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»Es war schön in dem Land, das es nicht mehr gibt«

Was ist Jugoslawien und wie lebt es sich heute in Serbien – ein Interview mit Drehbuchautorin Melina Pota Koljević

Was ist Jugoslawien und wie lebt es sich heute in Serbien – ein Interview mit Drehbuchautorin Melina Pota Koljević

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tan davon, <strong>das</strong>s irgendwelche fremden Menschen<br />

<strong>in</strong> die Stadt kamen, um e<strong>in</strong>en Film darüber<br />

zu drehen, was die Bewohner geme<strong>in</strong>sam<br />

verg<strong>es</strong>sen und vergraben wollten. Der<br />

Mord an Srdjan Aleksić spielte sich vor den<br />

Augen vieler an di<strong>es</strong>em zentralen Platz ab,<br />

und niemand hat ihn verteidigt! Ihnen ist <strong>es</strong><br />

auch pe<strong>in</strong>lich, Srdjan Aleksićs Vater, der<br />

noch <strong>in</strong> der Stadt lebt, zu begegnen, weil se<strong>in</strong>e<br />

Anw<strong>es</strong>enheit sie daran er<strong>in</strong>nert, <strong>das</strong>s sie<br />

für se<strong>in</strong>en Sohn <strong>nicht</strong>s getan haben, als er <strong>es</strong><br />

gebraucht hat. Auch se<strong>in</strong>e Mörder wurden<br />

teils nur unzureichend b<strong>es</strong>traft.<br />

Wie wurde der Film <strong>in</strong> Serbien und anderen<br />

ehemals jugoslawischen Republiken<br />

aufgenommen?<br />

Auf den F<strong>es</strong>tivals <strong>in</strong> Serbien, Bosnien,<br />

Kroatien, Slowenien fand di<strong>es</strong>er Film <strong>das</strong> Publikum,<br />

<strong>das</strong> ihn versteht. Die Menschen <strong>in</strong><br />

Sarajevo, Belgrad und Pula haben applaudiert.<br />

Aber <strong>es</strong> gibt auch Menschen, die den<br />

Film <strong>nicht</strong> sehen wollen, weil sie im voraus<br />

all<strong>es</strong> über ihn zu wissen glauben. Sie wissen,<br />

<strong>das</strong>s ihnen di<strong>es</strong>e G<strong>es</strong>chichte über Srdjan<br />

Aleksić und die Wirkung, die se<strong>in</strong>e Tat nach<br />

sich zieht, <strong>nicht</strong> passt.<br />

Wer s<strong>in</strong>d di<strong>es</strong>e Menschen, denen der<br />

Film <strong>nicht</strong> passt?<br />

Das s<strong>in</strong>d überwiegend Nationalisten,<br />

und die gehören zu allen g<strong>es</strong>ellschaftlichen<br />

Gruppierungen. So e<strong>in</strong>e Reaktion ist leichter<br />

zu verstehen, wenn e<strong>in</strong>fache, wenig gebildete<br />

Menschen manipuliert werden. Sie sollen<br />

von der wahren Quelle ihrer eigenen f<strong>in</strong>anziellen<br />

und sozialen Misere abgelenkt<br />

werden. Die verursachen natürlich <strong>nicht</strong><br />

Menschen anderer Religion oder Nation, wie<br />

nationalistische Kräfte seit Jahren predigen.<br />

Verantwortlich für den nationalistischen<br />

Hass s<strong>in</strong>d die Profiteure und Ideologen aus<br />

<strong>dem</strong> eigenen Volk, die Menschen daran h<strong>in</strong>dern,<br />

e<strong>in</strong> menschenwürdig<strong>es</strong> Leben zu führen.<br />

Oft s<strong>in</strong>d <strong>es</strong> selbsternannte Intellektuelle,<br />

aber auch Neureiche, die wiederum schnell<br />

versuchen, den eigenen Nationalismus zu kaschieren,<br />

<strong>in</strong><strong>dem</strong> sie sich als tolerant, liberal<br />

und modern darstellen. Am <strong>in</strong>ter<strong>es</strong>sant<strong>es</strong>ten<br />

s<strong>in</strong>d sogenannte <strong>in</strong>tellektuelle Nationalisten,<br />

was für mich e<strong>in</strong>e contradictio <strong>in</strong> adjecto ist:<br />

