Wie NeXT-Technologien Apple von Innen ... - Balabanov, Marin
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DIE EVOLUTION VON MAC OS X<br />
Von Intel zu PowerPC und zurück:<br />
<strong>Wie</strong> <strong>NeXT</strong>-<strong>Technologien</strong> <strong>Apple</strong> <strong>von</strong> <strong>Innen</strong> veränderten<br />
Master Thesis<br />
zur Erlangung des akademischen Grades<br />
Master of Science - MSc<br />
im Universitätslehrgang<br />
MSc Interactive Media Management 1<br />
verfasst <strong>von</strong><br />
Bakk. (Phil.) <strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong><br />
Eingereicht am Department für Interaktive Medien und Bildungstechnologien der Donau-<br />
Universität Krems<br />
Betreuer: Dr. Klausjürgen Heinrich<br />
Tag der mündlichen Prüfung: 11. September 2009<br />
Krems, September 2009
Eidesstattliche Erklärung<br />
Ich, <strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>, geboren am 28. April 1974 in Sofia, Bulgarien erkläre,<br />
1. dass ich meine Master Thesis selbstständig verfasst, andere als die angegebenen Quellen<br />
und Hilfsmittel nicht benutzt und mich auch sonst keiner unerlaubten Hilfen bedient<br />
habe,<br />
2. dass ich meine Master Thesis bisher weder im In- noch im Ausland in irgendeiner Form<br />
als Prüfungsarbeit vorgelegt habe,<br />
3. dass ich, falls die Arbeit mein Unternehmen betrifft, meinen Arbeitgeber über Titel,<br />
Form und Inhalt der Master Thesis unterrichtet und sein Einverständnis eingeholt habe.<br />
.........................................................# .........................................................<br />
Ort, Datum# Unterschrift
Abstract<br />
D IE E VOLUTION VON MAC OS X<br />
V ON I NTEL ZU P OWERPC UND ZURÜCK:<br />
W IE N E XT-TECHNOLOGIEN A PPLE VON I NNEN VERÄNDERTEN<br />
Dies ist die Geschichte <strong>von</strong> Mac OS X, dem <strong>Apple</strong> Betriebssystem. Entwickelt als NextStep,<br />
portiert <strong>von</strong> der Intel-Prozessorarchitektur auf die <strong>von</strong> <strong>Apple</strong> verwendeten PowerPC-<br />
Prozessoren, kehrte Mac OS X 2005 wieder auf die Intel-Plattform zurück.<br />
Ausgehend <strong>von</strong> der forschungsleitenden Frage “war <strong>Apple</strong>s Umstieg <strong>von</strong> der PowerPC- auf die<br />
Intel-Architektur <strong>von</strong> Anfang der Mac OS X-Entwicklung geplant?” werden die Irrwege <strong>Apple</strong>s<br />
in der Betriebssystementwicklung skizziert, die erst mit dem Kauf <strong>von</strong> <strong>NeXT</strong> und der<br />
Entwicklung <strong>von</strong> Mac OS X auf Basis <strong>von</strong> NextStep ihr Ende fanden.<br />
Nach einer kurzen Beschreibung der Unternehmensgeschichte <strong>von</strong> <strong>Apple</strong>, wird die<br />
Entwicklung des Mac OS bis zur Einführung <strong>von</strong> OS X untersucht. Dann wird in die<br />
Architektur <strong>von</strong> Mac OS X hineingeblickt, um aufzuzeigen welche Spuren darin auf <strong>Apple</strong>s<br />
Pläne deuten, bereits in den Anfängen der Mac OS X-Entwicklung auf Intel-Prozessoren<br />
umzusteigen.<br />
Mit dem flexiblen Mac OS X hat <strong>Apple</strong> nicht nur die Zukunft des Mac sichergestellt, sondern<br />
auch mit dem iPhone “eine Beule im Universum” hinterlassen.
Inhaltsverzeichnis<br />
Einleitung: Transformation als Überlebenstechnik# 7<br />
Der kranke Mann <strong>von</strong> Cupertino# 8<br />
Ausgangsthese dieser Arbeit# 9<br />
Au$au dieser Arbeit# 9<br />
1. Von Apologien und der forschungsleitenden Frage# 11<br />
<strong>Apple</strong> 1997 = General Motors 2009# 11<br />
<strong>Apple</strong>s versteckte Agenda# 12<br />
Methodenbeschreibung: Die Wahl der Waffen# 13<br />
Betriebssystem-Archäologie# 16<br />
Die Frage nach dem Grund...# 17<br />
Kapitelzusammenfassung# 18<br />
2. Historischer Rückblick: Die kurze Geschichte des Mac# 19<br />
Amerikanischer Mythos# 19<br />
A&ein gegen “Big Brother”# 20<br />
Die unterschiedlichen Gesichter des Mac OS# 40<br />
Kapitelzusammenfassung# 52<br />
3. Der Nexus a&er Wirklichkeiten: das Betriebssystem# 53<br />
Naturgesetze aus Nu&en und Einsen# 53<br />
Architektur des modernen Betriebssystems# 57<br />
Mängel im System# 60
Kapitelzusammenfassung# 60<br />
4. Die Raubkatzen sind los: Mac OS X 10.0 bis 10.3# 61<br />
Planet X# 61<br />
Umbrüche werden nie a&ein getragen# 63<br />
Entstehung des System X# 64<br />
Mac OS X 10.0 Puma: The Origin of Species# 67<br />
Mac OS X 10.1 Cheetah: Homeland Security# 71<br />
Mac OS X 10.2 Jaguar: Inte&igent Design# 72<br />
Mac OS X 10.3 Panther: Fu& Metal Jacket# 74<br />
Kapitelzusammenfassung# 79<br />
5. Ende der Kindheit: Mac OS X 10.4 bis 10.6# 80<br />
Mac OS X 10.4 Tiger: Survival of the Fittest# 81<br />
Mac OS X 10.5 Leopard: Shock and Awe# 87<br />
Mac OS X 10.6 Snow Leopard: Deus Ex Machina# 91<br />
Kapitelzusammenfassung# 94<br />
6. Lichtstrahlen in der Wüstenei# 95<br />
Im Nachhinein sieht a&es logisch aus# 95<br />
Alternative Wirklichkeiten# 101<br />
Die Wahrheit ist dort draussen# 104<br />
Kapitelzusammenfassung# 105<br />
Ausblick: The Future, the final Frontier# 106<br />
Sprung vorwärts, Technik!# 106
Forschungsausblick# 111<br />
Netzwerke in den Wolken# 117<br />
Glossar# 119<br />
Literaturverzeichnis# 121<br />
<strong>Apple</strong> Entwickler-Dokumentation# 121<br />
Druckwerke# 121<br />
Online Medien# 123<br />
Danksagung# 124
Einleitung: Transformation als Überlebenstechnik<br />
“We're gambling on our vision, and we would rather do that than make ‘me too’ products. Let some<br />
other companies do that. For us, it's always the next dream.”<br />
Steve Jobs<br />
Thema dieser Arbeit ist das Betriebssystem des <strong>Apple</strong> Macintosh, der heutzutage gemeinhin<br />
Mac genannt wird.<br />
Das mittlerweile 25 Jahre alte Mac OS (Macintosh Operating System) hat zahlreiche<br />
Transformationen mitgemacht. Es begann als kleine, aber visionäre grafische Oberfläche,<br />
wucherte heran zu einem Ungetüm an historisch gewachsenem Code und geschickten aber so<br />
gar nicht zukunftsträchtigen Hacks, konsolidierte sich als modernes, mächtiges Betriebssystem<br />
im Zeitalter der Netzwerke und wurde in seiner Geschichte sogar gleich zweimal <strong>von</strong> einer<br />
Prozessor-Architektur auf eine andere portiert.<br />
Wenn Microsofts Betriebssystem Windows für “Kontinuität” steht, dann seht Mac OS für<br />
“Verwandlung”. Es ist eine wendige und wandlungsfähige Plattform, die sich wie ein<br />
mythischer Gestaltwandler aus griechischen Sagen oder die Pop-Sängerin Madonna 1 ständig<br />
neu erfindet.<br />
Aber es geht hier gar nicht um Mac OS. Vielmehr geht es um dessen Nachfolger Mac OS X.<br />
In dieser Arbeit behandle ich die Wirren und Irrwege, die das Unternehmen <strong>Apple</strong> beging, um<br />
ein neues Betriebssystem als Ersatz für sein in die Tage gekommenes Mac OS zu finden.<br />
1 Mit diesem Vergleich aus der Popkultur können unter 25-Jährige wahrscheinlich nicht viel<br />
anfangen. Hier wäre ein Bezug auf Lady GaGa angebracht, der in wenigen Jahren aber völlig<br />
unverständlich wäre.<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 7
Nach einigen Fehlstarts, die hier ebenfalls behandelt werden, kaufte <strong>Apple</strong> im Jahre 1996 das<br />
Unternehmen seines Gründers Steve Jobs auf. <strong>NeXT</strong> war <strong>von</strong> Jobs gegründet worden, nachdem<br />
er 1985 auf unzeremonielle Weise aus seinem eigenen Unternehmen geworfen wurde.<br />
<strong>Wie</strong> auch <strong>Apple</strong> war <strong>NeXT</strong> ein Hardware-Hersteller, der seine eigene Systemsoftware<br />
entwickelte. Im Gegensatz zu <strong>Apple</strong> Computern konnte die <strong>NeXT</strong>-Hardware auf dem Markt<br />
nie richtig Fuß fassen. Zum Zeitpunkt der Übernahme hatte <strong>NeXT</strong> bereits seit einigen Jahren<br />
die Hardwareherstellung eingestellt und konzentrierte sich auf die Entwicklung seines<br />
modernen und fortschrittlichen Betriebssystems NextStep.<br />
Es schien nur, als ob <strong>Apple</strong> und <strong>NeXT</strong> fusionierten.<br />
Hat in Wahrheit <strong>NeXT</strong> <strong>Apple</strong> übernommen? (Que&e: Roughly Dra)ed Magazine)<br />
D ER KRANKE M ANN VON C UPERTINO<br />
Das war genau, was <strong>Apple</strong> fehlte: ein modernes Betriebssystem mit geschützten<br />
Speicherbereichen, präemptivem Multitasking sowie Multiuser- und Multiprozessor-Fähigkeit.<br />
Als "Bonus" kaufte <strong>Apple</strong> seinen äußerst publikumswirksamen Gründer Steve Jobs mit ein.<br />
Innerhalb kürzester Zeit übernahm Jobs die Kontrolle <strong>von</strong> <strong>Apple</strong> und begann das<br />
angeschlagene Unternehmen zu sanieren.<br />
Im Jahre 2001 trug Jobs das alte, "klassische" Mac OS öffentlich zu Grabe und stellte Mac OS<br />
X als einzig wahres Betriebssystem für den Mac vor als eine eindeutige Abkehr vom bisherigen<br />
System.<br />
Einleitung: Transformation als Überlebenstechnik<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 8
Somit präsentierte Jobs die Umstellung auf Mac OS X als den endgültig vollzogenen<br />
Betriebssystem-Wechsel. <strong>Apple</strong> war am Ende einer zehnjährigen Irrfahrt angelangt.<br />
Vier Jahre später versetzte er die EDV-Welt abermals in Erstaunen, als er beim großen<br />
jährlichen <strong>Apple</strong>-Event ankündigte, dass <strong>Apple</strong> seine Macs nunmehr mit Intel-Prozessoren<br />
ausliefern werde. <strong>Wie</strong>der eine Anbkehr vom Vergangenen. Diesmal <strong>von</strong> der gemeinsam mit<br />
Motorola und IBM entwickelte PowerPC-Prozessorarchitektur.<br />
Jobs gab zu diesem Zeitpunkt bereits zu, dass <strong>Apple</strong> sein Betriebssystem Mac OS X parallel<br />
sowohl auf der Power PC-Plattform und insgeheim auf der Intel-Plattform entwickelt hatte.<br />
Als Grund für den Umstieg nannte Jobs:<br />
• die stockende Entwicklung der PowerPC-Prozessorreihe<br />
• Intels genau planbare Entwicklungsrichtung ("Roadmap")<br />
• die Erfordernisse an Stromeffizienz<br />
A USGANGSTHESE DIESER A RBEIT<br />
All diese Begründungen klingen wie kurzfristige Massnahmen. Sie sprechen dagegen, dass ein<br />
Unternehmen, dass in den letzten Jahren darum kämpfen musste, überhaupt ein Betriebsystem<br />
zur Marktreife zu bringen, parallel dazu beträchtliche Ressourcen dazu aufgewendet hat, auf<br />
einer völlig anderen Architektur das selbe Betriebssystem auch noch zu entwickeln.<br />
Die grundlegende These meiner Arbeit geht da<strong>von</strong> aus, dass die Mannschaft um Steve Jobs<br />
bereits in den Anfangstagen der Mac OS X-Entwicklung die Strategie verfolgte, auf die Intel-<br />
Architektur umzusteigen.<br />
Sämtliche Pläne <strong>Apple</strong>s, “the next dream” zu erschaffen, haben eine sehr lange Vorlaufzeit.<br />
A UFBAU DIESER A RBEIT<br />
Diese Arbeit ist grob in drei Bereiche aufgeteilt:<br />
1. die Grundlagen der Arbeit<br />
2. die Geschichte <strong>von</strong> <strong>Apple</strong> Computer<br />
3. die Untersuchung des Betriebssystems<br />
Einleitung: Transformation als Überlebenstechnik<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 9
Im ersten Kapitel beschreibe ich die Zielsetzung dieser Arbeit und die Methoden, die ich<br />
angewendet habe.<br />
Im zweiten Kapitel behandle ich die Geschichte <strong>von</strong> <strong>Apple</strong> als Unternehmen und bespreche die<br />
Entwicklung <strong>von</strong> Mac OS sowie seine Unzulänglichkeiten.<br />
Kapitel drei gehört der Beschreibung des allgemeinen Zwecks und der grundlegenden<br />
Funktion <strong>von</strong> Betriebssystemen. Damit lege ich die Grundlage für die Untersuchung <strong>von</strong> Mac<br />
OS X.<br />
Die Kapitel vier und fünf bilden den Kern dieser Arbeit. Darin zeige ich auf, welche<br />
Vorbereitungen die <strong>Apple</strong>-Entwickler bei Mac OS X <strong>von</strong> Anfang an getroffen haben, um einen<br />
Intel-Umstieg reibungslos abzuwickeln.<br />
Einleitung: Transformation als Überlebenstechnik<br />
Kapitel sechs und sieben dienen der Zusammenfassung und dem Forschungsausblick.<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 10
1. Von Apologien und der forschungsleitenden Frage<br />
“Good programmers know what to write. Great ones know what to rewrite (and reuse).”<br />
Eric S. Raymond, “The Cathedral and the Bazaar”<br />
In diesem Kapitel möchte ich meinen Forschungsfokus, die Methoden und die erzielten<br />
Schlüsse beschreiben. Vorher aber fühle ich mich zu einer Offenlegung gezwungen.<br />
Ich bin begeisterter <strong>Apple</strong>-User. Ich besitze mehrere Mac-Rechner, einen iPod Mini und ein<br />
iPhone 3G. Ich nutze mit Vorliebe Mac OS X und vertraue im Zweifelsfall eher <strong>Apple</strong>-Software<br />
wie iLife, Final Cut oder iWork als Applikationen anderer Hersteller.<br />
Trotzdem soll diese Arbeit keine Missionierung des “Glaubens an <strong>Apple</strong> und Mac OS X” sein.<br />
Ich möchte mich <strong>von</strong> meiner eigenen Befangenheit freisprechen, weil ich mich oft genug über<br />
<strong>Apple</strong>-Produkte ärgere, ihre teils willkürlichen Einschränkungen und Unzulänglichkeiten<br />
kenne. Zudem ist mir die irrationale <strong>Apple</strong>-Fangemeinde ziemlich peinlich.<br />
Tatsächlich ist es mein erklärtes Ziel, möglichst wenig vom vermeintlichen Messianismus, der<br />
Steve Jobs zugeschrieben wird, für bare Münze zu nehmen. Auch möchte ich den <strong>Apple</strong>-<br />
Mythos zwar kurz abhandeln, aber den Leser nicht blenden lassen. Fakten sollen sprechen.<br />
Die Fakten, die das Betriebssystem Mac OS X in sich trägt.<br />
Womit wir wieder beim Thema sind.<br />
A PPLE 1997 = G ENERAL M OTORS 2009<br />
Warum hat <strong>Apple</strong> 1997 ein neues Betriebssystem gebraucht wie ein Verdurstender in der<br />
Wüste ein Glas Gatorade?<br />
In diesem Jahr war die Ausgangslage für den Mac-Hersteller klar. Das Unternehmen<br />
verzeichnete rückläufige Hardware-Verkäufe. Microsoft Windows 95 war omnipräsent auf<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 11
vergleichbaren Geräten zu einem Bruchteil des <strong>Apple</strong>-Preises. Zudem hatte der Software-<br />
Produzent aus Redmond mit Windows NT eine eindeutige und zukunftsträchtige Strategie, die<br />
ein leistungsfähiges, portables, netzorientiertes Betriebssystem versprach.<br />
Die Windows-Intel-Koalition (salopp “Wintel” genannt) besaß den Vorteil der Economy of scale<br />
(Wirtschaftlichkeit durch Massenproduktion). Je mehr Geräte mit ähnlichen oder gleichen<br />
Komponenten verkauft werden konnten, desto günstiger war die Herstellung des einzelnen<br />
Produktes. Damit konnte <strong>Apple</strong> nicht mithalten.<br />
Schrumpfender Marktanteil, überteuerte Produkte und verlorenes Vertrauen in die<br />
Entwicklung <strong>von</strong> <strong>Apple</strong>s Software deuteten auf eine schwierige Zukunft oder sogar überhaupt<br />
keine Zukunft. <strong>Apple</strong> war belagert. Weit und breit standen keine staatlichen Hilfszahlungen<br />
bereit, wie sie die US-Autoindustrie 2009 am Höhepunkt der Wirtschaftskrise erhielt.<br />
Das Unternehmen gab stattdessen Geld aus. <strong>Apple</strong> kaufte <strong>NeXT</strong>, um an die Betriebssystem-<br />
Technologie hinter NextStep zu gelangen. Der einzige Schönheitsfehler: NextStep lief auf allen<br />
möglichen Prozessoren, nur auf den <strong>von</strong> <strong>Apple</strong> eingesetzten PowerPC-Prozessoren nicht. Am<br />
allerbesten lief NextStep auf Intel-Prozessoren.<br />
A PPLES VERSTECKTE A GENDA<br />
Somit ergibt sich folgende forschungsleitende Frage, die ich in dieser Arbeit zu beantworten<br />
versucht habe:<br />
War <strong>Apple</strong>s Umstieg <strong>von</strong> der PowerPC- auf die Intel-Architektur <strong>von</strong> Anfang der Mac OS<br />
X-Entwicklung geplant?<br />
Ich gehe den Spuren nach, die <strong>Apple</strong>s Entwickler selbst in den unterschiedlichen<br />
Betriebssystem-Versionen hinterlassen haben. Spuren, die eindeutig darauf hinweisen, dass der<br />
Intel-Umstieg keine bloß mögliche Alternative oder kurzfristige Notfall-Option war, sondern<br />
als eigentliches Ziel des Mac OS X-Umstieges <strong>von</strong> langer Hand geplant war.<br />
1. Von Apologien und der forschungsleitenden Frage<br />
Somit war das technologische Wettrüsten, der Umstieg <strong>von</strong> der "alten" Mac-Technologie, die<br />
auf dem "klassischen" Mac OS basierte, nicht mit der Einführung <strong>von</strong> Mac OS X (damals noch<br />
Puma) im Jahre 2001 vollzogen. Vielmehr ist dieser Umstieg (engl. "Transition") erst mit der<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 12
siebenten Version des Mac OS X (10.6 Snow Leopard), die erst acht Jahre später erschienen ist,<br />
tatsächlich am Ziel angelangt.<br />
Mit Snow Leopard, das nur noch auf Intel-Prozessoren läuft, wurden die letzten Spuren der<br />
klassischen Macintosh-Technologie sowohl im Betriebssystem als auch in der Hardware<br />
beseitigt.<br />
2005 kündigt Steve Jobs den Umstieg <strong>von</strong> Power PC auf Intel an (Que&e: <strong>Apple</strong>)<br />
M ETHODENBESCHREIBUNG: D IE W AHL DER W AFFEN<br />
Bei der Auswahl der Forschungsmethoden für diese Arbeit habe ich auf zwei Faktoren<br />
geachtet: Machbarkeit und Zuverlässigkeit.<br />
1. Von Apologien und der forschungsleitenden Frage<br />
Meine erste Frage war, ob es mir möglich ist, eine bestimmte Methode überhaupt anzuwenden.<br />
Da disqualifizierten sich bereits die nahe liegende aber doch aufwändige Methode des<br />
Interviews. Es wäre logisch nach Cupertino, Kalifornien, zu fliegen, Gespräche mit Avi<br />
Tevanian (dem leitenden Softwarearchitekten des Mac OS X-Projektes), Phil Shiller (<strong>Apple</strong>s<br />
Vicepresident for global Productmarketing) oder gar mit <strong>Apple</strong>s Hohepriester Steve Jobs<br />
höchstpersönlich zu führen. Da könnte ich einfach danach fragen, ob sie bereits seit den<br />
späten 90er-Jahren vorhatten, die Mac-Plattform auf Intel umzustellen. Ich bräuchte ihre<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 13
Antwort nur aufzeichnen, transkribieren, in meine Arbeit einfügen und - Voilá - ich hätte mein<br />
Ziel innerhalb kürzester Zeit erreicht.<br />
Abgesehen da<strong>von</strong>, dass ich mir nicht vormachen sollte, jemals überhaupt eine "Audienz" zu<br />
bekommen, ist die Frage offen, wie zuverlässig diese Aussagen überhaupt wären. Auf ehrliche<br />
Weise - selbst im Nachhinein - über Unternehmensstrategien zu sprechen ist für<br />
Entscheidungsträger sehr schwierig. Ähnlich wie Siegermächte nach einem Krieg, sind sie in<br />
der Position, die Geschichte so zu schreiben, wie es ihnen passt. Ich käme somit wieder nicht<br />
zu den gewünschten Erkenntnissen.<br />
Der zweite Faktor für meine Methodenauswahl ist die Zuverlässigkeit.<br />
Aus ähnlichen Gründen kam für mich eine reine Literaturrecherche ebenfalls nicht in Frage.<br />
<strong>Apple</strong> betreibt als Unternehmen ausgezeichnete Öffentlichkeitsarbeit. Es wird <strong>von</strong> einer Aura<br />
der Legenden umgeben. <strong>Apple</strong>-Anwender werden als "Rebellen", als "Andersdenkende", als<br />
"jene, die sich trauen, die Welt zu verändern" dargestellt. <strong>Apple</strong> hat ein Paralleluniversum<br />
innerhalb der EDV-Berichterstattung geschaffen, das es schwer macht, wahre oder zumindest<br />
mit anderen PC-Anbietern anstandslos vergleichbare Aussagen zu treffen. Vor allem in den<br />
90er-Jahren war die Berichterstattung über <strong>Apple</strong> (je nach Medium) entweder äußerst<br />
parteiisch oder sehr feindselig. Das Unternehmen wurde als letzte Bastion des Stils und der<br />
Innovation in einem Meer der grauen PC-Kisten (auch verächtlich DOSen genannt) betrachtet<br />
oder als träger "has been", dessen Blütezeit längst vorbei sei, der endlich die Geschäftstätigkeit<br />
einstellen und sämtliche Geldeinlagen seinen Aktionären zurückgeben sollte (wie es Michael<br />
Dell vom gleichnamigen PC-Riesen 1997 ausdrückte).<br />
Somit konnte ich Medienberichterstattung zwar sehr wohl in meine Arbeit mit einbeziehen,<br />
als ernstzunehmende Quelle konnte sie nicht dienen. Ich fand sie interessant, aber sicher nicht<br />
zuverlässig. Einzig für den historischen Rückblick bezog ich mich auf Literaturquellen.<br />
Auch Pressemeldungen und Veröffentlichungen <strong>von</strong> <strong>Apple</strong> selbst kamen nur im geringen Maß<br />
in Frage. <strong>Wie</strong> bei jeder anderen gewinnorientiert arbeitenden Gesellschaft dienen sie in erster<br />
Linie dem Verkauf <strong>von</strong> Produkten respektive in weiterer Folge der Gewinnoptimierung. Das<br />
machte <strong>Apple</strong>s Pressemeldungen und Werbemittel ebenfalls höchstens auf kuriose Weise<br />
interessant aber zugleich wiederum unzuverlässig.<br />
1. Von Apologien und der forschungsleitenden Frage<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 14
Die einzigen Veröffentlichungen <strong>von</strong> <strong>Apple</strong>, auf die ich mich stütze, sind die Entwickler-<br />
Dokumentation (Mac OS X Developer Guidelines), die online bereitstehen. Darin wird für<br />
Programmierer dokumentiert, wie sie für Mac OS X-Applikationen entwickeln können, welche<br />
Schnittstellen und <strong>Technologien</strong> zur Verfügung stehen und wie diese anzuwenden sind.<br />
Zu allem Überfluss wird Steve Jobs ein schier übernatürliches Verkaufstalent nachgesagt. In<br />
Alan Deutschmanns Jobs-Biographie "The Second Coming of Steve Jobs" bezeichnete der<br />
Autor diese Fähigkeit als "Reality Distortion Field". Wenn Jobs es darauf ankommen ließ, ein<br />
Produkt oder eine Idee an seine Mitarbeiter, an Kunden, an Journalisten oder an Investoren zu<br />
verkaufen, veränderte er ihre Wahrnehmung der Wirklichkeit auf Biegen und Brechen!<br />
<strong>NeXT</strong>Step bildet die Grundlage für Mac OS X<br />
(Que&e: 14.06.2009 http://www.kernelthread.com/publications/appleoshistory/7.html)<br />
Somit konnte ich mich wieder nur bedingt auf biographische Informationen zur Person Steve<br />
Jobs stützen.<br />
1. Von Apologien und der forschungsleitenden Frage<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 15
Wenn ich nun nicht mit den Menschen, die Mac OS X geschrieben haben, sprechen konnte<br />
und mich auch nicht auf die Medienberichterstattung und Veröffentlichungen des<br />
Unternehmens stützen konnte, was sollte mir sonst übrig bleiben?<br />
Ich blickte in die Technologie selbst. Mac OS X kann nicht lügen.<br />
B ETRIEBSSYSTEM-ARCHÄOLOGIE<br />
Vor allem eine langfristige Strategie, wie jene, der ich in dieser Arbeit auf die Spuren ging, muss<br />
in vielen kleinen Schritten umgesetzt werden. Sie baut auf einer Vielzahl <strong>von</strong> Bausteinen auf,<br />
die nach und nach gelegt werden müssen. Ich machte es mir zur Aufgabe in den<br />
unterschiedlichen Betriebssystemversionen zu kramen. <strong>Wie</strong> ich mir die Arbeit eines<br />
Archäologen vorstelle, pinselte ich die feinen Staubschichten der Grabungsstätte Mac OS X<br />
frei, um auf die Knochen eines unvollständigen Dinosaurierskeletts zu stoßen. So konnte ich<br />
mir ein Bild der Entwicklung machen.<br />
Streng wissenschaftlich gesprochen habe ich mich der Methode der Inhaltsanalyse bedient. Als<br />
zu analysierende “Texte” dienten die einzelnen Versionen des Mac-Betriebssystems.<br />
Angefangen mit den “klassischen” Systemen der 80er- und 90er-Jahre (System 6, 7.5 und 9),<br />
über die ersten Entwickler-Versionen <strong>von</strong> Mac OS X (Mac OS X Server, DP3 und DP4) bis hin<br />
zu den veröffentlichten Releases der frühen 00er-Jahre bis zum heutigen Tag (Mac OS X 10.0<br />
bis 10.6). Glücklicherweise verlegte <strong>Apple</strong> den Veröffentlichungstermin <strong>von</strong> Mac OS X 10.6<br />
Snow Leopard <strong>von</strong> September auf August 2009 vor. So konnte ich auch diese Version in der<br />
vorliegenden Arbeit berücksichtigen.<br />
Zwar ist mir keine lückenlose Antwort auf die Frage, ob der Umstieg <strong>von</strong> Anfang an geplant<br />
war gelungen. Die Indizienkette zeigt aber, dass <strong>Apple</strong> zumindest mit langer Vorlaufzeit, den<br />
Wechsel eingefädelt hat.<br />
Auf meiner reichhaltigen Auswahl an Mac-Hardware installierte ich einen repräsentativen<br />
Querschnitt der Betriebssysteme und ging folgenden Fragen nach:<br />
• Welche <strong>Technologien</strong> sind in dieser Version enthalten? (z.B. Quicktime, QuickDraw,<br />
Java usw.)<br />
1. Von Apologien und der forschungsleitenden Frage<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 16
• Welche Möglichkeiten bieten sich dem Anwender? (z.B. Multitasking,<br />
Multiprozessorfähigkeit usw.)<br />
• Welche Werkzeuge (API - Application Programming Interfaces) standen<br />
Entwicklern dafür zur Verfügung? (z.B. Mac Toolbox, Cocoa, Unix X11 usw.)<br />
• Welche Hardware unterstützten diese Betriebssystem-Versionen? (z.B. 68k-<br />
Prozessoren, PowerPC, Intel-Chips)<br />
Als “Kollateral-Erkenntnisse” protokollierte ich viele der Entwicklungen auf der Ebene des<br />
User-Interfaces und der Systemarchitektur, die <strong>von</strong> historischer Relevanz sind. Somit möchte<br />
ich meine Methode auch als eine Art “elektronische Feldforschung” beschreiben.<br />
Für alle, die es genau wissen wollen. Ich habe folgende Betriebssysteme auf folgender<br />
Hardware getestet.<br />
System 6 und Mac OS 7.5: Macintosh SE/30 (16 MHz, 8 MB RAM, 40 MB HD,<br />
Baujahr 1989)<br />
Mac OS 9, 10.1, 10.2 Jaguar und 10.3 Panther: iMac G3 (450 MHz, 1 GB RAM, 20<br />
GB HD, Baujahr 2001)<br />
OpenStep/NextStep 3.3: Virtual PC 5 auf iMac G3<br />
Mac OS X 10.4 Tiger: iBook G4 (1,42 GHz, 1,5 GB RAM, 60 GB HD, Baujahr 2005):<br />
Mac OS X 10.5 Leopard, Mac OS X 10.6 Snow Leopard: MacBook Pro (2.26 GHz,<br />
4 GB RAM, 120 GB HD, Baujahr 2009)<br />
D IE F RAGE NACH DEM G RUND...<br />
1. Von Apologien und der forschungsleitenden Frage<br />
All dies mag zwar eine nette Fleißaufgabe darstellen, allerdings stellt sich hier die Frage, wozu<br />
ich all das überhaupt gemacht habe. Welcher Nutzen hat diese Forschungstätigkeit?<br />
Einerseits befindet sich technologische Entwicklung stets an der Schnittstelle zwischen<br />
Gegenwart und Zukunft, was eine geschichtliche Aufzeichnung schwierig macht. In der<br />
allgemeinen Wahrnehmung der herstellenden Unternehmen ist alte Technologie nicht nur tote<br />
Technologie sondern automatisch auch schlechte Technologie, die man eigentlich vergessen<br />
sollte. Technologiegeschichte ist aber ein Ankämpfen gegen dieses Vergessen. Ich bin der<br />
Meinung, je mehr Technologie in den Alltag der Menschen eindringt, desto mehr sollte ihre<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 17
geschichtliche Entwicklung als Teil der Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte betrachtet<br />
und auch reflektiert werden.<br />
Andererseits möchte ich mit der hier erzählten Geschichte aufzeigen, wie schwierig es ist, in<br />
einem reifen Umfeld ein neues Betriebssystem zu etablieren. Mit dem Kauf <strong>von</strong> <strong>NeXT</strong> hat<br />
<strong>Apple</strong> nicht nur ein fortschrittliches und praxiserprobtes Betriebssystem erworben, das<br />
Unternehmen konnte auch seine bestehenden <strong>Technologien</strong> adaptieren und weiter nutzen.<br />
Zudem nutzte <strong>Apple</strong> für einzelne Bereiche die Unterstützung der OpenSource-Comunity.<br />
Nur durch diese Kombination an Anstrengungen konnte Mac OS X überhaupt aus dem Boden<br />
gestampft werden.<br />
Die großen Schwierigkeiten, die der weltgrößte Softwarehersteller Microsoft mit der<br />
Entwicklung seines eigenen Betriebssystems Windows Vista (auch bekannt als Longhorn) hatte,<br />
zeigen, dass Betriebssysteme bereits eine derartige Komplexität erreicht haben, dass<br />
Neuentwicklungen bis knapp vor der Unmöglichkeit aufwändig sind.<br />
K APITELZUSAMMENFASSUNG<br />
Der Computerhersteller <strong>Apple</strong> hat im Jahre 1997 den ehemaligen Hardware- und nunmehrigen<br />
Softwarehersteller <strong>NeXT</strong> aufgekauft. <strong>NeXT</strong> sollte in Form seines Betriebssystems NextStep<br />
(das auf Intel-Prozessoren lief) die Technologie für das neue <strong>Apple</strong>-Betriebssystem liefern.<br />
2001 wurde die erste kommerziell erhältliche Version <strong>von</strong> Mac OS X für Macs mit PowerPC-<br />
Prozessoren vorgestellt. 2005 kündigte <strong>Apple</strong> an, nunmehr Rechner mit Intel-Prozessoren<br />
auszuliefern, Mac OS X sei parallel sowohl auf PowerPC als auch auf Intel-Prozessoren<br />
entwickelt worden.<br />
Diese Arbeit beschreibt, Spuren im Betriebssystem darauf hindeuten, dass dieser Wechsel<br />
möglicherweise bereits <strong>von</strong> Anfang an geplant war.<br />
1. Von Apologien und der forschungsleitenden Frage<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 18
2. Historischer Rückblick: Die kurze Geschichte des Mac<br />
“The greatest mistake you can make is to say that your work is better than a lot of the shit that's out<br />
there. No doubt. But being better than shit is not exactly a shining credential.”<br />
