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KAMPF<br />

GEGEN<br />

FRAUEN-<br />

HANDEL<br />

Bachelorarbeit 2014<br />

Hannes Ziehm & Dennis Ziep


BACHELORARBEIT<br />

Konzeptionierung & Gestaltung einer Ausstellung zum Thema<br />

Zwangsprostitution in deiner Nachbarschaft


01 EINFÜHRUNG<br />

02 PROSTITUTION<br />

03 KONZEPT<br />

04 AUSSTELLUNG<br />

IMPRESSUM<br />

Alle Rechte am Werk liegen bei den Autoren:<br />

© Hannes Ziehm, Jahnstraße 2, 74348 Lauffen am Neckar<br />

© Dennis Ziep, Eichenstraße 36, 71126 Nebringen<br />

Druck: Druckerei Otto Welker GmbH, Friedrichstraße 12, 74172 Neckarsulm<br />

Buchbindung: Buchbinderei Schwarz, Beethovenstr. 23, 74074 Heilbronn<br />

05 MEDIEN<br />

06 WISSENSCHAFT<br />

BACHELORARBEIT<br />

Entstanden im Rahmen einer Bachelorarbeit an der Dualen Hochschule<br />

Baden-Württemberg, Ravensburg, Studiengang Mediendesign<br />

07 KONTAKT<br />

AKADEMISCHE BETREUER<br />

Prof. Klaus Birk, DHBW Ravensburg<br />

Alexander Hanowski, Mutabor, Hamburg<br />

Martin Hesselmeier, meiré und meiré, Köln<br />

Thomas Sali, Ravensburg<br />

08 FAZIT


01 EINLEITUNG<br />

Einleitung in das Werk, das sowohl die theorethischen und fachwissenschaftlichen Erkenntinisse<br />

zusammenfasst, als auch die Resultate der designkonzeptionellen Umsetzung aufzeigt<br />

VORWORT<br />

In unserer Bachelorarbeit befassen wir, Hannes Ziehm<br />

und Dennis Ziep, uns mit dem Thema „Zwangsprostitution<br />

in deiner Nachbarschaft“. Dazu haben wir ein Ausstellungskonzept<br />

erarbeitet, dessen Bestandteile in diesem<br />

Buch dargestellt werden.<br />

Hinter uns liegt ein langer, spannender Weg. In dem<br />

etwa neunwöchigen Arbeitsprozess gingen die Hoffnung<br />

etwas verändern zu können einher mit emotionalen<br />

Erschütterungen, auf Grund von erdrückenden Dokumentationen,<br />

Filmen und Berichten zum Thema Menschenhandel<br />

und Zwangsprostitution in aller Welt.<br />

In diesem Buch erwartet Sie eine Zusammenfassung unserer<br />

theorethischen Recherche, die einen Überblick über<br />

die in unserer Bachelorarbeit thematisierten Problematik<br />

und unsere Herangehensweise verschafft. Darauf basiert<br />

unsere Hypothese und Zielsetzung, die wir durch eine<br />

Umfrage validiert haben. Das Herzstück dieses Buches<br />

ist die Konzeption unserer Ausstellung, die im Kapitel 03<br />

Konzeption anhand von zahlreichen Visualisierungen<br />

und erläuternden Texten geschildert wird. Im Weiteren<br />

gehen wir auf die Gestaltung diverser Medien (Kapitel<br />

05 Medien) ein und begründen diese. In Kapitel 06 Wissenschaft<br />

finden Sie eine Kurzfassung des medialen Kontextes,<br />

der in ausführlicher Form für die Bachelorthesis<br />

erarbeitet wurde. Wir schließen mit einem persönlichen<br />

Fazit.<br />

An dieser Stelle möchten wir uns bei allen bedanken, die<br />

uns im Laufe des Projektes auf vielfältige Weise unterstützt<br />

haben. Unser Dank gilt unseren akademischen Betreuern<br />

(Prof. Klaus Birk, Alexander Hanowski, Martin Hesselmeier,<br />

Thomas Sali), unseren Familien, Freundinnen und<br />

Freunden, unseren Arbeitgebern und Kollegen/-innen<br />

(adextra Werbeagentur GmbH, Marketing & more oHG).<br />

Im Besonderen jedoch der Studentengruppe „Fighting For<br />

Freedom – Proudly Supporting the A21 Campaign“ aus<br />

Konstanz, durch die wir auf das Thema gestoßen sind, sowie<br />

den nachstehenden Hilfsorganisationen („SOLWODI<br />

e.V.“, „Gemeinsam gegen Menschenhandel“ und „TERRE<br />

DES FEMMES“).<br />

EINFÜHRUNG & HYPOTHESE<br />

Auf Grund von zahlreichen Dokumentationen und der<br />

eigens von uns durchgeführten Umfrage gehen wir davon<br />

aus, dass der Großteil der deutschen Bevölkerung nicht<br />

ausreichend über die Missstände im Prostitutions gewerbe<br />

informiert ist. Prostitution ist in Deutschland sowohl gesellschaftlich<br />

als auch politisch ein kritisches Thema, das<br />

gerne gemieden wird.<br />

Dass es jedoch immer notwendiger wird, sich mit den<br />

wachsenden illegalen Geschäften der Prostitutionsbranche<br />

auseinander zu setzen, bestätigen auch die sich in<br />

letzter Zeit häufenden Medienberichte, lauter werdende<br />

Aufschreie von Menschenrechtsorganisationen, sowie<br />

die neue Forderung des EU-Parlamentes. Europa forderte<br />

bereits 2011 eine stärkere Bekämpfung der Zwangsprostitution,<br />

da die bisherigen gesetzlichen Regelungen<br />

das Wachsen des illegalen Marktes in diesem Gewerbe<br />

bislang sogar noch begünstigen. 1 Detlef Ubben, der<br />

ehemalige Chefermittler im Bereich Menschenhandel und<br />

Zwangsprostitution des LKA Hamburg schätzt, dass allein<br />

in Hamburg bis zu 95 Prozent der Prostituierten nicht aus<br />

freiem Willen in diesem Gewerbe arbeiten. 2<br />

„‚Einen Monat lang wurde ich in eine Wohnung gesperrt<br />

und mehrfach am Tag misshandelt‘, erzählt sie.<br />

Ihr Peiniger drückte Zigaretten auf ihrer Haut aus und<br />

lud seine männlichen Verwandten ein, das Mädchen zu<br />

vergewaltigen, um ihren Willen zu brechen. Zuhälter<br />

bezeichnen diese Vergewaltigungen als ‚Ausbildung‘<br />

der Frauen. Am Ende der schlimmsten vier Wochen<br />

ihres Lebens, wurde sie vor die Wahl gestellt: ‚Sollen<br />

wir weitermachen oder willst du jetzt ins Bordell?‘ Ihre<br />

Zeit als Zwangsprostituierte begann.“<br />

Die Probleme, die dieses Gewerbe mit sich bringt, bleiben<br />

für viele Menschen unsichtbar oder werden stillschweigend<br />

hingenommen. Fast jeder weiß, dass es Bordelle,<br />

Laufhäuser sowie den Straßenstrich in Deutschland gibt<br />

und wo diese angesiedelt sind. Weitreichend unbekannt<br />

hingegen sind Wohnungsbordelle, die im Verborgenen<br />

oft Schauplätze von psychischer und physischer Misshandlung<br />

sind und Hintermännern sowie Freiern Raum<br />

für ihre geplanten Straftaten bieten.<br />

- 6 -<br />

- 7 -


WOHNUNGSBORDELLE<br />

In Deutschland kann jederman ohne jegliche Voraussetzungen<br />

ein kleines, privates, von den zuständigen Behörden,<br />

nur schwer kontrollierbares Wohnungsbordell<br />

eröffnen. In diesem Umfeld haben Frauen kaum Schutz<br />

vor der Gewalt, die von Freiern und Zuhältern ausgeht.<br />

Familienministerin Manuela Schwesig klagt: „Das Schlimme<br />

an der Prostitution in Deutschland ist, dass sie ohne<br />

Regeln abläuft und dass brutale Ausbeutung und Gewalt<br />

verbreitet sind. […] Für jede Pommesbude gelten strengere<br />

Regeln als für Bordelle.“ 4<br />

ZIELSETZUNG<br />

Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, ein innovatives<br />

und neuartiges Ausstellungskonzept zu entwickeln, das<br />

Besuchern Informationen und Eindrücke zu diesem Thema<br />

näher bringt. Uns ist daran gelegen durch den Einsatz von<br />

transmedialem Storytelling erschreckende, aber wahre<br />

Eindrücke einer Welt zu vermitteln, die bis heute von unserer<br />

Gesellschaft ignoriert wird.<br />

Das Thema der Ausstellung soll nicht aus dessen Kontext<br />

gerissen und somit in der Wirkung abgeschwächt<br />

werden. Deshalb werden originalgetreue Räume an realistisch<br />

wirkenden Schauplätzen in der Gesellschaft mit<br />

thematisch inszenierten Ausstellungsorten kombiniert.<br />

An mehreren Ausstellungsorten wird der Besucher über<br />

Zwangsprostitution in Deutschland aufgeklärt, die unmittelbar<br />

in seiner Nachbarschaft stattfindet.<br />

ZIELGRUPPE<br />

Als Zielgruppe wählen wir Studenten und junge Erwachsene,<br />

die in der Lage sind gesellschaftlichen Einfluss<br />

auszuüben. Viele von ihnen werden in der Zukunft Führungspositionen<br />

einnehmen, die Deutschland nachhaltig<br />

prägen werden.<br />

Anmerkungen:<br />

1 Vgl. Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 zur<br />

Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des<br />

Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates, Quelle: www.bmfsfj.de, 16. August 2014, 13:42 Uhr.<br />

2 Vgl. Zeit online, Susanna Andrick, Wirklich freiwillig ist niemand Prostituierte, www.zeit.de/gesellschaft/<br />

zeitgeschehen/2012-10/zwangsprostitution-deutschland-menschenhandel, 23.04.2014, 19:20 Uhr.<br />

3 Ebd.<br />

4 Vgl. Zeit online, Sybille Klormann, Schwesig will Erlaubnispflicht für Bordelle, www.zeit.de/politik/<br />

deutschland/2014-04/bordell-gesetz-schwesig, 19.08.2014, 20:00 Uhr.<br />

- 8 -<br />

- 9 -


02 PROSTITUTION<br />

In diesem Kapitel werden die Recherchen zusammengefasst, die wir im Laufe des<br />

Bachelorprojektes unternommen haben, um uns über die Prostitutionsbranche zu informieren<br />

THEORETHISCHER KONTEXT<br />

Nachfolgend zeigen wir ein grobes Bild der Thematik<br />

Prostitution, Menschenhandel und Zwangsprostitution mit<br />

den Aspekten aus der Politik und der Gesellschaft auf.<br />

DAS PROSTITUTIONSGEWERBE<br />

Heutzutage suchen täglich ca. 1,2 Millionen Männer in<br />

Deutschland Prostituierte auf. 1 Man geht statistisch davon<br />

aus, dass jeder vierte deutsche Mann unregelmäßig die<br />

Dienste einer Prostituierten in Anspruch nimmt. Diese<br />

Schätzungen beziehen auch die Sextourismusbranche<br />

mit ein. Um die Nachfrage zu befriedigen sind neben<br />

den unangemeldeten Etablissements, 3000 Bordelle und<br />

Sexclubs in Deutschland angemeldet. 2 Weitere Schätzungen<br />

gehen von ca. 200‘000 bis 400‘000 Prostituierten<br />

aus. 3 Etwa 60-80 Prozent der Frauen sind Migrantinnen<br />

und stammen aus armen Verhältnissen aus Osteuropa. 4 Um<br />

die große Nachfrage an jungen Frauen zu decken, wird<br />

auf der ganzen Welt mit Menschen gehandelt. In Europa<br />

sind überwiegend osteuropäische Frauen betroffen. Jährlich<br />

werden nach Schätzungen der Vereinten Nationen<br />

500‘000 Frauen und Mädchen verschleppt und zur Prostitution<br />

gezwungen. Bereits 2004 wird der Jahresumsatz<br />

mit dem Handel von Frauen und Minderjährigen in der<br />

EU auf etwa 10 Milliarden Euro geschätzt. 5<br />

ZWANGSPROSTITUTION IM PROSTITUTIONSGEWERBE<br />

Die häufigste Form von Menschenhandel besteht darin,<br />

dass ausländische Frauen verschleppt und zur Prostitution<br />

gezwungen werden. Dies passiert durch Schlepper,<br />

welche die Frauen vor Ort anwerben und als Ware verkaufen.<br />

In den meisten Fällen sind es Bekannte, die Osteuropäerinnen<br />

mit verlockenden Jobangeboten in der<br />

Gastronomie nach Deutschland lotsen. „Danach werden<br />

sie, wie es sehr bösartig in einschlägigen Kreisen heißt,<br />

zugeritten […] Wenn sie dann älter werden und für Freier<br />

nicht mehr attraktiv sind, werden sie, entsorgt‘.“ 6 Die Frauen<br />

werden in kurzen Zeitabschnitten von Stadt zu Stadt<br />

transportiert, um den Freiern ständig ein neues Angebot<br />

an Frauen zu bieten und soziale Kontakte, beispielsweise<br />

mit Sozialarbeitern, zu vermeiden.<br />

Eine weitere Methode ist die Loverboy-Masche, durch die<br />

auch deutsche Mädchen in die Zwangsprostitution gelangen.<br />

Junge Männer machen die Mädchen „gefügig“ 7 , indem<br />

sie ihnen Liebe vorgaukeln, Geschenke machen, etc.<br />

Somit werden die Mädchen isoliert, woraus eine emotionale<br />

Abhängigkeit entsteht. Es wird sehr schnell auf Sex<br />

gedrängt – die Mädchen sind zu diesem Zeitpunkt in der<br />

Situation, dass sie alles für den Loverboy machen würden.<br />

Oft sind Drogen im Spiel. Im späteren Verlauf werden<br />

die Mädchen dann zur Prostitution gezwungen. Der<br />

Loverboy droht ihnen, sie öffentlich bloßzustellen. Da die<br />

Mädchen verängstigt sind und meistens von dem Loverboy<br />

sozial isoliert wurden, ist es schwer ihnen zu helfen. 8<br />

Genaue Zahlen existieren jedoch nicht – die meißten Angaben<br />

basieren auf Hochrechnungen. Auch das Statistische<br />

Bundesamt konnte uns keine Auskunft geben, als wir<br />

nach Zahlen zu den Steuereinnahmen aus dem Prostitutionsgewerbe<br />

fragten. Auch über die Höhe der Gelder, die<br />

in die Prävention von Menschenhandel, Unterstützung der<br />

Opfer, sowie Förderung der Polizei/weitere Behörden im<br />

Bereich Menschenhandel fließen, konnten die Mitarbeiter<br />

des Statistischen Bundesamtes keine Zahlen nennen:<br />

„Sehr geehrter Herr Ziehm, vielen Dank für Ihre Anfrage<br />

vom 1. April 2014. Leider liegen die gewünschten<br />

Daten im Informationsangebot der amtlichen Statistik<br />

nicht vor, so dass wir Ihnen bedauerlicherweise nicht<br />

weiterhelfen können. Für weitere Fragen stehen wir<br />

Ihnen gerne wieder zur Verfügung.“<br />

Wir gehen davon aus, dass diese Unwissenheit auch bei<br />

Ihnen auf Unverständnis stoßen wird.<br />

POLITISCHE SITUATION<br />

Europa – Zur Jahrtausendwende versuchten die Regierungen<br />

in den einzelnen Staaten unterschiedlich mit dem<br />

„Problem“ umzugehen: Schweden bestraft seit 1999<br />

Freier bei Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen. 9<br />

Auch Frankreich zog im Jahr 2013 nach und erklärte die<br />

Prostitution für sittenwidrig und illegal. Dort werden Freier<br />

wie in Schweden nun mit einem Bußgeld bestraft. 10 Der<br />

Beitritt der osteuropäischen Länder in das Schengener<br />

Abkommen von 2007, wodurch die Grenzen innerhalb<br />

der europäischen Mitgliedsstaaten geöffnet sind, begünstigt<br />

den Sextourismus und die Möglichkeit Menschen zu<br />

schmuggeln. 11<br />

- 10 -<br />

- 11 -


Bildquelle: Unger, Marc-Steffen, www.bmi.bund.de, 20.08.2014, 23:33 Uhr.<br />

Deutschland – Seit dem Prostitutionsgesetz von 2002<br />

wurde das gesamte Prostitutionsgewerbe in Deutschland<br />

legalisiert. Es verfolgt das Ziel Sexarbeiterinnen zu unterstützen<br />

und ihren Beruf zu legalisieren, damit jede Prostituierte<br />

den Anspruch auf die Bezahlung für ihre Dienste<br />

geltend machen kann und die Möglichkeit besteht sozialversichert<br />

zu sein, wie in jedem anderen Beruf. 12<br />

„Während das Ziel, den Beruf der Prostitution aus der<br />

Illegalität zu holen, nicht fruchtete, sind Zuhälter und<br />

Menschenhändler weitgehend unbehelligt die Nutznießer<br />

der Liberalisierung, da sie kaum einer Straftat<br />

überführt werden können.“ 13<br />

Zwar gibt das Gesetz vor, dass Zuhälterei immer noch<br />

strafbar ist, aber im Falle von Menschenhandel und<br />

Zwangsprostitution müssen Täter mit vergleichbar harmlosen<br />

Konsequenzen rechnen. „Menschenhändler gehen<br />

nur in den Knast, wenn Frauen ihre Angst überwinden<br />

und aussagen.“ 14 Kriminalkommissar Uwe Dörnhöfer<br />

äußert: „Das Prostitutionsgesetz ist eher ein Prostituierten-Ausbeutungsgesetz<br />

