Was ist los in Hille - Hiller Anzeiger

Siegfried Lenz wählt keine Gattungsbezeichnung
für sein neues Werk „Landesbühne“.
Wahrscheinlich mit bedacht,
wählte er für „Schweigeminute“ aus dem
letzten Jahr noch die literaturwissenschaftliche
Kategorie Novelle, verzichtet
er jetzt auf den Hinweis für die Leserin
und den Leser.
Erster Schauplatz bei Siegfried Lenz ist
das Gefängnis Isenbüttel, ein Ort für Verurteilte
wie Hannes, der einsitzt, weil er
an Ausfallstraßen im Anorak und mit
einer erbeuteten Polizeikelle Autos wegen
Geschwindigkeitsüberschreitung angehalten
und Bußgelder kassiert hatte. Oder
der Ich-Erzähler Clemens, Germanistikprofessor,
der seine Studentinnen als
Gegenleistung für sexuelle Handlungen
durch das Examen gebracht hat. Diese
Alexander Freitag
(angestellt nach § 58 StBerG)
Die befreiende Kraft der Kunst
Eine neue Novelle „Landesbühne“ von Siegfried Lenz
und andere Gefangene werden eines Tages
aus ihrem Gefängnisalltag gerissen,
als ein Bus mit der Aufschrift „Landesbühne“
in den Hof der Haftanstalt einfährt.
Die Landesbühne will für die Gefangenen
ein Theaterstück aufführen.
Clemens, Hannes und seine Kumpanen
nutzen diese Gelegenheit um mit dem Bus
des Theaterensembles die Flucht aus dem
Gefängnis anzutreten. Merkwürdigerweise
lässt man sie fliehen und so erreichen
sie den Ort Grünau. Hier treten sie als
Künstler auf, begeistern die Einwohner
mitsamt ihrem Bürgermeister. Fast entsteht
eine Dorfentwicklungsplanung mit
Hilfe von Bildung und Kunst an deren
Anfang der kleine Ort eine Volkshochschule
- und wie könnte es anders bei
Lenz sein - ein Heimatmuseum gründen.
Der erste Gastdozent ist ein Budapester
Professor, Clemens Hydikotti, der mit drei
Vorträgen die Volkshochschule aufleben
lässt. Doch nach und nach tauchten Personen
auf, die die wahre Identität der vermeintlichen
Kulturschaffenden kennen.
Der Gefängnisdirektor, Polizeibeamte
oder eine ehemalige Studentin des Professors,
die jetzt Redakteurin der örtlichen
Presse ist. Und so musste
die Geschichte an dem Ort
enden, an dem sie begonnen
hatte.
Siefried Lenz schreibt
zunächst mit dem Erzählten
der Kunst eine große
befreiende Kraft zu, sie
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HILLER
REISEBÜRO
Inhaber Hans-Joachim Mroz
Mindener Str. 64 32479 Hille 05703 / 91223 www.hiller-reisebuero.com
öffnet das Gefängnistor, ermöglicht neue
ungedachte Perspektiven und durchbricht
den Alltag und doch wird sie von der
Realität wieder eingeholt. Was bleibt ist
ein Moment der Befreiung. Diese Novelle
hat etwas märchenhaftes oder parabelartiges,
sie entführt uns aus den gewohnten
Alltagsroutinen in eine neue Welt, die
aber kein reines Luftschlossdenken ist,
sondern ansetzt an den Fähig- und Fertigkeiten
der Menschen im realen Leben.
Und doch gelingt die Flucht nicht. Auch
die befreiende Kraft der Kunst hat ihre
Grenzen. Siegfried Lenz bringt dies auf
die Formel „Manchmal kann die Wahrheit
nur er-funden werden.“ Wohlgemerkt
manchmal nicht immer. Bemerkenswert
ist wie Siegried Lenz seine Figuren
zeichnet. Sympathisch erscheinen die
Protagonisten, obwohl mit zweifelhafter
Karriere ausgestattet. Lenz entwickelt mit
erzählerischer Souveränität die
Geschichte und allein dies macht die
Lektüre zu einem Vergnügen.
Hans-Werner Dielitzsch
Siegfried Lenz: Landesbühne. Hoffmann
und Campe Verlag, Hamburg 2009.
Gebunden. 120 Seiten . 17,00 Euro
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