Dave Sim, “Cerebus - Guide to Self-Publishing”<br />
Als Steve Jobs 1997 zu <strong>Apple</strong> zurückkehrte, befand sich das Unternehmen in einem schlechten<br />
Zustand. <strong>Apple</strong> hatte bereits das dritte Quartal enorme Verluste hinnehmen müssen. Der<br />
vermeintliche Konkurrent Microsoft 2 hatte eineinhalb Jahre zuvor mit Windows 95 den großen<br />
Coup gelandet. Selbst <strong>Apple</strong>s vehementeste Unterstützer konnten keine Hoffnung, kein Licht<br />
am Ende des Tunnels erkennen. Rückblickend werden die Jahre vor Steve Jobs Rückkehr als<br />
die “belagerten Jahre” (engl. “beleaguered years”) bezeichnet.<br />
Doch was führte das ehemalige Vorzeige-Unternehmen in dieses tiefe Loch? <strong>Wie</strong> konnte es so<br />
weit kommen, dass der vormals erfolgreichste Hersteller <strong>von</strong> Heimcomputern, der über<br />
revolutionäre Produkte verfügte und mit dem Macintosh die grafische Benutzeroberfläche<br />
beliebt gemacht hatte, auf der Stelle trat und immer weniger Marktakzeptanz fand?<br />
A MERIKANISCHER M YTHOS<br />
Der US-amerikanische Dokumentarfilmer, Politaktivist und Buchautor Michael Moore hat in<br />
seinem Buch “Dude, where’s my Country” beschreibt, warum die US-Bevölkerung<br />
grundsätzlich nichts dagegen hat, wenn Besserverdiener im Verhältnis zum Rest der<br />
Steuerzahler weniger Steuern zahlen. Moore begründete dies mit dem tief im amerikanischen<br />
Bewusstsein verankerten Glauben an den Horatio-Alger-Mythos.<br />
2 Es ist eine Streitfrage, ob der So)ware-Hersteller Microsoft tatsächlich Konkurrent des<br />
Hardware-Herstellers <strong>Apple</strong> ist. Die Beantwortung dieser Frage ist nicht Gegenstand dieser<br />
Arbeit.<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 19
Alger war ein Schriftsteller im 19. Jahrhundert, der Dutzende Romane geschrieben hat, die<br />
immer wieder da<strong>von</strong> erzählen, wie ein ehrlicher, hartarbeitender aber anfangs armer<br />
Amerikaner durch harte Arbeit und/oder einer genialen Geschäftsidee reich wird. Moore<br />
mutmaßte, dass der Durchschnittsamerikaner 3 insgeheim hofft, ebenfalls vom Tellerwäscher<br />
zum Millionär aufzusteigen und deshalb jetzt schon vermeiden möchte, dass zu viel seines<br />
zukünftigen Reichtums an den Fiskus abgeführt werde.<br />
Jedes Zeitalter hat seinen eigenen “Rags-to riches”-Mythos. Zu den beliebten Aufsteiger-<br />
Geschichten des 20. Jahrhunderts zählen jene der Computermillionäre. Eine der eingängigsten<br />
und auch bekanntesten Geschichten ist der Mythos über die Gründung <strong>von</strong> <strong>Apple</strong> Computer<br />
durch Steve Jobs und Steve Wozniak.<br />
An dieser Stelle bitte ich jeden, der die wissenschaftlichen Ansprüche der Überprü'arkeit,<br />
Nachvollziehbarkeit und schier Wahrhaftigkeit hat, um Nachsicht. Immerhin wiederhole ich<br />
hier bloß die <strong>Apple</strong>-Legende im Schnelldurchlauf wie sie in der popkulturell verklärten IT-<br />
Geschichtsschreibung steht. Diese ist vor allem für ihre Unwissenschaftlichkeit bekannt.<br />
All jene, die das nicht tolerieren können, empfehle ich Kapitel 3 und 7. Diese strotzen nur so<br />
vor überprü'aren Fakten, Argumenten, die sich daraus ergeben und Schlussfolgerungen, die<br />
hoffentlich auf nachvollziehbare Weise daraus gezogen werden. Außerdem kommen dort jede<br />
Menge Fußnoten vor.<br />
A L LEIN GEGEN “BIG B ROTHER”<br />
2. Historischer Rückblick: Die kurze Geschichte des Mac<br />
Die nur halbwahre Kurzversion der <strong>Apple</strong>-Geschichte lautet: Steve Jobs und Steve Wozniak<br />
gründen ihr Unternehmen in einer Garage und bringen den ersten Heimcomputer auf den<br />
Markt. Einige Jahre später stehlen sie die Xerox-Ideen der Maus und der grafischen<br />
Benutzeroberfläche, um mit dem Macintosh den ersten kommerziell erhältlichen Computer<br />
mit Maus-Bedienung herauszubringen. Dieser ist revolutionär, ulkig und kreativ und somit die<br />
Anti-These zum bösen “Big Brother” IBM. Steve Jobs wird vom ebenfalls bösen <strong>Apple</strong>-CEO<br />
John Sculley aus dem Unternehmen herausgeworfen, das er selbst gegründet hatte. Darau(in<br />
macht Jobs <strong>Apple</strong> mit seinem neuen Unternehmen <strong>NeXT</strong> Konkurrenz und wird mit Pixar zum<br />
3 Hier gilt natürlich Genderneutralität, der Einfachheit halber wird in dieser Arbeit die<br />
männliche Form für beide Geschlechter verwendet.<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 20
Filmmogul. Seines genialen Gründers beraubt, kann sich <strong>Apple</strong> nicht gegen Microsofts<br />
Neuentwicklung Windows behaupten und versumpert technologisch immer mehr. Im Jahr<br />
1997 kehrt Steve Jobs als Retter zurück, weil <strong>Apple</strong> <strong>NeXT</strong> au)auft, um an die Betriebssystem-<br />
Technologie <strong>von</strong> NextStep zu kommen. Mit dem iMac gelingt Jobs tatsächlich die Rettung des<br />
Unternehmens. Zudem entsteht unter seiner Führung Mac OS X, das den Mac ins 21.<br />
Jahrhundert katapultiert. Mit dem MP3-Player iPod gelingt es Jobs die Welt für digitale Musik<br />
zu interessieren und er schafft gleichzeitig eine zweite lukrative Einnahmequelle für den<br />
Computerhersteller. Die Fusion aus dem iPod und Mac OS X wird zum revolutionären iPhone<br />
und <strong>Apple</strong> ist aus der IT-Welt, der Popkultur und aus der Geschichte der göttlichen Schöpfung<br />
nicht mehr wegzudenken.<br />
Soweit die mythenumrankte Kurzversion <strong>von</strong> <strong>Apple</strong>s Historie. Die auf Quellen basierte<br />
Langfassung würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Allerdings möchte ich trotzdem im<br />
Folgenden mit einigen Mythen aufräumen. Da ich mich auch auf Literatur über <strong>Apple</strong> stütze,<br />
bleiben sicher einige Echos unwahrer Überspitzungen erhalten, trotzdem kommen wir den<br />
tatsächlichen Ereignissen ein Stückchen näher.<br />
D IE K ONSENSTHEORIE DER W AHRHEIT<br />
<strong>Apple</strong> Computer wurde selbstverständlich in einer Garage gegründet, wie es sich für ein<br />
richtiges Underdog-Unternehmen gehört. Der <strong>Apple</strong> I zählt zu den ersten allgemein<br />
erhältlichen Heimcomputern. Die Ehre, allererster kommerziell erhältlicher Homecomputer<br />
zu sein, gehörte zwar dem Altair 8800 aus dem Jahr 1975, den ein anderer Hersteller auf den<br />
Markt brachte (Stephen Levy: “Hackers. Heroes of the Computer Revolution”, 1984). Da aber<br />
sowohl der Altair als auch der <strong>Apple</strong> I als Bausatz verkauft wurden, konnte Steve Wozniak mit<br />
Produktionsbeginn des als Ferti-erät verkauften <strong>Apple</strong> II behaupten, er habe den Personal<br />
Computer erfunden (Steve Wozniak: "iWoz: Computer Geek to Cult Icon: How I Invented the<br />
Personal Computer, Co-Founded <strong>Apple</strong>, and Had Fun Doing It", 2007).<br />
2. Historischer Rückblick: Die kurze Geschichte des Mac<br />
<strong>Apple</strong> gehörte in den 80er-Jahren zu einem der am schnellsten wachsenden Unternehmen in<br />
der Wirtschaftsgeschichte. Da hat sich der Elektronik- und Photokopierer-Hersteller Xerox ins<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 21
Unternehmen eingekauft. Dann geschah das, was oft irrtümlicherweise als<br />
Technologiediebstahl 4 bezeichnet wird.<br />
Das doppelte Steve-chen: Jobs und Wozniak mit einem<br />
<strong>Apple</strong> IIc (oben) und einem <strong>Apple</strong> I (darunter)<br />
(Que&e: Jim Carlton: "<strong>Apple</strong>: The Inside Story of Intrigue,<br />
Egomania, and Business Blunders", 1998)<br />
Xerox hatte im Jahrzehnt zuvor in seiner legendären und zum Teil aus Mitteln der<br />
militärischen DARPA (Defense Advanced Research Projects Agency) finanzierten<br />
Forschungsstätte PARC (Palo Alto Research Center) die Maus als Eingabegerät, die Prinzipien<br />
der grafischen Benutzeroberfläche (Fenster, Menüs, Dialogboxen usw.), sowie das LAN (Local<br />
Area Network) entwickelt. Xerox hat Jobs und Wozniak ausdrücklich einen<br />
Technologieaustausch erlaubt (lt. Michael A. Hiltzik: “Dealers of Lightning: Xerox PARC and<br />
the Dawn of the Computer Age”, 2000).<br />
2. Historischer Rückblick: Die kurze Geschichte des Mac<br />
So haben <strong>Apple</strong>-Ingenieure sich die Xerox-Entwicklungen genau angesehen. Jobs war<br />
begeistert und sah in der neuartigen Bedienung des Alto (ein Rechner-Protoyp, der mit der<br />
Maus zu bedienen war) sowie dem Betriebssystem Sma&talk die Zukunft der EDV.<br />
4 Unter anderem im Fernsehfilm “Pirates of Silicon Valley”, der die frühe Feindschaft zwischen<br />
Bill Gates und Steve Jobs beschreibt. Allerdings haben Doku-Soaps in einer ordentlichen<br />
wissenschaftlichen Arbeit als Referenz nichts verloren...<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 22
Xerox Star: der erste kommerzie& verfügbare Computer<br />
mit Maus-Bedienung (Que&e: http://www.digibarn.com/)<br />
Anhand dieser Erkenntnisse entwickelte <strong>Apple</strong> im Jahre 1983 Lisa. Entgegen der weitläufigen<br />
Meinung war nicht der Macintosh der erste <strong>Apple</strong>-Computer mit grafischer<br />
Benutzeroberfläche, sondern eben dieser nach Steve Jobs Tochter benannte Lisa. Tatsächlich<br />
war nicht einmal Lisa überhaupt der erste kommerziell erhältliche Rechner mit Maus und<br />
Fenster-Oberfläche. Es war der Xerox Star.<br />
<strong>Apple</strong> Lisa: <strong>Apple</strong>s erster Versuch an GUI und Maus<br />
(Que&e: Computer History Museum)<br />
2. Historischer Rückblick: Die kurze Geschichte des Mac<br />
Leider teilte Lisa das Schicksal des Xerox Star. Trotz der für damalige Verhältnisse<br />
revolutionären Leistungsdaten und Benutzerführung wurde die Produktion beider nach<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 23
wenigen Jahren eingestellt. Sie waren einfach zu teuer im Vergleich zum IBM PC, der im Jahr<br />
davor vorgestellt worden war 5.<br />
Während der Entwicklung <strong>von</strong> Lisa wurde Steve Jobs aus dem Team geworfen. Als Akt der<br />
Rache und als Möglichkeit, sich zu behaupten, drängte er sich ins Entwickler-Team des<br />
Macintosh, das er letzten Endes auch komplett übernahm (Alan Deutschman: “The Second<br />
Coming of Steve Jobs”, 2000). Er verlangte <strong>von</strong> seinen Ingenieuren nicht bloß die Entwicklung<br />
eines Computers, er verlangte <strong>von</strong> ihnen “to put a dent in the universe”. Außerdem sagte er<br />
ihnen, sie seien Künstler. Trotzdem zwang er sie dazu, Tag und Nacht zu arbeiten, denn “real<br />
Artists ship” - echte Künstler liefern! (Andy Hertzfeld: “Revolution in The Valley: The Insanely<br />
Great Story of How the Mac Was Made”, 2004)<br />
2. Historischer Rückblick: Die kurze Geschichte des Mac<br />
Der erste Macintosh. Nicht die erste kommerzie&e GUI, auch nicht<br />
<strong>Apple</strong>s erste GUI (Que&e: 10.07.2009 http://rickyday.net/blog/2009/01/)<br />
5 Der IBM PC konnte weit weniger und das um einiges uneleganter als <strong>Apple</strong> Lisa und Xerox<br />
Star. Doch der Preis war damals wie heute das entscheidende Kriterium. Der PC war billiger<br />
und er konnte einige Aufgaben gut genug erfüllen. Vielleicht ist das eine weitere Lehre, die man<br />
aus der Geschichte ziehen kann: “Gut genug aber bi&ig ist der Feind <strong>von</strong> wirklich gut!” (Im<br />
Technologie-Magazin Wired macht Robert Capps in einem anderen Zusammenhang eine<br />
ähnliche Beobachtung: “The Good Enough Revolution: When Cheap and Simple Is Just Fine”<br />
http://www.wired.com/gadgets/miscellaneous/magazine/17-09/ff_goodenough (abgerufen am 5.<br />
September 2009)<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 24
Im Orwell-Jahr 1984 wurde der Macintosh vorgestellt - begleitet <strong>von</strong> einem gewaltigen<br />
medialen Wirbelwind. So innovativ der erste Macintosh auch war, umso innovativer war die<br />
Inszenierung, die Steve Jobs bei der Präsentation bot. Er stellte den Mac als Gerät mit<br />
Persönlichkeit, als Computer “for the rest of us” vor. Im rebellischen 1984-Werbespot<br />
positionierte Jobs den Macintosh als Gegenspieler zum orwellshen “Big Brother” IBM und<br />
stellte den Claim “Why 1984 won’t be like ‘1984’ ”.<br />
Der Mac war als “Appliance” konzipiert. Bildschirm, Recheneinheit und Laufwerk bildeten<br />
eine Einheit. Er hatte sogar einen Traggriff, um leichter transportiert zu werden. Sowohl<br />
Rechenleistung mit 8 MHz, als auch die grafische Darstellung waren den IBM PCs der<br />
damaligen Zeit voraus. Einzig der Speicher war mit 128 Kilobyte sehr knapp bemessen. Das<br />
Betriebssystem benötigte bereits einen Großteil, für die Anwendungen blieb nicht mehr viel<br />
übrig. Glücklicherweise wurde der Macintosh mit der Textverarbeitung MacWrite und dem<br />
Zeichenprogramm MacPaint ausgeliefert, die an diese Einschränkungen angepasst worden<br />
waren.<br />
Leider verkaufte sich der Macintosh nicht so gut wie erhofft. Der Großteil <strong>von</strong> <strong>Apple</strong>s<br />
Einnahmen bestritt immer noch die neue Version des altehrwürdigen <strong>Apple</strong> II. Erst als Layout-<br />
und Grafik-Software für den Mac entwickelt wurden, begannen die Verkäufe zu boomen. Das<br />
sollte Steve Jobs aber nicht mehr als Teil des <strong>Apple</strong>-Teams erleben. <strong>Apple</strong>-CEO John Sculley 6<br />
warf Steve Jobs aus dem Unternehmen.<br />
G ENERATION N EXT<br />
Das ließ Jobs nicht auf sich sitzen und gründete abermals ein Computerunternehmen. <strong>NeXT</strong><br />
war geboren. Der detailversessene Jobs wollte den perfekten Computer für Forscher und<br />
Studenten erschaffen. Der <strong>NeXT</strong>-Computer sollte über ein leistungsfähiges auf BSD/UNIX-<br />
basiertes Betriebssystem verfügen. Es sollte objektorientiert sein und die<br />
Bildschirmdarstellung sollte über das für den Hochqualitätsdruck konzipierte PostScript<br />
angesprochen werden.<br />
2. Historischer Rückblick: Die kurze Geschichte des Mac<br />
6 Einige Jahre davor hat Steve Jobs dem ehemaligen PepsiCola-CEO Sculley den Posten als<br />
<strong>Apple</strong>-CEO angeboten, indem er ihn fragte “Do you want to sell sugared water all your life or<br />
do you want to change the world?” (Jim Carlton: “<strong>Apple</strong>: The Inside Story of Intrigue,<br />
Egomania, and Business Blunders”, 1998)<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 25
Nach einer langen Entwicklungszeit und einigen rechtlichen Kämpfen mit <strong>Apple</strong> 7 kam im<br />
Jahre 1988 unter abermaligem Medienwirbel der <strong>NeXT</strong> Cube heraus. Der Cube war<br />
wunderschön und bot vieles, das noch nie zuvor da gewesen war, trotzdem hatte Jobs ein<br />
überteuertes Nischenprodukt im Repertoire. Oscar Wilde meint, Kunst müsse nutzlos sein.<br />
Der Cube war reine Kunst.<br />
Der <strong>NeXT</strong>-Rechner war weder ein Erfolg, noch konnte das Unternehmen seine<br />
Anfangsverluste abdecken. Nach abwechselnden Beteiligungen <strong>von</strong> Ross Perot (später als Joker<br />
im US-Präsidentschaftswahlkampf bekannt) und Canon, musste <strong>NeXT</strong> die Hardware-<br />
Produktion einstellen.<br />
2. Historischer Rückblick: Die kurze Geschichte des Mac<br />
Steve Jobs und sein erster <strong>NeXT</strong>-Computer<br />
(Que&e: 11.08.2009 http://www.flickr.com/photos/puckman/125024210/)<br />
7 Jobs hatte einen Teil des <strong>Apple</strong>-Teams ins neue Unternehmen mitgenommen, worau(in<br />
<strong>Apple</strong> klagte. Die beiden Unternehmen einigten sich darauf, dass <strong>NeXT</strong> nicht auf dem <strong>Apple</strong>-<br />
Markt wildern dürfe und sich im Verkauf nur auf universitäre und andere<br />
Forschungseinrichtungen sowie staatliche Stellen konzentrieren dürfe.<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 26
Das Unternehmen stellte seine Geschäftstätigkeit auf die Entwicklung und den Verkauf seines<br />
Betriebssystems NextStep um. Dieses wurde für DEC Alpha- und Intel i86-Prozessoren<br />
angeboten. Zudem hatte <strong>NeXT</strong> das leistungsfähige CMS (Content Managment System)<br />
Webobjects entwickelt. Damit fasste <strong>NeXT</strong> in dieser neumodischen Erscheinung namens<br />
Internet Fuß.<br />
Tatsächlich erwies sich gerade das Neben-Projekt Webobjects als gehörige “cash cow” für das<br />
an Einnahmen nicht gerade beschenkte Unternehmen. Großkunden wie Dell und einige US-<br />
Behörden bauten ihre Webauftritte mit Webobjects auf. Doch das war alles zu wenig und zu<br />
spät. Im Grunde war <strong>NeXT</strong> gescheitert (Alan Deutschmann: “The Second Coming of Steve<br />
Jobs”, 2000). Die “software-only” Strategie zeigte sich als unzulänglich. Das Unternehmen kam<br />
einfach nicht aus der Verlustzone heraus. Niemand wollte ein Betriebssystem, für das es nur<br />
wenige Applikationen gab. Aus dieser Zeit stammte auch folgendes Bill Gates-Zitat. Auf die<br />
Frage eines Journalisten, ob Microsoft auch für <strong>NeXT</strong> Software entwickeln werde, soll Gates<br />
geantwortet haben: “Develop for it!?! I piss on it!” (lt. Je/ey S. Young, Wi&iam L. Simon: “iCon:<br />
Steve Jobs, The Greatest Second Act in the History of Business”, 2005).<br />
Zwei Dinge konnten Steve Jobs enormes Ego retten: <strong>NeXT</strong> hatte das modernste<br />
Betriebssystem der Welt, das aber niemand kaufen wollte, weil sich Windows im Lieferumfang<br />
der ausgelieferten PC befand. Und er hatte einige Jahre zuvor <strong>von</strong> George Lucas, das schwer<br />
defizitäre Computergrafik-Unternehmen Pixar gekauft, das ohne viel Zutun Jobs den Filmhit<br />
“Toy Story” landete, den ersten abendfüllenden vollständig am Computer animierten Spielfilm.<br />
F ENSTER IN DEN 90ERN<br />
Parallel dazu geriet <strong>Apple</strong> ebenfalls in Schwierigkeiten. Zwar hatte der Mac im Bereich der<br />
Druckproduktion und im grafischen Gewerbe sowie in Werbe- und Kreativagenturen einen<br />
ertragreichen Platz gefunden. Doch die alte auf Motorolas 68k-Prozessoren basierte<br />
Architektur zeigte Alterserscheinungen. Ein neuer Prozessor musste her.<br />
2. Historischer Rückblick: Die kurze Geschichte des Mac<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 27
Da folgte die erste große Umstellung (engl. Transition) in <strong>Apple</strong>s Geschichte <strong>von</strong> 68k auf die<br />
moderne, zukunftsträchtige RISC 8-Architektur des PowerPC 9.<br />
Der Umstieg war ein voller Erfolg. Mac-Rechner wurden um einiges schneller als ihre PC-<br />
Konkurrenz. Dieser Vorsprung war aber trügerisch. Einerseits schliefen die Mitbewerber nicht,<br />
denn Intel entwickelte die eigenen Prozessoren immer weiter (Stephen Levy: “Insanely Great:<br />
The Life and Times of Macintosh, the Computer That Changed Everything”, 2000).<br />
Andererseits zeigte auch <strong>Apple</strong>s Betriebssystem Mac OS ebenfalls Mängel. Es konnte seine<br />
primitiven Wurzeln nicht verleugnen. Immerhin basierte es auf ein single-user, single-tasking-<br />
Fundament, das immer unzeitgemäßer erschien. Der Prozessor-Umstieg verlangte zudem noch,<br />
dass Teile des Betriebssystems emuliert werden, weil sie für die 68k-Reihe geschrieben wurden<br />
und aus Kompatibilitätsgründen erhalten werden mussten. Das unterwanderte den großen<br />
Geschwindigkeitsvorteil. (Owen Linzmayer: “<strong>Apple</strong> Confidential 2.0: The Definitive History of<br />
the World's Most Colorful Company”, 2004)<br />
<strong>Apple</strong> experimentierte mit einer Reihe <strong>von</strong> unterschiedlichen Betriebssystem-Varianten. Für<br />
den Server-Bereich wurde sogar mit A/UX eine eigene Unix-Version konzipiert. Diese kam<br />
aber für gewöhnliche Macs nicht infrage, weil A/UX nicht kompatibel war mit dem großen<br />
Softwareangebot für Mac OS.<br />
Die Entwickler unternahmen einige gescheiterte Versuche, ein völlig neues, auf moderner<br />
Grundlage au'auendes System <strong>von</strong> Grund auf zu schreiben. Die Codenamen der<br />
fehlgeschlagenen Versuche lauteten Copland und Star Trek und werden im letzten Viertel dieses<br />
Kapitels im Detail behandelt. (Owen Linzmayer: “<strong>Apple</strong> Confidential 2.0: The Definitive<br />
History of the World's Most Colorful Company”, 2004)<br />
2. Historischer Rückblick: Die kurze Geschichte des Mac<br />
8 Die RISC-Architektur (Reduced Instruction Set Computer) sollte gewaltige<br />
Leistungszuwächse bringen, weil der Prozessor zwar über weniger Befehle als bisherige<br />
Prozessoren (CISC - Complex Instruction Set Computer) verfügte, diese aber mit wesentlich<br />
höherer Geschwindigkeit ausführen konnte.<br />
9 PowerPC war ein gemeinsames Produkt <strong>von</strong> <strong>Apple</strong>, Motorola und IBM. Motorola verlor<br />
Ende der 90er-Jahre das Interesse daran. IBM baut weiterhin POWER-Prozessoren in seine<br />
Hochleistungsserver und stellt auch Videospiele-Prozessoren für Sony, Nintendo und<br />
Microsoft her, die auf dem PowerPC basieren.<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 28
Just zu dieser Zeit spaltete sich unter der Führung des ehemaligen <strong>Apple</strong>-Manager Jean-Louis<br />
Gassée eine Gruppe <strong>von</strong> <strong>Apple</strong>-Entwicklern ab und entwickelte in einem eigenständigen<br />
Unternehmen das Betriebssystem BeOS. Anfangs lief es auf den obskuren Hobbit-Prozessoren.<br />
Ziemlich rasch wurde es auf PowerPC-Prozessoren und Mac-Hardware portiert, wo es mit<br />
erstaunlicher Effizienz lief. In BeOS meinten <strong>Apple</strong>-User das Mac OS der Zukunft zu<br />
erkennen. Allerdings lief die bestehende Mac-Software darauf nur über Umwege.<br />
Währenddessen brachte in einem beispiellosen Kraftakt Microsoft sein Windows 95 auf den<br />
Markt. Der gewöhnliche PC war nun dem Mac in vielen Belangen absolut ebenbürtig - zum<br />
halben Preis. <strong>Apple</strong> reagierte zwar spöttisch, der Marktanteil sank aber weiter (Alan<br />
Deutschmann: “The Second Coming of Steve Jobs”, 2000).<br />
D IE BELAGERTEN J AHRE<br />
<strong>Apple</strong> war belagert; auf der einen Seite <strong>von</strong> Microsoft mit seinem Betriebssystem-Angebot; auf<br />
der anderen Seite <strong>von</strong> den Klon-Herstellern, die in Lizenz Mac-kompatible Geräte zu einem<br />
geringeren Preis herstellten; zudem hatte <strong>Apple</strong> sämtliche Innovationskraft verloren und<br />
konnte sich nicht wie Münchhausen beim eigenen Schopf aus dem Wasser ziehen. 1996 schrieb<br />
<strong>Apple</strong> einen Verlust <strong>von</strong> einer Milliarde US-Dollar.<br />
2. Historischer Rückblick: Die kurze Geschichte des Mac<br />
Ein CEO nach dem anderen warf das Handtuch. Sculley ging und wurde <strong>von</strong> Michael Spindler<br />
ersetzt, der allerdings nicht sehr lange die Geschicke des Unternehmens leitete. Dann<br />
übernahm der große Unternehmensretter Gil Amelio 10 den CEO-Posten bei <strong>Apple</strong>.<br />
10 Amelio hatte zuvor zur Rettung <strong>von</strong> National Semiconductors beigetragen.<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 29
BeOS: Lange Zeit als Nachfolger des alt-ehrwürdigen Mac OS gehandelt<br />
(Que&e: http://beos.tribe.net/photos/29d28354-0260-4e42-8432-f33a5fffce9c)<br />
Wenn man Amelio eine Sache anrechnen kann, dann, dass er erkannte, wie wichtig es für<br />
<strong>Apple</strong> war ein leistungsfähiges Betriebssystem zu haben, und dass das Unternehmen nicht<br />
selbst in der Lage war, in akzeptabler Zeit ein völlig neues Betriebssystem zu schreiben.<br />
Der CEO sah sich auf dem Markt nach einem bestehenden Betriebssystem um. Zur Wahl<br />
standen eine Lizenz <strong>von</strong> Windows NT, das leistungsfähige BeOS und das moderne <strong>NeXT</strong>Step.<br />
F REUNDLICHE Ü BERNAHME<br />
2. Historischer Rückblick: Die kurze Geschichte des Mac<br />
Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass gerade als sich <strong>Apple</strong> auf der Suche nach einem<br />
modernen Betriebssystem befand, eben ein solches im Unternehmen seines hinausgeworfenen<br />
Gründers entstanden war. <strong>Apple</strong> war ein Hardware-Hersteller ohne Betriebssystem, <strong>NeXT</strong> war<br />
ein Betriebssystem-Entwickler ohne Hardware. Wenn die beiden Unternehmen nicht so bitter<br />
verfeindet gewesen wären, dann wäre der Zusammenschluss eine logische Strategie.<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 30
Gil Amelio, <strong>Apple</strong>s CEO in den “belagerten Jahren” des Unternehmens<br />
(Que&e: 11.08.2009 http://virnamedina.blogspot.com/2008_06_01_archive.html)<br />
Die Verhandlungen mit Be standen mehrmals kurz vor dem Abschluss. Einziger Streitpunkt<br />
war der Kaufpreis. Be-CEO Gassée verlangte $ 200 Millionen. Das hielt Amelio für zu viel.<br />
Denn obwohl BeOS viele Vorteile mitbrachte, es war schnell, effizient und baute auf modernen<br />
Strukturen auf, gab es Bereiche, in die <strong>Apple</strong> noch viel Entwicklungsarbeit stecken musste. Die<br />
Netzwerk-Fähigkeiten <strong>von</strong> BeOS waren noch unterentwickelt, und es konnte noch überhaupt<br />
nicht den durch das Internet au)ommenden Server-Markt bedienen.<br />
Da hatte <strong>NeXT</strong> die Nase vorn. In einer Nacht und Nebel-Aktion, deren wahren Verlauf die<br />
Welt wahrscheinlich nie erfahren wird, einigten sich <strong>NeXT</strong> und <strong>Apple</strong> auf eine Fusion. Um<br />
mehr als $ 400 Millionen wurde der Zusammenschluss beschlossen. Amelio meinte kokett, er<br />
habe sich für den Plan A entschieden und nicht für Plan Be (Alan Deutschmann: “The Second<br />
Coming of Steve Jobs”, 2000).<br />
Selbstverständlich kaufte <strong>Apple</strong> mit der Betriebssystemtechnologie <strong>von</strong> <strong>NeXT</strong> auch den<br />
eigenen Gründer, Mediendarling Steve Jobs, mit ein. Zwar wollten beide Unternehmen eine<br />
gemeinsame schriftliche Presseerklärung abgeben, doch Jobs brachte zuerst eine eigene <strong>von</strong><br />
religiösen Untertönen des verlorenen Sohnes durchzogene Erklärung aus, in der die<br />
Übernahme <strong>NeXT</strong>s durch <strong>Apple</strong> angekündigt wurde.<br />
2. Historischer Rückblick: Die kurze Geschichte des Mac<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 31
Auf einer groß angelegten Pressekonferenz stellte Gil Amelio auf langatmige Weise seine neue<br />
Betriebssystem-Strategie vor. Doch das Publikum interessierte sich nicht für seine<br />
Ausführungen. Alle warteten auf Steve Jobs. <strong>Wie</strong> es Alan Deutschman in “The Second Coming<br />
of Steve Jobs” (Seite 231) beschreibt:<br />
“On January 7, Gil and Steve were slated to share the keynote speech at Macworld, an<br />
annual ritual that drew some eighty thousand of <strong>Apple</strong>’s enthusiasts to San Francisco.<br />
The <strong>Apple</strong> faithful were anxious to see their cult hero and hear his plans for saving the<br />
company. But Gil went on first, and he went on and on. He had thrown out his scripted<br />
text, and instead he rambled ad lib for two hours, repeatedly losing his train of thought.<br />
But he was seemingly oblivious to how thoughly he was embarassing himself. ...<br />
Then Steve took the stage, and thousands stood up and cheered.”<br />
F UNCTION FOLLOWS F ORM<br />
Amelio hatte sich so grundlegend bei <strong>Apple</strong>-Aktionären und Kunden blamiert, dass es für den<br />
intrigenerprobten Steve Jobs ein Leichtes war, Amelio als CEO abzumontieren. Er wurde<br />
Interims-CEO (iCEO), solange das Unternehmen keinen Nachfolger für Amelio gefunden<br />
hatte. Für einen symbolischen Dollar 11 im Jahr wollte er aus “reiner Gutherzigkeit” das<br />
Unternehmen, das er gegründet hatte, retten.<br />
2. Historischer Rückblick: Die kurze Geschichte des Mac<br />
Tatsächlich kamen die großen Erfolge. Kein halbes Jahr, nachdem Jobs das Ruder an sich<br />
gerissen hatte, präsentierte er den iMac. Mit seinem knubbeligen Design, seiner<br />
minimalistischen Ausrüstung und dem grassierenden Internet-Boom erwies sich das Gerät aus<br />
ausgesprochener Erfolg. Darauf folgten der iBook und der PowerBook Titanium.<br />
11 Lt. Deutschman musste Jobs diesen Dollar verlangen, damit seine Familie bei <strong>Apple</strong><br />
mitversichert sein konnte. 2002 übernahm Jobs endgültig die CEO-Agenden und wurde auch<br />
entsprechend entlohnt.<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 32
iMac 1998: Das knubbelige Geräte, das <strong>Apple</strong> retten konnte<br />
(Que&e: http://www.atpm.com/6.08/macworld-ga&ery/images/macs-imac-snow.jpg)<br />
D ER M OTOR DER M ASCHINE<br />
Im Hintergrund liefen die Vorbereitungen, NextStep auf die PowerPC-Plattform zu portieren.<br />
Das erwies sich als wesentlich schwieriger als geplant. Einerseits durfte <strong>Apple</strong> die großen<br />
externen Software-Entwickler wie Microsoft, Adobe oder Macromedia nicht verärgern, weil sie<br />
ihre Software für das neue Betriebssystem völlig neu schreiben mussten, andererseits wollten<br />
sie die Anwender nicht verlieren, die viel Geld für Mac OS-Software investiert hatten.<br />
Zudem zeigte sich, dass einige Strategien, die bei <strong>NeXT</strong> noch funktioniert hatten, bei <strong>Apple</strong><br />
