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8 Kultur<br />
Donnerstag, 30. April 2015<br />
Jubiläumsauftritt von «The Pride» – 30 Jahre nach dem ersten Konzert<br />
<strong>Am</strong> <strong>Anfang</strong> <strong>war</strong> <strong>der</strong> <strong>Blinddarm</strong><br />
Von <strong>der</strong> «verschärften Fusion» zur Reunion – «The Pride» fasst ihre Bandgeschichte in einer schmucken<br />
Box zusammen. Zu verdanken ist das vor allem Pepe, ihrem Chauffeur.<br />
Kevin Brühlmann<br />
Irgendwann im Jahr 1983 trägt sich Makaberes<br />
zu im Schaffhauser Kantonsspital.<br />
Ein junger Typ aus dem Klettgau wird<br />
eingeliefert, starke Schmerzen im rechten<br />
Unterleib, noch verschwitzt von Bruce<br />
Springsteens Konzert im Hallenstadion.<br />
Als <strong>der</strong> <strong>Blinddarm</strong> endlich raus ist,<br />
hat es <strong>der</strong> Kranke allerdings noch lange<br />
nicht überstanden. Von seinem gleichaltrigen,<br />
frisch am Knie operierten Zimmergenossen<br />
muss er sich dauernd wüste<br />
<strong>Blinddarm</strong>witze anhören, und das<br />
schlägt ihm mächtig auf den Magen, quasi<br />
Phantomschmerzen.<br />
Die beiden Männer, kaum 20, verstehen<br />
sich auf Anhieb. Und gründen bald<br />
darauf eine Band, «The Pride». Denn, zur<br />
Aufklärung: Der <strong>Blinddarm</strong>lose und<br />
Witzgeschädigte heisst Hännes Grüninger,<br />
Schlagzeuger; <strong>der</strong> Knieoperierte und<br />
Witzereisser Tom Krailing, Sänger und<br />
Gitarrist. Wenig später holen sie Markus<br />
«Zoogey» Graf ins Boot, Bassist. Eine «verschärfte<br />
Fusion» (Krailing) ist das, nichts<br />
Geringeres.<br />
<strong>Am</strong> 23. April 1985 folgt das erste Konzert<br />
im Domino, Vorband, praktisch nur<br />
Eigenkompositionen. Alle stammen aus<br />
Tom Krailings Fe<strong>der</strong>, <strong>der</strong> die Band professionell<br />
und mit Verve vorantreiben will.<br />
Graf und Grüninger ziehen mit, ihnen gefällt<br />
die Ernsthaftigkeit, die Akribie ihres<br />
Sängers, das wird schnell hörbar. So klingen<br />
die Lie<strong>der</strong> stets nach «The Pride», immer<br />
vereinen sie diesen Groove: druckvoll<br />
und schnörkellos, melodisch und<br />
taufrisch. Roli Fischer spielt die Leadgitarre,<br />
eine Besetzung, die in den folgenden<br />
Jahren mehrmals wechselt: Urs Lienhard,<br />
Stefan Kiss, Stefan Liechti und Stefan<br />
Zahler zupfen alle eine Zeitlang die<br />
Saiten bei «The Pride».<br />
In <strong>der</strong> 90ern bringt die Band drei Platten<br />
heraus, eine Diskografie, die sich wie ein<br />
Crescendo anhört: Die ungestüme «Comin'<br />
Home» (1991), «Mind Candy» (1993),<br />
die Eingängige, und, wenn man so will,<br />
das leicht nachdenklichere Meisterwerk<br />
«Lipstick Traces» (1996), zeitlos auf seine<br />
eigene Art. Dank <strong>der</strong> Macht des Radios,<br />
vornehmlich DRS 3, erlangt das Oeuvre<br />
schweizweite Bekanntheit; die Singles<br />
Ein Jubiläumsgig, exakt 30 Jahre nach dem Début: Tom Krailing von «The Pride» im Cardinal, 23. April 2015.<br />
Foto: Peter Leutert
Donnerstag, 30. April 2015 Kultur 9<br />
wenigstens zu einem gemeinsamen Bier.<br />
Beim 25-Jahre-Jubiläum, haut es nicht<br />
hin; Krailing tüftelt da gerade an einem eigenen<br />
Projekt herum, «Cosmo Alley» mit<br />