und ein Zuhälterschutzgesetz.“ 15<br />

So wurde 2002 auch das Hygienegesetz abgeschafft<br />

welches veranlasste, dass jede Prostituierte regelmäßig<br />

von einem Amtsarzt untersucht wurde.<br />

Deutschlandweit ist es jedem, also auch vorbestraften<br />

Menschenhändlern, möglich, ein Bordell, Wohnungsbordell,<br />

FKK-Club, etc. zu betreiben. Seit 2002 gilt im Prostitutionsgewerbe<br />

das Weisungsrecht, welches Bordellbesitzern<br />

ermöglicht ihre Angestellten auf legale Weise zu<br />

Sexualpraktiken und extremen Arbeitsbedingungen zu<br />

zwingen. Es kann vorgeschrieben werden welche oder<br />

wie viel Kleidung getragen werden darf, dass auf Kondome<br />

verzichtet und wie lange gerarbeitet werden muss.<br />

Anregungen des EU Parlaments zur Prävention gegen<br />

Menschenhandel aus dem Jahre 2011 wurden in Deutschland<br />

bis heute nicht umgesetzt. 16<br />

STEUERVIELFALT<br />

In den zurückliegenden Jahren wurde zunehmend versucht,<br />

aus der enorm wachsenden Prostitutionsbranche<br />

Steuergelder zu erheben. Um dies zu erleichtern wurden<br />

Gesetze geschaffen und Vorkehrungen getroffen.<br />

Hier ist das „Düsseldorfer Verfahren“ zu nennen. So wird<br />

von Prostituierten eine Tagespauschale von 25 € erhoben,<br />

wenn sie keine Steuererklärung abgeben.<br />

Außerdem ist es den Kommunen selbst überlassen eine<br />

städtische Vergnügungssteuer zu erheben. Um diese einzutreiben,<br />

hat sich die Stadt Bonn eine fast schon zynische<br />

Variante einfallen lassen. 17<br />

Für 6€ können Straßenprostituierte ein Ticket erwerben,<br />

das es ihnen erlaubt von 20.15 Uhr bis 6 Uhr am Bonner<br />

Straßenstrich zu arbeiten. Dadurch wurde 2013 eine<br />

Summe von ca. 35.000 Euro an Steuern eingenommen. 18<br />

Heike Andrey, die Leiterin des Kassen- und Steueramts<br />

in Bonn, erläutert: „Ob sich die Stadt an einem solchen<br />

Elend bereichern darf, das war jetzt eine politische Entscheidung,<br />

die der Stadtrat getroffen hat – die andere<br />

Städte auch so getroffen haben – und in einer Satzung<br />

entsprechend verfügt haben.“ 19<br />

Seit dem Prostitutionsgesetz gab es immer wieder starke<br />

Kritik seitens der Hilfsorganisationen. Bordellbesitzer sind<br />

dagegen sehr glücklich mit dieser Regelung. 20 Dieses Ungleichgewicht<br />

wirft Fragen auf.<br />

REFLEKTION DES LETZTEN JAHRZEHNTS<br />

Mehrere Vertreter von Hilfsorganisationen und Experten,<br />

wie zum Beispiel Sr. Dr. Dr. h. c. Lea Ackermann 21 (SOL-<br />

WODI e.V.), der Bundestagsabgeordnete Frank Heinrich,<br />

sowie der Kommissar Helmut Sporer 22 versuchen eine<br />

Veränderung der Gesetzeslage herbeizuführen. Es werden<br />

immer wieder Vorschläge für eine Gesetzesänderung<br />

eingebracht, wie zum Beispiel der „Fünf-Punkte-Plan“ der<br />

CDU Frauen-Union. 23<br />

Zumeist werden neue Visionen für ein neues Gesetz von<br />

den Regierungen begrüßt, allerdings tut sich scheinbar<br />

sehr wenig. Einzelne Mitglieder im Bundestag beklagen<br />

immer wieder die gesetzliche Lage, wie beispielsweise<br />

Frank Heinrich (CDU). In einer Rede betonte er: Selbst<br />

die Niederlande, die Prostitution als erstes legalisiert<br />

hatte, prüfe momentan die Lage. Die London School of<br />

Economics habe in ihrer Studie „Does Legalized Prostitution<br />

Increase Human Trafficing“ herausgefunden, dass die<br />

deutsche Gesetzeslage den Menschenhandel fördert. 24<br />

Er betont die Gründung von Organisationen, wie Gemeinsam-gegen-Menschenhandel<br />

und spricht von deren<br />

vier Zielen: Öffentlichkeitsarbeit, Sensibilisierung, Prävention,<br />

Opferschutz und möglicherweise auch Gesetzesänderungen.<br />

25<br />

Bereits 2007 hat der Bundestag in einer Untersuchung<br />

festgestellt, dass das Gesetz seine Ziele nicht erreicht<br />

hat. 26 Kurz vor Ende der letzten Legislaturperiode wurde<br />

- 12 -<br />

- 13 -


versucht ein neues Gesetz zu beschließen, doch dieser Entwurf war nach Aussagen<br />

von Helmut Sporer untauglich, da an den falschen Punkten angesetzt<br />

wird. Deshalb wurde er vom Bundestag mit dem Vermerk „Guter Ansatz mit<br />

Nachbesserungsbedarf“ abgeschmettert. Der bisherige Verlauf macht wenig<br />

Hoffnung auf eine baldige Gesetzesänderung. 27<br />

GESELLSCHAFTLICHE SITUATION<br />

Die Gesellschaft teilt sich in vier unterschiedliche Interessensgruppierungen.<br />

Zum einen gibt es die Unwissenden, zum anderen gibt es die wenig Informierten,<br />

die kein Interesse an einer Veränderung haben weil sie die Ausmaße und<br />

Zusammenhänge nicht kennen oder sie ihnen egal sind. 28 Außerdem gibt es<br />

die Informierten, die sich in ihrer Einstellung zur Notwendigkeit der Veränderung<br />

aufteilen. Die Befürworter der Prostitution sind mit der jetzigen Situation<br />

sehr zufrieden, da sie selbst eine Rolle in diesem Gewerbe spielen. Entweder<br />

profitieren sie selbst von der Ausbeutung als Zuhälter, Vermieter, Freier, o.Ä.<br />

oder sie sind eine der wenigen, tatsächlich freischaffenden Prostituierten 29 ,<br />

die Spaß an dieser Arbeit haben und das schnelle Geld suchen. 30 Die Freiheit<br />

kann allerdings auch ein Trugschluss sein, da die Prostitution Auswirkungen<br />

auf die Psyche hat, wie eine ehemalige Prostituierte erläutert: „Für immer hätte<br />

ich das nicht machen können. Auf Dauer wäre ich schizophren geworden […]<br />

Damals hieß es Augen zu und durch. Ich bin der Meinung, dass nicht jede<br />

Frau das machen kann, ohne dass die Psyche darunter leidet.“ 31<br />

RÉSUMEÉ<br />

Die Aufarbeitung des theoretischen Kontextes ermöglicht einen groben Überblick<br />

über die Facetten des Prostitutionsgewerbes. Es wird erkennbar, dass die<br />

illegalen Strukturen durch die Legalisierung nicht zurückgehen, sondern dass<br />

das Gewerbe eine Eigendynamik entwickelt. Durch die aktuelle Gesetzeslage<br />

sind Polizisten und Ämtern zumeist die Hände gebunden wenn sie versuchen<br />

gegen Menschenhändler vorzugehen. Für einen Großteil der Politiker scheinen<br />

die Missstände nicht dringend genug oder die Verlockung der Steuereinnahmen<br />

zu groß.<br />

Wir sind davon überzeugt, dass es zwingend notwendig ist, die verborgenen<br />

Machenschaften von Menschenhändlern, das Elend der Zwangsprostituierten,<br />

das Nichts-Tun des Staates und die Perversion der Freier, an das Tageslicht<br />

zu bringen. Außerdem ist es Zeit ein Bewusstsein zu schaffen und einfache<br />

Möglichkeiten aufzuzeigen, die zumindest die Zustände der Prostituierten verbessern.<br />

Dies deckt sich zudem mit Aussagen von Prostitutionslobbyisten und<br />

Bordellbesitzern, die zumindest nach außen behaupten, sich die Verdrängung<br />

der mafiösen Strukturen und die Verbesserung der Lage aller Prostituierten<br />

wünschen.<br />

Anmerkungen:<br />

1 Vgl. Diana Sierpinski, Prostitutionsland Deutschland. Willkommen im Paradies für<br />

Freier, www.n-tv.de/politik/Willkommen-im-Paradies-fuer-Freier-article10843146.<br />

html, 23. 07.2014, 21:14 Uhr.<br />

2 Ebd.<br />

3 Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Fragen<br />

und Antworten zum Bericht der Bundesregierung zu den Auswirkungen des<br />

Prostitutionsgesetzes, www.bmfsfj.de/BMFSFJ/gleichstellung,did=132012.html,<br />

23.07.2014, 21:14 Uhr.<br />

4 Vgl. Die Welt, Stefan Borstel, Mindestalter von Huren soll auf 21 Jahre steigen,<br />

www.welt.de/politik/deutschland/article125129610/Mindestalter-von-Huren-sollauf-21-Jahre-steigen.html,<br />

07.04.2014, 15:20 Uhr.<br />

5 Vgl. Westdeutscher Rundfunk Köln, Organised Crime Report, 2004, www.planetwissen.de/alltag_gesundheit/sexualitaet/prostitution/,<br />

07.04.2014, 15:20 Uhr.<br />

6 Vgl. Schwäbischer Verlag GmbH und Co.KG Drexler, Gessler, Prostitution in<br />

Ravensburg: „Die wenigsten Frauen machen das freiwillig“, www.schwaebische.de/<br />

region/oberschwaben/ravensburg/stadtnachrichten-ravensburg_artikel,-Prostitutionin-Ravensburg-Die-wenigsten-Frauen-machen-das-freiwillig-_arid,5346807.html,<br />

07.04.2014, 15:10 Uhr.<br />

7 Vgl. Süddeutsche Zeitung, Nadine Greve, „LOVERBOYS“ – die Masche Liebe,<br />

http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/524244/LOVERBOYS-die-Masche-<br />

Liebe, 26.07.2014, 20 Uhr.<br />

8 Ebd.<br />

9 Vgl. Die Welt, Jörg Eigendorf, Drei Dinge, die Deutschlands Prostituierten<br />

helfen können. www.welt.de/politik/deutschland/article121491940/Drei-Dingedie-Deutschlands-Prostituierten-helfen-koennen.html,<br />

07.04.2014, 13:06 Uhr.<br />

10 Vgl. Die Welt, Sascha von Lehnartz, www.welt.de/politik/ausland/<br />

article122562057/In-Frankreich-muessen-Freier-jetzt-Strafe-zahlen.html,<br />

19.08.2014, 21:55 Uhr.<br />

11 Vgl. Westdeutscher Rundfunk Köln, Natalie Muntermann, Prostitution –<br />

die Geschichte der käuflichen Liebe, www.planet-wissen.de/alltag_gesundheit/<br />

sexualitaet/prostitution, 07.04.2014, 11:58 Uhr.<br />

12 Ebd.<br />

13 Vgl. Die Welt, Jörg Eigendorf [u.a.], Deutschland ist Umschlagplatz für Frauen<br />

geworden, www.welt.de/politik/deutschland/article121490345/Deutschland-ist-<br />

Umschlagplatz-fuer-Frauen-geworden.html, 18.02.2014, 16:43 Uhr.<br />

14 Vgl. Rita Knobel-Ulrich, Menschenhandel in Europa. Billignachschub für<br />

deutsche Puffs, 2012, Dokumentation, Knobel-Film im Auftag des ZDF, ZDF,<br />

www.youtube.com/watch?v=gY4D9wvA3FQ, 22.07.2014, 15:16 Uhr.<br />

15 Ebd.<br />

16 Pressemitteilung: Die Freier bestrafen, nicht die Prostituierten, fordert das<br />

Parlament, Ausschüsse Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der<br />

Geschlechter, Plenartagung 26.02.201,14:26, Quelle: www.europarl.europa.eu/<br />

pdfs/news/expert/infopress/20140221IPR36644/20140221IPR36644_de.pdf<br />

17 Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,<br />

Exkurs: Vergnügungssteuer, www.bmfsfj.de/doku/Publikationen/<br />

prostitutionsgesetz/03030403.html, 20.07.2014, 19 Uhr.<br />

18 Vgl. Süddeutsche Zeitung, Sexsteuer lohnt sich für Stadt Bonn,<br />

www.sueddeutsche.de/geld/ein-jahr-nach-der-einfuehrung-stadt-bonnsieht-sexsteuer-positiv-1.1449051,<br />

