Randy.<br />
Charlotte war die Erste, die in meine Arme flog und danach wurde <strong>ich</strong><br />
durchgere<strong>ich</strong>t. Es war mir fast peinl<strong>ich</strong>, als auch Yvonne Hoffmann m<strong>ich</strong><br />
als letzte drückte, denn auch die Hoffmanns und Stadtler waren dort<br />
versammelt. Und einer mit dem <strong>ich</strong> wirkl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t rechnete. Siggi Arndt,<br />
der Freund vom LKA Berlin.<br />
Wir fuhren als ganzer Korso in das Feinschmeckerrestaurant im Grand<br />
Hotel Esplanade. Hier führte <strong>ich</strong> Stadtler mit seinem Sohn zusammen und<br />
wir feierten das erste Mal mit Vermeer zusammen. Inzwischen hatte auch<br />
Charlotte den Erfolg zu verze<strong>ich</strong>nen gehabt, den Betrüger in der Firma<br />
Hoffmanns zu entlarven und Stadtler war der Agentur <strong>Teufel</strong> doppelt<br />
dankbar. Er bestand auch darauf, dass dieses Essen hier stattfinden sollte.<br />
Und es wurde ein kulinarisches Fest. Allerdings ging <strong>ich</strong> nach meinem<br />
zweiten Glas Champagner auf Mineralwasser über.<br />
Als wir nach dem großen Essen dann später in der American Bar<br />
zusammensaßen und <strong>ich</strong> an meinem Bier nuckelte, wollten natürl<strong>ich</strong> alle<br />
von mir wissen, was da denn in Bremen alles passiert war. Ich beschränkte<br />
m<strong>ich</strong> auf das Wesentl<strong>ich</strong>ste und Stadtler war erschüttert, als er erfuhr,<br />
welche Freunde er gehabt hatte. Er schüttelte ein ums andere Mal seinen<br />
Kopf und meinte immer wieder, dass man in die Köpfe anderer wirkl<strong>ich</strong><br />
n<strong>ich</strong>t hineinsehen könne.<br />
Dann musste er mir eine traurige Nachr<strong>ich</strong>t überbringen. Die<br />
Kommission der Baumwollbörse lehnte es ab m<strong>ich</strong> weiterhin als Mieter zu<br />
akzeptieren.<br />
321
Ich müsste mir woanders ein Büro suchen. Meine Anwesenheit in<br />
diesem ehrwürdigen Hause schien der Kommission als viel zu gefährl<strong>ich</strong>.<br />
Das bedeutete, dass <strong>ich</strong> wieder ganz von vorne beginnen musste. Und<br />
Stadtler meinte sehr ernst: »Lieber <strong>Teufel</strong>, es eilt Ihnen jetzt ein Ruf voraus<br />
in der Hansestadt, der Sie und ihren Beruf automatisch mit Gewalt in<br />
Verbindung bringt. Sie sollten es s<strong>ich</strong> aus dem Kopf schlagen, in der<br />
Innenstadt ein Büro zu bekommen. Die Vermieter werden sehr ähnl<strong>ich</strong><br />
reagieren, wie die Kommission der Baumwollbörse. Ich habe zwar einige<br />
gute Freunde unter den Immobilienmakler, aber <strong>ich</strong> glaube kaum, dass Sie<br />
von denen versorgt werden können. Warum versuchen Sie n<strong>ich</strong>t, s<strong>ich</strong><br />
vielle<strong>ich</strong>t ein Haus oder eine Etage oben am Osterde<strong>ich</strong> zu kaufen.<br />
Geldsorgen scheinen Sie wirkl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t zu haben, wenn <strong>ich</strong> Herrn Vermeer<br />
r<strong>ich</strong>tig verstanden habe.«<br />
Ich musste ein wenig grinsen, denn <strong>ich</strong> wusste n<strong>ich</strong>t, wie <strong>ich</strong> finanziell<br />