nicht aufgingen. Das viel gerühmte Display-Postscript kam als<br />
Bildschirmbeschreibungssprache des neuen Mac OS nicht infrage. Es war einfach zu teuer.<br />
Große Teile des Systems mussten umgeschrieben werden, damit Adobes offenes PDF-Format<br />
für die Bildschirmdarstellung verwendet werden konnte (http://arstechnica.com/apple/reviews/<br />
2001/04/macos-x.ars, abgerufen am 17. Juli 2009).<br />
<strong>Apple</strong> formulierte eine doppelte Übergangsstrategie. Ein Teil der neuen<br />
2. Historischer Rückblick: Die kurze Geschichte des Mac<br />
Entwicklungsbibliotheken (API - Application Programming Interfaces) wurde als Carbon auf<br />
das alte Mac OS portiert. So konnten Softwarehäuser ihre Applikationen mit relativ geringem<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 33
Aufwand bereits auf dem alten Mac OS “future proof” machen. Denn Carbon-Programme<br />
würden sowohl auf dem alten Mac OS als auch auf dem noch nicht veröffentlichten Mac OS X<br />
einwandfrei laufen.<br />
Zudem beschloss <strong>Apple</strong> alle anderen Programme in einer virtualisierten Umgebung im neuen<br />
Betriebssystem ablaufen zu lassen. Mac OS X sollte eine volle Version des klassischen Mac OS<br />
laden, wenn ein altes, noch nicht angepasstes Programm gestartet wurde.<br />
2000 war es dann soweit. Die erste, gerade noch lauffähige Version <strong>von</strong> Mac OS X wurde<br />
vorgestellt. Das “X” im Namen stand nicht nur für die Römisch-Zehn, sondern spielte auch<br />
auch auf die Unix-Wurzeln des Systems an. Doch leider war 10.0 alles andere als brauchbar. Es<br />
war langsam und noch nicht sehr stabil. Aber es sah sensationell schön aus.<br />
Mac OS X mit der neuen Benutzeroberfläche Aqua<br />
Auch in der Nomenklatur ging <strong>Apple</strong> neue Wege. Die einzelnen Versionen <strong>von</strong> Mac OS X<br />
wurden nach Raubkatzen benannt. Die erste Version hieß Puma, danach kam Jaguar, gefolgt<br />
<strong>von</strong> Panther.<br />
2. Historischer Rückblick: Die kurze Geschichte des Mac<br />
Tatsächlich lieferte <strong>Apple</strong> zwei Jahre lang alle Geräte mit beiden Betriebssystemen aus. User<br />
konnten ihren Mac alternativ mit Mac OS Classic und dem neuen Mac OS X booten.<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 34
Erst 2003 mit der Einführung <strong>von</strong> Mac OS X 10.3 Panther setzte <strong>Apple</strong> alles auf die<br />
Neuentwicklung.<br />
I P OD THEREFORE I AM<br />
Mac OS X <strong>von</strong> 10.0 Puma bis 10.5 Leopard<br />
Jobs hatte bei seiner Machtergreifung sämtliche <strong>Apple</strong>-Entwicklungen einstellen lassen, die<br />
nicht mit dem Kerngeschäft verwandt waren. <strong>Apple</strong> stellte in den 90er-Jahren noch selbst<br />
Laserdrucker und Digitalkameras her. Diese mussten als Verlustbringer eingestellt werden.<br />
Auch der revolutionäre PDA (Personal Digital Assistant) Newton MessagePad fiel der Jobschen<br />
Axt zum Opfer.<br />
Als der neue iCEO fertig war, stellte <strong>Apple</strong> nur noch Desktop-Macs, Notebooks und Server<br />
her. Sonst nichts (Alan Deutschmann: “The Second Coming of Steve Jobs”, 2000).<br />
2001 lud <strong>Apple</strong> zu einer Präsentation eines mysteriösen Produkts. Auf der Einladung stand<br />
dezidiert “Not a Mac”. Da wurde bereits spekuliert, dass <strong>Apple</strong> nun doch einen Nachfolger des<br />
Newton MessagePad vorstellen wollte.<br />
Doch die Journalisten wurden enttäuscht. Steve Jobs stellte auf seine gewohnt dramatische<br />
Weise einen einfachen MP3-Player vor: den <strong>Apple</strong> iPod.<br />
2. Historischer Rückblick: Die kurze Geschichte des Mac<br />
Vier Jahre später überholten die iPod-Umsätze jene aus den Mac-Verkäufen.<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 35
<strong>Apple</strong> iPod der a&er ersten Generation (Que&e: <strong>Apple</strong>)<br />
Erstmals konnte sich <strong>Apple</strong> auf einem Markt ohne Wettbewerbsverzerrung behaupten. Allein<br />
durch die Qualität seines Produkts und ausgeklügelter Werbung konnte das Unternehmen<br />
gegen Branchenriesen wie Sony und Platzhirsche wie Roxio und Creative antreten.<br />
Zu den großen Vorzügen des iPod gehörten neben seiner leichten Bedienung auch die für<br />
damalige Verhältnisse große Speicherkapazität (5 Gigabyte in der ersten Generation). Bald<br />
folgten kleinere iPods und auch solche mit einer besseren Bedienung bzw. mehr Speicher.<br />
Doch der eigentliche Coup gelang erst, als <strong>Apple</strong> mit den großen Musikanbietern Verträge für<br />
den Online-Verkauf ihrer Musik abschließen konnte. Mit dem iTunes-Musikstore bot <strong>Apple</strong><br />
auf legalem Weg Musik zum Download an (Steven Levy: “The Perfect Thing: How the iPod<br />
Shuffles Commerce, Culture, and Coolness”, 2007).<br />
G EHIRN-TRANSPLANTATION<br />
<strong>Apple</strong> verwöhnte sowohl Presse als auch Publikum bei seinen jährlichen<br />
2. Historischer Rückblick: Die kurze Geschichte des Mac<br />
Produktpräsentationen zum Auftakt der Macworld. Da betrat Jobs die Bühne und stellte ein<br />
einfaches Produkt vor, als sei es eine langerwartete Verheißung, ohne die keiner leben konnte.<br />
Da war er stets für Überraschungen und dramatische Zuspitzungen gut. Bei einer seiner ersten<br />
Präsentation nach seiner Rückkehr zu <strong>Apple</strong> stellte Jobs einige zwar solide aber nicht<br />
besonders aufregende Produkte vor. Gerade als er die Bühne verlassen wollte, drehte er sich<br />
zum Publikum und sagte, ach übrigens, “one more thing”, <strong>Apple</strong> sei jetzt wieder profitabel und<br />
schreibt große Gewinne (Alan Deutschmann: “The Second Coming of Steve Jobs”).<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 36
Ein anderes Mal, als Jobs die Bühne verlassen wollte, drehte er sich noch einmal um und tat so,<br />
als sei ihm eingefallen, dass er einen völlig neuen, extrem winzigen iPod in der Hosentasche<br />
hatte - in der kleinen Tasche innerhalb der Hosentasche seiner Jeans (<strong>Apple</strong> Special Music<br />
Event Quicktime-Stream, erhalten unter http://www.youtube.com/watch?v=7GRv-kv5XEg<br />
abgerufen am 10. Juni 2009).<br />
Eine Sache hasste Jobs allerdings. Bei den Präsentationen wollte er keine leeren Versprechen<br />
machen. Deshalb kündigte <strong>Apple</strong> niemals Produkte an, die noch nicht lieferbar sind. Auch<br />
zukünftige strategische Überlegungen wurden nicht veröffentlicht.<br />
Einmal im Jahr 2003 hat Jobs bei der Präsentation des PowerMac G5 versprochen, dass der nun<br />
vorgestellte Super-PowerMac, der zum Zeitpunkt der Vorstellung mit 2 GHz getaktet war, in<br />
zwölf Monaten mit 3 GHz ausgeliefert werden sollte (Macworld Keynote Quicktime Stream<br />
erhalten unter http://www.youtube.com/watch?v=ghdTqnYnFyg abgerufen am 10. Juni 2009).<br />
Doch IBM, der Hersteller des G5-PowerPC-Prozessors, spielte nicht mit. Ein G5 mit 3 GHz<br />
wurde nie produziert. Da wollte Jobs nicht mehr mitspielen. Nach dieser Enttäuschung war die<br />
Zeit reif für einen Umstieg.<br />
2. Historischer Rückblick: Die kurze Geschichte des Mac<br />
Das Unglaubliche wird wahr, der Mac steigt auf Intel-Prozessoren um (Que&e: <strong>Apple</strong>)<br />
Die Gerüchte, dass <strong>Apple</strong> Mac OS X parallel für PowerPC und Intel entwickeln ließ, brodelten<br />
ständig. Manchmal kamen sie <strong>von</strong> verlässlichen Quellen. Oft kamen sie <strong>von</strong><br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 37
Verschwörungstheoretikern, die für den Anschlag auf das World Tradecenter die Illuminati<br />
verantwortlich machten. Ernst nehmen konnte man diese Gerüchte nie. Es erschien<br />
wirtschaftlich sinnlos, ein Betriebssystem, das überhaupt erst unter gewaltiger<br />
Kraftanstrengung und geballter Marketingmacht herausgebracht wurde, zusätzlich noch<br />
insgeheim auf einer anderen Chip-Architektur zu entwickeln.<br />
Doch 2005 veröffentlichte die Online-Ausgabe des Wa& Street Journal die Meldung, dass Steve<br />
Jobs bei der wenige Tage später stattfindenden Macworld Keynote ankündigen würde, dass<br />
<strong>Apple</strong> plant, Intel-Prozessoren in seine Macs einzubauen (http://online.wsj.com/article/<br />
SB111791696757050994.html abgerufen am 12. August 2009).<br />
iMac 2009: Glas und Meta&, aber kein Lächeln mehr<br />
(Que&e: <strong>Apple</strong>)<br />
Im Juli 2005 war es dann so weit. Steve Jobs betrat die Bühne und schilderte seine<br />
Enttäuschung über IBM und Motorola als Prozessor-Zulieferer. Dann beschrieb er das<br />
Verhältnis zwischen Stromverbrauch und Leistung der PowerPC-Prozessoren. Er betonte, dass<br />
<strong>Apple</strong> im vergangenen Geschäftsjahr zum Großteil mobile Geräte verkauft hatte.<br />
Dann detonierte die Bombe: “It’s true! We’re transitioning to Intel.”<br />
2. Historischer Rückblick: Die kurze Geschichte des Mac<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 38
Es blieb nicht nur bei der Ankündigung. Das Entwicklerpublikum konnte sofort einen<br />
PowerMac mit Intel-Prozessor mitnehmen, um Mac OS X auf Intel auszuprobieren und darauf<br />
bereits Software anzupassen. Die Xcode-Entwicklungsumgebung konnte bereits bei der<br />
Ankündigung so genannte “Universal binaries” kompilieren, die sowohl auf PowerPC-Macs als<br />
auch auf Intel-Macs nativ liefen.<br />
I P HONE: D AS S MARTPHONE FÜR DEN R EST VON UNS<br />
Im Jahr 2000, als <strong>Apple</strong> bereits die finanzielle Wende vollzogen hatte, bot Steve Jobs 3Com an,<br />
ihnen den PDA-Hersteller Palm abzukaufen. Für einen einzigen Dollar. Sein Argument war,<br />
dass die Palm-Mitarbeiter gar nicht wussten, was sie taten und ihr Erfolg nur vorübergehend<br />
wäre. Zu diesem Zeitpunkt stand das florierende Unternehmen Palm vor einem der größten<br />
Börsengänge in der Wirtschaftsgeschichte. Vier Jahre später zeigte sich, dass Palm mit seinen<br />
Geräten zu spät auf die immer leistungsfähiger werdenden Smartphones reagiert hatte. Die<br />
Palm-Produktpalette war hoffnungslos veraltet und konnte mit den Mitbewerbern <strong>von</strong> Nokia<br />
und Windows Mobile kaum mithalten 12. (Smartphone Fanatics http://<br />
www.smartphonefanatics.com/2008/11/did-apple-almost-buy-palm.html abgerufen am 12. Juni<br />
2009 )<br />
Eines stand aber fest: <strong>Apple</strong> interessiert sich für mobile Internet-Geräte, PDAs und<br />
Mobiltelefone.<br />
2007 stellte Steve Jobs alle drei Geräte vor. Alle drei in Form eines einzigen: iPhone. Dieses auf<br />
OS X-basierte Smartphone bot eine neue Multitouch-Benutzeroberfläche, eine vollwertige<br />
Version des <strong>Apple</strong>-eigenen Browsers Safari , die volle Funktionalität eines iPod und <strong>von</strong><br />
anderen Smartphones gewohnte Funktionen wie E-Mail, SMS und Sprachtelephonie<br />
(Macworld 2007 - Steve Jobs Keynote Speech http://www.youtube.com/watch?<br />
v=YUeM6FBInfw&feature=PlayList&p=AD920847B7931033&index=11 abgerufen am 12.<br />
August 2009). Durch ständige inkrementelle Updates fügte <strong>Apple</strong> immer mehr Funktionen<br />
hinzu, bis 2008 der App-Store vorgestellt wurde. Dort konnten Entwickler ihre Software für<br />
iPhone verkaufen und über iTunes die Verkäufe abrechnen.<br />
2. Historischer Rückblick: Die kurze Geschichte des Mac<br />
12 Nach langen Jahren der Bedeutungslosigkeit gelang es Palm erst 2009 im Fahrwasser des<br />
iPhone mit dem Palm Pre ein innovatives Produkt auf den Markt zu bringen. Der ehemalige<br />
<strong>Apple</strong>-Hardware-Chef Joe Rubinstein war maßgeblich an der Entwicklung beteiligt.<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 39
In den ersten zwölf Monaten verkaufte <strong>Apple</strong> mehr als 10 Millionen iPhones.<br />
<strong>Apple</strong> iPhone - Multitouch-Oberfläche auf OS X (Que&e: <strong>Apple</strong>)<br />
D IE UNTERSCHIEDLICHEN G ESICHTER DES M AC OS<br />
Soweit zur Unternehmensgeschichte. Doch wie hat sich Mac OS in diesen Jahren entwickelt?<br />
Am Anfang war der Macintosh. Sein kleiner Schwarzweiß-Monitor zeigte Fenster, Icons und<br />
einen Mauszeiger. Sein Betriebssystem hatte nicht einmal einen Namen. Intern hieß es bloß<br />
System 1.0. Allmählich wurden neue Modelle des Mac vorgestellt. Sie hatten mehr Speicher,<br />
eine Festplatte und externe Bildschirme.<br />
Das Betriebssystem zog mit, so gut es nur konnte. Doch kein Professor Higgins konnte die<br />
einfache Herkunft des Macintosh-System verleugnen. Neue Features wurden dazu gebastelt,<br />
als wolle <strong>Apple</strong> ein Schwein mit Lippenstift schminken. Erst 1994 erhielt das Betriebssystem<br />
überhaupt den Namen Mac OS.<br />
<strong>Apple</strong> startete mehrere vergebliche Versuche Mac OS durch eine Neuentwicklung zu ersetzen.<br />
Allmählich überlegten die <strong>Apple</strong> Systemingenieure sogar, auf einem fremden Betriebssystem<br />
aufzubauen.<br />
<strong>Wie</strong> wurde aus dem einfachen System 1.0 das mächtige aber doch unzeitgemäße Mac OS?<br />
<strong>Wie</strong>so scheiterten <strong>Apple</strong>s Versuche, ein modernes Betriebssystem zu entwickeln? <strong>Wie</strong> verlief<br />
die Parallelentwicklung <strong>von</strong> NextStep?<br />
2. Historischer Rückblick: Die kurze Geschichte des Mac<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 40
Mac OS<br />
"Classic"<br />
68k<br />
A/UX<br />
68k<br />
Mac OS<br />
"Classic"<br />
PowerPC<br />
NextStep<br />
Mac OS X<br />
PowerPC<br />
Mac OS X<br />
Intel<br />
D IE M AC OS-ZEITLEISTE<br />
1 2 3 4 5 6 7 7.1 7.5 7.6 8 8.1<br />
O DYSEE EINER E NTWICKLUNG<br />
Das Ur-Mac OS wurde am 24. Januar 1984 mit dem allerersten Macintosh vorgestellt. Dieser<br />
verfügte über spärliche 128 Kilobyte an Hauptspeicher (RAM). Da hieß das Betriebssystem nur<br />
System 1.0.<br />
Damals war es noch üblich, dass andere Computer über ein Befehlszeileninterface (Command<br />
Line Interface) bedient wurden, d.h. der Benutzer sah nur hellen Text auf dunklem<br />
Hintergrund und musste kryptische Befehle eingeben, um zum gewünschten Ergebnis zu<br />
kommen. Programme galten dann als benutzerfreundlich, wenn sie Menüs anboten, die über<br />
die Pfeil-Tasten (Cursor-Tasten) angesprochen werden konnten. Textverarbeitungen zeigten<br />
nicht an, wie der Text im gedruckten Zustand aussehen würde, weil alle Attribute (kursiv, fett,<br />
gesperrt) nur über Steuerzeichen markiert wurden. Zudem hatten die meisten Programme<br />
unterschiedliche Benutzeroberflächen. Wenn User eine bestimmte Textverarbeitung<br />
beherrschten, dann fanden sie sich in einer anderen nur schwer zurecht, geschweige denn in<br />
einer Tabellenkalkulation sogar des selben Herstellers.<br />
Das Mac-System war ganz anders. Hier funktionierten alle Programme nach den selben<br />
Prinzipien. Auf dem Bildschirm konnte der User genau sehen, wie der Text im ausgedruckten<br />
Zustand formatiert wird (WYSIWYG - What you see is what you get) und vor allem: die<br />
gesamte Bedienung erfolgte über die Maus, Menüs, Fenster und Icons. Es mussten keine<br />
Befehle gelernt werden.<br />
1 2 3<br />
0.8/9 1 2 2.1 2.2 3 3.1 3.2 3.3 4 Beta<br />
2. Historischer Rückblick: Die kurze Geschichte des Mac<br />
7.1 7.5 7.6 8 8.1 8.5 8.6 9 9.1 9.2<br />
OS X Server Beta 10 10.1 10.2 10.3 10.4 10.5<br />
10.4 10.5<br />
1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010<br />
Beginn des PowerPC-Umstiegs <strong>Apple</strong> übernimmt <strong>NeXT</strong><br />
Beginn des MacOS X-Umstiegs Beginn des Intel-Umstiegs<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 41<br />
10.6
S YSTEMKIND<br />
Die erste Version des Mac OS wurde einfach nur System genannt. Dieses bestand aus dem<br />
Systemkern (engl. Kernel) und dem Finder (Dateimanager und Desktop). Zusätzlich konnten im<br />
Systemverzeichnis andere Resourcen wie Druckertreiber und Mini-Programme namens<br />
Accessories abgelegt werden.<br />
Sämtliche UI-Routinen (UI - User Interface) waren in der so genannte Mac Toolbox enthalten,<br />
die sich im ROM (Read Only Memory) des Mac befand. Die Darstellungskomponente des<br />
Systems hieß Quickdraw und war anfangs ebenfalls Teil der Mac Toolbox.<br />
Mit System 1 konnte der Macintosh nur ein einziges Programm gleichzeitig ausführen (single-<br />
tasking). Um diese Einschränkung zu umgehen, haben <strong>Apple</strong>-Entwickler Accessories (z.B. für<br />
Taschenrechner, Clipboard und ähnliches) entwickelt, die parallel zum jeweiligen<br />
Hauptprogramm ausgeführt werden konnten. Die größte Einschränkung war damals der mit<br />
128 Kilobyte knappe Speicherplatz des Macintosh. Herzstück der Maschine war der 68000 mit<br />
8 MHz., ein 16/32-Bit-Prozessor <strong>von</strong> Motorola.<br />
Das damals verwendete Dateisystem MFS (Mac File System) hatte ein flache Hierarchie.<br />
Sämtliche Dateien lagen auf einer Ebene.<br />
E RSTE U PDATES<br />
In der Zeit vor Online-Updates und Betriebssystempatches aus dem Internet musste jedes<br />
Update auf Disketten nachträglich oder überhaupt erst im Lieferumfang <strong>von</strong> neuen Geräten<br />
ausgeliefert werden. Deshalb konnten User nicht sofort <strong>von</strong> jeder Neuentwicklung oder jedem<br />
Bug-Fix profitieren.<br />
2. Historischer Rückblick: Die kurze Geschichte des Mac<br />
Erst System 2.0 beherrschte mit dem HFS (Hierarchic File System) echte Verzeichnisse und<br />
Unterverzeichnisse. Mit diesem Update wurde auch die Unterstützung für den LaserWriter,<br />
Festplattenlaufwerke und der einfachen <strong>Apple</strong>-Netzwerk-Technologie <strong>Apple</strong>Talk eingeführt.<br />
Mit dem Macintosh Plus (der mehr Speicher und einen SCSI-Bus 13 besaß) wurde 1985 System<br />
3.0 vorgestellt. Dieses System unterstützte Disketten mit größerem Speichervolumen (DD -<br />
Double Density), SCSI-Festplatten, <strong>Apple</strong>Share (Netzwerkdienste für Datei- und Drucker-<br />
13 Small Computer System Interface - Peripherieschnittstelle für den schnellen Datentransfer<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 42
Server) und erstmals einen Papierkorb, aus dem man gelöschte Dateien wieder herstellen<br />
konnte.<br />
System 4.0 brachte Unterstützung für Farbbildschirme mit unterschiedlichen Auflösungen,<br />
Erweiterungskarten (z.B. für Grafikkarten, neue Schnittstellen und Netzwerkanschlüsse).<br />
Zudem lief es auf dem schnelleren Motorola 68020-Prozessor und ließ die vollen 16 MHz zur<br />
Geltung kommen.<br />
Macintosh System 1.1 mit mehreren offenen Fenstern und zwei Accessories<br />
K LITZEKLEINE M ÄUSCHENSCHRITTE<br />
Mit System 5 wurde 1987 erstmals Multitasking vorgestellt. Eigentlich war es eher ein<br />
Taskswitching. User konnten zwar mehrere Programme gleichzeitig ausführen. Sobald sie aber<br />
<strong>von</strong> einem Programm zu anderen wechselten, stellte die erste Applikation ihre Tätigkeit ein.<br />
So war es nicht möglich, im Hintergrund Berechnung anzustellen und gleichzeitig z.B. an<br />
einem Text weiter zu schreiben. Zu allem Überfluss war diese Taskswitching-Fähigkeit nicht<br />
einmal systemimmanent. <strong>Apple</strong> hatte einfach die Zusatzanwendung Multifinder dem System<br />
beigelegt, die all dies ermöglichte. User konnten Multifinder abschalten und weiterhin nur<br />
jeweils einzelne Programm benützen.<br />
2. Historischer Rückblick: Die kurze Geschichte des Mac<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 43
Bis zur Version 5 hatten das System und der Finder unterschiedliche Versions-Nummern.<br />
Danach wurden sie vereinheitlicht. Hier sollte man betonen, dass eine komplette<br />
Systeminstallation damals gerade mal 250 Kilobyte benötigte (ohne Druckertreiber und<br />
zusätzlichen Accessories).<br />
E VOLUTION STATT R EVOLUTION<br />
1988 wurde System 6 vorgestellt. Damit wurde die Unterstützung für HD-Disketten (High<br />
Density, mit schwindelerregenden 1,44 Megabyte Speicherplatz), sowie die schnelleren 68030-<br />
Prozessoren eingeführt. System 6 stellte eine Konsolidierung des Betriebssystem-Codes dar.<br />
Diese Version sollte lange im Umlauf bleiben, auch als immer neuere Versionen vorgestellt<br />
wurden. Viele User hielten System 6 für die optimale Version für Macs mit 68000-Prozessoren.<br />
Der Bootvorgang dauerte nur wenige Sekunden, das System war flott, weil es noch in<br />
Assembler programmiert war und man konnte viele Features, die spätere System-Versionen<br />
eingebaut hatten, nachträglich aufrüsten.<br />
S YSTEM 7: D ER GROSSE S PRUNG VORWÄRTS<br />
2. Historischer Rückblick: Die kurze Geschichte des Mac<br />
Mit System 7 wurden 1991 große Teile des Betriebssystems in der Programmiersprache C<br />
umgeschrieben. Dies erlaubte es Entwicklern, das System leichter zu erweitern, brachte aber<br />
Geschwindigkeitseinbußen auf älteren Macs. Die größten Verbesserungen waren die<br />
umgestaltete Benutzeroberfläche, neue Systemanwendungen und verbesserte Stabilität. System<br />
7 lief am besten auf Macs mit Motorola 68040-Prozessoren, unterstützte aber alle älteren Macs<br />
bis zum aller ersten Mac, erforderte aber mindestens vier Megabyte Hauptspeicher.<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 44
Macintosh System 7 auf einem Farbsystem<br />
Dies war die erste Version des Mac-Betriebssystems, die 32-Bit-Applikationen vollständig<br />
unterstützte. Bis dahin wurden die Programme für 16-Bit-Rechner entwickelt. Diese<br />
Umstellung bereitete den älteren Programmen einige Schwierigkeiten, weshalb sie für System 7<br />
angepasst werden mussten.<br />
2. Historischer Rückblick: Die kurze Geschichte des Mac<br />
Wohingegen bisher Taskswitching mit dem Multifinder möglich war, wurde mit System 7 das<br />
so genannte kooperative Multitasking vorgestellt. Hier mussten Applikationen deklarieren, wie<br />
viel Rechenzeit und Speicherplatz sie benötigen. In Zusammenarbeit (Kooperation) mit<br />
anderen Programmen, die gleichzeitig liefen, teilten sie sich die Systemresourcen auf.<br />
Die Bildschirmdarstellung erfuhr mit der neuen Quickdraw-Version ein gehöriges Update. Nun<br />
unterstützen Macs “true color”, d.h. eine Farbtiefe <strong>von</strong> 24-Bit, die eine Farbvielfalt <strong>von</strong> bis zu<br />
16,7 Millionen Farben ermöglichte. Das Update der Fonttechnologie TrueType brachte flexible,<br />
stufenlos skalierbare Vektorschriften und Anti-Aliasing bei der Darstellung (Anti-Aliasing<br />
glättete die Schriften, um den “Stufeneffekt” in der Schriftendarstellung zu reduzieren).<br />
System 7 enthielt eine Vielzahl <strong>von</strong> Features, die dem Mac einen Modernisierungsschub<br />
verpassten. Allerdings waren dies alles Zusätze, die am Kern des Betriebssystems wenig<br />
änderten. Die großen Änderungen wie geschützte Speicherbereiche und “echtes” Multitasking<br />
konnten nicht implementiert werden, weil sie sonst zum noch größeren Kompatibilitätsbruch<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 45
geführt hätten. Bestehende Software hätte komplett umgeschrieben werden müssen. Dieses<br />
Risiko wollte <strong>Apple</strong> nicht eingehen.<br />
System 7.1 war die erste Version, die auf PowerPC-Prozessoren lief. Darin enthalten war eine<br />
Emulationstechnologie, die es erlaubte ältere Anwendungen auszuführen, welche ursprünglich<br />
für Motorola 68k-Prozessoren programmiert wurden. Allerdings liefen sie langsamer als<br />
Anwendungen, die eigens für PowerPC-Prozessoren entwickelt wurden. Dummerweise musste<br />
<strong>Apple</strong> sogar große Teile des Betriebssystems emulieren, weil aus Zeitmangel der alte 68k-Code<br />
nicht mehr umgeschrieben werden konnte.<br />
EXTENSIONS<br />
TREIBERARCHITEKTUR<br />
QUICKTIME CARBON<br />
KERNEL<br />
MACTOOLBOX QUICKDRAW<br />
Die Architektur <strong>von</strong> Mac OS 9<br />
Das Mac-System wuchs langsam zur Chimäre heran. Jetzt war nicht nur der Systemkern an sich<br />
veraltet, er war für einen anderen Prozessor-Typ entwickelt worden und lief auf dem neuen<br />
Prozessor nicht einmal nativ. (Stephen Levy: “Insanely Great: The Life and Times of Macintosh,<br />
the Computer That Changed Everything”, 2000)<br />
System 7.5 stellte wieder einen Sprung dar. Es lief stabiler auf PowerPC-Prozessoren, enthielt<br />
aber noch immer emulierten 68K-Code, der trotz aller Stabilitätsverbesserungen zu Problemen<br />
führte.<br />
2. Historischer Rückblick: Die kurze Geschichte des Mac<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 46
Mac OS 7.5. brachte Farbicons und einige Optimierungen für PowerPC-Macs<br />
A NGRIFF DER K LON-KRIEGER<br />
Mit System 7.6 wurde das Betriebssystem erstmals Mac OS genannt. <strong>Apple</strong> begann 1996 seine<br />
Systemarchitektur an andere Hardware-Hersteller zu lizensieren, damit sie Mac-Klone<br />
herstellen. <strong>Apple</strong> erhoffte sich eine Steigerung des Marktanteils. Deshalb erhielt das<br />
Betriebssystem einen eigenen Namen. Allerdings brachte diese Klon-Politik nicht den<br />
gewünschten Erfolg. Klon-Hersteller wie Power Computing, Radius und Motorola<br />
produzierten Rechner, die nicht nur billiger waren als <strong>Apple</strong> Macs, sondern auch im Fall <strong>von</strong><br />
Power Computing leistungsfähiger. Die Klon-Verkäufe kanibalisierten die Mac-Verkäufe <strong>von</strong><br />
<strong>Apple</strong>.<br />
Mac OS 7.6 brachte endlich richtige Stabilität auf PowerPC-Prozessoren, allerdings lief es auch<br />
nur noch auf moderneren Macs (ab Mac IIfx).<br />
P INK UND T ALIGENT - D AS S CHEITERN BEGINNT<br />
Nachdem <strong>Apple</strong> mit dem Mac II den Mac neu erfunden, begann 1988 die Entwicklung eines<br />
Nachfolgers für Mac OS. Auf rosa (pink) und blauen Kärtchen wurden die Requirements<br />
definiert. Alle blauen Requirements würden im bestehenden Mac OS eingebaut werden, alles<br />
auf den pink Kärtchen war für die Neuentwicklung geplant.<br />
2. Historischer Rückblick: Die kurze Geschichte des Mac<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 47
Gemeinsam mit IBM gründete <strong>Apple</strong> 1992 das Unternehmen Taligent 14, das mithilfe der<br />
Betriebssystemexperten <strong>von</strong> Big Blue ein objekt-orientiertes universelles Super-Betriebssystem<br />
entwickeln sollte. Damals zeichnete sich mit PowerPC die Partnerschaft auf dem<br />
Prozessorsektor ab. Taligent sollte das dazugehörige, optimierte System sein.<br />
Nach vielen Ankündigungen, einem Prototypen und dem Herztod des CEO <strong>von</strong> Taligent<br />
wurde das Projekt aber 1995 eingestampft.<br />
Die bewegte Geschichte <strong>von</strong> Taligent zählt zu den größten Rückschlägen in der<br />
Betriebssystem-Entwicklung. Leider ist sie zu umfangreich und verworren, um hier in nur<br />
wenigen Absätzen abgehandelt zu werden. Sie ist es sicher wert erzählt zu werden.<br />
C ODENAME “STAR T REK”, DER ERSTE I NTEL-VERSUCH<br />
1992, also zwei Jahre vor dem Umstieg auf PowerPC-Prozessoren, unternahm eine kleine Crew<br />
an Entwicklern <strong>von</strong> <strong>Apple</strong> und Novell den Versuch, das Mac-System auf Intel-Prozessoren zu<br />
portieren. Tatsächlich gelang es ihnen, einen Prototyp zu entwickeln, auf dem der Finder/<br />
Desktop und einige Systemanwendungen (z.B. Quicktime) liefen.<br />
Zum einen wollte Novell sein alterndes DR-DOS mit der Mac-Oberfläche modernisieren,<br />
andererseits wollte sich <strong>Apple</strong> Alternativen offen lassen, falls der riskante Umstieg auf die<br />
unerprobten PowerPC-Prozessoren nicht glatt lief.<br />
2. Historischer Rückblick: Die kurze Geschichte des Mac<br />
Das Projekt wurde aber wieder eingestellt, weil die Intel-Prozessoren der damaligen Zeit (Intel<br />
80486) nicht die technischen Vorteile aufwiesen, die sich <strong>Apple</strong> <strong>von</strong> den PowerPC-Prozessoren<br />
erhoffte. Zudem hätte dies bedeutet, bei einer derartig wichtigen Angelegenheit wie dem<br />
Betriebssystem eine Kooperation mit dem Fremdhersteller Novell einzugehen.<br />
Der Umstieg auf Intel hätte auch keine binary Kompatibilität 15 gebracht. Sämtliche Software<br />
hätte an Intel-Prozessoren angepasst werden müssen. (Owen Linzmayer: “<strong>Apple</strong> Confidential<br />
2.0: The Definitive History of the World's Most Colorful Company”, 2004)<br />
14 Taligent steht für Talented und Intelligent<br />
15 Binary Kompatibilität erlaubt es fertige Programme wie sie sind auf einem System zu laufen.<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 48
C OPLAND, DIE A NGST DES E NTWICKLERS VOR DEM S CHEITERN<br />
<strong>Apple</strong> war sich der Unzulänglichkeiten des bestehenden Systems bewusst. Deshalb startete ein<br />
wieder ein anderes Programmierer-Team 1994 das Projekt “Copland”. Es sollte als Grundlage<br />
für die nächste Generation <strong>von</strong> Mac OS dienen.<br />
Geplant war eine “eierlegende Wollmilchsau”. Immerhin hatte sich <strong>Apple</strong> die Ziele<br />
hochgesteckt: Die Geschäftsleitung erhoffte sich <strong>von</strong> der Copland-Architektur geschützte<br />
Speicherbereiche, “echtes” Multitasking und Modularität. Dabei sollten aber bestehende Mac-<br />
Anwendungen weiterhin voll lauffähig sein und all diese neue Features ausnützen können.<br />
Nach zwei Jahren Entwicklungszeit zeigte sich, dass es unmöglich war, ein völlig neues<br />