21.07.2014, 20 Uhr.<br />

19 Vgl. heute Nachrichtentechnik vom 31.08.2011, 2011, Nachrichten,<br />

ZDF, www.youtu.be/UkiC4maEoeQ, 22.07.2014, 21 Uhr.<br />

20 Vgl. ARD: Die Story im Ersten: Sex - Made in Germany: Prostitution<br />

und ihre Profiteure, www.youtube.com/watch?v=Sqhynn54HVc (2:20-3:08),<br />

21.07.2014, 20 Uhr.<br />

21 Vgl. SOLWODI e.V.: Prostitutionsgesetz fördert Menschenhandel und<br />

Zwangsprostitution, http://solwodi.de/769.0.html, 21.07.2014, 20 Uhr.<br />

22 Vgl. Die Welt, Drei Dinge, die Deutschlands Prostituierten helfen können,<br />

www.welt.de/politik/deutschland/article121491940/Drei-Dinge-die-<br />

Deutschlands-Prostituierten-helfen-koennen.html, 21.07.2014, 12 Uhr.<br />

23 Vgl. Frauen Union CDU, Nein zu Zwangsprostitution,<br />

www.nein-zu-zwangsprostitution.de/home.html, 21.07.2014, 12 Uhr.<br />

24 Vgl. Seo-Young Cho, Axel Dreher, Eric Neumayer: Does Legalized Prostitution<br />

Increase Human Trafficking?, Article-for-World-Development_prostitution, S. 1.<br />

25 Vgl. Frank Heinrich, Deutscher Bundestag: 43. Sitzung vom 06.06.2013,<br />

www.bundestag.de.<br />

26 Vgl. Das Erste, EU-Studie: Mehr Menschenhandel durch liberales<br />

Prostitutionsgesetz, www.daserste.ndr.de/panorama/aktuell/prostitution131.html,<br />

21.07.2014, 12 Uhr.<br />

27 Vgl. taz Verlag, Kommissar über Menschenhandel „Nur Nebensächlichkeiten<br />

geregelt“, www.taz.de/!118910/, 21.07.2014, 12 Uhr.<br />

28 Vgl. Rita Knobel-Ulrich, Menschenhandel in Europa. Billignachschub für<br />

deutsche Puffs, 2012, Dokumentation, Knobel-Film im Auftag des ZDF, ZDF,<br />

www.youtube.com/watch?v=gY4D9wvA3FQ, 22.07.2014, 15:16 Uhr.<br />

29 Vgl. ARD, Die Story im Ersten, Sex - Made in Germany: Prostitution und ihre<br />

Profiteure, www.youtube.com/watch?v=Sqhynn54HVc (3:00 – macht Spaß und<br />

ich werde bezahlt), 21.07.2014, 12 Uhr.<br />

30 Vgl. ZDF info: Mein Job ist Sex - Familiengeheimnis Prostitution,<br />

www.youtube.com/watch?v=VpkjKVJ49-M, 21.07.2014, 12 Uhr.<br />

31 Vgl. ARD, Die Story im Ersten: Sex - Made in Germany: Prostitution und ihre<br />

Profiteure, www.youtube.com/watch?v=Sqhynn54HVc (7:25), 21.07.2014, 12 Uhr.<br />

- 14 -<br />

- 15 -


03 KONZEPT<br />

Nachstehend wird der Ablauf der gesamten Kampagne geschildert, die aus einem<br />

Kick-Off-Event, mehreren Ausstellungsorten und dem Meeting mit Hilfsorganisationen besteht.<br />

