Ordoliberalismus: der „gute“ Neoliberalismus?
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Fachschaftsrat Wirtschaftswissenschaften <strong>der</strong><br />
Universität Potsdam<br />
Ringvorlesung „Mehr als nur max. – Heterodoxe Ökonomie“<br />
11. November 2014<br />
<strong>Ordoliberalismus</strong>: <strong>der</strong> <strong>„gute“</strong> <strong>Neoliberalismus</strong>?<br />
Prof. Dr. Stefan Kolev<br />
Westsächsische Hochschule Zwickau<br />
Wilhelm-Röpke-Institut, Erfurt
Agenda<br />
1. Wozu überhaupt „heterodoxe“ Ökonomik?<br />
2. Entstehung des <strong>Ordoliberalismus</strong> innerhalb<br />
<strong>der</strong> Neoliberalismen<br />
3. Ordoliberale Ideenwelt und die Praxis <strong>der</strong><br />
Wirtschaftspolitik<br />
4. Ausblick: Ordnungen im 21. Jahrhun<strong>der</strong>t -<br />
zwischen Paternalismus und Anarchie
Agenda<br />
1. Wozu überhaupt „heterodoxe“ Ökonomik?<br />
2. Entstehung des <strong>Ordoliberalismus</strong> innerhalb<br />
<strong>der</strong> Neoliberalismen<br />
3. Ordoliberale Ideenwelt und die Praxis <strong>der</strong><br />
Wirtschaftspolitik<br />
4. Ausblick: Ordnungen im 21. Jahrhun<strong>der</strong>t -<br />
zwischen Paternalismus und Anarchie
1. Warum „Heterodoxie“? (1)<br />
• Tiefgreifende Krise <strong>der</strong> Volkswirtschaftslehre - die<br />
Kunden laufen uns zunehmend weg:<br />
– Vertrauensschwund bei Studenten<br />
– Vertrauensschwund bei Bürgern und Politik<br />
– Vertrauensschwund bei Medien<br />
– Vertrauensschwund bei Nachbardisziplinen<br />
• Mögliche Ursachen für diese Krise:<br />
– Kommunikation: kann man mit ihnen reden?<br />
– Opportunitätskosten: ist das die spannendste Deutung?<br />
– Relevanz: haben sie etwas zu sagen?
1. Warum „Heterodoxie“? (2)<br />
• Mikroperspektive des Einzelnen:<br />
– Reflexionskompetenz für Theorien, Gespür für Methoden<br />
– Anregende Denkwelten durch Debatten erschließen<br />
– Eigene Sprachfähigkeit ausbauen, Begriffsklarheit<br />
– Lese- und Schreibkompetenz verbessern<br />
– Interdisziplinarität verstehen und lernen<br />
– Selbstwertschätzung <strong>der</strong> eigenen Disziplin steigern
1. Warum „Heterodoxie“? (3)<br />
• Makroperspektive des Faches:<br />
– Breiterer Blick, Verknüpfungen <strong>der</strong> Subdisziplinen<br />
– Verortung als Sozialwissenschaft, vielleicht sogar als<br />
Geisteswissenschaft<br />
– Pluralität <strong>der</strong> Ökonomik: Köpfe, Schulen, Debatten;<br />
Weniger Herdentrieb und „fashions and fads“<br />
– Rückkehr <strong>der</strong> Politischen Ökonomie und damit <strong>der</strong><br />
Relevanz bei den verprellten Kundengruppen<br />
– Angenehmere Didaktik, Unterrichtsformen<br />
– Ökonomik und kulturelle Entwicklung: Anker des<br />
Westens in <strong>der</strong> gegenwärtigen Identitätskrise?
Heterodoxie trifft<br />
Orthodoxie ;)<br />
F.A.S. vom 9.11.
