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Ryszard Szklany - Gedenkstätte Buchenwald

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<strong>Ryszard</strong> <strong>Szklany</strong>, Gesandter-Botschaftsrat der Botschaft der Republik Polen<br />

Grußwort zur Gedenkveranstaltung in der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora, 12.4.2013<br />

Es gilt das gesprochene Wort!<br />

Sehr geehrte Damen und Herren,<br />

wir treffen uns heute zum 68. Jahrestag der Befreiung der wenigen hier noch am Leben<br />

verbliebenen Menschen und wollen, wie jedes Jahr, anschaulich machen, dass wir die Opfer<br />

des Nazi-Regimes in Erinnerung behalten.<br />

Sehr geehrte Damen und Herren,<br />

Am 1. September 1939 konnte niemand vorhersehen, dass jener Tag das Schicksal Polens und<br />

Europas für die nächsten Jahrzehnte bestimmen würde. Der damals abgefeuerte erste Schuss<br />

war auch der Beginn unermesslichen Leids für Millionen Menschen, wobei der Anteil der<br />

Zivilisten, insbesondere in den besetzten Ländern, sehr hoch war.<br />

Auch hier in Dora zeigte der Mensch die bösartige Seite seiner Natur in jeder nur<br />

erdenklichen Weise.<br />

Unmittelbar nach dem Krieg hielt es beinahe niemand für möglich, dass die tiefen Wunden<br />

jemals heilen würden. Doch der Versöhnungsprozess zwischen den europäischen Völkern und<br />

den Deutschen hat uns letztendlich auch den Glauben an die Menschen geschenkt. Das Gute<br />

der menschlichen Natur hat wieder die Oberhand gewonnen.<br />

Unser gegenseitiges Vertrauen verpflichtet uns nun, die Erinnerung an die Kriegsgeschehnisse<br />

ständig zu bewahren. Diese Aufgabe dürfen wir nicht aus den Augen verlieren. Wichtig ist die<br />

alle unsere Herzen erfreuende Versöhnung. Die heutige alltägliche, tüchtige Zusammenarbeit<br />

unserer Länder in dem großen europäischen Integrationsprozess ist zu einer<br />

Selbstverständlichkeit geworden. Damit die von uns nun gelebte europäische Eintracht nicht<br />

gefährdet wird, brauchen wir eine ehrliche Erinnerungskultur, ja Erinnerungspolitik.<br />

Wenn das Gegenteil mancherorts geschieht, wenn es eine institutionell verabreichte Amnesie<br />

und es die politisch oder sentimental-politisch motivierten Versuchungen gibt, die bisher<br />

unanfechtbare Beurteilung der Kriegsverbrechen zu relativieren, zu mildern oder gar zu<br />

bezweifeln, dann sind wir mit einem sehr gefährlichen Spiel konfrontiert.<br />

Leider, muss man auch das gestehen, mangelte es immer an der objektiven Beurteilung der<br />

verbrecherischen Schuld der Nazihenker. Und das in allen möglichen Konstellationen und aus<br />

unterschiedlichsten Beweggründen. Sogar gleich nach 1945, wo die Wunden noch nicht<br />

geheilt waren, gab es, das muss eben hier in Dora gesagt werden, an Seite der Alliierten die<br />

ersten kalten Kalkulationen, dass auch die Nazis der schlimmsten Sorte nützlich und somit<br />

straffrei sein konnten. Wir erinnern uns, dass es die für die Raketenforschung der USA<br />

wichtige Operation Paperclip gab.<br />

Es gab viele Umstände, warum viele Naziverbrecher, unter ihnen auch die Angehörigen der<br />

Lagermannschaft Dora-Mittelbau von der gerechten Bestrafung im Münchner Dora-Prozess<br />

und in den späteren Gerichtsanläufen geschont wurden. Versagt hatte auch die deutsche<br />

Nachkriegsjustiz. Aus Solidarität mit den Tätern gab es immer wieder die Worte zu hören wie<br />

