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Anstifter! - Liebenauer Netzwerk Familie

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<strong>Anstifter</strong>!<br />

wurden bisher für Gespräche und<br />

andere Konfliktlösungsstrategien<br />

verwendet. Aber auch diese<br />

Situationen haben – rückblickend<br />

betrachtet – zu einem Gefühl des<br />

Beheimatet-Seins beigetragen.<br />

Häufig kann durch dieses Angebot<br />

eine stationäre Unterbringung<br />

verhindert werden. Voraussetzung<br />

hierfür ist unter anderem<br />

eine enge Zusammenarbeit<br />

mit den Eltern und den anderen<br />

am Erziehungsprozess beteiligten<br />

Personen.<br />

Erforderlich für die Aufnahme<br />

eines Kindes ist ein Antrag auf<br />

Hilfe zur Erziehung nach §§ 27/32<br />

Kinder- und Jugendhilfegesetz<br />

beim zuständigen Jugendamt.<br />

Nach dem ersten Kennenlernen<br />

findet eine Hilfeplankonferenz<br />

mit dem Jugendamt, der Schule<br />

und den Eltern statt. Hier wird die<br />

beantragte Hilfe be-schlossen<br />

und die Aufnahme in der Tagesgruppe<br />

St. Kolumban kann stattfinden.<br />

Gerhard Unger<br />

St. Gallus-Hilfe<br />

Heilpäd. Fachdienst<br />

Jenny H.: Vom Heim in die Pflegefamilie<br />

„Ich wollte eine richtige <strong>Familie</strong>“<br />

Den Wunsch nach familiärer Geborgenheit<br />

versucht die <strong>Familie</strong>npflege<br />

der St. Gallus-Hilfe Menschen mit<br />

einer Behinderung zu erfüllen. Der<br />

17-Jährigen Jennifer H., die bisher<br />

im Heim gelebt hatte, vermittelte sie<br />

einen Platz in einer Pflegefamilie.<br />

Jennifer (rechts) mit ihrer Pflegemutter (mitte) und Bianca Sattelberger von der St. Gallus-Hilfe.<br />

Foto: Henrichmann<br />

Seit einem Jahr lebt Jennifer bei<br />

<strong>Familie</strong> Schultheiß in Weingarten.<br />

Bis zu ihrem 17. Lebensjahr hatte<br />

sie in verschiedenen stationären<br />

Einrichtungen gewohnt, zunächst<br />

in Ulm, später in Bissingen. „Ich<br />

wollte in einer richtigen <strong>Familie</strong><br />

leben, vom Heim hatte ich die<br />

Nase voll“, sagt Jennifer, die von<br />

allen Jenny genannt wird. Über<br />

die Betreuer im Heim und das<br />

Jugendamt kam der Kontakt mit<br />

Bianca Sattelberger von der St.<br />

Gallus-Hilfe für behinderte Menschen<br />

zustande. Die Mitarbeiter<br />

der St. Gallus-Hilfe treffen sich<br />

mit den Bewerbern für <strong>Familie</strong>npflege<br />

und suchen nach einer<br />

geeigneten Pflegefamilie. Eine<br />

besondere Ausbildung brauchen<br />

die Pflegeeltern nicht. Verständnis,<br />

Zeit und Platz müssen vorhanden<br />

sein. Auch die Finanzierung<br />

wird im Vorfeld geklärt. Das<br />

<strong>Anstifter</strong> 11/05<br />

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<strong>Anstifter</strong>!<br />