Namen. Zum 30. Geburtstag von «The Pride»<br />
klappt es dann doch. <strong>Anfang</strong> 2014 treffen<br />
sich Tom Krailing, Hännes Grüninger<br />
und Markus «Zoogey» Graf wie<strong>der</strong> im<br />
Proberaum, zusammen mit Stefan Zahler,<br />
<strong>der</strong> nach <strong>der</strong> Veröffentlichung von «Mind<br />
Candy» als Gitarrist zur Band stiess.<br />
Lang lebe <strong>der</strong> Jeansstoff: Fischer, Grüninger, Krailing und Graf (v. l.) in Zürich, 1993. zVg<br />
«Drag Me Down» und «Stand the Rain»,<br />
beide 1993, werden täglich gespielt. Fahrer<br />
Pepe chauffiert die Jungs durchs ganze<br />
Land, überallhin, wo DRS 3 empfangen<br />
wird, manchmal auch weiter, nach Ravensburg<br />
o<strong>der</strong> Frankfurt. «The Pride» wird<br />
zur Familie, hun<strong>der</strong>te Konzerte schweissen<br />
zusammen. «Die Band <strong>war</strong> mein Boden»,<br />
erzählt Hännes Grüninger heute.<br />
Die Plattenverkäufe sind respektabel,<br />
«Mind Candy» landet auf Platz 38 <strong>der</strong><br />
Schweizer Albumcharts. Den Traum,<br />
hauptberuflich von <strong>der</strong> Musik leben zu<br />
können, begraben Grüninger, Krailing<br />
und Graf allerdings früh. Alles, was durch<br />
die vielen Auftritte und die Verkäufe hereinkommt,<br />
wird subito wie<strong>der</strong> in die<br />
Band investiert, Benzin, Aufnahmesessions,<br />
das Pressen <strong>der</strong> Platten.<br />
Die Maschine stockt<br />
Zum Ende <strong>der</strong> 90er-Jahre, kaum wie<strong>der</strong><br />
zuhause von <strong>der</strong> «Lipstick Traces»-Tournee,<br />
beginnt die gut geölte «Pride»-Maschine<br />
zu stocken. Nach und nach verliert<br />
sie an Dynamik, bis die Luft letztlich ganz<br />
draussen ist, 1999, als sich «The Pride» offiziell<br />
auflöst. Irgendwann, erinnert sich<br />
Krailing, habe man einfach keinen Probetermin<br />
mehr abgemacht. Das tönt wie<br />
die unprätentiöse Geschichte eines abklingenden<br />
Fade-outs. Irgendwie passt dazu,<br />
dass das Label das bereits fertig produzierte<br />
vierte «Pride-Album» nicht vertreiben<br />
will. Und dass sich die Musiker nicht mehr<br />
gross um die Veröffentlichung kümmern.<br />
Den Stein <strong>der</strong> Trennung ins Rollen<br />
bringt Grüninger, <strong>der</strong> die Band als Erster<br />
verlässt; anstelle <strong>der</strong> «Pride»-Familie tritt<br />
eine klassische, mit Frau und drei Kin<strong>der</strong>n.<br />
Hinzu kommen mehr Verpflichtungen<br />
im Job, denn <strong>der</strong> Schlagzeuger macht<br />
sich selbstständig. Ein Lebensweg, den, etwas<br />
zeitversetzt, auch Markus Graf und<br />
Tom Krailing einschlagen. Die Musikerfreunde<br />
zerstreuen sich in die ganze Welt,<br />
nicht ahnend, dass sie irgendwas <strong>der</strong>einst<br />
wie<strong>der</strong> zusammenführen wird – nenne<br />
man es, mit etwas Pathos, Schicksal. O<strong>der</strong>,<br />
nüchterner vielleicht, roter Faden.<br />
Die Instrumente verschwinden im Keller,<br />
auf dem Dachboden o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Garage,<br />
Staub setzt an. Sie bleiben unberührt,<br />
zuerst für einige Wochen, dann werden<br />
daraus Monate, Jahre, Jahrzehnte schliesslich.<br />
Die Musik fehlt ihnen kaum, Freude<br />
erfahren sie von ihren aufwachsenden<br />