Ke<strong>in</strong> wahrer Intellektueller kann gleichzeitig<br />

Nationalist se<strong>in</strong>; er müsste unterschiedliche<br />

Weltanschauungen und Werte r<strong>es</strong>pektieren,<br />

solange sie die Existenz und Werte e<strong>in</strong><strong>es</strong><br />

anderen <strong>nicht</strong> bedrohen. Wir haben<br />

viele solche »Intellektuellen«, die weder den<br />

Film noch Srdjan Aleksić kennen, die sich<br />

aber <strong>nicht</strong> scheuen, dazu schwachs<strong>in</strong>nige<br />

und grausame Urteile abzugeben.<br />

Welche Rolle spielt Nationalismus <strong>in</strong><br />

der serbischen Politik und Kultur heute?<br />

E<strong>in</strong>e schlechte – <strong>nicht</strong> nur <strong>in</strong> Serbien,<br />

sondern überall. Aber <strong>in</strong> Serbien hat der Nationalismus<br />

def<strong>in</strong>itiv <strong>das</strong> Bewusstse<strong>in</strong> der<br />

Menschen entstellt. Das <strong>war</strong> <strong>in</strong> Jugoslawien<br />

anders. Wir alle <strong>war</strong>en stolz darauf, Bürger<br />

der Welt zu se<strong>in</strong>, ke<strong>in</strong>e »guten Serben« oder<br />

konkret 5/15<br />

»guten Kroaten«, sondern gute Menschen.<br />

Was mich tröstet und ermutigt, ist die Tatsache,<br />

<strong>das</strong>s gerade bei den jungen Menschen<br />

<strong>in</strong> Serbien e<strong>in</strong>e neue Form d<strong>es</strong> Kosmopolitismus<br />

entsteht, e<strong>in</strong> emotionaler und<br />

<strong>in</strong>tellektueller Widerstand gegen den Nationalismus.<br />

Und di<strong>es</strong>er Widerstand f<strong>in</strong>det<br />

noch Anklang bei ihren Eltern, von denen<br />

viele die Bedeutung Jugoslawiens <strong>nicht</strong> verg<strong>es</strong>sen<br />

haben.<br />

Wie sehen Sie die Rehabilitation der<br />

Tschetnik-Bewegung <strong>in</strong> Serbien heute?<br />

Das ist e<strong>in</strong> tiefb<strong>es</strong>chämender Akt, unter<br />

<strong>dem</strong> viele Antifaschisten schrecklich leiden.<br />

So ist <strong>es</strong> auch bei me<strong>in</strong>em Vater und me<strong>in</strong>em<br />

Onkel, die im Zweiten Weltkrieg <strong>in</strong> Mazedonien<br />

als Partisanen gegen die bulgarischen<br />

Faschisten gekämpft haben. Neben den vielen<br />

Menschen, die ihr Leben im Kampf gegen<br />

die Faschisten geopfert haben, werden<br />

heute faschistische Kollaborateure gefeiert,<br />

die viele Serben und »Jugoslawen« noch als<br />

Schlächter d<strong>es</strong> eigenen Volk<strong>es</strong> <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung<br />

haben. Die Tschetniks mordeten <strong>nicht</strong> nur<br />

<strong>in</strong> Bosnien und Herzegow<strong>in</strong>a, auch anderen<br />

Serben haben sie viel Bös<strong>es</strong> angetan. Das beweisen<br />

zahlreiche historische Dokumente.<br />

Es gibt noch Zeugen, die die Verbrechen mitansehen<br />

mussten. Es ist b<strong>es</strong>chämend, <strong>das</strong>s<br />

man die Tschetniks nun offiziell als Patrioten<br />

würdigt und ihnen Denkmäler baut.<br />

Dennoch habe ich die Hoffnung, <strong>das</strong>s<br />

sich di<strong>es</strong> ändert, da heute <strong>in</strong> Serbien viele<br />

junge Menschen mit solchen Strömungen<br />

und geistiger Vergiftung Schluss machen<br />

wollen. Sie s<strong>in</strong>d kämpferisch, l<strong>in</strong>ks orientiert<br />

und freiheitlich e<strong>in</strong>g<strong>es</strong>tellt, und ich hoffe,<br />