Betriebssystem unter wirtschaftlich vertretbaren Bedingungen zu entwickeln. Zudem<br />
erkannten die Entwickler, dass eine uneingeschränkte Abwärtskompatibilität die<br />
Implementierung moderner Features stark negativ beeinträchtigt.<br />
Nach dem Scheitern <strong>von</strong> Copland begann sich die <strong>Apple</strong>-Geschäftführung nach fertigen<br />
Betriebssystemen umzusehen, die als Grundlage für das neue Mac OS dienen sollten. Nachdem<br />
<strong>Apple</strong> sogar die Möglichkeit in Erwägung gezogen hatte, Windows NT <strong>von</strong> Microsoft zu<br />
lizensieren, schränkte man die möglichen Betriebssysteme auf BeOS und NextStep ein.<br />
Einige der oberflächlichen Features des Copland-Projekts fanden Verwendung in späteren<br />
Versionen <strong>von</strong> Mac OS Classic. (Owen Linzmayer: “<strong>Apple</strong> Confidential 2.0: The Definitive<br />
History of the World's Most Colorful Company”, 2004)<br />
D AS KÜNSTLICHE M AC OS 8<br />
2. Historischer Rückblick: Die kurze Geschichte des Mac<br />
Als Steve Jobs zu <strong>Apple</strong> zurückkehrte, suchte er einen Ausweg aus dem Dilemma mit den<br />
Klon-Herstellern. <strong>Apple</strong> kaufte Power Computing auf und stellte die Geschäftstätigkeit dieses<br />
besonders tüchtigen Klonherstellers ein. Die anderen Klon-Anbieter pochten aber auf<br />
bestehende Lizenzverträge. Da machte sich <strong>Apple</strong> ein Schlupfloch zunutze. In den Verträgen<br />
lizensierten die Klonhersteller nur Mac OS-Versionen mit der Hauptversionsnummer 7.<br />
Deshalb benannte <strong>Apple</strong> das als Version 7.7 geplante Mac OS kurzerhand auf Mac OS 8 um.<br />
Obwohl die zugrundeliegende Architektur weiterhin auf System 7 au'aute, führte <strong>Apple</strong> mit<br />
Mac OS 8 einige Neuerungen aus dem Copland-Projekt ein. Nun konnte der Finder durch den<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 49
Einsatz <strong>von</strong> Multi-Threading mehrere Aufgaben gleichzeitig erfüllen (z.B. Dateien kopieren<br />
und Programme starten).<br />
Zudem erhielt die Benutzeroberfläche ein moderneres Aussehen. Das neue “Platinum”-Thema<br />
sah aber dem Erscheinungsbild <strong>von</strong> Windows 95 ähnlich, was zu einiger Entrüstung in der Mac-<br />
Fangemeinde führte. Glücklicherweise hatte <strong>Apple</strong> die neue Benutzeroberfläche modular<br />
veränderbar (skinable) gemacht, d.h. User konnten nachträglich das gesamte Aussehen<br />
verändern.<br />
Mit Mac OS 8.1 bekam das Dateisystem HFS (Hierarchichal File System) einen<br />
Moderunisierungsschub. Das neue HFS Plus kam Jahre später sogar in Mac OS X (mit einigen<br />
Verbesserungen) zum Einsatz.<br />
2. Historischer Rückblick: Die kurze Geschichte des Mac<br />
Mac OS 8.5 war die erste Version des Betriebssystems, die nur noch auf PowerPC-Prozessoren<br />
lief. Ein Großteil des bestehenden 68k-Code im Kern wurde durch flotteren PowerPC-Code<br />
ersetzt. Zudem erlaubte <strong>Apple</strong> mit Mac OS 8.6 rudimentäre Multi-Prozessor-Unterstützung.<br />
Mac OS 8 sah zwar recht modern aus, im Kern versteckte sich aber noch das alte Mac-System<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 50
M AC OS 9: L ETZTER SEINER A RT<br />
Wenn die Versionsnummer <strong>von</strong> Mac OS 8 rein aus rechtlicher Notwendigkeit vergeben wurde,<br />
dann stellte die Benennung <strong>von</strong> Mac OS 9 bereits die erste Vorbereitung auf Mac OS X dar.<br />
<strong>Apple</strong> wollte mit der runden Zahl römisch 10 den Neubeginn symbolisieren. Denn in Wahrheit<br />
hätte Mac OS 9 keinen vollen Versions-Sprung verdient.<br />
Das am 23. Oktober 1999 vorgestellte System war der Schwanengesang des klassischen Mac<br />
OS. <strong>Wie</strong>der wurde es kosmetisch verschönert, erhielt Unterstützung für WLAN (<strong>von</strong> <strong>Apple</strong> als<br />
“Air Port” bezeichnet), eine systemweite Suche namens “Sherlock”, eine simulierte Multi-User-<br />
Umgebung, bessere USB- und Netzwerk-Fähigkeit sowie eine zentralisierte Update-<br />
Verwaltung, die es erlaubte automatische Systemupdates über die Internet-Verbindung zu<br />
laden.<br />
2. Historischer Rückblick: Die kurze Geschichte des Mac<br />
Mac OS 9 war die letzte Version des “klassischen” Mac OS. Das Warten auf Mac OS X begann<br />
Die wohl größte Änderung war allerdings die Carbon-API. Diese neue Systembibliothek stellte<br />
eine Übergangstechnologie dar, um den Umstieg auf Mac OS X zu erleichtern. Entwickler<br />
konnten ihre bestehende Software geringfügig ändern, an die Carbon-API anpassen und neu<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 51
herausbringen. So wurde gewährleistet, dass ihre Applikationen sowohl auf dem klassichen<br />
Mac OS liefen als auch auf Mac OS X. Anwender würden keinen Unterschied merken, außer<br />
dass Carbon-Anwendungen auf Mac OS X das Aussehen des neuen modernen Betriebssystems<br />
annahmen.<br />
Im Jahr 2001 war es dann soweit, Mac OS X wurde der Welt vorgestellt. Das funkelnagelneue<br />
Betriebssystem, das <strong>Apple</strong> retten sollte.<br />
K APITELZUSAMMENFASSUNG<br />
<strong>Apple</strong> hatte mit dem Macintosh und seinem System zwar nicht die erste grafische<br />
Benutzeroberfläche vorgestellt, es war aber die erste, die sich nachhaltig durchsetzen konnte.<br />
Leider war das System den Einschränkungen der Hardware und des Designs der 80er-Jahre<br />
unterworfen.<br />
Trotz einer Vielzahl an Weiterentwicklungen, erkannte das Unternehmen, dass die Basis des<br />
Mac OS veraltet war. Nach ökonomischen Turbulenzen, einem Prozessor-Umstieg, der nur die<br />
Probleme aufschob und einigen gescheiterten Versuchen, ein völlig neues Mac OS zu<br />
entwickeln, beschloss <strong>Apple</strong> ein fertiges Betriebssystem zu erwerben, das dann die Basis für<br />
das neue Mac OS bilden sollte.<br />
Nach zähem Ringen entschloss sich <strong>Apple</strong>-CEO Gil Amelio, den gescheiterten Hardware-<br />
Hersteller und nunmehrigen Software-Hersteller <strong>NeXT</strong> zu kaufen. Dieses Unternehmen hatte<br />
in Form <strong>von</strong> NextStep genau jene Features in seinem Betriebssystem implementiert, die <strong>Apple</strong><br />
benötigte. Zudem führte der Kauf <strong>von</strong> <strong>NeXT</strong> dazu, dass <strong>Apple</strong>s Gründer wieder ins<br />
Unternehmen zurückkehrte.<br />
2. Historischer Rückblick: Die kurze Geschichte des Mac<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 52
3. Der Nexus aller Wirklichkeiten: das Betriebssystem<br />
“We are stuck with technology when what we rea&y want is just stuff that works.”<br />
Douglas Adams, “The Salmon of Doubt”<br />
Bevor wir uns im Detail ansehen, was am “klassischen” Mac OS so unzulänglich ist und wieso<br />
Mac OS X eine unendlich modernere Grundlage bildet, möchte ich untersuchen, wozu ein<br />
Computer überhaupt ein Betriebssystem benötigt und was dieses heutzutage leisten sollte.<br />
N ATURGESETZE AUS N ULLEN UND E INSEN<br />
Der Science fiction-Autor und Technologie-Kommentator Neal Stephenson schrieb in seinem<br />
Essay “In the Beginning was... the Command Line” (dt. Neal Stephenson: “Die Diktatur des<br />
schönen Scheins”, 2002) kokett:<br />
“Betriebssysteme sind nicht zwingend notwendig. Es gibt keinen Grund, warum ein<br />
hinreichend begabter Codierer nicht bei jedem Projekt ganz vorne anfangen und neuen<br />
Code schreiben sollte, um so grundlegende maschinenorientierte Operationen wie die<br />
Steuerung der Lese-/Schreibeköpfe auf den Plattenlaufwerken und das Beleuchten <strong>von</strong><br />
Pixels auf dem Bildschirm auszuführen. Die allerersten Computer mussten noch so<br />
programmiert werden. Weil aber nahezu jedes Programm dieselben Basisoperationen<br />
verlangt, würde dieser Ansatz ohne weiteres zu einer Verdoppelung des Arbeitsaufwands<br />
führen. Nichts geht einem Hacker mehr gegen den Strich als die Verdoppelung des<br />
Arbeitsaufwands.”<br />
Stephenson stellt in seinem Text zwar die prinzipielle Unvermeidlichkeit des Betriebssystems<br />
im Gebrauch <strong>von</strong> Rechnern infrage, gleichzeitig zählt er genau ihre grundlegenden Funktionen<br />
auf.<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 53
Computer sind ohne ihrem Betriebssystem auf sämtliche Anweisungen <strong>von</strong> außen (somit vom<br />
Programmierer) angewiesen - ganz gleich, wie primitiv und selbstverständlich diese sein<br />
mögen. Der Rechner erkennt nicht, welche Peripheriegeräte an ihn angeschlossen sind. Ohne<br />
dem Betriebssystem und den darauf au'auenden Gerätetreibern kann ein Computer weder<br />
Bildschirm, noch Tastatur, Maus oder Festplatte erkennen und ansprechen.<br />
D IE SINNGEBENDE S CHNITTSTELLE<br />
In vielen Fällen kann sich ein PC nicht einmal selbst erkennen d.h. die Troika aus<br />
Recheneinheit (Prozessor), Arbeitsspeicher (RAM) und Schnittstellencontroller (für<br />
Bildschirm, Tastatur und Maus) tappst in der virtuellen Finsternis, ohne den anderen jemals zu<br />
finden oder ansprechen zu können. Erst das Betriebssystem beantwortet die existenziellen<br />
Fragen frei nach Kant (Immanuel Kant: "Kritik der Urteilskraft", 1781):<br />
- Was kann ich wissen?<br />
Woher kommen die Eingaben? <strong>Wie</strong> werden Geräte und Schnittstellen angesprochen?<br />
- Was so& ich tun?<br />
Welche Aufgaben kann der Computer bewältigen? Welche Prozesse gibt es? Und wie<br />
behandelt der Computer Eingaben des Users?<br />
- Was darf ich hoffen?<br />
Welche Möglichkeiten werden Programmierern zur Anwendungsentwicklung geboten?<br />
Welche Anwendungen sind bereits installiert und was können sie?<br />
- Was ist der Mensch?<br />
Wer sind die Anwender? Und welche Rechte haben sie auf diesem System?<br />
E INE A GARPLATTE IM C OMPUTER<br />
Weniger pathetisch ausgedrückt: das Betriebssystem bildet die Schnittstelle zwischen der<br />
Hardware, der Software und dem Anwender. Es zeichnet verantwortlich für die Verwaltung<br />
und Koordination <strong>von</strong> Aufgaben und die sinnvolle Verteilung der eigenen Rechen- und<br />
Speicher-Ressourcen (Harvey M. Deitel, Paul Deitel, David Choffnes: “Operating Systems”, 3.<br />
Auflage, 2004).<br />
3. Der Nexus a&er Wirklichkeiten: das Betriebssystem<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 54
Zudem fungiert das Betriebssystem als Host (zugleich Wirt und Betreiber) für<br />
Anwendungsprogramme, die auf dem Computer laufen. In seiner Rolle als Wirt kümmert es<br />
sich um die Details im Ansprechen der Hardware. Dies nimmt der installierten Software die<br />
Aufgabe ab, sich selbst um diese Details kümmern zu müssen. Somit wird Programmierern<br />
durch eigene API des Betriebssystems die Softwareentwicklung erleichtert, weil sie sich auf<br />
die Kernaufgabe ihrer Anwendung konzentrieren können.<br />
Über ihre API bieten Betriebssysteme Zugänge (Schnittstellen) zu ihren Services und<br />
Funktionen. Indem Anwendungen diese Schnittstellen aufrufen, können sie Dienste nutzen,<br />
Parameter an das OS weitergeben und vom Betriebssystem Ergebnisse einer Operation zurück<br />
erhalten (Avi Silberschatz, Peter Galvin, Greg Gagne: “Operating Systems Concepts”, 2008).<br />
Leistungsfähige Betriebssysteme erleichtern es Entwicklern, komplexe Operationen möglichst<br />
einfach und flexibel durchzuführen. Dies ist nicht nur auf den Zugriff auf Dateioperationen<br />
oder Netzwerkdienste beschränkt, sondern reicht über die korrekte Darstellung <strong>von</strong> Schriften<br />
und Grafiken bis hin zu Videokompression und Dekompression.<br />
Auf einem Betriebssystem mit gut ausgebauten API gedeihen Programme wie<br />
Bakterienkolonien auf einer nahrhaften Agarplatte.<br />
O BERFLÄCHLICHE B ETRACHTUNGEN<br />
Von alledem merkt der gewöhnliche Anwender nicht viel. Die leistungsfähige<br />
Softwaremaschinerie verbirgt sich hinter einer heutzutage meist grafischen Benutzeroberfläche<br />
(GUI - Graphical User Interface), die dem Anwender einen einfachen und sogar freundlichen<br />
Zugang zu mächtigen Funktionen erlaubt.<br />
Allerdings bieten auch heute noch Betriebssysteme fortgeschrittenen Anwendern eine<br />
Befehlszeilenschnittste&e (CLI - Command Line Interface). Wagen sich User auf diese Ebene<br />
herab, bekommen sie ein viel unmittelbareres Bild der Operationen.<br />
Wenn die GUI Anwender wie Reisegäste auf einem Luxuskreuzer behandelt, die entspannt auf<br />
den Decks flanieren und die Ball- und Speiseräume aufsuchen, dann betreten sie mit der CLI<br />
den Maschinenraum, in dem laute Motorengeräusche und glosende Hitze die Anweisungsrufe<br />
der Maschinisten begleiten.<br />
3. Der Nexus a&er Wirklichkeiten: das Betriebssystem<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 55
Auf Deck oder in der Kajüte können die Reisenden nur wenig falsch machen. Auf der<br />
systemnahen Ebene des Maschinenraums führt der unbedachte Schritt eines Unkundigen ins<br />
mögliche Verderben.<br />
Deshalb abstrahieren Benutzeroberflächen komplexe Aufgaben wie die Partitionierung <strong>von</strong><br />
Festplatten, die Installation <strong>von</strong> Anwendungen, das Brennen <strong>von</strong> DVDs, um Anwender zu<br />
leiten, ihnen zu helfen, damit sie sich auf den Kern ihrer gewünschten Aufgabe konzentrieren<br />
können.<br />
Auf einer Benutzeroberfläche gedeihen User-Aufgaben wie Mikroorganismen auf der<br />
Oberfläche einer Petrischale.<br />
Das Betriebssystem abstrahiert somit Operationen für Anwender und Entwickler. Es ist<br />
zugleich Bühne als auch Projektionsfläche. Gerade den Bühnenaspekt weiß <strong>Apple</strong> für sich gut<br />
zu nutzen.<br />
D IE S UMME ALLER T EILE<br />
Es ist für Traditionalisten unter den Entwicklern durchaus umstritten, was tatsächlich zu den<br />
Grundbestandteilen des Betriebssystems gehört. So argumentieren sie völlig zurecht, dass die<br />
Benutzeroberfläche etwas derartig Systemfernes und sogar Austauschbares ist, dass sie<br />
durchaus als für ein Betriebssystem nicht immanenter Teil betrachtet werden kann.<br />
Die momentane Situation in dem, was so leichtfertig als die “Wirklichkeit” bezeichnet wird 16,<br />
zwingt uns zu einer differenzierten Sicht der Dinge.<br />
Die gängigen kommerziellen Betriebssysteme wie Microsoft Windows und Mac OS X werden<br />
als umfangreiches Paket an Systemanwendungen, Sprachlokalisierungen, Treibern,<br />
Helferprogrammen sogar Webservern und natürlich ihrer komplexen, bunten grafischen<br />
Oberflächen ausgeliefert. Es liegt im Interesse <strong>von</strong> <strong>Apple</strong> und Microsoft, möglichst viel in ihr<br />
Betriebssystem hineinzupacken, um Anwendern und Entwicklern bereits <strong>von</strong> Haus aus eine<br />
reichhaltige Auswahl an Funktionen bereitzustellen.<br />
16 Dafür ist eher der Ausdruck “geläufige Praxis” zutreffend.<br />
3. Der Nexus a&er Wirklichkeiten: das Betriebssystem<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 56
In manchen Fällen wird dieses Verhalten gar nicht goutiert. Dies hat der Ärger gezeigt, den<br />
Microsoft in den 90er-Jahren durch die systemnahe Anbindung seines Webbrowsers Internet<br />
Explorer mit US-amerikanischen und europäischen Wettbewerbsbehörden hatte.<br />
In anderen Fällen wird die Bereitstellung <strong>von</strong> nicht unbedingt systemimmanenter Software<br />
aber begrüßt, wie dies die Begeisterungsstürme um <strong>Apple</strong>s systemnahe integration des eigenen<br />
Webbrowsers Safari und des Multimediapakets iLife 17 zeigen.<br />
Gleich wie man selbst dazu steht, ein System, das über einen großen Funktionsumfang verfügt,<br />
bietet Anwendern und Entwicklern ohne Umwege mehr Möglichkeiten, als eines, bei dem jede<br />
Zusatzfunktionalität gesondert installiert werden muss - auch wenn sie besser und<br />
leistungsfähiger wäre, als eine, die bereits integriert ist.<br />
Auf dieser Front wurden bereits der eine oder andere ideologische Krieg geführt und werden<br />
auch in Zukunft noch viele geführt werden.<br />
A RCHITEKTUR DES MODERNEN B ETRIEBSSYSTEMS<br />
Es herrscht allerdings Einigkeit darüber, was ein modernes Betriebssystem können muss.<br />
Dieser Konsens ergibt sich aus der langen Tradition der historisch in der Industrie<br />
verwendeten Varianten des Leistungsfähigen Betriebssystems Unix.<br />
Tatsache ist, dass nichts, was wir als User auf unseren Rechnern verwenden, nicht bereits in<br />
irgendeiner Form vorher existiert hat. Nur die kosmetischen Kniffe und Effekte ändern sich.<br />
Ideen und Prinzipien für Erweiterungen im Kern eines normalen<br />
Konsumentenbetriebssystems, also alles, was wir gar nicht zu sehen bekommen, aber sehr wohl<br />
“spüren”, werden meistens <strong>von</strong> den großen bewährten “Brüdern” wie Unix oder VMS 18 in der<br />
Industrie übernommen.<br />
3. Der Nexus a&er Wirklichkeiten: das Betriebssystem<br />
17 Beinhaltet die Fotoverwaltungssoftware iPhoto, das Filmschnittprogramm iMovie, die<br />
Webdesignapplikation iWeb, die Musikverwaltungssoftware iTunes, das<br />
Kompositionsprogramm GarageBand und das DVD-Authoringpaket iDVD.<br />
18 VMS ist der Name eines "high-end" Server-Betriebssystems, das auf VAX-, Alpha- und<br />
Itanium-Hardware läuft. Bis in die späten 80er-Jahre galt VMS als eines der leistungsfähigsten<br />
und zuverlässigsten Systeme in der Industrie.<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 57
Anhand der Literatur (Claudia Koch, Gregory Zäch: “Midas Macintosh Bibel”, 2000 sowie Avi<br />
Silberschatz, Peter Galvin, Greg Gagne: “Operating Systems Concepts”, 2008) lassen sich folgende<br />
Merkmale und Features zusammenstellen, über die ein modernes Betriebssystem verfügen<br />
sollte:<br />
1. P RÄEMPTIVES M ULTITASKING<br />
Multitasking ist die Fähigkeit eines Betriebssystems, mehrere Dinge gleichzeitig erledigen zu<br />
können. Eine Anwendung kann im Hintergrund eine Grafik berechnen, während E-Mails<br />
abgerufen werden, ein Download durchgeführt wird und der Anwender dabei ein Spiel spielt.<br />
Geschickte Betriebssysteme versorgen alle Anwendungen mit Rechenzeit, damit sie ihre<br />
Aufgaben erfüllen können.<br />
Moderne Betriebssysteme verfügen über präemptives Multitasking, dabei bestimmt das<br />
Betriebssystem, welche Anwendung wann Rechenleistung bekommt. Auf diese Weise lässt sich<br />
verhindern, dass einzelne Programme den Computer komplett übernehmen. Stürzt eines<br />
dieser Programme ab, dann laufen sowohl das Betriebssystem als auch die anderen<br />
Applikationen weiter, als sei nichts geschehen.<br />
Mac OS Classic verfügt über kooperatives Multitasking. Bei dieser behelfsmäßigen Form des<br />
Multitaskings erhält eine Anwendung den alleinigen Zugriff auf die Rechenzeit des Computers.<br />
Das Programm muss bereits so programmiert sein, dass es diesen Zugriff auch anderen<br />
Anwendungen gewährt, damit diese ebenfalls Rechenzeit abbekommen. Das Betriebssystem<br />
leistet dabei wenig, denn die Programme müssen untereinander kooperieren. Tun sie es nicht,<br />
führt das zum Absturz, der das ganze System samt aller anderen Programme mitreißen kann.<br />
2. G ESCHÜTZTE S PEICHERBEREICHE<br />
3. Der Nexus a&er Wirklichkeiten: das Betriebssystem<br />
Programme benötigen für die Ausübung ihrer Funktionen Stückchen des verfügbaren<br />
Arbeitsspeichers (RAM - Random Access Memory), um darin Programmcode und Daten<br />
abzulegen, die verarbeitet werden sollen. Es ist grundsätzlich alles in Ordnung, solange eine<br />
Applikation dabei nur auf den jeweils eigenen Speicherbereich zugreift. Sollte sie aber in den<br />
Bereich einer anderen Anwendung oder gar des Betriebssystems hineinschreiben, dann kann<br />
das zum Absturz des Computers führen. Ein modernes Betriebssystem verwaltet deshalb für<br />
jede Anwendung einen eigenen Speicherbereich, in welchem sie für sich existiert und den sie<br />
nicht verlassen kann. Tritt innerhalb eines Programms ein Fehler auf, dann sind andere<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 58
Anwendungen und das Betriebssystem selbst da<strong>von</strong> nicht betroffen. Außerdem kann ein User<br />
amoklaufende Software mithilfe einer Betriebssystemfunktion jederzeit beenden, auch wenn<br />
sie nicht mehr angesprochen werden kann.<br />
3. M ULTI-PROZESSOR-UNTERSTÜTZUNG<br />
Heutzutage werden die meisten PCs und alle Macs mit mehreren Prozessoren oder<br />
Prozessorkernen ausgeliefert, manche haben vier Prozessorkerne und einige sogar acht. Dies<br />
führt nur dann zu einem Leistungszuwachs (auch Skalierbarkeit genannt), wenn der weitere<br />
Prozessor auch ausgenützt wird, also nur wenn die Rechenlast vom Betriebssystem auf beide<br />
Recheneinheiten sinnvoll verteilt wird.<br />
4. I NTELLIGENTE T REIBERVERWALTUNG<br />
Treiber werden vom Betriebssystem benötigt, um Geräte (z.B. Maus, Drucker usw.) am<br />
Computer betreiben zu können oder andere Komponenten (z.B. Grafikchip, Soundkarte usw.)<br />
ausnützen zu können. Wird der falsche Treiber für ein Gerät verwendet oder stellt sich dieser<br />
als fehlerhaft heraus, dann führt das wiederum zu Systemabstürzen. Es sei denn, man<br />
verwendet ein modernes Betriebssystem, das einzelne Treiber modular laden und auch<br />
deaktivieren kann.<br />
5. S ICHERES D ATEISYSTEM<br />
Die großen Datenmengen, die heutzutage anfallen, erfordern immer ausgeklügeltere<br />
Speicherformen. Moderne Dateisysteme nützen Speichermedien effizienter und flexibler aus,<br />
denn je größer der Speicherplatz auf einem Medium ist, desto wahrscheinlicher können darauf<br />
einzelne Sektoren fehlerhaft sein. Mithilfe <strong>von</strong> geschickten Algorithmen zur Datenverwaltung<br />
können intelligente Dateisysteme erkennen, welche Daten ohne Fehler gespeichert sind.<br />
Zudem können moderne Betriebssysteme die gespeicherten Daten indizieren, um so eine<br />
Suche im großen Datenau)ommen flexibler und schneller zu gestalten.<br />
6. M ODULARE A RCHITEKTUR<br />
Moderne Betriebssysteme sollten modular aufgebaut sein. Im Innersten arbeitet der Kernel,<br />
rund herum docken die anderen Module an, um Zusatzfunktionalitäten zu bringen.<br />
Idealerweise sollte ein Betriebsystem Module “on the fly” laden können, ohne jedes mal neu<br />
starten zu müssen.<br />
3. Der Nexus a&er Wirklichkeiten: das Betriebssystem<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 59
7. M ULTIUSER-BETRIEB<br />
Vernetzte Computer brauchen unterschiedliche User-Rollen mit unterschiedlichen Rechten.<br />
Nicht jeder, der an einem Computer arbeitet darf alles können oder benötigt dies überhaupt.<br />
Moderne Betriebssysteme erlauben es Administrator-Usern Sicherheitsmechanismen<br />
einzurichten, dass bestimmte Nutzer nur bestimmte Dinge verändern zu dürfen.<br />
Wenn ein Betriebssystem auch noch auf die Prinzipien der Object-Orientierten Programmierung<br />
au'aut, dann zählt es zu den flexiblen und modernen Betriebssystemen (Avi Silberschatz, Peter<br />
Galvin, Greg Gagne: “Operating Systems Concepts”, 2008)<br />
M ÄNGEL IM S YSTEM<br />
In so ziemlich allen Punkten zeigt das klassische Mac OS Mängel. Es hat keine geschützten<br />
Speicherbereiche; verfügt über das veraltete kooperative Multitasking (das eigentlich sogar im<br />
Alltag bloßes Taskswitching ist); gaukelt dem User eine Multiuser-Fähigkeit vor, indem es für<br />
unterschiedliche User einfach unterschiedliche Desktops bereitstellt; das Dateisystem ist<br />
historisch gewachsen und Programme müssen sich selbst darum kümmern, ihre<br />
Rechenleistung auf mehrere Prozessoren zu verteilen. Einzig bei der Treiberverwaltung gab es<br />
einen kleinen Modernisierungsschub mit der Einführung der intelligenten USB-Treiber.<br />
Im großen und ganzen trug Mac OS Classic so viele Altlasten mit sich, dass es langsam an der<br />
Zeit wurde, durch ein besseres System ersetzt zu werden.<br />
K APITELZUSAMMENFASSUNG<br />
Das Betriebssystem ist die Schnittstelle zwischen Computerhardware, Software und dem<br />
Anwender. Zugleich ist es Schnittstelle für Programmierer, damit sie sich nicht mit<br />
grundlegenden Operationen beschäftigen müssen. Durch bereitgestellte API (Application<br />
Programming Interfaces) wird Entwicklern der Zugang zu Funktionen geboten, die vom<br />
Betriebssystem durchgeführt werden können.<br />
Moderne Betriebssysteme sollten über folgende Merkmale verfügen:<br />
Präemptives Multitasking, Geschützte Speicherverwaltung, Modernes Dateisystem,<br />
Modulare Architektur, Intelligente Treiberverwaltung, Multiuser-Unterstützung, Multi-<br />
Prozessor-Fähigkeit.<br />
3. Der Nexus a&er Wirklichkeiten: das Betriebssystem<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 60
4. Die Raubkatzen sind los: Mac OS X 10.0 bis 10.3<br />
“Experience is the name everyone gives to their mistakes.”<br />
Oscar Wilde, “Lady Windemere’s Fan”<br />
Mac OS 10.0 Puma, 10.1 Cheetah (gleiches Design), 10.2 Jaguar, Mac OS X 10.3 Panther<br />
(Que&e: Arstechnica)<br />
Nachdem wir die geschichtlichen Wirren in der Entwicklung des “klassischen” Mac OS<br />
betrachtet haben und nachdem wir Erfordernisse an ein modernes Betriebssystem untersucht<br />
haben, widmen wir uns dem Kern dieser Arbeit: Mac OS X.<br />
Dieses Kapitel ist in vier Abschnitte unterteilt. Im ersten Teil beschreibe ich die<br />
Entstehungsgeschichte und die Architektur <strong>von</strong> Mac OS X. Die nächsten drei Abschnitte<br />
befassen sich mit den jeweiligen Releases des Betriebssystems.<br />
P LANET X<br />
Mit Mac OS X entwickelte <strong>Apple</strong> nach über einem Jahrzehnt des Scheiterns ein neues<br />
Betriebssystem. Es basiert auf NextStep, das wiederum auf BSD Unix basiert und eine Reihe<br />
<strong>von</strong> <strong>Technologien</strong> enthält, die bei <strong>NeXT</strong> entwickelt wurden. Anfangs behielt es aber auch<br />
einige aus dem klassischen Mac OS stammende Elemente bei.<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 61
Die aller erste Version des Betriebssystems wäre heute nicht mehr als OS X erkennbar. 1999<br />
wurde sie als Mac OS X Server 1.0 vorgestellt. Die Benutzeroberfläche war eine Mischung aus<br />
dem “Platinum”-Thema <strong>von</strong> Mac OS 9 unter Beibehaltung der Struktur <strong>von</strong> NextStep.<br />
Im März 2001 wurde die eigentliche Endanwender-Variante vorgestellt Mac OS X 10.0 Puma.<br />
Hier hatte <strong>Apple</strong> dem verbesserten NextStep-Kern die völlig überarbeitete Oberfläche namens<br />
Aqua verpasst. Fenster warfen weiche Schatten, halbtransparente Menüs waren mit sanften<br />
Streifen unterlegt, Icons waren photorealistisch und sämtliche Elemente wurden automatisch<br />
weichgezeichnet.<br />
Intern bot Mac OS X ein Objekt-Orientiertes-Framework, das auf der Programmiersprache<br />
Objective-C basiert. Diese native Entwicklungsumgebung nannte <strong>Apple</strong> Cocoa.<br />
Mac OS X trägt die Spuren seiner NextStep-Wurzeln in Cocoa. So sind sämtliche Klassen in<br />
der Objective-C-Bibliothek, deren Namen mit “NS” direkt auf NextStep zurück zu führen<br />
(<strong>Apple</strong> Etwickler-Dokumentation: http://developer.apple.com/documentation/Carbon/<br />
Reference/CoreServicesReferenceCollection/index.html#//apple_ref/doc/uid/TP40004314<br />
abgerufen am 12. Juni 2009). Im History-Kapitel der Entwickler-Dokumentation wird offen<br />
darauf verwiesen, dass bestimmte Befehle “first appeared in NextStep” seien.<br />
Mac OS X 10.1<br />
4. Die Raubkatzen sind los: Mac OS X 10.0 bis 10.3<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 62
U MBRÜCHE WERDEN NIE ALLEIN GETRAGEN<br />
Ein altes Sprichwort besagt, der Feind alles Neuen sei das Bestehende. Das gilt gerade für<br />
Betriebssystemumstellungen. Bei jedem Versuch, ein neues Betriebssystem für bestehende<br />
Hardware einzuführen, müssen die unten angeführten Bereiche bedacht werden. Das sind die<br />
Gründe weshalb eine Betriebssystemumstellung eine große Herausforderung darstellt. Dabei<br />
gleich auf eine andere Prozessor-Architektur umzustellen, würde die Probleme nur verschärfen<br />
(Owen Linzmayer: “<strong>Apple</strong> Confidential 2.0: The Definitive History of the World's Most Colorful<br />
Company”, 2004).<br />
1. Ü BERZEUGENDE F EATURES<br />
Mac OS Classic baute auf <strong>Technologien</strong> aus den 80er-Jahren auf. Im Grunde war es ein Single-<br />
User/Singletasking Betriebssystem, zu dem immer mehr dazu gebaut wurde, um den Anschein<br />
eines modernen Betriebssystems zu erwecken. Eine Neuentwicklung müsste auf einem völlig<br />
neuen Fundament au'auen. <strong>Apple</strong> hatte sich für NextStep entschieden. Wenn auch nur ein<br />
Teil des alten Mac OS erhalten bliebe, dann wäre auch NextStep in seinem Funktionsumfang<br />
eingeschränkt.<br />
Alte Technologie muss abgeworfen werden, um die Adoption der neuen Technologie zu<br />
ermöglichen. Dies führt leider zu zwei weiteren Problemen.<br />
2. D RITT-ANBIETER A PPLIKATIONEN<br />
Kein Computer- und Betriebssystemanbieter agiert in einem Vakuum, denn ein Computer ist<br />
wertlos, ohne über Anwendungssoftware zu verfügen. Auch die Mac-Plattform lebt <strong>von</strong> Dritt-<br />
Anbietern, die dafür umfangreiche Anwendungen entwickeln z.B. Microsoft mit seinem<br />