Verhandlungsunfähigkeit, Haftverschonung und Strafaufschub. Mit der fortschreitenden Zeit<br />

mangelte es zunehmend an Zeugen und Beweisen. Viele Verbrecher sind bei Kriegsende<br />

untergetaucht. Die Entnazifizierung verlor im Zuge des Kalten Krieges zunehmend an<br />

Bedeutung. Eine allmähliche Abmilderung der Urteile und vorzeitige Entlassungen aus der<br />

Haft fanden statt.<br />

1


Es geht heute nicht mehr um die damaligen juristischen Tricksereien. Wenig interessieren uns<br />

nun die heute noch am Leben verbliebenen Greise, die einstigen Wächter der<br />

verbrecherischen KZ-Ordnung, die im verschiedenen Rang und unterschiedlicher Hingabe<br />

dem „Dritten Reich“ gedient hatten.<br />

Wichtig ist es zu wissen und immer wieder zu betonen, dass das Verschweigen oder<br />

Vertuschen von Taten, für die ja keine Verjährung gilt, sehr gefährlich ist.<br />

Wenig Wert werden die Beteuerungen über eine Freundschaft in virtuell erdachten<br />

geometrischen Konstellationen haben, wenn das nicht weit von Weimar entfernte damalige<br />

Dora-Dreieck aus dem Gedächtnis der Polen, der Franzosen, der Deutschen und aller<br />

Europäer verschwindet. Der verbal deklarierten Versöhnung und Freundschaft muss die<br />

ehrliche Geschichtsstunde der Jungen im eigenen Lande zu Grunde liegen.<br />

Und dafür ist jedes Mittel recht. Es gibt zahlreiche schriftliche und veröffentlichte<br />

Erinnerungen. Die meisten verdanken wir den damaligen französischen Lagerinsassen. Ich<br />

habe auch Erinnerungen der polnischen Dora-Häftlinge gelesen, zerstreut im Internet und mit<br />

Sicherheit nicht alle übersetzt ins Deutsche oder Französische. Es gibt Ausstellungen, es gibt<br />

ein gewaltiges Engagement der Menschen auch hier in der vom Herrn Dr. Jens-Christian<br />

Wagner beispielhaft geleiteten Gedenkstätte. Es gibt das Museum „La Coupole“ in<br />

Frankreich. Schließlich haben wir das Kunsterbe der hier und in anderen KZs eingekerkerten<br />

Menschen. Es gibt Werke von Maurice de la Pintière, von José Fosty und des heute in<br />

Erinnerung gerufenen Camille Delétang.<br />

Ein ehemaliger polnischer Dora-Häftling erzählte in seinen Erinnerungen, dass dem im Lager<br />

herrschenden Terror zum Trotz die Menschen die wichtigsten Werte und die innere seelische<br />

Freiheit bewahren konnten. Als sehr hilfreich hierfür galten die Momente, in denen sie<br />

miteinander über die Literatur, die Poesie reden konnten. Er sprach auch vom Zeichnen.<br />

Vielleicht dachte er an den französischen Mitinsassen Camille Delétang…<br />

Der Sinn des Widerstands im KZ war, möglichst viele Menschen dem Tod und der<br />

Verzweiflung zu entreißen, aber auch ihre Würde zu bewahren. Die Portraits von Camille<br />

Delétang sind Zeugnisse vom Selbstwertgefühl und Unbeugsamkeit seiner Leidgenossen.<br />

In einem dem Celle-Fund gewidmeten Bericht vom September 2012 schrieb die britische<br />

Daily Mail erstaunt, was für Normalität, Menschenwürde und Nostalgie aus den Delétang-<br />

Zeichnungen strahlt. Und das in dem Inferno eines Konzentrationslagers.<br />

Die französische Zeitung La Nouvelle République schrieb dazu: „Les portraits des déportés<br />

dessinés par Delétang sont en effet saisissants“.<br />

Das sind in der Tat helle Sternzeichen des Optimismus und der Zuversicht.<br />

Ich danke Ihnen.<br />

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