EINLEITUNG & IDEE<br />

In diesem Kapitel erläutern wir das Konzept der Ausstellung<br />

sowie den Ablauf der gesamten Kampagne. Am<br />

Anfang der Konzeption steht gewöhnlich eine Idee, die<br />

bestenfalls so knapp formuliert ist, dass sie auf einen Bierdeckel<br />

passt und trotzdem alle wesentlichen Bestandteile<br />

enthält: „Eine Wanderausstellung, die an verschiedenen<br />

Orten einerseits durch den realistischen Nachbau unbekannter<br />

Schauplätze, andererseits durch die Inszenierung<br />

von schockierenden Themen die Präsenz von Zwangsprostitution<br />

offenbart.“ Dabei beschäftigen uns die Ausmaße<br />

des Prostitutionsgewerbes, die Einstellung der Gesellschaft,<br />

sowie die Rolle des Staates.<br />

AUSSTELLUNGSKONZEPTION<br />

Die Ausstellungskonzeption sieht drei Phasen vor, die<br />

nahtlos ineinander übergehen. Wir beginnen mit einem<br />

Kick-Off-Event: Eine Empörung erregende Aktion und<br />

Plakate sollen die Zielgruppe emotional abholen und<br />

auf unsere Landingpage (Website zur Ausstellung) verweisen.<br />

Anschließend folgt die Ausstellung an verschiedenen<br />

Orten, die der Besucher nach Belieben an einem<br />

oder mehreren Tagen besuchen kann. Abschließend wird<br />

ein Meeting in der Stadt organisiert, bei denen man mit<br />

Streetworkern und Vertretern der Hilfsorganisationen in<br />

Kontakt treten kann.<br />

Die Informationen zum Thema Zwangsprostitution sind<br />

vorhanden und jedem via Internet zugänglich – dieses<br />

Angebot wird allerdings noch nicht genutzt. Die Ausstellung<br />

verdeutlicht die Brisanz des Themas und zeigt es an<br />

potentiellen Tatorten – mitten im Leben.<br />

Da das Thema sehr heikel ist und die Prostituionslobby<br />

versucht jegliche Gegenwehr im Keim zu ersticken arbeitn<br />

wir lediglich quellenbasiert. Immer wieder kann<br />

der Besucher auf der App die Echtheit der Themen, Ausstellungsstücke,<br />

Beiträge, etc. nachprüfen. Dies ist sehr<br />

wichtig, da wir während des Projektes oftmals Reaktionen<br />

erlebt haben, dass Gesprächspartner die Wahrheit<br />

unserer Recherchen in Frage gestellt haben, da manche<br />

Informationen verblüffend sind.<br />

KICK-OFF-EVENT<br />

Wir starten mit einer Aktion, die die Zielgruppe auf das<br />

Problem aufmerksam macht und auf die Landingpage der<br />

Ausstellung verweist – ähnlich einem „Inciting Incident“ 1<br />

aus der Theorie des Storytellings, das Aufmerksamkeit erregendes<br />

Ereignis meint, welches Beobachter aus ihrem<br />

Alltagstrott reißt. Die Besucherzahlen der Ausstellung werden<br />

vor allem zu Beginn von der Qualität dieses Events<br />

abhängen. Deshalb muss diese Aktion Menschen emotional<br />

berühren. Das Event wird durch Plakate unterstützt,<br />

die ebenfalls auf die Landingpage verweisen.<br />

AKTION<br />

Es wird eine große Studentenparty organisiert, die von<br />

einem nicht existierenden Eros-Center gesponsert wird.<br />

Die Werbung weißt auf Getränkespecials zwischen 23<br />

und 24 Uhr, freien Eintritt für Frauen, Tänzerinnen und<br />

einen Mega-Überraschungs-Show-Akt zu Mitternacht hin.<br />

Die Gestaltung der Werbung ist an die billige Rotlichtund<br />

Partyszene angelehnt.<br />

Auf dem Dancefloor gibt es Pole-Dancing-Stangen, an<br />

denen die von uns gecasteten Schauspielerinnen zu<br />

Werbezwecken für das Eros-Center reizvoll tanzen. Die<br />

Tänzerinnen werden mit einem Tattoo gekennzeichnet,<br />

dass sie gemäß einer Brandmarke dem Bordellbesitzer<br />

des Eros-Centers zuordnet und sie als dessen Eigentum<br />

kennzeichnet. Die Namen der Prostituierten (Schauspieler)<br />

tauchen später in der Ausstellung wieder auf. Sie verteilen<br />

Visitenkarten, auf deren Vorderseite Werbung für<br />

das Eros-Center und auf deren Rückseite handschriftlich<br />

die Webadresse unserer Landingpage geschrieben steht.<br />

Für den Überraschungs-Show-Akt werden die Blicke durch<br />

Lichter, Nebel und Sound auf die Bühne gelenkt. Es soll<br />

eine große Erwartung erzeugt werden. Ein offensichtlich<br />

minderjähriges Mädchen läuft schüchtern auf die Bühne.<br />

Deren Widerwillen ist spürbar. Es wird offensichtlich,<br />

dass sie dazu gezwungen wird. Letztendlich bricht sie auf<br />

der Bühne zusammen. Es eilen einige der Türsteher auf<br />

die Bühne und schleppen das Mädchen hinter den Vorhang.<br />

Nach diesem Zwischenfall und der geschockten<br />

Stille geht die Party weiter. Der DJ versucht durch einen<br />

Partysong die gute Stimmung wieder herzustellen. Alles<br />

macht den Anschein, dass der Zwischenfall souverän verschleiert<br />

werden soll.<br />

- 16 -<br />

- 17 -


Am Ausgang der Party-Location stehen engagierte Studenten,<br />

die unsere Ausstellungsshirts tragen und aus Protest<br />

Flyer zu unserer Ausstellung verteilen.<br />

PLAKATE<br />

Da das Thema einen bedrückenden Charakter hat, sollen<br />

die Plakate durch eine ähnlich schockierende Bildsprache<br />

und ein politisch unkorrektes Wording wachrütteln. Die<br />

Gestaltungsmittel stammen unmittelbar aus dem Metier,<br />

um thematische Bezüge herzustellen.<br />

Die Plakate für die Ausstellung werden in der Nacht des<br />

Events in Universitäten, Hochschulen, weiterführenden<br />

Gymnasien, kirchlichen Einrichtungen, an S-Bahn-, Bushaltestellen,<br />

und im angrenzenden Rotlichtmilieu aufgehängt.<br />

Die ausgewählten Orte zeichnen sich dadurch<br />

aus, dass sich dort die definierte Zielgruppe bevorzugt<br />

aufhält und direkt angesprochen werden kann.<br />

MULTIMEDIALES ADVERTISING<br />

Der Absender der Ausstellung tritt erst nach dem Event<br />

in den Vorschein. Ergänzend zu den Plakaten und Flyern<br />

wird die Ausstellung in sozialen Netzwerken beworben<br />

und Bannerwerbungen geschaltet, da sich die Zielgruppe<br />

häufig im Internet aufhält. Zusätzlich werden Posts<br />

verfasst und in Verbindung mit der Studentenparty gebracht.<br />

Diese Posts zeigen die Party aus einer anderen<br />

Perspektive. Mit Fotos und Handy-Videos wird jetzt der<br />

Blick hinter die Kulissen ermöglicht. Es werden die oben<br />

genannten Indizien, die auf Zuhälterei hinweisen, in den<br />

Vordergrund gerückt.<br />

Die Zielgruppe erlebte eine Nacht in einer gewohnten<br />

„Ausgeh“ und „Feier“- Atmosphäre. Diese Ereignis und die<br />

folgende Kampagne stellen jetzt den Alltag auf den Kopf<br />

und zeigt, in welcher Situation oder in welchem Umfeld<br />

sie sich tatsächlich vergnügt hat. Diese 180-Grad-Wendung<br />

betrifft die Zielgruppe persönlich und schafft den<br />

Ansporn sich in der Ausstellung mit der Thematik Zuhälterei<br />

und Menschenhandel zu beschäftigen.<br />

AUSSTELLUNGSORTE<br />

Während der Recherche haben sich einige sehr interessante<br />

Themen herausgestellt: Die Gedanken eines Freiers,<br />

das Nicht-Handeln der Regierungen, die Bereicherung an<br />

diesem Elend durch das Finanzamt (Bsp.: Steuerautomat<br />

in Bonn), das dreckige Geschäft von Bordellbesitzern, der<br />

Sextourismus nach Deutschland, der „Frischfleisch“-Nachschub<br />

aus Ost-Europa, die Loverboy-Masche, Kinderprostitution,<br />

die Gesellschaft und die Perspektive der Prostituierten.<br />

Diese Vielzahl an Themen ist in einer Ausstellung<br />

nicht abzudecken, da dieser Überschuss an Informationen<br />

vom Besucher nicht aufgenommen werden kann. Deshalb<br />

haben wir die Informationen in Themen-Cluster aufgeteilt<br />

und anschließend eine Auswahl getroffen.<br />

„Freier“ – Das Thema Freier wird gewählt auf Grund der<br />

schockierenden Wirkung der Kommentare über Prostituierte,<br />

die im Internet zu finden sind. Diese Kommentare sind<br />

ähnlich einer Produktbeschreibung und deklassieren das<br />

Frauenbild auf ein Objekt, welches gekauft und genutzt<br />

werden kann. Hier soll unterschwellig eine starke gesellschaftskritische<br />

Botschaft übermittelt werden.<br />

„Loverboy“ – Das Thema Loverboy wird wegen der schockierenden<br />

Wahrheit gewählt, dass selbst deutsche, intelligente<br />

Mädchen, die oftmals sogar aus einem reicheren Elternhaus<br />

stammen, in die Prostitution gelangen. Es wäre möglich,<br />

dass auch die Tochter, Schwester, Freundin, das Enkelkind,<br />

usw. des Besuchers betroffen ist. Diese unmittelbare Nähe<br />

zum Opfer zieht den Besucher wesentlich stärker in den<br />

Bann der Geschichte als ein osteuropäisches Mädchen, zu<br />

dem die meisten keinen persönlichen Bezug haben.<br />

„Kinderprostitution“ – Das Thema Kinderprostitution ist ein<br />

polarisierendes Thema, da Kinder für die meisten Menschen<br />

unantastbar sind. Kinder und Tiere werden in der Werbung<br />

oft als emotionaler Catcher genutzt. Pädophilie ist eines der<br />

Themen, die in der deutschen Gesellschaft auf starke Empörung<br />

stoßen. Dies zeigen die Reaktionen auf die Missbrauchsfälle<br />

in der katholischen Kirche und der Fall Edathy.<br />

„Menschenhändler“ – Das Thema Menschenhändler ist<br />

interessant, da der Handel mit Menschen ein globales Problem<br />

ist, bei dem Deutschland eine herausstechende Rolle<br />

spielt. Außerdem ist erschreckend, dass der europäische<br />

Handel mit Frauen und Mädchen solch lukrativ erscheinende,<br />

gewerbliche Züge annimmt.<br />

„Wohnungsbordell“ – Des Weiteren soll ein Wohnungsbordell<br />

nachgebaut werden, da das Erleben eines solchen<br />

Ortes für den Großteil der Besucher neu und spannend ist.<br />

Es bietet die Gelegenheit, über die Perspektive der Opfer<br />

aufzuklären. Ein weiterer Aspekt dieses Ortes ist der, dass<br />

die Besucher verstehen wo diese Wohnungsbordelle zu<br />

finden sind und ihnen wird klar, dass es auch ihre Nachbarwohnung<br />

sein kann.<br />

„Finanzamt“ – Die Position des Finanzamtes soll an einem<br />

der Orte gezeigt werden, an dem das Amt Geld von der<br />

Branche bezieht. Die Abartigkeit der Praxis und des Namens<br />

der „Verrichtungsboxen“ ist erschreckend. Genauso<br />

wie die Art und Weise, wie das Finanzamt Steuern aus diesem<br />

Gewerbe zieht. Beinahe surreal wirken die Aussagen<br />

und Rechtfertigungen von Finanzbeamten, für die nach eigenen<br />

Angaben die Umstände der Frauen irrelevant sind,<br />

da sie „nur das Geld“ wollen 2 und sich durch den Beschluss<br />

des Staates an diesem „Elend bereichern“ dürfen. 3<br />

Die Umsetzung erfordert Orte, Wohnungen und Räumlichkeiten,<br />

die in den jeweiligen Städten zur Nutzung zur Verfügung<br />

stehen müssen. Dafür nutzen wir das Internetportal<br />

„Airbnb“, das Wohnungen kurzzeitig vermietet und schon<br />

für eine Ausstellung genutzt wurde. 4<br />

1<br />

BEGINN<br />

2<br />

3<br />

MIT EINEM<br />

SCHOCKIEREN-<br />

DEN EVENT<br />

THEMATISCHE<br />

INSZENIERUNG<br />

VON AUSSTEL-<br />

LUNGSORTEN<br />

MEETING MIT<br />

HILFSORGANI-<br />

SATIONEN IN<br />

DER STADT<br />

- 18 -


MEETING MIT DEN HILFSORGANISATIONEN<br />

ENGAGEMENT<br />

Anmerkungen:<br />

Das Meeting ist der Abschluss der Wanderausstellung.<br />

Der Ausstellungsbesucher soll nicht mit der erschreckenden<br />

Situation alleine gelassen werden. Hier kann er an<br />

mehreren Ständen verschiedener Hilfsorganisationen mit<br />

Streetworkern sprechen, die ihre ganz eigenen Erfahrungen<br />

erzählen können.<br />

Die Orte sind Scene-Locations wie das Bikini-Berlin. Diese<br />

werden gerne von der Zielgruppe besucht, sind jedoch<br />

nicht zu spezifisch, sodass auch Menschen dort anzutreffen<br />

sind, die nicht zur Zielgruppe gehören.<br />

Außerdem werden Möglichkeiten aufgezeigt, wie man<br />

seine Stimme erheben und selbst aktiv werden kann.<br />

Dazu wird eine Wand aufgestellt, an der die Besucher ihrer<br />

Zustimmung für die Unterstützung Ausdruck verleihen<br />

können. Diese Wand wird mit einem Großflächenplakat<br />

versehen. Darauf ist der Claim und der Absender in der<br />

Ausstellungsgestaltung mit dem Key-Visual im Hintergrund<br />

abgebildet. Unterstützer tauchen ihren Daumen in weiße<br />

Farbe und zeigen ihre Empörung durch einen Abdruck<br />

auf dem Plakat, den sie mit einem weißen Stift signieren.<br />

Die Komposition bleibt an diesem Ort für eine gewisse<br />

Zeit als Mahnmal. Von den Organisationen werden weitere<br />

Möglichkeiten vorgestellt, um sich zu engagieren.<br />

Diese findet man ab diesem Zeitpunkt auch auf der App<br />

und der Landingpage.<br />

1 Vgl. Robert McKee, Story. Die Prinzipien des<br />

Drehbuchschreibens, Alexander Verlag, Berlin,<br />

8. Auflage, 2013, S. 205.<br />

2 Vgl. Vgl. heute Nachrichten, SexTicket-<br />

Automat für den Straßenstrich – Stadt Bonn als<br />

Zuhälter will mitverdienen, www.youtube.com/<br />

watch?v=UkiC4maEoeQ, 23.07.2014, 14 Uhr.<br />

3 Vgl. Vgl. Rita Knobel-Ulrich, Menschenhandel<br />

in Europa. Billignachschub für deutsche Puffs, 2012,<br />

Dokumentation, Knobel-Film im Auftag des ZDF,<br />

ZDF, www.youtube.com/watch?v=A4I2JvJZFeI,<br />

23.07.2014, 14 Uhr.<br />

4 Vgl. Vgl. New York Times, A Satellite Show at the<br />

Venice Architecture Biennale, Hosted Through (and<br />

Inspired by) Airbnb, www.mobile.nytimes.com/blogs/<br />

tmagazine/2014/06/04/airbnb-pavilion-venicearchitecture-biennale/,<br />

23.07.2014, 13 Uhr.<br />

- 20 -<br />

- 21 -


04 AUSSTELLUNG<br />

In diesem Kapitel erläutern wir die Prinzipien der Ausstellungsorte und gehen auf<br />

jeden einzelnen Ort mit erläuternden Texten und Visualisierungen ein.<br />

METHODIK DER AUSSTELLUNGSORTE<br />

Die Ausstellungsorte funktionieren nach zwei grundlegenden<br />

Prinzipien. Zum einen gibt es das Prinzip thematische<br />

Inszenierungen, zum anderen das Prinzip originalgetreue<br />

Nachbauten.<br />

THEMATISCHEN INSZENIERUNG<br />

DRAMATURGISCHES REPERTOIRE<br />

Zunächst sollen die Ausstellungsorte einen unschein baren<br />

Eindruck machen, sodass die schockierenden Inhalte auf<br />

Grund des höheren Kontrastes noch stärker zur Wirkung<br />

kommen. Deshalb wählen wir bekannte Orte wie Schulen<br />

und Spielplätze, da ihnen eine Schutzfunktion anhängt,<br />

die wir brechen können.<br />

Bildquelle: www.old.notforsalecampaign.org, 20.08.2014, 23:25 Uhr.<br />

Generell eröffnet die thematische Inszenierung die<br />

Möglich keit den Fokus des Themas zu wählen, sowie irrelevante<br />

oder schwächere Aspekte zu vernachlässigen.<br />

Es kann bewusst mit dem Mittel der Übertreibung gearbeitet<br />

werden. Die Reduktion der Kulisse, sowie die klare<br />

Struktur erleichtern dem Besucher das Wahrnehmen der<br />

Information. Dazu zählen die beiden Themen Stimmen<br />

der Freier und Meschenhändler sowie die Themen Loverboy<br />

und Kinderprostitution.<br />

DRAMATURGISCHES REPERTOIRE<br />

Bei der thematischen Inszenierungen können die Veränderung<br />

des Blickwinkels und aufklärende Kunstgriffe wie<br />

Gleichnisse, Vergleiche, Denkmodelle eingesetzt werden.<br />

ORIGINALGETREUER NACHBAU<br />

Außerdem gibt es die originalgetreuen Nachbauten. Somit<br />

fühlt sich der Betrachter unmittelbar in die Welt des<br />

Geschehens hinein versetzt. Dies ist besonders lohnenswert<br />

für Orte, deren Existenz oder Aufbau dem Betrachter<br />

unbekannt sind. So kann die menschliche Neugier<br />

befriedigt werden.<br />

Außerdem nutzen wir ganz normale Wohnungen, die in<br />

gewöhnlichen, vor allem für Großstädte typischen Mehrfamilienhäusern<br />

befinden. Das sehr korrekte, saubere<br />

Image des Finanzamtes wird von uns durch Verrichtungsboxen<br />

in einer heruntergekommenen Gegend präsentiert.<br />

Genau umgekehrt wirkt das Thema Prostitution in einem<br />

gewöhnlichen Wohnhaus. Durch die Thematisierung erreichen<br />

wir bei den realistischen Nachbauten, dass der<br />

Besucher vollkommen in die Situation hinein versinkt.<br />

Zwingend müssen die Inferential Beliefs (Elemente, die<br />

der Besucher in Verbindung mit dem Thema erwartet) eingesetzt<br />

werden.<br />

Es werden authentische Environments geschaffen, die<br />

dem Besucher das Gefühl geben, dass er sich in einem<br />

betriebenen Wohnungsbordell beziehungsweise auf dem<br />

Straßenstrich befindet. Viele Besucher werden die Echtheit<br />

der originalgetreuen Nachbauten nicht anzweifeln,<br />

da viele kleine Details genau ihren Vorstellungen entsprechen<br />

und alles echt scheint.<br />

- 22 -<br />

- 23 -


„ICH WAR GESCHOCKT,<br />

DASS SELBST DEUTSCHE,<br />

LOVERBOY-MASCHE<br />

Inszenierung: Dennis Ziep, Hannes Ziehm, Fotografie: Hannes Ziehm, Modell: Dennis Ziep,<br />

Örtlichkeit: Hölderlin-Gymnasium, Lauffen am Neckar, 2014<br />

INTELLIGENTE MÄDCHEN,<br />

AUS WOHLHABENDEM<br />

ELTERNHAUS IN DIE PRO-<br />

STITUTION GEDRÄNGT<br />

WERDEN. JEDES SCHUL-<br />

MÄDCHEN KÖNNTE BE-<br />

TROFFEN SEIN – SOGAR<br />

DIE EIGENE TOCHTER,<br />

SCHWESTER, FREUNDIN<br />

DES BESUCHERS.“<br />

AUF DEM SCHULHOF<br />

Das Thema Loverboy wird auf dem Schulhof inszeniert,<br />

der oftmals Ausgangsort dieses Verbrechens ist.<br />

Im Schulhof kann konkret entgegen der wiederaufkommenden<br />

Gefühle und Erinnerungen an diese Orte mit<br />

dem schockierenden Fakt, dass auch Schulmädchen<br />

in die Prostitution geraten, gearbeitet werden. Beim<br />

Inszenieren dieses Themas sind auch wir von dem Ort in<br />

den Bann gezogen worden, an dem viele Erinnerungen<br />

hängen: „Da hat man immer in der Pause gesessen, dort<br />

hingen die Unterrichtspläne. Vielleicht ist die Tür offen?“<br />

Es ist das gleiche Prinzip, das wir nachstehend auch für<br />

das Thema Kinderpostitution nutzen.<br />

UMSETZUNG<br />

An der Bank im Schulhof sind zwei Kopfhörer befestigt.<br />

Es wird ein Audiobeitrag abgespielt, in dem die Synchronstimme<br />

des Opfers über die Ereignisse erzählt, die ihr<br />

widerfahren sind. Den Audiobeitrag finden Sie in abgedruckter<br />

Form auf der Folgeseite oder im Internet auf der<br />

Seite www.<strong>schlussstrich</strong>.org/ausstellungskonzept.<br />

Auf der Sitzfläche liegt eine Zeitung mit einem Zeitungsbericht<br />

zum erläuterten Vorfall. Im Inneren der Zeitung findet<br />

der Besucher einen Flyer mit Informationen & Hilfe für<br />

Angehörige von potentiellen Opfern. Diesen kann man<br />

aus dem Behälter seitlich der Bank mitnehmen.<br />

Hannes Ziehm<br />

- 25 -


„Hier hat alles begonnen. Dort drüben saß er immer.<br />

Man erzählte sich, dass Marco Probleme lösen könnte.<br />

Probleme hatte ich genügend. Meine Eltern haben sich<br />

geschieden und ich war ihnen total egal. Zu Hause war<br />

ich kaum – lieber wollte ich mit meinen Freunden auf<br />

der Straße Zeit verbringen […]<br />

Marco war total lieb. Als wir uns das erste Mal unterhalten<br />

haben, hat er mich zum Eis essen eingeladen.<br />

Er hat mir immerzu Komplimente gemacht. Es war so<br />

schön. Wir lernten uns immer besser kennen und kamen<br />

zusammen. Ich war so glücklich. Es war meine erste<br />

Beziehung. Zwei Wochen später hatten wir zum ersten<br />

Mal Sex. Ich war mir unsicher, aber ich habe es für ihn<br />

getan – er war so nett zu mir und es war etwas ganz<br />

Besonderes.<br />

Ein paar Wochen danach fragte er mich, ob wir Sex<br />

mit einem weiteren Mann haben könnten. Er sagte, es<br />

wäre sein größter Wunsch, sein Traum, das mit ihr zu<br />

erleben. Er besuchte mich regelmäßig. Dann kam er mit<br />

einem Kollegen. Ich wollte das nicht, konnte mich aber<br />

nicht wehren. Die Nachbarn oder meine Oma sollten<br />

nichts merken. Dann kam er mit anderen Kollegen, ungefähr<br />

15 bis 16 mal. Ich wollte das nicht, aber er hat<br />

immer zu mir gesagt, dass er ihre Eltern und Großeltern<br />

kennen würde… Ich habe mir eingeredet, dass es nicht<br />

so schlimm ist. Einmal waren meine Freundinnen da. Die<br />

habe sie dann weggeschickt. Ich wollte nicht, dass sie<br />

da hineingezogen würden. Ich hatte Angst um meine<br />

Freundinnen.<br />

Im Januar erzählte er mir, sein Vetter sei schwer krank,<br />

Schlaganfall und dass seine Familie Schulden hätte. Er<br />

fragte mich, ob ich ihm finanziell helfen könnte. Aber<br />

das konnte ich nicht – ich hatte kein Geld. Dann fragte<br />

er mich: Kannst Du für mich anschaffen gehen? Ich war<br />

gerschockt. Das wollte ich nicht.Er hat mich zwei<br />

Wochen überredet, dann habe ich zu ihm gesagt: Ich<br />

kann mir das ja mal angucken gehen. Er sagte: Wir<br />

fahren da hin und du entscheidest.<br />

Wir sind zum ersten Mal im Februar in das Bordell<br />

gefahren. Ich war 18 Jahre alt. Marco sprach mit den<br />

Männern an der Rezeption. Dann sagte er zu mir, ich<br />

soll jetzt auf das Zimmer gehen. Er habe das Zimmer<br />

für mich bezahlt.<br />

Ich wollte mir das Zimmer doch nur angucken. Es ist ja<br />

nur vorübergehend. Ich bin geblieben, weil ich dachte<br />

dass ich bleiben müsste, weil er ja bezahlt hat und dass<br />

ich von den Türstehern zurückgeholt würde, wenn ich<br />

gehen würde.<br />

Irgendwann hat es angefangen, ich konnte nicht mehr<br />

widersprechen, obwohl ich das nicht wollte. Ja, ich<br />

habe immer Angst gehabt, ihm zu widersprechen.<br />

Dann hat er mich immer mit dem Auto abgeholt und hingebracht<br />

und auch wieder abgeholt. Zuerst mit seinen<br />

kleinen Golf, später seinen weißen BMW. Er hat immer<br />

den Schlüssel für das Zimmer geholt und mich zum<br />

Zimmer begleitet. Ich war ein paar Mal in der Woche<br />

von 20 Uhr bis morgens 5 Uhr da. Er hat mir Dessous<br />

gekauft und immer Gleitgel, Wischtücher und Kondome.<br />

Im Durchschnitt habe ich 500 Euro pro Nacht verdient.<br />

Ich habe ihm das ganze Geld abgegeben.“<br />

[Vertonung basieret auf einer wahren Begebenheit.]<br />

- 26 - - 27 -


FRAUEN &<br />

MÄDCHEN<br />

JEDEN ALTERS<br />

& JEDER<br />

HERKUNFT.<br />

- 28 - - 29 -


KINDERPROSTITUTION<br />

Inszenierung: Hannes Ziehm, Fotografie: Hannes Ziehm, Modell: Lotta Nebel,<br />

Örtlichkeit: Spieltplatz, Lauffen am Neckar, 2014<br />

THEMA<br />

Es ist schockierend zu wissen, dass es Menschen gibt die<br />

Kinder vergewaltigen. Noch schlimmer ist es, dass es<br />

Menschenhändler gibt, die davon profitieren. Wir haben<br />

uns gefragt, an welchem Ort wir den größten Bezug zu<br />

diesem Thema herstellen können. Der Spielplatz ruft starke<br />

Erinnerungen an die Kindheit hervor. Das Thema wirkt<br />

hier total deplatziert. Dies unterstreicht die schockierende<br />

Wahrheit, dass es Kinderprostitution überhaupt gibt.<br />

UMSETZUNG<br />

Am Ausstellungsort wird an einer Bank ein Buch befestigt,<br />

das wie ein Kinderbuch aussieht. Auch die Gestaltungsmittel<br />

eines Kinderbuches werden aufgegriffen. Es wird<br />

mit großen, (jedoch tristen) farbigen Bildern und einer<br />

typischen Typografie gearbeitet. Auch die textliche Ebene<br />

arbeitete mit einer, für das Kinderbuch typischen, einfachen<br />

Sprache. Lediglich Textbausteine stehen im Kontrast<br />

zur heilen Kinderwelt und deuten auf das Problem hin.<br />

- 30 -<br />

- 31 -


WOHNUNGSBORDELL<br />

Inszenierung: Dennis Ziep, Hannes Ziehm, Fotografie: Hannes Ziehm, Dennis Ziep,<br />