allgegenwärtigen Office, sowie damals noch die zwei eigenständigen Unternehmen Adobe mit<br />
Photoshop, Acrobat, I&ustrator und Indesign, und Macromedia mit Flash, Dreamweaver, Freehand<br />
und Fireworks.<br />
Diese Unternehmen hatten viel Zeit und Geld in die Entwicklung ihrer Anwendungen<br />
investiert. Eine grundlegende Umstellung des Betriebssystems hätte zu einem gewaltigen<br />
Entwicklungsaufwand an diesen Programmen geführt. Der Aufwand wäre nur dann zu<br />
rechtfertigen, wenn sich die entstehenden Kosten auch wieder einspielen lassen. Da stellt sich<br />
die Frage, ob Anwender dazu bereit gewesen wären, bei einer einschneidenden Umstellung für<br />
bereits gekaufte Software noch einmal zu bezahlen.<br />
4. Die Raubkatzen sind los: Mac OS X 10.0 bis 10.3<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 63
3. B ESTEHENDE A NWENDER<br />
<strong>Apple</strong> hatte immer eine treue Fangemeinde, die viel Geld für Hard- und Software ausgegeben<br />
hat. Diese insta&ed user base will auch weiterhin bestehende Software und Peripheriegeräte auf<br />
dem neuen Betriebssystem einsetzen.<br />
<strong>Apple</strong> erkannte 1997 all diese Schwierigkeiten, die eine abrupte Umstellung verhindern. Jede<br />
Strategie, sowohl auf ein neues Betriebssystem als auch auf neue Hardware umzustellen,<br />
konnte nur langfristig sein.<br />
E NTSTEHUNG DES S YSTEM X<br />
Chefentwickler <strong>von</strong> Mac OS X war Avie Tevanian. Ursprünglich hatte er geplant, dass<br />
NextStep 19 im Kern erhalten bleibt, eine moderne Oberfläche erhält und alte Mac-Software in<br />
einem Emulator ablaufen sollte, bis genügend neue Programme für das Betriebssystem<br />
verfügbar wurden.<br />
Das Entwicklungsprojekt lief unter dem Codenamen “Rhapsody” und sollte 1998 fertiggestellt<br />
werden.<br />
<strong>Apple</strong> hatte die Erwartung, dass Entwickler nur darauf warteten, die neuen, leistungsfähigen<br />
NextStep-Bibliotheken einsetzen zu können. Allerdings legten sich Adobe und Microsoft<br />
dagegen quer. <strong>Apple</strong> hatte bereits oft angekündigt, neue Betriebssysteme vorstellen zu wollen.<br />
Das Vertrauen der großen Softwarehäuser in den Computerhersteller war enttäuscht. Zudem<br />
war bereits die Umstellung <strong>von</strong> Motorola 68k auf PowerPC kostspielig gewesen. Kurzum waren<br />
die großen Software-Drittanbieter nicht bereit, ihre Software komplett um zu arbeiten - auch<br />
in Anbetracht des schwindenden Marktanteils des Mac und der ungewissen Zukunft des<br />
Unternehmens.<br />
Ein Strategiewechsel war notwendig. (Owen Linzmayer: “<strong>Apple</strong> Confidential 2.0: The Definitive<br />
History of the World's Most Colorful Company”, 2004)<br />
4. Die Raubkatzen sind los: Mac OS X 10.0 bis 10.3<br />
19 In dieser Arbeit wird das Betriebssystem der Einfachheit halber “NextStep” genannt. In<br />
vielen Quellen werden die Großbuchstaben anders gesetzt (z.B. <strong>NeXT</strong>Step). Zur<br />
Namensverwirrung tragen auch die vielen Varianten <strong>von</strong> NextStep, u.a. OPENSTEP, <strong>NeXT</strong>s<br />
geplante gemeinsame Plattform mit SUN.<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 64
M AC OS R ELOADED<br />
Zwei Jahre lang arbeiteten die Entwickler daran, die ursprünglichen Mac OS Classic API an die<br />
Unix-artigen Bibliotheken des neuen Betriebssystem anzupassen. Diese wurden als Carbon in<br />
Mac OS 9 integriert. Sie erlaubten Entwicklern ihre Software mit relativ geringem Aufwand<br />
anzupassen, um sie sowohl für Mac OS Classic als auch Mac OS X lauffähig zu machen.<br />
Nebenbei stellte <strong>Apple</strong> einen Teil des Betriebssystems unter OpenSource-Lizenz der breiten<br />
Öffentlichkeit zur Verfügung. Der Mach-Kernel, der BSD-Layer darüber und einige andere<br />
systemnahe Teile wurden als Darwin veröffentlicht.<br />
Dieser Zug mag anfangs eher PR-Zwecken gedient haben, doch er erwies sich als besonders<br />
fruchtbar. Denn der bereitgestellte Sourcecode wurde <strong>von</strong> Opensource-Entwicklern<br />
durchforstet, die dann auch Bugs behoben.<br />
2000 war es dann soweit, Steve Jobs präsentierte die erste Beta-Version <strong>von</strong> Mac OS X der<br />
Öffentlichkeit. Erst 2001 war das fertige Produkt lieferbar.<br />
Auf dem Betriebssystem liefen drei Arten <strong>von</strong> Software. “Classic” war die Emulationsebene,<br />
die es erlaubte alte, nicht-angepasste Mac-Software auszuführen. “Carbon” war die<br />
Überbrückungs-API für Anwendungen, die auf Mac OS Classic angepasst wurden, damit sie<br />
auf Mac OS X ebenfalls nativ laufen. “Cocoa” war die eigentlich neue und auf NextStep-<br />
basierte API.<br />
Angestammte <strong>Apple</strong>-<strong>Technologien</strong> wurden bereits nativ angepasst, QuickTime wurde für Mac<br />
OS X überarbeitet, das altehrwürdige QuickDraw lief der Kompatibilität-halber ebenfalls in<br />
einer angepassten Version. Auch neue <strong>Technologien</strong> kamen zum Einsatz: mit OpenGL<br />
unterstützte Mac OS X eine moderne 3D-Grafik-Technologie. Die neue, auf Adobes PDF-<br />
Standard au'auende Darstellungstechnologie hieß Quartz und sollte QuickDraw allmählich<br />
ablösen.<br />
Obwohl die ersten Versionen <strong>von</strong> Mac OS X noch langsam liefen und nicht den vollen<br />
Funktionsumfang boten, zeigte <strong>Apple</strong>, dass das Unternehmen tatsächlich liefern konnte. Im<br />
Jahrestakt brachte <strong>Apple</strong> immer bessere nach Raubkatzen benannte Versionen des<br />
Betriebssystems heraus, bis es nicht nur sämtliche Features des klassischen Mac OS abdeckte,<br />
aber auch neue noch nie zuvor gesehene.<br />
4. Die Raubkatzen sind los: Mac OS X 10.0 bis 10.3<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 65
AQUA<br />
CLASSIC CARBON COCOA<br />
QUARTZ OPEN GL QUICKTIME<br />
DARWIN<br />
Die neue aufgeräumte Architektur <strong>von</strong> Mac OS X<br />
Mit Mac OS X 10.4 Tiger kam 2004 die erste Version heraus, die der Konkurrenz <strong>von</strong><br />
Microsoft mehr als ebenbürtig war, in vielen Bereichen war sie Windows XP überlegen. Tiger<br />
wurde zwar ursprünglich für PowerPC-Prozessoren herausgebracht, doch ein Jahr später wurde<br />
die erste Intel-Version ausgeliefert.<br />
C ODENAME M ARKLAR<br />
Bereits im April 2002 berichtete das Online-Medium eWeek 20 <strong>von</strong> Gerüchten, dass <strong>Apple</strong> das<br />
damals neue Mac OS X parallel zur PowerPC-Plattform auch auf der Intel-Architektur<br />
entwickelte. Die grundsätzliche Absicht war, <strong>Apple</strong> Alternativen offen zu lassen, falls die<br />
Entwicklung der PowerPC-Prozessoren ins Stocken geriet.<br />
2005 erwiesen sich die Gerüchte als wahr. <strong>Apple</strong> hatte einen eigenen abgeschotteten<br />
Bürobereich, in dem die Intel-Variante entwickelt wurde - Codename Marklar (benannt nach<br />
den Aliens in der Anarcho-Zeichentrick-Serie “Southpark”). Entwickler gaben “off the record”<br />
zu, dass Mac OS X auf Intel-Maschinen schneller läuft.<br />
4. Die Raubkatzen sind los: Mac OS X 10.0 bis 10.3<br />
20 Leider ist der Online-Artikel vom Netz verschwunden, offenbar hat eWeek auf ein anderes<br />
CMS umgestellt, womit die ursprüngliche URL (http://www.eweek.com/<br />
article2/0,3959,496270,00.asp) nicht mehr zum Artikel führt. Allerdings wird im folgendem<br />
Forum mit Beiträgen aus dem Jahr 2002 der Artikel referenziert: http://<br />
forums.macrumors.com/archive/index.php/t-10549.html (abgerufen am 10.Juli 2009)<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 66
Diesmal ging die Umstellung schneller. Denn durch den wachsenden Erfolg der Mac-Plattform<br />
und der hohen Verkäufe, die iMacs, PowerMacs, iBooks und PowerBooks erzielten, befand sich<br />
<strong>Apple</strong> in einer ganz anderen Verhandlungsposition gegenüber den Software-Drittanbietern als<br />
bei der Umstellung <strong>von</strong> Mac OS Classic auf Mac OS X. Entwickler rissen sich darum, für <strong>Apple</strong><br />
entwickeln zu dürfen.<br />
M AC OS X 10.0 P UMA: T HE O RIGIN OF S PECIES<br />
Streng nach dem Motto <strong>von</strong> Steve Jobs “Real artists ship” hat <strong>Apple</strong> mit Mac OS X Codename<br />
“Puma” im März 2001 ein unfertiges aber wunderschönes System veröffentlicht. Die EDV-<br />
Welt staunte zwar über die grafisch interessante Benutzeroberfläche, allerdings hatte Mac OS<br />
10.0 Puma anfangs eher bloß Kuriositätenwert. Allen Unzulänglichkeiten zum Trotz war nicht<br />
zu verleugnen, dass nach über einem Jahrzehnt der Computerhersteller nun ein tatsächlich<br />
grei'ares, neues Betriebssystem herausgebracht hatte.<br />
<strong>Apple</strong> wollte seine gesamte Zukunft mit Mac OS X aufs Spiel setzen. Was war das Neue an<br />
Mac OS X? Welche <strong>Technologien</strong> steckten dahinter? Und wieso war Version 10.0 alles andere<br />
als brauchbar?<br />
C OUNT Z ERO - A M A NFANG STEHT DIE N ULL<br />
Am 24. März 2001 erblickte die erste fertige Version <strong>von</strong> Mac OS X das Licht der Welt. Es war<br />
eine Abkehr vom bisherigen Mac OS Classic und beruhte auf eine völlig anderen Basis.<br />
Mit Mac OS X 10.0 brach das Unix-Zeitalter bei <strong>Apple</strong> ein. Mac OS X bot die neukonzipierte<br />
Benutzeroberfläche Aqua, die dem damaligen Design des iMac G3 nachempfunden war. Sie war<br />
geprägt <strong>von</strong> transparenten Menüs, Nadelstreif-Mustern und riesigen Icons.<br />
Das System bot auch intern einige Neuerungen in Form <strong>von</strong> gleich vier verschiedener API.<br />
1. C LASSIC M AC OS<br />
Classic ist an sich keine richtige ins Betriebssystem Mac OS X eingebaute Bibliothek. Vielmehr<br />
wird eine virtuelle Maschine gestartet, in der ein vollständiges Mac OS 9 bootet d.h. es läuft<br />
ein vollständiger "alter" Mac auf der Oberfläche des neuen Betriebssystems. Darauf laufen<br />
sowohl Applikationen, die für 68K-Prozessoren entwickelt wurden als auch jene, die nativ auf<br />
PowerPC portiert wurden.<br />
4. Die Raubkatzen sind los: Mac OS X 10.0 bis 10.3<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 67
Keine der Vorteile des neuen Betriebssystems können <strong>von</strong> den Programmen genützt werden.<br />
Selbst die GUI entspricht noch der "platinum" Oberfläche, die mit Mac OS 8 vorgestellt<br />
wurde. Tatsächlich erlaubt es das Mac OS X-eigene Entwicklerwerkzeug nicht einmal für<br />
Classic zu entwickeln.<br />
<strong>Apple</strong> macht in seiner Entwicklerdokumentation sehr klar, dass die klassischen Mac OS API<br />
langsam aber sicher in die ewigen Jagdgründe geschickt wird.<br />
2. C ARBON<br />
In der “Classic”-Umgebung wurde ein vo&ständige Mac OS 9<br />
unter Mac OS X gestartet<br />
Diese Bibliothek stellt eine aufgeräumte und moderat modernisierte Fassung der klassischen<br />
API dar. Sämtliche Funktionen, die den neuen Features (z.B. geschützte Speicherbereiche,<br />
präemptives Multitasking usw.) im Weg stehen, wurden umgeschrieben oder fallengelassen. Im<br />
Grunde wurde das tote Holz der klassischen Mac OS API beseitigt und durch solide Eiche<br />
ersetzt.<br />
Ein Wermutstropfen für Entwickler und Anwender ist, dass bestehende Software an Carbon<br />
erst angepasst und neukompiliert werden muss. <strong>Apple</strong> kommunizierte den Entwicklern, dass<br />
sie herzlich willkommen seien, ihre Software mithilfe <strong>von</strong> Carbon zu entwickeln, ihnen aber<br />
sehr viel entgehe, wenn sie nicht Cocoa nützen.<br />
4. Die Raubkatzen sind los: Mac OS X 10.0 bis 10.3<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 68
3. C OCOA<br />
Diese als Wortwitz auf Java benannte Bibliothek ist die ursprüngliche API <strong>von</strong> NextStep. Sie<br />
bietet die <strong>Wie</strong>derverwendung <strong>von</strong> Objekten, ausgefeiltes message passing,<br />
Netzwerktransparenz, runtime binding, eine saubere Trennung zwischen dem User Interface<br />
und der eigentlichen Programmlogic. Zudem ist sie Plattformunabhängig. Gerade der letzte<br />
Punkt ist besonders interessant, da Cocoa damals nur unter Mac OS X verfügbar war. Später als<br />
<strong>Apple</strong> auf Intel-Prozessoren umgestiegen ist, haben erfahren wir, warum die durch die starke<br />
Abstraktion des Systems erlangte Plattformunabhängigkeit <strong>von</strong> derartig großer Bedeutung war.<br />
<strong>Apple</strong> hat es <strong>von</strong> Anfang an klar gemacht, dass Cocoa die eigentlich “gute” und ausnahmslos<br />
empfohlene API darstellt.<br />
4. J AVA<br />
Mac OS X erlaubt es, genauso gut in der Programmiersprache Java <strong>von</strong> SUN zu entwickeln.<br />
Sämtliche Cocoa-Aufrufe und somit auch die GUI können über Java nativ angesprochen<br />
werden.<br />
Weitere Features <strong>von</strong> Mac OS X 10.0 waren:<br />
XNU kernel: Der Unix-artige Kernel (auf BSD/Mach basiert) war die größte Neuerung.<br />
Damit stand Mac OS X auf stabilen Beinen. Abstürzende Applikationen konnten nicht mehr<br />
das ganze System in den Abgrund mitreißen.<br />
Geschützte Speicherbereiche: Endlich konnte auf dem Mac, eine Applikation nicht mehr<br />
im Speicherbereich eines anderen Programmes wildern.<br />
Präemptives Multitasking: Das Betriebssystem regelte die Resourcenverteilung zentral.<br />
Einzelne Programme konnten nicht mehr die gesamte Rechenleistung für sich beanspruchen.<br />
OpenGL: Die Grafikkarten-beschleunigte API zur Entwicklung <strong>von</strong> 2D- und 3D-<br />
Computergrafik sollte den Mac zu neuen grafischen Höchstleistungen verhelfen. OpenGL<br />
wurde anfangs vor allem für die Aqua-Oberfläche verwendet.<br />
4. Die Raubkatzen sind los: Mac OS X 10.0 bis 10.3<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 69
Ein OS X Aqua-Fenster der ersten Generation<br />
Terminal: Der Unix-Terminal erlaubte es fortgeschrittenen Usern über eine<br />
Befehlszeilenschnittstelle mit Unix-Befehlen die innersten Tiefen des Systems zu durchforsten<br />
und anzusprechen.<br />
4. Die Raubkatzen sind los: Mac OS X 10.0 bis 10.3<br />
Mit Terminal schenkte <strong>Apple</strong> dem fortgeschrittenen User eine Befehlszeilenschnittste&e<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 70
Dock: Mit diesem am unteren Bildschirmrand liegenden Dock stellte <strong>Apple</strong> den neuen<br />
Programmlauncher und Taskmanager des Betriebssystems vor. Der User konnte seine<br />
Applikationen für die spätere Verwendung darin ablegen. Wenn eine Applikation lief, dann<br />
zeigte ein kleiner Pfeil darauf.<br />
The Dock - Der neue Programm-Launcher <strong>von</strong> Mac OS X<br />
PDF: Der gesamte Bildschirmau'au wurde als PDF-Datei 21 beschrieben, so konnte auch jede<br />
Anwendung PDFs generieren.<br />
Abgerundet wurde die Premiere mit dem neuen Adressbuch, einem Mail-Programm, die<br />
Automatisierungssprache <strong>Apple</strong>Script und dem Suchassistenten Sherlock. Die meisten Features<br />
blieben auch in den nachfolgenden Versionen <strong>von</strong> Mac OS X erhalten und wurden<br />
weiterentwickelt.<br />
Allerdings war Mac OS X auf der damaligen Hardware schier unbrauchbar. Für einen<br />
Geschwindigkeitsvergleich mit Mac OS 9 benötigte man nicht einmal eine Stoppuhr, so<br />
offensichtlich war der Geschwindigkeitsmanko des neuen OS. Mac OS X konnte seine<br />
prozessorfremde Herkunft nicht verleugnen. Es war für PowerPC-Prozessoren noch nicht<br />
optimiert. Mac OS X 10.0 war eine lahme Ente, die sich im Gewand eines Schwanes<br />
präsentierte.<br />
4. Die Raubkatzen sind los: Mac OS X 10.0 bis 10.3<br />
M AC OS X 10.1 C HEETAH: H OMELAND S ECURITY<br />
Mit Mac OS X 10.0 Puma war zwar der erste, wenig überzeugende Schritt getan. Das reichte<br />
aber noch lange nicht, um Nutzer <strong>von</strong> Mac OS Classic auf das neue Betriebssystem<br />
einzustimmen. Nur wenige Monate nach der ersten Version brachte <strong>Apple</strong> das verbesserte Mac<br />
OS X 10.1 auf den Markt. Allzu sehr vertrauten die Entwickler dem System aber doch nicht,<br />
denn <strong>Apple</strong>s Rechner wurden sowohl mit dem neuen als auch mit dem alten OS ausgeliefert.<br />
21 Portable Document Format - das offene Seitenbeschreibungsformat <strong>von</strong> Adobe<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 71
Die wichtigste Neuerung des Systems waren seine Geschwindigkeitszuwächse. Endlich lief<br />
Mac OS X 10.1 einigermaßen flüssig auf Systemen, die für die vorige Version unbrauchbar<br />
waren. Zwar überholte das honorige Mac OS 9 seinen jüngeren Bruder bei den meisten<br />
Aufgaben, doch die ersten Zeichen einer Verbesserung ermunterten User dem System doch<br />
noch eine Chance zu geben. Zudem lief die Grafikbeschreibungssprache OpenGL, die eine<br />
leistungsfähige GPU 22 ausnützte, um bis zu 20% schneller unter 10.1.<br />
An Stabilität und Sicherheit des Systems wurde weiterhin gefeilt. So bot es eine systemweite<br />
Firewall und sämtliche Benutzeroperationen wurden in einer User-Rolle ausgeführt, die nicht<br />
alle Rechte hatte. Wollte ein User Programme installieren oder Systemdateien verändern, so<br />
musste er sich in allen Fällen als Administrator einloggen. Selbst wenn ein User bereits vorher<br />
Admin war, musste er sich noch einmal authentisieren.<br />
Mac OS X begann zu überzeugen. User, die den vollen Preis für 10.0 bezahlt hatten, erhielten<br />
gratis ein Upgrade.<br />
M AC OS X 10.2 J AGUAR: I NTELLIGENT D ESIGN<br />
Mac-User sind sich einig, dass 10.2 die erste wirklich brauchbare Version <strong>von</strong> Mac OS X war.<br />
Ab August 2002 konnten User erstmals komplett auf das neue Betriebssystem umsteigen.<br />
<strong>Apple</strong>s Vorzeigebetriebssystem mauserte sich zu einer ernstzunehmenden Anwendung.<br />
Auch die Drittanbieter Microsoft, Adobe und Macromedia begannen ihre Software für Mac<br />
OS X anzubieten. Aber neue Entwickler, die bisher keine Software für den Mac entwickelt<br />
hatten, machten den Umstieg. Der Unix-Kern, ein allgemeiner Windows-Überdruss und die<br />
Neugierde nach Neuem ließen die IT-Intelligenzia zum Mac überlaufen.<br />
Welche Verbesserungen sind ausschlaggebend für diesen Wandel? Welches Potenzial lässt sich<br />
in Jaguar erkennen?<br />
N EED FOR S PEED<br />
4. Die Raubkatzen sind los: Mac OS X 10.0 bis 10.3<br />
Wohingegen bei anderen Systemen üblicherweise jedes Upgrade auf der selben Hardware zu<br />
Geschwindigkeitseinbußen führt, konnte <strong>Apple</strong> auch beim Upgrade auf Mac OS X 10.2 die<br />
22 GPU - Graphics Processing Unit, das Herz einer Grafikkarte<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 72
Geschwindigkeit steigern. Zyniker meinen, die vorige Version sei sowieso so langsam gewesen,<br />
dass eine Steigerung leicht möglich sei.<br />
Tatsächlich nütze 10.2 die bestehende Hardware besser aus. Durch die neue Quartz Extreme-<br />
Technologie erfuhr die Bildschirmausgabe eine gewaltige Beschleunigung, weil nun für den<br />
Au'au <strong>von</strong> Menüs und Fenster, eigentlich für die gesamte Komposition des Bildschirminhalts<br />
die Arbeit komplett auf die Grafikkarte ausgelagert wurden. Jetzt konnten mehrere Videos<br />
gleichzeitig abgespielt und dabei sogar ihre Fenster bewegt werden, ohne den Videostrom<br />
abreißen zu lassen. Sogar wenn eines der transparenten Menüs über dem Videofenster lag,<br />
stotterte das Video kein bisschen. Erstmals waren bestimmte Operationen unter Mac OS X<br />
schneller als unter Mac OS 9 auf dem selben Rechner.<br />
Zudem erhielten Multiprozessor-Rechner einen gehörigen Geschwindigkeitsschub, weil<br />
Prozesse gleichmäßig auf beide Prozessoren aufgeteilt wurden. Zu den Optimierungen für<br />
PowerPC gehörten auch die bessere Ausnützung der Vektorberechnungseinheit 23 des G4-<br />
Prozessors. Langsam aber sicher machte es sich Mac OS X auf den PowerPC-Prozessoren<br />
bequem.<br />
Das System bot aber auch andere Neuerungen, die zu einer Erweiterung des<br />
Funktionsumfanges beitrugen:<br />
Samba Windows-Netzwerk-Unterstützung: Samba ist eine für Unix entwickelte Version<br />
Version des Microsoft SMB-Protokolls (Server-Message-Block) für Netzwerke. Nun konnten<br />
Macs problemlos an Windows-Netzwerke angeschlossen werden.<br />
Rendezvous: Mit diesem Zeroconf-Protokoll konnte Mac OS X in einem Netzwerk andere<br />
Geräte (z.B. Drucker) finden, ohne den User zu bemühen.<br />
Finder-Suche: Nun war eine systemweite Suche direkt in jedem Finder-Fenster eingebaut.<br />
Das war aber nur ein Vorläufer dessen, was noch an Suchtechnologie (Spotlight in Mac OS X<br />
10.4 Tiger) implementiert werden sollte.<br />
CUPS (Common Unix Printing System): Das auf anderen Unix-Systemen verwendete<br />
modulare Druckersystem wurde in Mac OS X integriert.<br />
23 Von <strong>Apple</strong> als Altivec Velocity Engine bezeichnet.<br />
4. Die Raubkatzen sind los: Mac OS X 10.0 bis 10.3<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 73
Systemweites Adressbuch: Sämtliche Kontaktinformationen lagen nun in einer zentralen<br />
Ablage und konnten <strong>von</strong> anderen Anwendungen (mit Erlaubnis des Users) genützt werden. Das<br />
war der erste Vorläufer der Sync-Services in späteren Mac OS X-Versionen.<br />
JFS (Journaled file system): Jeder Schreib/Lese-Vorgang auf der Festplatte wurde nun<br />
mitprotokolliert. Im Falle eines Systemabsturzes konnte aufgrund des geschriebenen Journals<br />
festgestellt werden, welche Dateien zum Zeitpunkt des Absturzes offen waren, um sie zu<br />
reparieren.<br />
Z UKUNFT PASSIERT<br />
Mac OS X 10.2 Jaguar begann <strong>Apple</strong>s Versprechen einzulösen. Es erfüllte nun so ziemlich alle<br />
Erfordernisse an ein modernes Betriebssystem. So bot es bereits seit der ersten Version<br />
Multiuser-Unterstützung, präemptives Multitasking und geschützte Speicherverwaltung, durch den<br />
Einsatz des neuen Kernels hatte es eine Modulare Architektur und eine inte&igente<br />
Treiberverwaltung. In 10.2 kam noch das modernes Dateisystem dazu sowie eine verbesserte<br />
Multi-Prozessor-Fähigkeit.<br />
<strong>Apple</strong> gewann mit dem neuen System sein Selbstbewusstsein wieder. Die Rechnerverkäufe<br />
begannen langsam anzuwachsen, weil early Adopters neugierig waren, aber auch weil neue User<br />
begannen, sich nach Alternativen zum in die Jahre gekommenen Windows umzusehen.<br />
Interessanterweise reichte <strong>Apple</strong> ebendiesen Usern die Hand, indem es nicht nur sein eigenes<br />
Betriebssystem dazu brachte “brav” in Windows-Netzwerken mitzuspielen, sondern auch<br />
indem mit Rendezvous, die erste neue <strong>Apple</strong>-Technologie auf Windows-Rechnern portiert<br />
wurde.<br />
4. Die Raubkatzen sind los: Mac OS X 10.0 bis 10.3<br />
M AC OS X 10.3 P ANTHER: F ULL M ETAL J ACKET<br />
Wenn 10.2 die erste Version <strong>von</strong> Mac OS X war, die alltagstauglich war, dann konnte Panther<br />
nur noch mehr überzeugen. 10.3 war um einiges flotter, flüssiger und vor allem noch stabiler.<br />
Trotzdem stellt es eher einen evolutionären Sprung dar. Nach der Einführung <strong>von</strong> 10.3 im<br />
Oktober 2003 24 begann <strong>Apple</strong> neue Rechner ausschließlich mit diesem Betriebssystem<br />
auszuliefern. Eine Dual-Boot-Variante wie bisher mit Mac OS Classic war somit<br />
24 Zwei Monate, nachdem ich selbst nach langen Jahren als Mac OS Classic-User den Sprung<br />
auf Mac OS X mit meinem iBook G3 gewagt hatte.<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 74
ausgeschlossen. Sowohl Mac-Anwender als auch Entwickler waren überzeugt, dass es kein<br />
Zurück mehr gab. <strong>Apple</strong> war auf dem Weg zum zweiten Frühling.<br />
<strong>Wie</strong> hat sich die Benutzeroberfläche <strong>von</strong> Mac OS X 10.3 verändert? Welche neuen Features<br />
bietet diese Version?<br />
Ü BERALL GEBÜRSTETES M ETALL<br />
Die offensichtlichste Veränderung des Systems war die <strong>von</strong> iTunes und dem Quicktime-Player<br />
bekannte “brushed metal”-Oberfläche. Sämtliche Systemfenster verfügten nun über dieses<br />
gemusterte Aussehen. <strong>Apple</strong> lernte vom eigenen Musikverwaltungsprogramm iTunes und<br />
ergänzte den Finder mit Schnellzugriffen zu Laufwerken, Netzwerken und oft verwendete<br />
Ordner in jedem Fenster.<br />
A&e Fenster unter Panther zeigten sich im “brushed metal”-Look<br />
Mit Panther finalisierte <strong>Apple</strong> die Entwicklung der Carbon- und Cocoa-API. Entwickler, die<br />
nicht auf den Kernel zugreifen mussten, konnten sich nun sicher sein, dass diese APIs nur<br />
mehr erweitert werden würden, bestehende Bibliotheksaufrufe würden sich nicht mehr<br />
verändern. So konnten Entwickler sicher sein, dass ihre Software auch auf späteren Systemen<br />
laufen würde, solange sie sich an <strong>Apple</strong>s Spielregeln gehalten hatten. <strong>Apple</strong> würde aber erst mit<br />
der nächsten Systemversion Entwicklungssicherheit auch auf Kernel-Ebene garantieren.<br />
Neben dem neuen Aussehen des Systems und der internen Änderungen, bot <strong>Apple</strong> Usern<br />
zusätzlich eine Vielzahl anderer Änderungen:<br />
4. Die Raubkatzen sind los: Mac OS X 10.0 bis 10.3<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 75
Safari und Webkit: Mit dem neuen super-schnellen Webbrowser konnte <strong>Apple</strong> endlich einen<br />
brauchbaren Ersatz für den lahmen Internet Explorer bieten. Microsoft hatte seit Version 5.2<br />
aufgehört die Mac-Version des Explorers weiterzuentwickeln. So packte <strong>Apple</strong> die Gelegenheit<br />
beim Schopf und entwickelte basierend auf dem Open Source-Browser Konqueror kurzerhand<br />
Safari und die neue Webrendering-Bibliothek Webkit. Diese floss wieder in die Open Source-<br />
Community. Mittlerweile ist Webkit die Basis der meisten mobilen Browser auf Smartphone<br />
(inkl. Nokia und Google Android) und lieferte sogar Jahre später die Engine <strong>von</strong> Google<br />
Chrome.<br />
Finder: Der <strong>von</strong> vielen Usern kritisierte Finder wurde in dieser Version stark verbessert. Nun<br />
konnten User schnell auf ihre oft verwendeten Ordner und Laufwerke zugreifen.<br />
Exposé zeigt a&e offenen Fenster gleichzeitig an<br />
4. Die Raubkatzen sind los: Mac OS X 10.0 bis 10.3<br />
Exposé: Mit dieser Funktion konnten User wahlweise per Tastendruck oder Mausbewegung<br />
sämtliche offenen Fenster gleichzeitig anzeigen. Auch konnten sie alle Fenster verschwinden<br />
lassen oder nur die Fenster einer bestimmten Anwendung sehen. Exposé half Usern das System<br />
insgesamt besser zu bedienen. Ein Mac OS X ohne dieses Feature ist heute undenkbar.<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 76
Hier übertreibt es ein User mit der Exposé-Funktion <strong>von</strong> Mac OS X<br />
(Que&e: 4. September 2009 http://extensivegroup.blogspot.com/2007/01/expos-limits-not-yet-reached.html)<br />
Preview: Die systemeigene PDF- und Bilderanzeige wurde stark beschleunigt. Nun konnte<br />
man unter Mac OS X wesentlich schneller PDFs und komplexe Grafiken anzeigen als unter<br />
Mac OS 9 oder sogar dem Adobe eigenen Acrobat Reader.<br />
Xcode developer tools: Die Entwicklungsumgebung des Systems erhielt nun nicht nur einen<br />
neuen (coolen) Namen, sondern wurde auch schneller.<br />
Font Book: Mit dieser neuen Applikation machte Mac OS X vor allem Druckereien und<br />
Grafiker glücklich. Nun konnten sich User auf einfache Weise Überblick über die installierten<br />
Zeichensätze verschaffen und diese ganz leicht austauschen und um neue ergänzen.<br />
FileVault: Dieses Feature erlaubte es Usern, den gesamten Inhalt ihrer Datenträger laufend<br />
zu verschlüsseln, um ihn vor unbefugtem Zugriff zu schützen.<br />
4. Die Raubkatzen sind los: Mac OS X 10.0 bis 10.3<br />
X11: Der auf anderen Unix-Systemen übliche Windows-Manager X11, der bisher nur optional<br />
installierbar war, wurde nun in Mac OS X 10.3 Panther standardmäßig integriert.<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 77
Die Unix-eigene X11-Umgebung wurde nun standardmäßig in Mac OS X integriert<br />
Mithilfe <strong>von</strong> X11 konnten Unix-Entwickler ihre Applikationen leicht auf Mac OS X portieren.<br />
Innerhalb kurzer Zeit wurden die Grafik-Software Gimp und das Bürosoftwarepaket OpenOffice<br />
auf Mac OS X implementiert. Einige Geeks begannen im Rahmen des Entwicklungsprojekt<br />
Fink 25, sämtliche Linux-Applikationen für den Mac aufzubereiten.<br />
D ER REIFE A PFEL<br />
Mac OS X 10.3 Panther zeigte, dass <strong>Apple</strong> das Zeug dazu hatte, in regelmäßigen Abständen,<br />
immer bessere Versionen seines mittlerweile drei Jahre alten Betriebssystems zu<br />
veröffentlichen. Panther war nun nicht nur komplett für den PowerPC-Prozessor optimiert. Es<br />
enthielt auch die ersten Anpassungen an neue 64-Bit-Prozessoren (damals noch in Form des<br />
G5). Es funktionierte besser in Windows-Netzwerken und konnte problemlos in SecurID<br />
VPN 26-Umgebungen integriert werden.<br />
<strong>Apple</strong> hatte seine Basis für die Zukunft geschaffen. Die lange Kindheit des Systems fand ihr<br />
Ende. Nun konnte <strong>Apple</strong> dem erwachsenen OS X neue Tricks beibringen.<br />