da stand. Ich fragte nur Vermeer, ob <strong>ich</strong> denn genügend vers<strong>ich</strong>ert<br />
gewesen wäre gegen diesen Anschlag auf mein Büro.<br />
Vermeer grinste m<strong>ich</strong> seinerseits an und sagte nur: »Ich schlage m<strong>ich</strong><br />
gerade mit denen herum. Die wollen s<strong>ich</strong> natürl<strong>ich</strong> wieder einmal drücken,<br />
aber denen werden wir es schon zeigen. Ich werde denen einfach sagen,<br />
dass sie auf die hervorragenden Dienste eines Büros <strong>Teufel</strong> n<strong>ich</strong>t mehr<br />
<strong>zurück</strong>greifen können, wenn sie Schwierigkeiten machen.«<br />
Da musste <strong>ich</strong> dann aber doch lachen, denn war das eine Drohung oder<br />
eher ein Versprechen, dass sie n<strong>ich</strong>t in Gewaltaktionen hineingezogen<br />
wurden.<br />
Schließl<strong>ich</strong> teilte man mir mit, dass man mir in diesem Hotel eine Suite<br />
reserviert hätte. Meine Freunde verabschiedeten s<strong>ich</strong> von mir und wir<br />
wollten uns zu einem gemeinsamen Mittagessen in der Kantine von<br />
Siemens wieder treffen. Ausgenommen der Stadtlers und Siggi Arndt, der<br />
den ganzen Abend merkwürdig ruhig geblieben war. Er sagte nur, als er<br />
s<strong>ich</strong> verabschiedete: »Wir sehen uns in den nächsten Tagen bestimmt noch,<br />
oder?«<br />
Ich versprach es ihm und Charlotte sah m<strong>ich</strong> groß an. Sie war die<br />
Einzige, die s<strong>ich</strong> noch n<strong>ich</strong>t von mir verabschiedete, obwohl auch die<br />
Vermeers schon draußen bei ihren Autos standen. Nicole hatte die ganze<br />
Zeit auf dem Schoß von Jan Vermeer eng an ihn geschmiegt geschlafen.<br />
Den Daumen im Mund.<br />
Dann war klar: Charlotte fuhr n<strong>ich</strong>t mit. Sie wollte bei mir bleiben. Wir<br />
fuhren gemeinsam nach oben und als <strong>ich</strong> die Suite betrat, war alles<br />
wunderbar herger<strong>ich</strong>tet und <strong>ich</strong> sah, dass Charlotte hier Regie geführt<br />
hatte.<br />
322
Sie ging hinüber zu dem großen Kühlschrank und holte zwei Flaschen<br />
gut gekühltes Bier hervor und öffnete sie. Sie brachte mir eine Flasche und<br />
sagte: »Du darfst ruhig aus der Flasche trinken, <strong>ich</strong> nehme mir aber lieber<br />
ein Glas. Komm jetzt und nehme das Bier ruhig mit ins Schlafzimmer.«<br />
Und dann hing sie endl<strong>ich</strong> an meinem Hals, als wir beide das Getränk<br />
abstellten. Ganz langsam entkleideten wir uns gegenseitig. Stück für Stück,<br />
unter unzähligen Küssen.<br />
Viel, viel später murmelte <strong>ich</strong> nur: »Ich muss jetzt wirkl<strong>ich</strong> etwas<br />
trinken, <strong>ich</strong> bin völlig ausgedörrt. Ich trank die Flasche auf einen Zug aus.<br />
Wenig später stand Charlotte aus dem Bett auf und holte eine weitere<br />
Flasche Bier und unsere Zigaretten. Wir rauchten genüssl<strong>ich</strong> und <strong>ich</strong> trank<br />
noch ein paar Schluck. Danach beschäftigten wir uns wieder nur mit uns.<br />
Es war ein herrl<strong>ich</strong>es Liebesspiel, in dem wir uns alle Zeit ließen und uns<br />
genossen.<br />
Irgendwann überkam uns dann aber die große Müdigkeit und wir<br />
schliefen einander im Arm haltend ein.<br />