Örtlichkeiten: Wohnungen in Nebringen & Berlin sowie Bildmaterial aus dem Internet, 2014<br />

NEUGIERDE<br />

Im Wohnungsbordell werden die Stationen auf der Reise<br />

(vgl. Kapitel 06 Wissenschaft) beim Wohnungsbordell<br />

sichtbar. Der Besucher passiert mehrere Stationen, die<br />

ihn auf dieser kleinen Reise bis ins „Heiligtum des Raumes“<br />

– das Zimmer der Prostituierten – erwarten. Dieses<br />

lockt den Besucher durch das rote Licht, das durch die<br />

spaltbreit geöffnete Tür, nach draußen gelangt. Die folgende<br />

Narration ist nach der Spannungskurve aus dem<br />

Kapitel 06 Wissenschaft aufgebaut.<br />

AUFTAKT<br />

Als Auftakt erwartet den Besucher eine ganz normale Wohnungstür<br />

eines Mehrfamilienhauses, an dem ihn lediglich<br />

die merkwürdigen Klingeln auf die Fährte l ocken, dass es<br />

sich hier um ein Erotik-Etablissement handelt. Durch die<br />

App (siehe Kapitel 05 Medien) wurde er bereits aufgefordert,<br />

die entsprechende Klingel zu drücken, um nach<br />

Svetlana zu fragen. Es meldet sich die Puffmutter: „Hallo<br />

Fremder, wir vom Eros Center werden dich sehr gerne verwöhnen.<br />

Zu wem möchtest du?“ Eine ungewohnte Situation<br />

für die meisten Besucher. Die Frage stellt eine zeitliche<br />

Verzögerung da, die entsprechend dem verbotenen Ort<br />

(vgl. Kapitel 06 Wissenschaft) eine Wertsteigerung erfährt.<br />

Durch das dramaturgische Element (vgl. Kapitel 06<br />

Wissenschaft) des Code-Wortes (Namen des Mädchens),<br />

wird der Besucher in die Situation eines Wohnungsbordellbesuches<br />

hineinversetzt, da er wie ein Besucher<br />

begrüßt wird und mehrere Elemente seiner Vorstellung<br />

gegeben sind. Mit dem Überschreiten der Türschwelle<br />

baut sich in ihm Spannung auf. Er fragt sich: Wie wird<br />

der Raum wohl aussehen? Was erwartet mich?<br />

EXPOSITION<br />

Der Aufgang durch das Treppenhaus ist die zweite Phase.<br />

Der Besucher wird in die Thematik eingeführt. Die<br />

Applikation teilt ihm Hintergrundinformationen über<br />

Wohnungsbordelle mit: Zum Beispiel wie viele Wohnungsbordelle<br />

es etwa in Deutschland und in dieser Stadt<br />

gibt. Vergleiche mit der Anzahl von Spielplätzen oder<br />

Schulen der Stadt verstärken die Wirkung und machen<br />

die Zahl greifbar.<br />

- 34 -<br />

- 35 -


VERKNÜPFUNG<br />

Die nächste Station ist die Wohnungstür, die einen Spalt<br />

breit geöffnet ist, so dass der Besucher eintreten kann.<br />

Neben der Tür ist ein Schild mit dem Namen des Etablissements<br />

und den Öffnungszeiten angebracht.<br />

Der Besucher betritt den länglichen Flur der Wohnung –<br />

es beginnt die Phase der Verknüpfung. In dem Flur gibt es<br />

mehrere Türen auf der rechten und linken Seite. Zunächst<br />

ist rechts ein kleines Bad. Die Tür ist offen. Der Besucher<br />

betritt das Bad und kann sich in einem zerkratzten, kaputten<br />

Spiegel anschauen. Dadurch werden die Gefühle der<br />

Mädchen auf den Besucher übertragen, der sich selber in<br />

die Lage versetzt sieht. Außerdem gibt es ein WC und eine<br />

Dusche. Der milchig weiße Duschvorhang ist zugezogen.<br />

Eine Audioinstallation vermittelt, dass die Dusche scheinbar<br />

ständig läuft. Es ist feucht, der Boden ist nass – eine<br />

unangenehme Situation, die durch ein leises Schluchzen,<br />

das aus der Dusche kommt, verstärkt wird. Der Besucher<br />

erkennt die Silhouette einer zusammengekauerten Frau,<br />

die auf dem Boden sitzt. Alles wirkt als wäre das der<br />

ganz normale Betrieb. Nachdem der Besucher das Bad<br />

wieder verlassen hat, geht er entlang des Flurs an der<br />

nur spaltbreit geöffneten Küchentür vorbei. Aufgrund seiner<br />

Neugier riskiert er einen voyeuristischen Blick. Zwei<br />

ausländische Männer sitzen am Tisch und spielen Karten.<br />

Ein Sensor erkennt den Besucher, worauf die Stimme<br />

eines Mannes mit kratzigem Akzent ruft: „Hinten ist<br />

frei.“ In unregelmäßigen Abständen klingelt das Telefon.<br />

Die Puffmutter nimmt ab. Man kann mithören, da sie den<br />

Lautsprecher eingeschaltet hat. Sie vereinbart Termine mit<br />

den anrufenden Freiern. Das ständige Klingeln deutet auf<br />

regen Verkehr. An den weiteren verschlossenen Türen des<br />

Flures hängen Bilder von Frauen in semiprofessionellen,<br />

für das Gewerbe üblichen Posen.<br />

HÖHEPUNKT<br />

Der Höhepunkt wird eingeleitet – der Besucher betritt das<br />

Zimmer am Ende des Flurs (Abbildung s. Folgeseite), das<br />

wie ein klassisches Wohnungsbordell eingerichtet ist.<br />

Ein Bett, Pflegeprodukte, Handtücher und Kondome findet<br />

man in dem Zimmer. Auf dem Bett liegen ein Gürtel<br />

und Handschellen, die auf Misshandlung hindeuten. Im<br />

Nachttisch-Schränkchen befindet sich ein Bild von ihrem<br />

Sohn. Auf diesem steht: „Du tust, was ich will, sonst bring<br />

ich dein Kind um!“ – dies ist einer der bedeutendsten<br />

Gründe, warum sich viele Frauen nicht helfen lassen. Am<br />

Schrank hängt eine Preisliste.<br />

REFLEXIONSPHASE<br />

Sobald der Besucher dieses Zimmer wieder verlässt, wird<br />

via App die Reflexionsphase eingeleitet. Die App weist<br />

den Besucher darauf hin wie schwer es die Polizei hat<br />

zielführende Kontrollen durchzuführen. In einem kurzen<br />

Videobeitrag erklärt ein Hauptkommissar die Komplikationen<br />

und bittet um ein Engagement gegen Zwangsprostitution<br />

in Deutschland. Zunächst kann er seine Meinung<br />

via Briefaktion äußern. Wenn er dies bereits getan hat,<br />

kann er auf Social-Media-Kanälen seine Meinung mit<br />

dem Hashtag #<strong>schlussstrich</strong> kundtun. Außerdem wird er<br />

auf das Meeting mit Hilfsorganisationen hingewiesen.<br />

Als Ausklang dieses Ausstellungsortes wird der Besucher<br />

über die weiteren Ausstellungsorte informiert, die durch<br />

direkte Fragen angeteasert werden: „Interessiert welche<br />

Menschen dort hingehen? Auf welche Weise diese Frauen<br />

nach Deutschland gelangen? […]“ Das Thema wird<br />

wieder in den Gesamtzusammenhang der Ausstellung<br />

eingegliedert.<br />

- 36 -<br />

- 37 -


- 38 - - 39 -


FINANZAMT<br />

„ICH MUSSTE ALLES<br />

Die Abbildungen zu diesem Ausstellungsort wurden aus verschiedenen Quellen entnommen.<br />

Für die Ausstellung wird ein originalgetreuer Nachbau des echten Ortes angestrebt.<br />