Agenda<br />
1. Wozu überhaupt „heterodoxe“ Ökonomik?<br />
2. Entstehung des <strong>Ordoliberalismus</strong> innerhalb<br />
<strong>der</strong> Neoliberalismen<br />
3. Ordoliberale Ideenwelt und die Praxis <strong>der</strong><br />
Wirtschaftspolitik<br />
4. Ausblick: Ordnungen im 21. Jahrhun<strong>der</strong>t -<br />
zwischen Paternalismus und Anarchie
2.1 Geburt des <strong>Neoliberalismus</strong> (1)<br />
• Liberalismus als die wohl vielfältigste, bunteste und<br />
auch älteste Ideenwelt <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne<br />
• Sind Denker überhaupt in Schubladen packbar?<br />
• Hobbes-Locke-Debatte als Ausgangspunkt <strong>der</strong><br />
politischen Theorie<br />
• Die „spontane Ordnung“ als Ergebnis in <strong>der</strong><br />
negativen Freiheit: David Hume & Adam Smith<br />
• Soziale Interaktionen als Spiel (Shakespeare),<br />
aber „ökonomisches Spiel“ ist nun „sui generis“
2.1 Geburt des <strong>Neoliberalismus</strong> (2)<br />
• Marginalistische Revolution 1871 in <strong>der</strong> Ökonomik,<br />
Einzug des Subjektivismus (Werte / Weltbild)<br />
• Verlust <strong>der</strong> Deutungshoheit gegen die diversen<br />
Kollektivismen (Planung und Kriege)<br />
• 4 Zentren liberalen Denkens / Ökonomik um 1930:<br />
Wien, London, Chicago und Freiburg<br />
• Faktische Geburt des <strong>Neoliberalismus</strong> bzw. <strong>der</strong><br />
Neoliberalismen:<br />
– 1938: Colloque Walter Lippmann in Paris<br />
– 1947: Gründung <strong>der</strong> Mont Pèlerin Society
2.2 Spielarten des <strong>Neoliberalismus</strong><br />
Quelle: Renner (2002), S. 61.
2.3 Geburt des <strong>Ordoliberalismus</strong> (1)<br />
• Freiburger Schule als Gemeinschaft von<br />
Ökonomen und Juristen ab 1930<br />
• Führende Köpfe: Walter Eucken (1891-1950)<br />
und Franz Böhm (1895-1977)<br />
• Liberalismus in Zeiten des Totalitarismus:<br />
Freiburger Kreise<br />
• Ab 1945: internationale Netzwerke und<br />
westdeutscher Wie<strong>der</strong>aufbau<br />
• Euckens unerwarteter Tod in London
2.3 Geburt des <strong>Ordoliberalismus</strong> (2)<br />
• „Exiles“ (vs. „Half-Exiles“): Wilhelm Röpke<br />
(1899-1966) und Alexan<strong>der</strong> Rüstow (1885-1963)<br />
• Eng befreundet mit den „Half-Exiles“ in Freiburg,<br />
aber nicht immer deckungsgleich<br />
• Auch jenseits <strong>der</strong> Wissenschaft: Publizistik,<br />
Politikberatung<br />
• „Politische Ökonomen“ in <strong>der</strong> deutschen<br />
staatswissenschaftlichen Tradition, incl.<br />
Soziologie (à la M. Weber, W. Sombart)
2.3 Geburt des <strong>Ordoliberalismus</strong> (3)<br />
• Popularisierer und Implementierer: Ludwig Erhard<br />
(1897-1977) und Alfred Müller-Armack (1901-1978)<br />
• Begriffsprägung „Soziale Marktwirtschaft“ 1946<br />
• Währungsreform und Preisfreigabe im Juni 1948<br />
(„DM als einziger Bezugsschein“)<br />
• „Wohlstand für alle“ = wi<strong>der</strong> die Privilegien<br />
• Kartellgesetz (GWB) 1957 gegen heftigen<br />
Wi<strong>der</strong>stand des BDI durchgesetzt<br />
• Karl Schillers „Synthese“: Verwässerung?
Agenda<br />
1. Wozu überhaupt „heterodoxe“ Ökonomik?<br />
2. Entstehung des <strong>Ordoliberalismus</strong> innerhalb<br />
<strong>der</strong> Neoliberalismen<br />
3. Ordoliberale Ideenwelt und die Praxis <strong>der</strong><br />
Wirtschaftspolitik<br />
4. Ausblick: Ordnungen im 21. Jahrhun<strong>der</strong>t -<br />
zwischen Paternalismus und Anarchie
3.1 Ordoliberale Ideen (1)<br />
• Kant‘sche „Ordnung <strong>der</strong> Freiheit“ wie<strong>der</strong>entdeckt:<br />
funktionsfähig und menschenwürdige Ordnung<br />
• Freiheit und ihre Voraussetzungen (sichtbare Hand<br />
des Rechts und unsichtbare Hand des Marktes)<br />
• Topos als Methode: Gravitationszentrum im Werk<br />
• Zwei Ebenen <strong>der</strong> Analyse: abstrakte Staatsverständnisse<br />
und konkrete Wirtschaftspolitikfel<strong>der</strong><br />
• Drei Vergleiche: Versuch, die Dynamiken zu<br />
erfassen und komparativ in Beziehung zu setzen
3.1 Ordoliberale Ideen (2)<br />
?