So wachten wir auch wieder auf und tauschten die ersten Zärtl<strong>ich</strong>keiten<br />
aus.<br />
Später bestellten wir uns das Frühstück aufs Zimmer. Ich vertilgte<br />
Unmengen von Rühreiern mit Frühstücksspeck und Charlotte lachte nur<br />
über meinen Hunger. »Du wirst später zum Mittagessen n<strong>ich</strong>ts zu dir<br />
nehmen können.«<br />
Das interessierte m<strong>ich</strong> im Moment überhaupt n<strong>ich</strong>t. M<strong>ich</strong> interessierte<br />
nur die warme we<strong>ich</strong>e Haut meiner geliebten Charlotte. Später musste wir<br />
uns wirkl<strong>ich</strong> beeilen hinüber zu Siemens zu kommen, um pünktl<strong>ich</strong> dort<br />
zu sein.<br />
Tiffert sagte mir beim Essen nur: »So einen glückl<strong>ich</strong>en<br />
Ges<strong>ich</strong>tsausdruck habe <strong>ich</strong> bei dir nur in der Zeit mit Angelika<br />
wahrgenommen, <strong>Teufel</strong>. Das ist wunderschön.«<br />
Charlotte und <strong>ich</strong> genossen die nächsten Tage für uns allein. Es war ein<br />
Liebestaumel. Am Samstagabend waren wir dann alle bei den Vermeers<br />
und Mareike und Randy bekochte uns. An diesem Abend ging mir das<br />
erste Mal auf, dass s<strong>ich</strong> zwischen den beiden Frauen etwas entwickelt<br />
hatte, was mir in den letzten Tagen einfach entgangen war. Die beiden<br />
waren ein Paar geworden. Und <strong>ich</strong> bekam n<strong>ich</strong>t das Gefühl, dass Randy,<br />
die ehemalige Leiterin einer Domina-Agentur in New York, hierbei die<br />
dominante Rolle zukam.<br />
323
Aber die zweite Überraschung des Abends war dann für m<strong>ich</strong> noch viel<br />
umwerfender. Kurz nach dem Essen kam Siggi Arndt und Randy machte<br />
ihm schnell noch etwas wieder warm. Siggi machte wie immer einen<br />
gehetzten Eindruck. Es war seine Art. <strong>Wenn</strong> es im Büro drunter und<br />
drüber ging, wirkte er gehetzt, obwohl er eigentl<strong>ich</strong> die Ruhe selbst war<br />
und auch so handelte.<br />
Sein Ber<strong>ich</strong>t, den er nach dem Essen abgab, war daher auch kurz und<br />
präzise.<br />
»Charlotte, aufgrund deiner hervorragenden Leistung in der<br />
Angelegenheit Hoffmann, ist Fimmen der Meinung, dass du ohne die<br />
Absolvierung der Polizeiakademie direkt in unseren Dienst übernommen<br />
werden kannst. Die Absegnung durch Grotenhus ist heute erfolgt. Deine<br />
Einstellung als Kommissarin beim LKA Berlin erfolgt zum 1. März.<br />
Bis dahin hast du nur noch sämtl<strong>ich</strong>e Gesundheitschecks nachzuweisen<br />
und <strong>ich</strong> habe d<strong>ich</strong> persönl<strong>ich</strong> schon im Polizeisportverein, Abteilung<br />
Schützen, angemeldet, wo du bitte das Schießtraining am Montag beginnst.<br />
Die Selbstverteidigungskurse kannst du ebenfalls ab Montag besuchen.<br />
Also esse Morgenabend n<strong>ich</strong>t zu viel. Dann fällt das Fallen n<strong>ich</strong>t so<br />
schwer.«<br />
Ich verfolgte das Ganze nur mit offenem Mund und unverständigen<br />
Blick und <strong>ich</strong> konnte am Ende Siggis Rede nur herauswürgen: »Charlotte,<br />
ist das dein Ernst?«<br />
Sie lächelte m<strong>ich</strong> mit ihrem strahlendsten Lächeln an und sagte: »Ja,<br />