MACHEN, WAS DIE<br />

MÄNNER WOLLTEN. MEIN<br />

UNTERLEIB BRANNTE<br />

UND ES EKELTE MICH BIS<br />

ZUM BRECHREIZ, WENN<br />

ICH DIE FREMDEN<br />

KÜSSEN ODER ORALSEX<br />

MACHEN MUSSTE.“<br />

THEMA<br />

Sie wollen das Geld! Von wem und mit welchen Mitteln<br />

spielt keine Rolle. Jedes Jahr kassiert der deutsche Staat<br />

für das Statistische Bundesamt unzählbare Summen an<br />

Steuern (vgl. E-Mail, 02 Prostitution, S. 21). Mehrere<br />

Stadträte haben sich „zur Bereicherung an diesem Elend“<br />

durch eine zusätzlichen Vergnügungssteuer entschlossen,<br />

die meißtens nur die Prostituierten trifft.<br />

Die Erleichterung der Steuerabgaben durch das Düsseldorfer<br />

Gesetz, Steuerautomaten wie in der Bonner Innenstadt<br />

sowie die Unbekümmertheit von Steuerbeamten bei<br />

Steuerrazzien wirkt beinahe zynisch. Dieser Umgang mit<br />

Opfern passt nicht zu einem Sozialstaat und soll deshalb<br />

an einem Ausstellungsort thematisiert werden.<br />

ORT<br />

Der Ausstellungsort ist in einer dunklen Gegend in der<br />

Stadt. Wir beziehen uns direkt auf eine echten Ort in<br />

Deutschland – den Straßenstrich in Bonn. In sogenannten<br />

Verrichtungsboxen können Autofahrer mit ihren Autos<br />

parken. Daraufhin steigt die Prostituierte in das Auto,<br />

um die Befriedigung des Freiers zu verrichten. Dieser Ort<br />

soll durch die Ausstellung bundesweit erlebbar werden.<br />

Auch der Steuerautomat, durch den die Stadt Bonn 2013<br />

mehrere zehntausende Euro eingenommen hat, wird eingerichtet.<br />

Der Ort ist lediglich von 20:00 bis 06:00 Uhr<br />

geöffnet, da dies der Realität entspricht.<br />

INSZENIERUNG<br />

Mehrere Holzstellwände werden nebeneinander aufgereiht.<br />

Besuchern ist es möglich, die mittlere Box zu begehen.<br />

In den nebenstehenden (belegten) Boxen stehen<br />

Autos, die unregelmäßig durch eine Hydraulikinstallation<br />

ruckeln. Durch die Ritzen der Holzstellwände tönen<br />

Geräusche des Nachtbetriebes. Der Besucher wird sich<br />

fühlen, als sei er am echten Ort. Auf die Holzstellwände<br />

sind mit Markern Zitate von Frauen geschrieben, die einst<br />

Zwangsprostitutierte waren und darunter gelitten haben<br />

(vergleichbar mit Schmierereien in Schulgebäuden):<br />

Amalia, 22 Jahre, aus Bulgarien: „Es war besonders<br />

ekelhaft, wenn ich Oralsex ohne Kondom machen<br />

musste.“ Elena, 25 Jahre, aus Russland: „Was willst du<br />

machen, der Muskelmann steht vor dir, du musst<br />

arbeiten und innerlich weinst du.“ Ilona, 23 Jahre, aus<br />

Russland: „Die Männer kommen zu uns und bekommen<br />

Krankheiten und leiten sie dann an andere Frauen<br />

weiter.“ (www.stoppt-zwangsprostitution.de)<br />

Gegenüber ist ein Häuschen an dem Erläuterungstafeln<br />

angebracht sind. Dort ist auch der Steuerautomat montiert,<br />

an dem man ein exemplarisch Ticket ziehen kann.<br />

Auf das Ticket ist unten ein zufällig, wechselndes Zitat eines<br />

Finanzbeamten abgedruckt („Wir wollen das Geld!“)<br />

Die App zeigt dem Ausstellungsbesuchern einen Zusammenschnitt<br />

mehrerer Interviews mit Finanzbeamten, Entscheidungsträger<br />

und erläuternden Dokumentationen.<br />

Natascha, 18 Jahre, aus Weißrussland<br />

(Quelle: www.stoppt-zwangsprostitution.de)<br />

- 41 -


STIMMEN DER FREIER<br />

Inszenierung: Dennis Ziep, Hannes Ziehm, Örtlichkeit: Wohnung<br />

DIE WOHNUNG<br />

Der Raum des Freiers ist in zwei Teile gegliedert. Zunächst<br />

erfährt der Besucher im Flur über die große Anzahl<br />

an Freiern. Die Besucher laufen zwangsläufig über<br />

die Abbilder einiger Damen und tun es auf eine andere<br />

Art und Weise den Freiern gleich, die die Würde dieser<br />

Frauen mit Füßen zu treten. Außerdem ist auf dem kompletten<br />

Fußboden eine Klebeschicht aufgetragen, sodass<br />

der Dreck von den Schuhen daran kleben bleibt. Dies<br />

symbolisiert die hohe Fluktuation und den Ekel, der sowohl<br />

visuell, als auch emotional durch das Klebenbleiben,<br />

inszeniert wird.<br />

Die Fotowand im Flur des Freiers ist ein Denkmodell, dass<br />

Besucher dazu bringen soll, darüber nachdenken welche<br />

Personen, die sie kennt, Freier sein könnten, da jeder vierte<br />

Deutsche bereits bei einer Prostituierten war. Anhand<br />

der Fotos kann der Besucher darüber nachdenken, wie er<br />

sich einen Freier vorstellt. Um dem Faktor „jeder Vierte“<br />

gerecht zu werden, muss er in Gedanken sehr viele dieser<br />

Menschen verurteilen.<br />

AUDIOINSTALLATION<br />

Danach werden die Besucher in einem Zimmer am Ende<br />

des Flures mit Aussagen von Freiern über Prostituierte konfrontiert,<br />

die laut abgespielt werden. Ein Beispiel dazu<br />

kann im Internet auf der Seite www.<strong>schlussstrich</strong>.org/<br />

ausstellungskonzept angehört werden. Die Beiträge stammen<br />

alle aus Internetforen, in denen Prostituierte bewertet<br />

werden. Dort tauschen sich Menschen über Prostituierte<br />

und Bordelle aus. Die Tür des Raumes am Ende des Flurs<br />

schwingt immer wieder zu, damit der Schall bestmöglich<br />

zum Flur hin abgeschirmt wird.<br />

Im Raum gibt es lediglich ein Bett. Da wir den Blickwinkel<br />

auf die Prostitution verändern möchten, wird auch das<br />

Bett in einer ungewohnten Position inszeniert. Anstatt das<br />

Bett einfach in den Raum zu stellen, wird es an Nylonfäden,<br />

in beiden Achsen leicht schräg über dem Boden<br />

hängen. Diese Methode stellt das Bett vollkommen in den<br />

Mittelpunkt und zieht alle Aufmerksamkeit auf sich. Durch<br />

die auditive und visuelle Ebene wird das Kopfkino des<br />

Betrachters angeregt.<br />

- 42 -<br />

- 43 -


„NACHSCHUB FÜR<br />

MENSCHENHÄNDLER<br />

DEUTSCHE FREIER. DIE<br />

ÄRMSTEN DER ARMEN IN<br />

OSTEUROPA LEBEN IM<br />

ABFALL. […] SKRUPEL-<br />

LOSE MENSCHEN HÄNDLER<br />

PROFITIEREN […] SIE<br />

KAUFEN MÄDCHEN UND<br />

ZWINGEN SIE ZUR PROS-<br />

TITUTION IN DEUTSCHEN<br />

BORDELLEN.“<br />

THEMA<br />

Es gibt stets neue Fälle von Menschenhandel in Europa.<br />

Menschenhändler werden oftmals mit geringen Strafen<br />

belangt oder sie kommen gar straflos davon. Viel schlimmer<br />

noch ist, dass es den Handel mit Menschen jeden<br />

Alters überhaupt gibt. Eine Dokumentation von FocusTV<br />

hat uns die Augen geöffnet, wie einfach es ist, einen<br />

Menschen zu kaufen.<br />

MÄDCHENHANDEL<br />

In der Dokumentation „Mädchenhandel von Osteuropa<br />

nach Deutschland“ des Burda Verlags Deutschland (FO-<br />

CUS-TV Reportage) begeben sich Reporter undercover<br />

nach Osteuropa, um ein Mädchen zu kaufen. Schließlich<br />

bietet ihnen eine Mutter ihre dreizehnjährige Tochter für<br />

lediglich 3500 € an. Die Geldnot „zwingt“ sie zum Verkauf<br />

der zweiten Tochter, die sie bereits aufgeklärt hat,<br />

dass sie nach Deutschland gehen werde, um mit Männern<br />

zu schlafen.<br />

INSZENIERUNG<br />

Diese Art Dokumentation soll Teil der Ausstellung werden.<br />

Geplant ist eine transmediale Inszenierung der vorhandenen<br />

Dokumentation in Kooperation mit FOCUS-TV und<br />

deren Videomaterial oder neuen Dreharbeiten.<br />

Die Route der Reporter wird zudem im Raum, auf einer<br />

großen Karte dargestellt, die mit Zusatzinformationen und<br />

Making-Off-Material aufgearbeitet wird. Ausstellungsbesucher<br />

können die Reise und die einzelnen Schritte bei<br />

des Handels nachvollziehen und erleben es dadurch auf<br />

eine eindrucksvolle Weise, wie leicht es ist, einen Menschen<br />

zu kaufen.<br />

Die Applikation zeigt verschiedene Artikel zu Fällen von<br />

Menschenhandel auf, die der Besucher sich auch im<br />

Nachhinein in Ruhe anschauen kann.<br />

Mädchenhandel von Osteuropa nach Deutschland<br />

(Burda Verlag Deutschland FOCUS-TV Reportage)<br />

- 45 -


05 MEDIEN<br />

Im folgenden sind alle designkonzeptionellen<br />

Grundlagen & Anwendungen aufgeführt<br />

REIZEND EMOTIONAL DREIST<br />

Reizend Emotional Dreist (kurz: red) – so könnte man die<br />

Designkonzeption auf den Punkt bringen. Um das Design<br />

zu entwickeln, wurden wichtige Analysen zur Gestaltung<br />

im Rotlichtmilieu und zu Dirty Design unternommen. Diese<br />

nehmen Einfluss auf unseren Designprozess. Es folgt eine<br />

begründete Erläuterung der Designkonzeption und Visualisierungen<br />

von diversen Medien.<br />

FARBWELT<br />

Die Gestaltung ist auffallend rot gefärbt. Die Farbe Rot<br />

steht stellvertretend für das Prostitutionsgewerbe, das<br />

deshalb auch den Namen Rotlichtmilieu trägt. Außerdem<br />

ist Rot als Signalfarbe gut erkennbar. Der eingesetzte<br />

CMYK-Farbton ist „0/100/60/15“. Die Kälte des Farbtons<br />

soll zur kritischen Prosition am Gewerbe passen.<br />

BILDSPRACHE<br />

Es werden Motive verwendet, welche die Frau als Produkt<br />

zeigen. Deshalb werden stets Schaufensterpuppen verwendet.<br />

Diese entsprechen allgemein gültigen Schönheitsidealen<br />

und stammen aus der Konsumbranche. Der<br />

Konsumgedanke spielt auch im Rotlichtmilieu eine Rolle<br />

und wird ebenfalls durch das nachstehend beschriebene<br />

Wording aufgegriffen. Schaufensterpuppen wirken auf<br />

den ersten Blick sehr menschlich und ziehen voyeuristische<br />

Blicke auf sich.<br />

Der Ausschnitt wird unterstützend gewählt, sodass die<br />

Frau auf ihre sexuell anregenden Körperteile reduziert<br />

wird. Der Po nimmt den Großteil der Plakatfläche ein.<br />

Die Bildsprache wirkt generell etwas trist und arbeitet<br />

mit hohen Kontrasten. Für die Plakate werden die Bilder<br />

mit Effekten und Mustern überlagert. Daraus resultiert ein<br />

dramatisches Bild.<br />

[…]<br />

- 46 -<br />

- 47 -


Ravensburg<br />

13. bis 29.<br />

September<br />

Ravensburg<br />

13. bis 29.<br />

September<br />

UMSO<br />

UMSO<br />

JÜNGER<br />

JÜNGER<br />

DESTO<br />

DESTO<br />

<strong>schlussstrich</strong>.de<br />

<strong>schlussstrich</strong>.de<br />

LAYOUT<br />

Die Plakate werden in den benötigten Größen umgesetzt.<br />

Für Druckprodukte werden DIN-Formaten verwendet.<br />

Beschilderungen werden im Format DIN A4 und Flyer<br />

doppelseitig in DIN A6 produziert. Diese Formate sind geläufig<br />

und kostengünstig. Dies kommt Hilfsorgani sationen<br />

zu Gute, die nicht sehr viel Budget zur Ver fügung haben.<br />

Das Grundlinienraster wird gemäß einer 7er-Regel festgelegt,<br />

die außerdem auf Objekt- und Schriftgrößen angewandt<br />

wird. Alle Größen sind Vielfache von 7, oder<br />

deren Hälfte 3,5. Unten steht die Webadresse bei allen<br />

Variationen immer an gleicher Stelle. Die Abstände nach<br />

links und rechts sind fest. Im Schriftblock hat man verschiedene<br />

Möglichkeiten, um Headlines zu setzen. Es<br />

kann gemäß dem Faktor 7 mit der Schriftgröße gespielt<br />

werden. Zudem kann zwischen drei- und vierzeiliger<br />

Headline variiert werden.<br />

TYPOGRAFIE<br />

Es wird generell die Schriftfamilie Futura Std von Paul<br />

Renner verwendet. Die Futura ist eine Sans-Serif-Schrift.<br />

Diese werden vor allem im digitalen Bereich angewandt<br />

und sind zielgruppenspezifischer als klassische, elegantere<br />

Serifen-Schriften. Vor allem die Futura Extra Bold Condensed<br />

Oblique könnte man als sehr zeitgemäß für die<br />

Zielgruppe der jungen Erwachsenen bezeichnen. Labels<br />

wie OBEY und die Sportmarke Nike setzen diese bra chiale<br />

Typografie ein. Jener Schriftschnitt wird in Versalien für<br />

Headlines eingesetzt, um Botschaften mit Nachdruck zu<br />

transportieren.<br />

Im Fließtext wird die Futura Book verwendet. Desweiteren<br />

können großflächige, ikono - graphische Vektor-Grafiken<br />

eingesetzt werden. Für die Gestaltung stehen Icons zu<br />

Ver fügung, die schneller als textliche Inhalte aufgefasst<br />

werden. Alle Elemente, also auch Headlines und Fließtexte<br />

werden zentriert gesetzt und greifen die Form der<br />

Hüftkurven einer Frau auf – alles dreht sich um die Frau<br />

und ihre Formungen. Das Schriftbild ergibt stets ein Ausrufezeichen<br />

in seiner groben Erscheinung und entspricht<br />

unserer fordernden Botschaft.<br />

DESIGNELEMENTE<br />

Das markanteste Designelement sind die horizontalen Balken,<br />

die sich im übertragenen Sinne aus dem horizon talen<br />

Gewerbe ableiten und gleichzeitig zur Unterstreichung<br />

der Botschaft dienen. Die eigentlich weißen Balken werden<br />

durch einen Effekt mit dem Hintergrund verschmolzen.<br />

Unter diesen Balken wird der Kontrast verstärkt, sodass<br />

Einzelheiten hervorgehoben werden können. So werden<br />

bei der Bildvariante „Frauenpo“ die Fugen der zusammengesteckten<br />

Puppe sichtbar. Bei Bildvariante „Mädchen“<br />

werden die Geschlechtsteile des Mädchens fokussiert, sodass<br />

diese nicht nur die Blicke von Pädophilen auf sich<br />

ziehen, sondern alle Blicke dorthin gelenkt werden. Die<br />

Balken stechen farblich sofort ins Auge und ziehen die<br />

Blicke von Passanten auf sich.<br />

Ein weiteres, nach Aufmerksamkeit schreiendes Element<br />

sind die Lichter, die die Inhalte einrahmen. Diese Aufmerksamkeit<br />

ist vor allem auf der Straße rar. Deshalb soll<br />

dieses visuelle Mittel genutzt werden, das ohnehin zur<br />

Thematik passt. Die Lichter sind auf Lichter im Rotlichtmileu<br />

zurückzuführen, die man von Leuchtreklamen und<br />

Garderoben mit Schminkspiegeln kennt. Außerdem ergeben<br />

die Lichter einen guten Wiedererkennungseffekt und<br />

unterstützen die eigene, visuelle Sprache.<br />

Ein kleines und eher praktisches Designelement ist das an<br />

die Oberkante angrenzende Eindruck-Feld für den Ausstellungsort<br />

und -zeitraum. Gemäß dem Bauhaus-Prinzip<br />

„Form follows Function“ kann durch vorgedruckte Ausstellungsplakate<br />

(für alle Orte) Budget gespart werden.<br />

WORDING<br />

Das Wording nutzt ähnlich der visuellen Gestaltung eine<br />

starke, dreiste, politisch unkorrekte Sprache. Die Zustände<br />

in Bordellen, Aussagen von Freiern, Menschenhändler,<br />

Bordellbesitzern, Beamten, etc. werden unverfälscht wiedergegeben,<br />

um Empörung auszulösen.<br />

AUSSTELLUNGSPLAKATE<br />

Für die Ausstellung wird eine Plakatserie von drei<br />

Plakaten angestrebt. Die Plakate werden, an den bereits<br />

genannten, für die Zielgruppe relevanten Orten (vgl. Konzeption,<br />

Plakate, S. 18), platziert. Die Systematik der<br />

Plakate ist, dass ein schockierendes Thema in einer knappen,<br />

starken, der Wahrheit entsprechenden Aussage auf<br />

einem passenden Bild platziert wird.<br />

Das am meisten schockierende Thema ist die Kinderprostitution.<br />

Auf dem Plakat „Mädchen“ steht der Titel<br />

„UMSO JÜNGER DESTO“. Beim Lesen denkt der Betrachter<br />

umgehend an das sprichtwörtliche Prinzip „Umso …<br />

desto besser.“ Auch wenn der Betrachter dies in diesem<br />

Zusammenhang nie sagen würde, denkt er es im Moment<br />

des Lesens. Das Plakat „Frauenpo“ thematisiert die Flatrate-Angebote<br />

in Bordellen. Der Betrachter wird mit den<br />

unmoralischen, billigen Angeboten direkt konfrontiert.<br />

- 48 -<br />

- 49 -


AUSSTELLUNGSFLYER<br />

Die Ausstellungsflyer (siehe Grafiken rechts) arbeiten mit<br />

einer geläufigen, in der Regel sehr gerne gehörten Botschaft:<br />

„ICH TU WAS DU WILLST“. Zunächst ruft diese<br />

Aussage positive Assoziationen auf. Die Aussage kippt<br />

spätestens auf der Rückseite. Sie bietet es nur an, weil<br />

sie dazu gezwungen wird. Der Rezipient wird über die<br />

hohe Quote der gezwungenen Prostituierten informiert.<br />

Die direkte Ansprache „Hey Nachbar/in“ bezieht sich<br />

auf das Ausstellungsthema „Zwangsprostitution in deiner<br />

Nachbarschaft“ – die Frau auf dem Cover könnte tatsächlich<br />

die Nachbarin des Rezipienten sein.<br />

LEITSYSTEM<br />

Durch die Ausstellung begleitet den Besucher ein multimediales<br />

Leitsystem das sich aus folgenden analogen<br />

Komponenten und dem digitalen Application-Guide für<br />

das Smartphone zusammensetzt.<br />

BESCHILDERUNG<br />