3.1 Ordoliberale Ideen (3)<br />
• Zuspitzung von Adam Smith: Trennung von<br />
Ordnung (Spielregeln) und Prozess (Spielzügen)<br />
Wirtschaftsordnung = Spielregeln<br />
staatlich<br />
Wirtschaftsprozess =<br />
Spielzüge<br />
staatlich<br />
privat<br />
Wirtschaftsordnung = Spielregeln
3.1 Ordoliberale Ideen (4)<br />
• 4 Topoi im jeweiligen Werk:<br />
– Walter Eucken: Macht und Entmachtung in Wirtschaft und<br />
Staat, maximale Vermachtung durch Kombination<br />
– F.A. von Hayek: Wissen und Wissensteilung als Kern von<br />
Wirtschaft und Gesellschaft, Verallgemeinerung von Smith<br />
– Wilhelm Röpke: Soziale Kohäsion kleiner Regelkreise als<br />
Antwort auf Vermassung in Wirtschaft und Gesellschaft<br />
– Ludwig von Mises: Handlungsautonomie als primäres<br />
Erkenntnisobjekt und als Zielvorstellung<br />
• Topoi als primäres (nicht einziges) Gravitationszentrum<br />
des Werks
3.1 Ordoliberale Ideen (5)<br />
• 4 Leitbil<strong>der</strong> für die „Arbeitsteilung“ Staat-Markt:<br />
– Walter Eucken: unparteiischer Schiedsrichter, <strong>der</strong> Regeln<br />
durchsetzt und auf Machtballungen achtet<br />
– F.A. von Hayek: Gärtner eines englischen Gartens, <strong>der</strong><br />
Muster kultiviert, aber nicht einzelne Elemente kontrolliert<br />
– Wilhelm Röpke: Statiker, <strong>der</strong> auf die Stabilität <strong>der</strong> Säulen<br />
achtet, auf denen die freiheitliche Ordnung beruht<br />
– Ludwig von Mises: Nachtwächter, <strong>der</strong> lediglich auf<br />
Eigentumsschutz und Vertragsdurchsetzung achtet<br />
• Ordnungen haben exogene und endogene<br />
Mechanismen, bei exogenen ist Staat nicht allein
3.1 Ordoliberale Ideen (6)<br />
• Euckens Entmachtung durch Ordnungspolitik:
3.1 Ordoliberale Ideen (7)<br />
• Zwei ordoliberale politische Ökonomien:
3.2 Wirtschaftspolitik (1)<br />
• Konjunkturpolitik:<br />
– Hayek: „Österreichische“ Theorie: Vermeidung von<br />
Booms einzige Option <strong>der</strong> Rezessionsvermeidung<br />
– Mises: „Österreichische“ Theorie: Vermeidung von<br />
Booms einzige Option <strong>der</strong> Rezessionsvermeidung<br />
– Röpke: „Österreichische“ Theorie + Theorie <strong>der</strong><br />
sekundären Depression<br />
– Eucken: „Österreichische Theorie“ + Ordnungstheorie<br />
Konsens: Keynesianische Politik birgt große Gefahren
3.2 Wirtschaftspolitik (2)<br />
• Währungspolitik:<br />
– Hayek: Goldstandard Warenreservewährung <br />
Entnationalisierung des Geldes<br />
– Mises: Goldstandard<br />
– Röpke: Goldstandard<br />
– Eucken: Goldstandard Warenreservewährung +<br />
Chicago-Plan<br />
Konsens: Marktwirtschaft benötigt regelgebundene<br />
Währungspolitik, sonst ständige Instabilitäten (Inflation)
3.2 Wirtschaftspolitik (3)<br />
• Wettbewerbspolitik:<br />
– Hayek: Wettbewerb staatlich durchzusetzen Betonung<br />
offener Märkte<br />
– Mises: Offene Märkte<br />
– Röpke: Offene Märkte<br />
– Eucken: Wettbewerb staatlich durchsetzen, offene<br />
Märkte reichen nicht: Entmachtende Wettbewerbs-politik<br />