<strong>Teufel</strong>, <strong>ich</strong> werde genau wie du, der Gerechtigkeit dienen. Ich habe<br />
entdeckt, dass dies wirkl<strong>ich</strong> eine Berufung ist und du hast m<strong>ich</strong> dahin<br />
gebracht. Dafür bin <strong>ich</strong> dir unendl<strong>ich</strong> dankbar. Ich habe endl<strong>ich</strong> begriffen,<br />
was <strong>ich</strong> wirkl<strong>ich</strong> berufl<strong>ich</strong> machen möchte. Betrügern und Fälscher und<br />
anderen Ganoven das Handwerk zu legen. Und hier in Berlin habe <strong>ich</strong> die<br />
Chance dazu erhalten.«<br />
Die Erkenntnis berufl<strong>ich</strong> wieder allein dazustehen, traf m<strong>ich</strong> wie ein<br />
Keulenschlag. Dass auch unsere Liebe darunter leiden würde, weil wir<br />
räuml<strong>ich</strong> getrennt wären, wurde mir ebenso schnell klar, denn <strong>ich</strong> wollte<br />
auf keinen Fall nach Berlin umsiedeln.<br />
Den restl<strong>ich</strong>en Samstagabend verbrachte <strong>ich</strong> zieml<strong>ich</strong> schweigsam im<br />
Hause Vermeer. Ich fand auch keine Worte, als wir später ins Hotel<br />
<strong>zurück</strong>fuhren. Unsere Bemühungen uns den Freuden der körperl<strong>ich</strong>en<br />
Liebe hinzugeben, scheiterten an meinen Reaktionen. Ich war völlig<br />
durcheinander.<br />
324
Erst als wir uns im Aufwachen zärtl<strong>ich</strong> liebten, genoss <strong>ich</strong> ihren<br />
herrl<strong>ich</strong>en Körper wieder, aber der Abschiedsschmerz überschattete auch<br />
dieses Liebeserlebnis.<br />
Unsere Aussprache beim Frühstück war dann auch noch ein kleiner<br />
Wermutstropfen. Charlotte sagte zu mir: »<strong>Teufel</strong>, <strong>ich</strong> habe erkannt, dass <strong>ich</strong><br />
auf Dauer nie mit dir zusammen glückl<strong>ich</strong> sein könnte, weil meine<br />
Veranlagung, alles zu verschlingen, was <strong>ich</strong> meine mir gehört, würde es an<br />
deinem so unendl<strong>ich</strong> großen Herzen scheitern. Ich könnte nie mit der<br />
zweitbesten Lösung leben, wie Mareike und Randy. Beide wollen<br />
eigentl<strong>ich</strong> d<strong>ich</strong>, aber da du auch n<strong>ich</strong>t teilbar bist, haben sie den Weg<br />
gefunden, den sie gewählt haben. Ich könnte n<strong>ich</strong>t wie Jacelyn Fleurant<br />
damit leben, einen wunderbaren Freund zu haben, mit dem man vielle<strong>ich</strong>t<br />
vier, fünfmal im Leben schläft. Ich würde d<strong>ich</strong> immer jede Nacht und<br />
immer nur für m<strong>ich</strong> haben wollen. Und dann noch zu wissen, dass es da<br />
eine ganz große Liebe gibt, mit der man selbst immer nur als zweite<br />
Siegerin dastehen kann, weil diese Liebe einen anderen geheiratet hat,<br />
dann kann <strong>ich</strong> damit n<strong>ich</strong>t leben.<br />
<strong>Teufel</strong>, <strong>ich</strong> liebe d<strong>ich</strong> mit jeder Faser meines Körpers, meines Geistes,<br />
und darum müssen wir das beenden, bevor <strong>ich</strong> <strong>daran</strong> zugrunde gehe, und<br />
nur noch eines will: D<strong>ich</strong>.<br />
Und mir kein Mittel zu schäbig wäre, das zu erre<strong>ich</strong>en. Und unsere<br />