Das Bild rechts zeigt ein Beispiel der Beschilderung, die<br />

dem Besucher einen kurzen Überblick über die Inszenierung<br />

gibt und die Möglichkeiten der Interaktion am Ausstellungsort<br />

aufzeigt. Außerdem kennzeichnet er den Ort<br />

als zur Ausstellung zugehörigen Ausstellungsort.<br />

Desweiteren gibt es ikonographische Beschilderungen,<br />

die an Orten (wie zum Beispiel der Finanzamt-Inszenierung)<br />

als Erläuterung eingesetzt werden.<br />

AUFKLEBER<br />

Es werden Aufkleber produziert, die zu Werbe zwecken<br />

an Besucher und Engagierte weitergegeben werden, um<br />

auf die Ausstellung aufmerksam zu machen.<br />

Ravensburg<br />

13. bis 29.<br />

September<br />

ICH TU<br />

WAS DU<br />

WILLST<br />

<strong>schlussstrich</strong>.de<br />

Ausstellungsflyer Vorderseite<br />

WEIL ICH MUSS<br />

Hey Nachbar/in,<br />

in Deutschland gibt es vermutlich<br />

285.000 Zwangsprostituierte.<br />

–<br />

Wir zeigen dir 6 Orte, an denen<br />

du erfahren kannst, dass Zwangsprostitution<br />

unmittelbar in deiner Nachbarschaft<br />

stattfindet.<br />

–<br />

Lade dir die App und finde alles<br />

über diese Orte heraus.<br />

FREIER<br />

1,2 Millionen Männer gehen jeden<br />

Tag zu einer Prostituierten. Zu Hause<br />

bewerten viele von ihnen die Frauen in<br />

Online foren. Ist das nicht pervers?<br />

–<br />

Dies ist einer der 6 Orte, an denen<br />

du erfahren kannst, dass Zwangsprostitution<br />

unmittelbar in deiner Nachbarschaft<br />

stattfindet. Weitere Inhalte<br />

findest du in unserer App.<br />

Ausstellungsflyer Rückseite<br />

- 50 -<br />

- 51 -


SKULPTUR<br />

Als Erkennungsmerkmal für die Orte dient diese Skulptur,<br />

die unmittelbar in der Nähe der Ausstellungsorte aufgestellt<br />

wird. Sie ist visuell auf die Gestaltung der Headlines<br />

abgestimmt. Die Grundfläche ist 2 m lang, 30 cm tief.<br />

Der darauf stehende Schriftzug ist etwa 24 cm hoch.<br />

Es wird ein Farbakzent durch die rote Grundplatte gesetzt.<br />

Durch den Grunge-Effekt wirkt die Skulptur ein wenig<br />

dreckig und metallisch.<br />

- 52 - - 53 -


HOME SCREEN<br />

NAVIGATION<br />

KARTENÜBERSICHT<br />

AUSSTELLUNGSORTE<br />

HINTERGRUNDINFORMATIONEN<br />

NEWSFEED<br />

Auf dem Home-Screen hat der User<br />

die Möglichkeit das Teaser-Video<br />

anzusehen. Außerdem kann er sich<br />

direkt zur Ausstellung leiten lassen<br />

oder Hintergründe über die Aktion<br />

erfahren.<br />

Über die Navigation gelangt der<br />

User zu den weiteren Inhalten.<br />

Die Ausstellungsorte werden auf einer<br />

kartografischen Übersicht angezeigt.<br />

Dazu wird Google Maps in<br />

die App eingebunden. Durch dieses<br />

Plugin kann der User sich direkt zu<br />

einem der Ausstellungsorte navigieren<br />

lassen.<br />

Ein Teaser-Text erläutert kurz, um was<br />

es inhaltlich an diesem Ort geht. Er<br />

hat auch hier stets die Möglichkeit<br />

sich umgehend zum gewünschten<br />

Ausstellungsort leiten zu lassen.<br />

An den Ausstellungsorten werden<br />

diverse Hintergrundinformationen<br />

angeboten. Oben sind die Features<br />

zum Ausstellungsort „Freier“ abgebildet.<br />

Es wird ein direkter Zugang zu<br />

den Quellen der Audiokommentare<br />

geboten. Sofern sich der User nicht<br />

am Ausstellungsort befindet, kann er<br />

die Wiedergabe selbst durch geläufige<br />

Bedienelemente steuern.<br />

In einem Newsfeed werden alle<br />

Posts aufgelistet, die mit dem Hashtag<br />

#<strong>schlussstrich</strong> versehen sind.<br />

Dort kann der User authentische<br />

Meinungen zur Ausstellung lesen.<br />

Dies bedeutet für die App außerdem<br />

eine zeitgemäße Anbindung an<br />

Social-Media- Kanäle.<br />

- 54 -<br />

- 55 -


LANDINGPAGE<br />

Die Landingpage ist in ihrer Gestaltung<br />

der Applikation sehr ähnlich.<br />

In der Navigationsleiste werden die<br />

Inhalte der Webseite in großen Lettern<br />

aufgelistet. Der User kann die<br />

Onepage entweder durch Scrollen<br />

oder über das Klicken der Navigationspunkte<br />

anschauen.<br />

INHALTE<br />

Auf der Landingpage wird die Ausstellung<br />

mit dem Teaser-Video, großen<br />

Bilder und markanten Headlines<br />

angeteastert. Außerdem können allgemeinen<br />

Informationen zur Ausstellung<br />

nachgelesen werden. So erfährt<br />

der Betrachter alles über die Kam pag -<br />

ne, die Unterstützer und Initiatoren,<br />

die Ausstellungsorte, unsere Ziele,<br />

die aktuellen Meldungen, interessante<br />

Links und verschiedene Organisationen,<br />

die sich mit dem Thema<br />

beschäftigen.<br />

Ziel ist es, dass sich der Betrachter<br />

die Applikation herunterlädt und die<br />

Ausstellung besucht. Auf der Landingpage<br />

gibt es Links zum App-Store &<br />

Android-Market.<br />

NEWS FEED<br />

Zusätzlich wird man über die News<br />

und den Verlauf der Wanderausstellung<br />

informiert. Ähnlich wie in<br />

der App werden alle Posts mit dem<br />

Hashtag #<strong>schlussstrich</strong> gesammelt.<br />

Die Landingpage ist die Schnitt stelle<br />

von Plakaten zur Ausstellung.<br />

- 56 -<br />

- 57 -


06 WISSENSCHAFT<br />

Zusammenfassung des medialen Kontextes zum Thema Ausstellungsgestaltung,<br />

der in ausführlicher Form für die Bachelorthesis erarbeitet wurde<br />

VORWORT<br />

Für die Bachelorarbeit wurden wichtige theoretische Elemente für die Inszenierung<br />

und Ausstellungsgestaltung studiert. Das Kapitel 06 Wissenschaft ist eine<br />

Zusammenfassung des medialen Kontextes, der für die Bachelorthesis erarbeitet<br />

wurde. Wenn Sie sich ausführlicher mit dem fachwissenschaftlichen Teil der<br />

Arbeit beschäftigen möchten, senden wir Ihnen gerne die Bachelorthesis zu.<br />

Nachstehend sind die wichtigsten Erkenntisse zusammengefasst, die für das<br />

Ausstellungskonzept eine tragende Rolle spielen.<br />

PSYCHOLOGIE UND WAHRNEHMUNGSTHEORIE<br />

Bildquelle: David Yates, Sex Traffic, 2004, Film (Screenshot), Big Motion Pic./Granada<br />

Ausstellungsgestaltung hat sehr viel mit psychologischen Phänomenen zu tun.<br />

Dramaturgen versuchen durch konstruierte Erlebnisplanung gewünschte Reakt -<br />

ionen auf deren Inszenierung zu erreichen. Sie nutzen längst vergessene Geschichten,<br />

gespeicherte Drehbücher und Fantasien, um tief gehende Emotionen<br />

zu erreichen und wiederaufleben zu lassen. Eine solche Involviertheit<br />

in den Raum bezeichnet der Psychologe Gavriel Salomon als „AIME-Wert“.<br />

Umso höher dieser Wert ist, desto lebendiger fühlt sich die Geschichte an,<br />

desto mehr Spaß hat der Betrachter und desto höher ist seine Aufmerksamkeit.<br />

Spannend erzählte Geschichten und Erlebnisse öffnen den Konsumenten für<br />

eine Botschaft und steigern dessen Aufmerksamkeit und Verweildauer. 1<br />

DRAMATURGIE<br />

Besonders wichtig für die Inszenierung von Räumen sind dramaturgische<br />

Strategien und eine Narration, die Ausstellungsbesuchern die Aufnahme von<br />

Informationen erleichtern. Dazu beziehen wir uns auf die für uns relevante<br />

Forschungsarbeit von Christian Mikunda, der in seinem Buch „Der verbotene<br />

Ort oder Die inszenierte Verführung. Unwiderstehliches Marketing durch strategische<br />

Dramaturgie“ die geheimen Regieanweisungen der Inszenierung 2 im<br />

Marketing zusammengefasst hat.<br />

„Der verbotene Ort“ bedeutet, dass alles, was man nicht ohne weiteres bekommt,<br />

unweigerlich an Wert gewinnt. Die Person stellt sich vor dem Betreten<br />

den Raum vor, wird allerdings durch Regeln und Verbote gehindert direkt<br />

einzutreten. Diese Verzögerung löst in ihm eine spannungssteigernde Antizipation<br />

aus. Während der Verzögerung ist es jedoch äußerst notwendig, dem<br />

Besucher kleine spannungslösende Belohnungen zu übermitteln, damit die Verzögerung<br />

keine negativen Folgen hat.<br />

„Das dramaturgische Element“ beschreibt die Methode: „So tun als ob.“ Es ist<br />

äußerst spannend, den Besucher an einem vergangen, zukünftigen oder an<br />

einem anderen Ort stattfindenden Erlebnis teilhaben zu lassen. Dafür müssen<br />

alle „Brain Scripts“ inszeniert werden. (Durch die Vergegenwärtigung wichtiger<br />

Details ist es Disney im „Pleasure Island“ möglich, 365 Tage im Jahr<br />

Silvester zu feiern.)<br />

AIME-Wert = Amount of invested<br />

Mental Elaborations<br />

1<br />

Vgl. Christian Mikunda, Der<br />

verbotene Ort oder Die inszenierte<br />

Verführung. Unwiderstehliches Marketing<br />

durch strategische Dramaturgie,<br />

mi-Wirtschaftsbuch, München,<br />

4. Auflage, 2013, S. 13.<br />

2<br />

Vgl. Mikunda, Der verbotene Ort,<br />

München, 2013, S. 173ff.<br />

Brain Scripts = Vorprogrammierte<br />

Drehbücher, die unser Gehirn kennt<br />

und mit dem Gesehenen abgleicht.<br />

- 58 -<br />

- 59 -


„Spuren der Vergangenheit“ werden sichtbar, wenn man Ereignisse und Erfahrungen<br />

an prägenden Orten wieder aufleben lässt. Diese geben den Orten<br />

eine Identität mit der man spielen kann.<br />

„Der Spannungsbogen“ besteht klassisch aus drei Phasen. Zunächst kommt<br />

das „Einatmen“, wenn der Betrachter die Brain Scripts erlernt. Danach folgt<br />

der Höhepunkt, wenn er die Situation versteht. Zum Schluss kommt das „Ausatmen“,<br />

wenn er aus dem Gesehenen Schlüsse zieht. Heute gibt es eine weitere<br />

Differenzierung in sieben Phasen: Auftakt, Exposition, Vernetzung, Höhepunkt,<br />

Reflexion, Schluss und Ausklang. Zunächst erahnt der Betrachter beim Auftakt,<br />

um was es geht. Dann wird er durch die Exposition in das Thema eingeführt.<br />

Daraufhin erfährt er in der Vernetzungsphase die Begründung der themenrelevanten<br />

Aspekte. Diese überspitzen sich im Höhepunkt. In der Reflexionsphase<br />

werden dem Betrachter die Konsequenzen vor Augen geführt. Der Schluss<br />

mündet in einer Katastrophe, die keinerlei Zweifel an der Notwendigkeit der<br />

Umkehr offen lässt. Abschließend klingt die Geschichte sanft aus.<br />

Die Veränderung des Blickwinkels ist eine Methode, um Objekte in einem<br />

ganz anderen Licht zu betrachten. Beispielsweise: „auf dem Boden liegend“<br />

oder „auf dem Stuhl stehend“. Mögliche Eingriffe, die Perspektiven zu verändern,<br />

sind: Rotation, Zooming (surreale Wahrnehmung), Positionierung (von<br />

vorne und von hinten).<br />

„Stationen einer Reise“: Es ist sinnvoll eine Geschichte in mehrere Episoden<br />

zu segmentieren. Jedem Segment wird ein räumlicher Abschnitt zugeordnet.<br />

Um den Weg und die einzelnen Segmente wahrzunehmen, benötigt der Besucher<br />

etwas das ihn leitet sowie deutlich erkennbare Stationen mit Anfang und<br />

Ende. Unterstützend wirkt die menschliche Neugier – Lichter, Tonsignale, usw.<br />

locken den Besucher zur nächsten Station eines Parcours, genau wie Schaulustige,<br />

die an Tatorten und Unfallstellen ihre Blicke über die Orte streichen<br />

lassen, um etwas über das Geschehen zu erfahren.<br />

Adresse des Ortes: Die dem Ort anlastende soziale Bewertung, hat Auswirkung<br />

auf den Ausstellungsort. „Thematisierung“: „Durch thematisch gestaltete<br />

Welten lässt man sich in fremde Situationen gänzlich hineinversetzen, versinkt<br />

in ihnen.“ 3 Dies machen sich viele Hotels oder Restaurants zu Nutze – Zimmer<br />

im Stile einer Höhle, Essen in einem historischen Zug, etc. Die Thematisierung<br />

dient immer dazu, die eigene Identität zu vergessen „und eine ungewöhnliche<br />

Welt als die seine anzunehmen.“ Diese Thematisierung funktioniert lediglich<br />

durch den konsequenten Einsatz der Inferential Beliefs und der Media Literacy.<br />

Der Besucher ist nicht nur Betrachter, sondern Teil der Welt.<br />

Das „Ensemble“ beschreibt die Situation wenn alle Teile ein Gesamtbild ergeben.<br />

Dies wird im Marketing oft praktiziert wenn eine Visitenkarte eines Unternehmens<br />

geschaffen wird, die beim Personal, im Gebäude, usw. sichtbar ist.<br />

Das Ensemble beschreibt „das Zusammenspiel mehrerer Teilfunktionen.“ Dies<br />

wird in einem Farbcode deutlich, dem architektonischen Zusammenspiel, usw.<br />

Alle Teile beziehen sich aufeinander, so dass ein großes Ganzes entsteht, das<br />

der Betrachter als harmonisches Zusammenspiel und Einheit wahrnimmt.<br />

„Who am I?“ ist eine Methode, um Verborgenes an die Öffentlichkeit zu bringen.<br />

Dies funktioniert durch Enthüllung, nämlich etwas zu zeigen, das noch<br />

nicht bekannt ist. Enthüllungen müssen zwingend der Wahrheit entsprechen.<br />

Die Behauptung muss beweisbar sein und es sollte nicht übertrieben werden.<br />

Eine unrealistische Behauptung kann auch eine kontraproduktive Wirkung haben.<br />

„Beim Who am I? dreht sich alles um die Frage mit welcher Technik man<br />

die Brain Scripts im Konsumenten aufruft damit dieser die richtigen Schlussfolgerungen<br />

in Bezug auf das Image ziehen kann.“ 4<br />

3<br />

Vgl. Mikunda, Der verbotene Ort,<br />

München, 2013, S. 139.<br />

Inferential Beliefs = Anzeichen, die<br />

dem Betrachter das Gefühl geben<br />

in die Geschichte involviert zu sein.<br />

Media Literacy = Spiel mit der<br />

Wahrnehmung des Betrachters.<br />

4<br />

Vgl. Mikunda, Der verbotene Ort,<br />

München, 2013, S. 154.<br />

Außerdem gilt: „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.“<br />

„Das Gleichnis“ dient zum Erklären von Sachverständen, die eigentlich außerhalb<br />

unserer Vorstellungskraft liegen. So werden abstrakte Vorstellungen<br />

konkret und technische Vorgänge verständlich. „Ein unverständlicher Ablauf<br />

wird erst dann klar, wenn man ihn mit einem analogen, bekannten Ablauf in<br />

Beziehung setzt.“ 5 Dazu muss ein bekanntes Skript mit einem unbekannten<br />

Skript gleich gesetzt werden. Der „Vergleich“ nutzt ähnliche Gegenstände, um<br />

die Eigenschaften eines anderen hervorzuheben. „Denkmodelle“ veranschaulichen<br />

uns Sachverhalte, sodass wir sie leichter verstehen. Wenn Abläufe mit<br />

Spielfiguren räumlich dargestellt werden, können wir Gesamtsituationen leichter<br />

überblicken.<br />

„Seeing is believing“ bedeutet, dass Menschen nur das glauben, was sie<br />

auch wirklich sehen. Deshalb benötigt jeder Consumer Benefit auch ein Reason<br />

why. , damit er es glaubt. Indem man Menschen vor Augen führt, welche<br />

Konsequenzen ihr Handeln hat, können selbst festgefahrene Persönlichkeiten<br />

von ihrem Irrsinn abgebracht werden. Das Gefühl über einen Sachverhalt und<br />

dessen Glaubwürdigkeit Bescheid zu wissen, kann durch das Mitliefern unbedeutender,<br />

aber stimmiger Details erreicht werden.<br />

„Klassifizieren“ bedeutet die einzelnen Orte in einen Gesamtzusammenhang<br />

einzuordnen, der eine Navigation und die Standortbestimmung ermöglicht.<br />

„Der Ratschlag“ ist eine Methode, um einem bestimmten Vorgehen entsprechende<br />

Konsequenzen zuzuordnen. Diese können sowohl negativ (eine Drohung)<br />

als auch positiv (ein Versprechen) sein. Daraus soll beim Rezipienten<br />

Entscheidungskompetenz entstehen. Dies wird zum Beispiel von Eltern, Lehrern<br />

und Experten in der Erziehung angewandt. Der Clou ist es Ratschläge<br />

clever anzuwenden, ohne dass man zu autoritär wirkt.<br />

TRANSMEDIALES STORYTELLING<br />

Henry Jenkins definierte das Phänomen der transmedialen Narration schon<br />

als „den Fluss von Inhalt durch mannigfaltige Medienplattformen.“ 6 Wie auch<br />

hier in diesem Zitat zu erkennen ist, geht es beim transmedialen Storytelling<br />

um das Übermitteln einer Geschichte über mehrere Medien hinweg. In dieser<br />

besonderen Form der Erzählung hat jedes Medium, welches für diese Erzählung<br />

eingesetzt wird, eine besondere Eigenschaft. Das heißt Geschichten<br />

werden nicht mehr nur erzählt, sondern der Zuhörer wird mit in die Erzählung<br />

eingebunden. Diese Art der Geschichtenerzählung ist nicht neu. Sie bietet<br />

jedoch weitaus mehr mehr Möglichkeiten als früher – zum Beispiel zu Zeiten<br />

der mündlichen Überlieferung der Bibel. 7<br />

Medientheoretiker sehen im transmedialen Storytelling eine Relation aus einer<br />