4. Die Raubkatzen sind los: Mac OS X 10.0 bis 10.3<br />
25 Keine Verwandschaft mit dem gleichnamigen Lektor an der Donau Universität Krems.<br />
26 Virtual Private Network - Software, die es erlaubt, in ein geschütztes Netzwerk einzusteigen.<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 78
K APITELZUSAMMENFASSUNG<br />
Die Entwicklung <strong>von</strong> Mac OS X begann recht holprig. Einerseits war NextStep nicht so leicht<br />
als neues Betriebssystem einsetzbar, andererseits wehrten sich die etablierten Softwarehäuser<br />
dagegen, ihre Programme für das neue System komplett neu schreiben zu müssen. <strong>Apple</strong><br />
entwickelte deshalb eine überlappende Migrationsstrategie in Form <strong>von</strong> Carbon.<br />
Dann wurde Mac OS X 10.0 vorgestellt. Da NextStep aber <strong>von</strong> Intel- auf PowerPC-<br />
Prozessoren umgesetzt werden musste, zeigte es anfangs große Optimierungsschwächen. Es<br />
lief viel zu langsam. Innerhalb <strong>von</strong> drei Jahren gelang es <strong>Apple</strong>, sein anfangs nur bedingt<br />
brauchbares Betriebssystem zu einem leistungsfähigen und schnellen OS zu schmieden.<br />
Mit Version 10.3 Panther stellte <strong>Apple</strong> das Fundament fertig, worauf neue Features etabliert<br />
werden konnten. Jetzt sollte es erst richtig los gehen.<br />
4. Die Raubkatzen sind los: Mac OS X 10.0 bis 10.3<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 79
5. Ende der Kindheit: Mac OS X 10.4 bis 10.6<br />
“Erwachsensein heißt: vergessen, wie untröstlich wir als Kinder o) gewesen sind.”<br />
Heinrich Böll<br />
Mac OS X 10.4 Tiger, Mac OS X 10.5 Leopard und Mac OS X 10.5 Snow Leopard<br />
(Que&e: Arstechnica)<br />
Mac OS X hatte in seiner vierten Inkarnation die wechselhaften Jahre der Pubertät verlassen.<br />
Es konnte auf eigenen Beinen stehen. Allerdings bestand es aus vielen zusammengeflickten<br />
Teilen, die noch nicht richtig zusammenpassten. Einige Bestandteile waren uralt (Classic),<br />
einige nur transzendente Übergangslösungen (Carbon) und einige erlangten erst mit 10.3 eine<br />
annehmbare Reife (Cocoa). Viele dieser älteren <strong>Technologien</strong> wurden aus Gründen der<br />
Kompatibilität übernommen. So überlebten QuickDraw in seiner alten Form und QuickTime<br />
in einer abgeänderten Form jede neue Version.<br />
Mac OS X ähnelte einer alten Stadt, in der es zu einem gewaltigen Bauschub gekommen war.<br />
So beschrieb der österreichische Philosoph Ludwig Wittgenstein die menschliche Sprache wie<br />
eine historisch gewachsene Stadt: “Ein Gewinkel <strong>von</strong> Gässchen und Plätzen, alten und neuen<br />
Häusern mit Zubauten aus verschiedenen Zeiten: und dies umgeben <strong>von</strong> einer Menge Vororte<br />
mit geraden und regelmäßigen Straßen und mit einförmigen Häusern.”<br />
Es wurde Zeit, in dieser Stadt die alten Teile abzureißen. <strong>Apple</strong> begann einige so genannte<br />
“Legacy”-<strong>Technologien</strong> abzuwerfen. Mac OS X 10.0 bis 10.3 stellten die Au'auphase neuer<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 80
<strong>Technologien</strong> dar, mit 10.4 bis 10.6 begann zusätzlich zu neuen Entwicklungen der große<br />
Abbau alter <strong>Technologien</strong>. In Mac OS X 10.4 Tiger leitete <strong>Apple</strong>s Ausmisten der Altlasten ein,<br />
mit Leopard wurde der Übergang beschleunigt, um bei Snow Leopard sämtliche alte<br />
<strong>Technologien</strong> aus dem System zu exorzieren.<br />
In diesem Kapitel werden diese drei Versionen besprochen. Sie schlugen die Brücke zu Intel.<br />
M AC OS X 10.4 T IGER: S URVIVAL OF THE F ITTEST<br />
Mit Tiger wagte es <strong>Apple</strong> 2005, nach zweieinhalb Jahren das ambitionierteste Upgrade seines<br />
Betriebssystems zu veröffentlichen. Die Werbung versprach über 150 neue Features. Doch die<br />
wichtigsten und interessantesten wurden nicht besonders stark angepriesen. Gerade diese<br />
Änderungen im Kern des Betriebssystems überzeugen aber.<br />
Welche der 150 neuen Features sind wirklich wichtig? <strong>Wie</strong> hat sich der Kern <strong>von</strong> Mac OS X in<br />
dieser Version verändert?<br />
Mac OS 10.4<br />
5. Ende der Kindheit: Mac OS X 10.4 bis 10.6<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 81
D ES T IGERS NEUE S TREIFEN<br />
Effekthascherei stand im Zentrum des Systems. Es bot neue Bedienungselemente, eine<br />
systemweite Suche namens Spotlight, eine brandneue Version des Webbrowsers Safari und<br />
Grafiktechnologien (CoreImage, CoreGraphics, CoreVideo), die das OS weit über die<br />
Möglichkeiten der Konkurrenz hinauskatapultierten.<br />
Tiger wurde <strong>von</strong> den Usern so schnell wie kein anderes System zuvor adoptiert. Innerhalb eines<br />
Jahres lief mehr als die Hälfte aller bestehenden <strong>Apple</strong>-Rechner mit Tiger. Zudem war Tiger<br />
mit dem Umstieg auf Intel-Prozessoren, das erste System, das auf der neuen<br />
Prozessorarchitektur lief.<br />
Die öffentlichkeitswirksamsten Features waren:<br />
CoreGraphics, CoreImage, CoreVideo: Endlich konnten Entwickler auf die Leistung der<br />
Grafikkarten auf schnelle und unkomplizierte Weise zugreifen. CoreGraphics erlaubte es, wie<br />
ein Super-Quartz Extreme sämtliche grafische Operationen auf die Grafikkarte auszulagern.<br />
CoreImage benützte die Grafikkarte, um Photoshop-artige Filter auf Grafiken anzuwenden.<br />
CoreVideo packte die gesamte Leistung den überarbeiteten Quicktime in eine API.<br />
Erstmals war die Grafikausgabe um vieles schneller als mit QuickDraw. <strong>Apple</strong> begann auch<br />
aktiv da<strong>von</strong> abzuraten, weiterhin QuickDraw für die Darstellung in neuen Anwendungen zu<br />
benützen.<br />
Safari RSS: Die zweite Version des Webbrowsers war nicht nur schneller, es lißen sich damit<br />
auch RSS-Feeds abonnieren. Außerdem war Safari noch W3C-standard-konformer als zuvor.<br />
QuickTime 7: Die neue Version der Videokompressions- und Dekompressionssoftware baute<br />
zwar noch auf den alten Kern auf, ihr wurden aber neue Komprimierungsverfahren<br />
beigebracht. Unter anderem beherrschte QuickTime nun den leistungsfähigen H.264-Codec,<br />
auf den auch YouTube später umsteigen würde. QuickTime bot nun erstmals eine<br />
uneingeschränkt über Cocoa nutzbare API, die es erlaubte, leichter Videoanwendungen für<br />
den Mac zu schreiben.<br />
5. Ende der Kindheit: Mac OS X 10.4 bis 10.6<br />
Spotlight: Bereits das Scheinwerferlicht im Logo dieser Betriebssystemversion deutete die<br />
systemweite Suche an. Spotlight indizierte alle Dateien und ihre Inhalte auf dem Mac. Es<br />
konnte in PDF-Dateien suchen, Adressen im Adressbuch, Termine im Kalender finden, es<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 82
kannte den Inhalt jeder Mail und jedes Textes auf dem Computer. Stets waren alle Dateien so<br />
schnell auffindbar, wie man sie ins Suchfeld auf dem rechten Bildschirmrand eingeben konnte.<br />
Dashboard: <strong>Apple</strong> führte eine neue Benutzerschnittstellenebene ein. Hier konnten kleine<br />
Mini-Anwendungen permanent im Hintergrund ausgeführt werden. Diese “Widgets” waren auf<br />
Knopfdruck erreichbar und legten sich auf einer transparenten Fläche über die bestehenden<br />
Anwendungen. Die Dashboard-Widgets erlaubten es Anwendern, Wetterberichte abzurufen,<br />
Berechnungen anzustellen, Begriffe im Wörterbuch nachzuschlagen und andere Informationen<br />
online oder offline abzurufen.<br />
Dashboard erlaubte Anwendern jederzeit Zugriff auf kleine<br />
Helferprogramme, die ständig im Hintergrund liefen.<br />
Automator: Dieses kleine Programm erlaubte es, auch Nicht-Programmierern Abläufe zu<br />
automatisieren. Anwender konnten ihre eigenen Arbeitsabläufe aufzeichnen, mit Variablen<br />
versehen und beliebig oft ausführen. Man konnte z.B. 100 JPG-Bilder in der Größe verändern<br />
und ihnen einen CoreImage-Filter verpassen, indem man die Aktion mit Automator<br />
aufzeichnet.<br />
5. Ende der Kindheit: Mac OS X 10.4 bis 10.6<br />
Sync Services: In Jaguar wurde das systemweite Adressbuch vorgestellt. Das war aber nur die<br />
Vorstufe zur systemweiten Bereitstellung <strong>von</strong> Kontakten, Adressdaten und Notizen. Nun<br />
konnten fremde Geräte wie Mobiltelefone und Organizer aber auch fremde Online-Dienste<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 83
wie Google Calendar auf sämtliche persönliche Daten zugreifen. Durch Sync Services wurde<br />
jede Änderung der Daten mit allen abhängigen Stellen synchron gehalten.<br />
Die restlichen Features waren ein verbesserter Video-Chat-Client mit iChatAV, ein<br />
systemweites Englishwörterbuch und Synonymlexikon sowie vebesserte Accessibility-Features,<br />
um Menschen mit Behinderung die Bedienung des Mac zu erleichtern.<br />
Drei grundlegende Änderungen spielten sich komplett “unter der Motorhaube” ab. Durch<br />
Spotlight konnte das Dateisystem nun ähnlich einer Datenbank auf Dateien zugreifen, die<br />
Entwicklung <strong>von</strong> 64-Bit-Programmen war möglich, solange sie nicht auf die GUI zugriffen,<br />
und die Unix-Features wurden stark an den Industriestandard angepasst, womit Mac OS X<br />
Tiger sich erstmals als anerkanntes Unix ausgeben konnte.<br />
Am aller wichtigsten war der neue Betriebssystemkernel, der nun endlich in einen fertigen und<br />
stabilen Zustand gebracht worden war.<br />
K ERNGESUND - D ER NEUE K ERNEL DES T IGERS<br />
Mit Tiger ist der Mac OS X-Kernel einigen wesentlichen Änderungen unterzogen worden.<br />
Dabei stellt der Kernel an sich ein interessantes Zwitterwesen dar: ein Mach-Microkernel, der<br />
mit einer "traditionellen" BSD-artigen Systemaufrufschnittstelle zusammengeschweißt wurde.<br />
Daran haben die <strong>Apple</strong>-Architekten selbstentwickelte <strong>Technologien</strong> wie IOKit angefügt. Für<br />
die Zwecke dieser Arbeit 27 kann der Kernel als Einheit betrachtet werden, die über eine<br />
Vielzahl unterschiedlicher Schnittstellen nach “außen” vefügt.<br />
Unglücklicherweise waren genau diese Systemschnittstellen des Mac OS X-Kernels historisch<br />
bedingt unzulänglich. Sowohl <strong>Apple</strong>-eigene Entwickler als auch Programmierer bei<br />
Drittherstellern benötigten aber ein breite Palette an flexiblen und leistungsfähigen Kernel-<br />
APIs. Aus diesem Grund verwendeten sie auf bisherigen Mac OS X-Versionen “schmutzige”<br />
Tricks, um auf die undokumentierten Schnittstellen zuzugreifen.<br />
5. Ende der Kindheit: Mac OS X 10.4 bis 10.6<br />
Solche Kernel-Extensions liefen stets Gefahr, auf der nächsten Version des Betriebssystems<br />
nicht mehr zu funktionieren. Die <strong>Apple</strong>-eigene Systemdokumentation ließ wenig Zweifel<br />
daran, dass viele APIs sich entweder noch im Wandel befanden oder einfach noch nicht<br />
“offiziell” für den allgemeinen Gebrauch freigegeben seien. Entwickler konnten damit rechnen,<br />
27 Dies gilt auch aus dem Blickwinkel der meisten Entwickler.<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 84
dass ihre Tricks nur auf der jeweiligen Betriebssystem-Version funktionieren würden. Bei einem<br />
neuen Release <strong>von</strong> Mac OS X könnten ihre Kernel-Extensions unter Umständen in Flammen<br />
aufgehen, wie ein explodierender Tankwagen in einem Jerry Bruckheimer-Film.<br />
Allerdings hat <strong>Apple</strong> diese “inoffiziellen” Aktivitäten nicht unbedingt entmutigt. Die<br />
Entscheidungsträger im Unternehmen erkannten, dass sie selbst an dieser Situation Schuld<br />
waren, weil Mac OS X in vielen Bereichen unzureichende und instabile APIs enthielt, die nur<br />
deshalb noch nicht freigegeben werden konnten, weil sie noch unfertig waren.<br />
Stets warnte das Unternehmen in seiner Systemdokumentation davor, bestimmtes<br />
undokumentiertes Verhalten als selbstverständlich oder gar endgültig anzusehen.<br />
Reguläre Anwender merkten nur wenig <strong>von</strong> dieser jahrelang anhaltenden ungewissen Situation.<br />
Aus ihrer Perspektive machte eine neue Mac OS X-Version unter Umständen die Installation<br />
eines neuen Treibers erforderlich, weil die alte Version ihre Dienste verweigerte.<br />
Noch problematischer war es jedoch, dass dieser Mangel an offiziell dokumentierten Kernel-<br />
APIs die meisten Fremdentwickler überhaupt da<strong>von</strong> abhielt, die technischen Möglichkeiten<br />
<strong>von</strong> “verschlossenen” Kernelteilen überhaupt erst auszuloten. Beispielsweise blieb solchen<br />
Entwicklern das viel propagierte modulare Dateisystem verschlossen. Bereits vor<br />
Veröffentlichung <strong>von</strong> Mac OS X begeisterte gerade die Ankündigung dieses Features die Mac-<br />
Entwicklergemeinde. Endlich sollte es möglich sein, neue Dateisysteme wie Microsofts<br />
NTFS 28 oder Suns ZFS dynamisch ins Betriebssystem zu integrieren ganz nach dem Motto<br />
“Load and forget!”<br />
So verführerisch ein Plugin- und Layer-basiertes Filesystem auch klingen mochte, in<br />
Ermangelung einer stabilen und dokumentierten API konnte nur ein einziges Entwicklerteam<br />
vom modularen Dateisystem Nutzen ziehen: <strong>Apple</strong>s eigene Systementwickler.<br />
5. Ende der Kindheit: Mac OS X 10.4 bis 10.6<br />
Kein Drittanbieter wäre bereit gewesen, Zeit, personelle Ressourcen und vor allem Geld in die<br />
Entwicklung eines Dateisystem-Plugins zu investieren, das auf nicht freigegebene APIs und<br />
Datenstrukturen baut, welche sich mit ziemlicher Sicherheit auch noch ändern würden.<br />
28 Das ab Microsoft Windows NT gebräuchliche Dateisystem.<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 85
Dieser Situation bereitete <strong>Apple</strong> mit Mac OS X ein Ende. Die Kernel-API wurde solide<br />
dokumentiert und sämtliche Funktionen standen nun jedem Entwickler zu Verfügung.<br />
K OMPATIBILITÄTSWAHN<br />
Im Jänner 2006 war es soweit, die ersten Macs mit Intel-Prozessoren kamen auf den Markt.<br />
Da stellte sich heraus, dass User noch nicht alle Features <strong>von</strong> Mac OS X Tiger kennengelernt<br />
hatten.<br />
Damit alte Software, die für PowerPC entwickelt wurde, auf dem neuen Prozessortyp laufen<br />
konnte stellte <strong>Apple</strong> die Rosetta-Technologie vor. Ähnlich wie der Stein <strong>von</strong> Rosetta aus der<br />
Antike, der den selben Text in mehreren altertümlichen Sprachen enthielt und<br />
Wissenschaftlern so helfen konnte diese zu verstehen, übersetzte Rosetta den alte PowerPC-<br />
Code in Intel-Code. Und das zur Laufzeit.<br />
Komplexe Anwendungen mussten Geschwindigkeitseinbußen <strong>von</strong> bis zu 50% hinnehmen.<br />
Allerdings lieferte <strong>Apple</strong> die ersten Macs mit Intels Dualkern-Prozessoren Core Duo aus, die<br />
einen Teil des Einbruchs wieder ausgleichen konnten. Es dauerte aber noch einige<br />
Gerätegenerationen, bis Intel-Macs PowerPC-Programme schneller ausführen konnten, als<br />
PowerPC-Macs je dazu in der Lage waren. Einen Nachteil hatten Intel-Macs im Vergleich zu<br />
PowerPC-Macs: Auf Rosetta liefen nur Mac OS X-Anwendungen, die für PowerPC geschrieben<br />
worden waren. Sämtliche Software für das “klassiche” Mac OS, die früher mithilfe <strong>von</strong><br />
“Classic” liefen, konnten nicht ausgeführt werden. Die Brücken zu Mac OS Classic waren<br />
abgebrochen.<br />
5. Ende der Kindheit: Mac OS X 10.4 bis 10.6<br />
Die neue XCode-Entwicklerumgebung erlaubte es Programmierern, ihre bestehenden <strong>Apple</strong>-<br />
konformen Programme 29 als Universal Binaries zu kompilieren. So konnte ein und dasselbe<br />
Programm sowohl auf PowerPCs als auch auf Intel-Rechnern in voller Geschwindigkeit laufen.<br />
Auf Intel-Systemen konnten User auch mithilfe <strong>von</strong> BootCamp sogar Windows XP oder sogar<br />
(wenn es unbedingt sein musst) Windows Vista auf einer Partition ihrer Festplatte installieren,<br />
um so ein flexibles, durch und durch kompatibles System zu bekommen. Richtige Freaks<br />
installierten statt Microsofts Betriebssystem lieber Linux in einer Dual-Boot-Variante<br />
29 Also Applikationen, die sich keiner <strong>von</strong> <strong>Apple</strong> verbotenen “schmutziger” Tricks bedienten,<br />
um ihre Dienste zu verrichten.<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 86
zusammen mit Mac OS X. <strong>Apple</strong>s Schlachtruf mit Tiger könnte lauten: “Betriebssysteme aller<br />
Prozessoren vereinigt euch!”<br />
D IE G EBURT DES N EUEN AUS DER A SCHE DES A LTEN<br />
Mit Mac OS 10.4 Tiger gab <strong>Apple</strong> die eindeutige Richtung vor. QuickDraw wurde dem<br />
versteinernden Blick der Medusa ausgesetzte, QuickTime erhielt eine neue abstrahierte Schale,<br />
Classic starb auf Intel-Rechnern einen leisen Tod und der Schwanengesang des PowerPC<br />
wurde eingeläutet.<br />
Langsam aber sicher schälte sich das System wie eine häutende Schlange aus der Last der alten<br />
<strong>Technologien</strong>, die noch vor der <strong>NeXT</strong>-Übernahme entwickelt worden waren.<br />
M AC OS X 10.5 L EOPARD: S HOCK AND A WE<br />
Mit Leopard veröffentlichte <strong>Apple</strong> 2007 die letzte Version <strong>von</strong> Mac OS X, die noch sowohl auf<br />
PowerPC-Prozessoren als auch auf Intel-Chips lief. Zwar wurde das Innere des Betriebssystems<br />
durch den ständigen Marsch in Richtung 64-Bit-Computing wieder weiterentwickelt, die<br />
meisten Änderungen fanden aber an der Oberfläche statt.<br />
Das Userinterface-Gewirr der vorigen Mac OS X-Versionen wurde aufgeräumt. Der neue<br />
"unified look" ersetzte den Nadelstreif der ersten Mac OS X-Varianten und die "brushed<br />
metal"-Oberfläche der letzten beiden Versionen.<br />
Mac OS X 10.5 Leopard<br />
5. Ende der Kindheit: Mac OS X 10.4 bis 10.6<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 87
Insgesamt wirkte Leopard optisch aufgeräumter. Der Finder nahm immer mehr Eigenschaften<br />
<strong>von</strong> iTunes an. So konnten User ähnlich wie beim Musikverwaltungsprogramm in ihren<br />
Dateien blättern wie in einer Schallplattensammlung.<br />
Das Coverflow-Feature im neuen Finder erlaubte es Anwendern in ihren Dateien zu blättern<br />
F ROZEN IN C ARBONITE<br />
Bei der Vorstellung <strong>von</strong> Leopard machte <strong>Apple</strong> eine Ankündigung, die einen großen Schock in<br />
der Entwicklergemeinde auslöste: die Carbon-API würde nicht mehr weiterentwickelt werden.<br />
Sämtliche zukünftige Features und auch die Fähigkeit, ohne Einschränkung die 64-Bit-<br />
Fähigkeit des Betriebssystems auszunützen, waren nur über Cocoa zugänglich.<br />
<strong>Apple</strong> hatte zwar <strong>von</strong> Anfang an in jeder Entwicklerdokumentation betont, Carbon sei eine<br />
Übergangs-API, um die Welten <strong>von</strong> Mac OS Classic und Mac OS X zu überbrücken, doch so<br />
viele große Anwendungen waren Carbon-basiert, dass niemand geglaubt hatte, mit dieser API<br />
in eine Sackgasse zu geraten.<br />
5. Ende der Kindheit: Mac OS X 10.4 bis 10.6<br />
Microsoft hatte die Mac-Version <strong>von</strong> Office auf Carbon aufgebaut, Adobe verwendete diese<br />
API für alle seine Creative Suite-Anwendungen mit Ausnahme der neuen Lightroom-<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 88
Applikation und sogar <strong>Apple</strong> hatte seine Pro-Anwendungen 30 für Musikkomposition und<br />
Videoschnitt mithilfe <strong>von</strong> Carbon entwickelt.<br />
Nur die neuen Features des Leoparden konnten den Schock über die eingefrorene Carbon-API<br />
lindern. Folgende Neuerungen lösten Begeisterung aus:<br />
Der neue Dock war nun dreidimensional. Programme konnten als Stacks aus dem Dock<br />
“geblättert” werden. Die Kalender-Anwendung iCal und das Chat-Programm iChat wurden um<br />
noch mehr Features erweitert. Spaces erlaubte die Verwendung <strong>von</strong> mehreren Desktops wie es<br />
auf Linux-Systemen bereits lange üblich war. Zu guter Letzt erlaubte es Quicklook, bereits vom<br />
Finder aus eine Vorschau jeder Datei zu sehen, ohne sie mit einer Anwendung laden zu müssen.<br />
Stacks für die Programme (rechts) und der neue Dock (unten), jetzt in 3D<br />
Mit Time Machine stellte <strong>Apple</strong> eine leistungsfähige, systemnahe und vor allem grafisch<br />
ansprechende Backup-Technologie vor. Im Hintergrund legte Time Machine Sicherheitskopien<br />
der Anwenderdaten auf externen Datenträgern (z.B. externe Festplatte oder<br />
Netzwerkelaufwerke) an. Falls Anwender auf ältere Daten zugreifen wollten, konnten sie wie<br />
mit einer Zeitmaschine einfach in vergangenen Sicherungskopien blättern.<br />
30 Final Cut Pro, Logic Pro und Motion<br />
5. Ende der Kindheit: Mac OS X 10.4 bis 10.6<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 89
Time Machine: Backup á la <strong>Apple</strong><br />
Auch diesmal war die Liste der kleinen Verbesserungen lang: der Automator wurde verbessert,<br />
das Feature Back to my Mac erlaubte Anwendern den Zugriff auf die Dateien auf ihren Mac <strong>von</strong><br />
überall aus, Dashboard wurde verbessert und BootCamp wurde fix ins System integriert.<br />
Eines geschah beinahe unbemerkt: “Classic”, jene Umgebung, die es erlaubte, Anwendungen<br />
aus dem Zeitalter des “klassischen” Mac OS zu verwenden verschwand aus dem System. Selbst<br />
PowerPC-Macs konnten unter Leopard keine Software mehr ausgeführt werden, die vor der<br />
Ära Jobs 2.0 entwickelt wurde.<br />
D ER S IEG DER Z UKUNFT<br />
Mac OS X Leopard brachte gemeinsam mit einer Vielzahl neuer Features zwei wichtige und<br />
einschneidende Änderungen. Ab dieser Systemversion konnten mit dem sang und klanglosen<br />
Verschwinden <strong>von</strong> “Classic”, sogar auf PowerPC-Macs keine “klassischen” Mac-Anwendungen<br />
mehr laufen. Auch mit dem Entwicklungsstopp der Carbon-API setzte <strong>Apple</strong> eindeutige<br />
Zeichen, dass nur der Umstieg auf die leistungsfähige Cocoa-API den Weg in die Zukunft<br />
darstellte.<br />
Die Weichen waren gestellt. Sie führten weg <strong>von</strong> Carbon und Classic und in Richtung Intel<br />
und 64-Bit.<br />
5. Ende der Kindheit: Mac OS X 10.4 bis 10.6<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 90
M AC OS X 10.6 S NOW L EOPARD: D EUS E X M ACHINA<br />
Mac-User waren es gewohnt, dass jede neue Version <strong>von</strong> Mac OS X eine schier<br />
unüberschaubare Menge an neuen Features mit sich bringen würde. Mittlerweile war das<br />
Betriebssystem zu einem Hydra-artigen Monstrum herangewachsen. Warum sollte der<br />
Nachfolger <strong>von</strong> Mac OS X 10.5 Leopard anders sein?<br />
Als <strong>Apple</strong> aber Mac OS X 10.6 ankündigte, machte der Chefentwickler Bernard Serrault eine<br />
Reihe interessanter Verlautbarungen. Die neue Version des Systems solle nur noch auf Intel-<br />
Rechnern laufen, darin sollen sämtliche verfügbaren <strong>Technologien</strong> optimiert werden und... es<br />
solle über keine neuen Features verfügen.<br />
Um das Understatement zu betonen, wählte <strong>Apple</strong> den Namen Snow Leopard aus. Leopard<br />
eben, nur ein bisschen anders.<br />
<strong>Apple</strong>s Chefentwickler Bernard Serrault verspricht keine neuen<br />
Features bei Snow Leopard (Que&e: Arstechnica)<br />
Im Spätsommer 2009 wurde Mac OS X 10.6 Snow Leopard veröffentlicht. Bis auf einige kleine<br />
kosmetische Veränderungen sah es genauso aus wie sein Vorgänger. Eine Installation benötigte<br />
bloß die Hälfte des Festplattenspeichers und einige Anwendungen liefen um eine Spur<br />
schneller. Sonst war es <strong>von</strong> Außen betrachtet identisch mit Mac OS X 10.5 Leopard.<br />
Trotzdem hatte Bernard Serrault mit seiner Behauptung, Snow Leopard würde über keine<br />
neuen Features verfügen, neckisch gelogen.<br />
5. Ende der Kindheit: Mac OS X 10.4 bis 10.6<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 91
Mac OS 10.6<br />
D ER W IDERSPENSTIGEN O PTIMIERUNG<br />
Der Fokus lag auf die Optimierung des Systems. Es benötigte weniger Speicher, weil es weniger<br />
Altlasten mitschleppte. Es lief schneller auf bestehender Hardware, weil Snow Leopard<br />
vollständig an Intel-Prozessoren angepasst war. Somit wurde das System im Spätsommer 2009<br />
einem Frühjahrsputz unterzogen.<br />
Sämtliche neuen Features waren recht obskur oder gut versteckt. Das gesamte System und alle<br />
Systemanwendungen waren für 64-Bit-Prozessoren konzipiert. Bestehende 32-Bit-<br />
Anwendungen konnten parallel zu neuen 64-Bit-Programmen, die in Cocoa entwickelt worden<br />
waren, ausgeführt werden.<br />
Den wichtigsten Schritt in Richtung Interoperabilität mit der Welt <strong>von</strong> Microsoft war die<br />
systemnahe Implementierung der Groupware Exchange. Im Gegensatz zu ihren Windows-<br />
Pendants konnten Macs nun <strong>von</strong> Haus aus, “out of the box” mit Microsoft Exchange-Servern<br />
kommunizieren, um E-Mails zu verschicken, Kalender mit Terminen und Einladungen zu<br />
verwalten und gemeinsam Projektdaten auszutauschen.<br />
5. Ende der Kindheit: Mac OS X 10.4 bis 10.6<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 92
Viel wesentlicher, als das, was das System enthielt, war, was es wegließ. Bei der Vorstellung des<br />
aller ersten Macintosh im Jahre 1984 nannte Steve Jobs seine Ingenieure Künstler. Er sagte,<br />
“real artists ship”. Mit Mac OS X 10.6 Snow Leopard bewies <strong>Apple</strong>, dass Kunst auch die Kunst<br />
des Weglassens bedeutet.<br />
Die aktuelle Version <strong>von</strong> Mac OS X enthält nur noch homöopathische Spuren der alten auf<br />
Mac OS Classic entwickelten <strong>Technologien</strong>. Als aller letzte Systemapplikation wurde nun auch<br />
QuickTime als QuickTime X komplett neu entwickelt. Es ist schlanker, schneller und schöner -<br />
wie Snow Leopard.<br />
E NDE EINER R EISE, A UFBRUCH!<br />
Mac OS X hat seine lange Reise beendet. Es ist bedingungslos zur Intel-Prozessorarchitektur<br />
zurückgekehrt. Sämtliche “Transitions”, Übergänge und Einführungen neuer <strong>Technologien</strong><br />
erfüllten keinen Selbstzweck. Sie erfüllte keine “bullet points” in einer langen, öffentlich<br />
vorgetragenen Strategie. <strong>Apple</strong> kündigte nur wenig an, stattdessen lieferte das Unternehmen<br />
ein modernes, zukunftsorientiertes Betriebssystem, ohne Entwickler und Anwender allein zu<br />
lassen.<br />
Der Technologie-Kritiker John Siracusa schrieb in seinem erschöpfenden Bericht über Snow<br />
Leopard 31:<br />
“Creating an operating system is as much a social exercise as a technological one.<br />
Creating a platform, even more so. All of Snow Leopard's considerable technical<br />
achievements are not just designed to benefit users; they're also intended to goad,<br />
persuade, and otherwise herd developers in the direction that <strong>Apple</strong> feels will be most<br />
beneficial for the future of the platform.”<br />
Jetzt befindet sich Mac OS X am Beginn der nächsten Evolution. Diesmal geht es in Richtung<br />
64-Bit. Diesmal wird es leichter. Denn eines kann Mac OS X nicht. Es kann nicht au(ören,<br />
sich weiter zu entwickeln.<br />
<strong>Wie</strong> sagte es Steve Jobs 2005 als er den Prozessorwechsel auf Intel ankündigte? “<strong>Apple</strong> can do<br />
transitions!”<br />
5. Ende der Kindheit: Mac OS X 10.4 bis 10.6<br />
31 http://arstechnica.com/apple/reviews/2009/08/mac-os-x-10-6.ars/23 abgerufen am 8.<br />
September 2009 um 1:51 Uhr.<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 93
K APITELZUSAMMENFASSUNG<br />
<strong>Apple</strong> konsolidierte seine neuen <strong>Technologien</strong> in Mac OS X 10.4 bis 10.6. Nach und nach<br />
wurden alte <strong>Technologien</strong> durch neue, leistungsfähigere Entwicklungen ersetzt. Anfangs waren<br />
mit QuickDraw und QuickTime nur kleine Teile des Systems betroffen. Allmählich<br />
verschwand aber “Classic” und damit die Rückwärtskompatibilität zu Mac OS Classic. Auch<br />
die Übergangsbibliothek Carbon wurde eingefroren, 64-Bit-Anwendungen lassen sich nur noch<br />
mit Cocoa entwickeln, jener API, die unter NextStep konzipiert wurde.<br />
5. Ende der Kindheit: Mac OS X 10.4 bis 10.6<br />
Am Ende der Entwicklung steht Mac OS X 10.6 Snow Leopard, das nur noch auf Intel-<br />
Rechnern läuft und sämtliche alten <strong>Apple</strong>-<strong>Technologien</strong> hinter sich gelassen hat.<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 94
6. Lichtstrahlen in der Wüstenei<br />
“Und dann hört sie irgendwo hinter sich das Geräusch eines Hubschraubers, und als sie sich umdreht,<br />
sieht sie den langen weißen Lichtstrahl über den toten Boden schwenken, sieht ihn näher kommen<br />
wie ein vor Einsamkeit verrückt gewordener Leuchtturm, sieht ihn die Wüstenei absuchen, so<br />
töricht, so aufs Geratewohl wie nur je ein kummervo&es Herz.”<br />
William Gibson, “Mustererkennung”<br />
Wenn ein Computer ein kleines Universum für sich darstellt, dann steuert das Betriebssystem<br />
seine Naturgesetze. Jede grundlegende Änderung dieser Gesetze führt zum Bruch. <strong>Apple</strong><br />
sorgte in vielen Schritten dafür, dass der Umstieg zu Mac OS X nicht zum diesem Bruch führte.<br />
Das Betriebssystem hat seine lange Reise im sicheren Hafen des Intel-Prozessors unbeschadet<br />