Leben damit kaputt machen würde. Komm, mein besonderer Schatz,<br />
komm <strong>zurück</strong> in mein Bett. Wir wollen uns noch einmal in allen<br />
Variationen der körperl<strong>ich</strong>en Liebe zugetan sein. Ich will d<strong>ich</strong>. Ich will,<br />
dass du m<strong>ich</strong> befriedigst, und <strong>ich</strong> will d<strong>ich</strong> befriedigen, wenigstens einmal<br />
bis zur völligen Erschöpfung. Ich will das Gefühl haben, dir einmal<br />
vollständig gehört zu haben, und <strong>ich</strong> will das Gefühl haben, dass du<br />
ebenso mir einmal vollständig gehört hast.<br />
Der Tag und die darauf folgende Nacht waren ein Rausch ohne<br />
Gle<strong>ich</strong>en.<br />
Als <strong>ich</strong> am Montagabend in Bremen aus dem Flugzeug stieg, wusste <strong>ich</strong><br />
weder, wie <strong>ich</strong> hierher gekommen war, noch wohin <strong>ich</strong> gehen sollte. Ich<br />
fuhr zu Paula und <strong>ich</strong> glaube, <strong>ich</strong> weinte m<strong>ich</strong> wirkl<strong>ich</strong> an ihren großen<br />
Busen aus.<br />
325
36<br />
Der zweite Anlauf<br />
Ich brauchte bis zum Mittwochmorgen, um meine Gefühlswelt wieder<br />
einigermaßen ins Lot zu bringen.<br />
Ich setzte m<strong>ich</strong> mit Anna Wagenfeld in Verbindung und sie gab mir<br />
einen Zwischenber<strong>ich</strong>t zu den Ergebnissen der Zerstörung des<br />
Rauschgiftringes und den Ergebnissen der Mordkommission in den Fällen<br />
der Mädchenmorde.<br />
Nachdem die E-Mail der Rodika_S mit dem Geständnis und der<br />
Denunziation im Präsidium eingegangen war, hatte ihr Stellvertreter, der ja<br />
in dieser Zeit die Abteilung leitete, weil Anna suspendiert war, n<strong>ich</strong>ts<br />
Eiligeres zu tun gehabt, als diese Rodika S<strong>ich</strong>etswilli in ihrem Haus in<br />
Worpswede anzurufen. Er hoffte sie dort eigentl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t mehr anzutreffen,<br />
nachdem es so aussah, als habe sie diesen Verrat begangen. Erst als er die<br />
Mail dem verdutzten Hertsch, der am Telefon gewesen war, das zweite<br />
Mal vorlas, war ihm aufgegangen, dass es nur Jan Hertsch gewesen sein<br />
konnte, der s<strong>ich</strong> an seinem Vater und seiner Teilhaberin rächen wollte.<br />
Und zwar unter der scheinbaren E-Mail-Adresse der Frau.<br />
Er konnte n<strong>ich</strong>t ahnen, dass er mit seinem Anruf die Verhaftungswelle<br />
auslösen würde, die sofort danach von Kaufmann gestartet wurde.<br />
Kaufmann hatte den Stellvertreter Annas schon ein wenig länger in<br />
Verdacht gehabt, weil er ebenfalls auf die Idee gekommen war, die<br />
Verbindungen unter den Klassenkameraden Jans zu durchforsten. Dabei<br />
war er auch auf den Sohn des Stellvertreters gestoßen und dabei<br />
herausgefunden, dass dieser süchtig war. Wie eine ganze Reihe weiterer<br />
Klassenkameraden. Der unglückl<strong>ich</strong>e Vater versuchte seinem Sohn zu<br />
helfen, indem er ihm uneingeschränkten Zugang zu den Drogen<br />
verschaffte. Er hoffte, dass der Sohn dadurch polizeiauffällig würde und<br />
zwangsweise in eine Entziehung gesteckt würde. Aber er war dadurch so<br />
erpressbar geworden, dass man ihn dann vor die Wahl stellte, dem<br />