Welt und vielen Texten. Diese erkennt man auch in der Aussage von Henry<br />

Jenkins über die „faszinierenden Milieus, die man in einem einzigen Werk<br />

oder einem einzigen Medium nicht explorieren kann.“ 8<br />

AUDITIVE MEDIEN<br />

Schon seit den 1970er Jahren werden Audio-Guides in Museen verwendet.<br />

Dadurch können Ausstellungsbesuchern Information zu Exponaten vermittelt<br />

werden, ohne Personal für Führungen zu benötigen. Diese Informationen können<br />

durch atmosphärische Sounds emotionalisiert werden. Besucher werden<br />

in eine Welt gezogen, die teilweise als langweilig empfundene Exponate<br />

spannender macht. 9 Dies basiert auf dem „dramaturgischen Element“.<br />

5<br />

Vgl. Mikunda, Der verbotene Ort,<br />

München, 2013, S. 158.<br />

Reason why = Grund / Beweis<br />

6<br />

Vgl. Henry Jenkins, Convergence<br />

Culture. Where Old and New Media<br />

Collide. New York [u.a.]: New<br />

York University Press 2006, S. 2.<br />

7<br />

Vgl. Karl N. Renner, Dagmar<br />

Hoff, Matthias Krings: Medien.<br />

Erzählen. Gesellschaft.: Transmediales<br />

Erzählen im Zeitalter der Medienkonvergenz,<br />

Walter de Gruyter<br />

GmbH, Berlin, 2013, S. 88.<br />

8<br />

Vgl. Jenkins, Convergence<br />

Culture. 2006, S. 116.<br />

9<br />

Vgl. Vgl. Alexander Menden,<br />

Weltenerklärer im Taschenformat,<br />

www.sueddeutsche.de,<br />

21.07.2014, 17 Uhr.<br />

- 60 -<br />

- 61 -


VISUELLE MEDIEN<br />

Ein Beispiel für die Umsetzung einer Ausstellung mit transmedialem Storytelling<br />

ist die Ausstellung „Secrets Behind Paintings“ des Sukiennice Museum<br />

in Krakau. In dieser Ausstellung konnten die Besucher mit ihrem Smartphone<br />

die Gemälde zum Leben erwecken. Durch das abscannen des Gemäldes via<br />

Smartphone wird ein Video abgespielt, das die Momentaufnahme des Gemäldes<br />

um eine kurze Geschichte erweitert. 10<br />

BEISPIEL: APPLIKATION ALS GUIDE UND INFORMATIONSMEDIUM<br />

Die Dauerausstellung „GrenzErfahrungen. Alltag der deutschen Teilung“ 11 im<br />

Tränenpalast in Berlin nutzt die digitalen und technischen Entwicklungen der<br />

heutigen Zeit, um die Ausstellung spannender zu gestatlten. Diese Ausstellung<br />

beschäftigt sich mit der Bedeutung der Teilung Deutschlands für die Menschen<br />

in der DDR und der Bundesrepublik. Die innovative Neuheit an dieser Ausstellung<br />

ist der Guide in Form einer Smartphone Applikation. Diese ist ein fester<br />

Bestandteil der Dauerausstellung und bietet dem Besucher eine spannende<br />

zweite Informationsebene ergänzend zu den Räumlichkeiten. Die App 12 bietet<br />

drei erweiternde Elemente: Einleitend erzählen Zeitzeugen in einem kurzen<br />

Video von ihren persönlichen Erinnerungen. Somit wird die Thematik erstmal<br />

mit Leben erfüllt und erfährt eine enorme Interessenssteigerung. Im Hintergrund<br />

wird der Ausstellungsraum des Tränenpalastes vorgestellt. Durch eine<br />

Audio-Guide-Funktion werden dem Besucher Hintergrundinformation zu den<br />

Exponaten in den Ausstellungsräumen zur Verfügung gestellt. Atmosphärische<br />

Sounds lassen den Besucher in die Historie eintauchen. Durch ein integriertes<br />

Spiel schafft das Museum ein interaktives Erlebnis. Er nimmt die Rolle eines<br />

Ostdeutschen ein, der versuchen muss vom Osten Berlins in den Westen zu gelangen<br />

und dabei dieselben Stationen durchlaufen muss, die schon zu Zeiten<br />

der Mauer von den Menschen überwunden werden mussten.<br />

LEITSYSTEME<br />

Nach Nadine Seumenicht handeln Menschen nach einem Ordnungsprinzip<br />

bestehend aus der Orientierung, Richtungsweisung und Zielbestätigung. Dieses<br />

Prinzip ermöglicht es den Menschen sich in ihrer Umgebung zu orientieren<br />

und zurecht zu finden. Deshalb müssen Leitsysteme bestimmte Anforderungen<br />

erfüllen, um für Nutzer hilfreich zu sein. Folgende Anforderungen 13 sind in<br />

alltäglichen Situationen notwendig:<br />

×<br />

×<br />

Eine leicht verständliche, vollständige und<br />

gut wahrnehmbare Informationsdarbietung.<br />

Eine klare, logische, zuverlässige und eindeutige<br />

Informationsaufbereitung.<br />

× Die minimale Informationsmenge bei maximalem Informationsgehalt.<br />

× Eine wahrnehmbare und erlernbare Systematik.<br />

× Die Einprägsamkeit und Wiedererkennbarkeit.<br />

× Eine kontinuierliche Gestaltung.<br />

×<br />

Eine deutliche Abhebung von der Umgebung,<br />

die sich nicht störend in den Vordergrund drängt.<br />

× Das Anbringen von Orientierungshilfen an Entscheidungspunkten.<br />

Leitsysteme müssen dem Betrachter viele wichtige Informationen zur Orientierung<br />

so zur Verfügung stellen, dass dieser in kürzester Zeit und ohne großen<br />

10<br />

Vgl. Sebastian Hartmann,<br />

„Bring the Stories to life“ – Transmedia<br />

Storytelling und Augmented<br />

Reality im Sukiennice Museum,<br />

www.dermuseumsheld.wordpress.<br />

com, 21.07.2014, 16 Uhr.<br />

11<br />

Vgl. Haus der Geschichte der<br />

Bundesrepublik Deutschland, „Grenz-<br />

Erfahrungen. Alltag der deutschen<br />

Teilung“, www.hdg.de/app-traenenpalast,<br />

21.07.2014, 24 Uhr.<br />

12<br />

Applikation Tränenpalast, siehe<br />

www.itunes.apple.com/de/app/<br />

tranenpalast/id809636376?mt=8,<br />

22.07.2014, 02 Uhr.<br />

13<br />

Vgl. Nadine Seumenicht,<br />

Inaugural-Dissertation zu<br />

Leitsystemen, Essen, 2008.<br />

Aufwand weiß, wo er sich befindet und welche weiteren Wegmöglichkeiten<br />

er von diesem Ort aus hat. Es sollte die Möglichkeit bestehen, dass man sich<br />

einen Überblick über die gesamte Karte mit den beinhalteten Orten verschaffen<br />

kann. Dies gibt dem Nutzer zusätzliche Sicherheit und somit auch Wohlbefinden<br />

innerhalb der Orte in denen er sich bewegt. Dies basiert auf dem<br />

Prinzip der „Cognitive Maps“. Menschen fühlen sich an Orten wohler, wenn<br />

sie einen Überblick haben. 14<br />

In Bezug auf Ausstellungen müssen Leitsysteme noch mehr leisten. In diesem<br />

Zusammenhang darf der Besucher nicht im Stich gelassen werden, wenn es<br />

um die Beschreibung des Raumes beziehungsweise des Ortes geht, an dem<br />

er sich befindet. Wenn nicht klar wird, was den Besucher dort erwartet oder<br />

was er für interaktive Möglichkeiten hat, ist die Chance groß, dass sich dieser<br />

nicht mehr mit den Inhalten des Ortes beschäftigt und den Raum nach kurzer<br />

Zeit wieder verlässt.<br />

BEISPIELE AUS DEM THEMATISCHEN KONTEXT<br />

In Rahmen der Bachelorarbeit haben wir uns vier Beispiele aus dem thematischen<br />

Kontext genauer angesehen, welche als Inspiration für die Entwicklung<br />

eines Ausstellungskonzeptes dienen. Diese sind: „The Journey“ von Emma<br />

Thompson (Helen Bamber Foundation), „Ohne Glanz und Glamour“ von TER-<br />

RE DES FEMMES, „Red Light Secrets“ in Amsterdam, sowie eine Aktion von<br />

Amnesty International, die eine Frau in einem durchsichtigen Koffer an der<br />

Gepäckausgabe eines Flughafens rotieren ließen. Die Analysen und Resultate<br />

können Sie, falls Interesse besteht, in unserer Bachelorthesis einsehen.<br />

GESTALTERISCHER KONTEXT<br />

Die Gestaltung im Rotlichtmilieu wirkt oftmals sehr überladen. Die einzige<br />

Regel, der sie folgt ist: „Hauptsache auffallen!“ Dieses Prinzip zieht sich durch<br />

alle Bereiche: Typografie, Bild, Farben und Komposition. Oftmals werden Effekte<br />

auf der Schrift angewandt. Dies ist am Logo des großen Bordells „Pascha“<br />

zu erkennen. Auch Umrandungen werden immer wieder genutzt, um<br />

Aufmerksamkeit zu erregen und dadurch herauszustechen. Teilweise ist die<br />

Schrift mit Neon-Lichterschläuchen geschrieben. Auf die Beleuchtung in den<br />

verschiedensten Ausführungen wird großen Wert gelegt, da die Werbung<br />

nachts wirken muss. Rot ist eine oft wiederkehrende Farbe. Allerdings wird<br />

auch farblich ein großes Spektrum abgedeckt (rot, gold, pink, rosa, gelb,<br />

violett). Auch die Bildsprache wechselt stets zwischen vollflächigen Hintergründen<br />

und Verläufen mit Freistellern, Fotografien aus dem Bordell oder von<br />

Pools, Strand und Wasser. Oft findet man entblößte Frauen, die zumeist als<br />

Freisteller auf den Hintergrund gestellt werden. Die Bilder sind oftmals stark<br />

bearbeitet. Die Personen haben geglättete und makellose Haut. Das Wording<br />

ist sehr unterschiedlich. Es fallen unter anderem immer wieder Wörter aus<br />

dem Fundus von Discountern auf: „Nur 89,99“, „Aktion“, „Alles inklusive“,<br />

„Nur 1x zahlen und das volle Programm genießen“, etc. Außerdem wird mit<br />

Superlativen gearbeitet.<br />

Entsprechend des „schmutzigen“ Themas wurde Dirty Design analysiert, das<br />

komplementär zu klaren, braven, detaillierten Grafiken ist. Diese Gestaltung<br />

passt zum Thema Zwangsprostitution, welche einen bedrückenden Charakter<br />

hat. Hierbei können analoge Techniken eingesetzt werden. Zum Beispiel<br />

Schriften auf analoge Weise erstellen und in das Layout einarbeiten. Des Weiteren<br />

findet ein Spiel mit Hintergründen statt, indem sie mehrfach übereinander<br />

platziert werden und durch multiplizierende Effekte ein Rauschen erzeugen.<br />

Bilder werden mit einem Rauschfilter versehen. Über das Layout kann ein<br />

Pattern gelegt werden, das Kratzer erzeugt.<br />

14<br />

Vgl. Mikunda, Der verbotene<br />

Ort, München, 2013, S. 44 ff.<br />

- 62 -<br />

- 63 -


07 KONTAKT<br />

08 FAZIT<br />

SCHLUSSBETRACHTUNG<br />

Für die Bachelorarbeit wurde ein Konzept für eine Wanderausstellung erarbeitet,<br />

die durch verschiedene deutsche Großstädte touren soll. Die Zielgruppe<br />

soll durch die Konfrontation mit erschreckenden Fakten emotional herausgefordert<br />

werden. Für die Ausstellung haben wir dramaturgische Prinzipien erarbeitet,<br />

Ausstellungsorte visualisiert, eine visuelle Klammer konzipiert, sowie<br />

verschiedene Ausstellungs- und Begleitmedien gestaltet.<br />

In einer ergiebigen Recherche haben wir die Missstände der Prostitutionsbranche<br />

zusammengetragen. Es hat sich bestätigt, dass die Gesellschaft<br />

insbesondere die Zielgruppe der Studenten nicht oder nur teilweise über die<br />

Missstände informiert sind und Aufklärungsbedarf besteht. Des Weiteren hat<br />

sich herausgestellt, dass diese Aufklärung in der Form, wie sie bisher betrieben<br />

wird, nicht flächendeckend bei der Zielgruppe ankommt. Daher haben wir ein<br />

Konzept ausgearbeitet, in dem Besuchern durch eine Ausstellung der besonderen<br />

Art, Missstände und Informationen nahegebracht werden.<br />

Die Ausstellungskonzeption wurde unter Zuhilfenahme von Fachliteratur er -<br />

arbeitet. Wir haben bestehende Ausstellungen ausgewertet und Schlüsse<br />

gezogen. Daraus ergab sich ein Innovationspotential, das sich vor allem durch<br />

die Integration der Ausstellung in den Alltag der Gesellschaft äußert. Ausstellungsbesucher<br />

werden durch die Inszenierung von unscheinbar wirkenden<br />

Orten emotional herausgefordert. Es wird erlebbar, dass Zwangsprostitution<br />

unmittelbar in der Nachbarschaft stattfindet. Außerdem sieht das trans mediale<br />

Konzept eine innovative Verbindung der Ausstellung mit einer Guide-Applikation<br />

für das Smartphone vor, die als erweitertes Leitsystem fungiert.<br />

Alle Gestaltungselemente ergeben eine markante visuelle Klammer, die sich in<br />

einer dreisten Bildsprache und einem polarisierenden Wording äußert. Diese<br />

visuelle Klammer wurde auf verschiedenen Medien angewandt.<br />

Für eine Realisation der Ausstellung müssten einzelne Aspekte der Konzeption,<br />

wie zum Beispiel das Kick-off-Event überdacht und weiterentwickelt werden.<br />

Außerdem sollten für alle Räumlichkeiten Prototypen gebaut werden, um diese<br />

mit Testpersonen zu optimieren. Die Landingpage und Applikation müssten im<br />

weiteren Prozess weiterentwickelt werden, um eine bessere Bedienbarkeit zu<br />

erreichen.<br />

DENNIS ZIEP<br />

Eichenstraße 36<br />

71126 Nebringen<br />

dennis_ziep@t-online.de<br />

HANNES ZIEHM<br />

Jahnstraße 2<br />

74348 Lauffen am Neckar<br />

mail@hannesziehm.de<br />

Unsere Recherchen haben ergeben, dass es trotz zahlreicher Berichterstattungen,<br />

Forderungen von Hilfsorganisationen und präsentierten Lösungsansätzen<br />

kein aktives Eingreifen der deutschen Bundesegierung gibt. Die längst<br />

überfällige Reaktion auf die Entwicklung zum „Bordell Europas“ soll von der<br />

Gesellschaft eingefordert werden, die allerdings zunächst durch eine Ausstellung<br />

über die Problmematik aufgeklärt werden muss.<br />

- 64 -<br />

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