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Bluestage - Markus Dehm

Roman, Verlag Früher Vogel, Bochum

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aus, sich bei Belinda beliebt zu machen. Unterwürfigkeit<br />

nannte man dieses Verhalten bei Tieren. Das hatte ihnen die<br />

Lehrerin erst vor einigen Tagen erklärt, wenngleich in einem<br />

ganz anderen Zusammenhang. Lucy sagte nach wie vor nichts,<br />

sondern presste die Lippen zusammen und tat so, als beachte<br />

sie die anderen überhaupt nicht. Man hatte ihr gestern versprochen,<br />

dass heute sie das Spiel aussuchen dürfe, und genau<br />

dieses Versprechen wollte sie jetzt einfordern, nicht mehr und<br />

nicht weniger. Belinda und Nora Lee kamen näher, bedrohlich<br />

nahe. Plötzlich spürte sie Nora Lees Hand an ihren Haaren,<br />

spürte wie diese daran zog, spürte Nora Lees andere Hand auf<br />

ihrem Gesicht, merkte wie Belinda versuchte, ihr den Ball zu<br />

entreißen, hörte, wie die anderen Kinder klatschten, und mit<br />

einem Mal liefen ihr Tränen über die Wangen. Keine Tränen,<br />

die der körperliche Schmerz aus ihr herauspresste, obwohl<br />

das An-den-Haaren-gezogen-Werden ganz schön wehtat,<br />

sondern Tränen der Verzweiflung. Ihre Hände lockerten sich<br />

schließlich, sie gab den Ball frei, schluchzte einmal laut und<br />

rannte unter den spöttischen Rufen der anderen ins Haus.<br />

„Was ist denn jetzt schon wieder?“ Ihre Mutter empfing sie<br />

mit einem Cocktailglas in der Hand. Es war zwar noch recht<br />

früh am Nachmittag, doch sie hatte offenbar beschlossen, sich<br />

bereits jetzt einen der kühlen Drinks zu genehmigen. Lucy<br />

antwortete nicht, wie üblich. Sie wusste, dass es sinnlos war<br />

mit ihrer Mutter über die Demütigung zu sprechen, die sie<br />

gerade erfahren hatte. Sie wollte nur noch in ihr Zimmer, sich<br />

auf ihr Bett legen und weinen. Aber die Tränen wollten jetzt<br />

nicht mehr kommen. Es war, als ob Wut und Enttäuschung<br />

auf ihre Augen drückten und verhinderten, dass das salzige<br />

Wasser herausfließen konnte. Sie hörte die Trompete ihres<br />

Bruders. Die Musik beruhigte sie. Zwar war es nicht gerade<br />

ihre Lieblingsmusik, die er dem Instrument entlockte, aber<br />

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