abgeschlossen. Als NextStep auf Motorola geboren, auf Intel optimiert, stellte sich das<br />
Betriebssystem im neuen Gewand als Mac OS X auf dem PowerPC-Prozessor vor. Doch erst<br />
auf den Intel-Prozessoren, zeigt es, was es wirklich kann.<br />
Dieses letzte Kapitel fasst im Lichte des bisher beschriebenen meine Argumentation<br />
zusammen und stellt einen Forschungsausblick vor.<br />
I M N ACHHINEIN SIEHT ALLES LOGISCH AUS<br />
Ob <strong>Apple</strong> wirklich <strong>von</strong> Anfang an vor hatte, <strong>von</strong> PowerPC-Prozessoren auf Chips <strong>von</strong> Intel<br />
umzusteigen, wissen natürlich nur die an der Entscheidung beteiligten Personen. Allerdings<br />
habe ich in dieser Arbeit folgende Indizienkette gefunden, die sehr wohl auf deisen Schluss<br />
kommt.<br />
Im Folgenden finden Sie die Zusammenfassung meiner Argumentation:<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 95
1996<br />
Bevor <strong>Apple</strong> <strong>NeXT</strong> kauft, gibt es keine Version <strong>von</strong> <strong>NeXT</strong>Step, die auf PowerPC-<br />
Prozessoren läuft. Das Betriebssystem wurde ursprünglich für Motorola 68k-<br />
Prozessoren entwickelt und wird im Laufe der Zeit auf die Plattformen <strong>von</strong> Intel, SUN<br />
SPARC und DEC Alpha portiert.<br />
1998<br />
Die erste Entwicklerversion des auf PowerPC portierten Betriebssystems Codename<br />
Rhapsody als auch Mac OS X-Server zeigen noch in der Entwicklungsumgebung die<br />
Option, Programmcode für Intel-Prozessoren zu kompilieren. Allerdings stellt <strong>Apple</strong> zu<br />
diesem Zeitpunkt keine Intel-Systeme her.<br />
Bereits in diesem frühen Stadium zeichnet sich ab, dass die großen und mächtigen<br />
Dritt-Entwickler Microsoft (Office), Adobe (Photoshop, Illustrator) und Macromedia 32<br />
(Flash, Freehand, Fireworks) nicht bereit sind, ihren bestehenden Programmcode<br />
sowohl auf ein neues Betriebssystem als auch auf eine neue Prozessorarchitektur zu<br />
portieren. Allerdings ist <strong>Apple</strong> <strong>von</strong> den Produkten dieser Entwickler abhängig und kann<br />
es sich in Anbetracht des eigenen immer kleiner werdenden Marktanteils nicht leisten,<br />
die großen Softwarezulieferer zu verärgern.<br />
1999<br />
Als Übergangslösung stellt <strong>Apple</strong> für das “alte” Mac OS 9 (Mac OS “Classic”) die so<br />
genannte Carbon API-Bibliothek vor. Diese besteht aus einem Amalgam der gewohnten<br />
Entwicklerbibliotheken (API), die in den alten Versionen <strong>von</strong> Mac OS zur Verfügung<br />
stehen und der neuen Funktionen, die Mac OS X noch bieten würde.<br />
Software, die an diese API angepasst oder überhaupt zur Gänze mithilfe dieser API<br />
entwickelt wird, kann sowohl unter Mac OS Classic als auch unter dem zu diesem<br />
Zeitpunkt noch nicht veröffentlichten Mac OS X laufen.<br />
6. Resümee: Lichtstrahlen in der Wüstenei<br />
32 Das damals noch ein eigenständige Unternehmen Macromedia wurde 2005 <strong>von</strong> Adobe<br />
übernommen.<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 96
2001<br />
<strong>Apple</strong>s Zulieferer Motorola und IBM kommen im Wettrennen um<br />
Prozessorgeschwindigkeiten mit den Konkurrenten Intel und AMD nicht mit. Zwar<br />
schraubt gerade Intel die Taktrate bloß künstlich hoch, um einen höheren Kennwert an<br />
Konsumenten zu verkaufen, doch die große Leistungsüberlegenheit, die <strong>Apple</strong> in den<br />
90er-Jahren genießen konnte, schwindet.<br />
<strong>Apple</strong> ist aber aufgrund der PowerPC-Prozessorarchitektur an diese Lieferanten<br />
gebunden.<br />
In diesem Jahr stellt <strong>Apple</strong> die erste Konsumentenversion <strong>von</strong> Mac OS X vor.<br />
2002<br />
Erste Gerüchte über ein Projekt mit dem Codenamen Marklar kursieren. Hierbei soll<br />
<strong>Apple</strong> Mac OS X sowohl für PowerPC-Prozessoren als auch für Intel-Chips entwickeln.<br />
H ERBST 2003<br />
Bei der Vorstellung des G5-Prozessors, der mit 2 GHz getaktet ist, verspricht Steve<br />
Jobs, dass die Mac-Plattform innerhalb eines Jahres auf eine Taktrate <strong>von</strong> 3 GHz<br />
kommen werde. Der G5 zeichnet sich zu diesem Zeitpunkt zwar als sehr<br />
leistungsfähiger Chip aus, aufgrund seiner hohen Betriebstemperatur ist er aber für den<br />
Einbau in Notebooks ungeeignet.<br />
<strong>Apple</strong> erwirtschaftet im Jahr 2003 die Hälfte des Umsatzes mit Notebooks, die über<br />
den veralteten G4-Prozessor verfügen.<br />
W INTER 2003<br />
<strong>Apple</strong> stellte mit der Zero-Config-Netzwerktechnk namens Rendezvous 33, die erste Mac<br />
OS X-Technologie für Windows (und somit für Intel-Prozssoren) bereit. Im selben Jahr<br />
bringt <strong>Apple</strong> eine Windows/Intel-Version des Musikverwaltumgsprogramms iTunes<br />
heraus.<br />
33 Später aus rechtlichen Gründen in “Bonjour” umbenannt.<br />
6. Resümee: Lichtstrahlen in der Wüstenei<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 97
Die Leichtigkeit und Geschwindigkeit dieser Portierungen lassen erahnen, dass bereits<br />
einige Teile des Mac OS X-Frameworks auf Intel-Rechnern laufen.<br />
F RÜHJAHR 2004<br />
<strong>Apple</strong> stellt mit Mac OS X 10.4 Tiger die erste Version des Betriebssystems vor, die über<br />
eine vorläufig endgültige API verfügt (d.h. das Unternehmen werde keine gravierenden<br />
internen Änderungen durchführen), womit Entwicklern eine Sicherheit gegeben wird,<br />
dass an Tiger angepasste Software in Zukunft auf neuen Versionen des Betriebssystems<br />
ohne Anpassungen laufen werde. Zudem wurde mit der neuen Version <strong>von</strong> Quicktime<br />
die letzte verbleibende aus dem Classic-Zeitalter übernommene Technologie komplett<br />
neu geschrieben.<br />
Zwar wird das alte QuickDraw noch unterstützt, jedoch betont <strong>Apple</strong> in seinen<br />
Entwicklerunterlagen ausdrücklich, dass diese veraltete ("deprecated") Technologie<br />
nicht mehr weiterentwickelt werde. Dies wird noch stärker unterstrichen, weil die OS<br />
X-eigenen Grafik-Frameworks Core Graphics und Quartz Extreme um ein Vielfaches<br />
schneller sind.<br />
S OMMER 2004<br />
<strong>Apple</strong> dementiert sämtliche Intel-Gerüchte. <strong>Apple</strong>-Astrologen 34 halten diese Dementi<br />
für ungewöhnlich, denn das Unternehmen dementiert sonst niemals bei unwahren<br />
Gerüchten. Bisher hat auch nie ein anderes Unternehmen ein Betriebssystem auf zwei<br />
völlig unterschiedlichen Prozessoren entwickelt, ohne daraus Kapital zu schlagen (d.h.<br />
es zum Verkauf anzubieten). 35<br />
6. Resümee: Lichtstrahlen in der Wüstenei<br />
34 In Anlehnung an “Kreml-Astrologen”, die anhand äußerer Anzeichen auf die inneren<br />
Vorgänge im Sitz der russischen Regierung schließen.<br />
35 Ein Jahr später gibt <strong>Apple</strong> zu, dass dies wahr ist. Das Projekt Marklar war in einem<br />
abgeschotteten Block auf dem Unternehmensgelände nur mit der Parallel-Entwicklung des<br />
Systems beschäftigt.<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 98
Im Übrigen gelingt es <strong>Apple</strong> nie einen 3 GHz PowerMac auf den Markt zu bringen, weil<br />
IBM das Versprechen, den G5 mit dieser Taktrate auszuliefern, nicht wahr macht 36.<br />
S OMMER 2005<br />
Der Prozessorwechsel wird angekündigt. <strong>Apple</strong> verlautbart, dass das Unternehmen der<br />
PowerPC-Prozessorbaureihe den Rücken zukehrt und ab 2006 die ersten neuen Geräte<br />
vorstellen wolle.<br />
Am Tag der Ankündigung stellt das Unternehmen anwesenden Entwicklern Intel-Macs<br />
zur Verfügung mit einer voll lauffähigen und erstaunlich flotten (d.h. optimierten)<br />
Version des Betriebssystemms. Bestehende Software, die unter Cocoa entwickelt wurde,<br />
müsse nur neu kompiliert werden, um das System optimal auszunützen. Die aus dem<br />
Jahre 1999 bekannte Option, Code für Intel zu kompilieren steht in den Entwickler-<br />
Tools wieder zur Verfügung.<br />
H ERBST 2007<br />
<strong>Apple</strong> stellt mit der Filmschnittsoftware iMovie 08 die erste Applikation vor, die auf<br />
PowerPC-Macs gar nicht läuft. Dies ist nur der Anfang, denn ein Jahr später laufen<br />
bestimmte Features des Musikprogramms GarageBand nicht auf PowerPC-Rechnern.<br />
H ERBST 2008<br />
Mit Mac OS X 10.5 Leopard stellt <strong>Apple</strong> die Unterstützung <strong>von</strong> Mac OS Classic-<br />
Anwendungen auch auf PowerPC-Macs ein. Alte Programme aus der Ära vor Mac OS<br />
X laufen nicht mehr.<br />
6. Resümee: Lichtstrahlen in der Wüstenei<br />
36 Genau genommen gelingt es IBM im Jahr 2005 den Ce&-Prozessor für Microsofts XBox 360<br />
und Sonys Playstation mit dieser Taktfrequenz herzustellen, dieser ist aber nicht voll<br />
kompatibel zum G5. Zudem ist der Cell in vielerlei Hinsicht zu sehr eingeschränkt, um in<br />
einem “richtigen” Computer - also keiner Videospiel-Konsole - eingesetzt zu werden.<br />
2007 stellt IBM den POWER6-Prozessor vor, der zum Zeitpunkt seiner Vorstellung über 3,5<br />
GHz verfügt (2008 bringt IBM sogar ein 5 GHz-Modell heraus). Dieser für den Server- und<br />
Workstation entwickelte und mit Wasser gekühlte Prozessor verbraucht allerdings zu viel<br />
Strom, um in herkömmliche Desktop-PCs, geschweige denn in Notebooks verbaut zu werden.<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 99
F RÜHJAHR 2009<br />
<strong>Apple</strong> gibt der Carbon-API den Status "deprecated". Somit wird Carbon nicht mehr<br />
weiterentwickelt, nunmehr ist Cocoa die einzige zukunftsträchtige API unter Mac OS<br />
X. Unter anderem können 64-Bit-Applikationen nur unter Cocoa entwickelt werden.<br />
Zu diesem Zeitpunkt liefert <strong>Apple</strong> nur noch Macs und MacBooks aus, in denen 64-Bit-<br />
Prozessoren verbaut sind.<br />
Zur Erinnerung: Carbon wurde als "Kind beider Welten" (Mac OS Classic und OS X)<br />
eingeführt, um den damaligen Umstieg zu erleichtern.<br />
S OMMER 2009<br />
<strong>Apple</strong> kündigt an, dass die neue Version Mac OS X 10.6 Snow Leopard nicht auf<br />
PowerPC-Prozessoren laufen werde, obwohl das Unternehmen drei Jahre zuvor mit<br />
dem PowerMac G5 noch ebensolche Geräte verkauft hat.<br />
H ERBST 2009<br />
<strong>Apple</strong> stellt Mac OS X 10.6 Snow Leopard nur für Macs mit Intel-Prozessor vor.<br />
Diese Version des Betriebssystems enthält keine <strong>Technologien</strong>, die vor der Übernahme<br />
im Jahre 1996 bei <strong>Apple</strong> in Verwendung waren. Es enthält keine Mac Toolbox und ein<br />
völlig neues Quicktime. Bloß optional abru'are bis zur Versteinerung eingefrorene<br />
Versionen <strong>von</strong> QuickDraw und dem alten QuickTime sind integriert, um die wenigen<br />
OS X-Applikation laufen zu lassen, die sie benötigen.<br />
Somit hat <strong>Apple</strong> die letzte große Betriebssystem- und Prozessor-Transition <strong>von</strong> 1997 bis 2009<br />
vollzogen. Dabei gelang es dem Unternehmen, ohne die Unterstützung der großen<br />
Drittanbieter zu verlieren noch die Anwender zu verärgern, auf eine völlig neue<br />
Prozessorarchitektur und eine komplett andere Betriebssystem- und Prozessor-Basis<br />
umzusteigen.<br />
Dieser nur zum Teil reibungslose Umstieg gelang durch Geduld, langfristige strategische<br />
Planung und eine gehörige Portion "reality distortion". Nur so konnten Entwickler und User<br />
über ein Jahrzehnt bei Laune gehalten werden.<br />
6. Resümee: Lichtstrahlen in der Wüstenei<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 100
A LTERNATIVE W IRKLICHKEITEN<br />
Die in dieser Arbeit angeführten Schlussfolgerungen sind natürlich hermeneutischer Natur. Sie<br />
sind rein interpretativ. Dadurch entsteht eine Unschärfe, die ich durch meine nachvollziehbare<br />
Argumentation zu minimieren versuchte. Trotzdem lässt die Geschichte <strong>von</strong> Mac OS X auf<br />
Intel-Rechnern noch weitere Interpretationsmöglichkeiten zu, die nicht zwingend zum Schluss<br />
führen, dass <strong>Apple</strong> seitdem sich der Staub der <strong>NeXT</strong>-Akquisition legte, geplant hatte, auf<br />
Intel-Prozessoren umzusteigen.<br />
D IE S UCHE NACH EINEM NEUEN B ETRIEBSSYSTEM<br />
<strong>Apple</strong>s zahlreiche gescheiterten Versuche, einen Nachfolger für das klassische Mac OS zu<br />
finden, zeigen, dass die Tage <strong>von</strong> Mac OS Classic seit den frühen Neunziger Jahren gezählt<br />
waren. Vor allem die veraltete technische Basis lässt sich objektiv nachweisen (siehe 3. Der<br />
Nexus a&er Wirklichkeiten: Das Betriebssystem).<br />
Drei mögliche Strategien, einen Nachfolger zu finden, standen <strong>Apple</strong> zur Auswahl:<br />
1. E INE KOMPLETTE N EUENTWICKLUNG AUS EIGENER K RAFT<br />
Die gescheiterten Eigenentwicklungen Taligent und Copland zeigen, dass <strong>Apple</strong>s damalige<br />
Strukturen mit der entscheidungsschwachen Geschäftsleitung 37, zersplitterten<br />
Entwicklergruppen 38 und breit gefächertem Geschäftsfeld 39 eine Entwicklung aus eigener<br />
Kraft nicht erlaubten.<br />
6. Resümee: Lichtstrahlen in der Wüstenei<br />
<strong>Apple</strong> war ein erfahrener Betriebssystemhersteller. Seine Software-Ingenieure hatten allein für<br />
die <strong>Apple</strong> II und III-Reihe vier verschiedene Betriebssysteme entwickelt (<strong>Apple</strong> DOS,<br />
ProDOS, <strong>Apple</strong> IIGS-OS und das leider etwas ungünstig benannte SOS - Sophisticated<br />
Operating System). Der <strong>Apple</strong> Lisa verfügte wieder über ein eigenes System. Der Mac erlebte<br />
37 Vor allem unter Amelio-Vorgänger Michael "Diesel" Spindler<br />
38 Das “alte” Mac OS Classic, Taligent - die Joint-Venture mit IBM, das “neue” aber nie<br />
verwirklichte Copland und die komplette Neuentwicklung Newton<br />
39 <strong>Apple</strong> entwickelte damals alles <strong>von</strong> Office-Software (z.B. <strong>Apple</strong>Works für Mac und Windows)<br />
über Laserdrucker und Handhelds bis hin zu Digitalkameras - das Unternehmen versuchte sich<br />
sogar mit dem <strong>Apple</strong> Pippin am Videospielemarkt.<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 101
in der Zeit vor der Rückkehr <strong>von</strong> Steve Jobs sieben große Betriebssystemsprünge, einen<br />
Prozessorwechsel und sogar eine <strong>Apple</strong>-eigene Unix-Variante.<br />
<strong>Apple</strong>s Schwierigkeit, aus eigener Kraft ein neues Betriebssystem zu entwickeln, zeigt<br />
eindeutig, wie schwierig es ist in einer umkämpften Situation mit schwindendem Marktanteil<br />
und großer Abhängigkeit <strong>von</strong> Drittherstellern einen Systemwechsel durchzuführen.<br />
Vielleicht bedurfte es erst der Überzeugungskraft <strong>von</strong> Steve Jobs, sowohl Entwickler als auch<br />
Anwender vom Wechsel zu überzeugen, so dass sie an eine Neuerung glauben könne.<br />
2. E IN BESTEHENDES FREMDES B ETRIEBSSYSTEM LIZENSIEREN<br />
Die Möglichkeit, Windows NT zu lizensieren und mit einer <strong>Apple</strong>-eigenen Oberfläche zu<br />
versehen, stand als eindeutig mögliche Entscheidung im Raum. Dies hätte aber nicht nur dazu<br />
geführt, dass <strong>Apple</strong> auf einen möglicherweise unzuverlässigen Partners angewiesen gewesen<br />
wäre 40, vielmehr <strong>Apple</strong> hätte das verloren, was seine Computer <strong>von</strong> anderen unterscheidet: die<br />
enge Integration zwischen der Hardware und dem Betriebssystem.<br />
3. D ER T ECHNOLOGIEZUKAUF<br />
6. Resümee: Lichtstrahlen in der Wüstenei<br />
<strong>Apple</strong> wählte die dritte Variante und kaufte sich ein fertiges Betriebssystem mit den<br />
dazugehörigen Softwareentwicklern zu. So konnte es auf hohem Niveau Anpassungen<br />
vornehmen. Die Alternative zu NextStep war BeOS. Es gehört wohl zu den großen “Was wäre<br />
wenn”-Szenarien, was passiert wäre, wenn <strong>Apple</strong> doch dem Plan Be nachgegangen wäre.<br />
Mit BeOS hätte der Mac in wesentlich kürzerer Zeit ein neues Betriebssystem erhalten. Einige<br />
der Features <strong>von</strong> BeOS sind auch unter Mac OS X noch nicht implementiert. Es verfügte über<br />
40 Die Geschichte zeigt, dass Microsoft ein unzuverlässiger Partner ist z.B. die<br />
Lizenzvereinbarung mit IBM, die es erlaubte MS-DOS auch an Konkurrenten zu vertreiben;<br />
die Zusammenarbeit mit IBM in der Entwicklung <strong>von</strong> OS/2, die <strong>von</strong> Microsoft aufgekündigt<br />
wurde, nachdem sich das eigene Windows 95 als großer Erfolg erwies; die unterschiedlichen<br />
Iterationen <strong>von</strong> Windows Mobile (Windows CE, Palm-sized PC, Pocket PC, Windows Mobile<br />
Professional), bei denen Microsoft die Entwicklung vorgab und auch verzögerte; die MP3-<br />
Player-Plattform “Plays For Sure”, für die Microsoft eigene DRM (Digital Rights<br />
Management)-Server bereitstellte, die nun abgedreht wurden, nachdem Microsoft den<br />
inkompatiblen Zune-Player herausbrachte und somit seine eigenen Partner im Regen stehen<br />
ließ (Pressestimmen: “Plays for sure, plays no more!”).<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 102
ein leistungsfähiges <strong>von</strong> einer Datenbank gestütztes Dateisystem, verfügte <strong>von</strong> Haus aus über<br />
eine ausgeklügelte Multithreading-Architektur und war in wesentlich höherem Maß für die<br />
PowerPC-Prozessorreihe optimiert als dies Mac OS (inklusive Mac OS X) jemals war.<br />
Zudem hätte das Unternehmen mit der Rückkehr des anderen ehemaligen <strong>Apple</strong>-Executive<br />
Jean-Louis Gassée eine ebenfalls publikumswirksame Galeonsfigur zurückerhalten. Allerdings<br />
reicht Gassées Strahlkraft an jene <strong>von</strong> Steve Jobs nicht heran.<br />
Welche andere Alternativen auf der Betriebssystem-Arena standen damals zur Auswahl?<br />
Das <strong>von</strong> Acorn entwicklete RISC-OS war zwar leistungsfähig genug, verfügte aber weder über<br />
die gewünschte Netzwerk/Server-Fähigkeit noch über präemptives Multitasking. Die Situation<br />
gestaltete sich ähnlich beim bereits auf PowerPC-Prozessoren laufenden AmigaDOS <strong>von</strong><br />
Commodore. Verkompliziert wurde die Lage durch die nach dem Konkurs Commodores<br />
unklaren Besitzverhältnisse.<br />
Auch GEM (Graphical Environment Manager) <strong>von</strong> Digital Research wirkte zwar sehr viel<br />
versprechend, bot aber nicht allzu viel mehr als das klassische Mac OS.<br />
OS/2 <strong>von</strong> IBM entsprach genau den Vorstellungen der <strong>Apple</strong>-Geschäftsleitung. Anfang der<br />
90er-Jahre befand sich sogar eine Version für PowerPC in Entwicklung. Doch einerseits war<br />
nach dem Start <strong>von</strong> Windows 95 auch OS/2 in der Defensive, andererseits wollte IBM sein<br />
System niemandem verkaufen, sondern höchstens in Lizenz anbieten (wobei wir wieder bei<br />
Variante 2 wären).<br />
Linux war in der ersten Hälfte der 90er-Jahre noch keine Option. Linus Torwalds hatte 1991<br />
den ersten Source Code und das dazugehörige legendäre Mailbox-Posting veröffentlicht, das<br />
die OpenSource-Community um das System formierte. Es dauerte noch einige Jahre, bis Linux<br />
den Leistungsumfang eines vollständigen mit einer GUI-versehenen Betriebssystems erlangte.<br />
In Anbetracht dieser Situation war <strong>Apple</strong>s Entscheidung, <strong>NeXT</strong> zu übernehmen auch aus<br />
damaliger Sicht vollkommen richtig.<br />
6. Resümee: Lichtstrahlen in der Wüstenei<br />
In dieser Arbeit ist es mit nicht gelungen, lückenlos zu beweisen, dass <strong>Apple</strong> <strong>von</strong> Anfang an<br />
vorgehabt hatte, <strong>von</strong> PowerPC auf Intel-Prozessoren umzusteigen. Könnte es sein, dass <strong>Apple</strong><br />
erst zu einem späteren Zeitpunkt und nicht <strong>von</strong> Anfang an, den Plan formulierte, auf Intel<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 103
umzusteigen? Das ist gut möglich. Doch dieser Zeitpunkt war früh genug im Reifeprozess <strong>von</strong><br />
Mac OS X angesetzt.<br />
D AS GROSSE P ROZESSORSTERBEN<br />
Ein Argument, das für meine These spricht, ist die geringe Vielfalt auf dem eigentlichen<br />
Prozessormarkt.<br />
In den frühen 90er-Jahren tummelten sich ein halbes Dutzend verschiedener<br />
Prozessorarchitekturen auf dem Weltmarkt, die um einiges leistungsfähiger waren als die<br />
damals noch veraltete Architektur <strong>von</strong> Intel (z.B. Alpha <strong>von</strong> DEC, SPARC <strong>von</strong> SUN, ARM <strong>von</strong><br />
Acorn, PowerPC <strong>von</strong> IBM, <strong>Apple</strong> und Motorola, 68k <strong>von</strong> Motorola). Ende der 90er-Jahre gab es<br />
nur noch Intel, AMD und die PowerPC-Plattform. Intel und AMD lieferten im Grunde<br />
genommen die selbe Architektur mit nur geringen Unterschieden aus.<br />
Erst als Intel unter dem Preis- und Leistungsdruck <strong>von</strong> AMD mit der Centrino-Plattform<br />
seine aufgeblasenen Pentium-Prozessoren entschlackte und auf eine moderne Basis stellte,<br />
wurden sie zu einem ernstzunehmenden Konkurrenten für die teuren und leistungsfähigen<br />
Alternativen <strong>von</strong> SUN und DEC.<br />
Als Intel 2005 auch noch begann Prozessoren mit mehreren Kernen herauszubringen (Core<br />
Duo) und diese in einer 64-Bit-Variante anbot (Core 2 Duo) war es klar, dass der größte<br />
Prozessorhersteller der Welt nicht ohne Grund diese Position für sich beanspruchen konnte.<br />
Als Intel seine Core-Reihe vorstellte, öffnete sich für <strong>Apple</strong> ein “window of opportunity”, den<br />
Wechsel zu wagen 41.<br />
D IE W AHRHEIT IST DORT DRAUSSEN<br />
6. Resümee: Lichtstrahlen in der Wüstenei<br />
Es reicht nicht, wie Fox Mulder aus “Akte X”, nur daran zu glauben, dass die Wahrheit “dort<br />
draußen” liegt. Vor allem historische Wahrheit ist in höchstem Maße interpretativ. Wenn die<br />
Fakten vor einem liegen, kann man sie wie ein Puzzle, in dem die Stückchen ständig ihre Form<br />
verändern, in immer anderen Konstellationen zusammensetzen. Das Gesamtbild mag sich<br />
zwar nicht allzu sehr verändern, das Detail kann aber immer auch anders ausgelegt werden.<br />
41 An dieser stelle hätte ich gerne einen Wortwitz zu “window of opportunity” und Microsoft<br />
Windows gemacht, allerdings kann ich die Einzahl des einen nicht mit der Mehrzahl des<br />
anderen vereinbaren. Deshalb bitte ich den Leser, sich einen eigenen Witz auszudenken.<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 104
Während der Entstehung dieser Arbeit war ich oft mit der Frage konfrontiert, ob meine<br />
forschungsleitende Frage “war <strong>Apple</strong>s Umstieg <strong>von</strong> der PowerPC- auf die Intel-Architektur <strong>von</strong><br />
Anfang der Mac OS X-Entwicklung geplant?” nicht das Ergebnis der Arbeit beeinflusste und<br />
meine Schlussfolgerung deshalb verzerrt wären.<br />
Unter dem schweren Schatten dieser möglichen Befangenheit habe ich die Fakten meiner<br />
Arbeit auch nach anderen Interpretationsmöglichkeiten durchsucht. Anders als erwartet, hat<br />
mich das nicht verunsichert, sondern nur in meinem Resultat bestärkt.<br />
K APITELZUSAMMENFASSUNG<br />
Als <strong>Apple</strong> <strong>NeXT</strong> übernahm, lief NextStep auf Intel-Prozessoren. Die erste Version <strong>von</strong><br />
NextStep auf <strong>Apple</strong>s PowerPC-Architektur wurde 1999 als Mac OS X Server 1.0 vorgestellt.<br />
Die erste richtige Version des Systems, die wir auch heute als solche erkennen würden, kam<br />
2001 als Mac OS X 10.0 heraus.<br />
Mit jeder Version des Betriebssystems ersetzte <strong>Apple</strong> immer mehr alte <strong>Technologien</strong>.<br />
Dazwischen brachte das Unternehmen Software für Windows heraus, die erahnen ließ, dass<br />
Teile <strong>von</strong> Mac OS X problemlos auf Intel-Rechnern laufen konnten.<br />
Mac OS 10.4 Tiger (erst ab 2006) war die erste Version des Systems, die auch auf Intel lief. Mit<br />
Mac OS X 10.6 stellte <strong>Apple</strong> eine reine Intel-Version vor, womit der lange geplante Umstieg<br />
vollzogen war.<br />
Alternative Auslegungen des Prozessor-Umstiegs sind grundsätzlich denkbar aber<br />
unwahrscheinlich.<br />
6. Resümee: Lichtstrahlen in der Wüstenei<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 105
Ausblick: The Future, the final Frontier<br />
“Engineers are a& basica&y high-functioning autistics who have no idea how normal people do stuff.”<br />
Cory Doctorow, amerikanischer Science Fiction Schriftsteller und Technologie-Journalist<br />
Dies ist das Ende meiner technologie-geschichtlich geprägten Arbeit. Die Geschichte selbst ist<br />
aber noch lange nicht zu Ende.<br />
In einem anderen Zusammenhang schrieb der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama in<br />
seinem Buch "The End of History and the Last Man" (1992), der Zusammenbruch des<br />
realexistierenden Sozialismus im Ostblock sei das Ende der Geschichte. In Anlehnung an Marx<br />
und Hegel stellte Fukuyama den Anspruch, dass dieser Zusammenbruch eine letzte Synthese<br />
darstellt, bei der es keine weltpolitischen Widersprüche mehr gibt und somit die großen<br />
geschichtlichen Umbrüche ihr Ende gefunden haben 42.<br />
Doch Technologie prägt die Weltgeschichte und technologische Entwicklungen werden<br />
ihrerseits <strong>von</strong> weltgeschichtlichem Geschehen geprägt, begünstigt oder sogar verhindert.<br />
S PRUNG VORWÄRTS, T ECHNIK!<br />
Der englische Mathematiker und Erfinder Charles Babbage entwickelte im 19. Jahrhundert auf<br />
der Höhe des British Empire den mechanischen Rechner “Differenzmaschine”, in der einige<br />
Grundprinzipien der heutigen EDV etabliert wurden. Er entwarf auch die "Analytical Engine",<br />
musste aber mit der Konstruktion an den materiellen und werkmännischen Einschränkungen<br />
der damaligen Epoche scheitern.<br />
All diese Versuche konnten nur durch die ökonomische Macht und Redundanz an Ressourcen<br />
des British Empire unternommen werden. Nach heutigem Geldwert hat allein der gescheiterte<br />
Versuch, die Differenzmaschine No.2 zu konstruieren, so viel gekostet wie das “Manhattan<br />
42 Fukuyamas These wurde natürlich lange vor dem 11. September 2001 aufgestellt.<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 106
Project”, das im Zweiten Weltkrieg zur Entwicklung der Atombombe führte. (Frank Hartmann:<br />
"Globale Medienkultur: Technik, Geschichte, Theorien"; WUV UTB, <strong>Wie</strong>n 2006)<br />
Im beginnenden 20. Jahrhundert ermöglichte es die Ausbreitung der maschinellen<br />
Datenverarbeitung 43 durch die Erfindungen <strong>von</strong> Hermann Hollerith und später durch die<br />
kommerzielle Weiterentwicklung durch IBM, Staaten die genaue Erfassung und Auswertung<br />
der eigenen Bevölkerung nach Alter, Religion, Beruf und weiteren Kriterien. Erst diese<br />
technischen Möglichkeiten erlaubten es Nazi-Deutschland eine lückenlose Einberufung der<br />
Männer in die Wehrmacht und SS, aber auch die genaue Identifizierung der jüdischen<br />
Bevölkerung, um sie der industriellen Vernichtung bei zu führen. (Edwin Black: “IBM and the<br />
Holocaust: The Strategic Alliance Between Nazi Germany and America's Most Powerful<br />
Corporation”; Three Rivers Press, New York 2002)<br />
Es ist das Wechselspiel zwischen der Verfügbarkeit <strong>von</strong> Technik und der <strong>von</strong> Staaten<br />
bereitgestellten finanziellen Mittel, die den Fortschritt vorangetrieben haben. Kriege als die<br />
allergrößten geschichtlichen Einschnitte treiben Technologie am stärksten voran.<br />
Die Arbeit der Kryptologen im englischen Bletchley-Park zur Entschlüsselung der kodierten<br />
Funkübertragungen der Achsenmächte führte zur Entstehung <strong>von</strong> “Colossus”. Alan Turing und<br />
Max Newman konnten diese Maschine nur deshalb entwickeln, weil in Kriegen, Geldmittel für<br />
Technologie zur Verfügung stehen, die in Friedenszeiten in dieser gebündelten Form nicht<br />
bereit stehen. (Steven Levy: "Crypto: How the Cose Breakers Beat the Government--Saving<br />
Privacy in the Digital Age: Keepers of Secrecy, Warriors of Privacy and Celebrants of Anarchy<br />
in the New Code War"; Viking Adult, New York, 2001)<br />
7. Ausblick: The Future, the final Frontier<br />
Es hängt stark <strong>von</strong> der jeweiligen Quelle ab, wer den ersten Computer erfand. Großbritannien<br />
beansprucht sowohl den Entwurf der “Analytical Engine” <strong>von</strong> Babbage (1837 erstmals<br />
beschrieben), als auch Turings “Colossus” (1943) als ersten Computer. Deutschland betrachtet<br />
43 Die maschinelle Datenverarbeitung entspricht nur in ihren Grundzügen der heutigen<br />
elektronischen Datenverarbeitung. Die Hollerith-Lochkartenanlagen konnten zwar keine<br />
Berechnungen anstellen, sehr wohl aber große Mengen an standardisierten Daten sortieren<br />
und auch Abfragen ausgeben (z.B. alle linkshändigen Elektriker im Alter <strong>von</strong> 20 Jahren im<br />
Raum Baden-Württemberg).<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 107
den “Z3” <strong>von</strong> Konrad Zuse (1943) als ersten elektronischen Rechner 44. Die USA erkennt erst<br />
“ENIAC” (1944) <strong>von</strong> J. Presper Eckert und John W. Mauchly als ersten Computer an 45. (Frank<br />