des Staates (Monopol- und Kartellverbote etc.)<br />
Konsens: Offene Märkte unabdingbar, Dissens darüber, ob sie<br />
ausreichend sind
3.2 Wirtschaftspolitik (4)<br />
• Sozialpolitik:<br />
– Hayek: Suche nach regelbasierter Sozialpolitik:<br />
Mindestsicherung, Versicherungspflicht, Entmachtung<br />
<strong>der</strong> Gewerkschaften<br />
– Mises: Sozialpolitik keine Staatsaufgabe<br />
– Röpke: Kohäsion <strong>der</strong> kleinen Regelkreise: Struktur- und<br />
Gesellschaftspolitik <strong>der</strong> Subsidiarität<br />
– Eucken: Suche nach entmachten<strong>der</strong> Sozialpolitik:<br />
Entmachtung <strong>der</strong> Gewerkschaften, flankierende<br />
Maßnahmen<br />
Kein Konsens feststellbar
Agenda<br />
1. Wozu überhaupt „heterodoxe“ Ökonomik?<br />
2. Entstehung des <strong>Ordoliberalismus</strong> innerhalb<br />
<strong>der</strong> Neoliberalismen<br />
3. Ordoliberale Ideenwelt und die Praxis <strong>der</strong><br />
Wirtschaftspolitik<br />
4. Ausblick: Ordnungen im 21. Jahrhun<strong>der</strong>t -<br />
zwischen Paternalismus und Anarchie
4.1 Neo vs. Ordo?<br />
• Das „Kippen“ des <strong>Neoliberalismus</strong>-Begriffs: von <strong>der</strong><br />
Selbst- zur Fremdbezeichnung in 70ern und 80ern,<br />
Pinochet, Thatcher & Reagan<br />
• Feindbild und Buhmann an allen Fronten, in<br />
Wissenschaft wie in Politik, „Büttel“/„Apologeten“…<br />
• Vielleicht gerade darin ein diskursives Positivum:<br />
– „guter <strong>Ordoliberalismus</strong>“ vs. „böser <strong>Neoliberalismus</strong>“ als<br />
gängiges Missverständnis enttarnen<br />
– „neo“ klingt an<strong>der</strong>s als „klassisch“: Fortschritt vs. Dogma<br />
– „laissez-faire“ vs. „laissez-faire within rules“<br />
– „pro business“ vs. „pro market“
4.2 Inspirationen für heute (1)<br />
• Kann man als heutiger junger Theoretiker aus<br />
Debatten an<strong>der</strong>er Zeiten etwas lernen?<br />
• Warum sich nicht (zumindest) provozieren lassen?<br />
• Interessant sind dabei, neben Inhalte, die basalen<br />
Grundsätze wie auch die Wissenschaftsstrategie<br />
• 2 Grundsätze, die ich am spannendsten finde:<br />
Stets politökonomisch denken und eigene<br />
Normativität immer offenlegen<br />
Denken in Ordnungen / Verfassungen, gegen<br />
die fallweise, diskretionäre Wirtschaftspolitik
4.2 Inspirationen für heute (2)<br />
• Welche Impulse bleiben für die heutige Ökonomik?<br />
– Das „Neueste“ ist nicht unbedingt „Beste“: Fortschritt in<br />
den Sozialwissenschaften kritisch prüfen<br />
– Wirtschaftspolitischer Bezug sollte im Blick bleiben<br />
– Theoretische und methodische Monokulturen sind nie gut<br />
– Mathematik ist vielleicht nur eine von vielen Sprachen, in<br />
denen wir ökonomisches Denken formulieren können<br />
– Frage nach Menschenbild und Rationalität sind in <strong>der</strong> Tat<br />
entscheidend, nicht erst seit <strong>der</strong> Verhaltensökonomik<br />
– Theorielose Empirie kann große Gefahren bergen,<br />
empirische Ergebnisse müssen stets gut erklärbar sein
Vielen Dank!<br />
stefan.kolev@fh-zwickau.de