<strong>das</strong>s sie <strong>in</strong> den nächsten Jahren e<strong>in</strong> liberal<strong>es</strong>,<br />

tolerant<strong>es</strong> Serbien enstehen lassen.<br />

Jugoslawien <strong>war</strong> mal e<strong>in</strong> Paradi<strong>es</strong> für<br />

Filmemacher. Wie s<strong>in</strong>d heute die Produktionsbed<strong>in</strong>gungen?<br />

Gibt <strong>es</strong> Staatsförderung<br />

<strong>in</strong> Serbien und anderen Republiken?<br />

Die Situation heute ähnelt <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er Weise<br />

<strong>dem</strong> jugoslawischen Paradi<strong>es</strong>. Unter Tito<br />

gab <strong>es</strong> <strong>nicht</strong> nur Geld für »Partisanenfilme«.<br />

E<strong>in</strong>e ganze Reihe von Filmen entstanden,<br />

die die jugoslawische G<strong>es</strong>ellschaft offen kritisieren.<br />

Viele davon erreichten <strong>in</strong>ternationale<br />

F<strong>es</strong>tivals und bekamen Preise – trotz der<br />

ideologischen Repr<strong>es</strong>sion, über die heute alle<br />

gerne lamentieren. Aber di<strong>es</strong>e Filme haben<br />

<strong>das</strong> Image Jugoslawiens geprägt.<br />

Und die Situation heute? Das Geld ist<br />

sehr begrenzt und dadurch, <strong>das</strong>s <strong>es</strong> an viele<br />

Projekte verteilt wird, hat niemand genug.<br />

Nötig wäre, viel <strong>mehr</strong> Geld für die Kultur und<br />

b<strong>es</strong>onders für die Filmförderung auszugeben.<br />

Weil Filme e<strong>in</strong>e Art Ausweis e<strong>in</strong><strong>es</strong> <strong>Land</strong><strong>es</strong><br />

darstellen, e<strong>in</strong> Spiegel se<strong>in</strong>er Haltung gegenüber<br />

der Kunst, aber auch e<strong>in</strong> Spiegel se<strong>in</strong><strong>es</strong><br />

Selbstverständniss<strong>es</strong> s<strong>in</strong>d.<br />

Interview: Sadija Kavgić<br />

Der Film »Circl<strong>es</strong>« ersche<strong>in</strong>t am 22. Mai auf DVD bei<br />

Barnste<strong>in</strong>er Film.<br />

konkret texte 66<br />

Jörg Kronauer – »Ukra<strong>in</strong>e über all<strong>es</strong>!«<br />

Der vorliegende Band soll die Rolle deutlich<br />

machen, die Deutschland und die übrigen<br />

w<strong>es</strong>tlichen Staaten für die Entwicklung der<br />

Ukra<strong>in</strong>e spielten und spielen. Es geht um die<br />

politischen wie ökonomischen Inter<strong>es</strong>sen, die<br />

vor allem die Bund<strong>es</strong>republik und die Vere<strong>in</strong>igten<br />

Staaten zur E<strong>in</strong>mischung <strong>in</strong> <strong>in</strong>nerukra<strong>in</strong>ische<br />

Angelegenheiten veranlasst haben;<br />

<strong>es</strong> geht darum, welche E<strong>in</strong>fluss<strong>in</strong>strumente<br />

und Machtmittel die w<strong>es</strong>tliche Politik<br />

dabei e<strong>in</strong>g<strong>es</strong>etzt hat. Und <strong>es</strong> geht um jene<br />

Tradition der Ukra<strong>in</strong>e, an welche die w<strong>es</strong>tlichen<br />

Staaten dabei andockten und weiter<br />

anzudocken versuchen: die der NS-Kollaboration<br />

der »Organisation Ukra<strong>in</strong>ischer Nationalisten«.<br />

Ich b<strong>es</strong>telle .......... Ex. konkret texte 66 zum<br />

E<strong>in</strong>zelpreis von 19,80 € (zzgl. Porto + Verp. 2,95 €)<br />

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koljevic.<strong>in</strong>dd 3 15.04.15 01:59

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