Hartmann: "Globale Medienkultur: Technik, Geschichte, Theorien"; WUV UTB, <strong>Wie</strong>n 2006)<br />
Tatsächlich sind all diese vermeintlichen “Ersterfindungen” <strong>von</strong> der jeweiligen Definition des<br />
Computers abhängig 46. Wenn wir den Computer als elektronische Maschine mit eigener<br />
binärer Recheneinheit, Speicher und Ein/Ausgabeschnittstelle definieren, fällt jede dieser<br />
historischen Entwicklungen aus dem Rahmen. Allerdings ist noch lange nicht gesagt, dass sich<br />
diese Definition nicht in Zukunft ändern wird.<br />
Auch Entwicklungen, die für uns im 21. Jahrhundert als ganz gewöhnlich und eindeutig nicht<br />
militärisch betrachtet werden, finden ihre Wurzeln im weltpolitischen Geschehen. Das<br />
Internet, GPS (Global Positioning System) 47 und Mobilfunktechnologie wurden alle im<br />
militärisch finanzierten Forschungsbereich entwickelt, angetrieben durch den Rüstungwettlauf<br />
im Kalten Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion 48.<br />
Ein Muster lässt sich erkennen: Die mächtigen kriegsführenden Nationen beeinflussen den<br />
technologischen Fortschritt maßgeblich (z.B. das British Empire im 19. Jahrhundert, das<br />
verbrecherische Nazi-Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die vom Kalten<br />
Krieg angetriebenen USA im 20. Jahrhundert).<br />
7. Ausblick: The Future, the final Frontier<br />
44 Gerade die Arbeit <strong>von</strong> Konrad Zuse fällt hier ein wenig aus dem Rahmen, weil Zuse seine<br />
Rechner zwar in staatlichen Einrichtungen entwickelte, Nazi-Deutschland die<br />
Kriegsnotwendigkeit <strong>von</strong> “Elektronenhirnen” nicht erkannte und somit ihre Entwicklung nicht<br />
unterstützte.<br />
45 Entwickelt an der Universität <strong>von</strong> Pennsylvania, finanziert <strong>von</strong>... der US-Army!<br />
46 Lt. Frank Hartmann bezieht sich die erste Verwendung des Begriffs “Computer” nicht<br />
einmal auf eine Maschine, sondern bezeichnet menschliche Mathematiker, die in der Ballistik<br />
und im kaufmännischen Bereich große Mengen an Berechnungen händisch durchführten.<br />
47 Obwohl das Internet sich bereits lange <strong>von</strong> seinen Wurzeln im militärisch/akademischen<br />
Arpanet verabschiedet hat, ist GPS eine rein militärische Technologie, die nur kulanterweise in<br />
einer ungenaueren Form für den zivilen Nutzen zugelassen ist.<br />
48 Die USA hatten bei Elektronik, Kommunikations- und Computertechnik die Nase weit<br />
vorn. Die UDSSR war lange Zeit in der Raumfahrt und der Nukleartechnologie überlegen<br />
(trotz des späteren Reaktorunglücks in Tschernobyl).<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 108
D ER MILITÄRISCHE M AUSZEIGER<br />
Wozu dieser scheinbar unverwandte Exkurs? Hat hier meine Lust, über Technologie, Militär<br />
und geschichtlichem Journalismus zu fabulieren, die Überhand genommen? Und vor allem: was<br />
hat das a&es mit <strong>Apple</strong> zu tun?<br />
Mit dem <strong>Apple</strong> Macintosh brachte <strong>Apple</strong> die erste vom Mainstream angenommene grafische<br />
Benutzeroberfläche heraus. Diese basierte auf Entwicklungen des Unternehmens Xerox.<br />
Genau genommen wurde in der Xerox Forschungseinrichtung PARC an der Entwicklung <strong>von</strong><br />
Computer gearbeitet, die über Fenster, Menüs, Icons und der Maus bedient wurden (WIMP -<br />
Windows Icons Menus Pointing devices).<br />
Die erste Maus und die damit verbundene, damals noch primitiven Menüführung wurden aus<br />
Mitteln der ARPA (Advanced Research Project Agency 49) finanziert. Zwar lag die Maus selbst<br />
nicht im Rahmen der gewünschten Projekte, trotzdem führte Douglas Engelbart dieses<br />
neuartige Eingabegerät bereits 1968 vor 50 (Michael A. Hiltzik: “Dealers of Lightning: Xerox<br />
PARC and the Dawn of the Computer Age”; Harper Collins, New York 2000).<br />
Erst Xerox-<strong>Technologien</strong> erlaubten es <strong>Apple</strong>, Mac OS zu entwickeln. Microsoft eiferte mit<br />
Windows genau diesen Prinzipien nach. Darauf bauten die Abtrünnigen um Steve Jobs bei<br />
<strong>NeXT</strong>. <strong>NeXT</strong>-<strong>Technologien</strong> bilden den Kern <strong>von</strong> Mac OS X.<br />
Es führt ein direkter Pfad <strong>von</strong> den kalten Kriegern des US-Militärs über die neugierigen, üppig<br />
finanzierten Forscher des PARC und dem Innovationsreichtum <strong>Apple</strong>s zum kleinen<br />
Mauszeiger, der sich fleißig auf allen Computerbildschirmen der Welt bewegt.<br />
7. Ausblick: The Future, the final Frontier<br />
49 Später zu DARPA (Defence Advanced Research Project Agency) umbenannt, weil es<br />
militärischer (und wahrscheinlich auch gefährlicher) klingt.<br />
50 Diese Demonstration wird in Geek-Kreisen auch als “The Mother of All Demos” bezeichnet<br />
und ist auf YouTube noch zu sehen unter: http://www.youtube.com/watch?v=JfIgzSoTMOs<br />
(abgerufen am 3. September 2009)<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 109
Douglas Engelbart mit Maus,<br />
der Vater des “Mother of A& Demos” (Que&e: Wikipedia)<br />
D AS B ETRIEBSSYSTEM ALS H ERZ ALLER M ASCHINEN<br />
<strong>Apple</strong>s gesamtes Geschäftsmodell baut mittlerweile auf Mac OS X auf. Das Betriebssystem hat<br />
sich als derartig flexibel und anpassungsfähig erwiesen, dass es nicht nur in Desktop-Macs und<br />
Notebooks verwendet wird, sondern auch auf Servern und mobilen Geräten wie dem iPhone<br />
und dem iPod Touch.<br />
Im Gegensatz zur Konkurrenz <strong>von</strong> Microsoft läuft auf dem iPhone tatsächlich eine<br />
abgespeckte Variante <strong>von</strong> OS X. Dahingegen ist Windows Mobile <strong>von</strong> Microsoft ein anderes<br />
Betriebssystem als Windows für PCs.<br />
Entwicklungen in der iPhone-Variante <strong>von</strong> OS X (OS X Touch) werden nach und nach in die<br />
Hauptimplementierung <strong>von</strong> Mac OS X übernommen, so wie OS X Touch langsam aber sicher<br />
immer mehr Features <strong>von</strong> Haupt-OS übernimmt. So sichert sich <strong>Apple</strong> den Vorsprung.<br />
Die Stärke des Unternehmens, die <strong>von</strong> vielen Linux-Hackern allerdings als großer Nachteil<br />
betrachtet wird, ist die komplette Kontrolle, die es über das Betriebssystem ausübt. Auf dem<br />
Mac beschränkt sich die Kontrolle darauf, wie Anwendungen aussehen sollen und auf welcher<br />
Hardware das System laufen darf. Auf dem iPhone entscheidet <strong>Apple</strong> sogar darüber, welche<br />
Software veröffentlicht werden darf.<br />
Für den User ergibt sich dadurch Einheitlichkeit in Aussehen und Bedienung. Entwickler<br />
erhalten eine homogene Plattform.<br />
7. Ausblick: The Future, the final Frontier<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 110
F OSSILE IM T EER<br />
Betriebssystementwickler müssen immer wieder neue Features anbieten. Ein Betriebssystem<br />
ist ein ständiges Work-in-progress. Jeder Stillstand bedeutet eigentlich Rückschritt. Denn freie<br />
Unix-Varianten in Form <strong>von</strong> Linux nehmen mit der Zeit sämtliche Features an, die<br />
kommerzielle Betriebssysteme auch zur Verfügung stellen.<br />
In diesem Auszug aus der englischen Fassung <strong>von</strong> “In the Beginning was... the Command Line”<br />
beschreibt Neal Stephenson auf seine einzigartige Weise den Stillstand als Fossilisation.<br />
“By continuing to develop new technologies and add features onto their products they<br />
(Anm.: Betriebssystementwickler) can keep one step ahead of the fossilization process,<br />
but on certain days they must feel like mammoths caught at La Brea (Anm. der<br />
Teersumpf, in dem prähistorische Tierkadaver für die Nachwelt erhalten blieben), using<br />
all their energies to pull their feet, over and over again, out of the sucking hot tar that<br />
wants to cover and envelop them.”<br />
In der jetzigen Situation bleibt <strong>Apple</strong> nicht im Teer des Stillstandes stecken. Nicht genug, dass<br />
Mac OS X in regelmäßigen Abständen neue Upgrades erhält, auch OS X Touch auf dem iPhone<br />
wird in Halbjahresschritten aktualisiert.<br />
Leider ist das Unternehmen so geheimniskrämerisch, dass es Produkte erst dann ankündigt,<br />
wenn sie kurz vor der Fertigstellung stehen. Wir müssen alle abwarten, was die Zukunft mit<br />
sich bringt. Eines steht aber fest, es wird nervenzerfetzend interessant.<br />
F ORSCHUNGSAUSBLICK<br />
In dieser Arbeit bleiben viele Fragen unbeantwortet. So ist die Geschichte <strong>von</strong> <strong>Apple</strong> sicher<br />
noch ein ergiebiges Forschungsfeld. Auch das Verhältnis zwischen dem vermeintlichen<br />
Konkurrenten Microsoft und <strong>Apple</strong> könnte untersucht werden.<br />
Wohin soll sich Mac OS X und das herkömmliche Computerbetriebssystem entwickeln? Wenn<br />
es so schwer ist ein neues Betriebssystem zu schreiben, dann werden sämtliche Entwicklungen<br />
auf der Basis bestehender Systeme entstehen.<br />
7. Ausblick: The Future, the final Frontier<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 111
Einer jener Bereiche, die sich bereits so lange nicht mehr weiter entwickelt haben, dass wir sie<br />
einfach als gegeben hinnehmen, ist die Benutzeroberfläche. Aber auch Neues in Form der<br />
Architektur lässt sich erforschen.<br />
1. D IE EINGEFRORENE B ENUTZEROBERFLÄCHE<br />
Als Steve Jobs noch CEO <strong>von</strong> <strong>NeXT</strong> war, kritisierte er <strong>Apple</strong>s Versuche, gegen Microsoft<br />
gerichtlich vor zu gehen, weil das Unternehmen mit Windows die Benutzeroberfläche des Mac<br />
“gestohlen” haben soll. In den 80er-Jahren verklagte <strong>Apple</strong> Microsoft, weil Windows mit der<br />
Fenster-, Menü- und Maus-Bedienung das “look and feel” der Mac-Oberfläche emuliere. Jobs<br />
meinte dazu, dass so ein Verfahren sinnlos sei, weil früher oder später alle Computer so bedient<br />
werden.<br />
Jobs sollte recht behalten, heutzutage werden sämtliche Desktop- und Notebook-Rechner mit<br />
nur wenigen Ausnahmen nach ähnlichen Prinzipien bedient. Gleich ob bei Windows, Mac OS,<br />
Linux oder bei Exoten wie MorphOS, die Schreibtisch-Metapher hat sich durchgesetzt.<br />
Allerdings: Ist das gut? Immerhin ist die Metapher inkohärent und unlogisch. Da haben wir<br />
“Fenster”, “Laufwerke” und ein “Papierkorb” auf einem “Schreibtisch”. Darin befinden sich<br />
“Aktenordner”, die “Dateien” enthalten. Einige Dateien sind eigentlich “Dokumente”, die sich<br />
im Gegensatz zu Dokumenten im realen Leben auch verändern können, wo doch ein “echtes”<br />
Dokument etwas Unveränderliches ist.<br />
Es ist eine Vermischung <strong>von</strong> technischen Notwendigkeiten (z.B. Dateisystem,<br />
Systemeinstellungen und Programme) und scheinbar einfachen Metaphern, die Komplexität zu<br />
kleinen Bildern reduzieren, diese aber nur notdürftig verstecken. 51<br />
7. Ausblick: The Future, the final Frontier<br />
51 <strong>Wie</strong>der muss ich Neal Stephensons poetisches Technologie-Essay “In the Beginning was...<br />
the Command Line” bemühen. Darin kritisiert er die Entmündigung der User durch grafische<br />
Benutzeroberflächen.<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 112
Psion Serie 5 (1998) - der Bentley unter den PDAs erlitt ein ähnliches<br />
Schicksal wie der Autoherste&er (Que&e: Psion)<br />
Die Metapher hat bereits ein derartiges Eigenleben entwickelt, dass die unlogischen Analogien<br />
User scheinbar nicht mehr stören. In den letzten 20 Jahren hat sich die Benutzerschnittstelle<br />
moderner Betriebssysteme nur in kleinen Schritten weiterentwickelt. Von den 3D-<br />
Schnittstellen, die in den 80er-Jahren noch prognostiziert wurden, hat sich keine durchgesetzt.<br />
Einerseits liegt das daran, dass sich User an die bestehende Bedienung gewöhnt haben,<br />
andererseits bieten neue GUIs noch zu wenige eindeutige Vorteile. Auch hier schlägt die Regel<br />
zu, dass das Bestehende der größte Feind des Neuen ist.<br />
Alternative Metaphern-Welten haben sich allerdings bereits herausgebildet. Allerdings<br />
entwickelten sich diese nicht auf herkömmlichen PCs, sondern auf Mobiltelefonen und PDA<br />
(Personal Digital Assistants) sowie ihrer logischen Weiterentwicklung, den Smartphones. Hier<br />
haben Benutzeroberflächen ganz andere Erfordernisse. Sie sind eingeschränkt durch kleine<br />
Bildschirme, kleine oder zur Gänze fehlenden Tastaturen, Eingabe über Touchscreens per Stift<br />
oder Finger und Endgeräten, deren Rechenleistung weit geringer ist, als der ihrer großen<br />
Cousins in der PC-Welt.<br />
Dies ist ein dynamischer, interessanter und vor allem sehr ergiebiger Forschungsbereich. Hier<br />
hat <strong>Apple</strong> auch schon die eine oder andere Niederlage einstecken müssen, vor allem mit der<br />
Einführung des Newton Messagepad Anfang der 90er-Jahre.<br />
7. Ausblick: The Future, the final Frontier<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 113
Der US-Robotics PalmPilot popularisierte<br />
1997 den PDA (Que&e: PDAMuseum)<br />
Erst der PDA-Hersteller Palm hat die Touchscreen-Oberfläche mit seinem PalmPilot Ende der<br />
90er-Jahren breitenwirksam gemacht. Parallel dazu hat das englische Unternehmen Psion<br />
teilweise versteckt, teilweise leider zu bescheiden innovative Wege im Kleincomputerbereich<br />
beschritten. Psion Serie 3 und Serie 5 erfüllen Aufgaben, zu denen nicht einmal vollwertige PCs<br />
einige Jahre zuvor in der Lage waren.<br />
Vor allem Palm 52 hat durch sein viel gerühmtes “Zen of Palm” dazu beigetragen, dass komplexe<br />
aber häufige Aufgaben mit möglichst wenig User-Interaktion abgewickelt werden können.<br />
Wo aber besteht der Zusammenhang zu Mac OS X? Beim iPhone <strong>von</strong> <strong>Apple</strong> kam eine Variante<br />
<strong>von</strong> OS X zum Einsatz, die über eine völlig andere Benutzeroberfläche verfügt - die<br />
Multitouch-UI. Einige iPhone-Funktionen sickerten langsam ins “große” Mac OS X z.B.<br />
Gestures (hinein-zoomen indem man die Finger auseinander zieht).<br />
7. Ausblick: The Future, the final Frontier<br />
Wo die Prinzipien der “herkömmlichen” Benutzeroberflächen stets besagten, dass einem<br />
Anwender immer bewusst gemacht werden soll, wo der Fokus seines Handelns liegt (Maus-<br />
Zeiger), was eine bestimmte Funktion macht (Menüpunkt, Scrollbalken usw.) und wo sich eine<br />
52 Ursprünglich ein Unternehmen des Modemherstellers US-Robotics, dann des<br />
Netzwerkanbieters 3Com und erst 2002 ein eigenständiges Unternehmen. Bereits diese<br />
Konzern-Irrfahrt sollte zum Niedergang des Unternehmens beitragen.<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 114
estimmte Datei befindet (File explorer), werfen PDA- und Smartphone-Oberflächen solche<br />
Grundsätze völlig über Bord. Palm-Geräte haben bis zum Jahr 2001 kein für den Benutzer<br />
einsichtliches Dateisystem gekannt. Zudem versteckte Palm OS aus Platzmangel die<br />
Menüleiste. <strong>Apple</strong>s iPhone stellt keine Fenster dar, sondern nur Anwendungen, die im<br />
Vollbildmodus arbeiten. Viele Funktionen (scrollen, zoomen, blättern), sind gar nicht<br />
offensichtlich, allerdings intuitiv - sobald der User sie einmal gesehen hat. 53<br />
<strong>Apple</strong> Newton MessagePad (1993) - Knapp nach dem Sharp Zoomer,<br />
der zweite PDA der Welt (Que&e: <strong>Apple</strong>)<br />
Zudem hat sich in diesen “Mikro-Oberflächen” auch eine Entwicklung vollzogen. Dort wo<br />
früher ein Stift zur Eingabe verwendet wurde, kommen jetzt die Finger zum Einsatz. Wäre<br />
man kulturpessimistisch, dann könnte man meinen, dass Menschen das Schreiben mit dem<br />
Stift verlernen, deshalb auch nicht den Stift für die Eingabe auf einem Smartphone verwenden<br />
wollen...<br />
7. Ausblick: The Future, the final Frontier<br />
53 An dieser Stelle möchte ich auf meinen Essay “The 20 Year Itch - Multitouch als neues GUI-<br />
Paradigma” zum Thema Multitouch-Oberflächen und die sogenannte ZUI (Zooming User<br />
Interface), entstanden im Rahmen eines Seminars <strong>von</strong> Dr. Frank Hartmann an der Universität<br />
<strong>Wie</strong>n verweisen: nachzulesen unter: http://www.marincomics.com/blog_6.html<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 115
Ganz gleich, wie man dazu steht. Endlich tut sich was auf dem Sektor der<br />
Benutzeroberflächen.<br />
2. M IT 64-BIT, DA FÄNGT DAS L EBEN AN<br />
Die nächste Innovation, die auch vor Mac OS X keinen Halt gemacht hat, ist der Umstieg <strong>von</strong><br />
32-Bit- auf 64-Bit-Prozessoren.<br />
Der Umstieg ließ sowohl auf dem Mac als auch unter Windows lange auf sich warten, weil es<br />
bis vor wenigen Jahren einfach noch nicht notwendig war. Die erzielten Vorteile konnten den<br />
Aufwand nicht rechtfertigen.<br />
Der Umstieg <strong>von</strong> 8- auf 16-Bit war im Lauf der 80er-Jahre recht schnell vollzogen. Immerhin<br />
waren 8-Bit-Computer zu sehr eingeschränkt, was Speicher und Rechenleistung betrifft. Vor<br />
allem der maximal ansprechbare Hauptspeicher <strong>von</strong> 64 Kilobyte zwang Hersteller zum<br />
Umstieg. Aber auch mit 16-Bit-Prozessoren hielt man sich nicht lange auf. Diese konnten<br />
maximal 8 Megabyte an RAM ansprechen und wurden Anfang der 90er-Jahre <strong>von</strong> 32-Bit-<br />
Prozessoren (max. 4 Gigabyte RAM) abgelöst, die noch lange brauchten, um das volle<br />
Potenzial ihrer Entwicklung auszuschöpfen.<br />
Erst als Rechner mit 2 oder gar 4 Gigabyte Hauptspeicher ausgeliefert wurden, begannen sich<br />
Betriebssystemhersteller Gedanken darüber zu machen, wie sie über diese Grenzen<br />
hinwegkommen konnten. Microsoft brachte eine eigene 64-Bit-Version <strong>von</strong> Windows heraus,<br />
die allerdings eigene 64-Bit-Programme und ebensolche Treiber benötigte, um die volle<br />
Leistung auszuschöpfen. Mac OS X war als weit jüngeres Betriebssystem <strong>von</strong> Haus aus so<br />
konzipiert, dass es mit 64-Bit-Software zurechtkommen konnte. Im Serverbereich waren 64-<br />
Bit-Versionen <strong>von</strong> Unix und Linux bereits seit langem im Einsatz.<br />
Allerdings war auch die Notwendigkeit nicht gegeben, Speicherbrocken <strong>von</strong> mehr als 4<br />
Gigabyte am Stück auf einmal zu bearbeiten. Alle anderen Operationen konnten schön in<br />
kleinere Speicherbrocken aufgeteilt werden. Erst mit dem Au)ommen <strong>von</strong> HD-Video und 10-<br />
Megapixel-Kameras wurde klar, dass herkömmliche Anwender sehr wohl derartig gewaltige<br />
Speichermengen manipulieren würden.<br />
7. Ausblick: The Future, the final Frontier<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 116
Die Erforschung dieses recht junge Bereichs der Betriebssystementwicklung steckt noch in<br />
den Kinderschuhen. Es wird interessant, welche Anwendungen sich des neuen<br />
Speicherüberflusses bedienen werden und welche neue Wege hier gegangen werden.<br />
N ETZWERKE IN DEN W OLKEN<br />
Computer-Betriebssysteme wurden erstmals in den 90er-Jahren totgeredet. Da spekulierte der<br />
Server- und Betriebssystem-Hersteller SUN damit, dass Endanwender eigentlich nur einen<br />
“dummen” Terminal als Netzwerk-Rechner brauchen. Das Gerät sollte über wenig eigene<br />
Rechenleistung und bloß den aller nötigsten Speicher verfügen. Aufwändige<br />
Rechenoperationen sollten auf leistungsfähigen Servern ablaufen, wo auch die Daten<br />
au'ewahrt werden. Vor allem sollten diese Geräte kein “richtiges” Betriebssystem im<br />
herkömmlichen Sinne verwenden. Das hat sich nicht durchgesetzt.<br />
7. Ausblick: The Future, the final Frontier<br />
Im ausgehenden ersten Jahrzehnt der 00er-Jahre ist wieder die Rede vom Tod des<br />
Betriebssystems. Immerhin wandern Daten in die “Wolke” (engl. Cloud), ein neuer Name für<br />
die Speicherung <strong>von</strong> Daten auf leistungsfähigen Servern. Auch werden Applikationen immer<br />
mehr ins Internet verlagert. Geht es nach Google, dann reicht ein einfacher Webbrowser, um<br />
alles auf einem Computer erledigen zu können, ohne an einen bestimmten Ort oder an einen<br />
einzelnen Rechner gebunden zu sein. Google bietet Anwendern Dokumentenverwaltung<br />
(Google Docs - Textverarbeitung, Tabellenkalkulation, Präsentation), E-Mail (Gmail) und<br />
Datenspeicherung. Tatsächlich übernehmen moderne Browser wie Mozilla Firefox und Google<br />
Chrome immer mehr die Funktion eines Betriebssystems. Sie bilden das Zentrum des User-<br />
Universums, weil sie nicht nur den Zugang zum Web bieten, sondern auch über ausgeklügelte<br />
Add-On-Architekturen verfügen. Sie sind zugleich Benutzer- als auch Entwicklerschnittstelle.<br />
Abgesehen <strong>von</strong> Datenschutzbedenken, die eine dezentrale Datenlagerung mit sich bringt, mag<br />
es Anwendern früher oder später tatsächlich ausreichen, “nur” über einen leistungsfähigen<br />
Browser zu verfügen und sämtliche andere Aufgaben im Web zu erledigen. Dies bedarf aber<br />
einer ausgefeilten Infrastruktur an Hochgeschwindigkeits-Datenleitungen und Diensten im<br />
Web. Zudem ist die Rechenleistung des lokalen Rechners für die meisten Aufgaben wie<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 117
Grafikbearbeitung, Videoschnitt und Computerspiele immer noch jener verteilten Leistung<br />
<strong>von</strong> Serverfarmen überlegen 54.<br />
So lange Einzelrechner dem User bessere Dienste leisten als rein webbasierte Dienste wird es<br />
Betriebssysteme geben, die sich weiter entwickeln. Eines da<strong>von</strong> heißt Mac OS X.<br />
Einzig der Name könnte sich für <strong>Apple</strong> als Problem erweisen. Eigentlich sollte das “X” für die<br />
römische 10 stehen, gleichzeitig deutet sie aber auch auf die Unix-Wurzeln des<br />
Betriebssystems. Was kommt nach 10? “X” klingt einfach zu cool, um durch etwas anderes<br />
ersetzt zu werden.<br />
7. Ausblick: The Future, the final Frontier<br />
54 Cory Doctorow schrieb im englischen Guardian vom 2. September 2009 zum wahren<br />
Hintergrund des Cloud-Computings: “The main attraction of the cloud to investors and<br />
entrepreneurs is the idea of making money from you, on a recurring, perpetual basis, for<br />
something you currently get for a flat rate or for free without having to give up the money or<br />
privacy that cloud companies hope to leverage into fortunes.”<br />
http://www.guardian.co.uk/technology/2009/sep/02/cory-doctorow-cloud-computing<br />
(abgerufen am 4. September 2009)<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 118
Glossar<br />
API<br />
Application Programming Interface, dt. Programmierschnittstelle.<br />
BSD<br />
Berkley Systems Distribution. Unter Berkley-Lizenz bereitgestellte Unix-Variante.<br />
Carbon<br />
API zur Überbrückung zwischen Mac OS Classic und Mac OS X.<br />
CISC - Complex Instruction Set Computer<br />
Die klassische Prozessorarchitektur mit komplexen Befehlssätzen, die allerdings nicht so<br />
schnel ausgeführt werden können wie bei einem RISC-Rechner. 55<br />
Cocoa<br />
API unter Mac OS X, die auf NextStep au'aut.<br />
GUI<br />
Graphical User Interface, dt. Grafische Benutzeroberfläche.<br />
Kernel<br />
Der Betriebssystemkern, auf den andere Bestandteile au'auen.<br />
OS<br />
Operating System, dt. Betriebssystem.<br />
Mac OS<br />
Macintosh Operating System.<br />
PowerPC<br />
Die gemeinsame RISC-Prozessorarchitektur <strong>von</strong> <strong>Apple</strong>, IBM und Motorola.<br />
Quartz (Extreme)<br />
Leistungsfähige und flexible Darstellungs-API unter Mac OS X<br />
55 Heutzutage ist aufgrund der steigenden Komplexität <strong>von</strong> Prozessoren die CISC/RISC-<br />
Unterscheidung in ihrer ursprünglichen Form nicht mehr zulässig.<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 119
QuickDraw<br />
Klassische Bildschirmbeschreibungs-API unter Mac OS Classic.<br />
Quicktime<br />
Die Multimedia-Architektur <strong>von</strong> <strong>Apple</strong>. Wird insbesondere für die Video- und Audio-<br />
Komprimierung und Dekomprimierung verwendet.<br />
RISC - Reduced Instruction Set Computer<br />
Eine Prozessorarchitektur, die über nur wenige Befehle verfügt, diese aber wesentlich schneller<br />
ausführen kann, als ein klassischer CISC-Rechner.<br />
Unix<br />
Multiuser-Betriebssystem, das in der Telekommunikationsindustrie entwickelt wurde. Es gilt<br />
als besonders leistungsfähig und stabil.<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 120
Literaturverzeichnis<br />
A PPLE E NTWICKLER-DOKUMENTATION<br />
Mac OS X 10.5 Leopard Developer Reference Library<br />
http://developer.apple.com/referencelibrary/ (Abgerufen zwischen April und August 2009)<br />
Insbesondere die Bereiche Application Services und Core Services unter:<br />
http://developer.apple.com/documentation/Carbon/Reference/<br />
ApplicationServicesFrameworkReference/index.html#//apple_ref/doc/uid/TP40004327<br />
http://developer.apple.com/documentation/Carbon/Reference/<br />
CoreServicesReferenceCollection/index.html#//apple_ref/doc/uid/TP40004314<br />
D RUCKWERKE<br />
Jim Carlton: “<strong>Apple</strong>: The Inside Story of Intrigue, Egomania, and Business Blunders”; Harper,<br />
New York 1998<br />
Je/ey L. Cruikshank: “The <strong>Apple</strong> Way”; McGraw Hill, New York 2005<br />
Harvey M. Deitel, Paul Deitel, David Choffnes: “Operating Systems”; 3. Auflage, Prentice Hall,<br />
New Jersey 2004<br />
Alan Deutschmann: “The Second Coming of Steve Jobs”; Broadway Books, New York 2000<br />
Frank Hartmann: "Globale Medienkultur: Technik, Geschichte, Theorien"; WUV UTB, <strong>Wie</strong>n<br />
2006<br />
Steven Levy: "Crypto: How the Cose Breakers Beat the Government--Saving Privacy in the<br />
Digital Age: Keepers of Secrecy, Warriors of Privacy and Celebrants of Anarchy in the New<br />
Code War"; Viking Adult, New York, 2001<br />
Stephen Levy: “Insanely Great: The Life and Times of Macintosh, the Computer That Changed<br />
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Steven Levy: “The Perfect Thing: How the iPod Shuffles Commerce, Culture, and Coolness”;<br />
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<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 121
Stephen Levy: “Hackers. Heroes of the Computer Revolution”, Penguin, New York 1984<br />
Owen Linzmayer: “<strong>Apple</strong> Confidential 2.0: The Definitive History of the World's Most Colorful<br />
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Jessica Livingston: “Founders at Work: Stories of Startups' Early Days”; Springer Verlag, New<br />
York 2007<br />
Andy Hertzfeld: “Revolution in The Valley: The Insanely Great Story of How the Mac Was<br />
Made”; O’Reilly Media, Sebastopol 2004<br />
Michael A. Hiltzik: “Dealers of Lightning: Xerox PARC and the Dawn of the Computer Age”;<br />
Harper Collins, New York 2000<br />
Leander Kahney: “The Cult of Mac”; No Starch Press, San Francisco 2006<br />
Leander Kahney: “Inside Steve's Brain”; W. W. Norton & Co., New York 2008<br />
David Pogue: “Mac OS X The Missing Manual Panther-Edition”; O’Reilly Media, Sebastopol<br />
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Avi Silberschatz, Peter Galvin, Greg Gagne: “Operating Systems Concepts”; John Wiley & Sons,<br />
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Gregory C. Zäch, Claudia Koch: “Midas Macintosh Bibel”; Miday Verlag, Zürich 2000<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 122
O NLINE M EDIEN<br />
Roughly Drafted Magazine (abgerufen zwischen April und August 2009)<br />
www.roughlydra)ed.com - Artikelreihe <strong>von</strong> Daniel Eran Dilger<br />
http://www.roughlydrafted.com/RD/Home/158E7FA2-7B50-45E0-BD80-<br />
BEBC7C5E8CA6.html (und folgende)<br />
Ars Technics Mac OS X-Reviews (abgerufen zwischen April und September 2009)<br />
www.arstechnica.com - Artikelreihe <strong>von</strong> John Siracusa<br />
Mac OS X 10.0: http://arstechnica.com/apple/reviews/2001/04/macos-x.ars<br />
Mac OS X 10.1: http://arstechnica.com/apple/reviews/2001/10/macosx-10-1.ars<br />
Mac OS X 10.2: http://arstechnica.com/apple/reviews/2002/09/macosx-10-2.ars<br />
Mac OS X 10.3: http://arstechnica.com/apple/reviews/2003/11/macosx-10-3.ars<br />
Mac OS X 10.4: http://arstechnica.com/apple/reviews/2005/04/macosx-10-4.ars<br />
Mac OS X 10.5: http://arstechnica.com/apple/reviews/2007/10/mac-os-x-10-5.ars<br />
Mac OS X 10.6: http://arstechnica.com/apple/reviews/2009/08/mac-os-x-10-6.ars<br />
Kernelthread (abgerufen <strong>von</strong> April bis August 2009) www.kernelthread.com<br />
Amit Singh: “A History of <strong>Apple</strong>'s Operating Systems”<br />
http://www.kernelthread.com/publications/appleoshistory/index.html (und folgende)<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 123
Danksagung<br />
Ich widme diese Arbeit allen, die sie lesen. Vielen Dank und viel Glück!<br />
Ich danke meinem Vater Dr. Todor <strong>Balabanov</strong>, der mir nicht nur mein Studium an der Donau-<br />
Universität Krems ermöglicht hat, sondern mich auch in langen, emotionsgeladenen<br />
Technologiediskussionen durch seine nüchterne Sicht der Dinge auf den Boden zurückbringen<br />
konnte.<br />
Vielleicht kauft er sich auch einmal einen Mac.<br />
<strong>Marin</strong> <strong>Balabanov</strong>: “Die Evolution <strong>von</strong> Mac OS X. Von Intel zu PowerPC und zurück”# 124