Gerätehändler das Gift zu verabre<strong>ich</strong>en und den Verdacht auf Anna<br />
Wagenfeld zu lenken, oder dass man ihn bloßstellen würde.<br />
326
Er verstrickte s<strong>ich</strong> noch viel mehr, um s<strong>ich</strong> und seinen Sohn zu retten.<br />
Dem BKA war es gelungen die Sendung, die weitere dreißig Kilo besten<br />
Heroins ins Land bringen sollte, in Frankfurt am Flughafen abzufangen.<br />
Die Sendung enthielt auch fünfzig Kilo des gle<strong>ich</strong>en Sprengstoffs, wie er<br />
schon für das Attentat auf mein Büro und in Annas und meiner Wohnung<br />
verwendet wurde.<br />
Gemeinsam mit dem Bundesnachr<strong>ich</strong>tendienst konnte das BKA eine<br />
Großrazzia in Tiflis auslöse und die dortigen Polizeibehörden hatten die<br />
Herstellungsstätten und die Lager der Firmen, für die Rodika S<strong>ich</strong>etswilli<br />
tätig war, ausheben und vern<strong>ich</strong>ten können.<br />
Die Frau war an Georgien ausgeliefert worden und erwartete dort die<br />
Todesstrafe.<br />
Hier in Bremen bereitete der junge Staatsanwalt Schmücker die<br />
verschiedenen Anklagen gegen Hertsch wegen Drogenhandel und Mord<br />
an seinem stillen Teilhaber Fister und den Totschlag an seiner Ehefrau vor.<br />
Ebenso die Anklagen gegen fünf weitere Mitarbeiter der Firma, die direkt<br />
mit den Drogen zu tun gehabt hatten. Das Vermögen der Familie Hertsch<br />
wurde zum größten Teil eingezogen und nur die Villa, die schon lange im<br />
Familienbesitz gewesen war, bekamen weitläufige Verwandte<br />
zugesprochen.<br />
Das Firmenimperium sollte zerschlagen werden. Es waren verschiedene<br />
Wirtschaftsprüfungsgesellschaften eingeschaltet, die das Geflecht<br />
entwirren sollten.<br />
Die weiteren Rauschgiftverteiler, die mit den Kleinlastern der Firma aus<br />
der Bayernstraße angefahren worden waren, wurden in einer<br />
bundesweiten Aktion des BKA in verschiedensten Städten verhaftet.<br />
Anhand der Firmenunterlagen konnten auch im Ausland die<br />
Kontaktadressen und weiterer Abnehmer dort ermittelt werden. Den<br />
größten Fang dabei machte das FBI in New York.<br />
Die Erfolge Waldtmanns bei der Spurens<strong>ich</strong>erung vor allem im<br />
Gartenhaus der Villa waren besonders groß. Es gelang ihm, sowohl die<br />
Planung der einzelnen Mädchenmorde, als auch deren Ausführung exakt<br />
zu rekonstruieren.<br />
Das erste Opfer im Bürgerpark war die erste Chatbekanntschaft, dem er<br />
s<strong>ich</strong> unter einem Mädchenpseudonym näherte. Die gesamte<br />
Korrespondenz des Jungen über seine verschiedenen Internetidentitäten<br />
wurde auf dem Notebook gefunden. Man wunderte s<strong>ich</strong> nur darüber, dass<br />
er zum Schreiben darauf scheinbar immer Handschuhe trug.<br />
327
Denn nur anhand von Hautpartikelchen in der Tastatur konnte<br />
Waldtmann nachweisen, dass es wirkl<strong>ich</strong> Jan Hertsch gewesen war, der<br />
von diesem Notebook den Kontakt zu seinen späteren Opfern herstellte<br />
und auch von hier aus seine Eltern endgültig verriet.<br />
Sie gingen davon aus, dass Jan schon geahnt haben musste, dass ihm auf<br />
seiner letzten Fahrt ins Krankenhaus, wo er seinen letzten Amoklauf<br />
startete, etwas passieren könnte.<br />