Kin<strong>der</strong>n. Nur manchmal, in beson<strong>der</strong>s<br />
sinnfragenden Momenten, blitzen alte<br />
Gedanken auf. «Mann Krailing, du Arsch.<br />
Im Grunde bist du ja Musiker, wie sieht's<br />
aus bei dir, was machst du eigentlich?»,<br />
denkt sich <strong>der</strong> Bandlea<strong>der</strong> von Zeit zu<br />
Zeit. Das Musikmachen bleibt im Unterbewusstsein<br />
kleben, hartnäckig wie ein<br />
Kaugummi an <strong>der</strong> Schuhsohle. Keines <strong>der</strong><br />
Bandmitglie<strong>der</strong> verkauft sein Instrument;<br />
es wird gut gehütet.<br />
Und «The Pride» hat auch Glück. Und<br />
z<strong>war</strong> lebendiges Glück, den gutmütigen<br />
Pepe in persona nämlich, ihren Fahrer.<br />
Während all <strong>der</strong> Jahre <strong>der</strong> Bühnenabsenz<br />
ist er es, <strong>der</strong> die mittlerweile unterschiedlich<br />
verlaufenden roten Fäden zusammenzuhalten<br />
versucht. Mit allen Bandmitglie<strong>der</strong>n<br />
ist er noch befreundet. Und immer<br />
wie<strong>der</strong> versucht er, die Musiker zu einer<br />
Wie<strong>der</strong>vereinigung zu überreden – o<strong>der</strong><br />
Pepe, <strong>der</strong> Dirigent<br />
«Es hat sofort gepasst», meint Chauffeur<br />
Pepe. «Ein Umstand, den sie sich wohl jahrelang<br />
nicht mehr hätten vorstellen können.»<br />
Nach wenigen Wochen ist <strong>der</strong> alte<br />
Groove wie<strong>der</strong> drin, und es entwickelt sich<br />
eine regelrechte Eigendynamik. Als «The<br />
Pride» letzten Sommer im «Stars in Town»<br />
auftritt, ist Pepe, <strong>der</strong> Dirigent des roten Fadens,<br />
schon lange nicht mehr als Antreiber<br />
gefragt. Das Konzert auf dem Herrenacker<br />
fährt den Herren von «The Pride»<br />
<strong>der</strong>art ein, im positiven Sinne, sodass sie<br />
sich dazu entscheiden, noch eine Runde<br />
anzuhängen, sprich: eine Retrospektive<br />
ihres Schaffens zu publizieren. Per Crowdfunding<br />
organisieren sich die vier Musiker<br />
das Geld, um die aufwendige Box zu<br />
finanzieren, wobei sie auf ein breites Beziehungsnetz<br />
zurückgreifen können.<br />
Nun ist die schmucke Jubiläumsbox<br />
«Boxing Clever» erschienen, 35 Songs, darunter<br />
einige vom unveröffentlichten,<br />
einst verschmähten vierten «Pride»-Album<br />
– zum Beispiel <strong>der</strong> wun<strong>der</strong>bare,<br />
knapp siebenminütige Folk rocktrack<br />
«Ohm». Und zwei ganz neue Lie<strong>der</strong>,<br />
«Boxing Clever» sowie «Beautiful Day»,<br />
dessen Titel irrtümlicherweise nach U2-<br />
Stadionrock klingt, in Tat und Wahrheit<br />
aber ein geradliniger, melodiöser Rocksong<br />
ist, <strong>der</strong> sich reinhängt wie zu den<br />
besten Tagen von «The Pride».<br />
Apropos beste Tage. «Wir sind so gut<br />
wie nie», findet Schlagzeuger Hännes<br />
Grüninger. Warum also wie<strong>der</strong> aufhören?<br />
Darauf wissen selbst die medienerprobten<br />
«Pride»-Musiker keine Antithese.<br />
Im Gegenteil: Das Jubiläumskonzert am<br />
23. April strahlte eine ungemein einnehmende<br />
Magie aus, <strong>der</strong>en Fortsetzung fast<br />
zwingend ist.<br />
The Pride: «Boxing Clever»<br />
(2 CD / 3 LP inkl.<br />
Downloadcode & Bildband),<br />
49 Franken.<br />
www.the-pride.com