Jugendamt zahlt für Jenny ein<br />

Betreuungsgeld an die Pflegefamilie.<br />

„Jenny und ich hatten<br />

zuerst ein Kennenlerntreffen“,<br />

erinnert sich Schultheiß. „Ich wollte<br />

unbedingt in einer Stadt wohnen,<br />

nicht auf dem Land“, sagt<br />

Jenny. Nach dem ersten<br />

Beschnuppern fand Jenny es in<br />

Weingarten und bei <strong>Familie</strong><br />

Schultheiß „schon schön“ und<br />

Sonja Schultheiß hatte schnell<br />

erkannt, „dass Jenny ein großes<br />

Herz hat, aber auch Grenzen<br />

braucht.“<br />

W ohnen auf Probe<br />

Wenn das erste Kennenlernen<br />

erfolgreich ist, folgen ein<br />

Schnupperwochenende und<br />

anschließend ein achtwöchiges<br />

Probewohnen. „Bei Jenny ging<br />

das alles recht unkompliziert,<br />

nach dem Wochenende war allen<br />

klar, dass sie nach Weingarten<br />

kommt und wir mit dem Probewohnen<br />

starten“, berichtet Sattelberger.<br />

Das klappt nicht immer<br />

so reibungslos. „Manchmal<br />

suchen wir sehr lange nach passenden<br />

<strong>Familie</strong>n.“<br />

Sonja Schultheiß hat schon Erfahrung<br />

mit der Betreuung von Pflegekindern.<br />

Jennys Pflegebruder<br />

Sebastian wohnt seit zwei Jahren<br />

bei ihr. „Er hat mir gesagt, er<br />

wäre froh gewesen, wenn ich<br />

immer seine Mutter gewesen<br />

wäre.“ Auch zwischen Jenny und<br />

ihrer Pflegemutter klappt es. „Sie<br />

könnte doch meine Tochter sein“,<br />

sagt die 63-Jährige, die von Jenny<br />

nur mit „Mutti“ angesprochen<br />

wird.<br />

Mit ihren leiblichen Eltern hat<br />

Jenny nur unregelmäßigen Kontakt.<br />

In Sonja Schultheiß hat<br />

Jenny jetzt eine wichtige Bezugsperson<br />

gefunden, der sie vertrauen<br />

kann. Das stärkt ihr Selbstwertgefühl.<br />

„Sie muss noch viel<br />

lernen und an sich arbeiten, aber<br />

sie ist ja noch jung“, sagt die Pflegemutter<br />

gelassen. Bianca Sattelberger<br />

steht als Ansprechpartnerin<br />

zur Verfügung. Rat gibt sie<br />

Jenny auch bei der Berufswahl,<br />

kümmert sich um den Kontakt<br />

zur Herkunftsfamilie und hilft bei<br />

verwaltungsrechtlichen Dingen.<br />

Jenny ist ihre leichte geistige<br />

Behinderung nicht anzusehen, sie<br />

gibt sich wie viele Jugendliche in<br />

ihrem Alter, telefoniert und<br />

schickt SMS mit ihrem Handy<br />

genauso oft wie alle anderen und<br />

liebt Pizza. Sie leidet jedoch unter<br />

Konzentrationsschwäche und ist<br />

in manchen Belangen geistig auf<br />

dem Stand eines Kindes. „Jenny<br />

grenzt sich gegenüber anderen<br />

Menschen mit Behinderung<br />

schnell ab. Sie empfindet sich<br />

selbst nicht als behindert.“, sagt<br />

Sattelberger. Deshalb sei es eine<br />

Herausforderung, geeignete<br />

Angebote für Beruf und Freizeit<br />

zu finden.<br />

Suche nach dem richtigen Beruf<br />

Nach dem Ende der Förderschule<br />

hat Jenny im letzten Jahr eine<br />

Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme<br />

(BVB) im Berufsbildungswerk<br />

Adolf Aich (BBW) in<br />

Ravensburg absolviert.<br />

„In der Gärtnerei hat es mir gut<br />

gefallen“, sagt sie. Danach war<br />

sie in der Wäscherei und in der<br />

Küche. So richtig weiß sie aber<br />

noch nicht, was sie beruflich<br />

machen soll. Im Herbst wird<br />

Jenny in den Berufsbildungsbereich<br />

der Werkstatt für behinderte<br />

Menschen (WfbM) in Liebenau<br />

einsteigen und dort zwei Jahre<br />

weitere Tätigkeiten ausprobieren.<br />

„Ich würde gerne mit Kindern<br />

arbeiten, aber genauso gern<br />

mach ich handwerkliche Sachen“,<br />

sagt sie.<br />

Zukunftstraum eigene Wohnung<br />

Gemeinsam mit der WfbM, der<br />

Pflegemutter und der <strong>Familie</strong>npflege<br />

wird dann überlegt, was<br />

am besten zu Jenny passt.<br />

„In der <strong>Familie</strong> kann sie so lange<br />

wohnen, wie sie will“, sagt Sonja<br />

Schultheiß. Bis zum Ende des<br />

Berufsbildungsbereichs will Jenny<br />

auf jeden Fall in Weingarten bleiben.<br />

„Ich habe meine Freunde<br />

hier, mit denen geh ich gerne<br />

shoppen und schwimmen, oft<br />

besuche ich sie“, sagt Jenny. Für<br />

die Zukunft stellt sich Jenny<br />

irgendwann einmal vor, in einer<br />

eigenen Wohnung mit ambulanter<br />

Betreuung zu leben. Das ist<br />

für sie aber noch weit weg. Erstmal<br />

freut sie sich auf ihr Leibgericht,<br />

die Pizza zum Abendessen.<br />

Peter Henrichmann<br />

<strong>Anstifter</strong> 11/05<br />

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