Er schrieb seine letzte E-Mail an das Präsidium exakt um 17 Uhr und<br />
verließ danach das Haus. Die Absendung stellte er für den nächsten<br />
Morgen um 6 Uhr ein.<br />
Ich war froh, dass <strong>ich</strong> <strong>daran</strong> gedacht hatte, die Uhrzeit des Notebooks<br />
vor und nach der Erstellung der letzten Mail verändert zu haben.<br />
Von Anna erfuhr <strong>ich</strong> auch, dass es Karin Wolters wieder so weit gut<br />
ginge, dass man sie schon zwei Tagen nach dem schreckl<strong>ich</strong>en Ereignis in<br />
der Hemelinger Straße wieder aus dem Krankenhaus entlassen konnte. Mit<br />
Ihrem Armbruch war sie aber noch krankgeschrieben.<br />
Nach meinem Besuch im Präsidium fing <strong>ich</strong> an in den Trümmern meines<br />
Büros die Sachen zu retten, die es Wert waren, zu mir nach Hause<br />
transportiert zu werden. Das W<strong>ich</strong>tigste war für m<strong>ich</strong> die gerahmte Lizenz.<br />
Das Glas war natürl<strong>ich</strong> zerstört und der Rahmen litt ebenfalls, aber die<br />
Urkunde selbst war, außer einem kleinen Brandloch an linken unteren<br />
Rand, unversehrt geblieben.<br />
Ich ließ sie von Hackmann, meinem alten Antiquitätenhändler neu<br />
rahmen. Diese Urkunde sollte in Zukunft in meinem kleinen<br />
Arbeitszimmer in meiner Wohnung hängen.<br />
Direkt über meinem Ze<strong>ich</strong>entisch, der hier immer noch stand.<br />
Am späten Nachmittag telefonierte <strong>ich</strong> dann lange mit Wiesel und wir<br />
kamen überein, dass meine Buchhaltung von Britt übernommen werden<br />
sollte, da ja auch schon von dort aus meine laufenden Finanzen geregelt<br />
wurden.<br />
Die Sekretärinnenaufgaben musste <strong>ich</strong> selbst übernehmen und meine<br />
Telefonzentrale sollte einfach über Rufumleitungen zu meinem Handy<br />
gemacht werden.<br />
Um 19 Uhr machte <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> dann zu Fuß auf den Weg zu Paula, weil <strong>ich</strong><br />
wieder einmal Appetit auf ein großes Kotelett verspürte und mir auch ein<br />
schönes frisch gezapftes Bier gönnen wollte. Ich legte doch heute den<br />
Grundstein für meine One-Man-Show, genannt <strong>Teufel</strong>s Agentur.<br />
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Auf das Messingschild aus der Baumwollbörse verz<strong>ich</strong>tete <strong>ich</strong>.<br />
Mir würde in Zukunft die Mund zu Mund Reklame genügen.<br />
Als <strong>ich</strong> Paulas Gaststätte betrat, war die Theke d<strong>ich</strong>t belagert und ein<br />
rotblonder Schopf ragte über einige Männerköpfe hinweg. Als der blonde<br />
Schopf dann mit ausholender Geste etwas beschrieb, tauchte auch ein<br />
Gipsarm in der Luft auf und dann entdeckte Paula m<strong>ich</strong> und kam ganz<br />
schnell hinter der Theke heraus und drückte m<strong>ich</strong>, wie immer und<br />
flüsterte: »Diese Karin erzählt allen, dass du ihr Lebensretter bist, stimmt<br />
das?«<br />
Ich lächelte Paula nur an und sagte: »Wir leben beide noch, ist das n<strong>ich</strong>t<br />
die Hauptsache. Und mache mir bitte ein großes Bier, einen kleinen<br />
Schnaps und ein normales Kotelett.«<br />
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