Feministische Ökonomie
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Prof. Dr. Brigitte Young<br />
Universität Münster<br />
Was ist <strong>Feministische</strong><br />
<strong>Ökonomie</strong>?<br />
Ringvorlesung<br />
Universität Potsdam<br />
28. Oktober 2014<br />
1
<strong>Feministische</strong> <strong>Ökonomie</strong> ist keine Voodoo<br />
<strong>Ökonomie</strong><br />
Sondern:<br />
Erweiterung des herrschenden<br />
<strong>Ökonomie</strong>begriffs der Warenproduktion –<br />
und zwar auf die gesamtgesellschaftlich<br />
notwendigen Aktivitäten. Dazu gehören<br />
die Ver- und Fürsorgearbeit, informelle<br />
Eigen- und Subsistenzarbeit sowie<br />
ehrenamtliche Tätigkeiten.<br />
2
GLIEDERUNG<br />
1. Entstehungsgeschichte der <strong>Feministische</strong>n <strong>Ökonomie</strong><br />
2. Institutionalisierung der <strong>Feministische</strong>n <strong>Ökonomie</strong><br />
3. Konventionelle Makroökonomie<br />
4. <strong>Feministische</strong> Konzeption der Makroökonomie<br />
5. Beispiele von Fem. Ökonomischen Einsichten<br />
‣ Individualisierung von Risiken: US-am Subprime Krise<br />
‣ Genderblindheit der Finanzlehre als Resultat einer „epistemic<br />
community“<br />
‣ Budget Konsolidierung und die Rettungspakete 2009<br />
‣ Hätten die Lehman Sisters die Finanzkrise verhindern können?<br />
6. Offene Fragen<br />
7. Weitere Literatur<br />
3
I. Entstehung der <strong>Feministische</strong>n <strong>Ökonomie</strong><br />
<strong>Feministische</strong> <strong>Ökonomie</strong> kommt aus der<br />
Entwicklungsforschung<br />
1. Fragestellung in der Entwicklungsforschung:<br />
inwieweit die ökonomische<br />
makroökonomische Entwicklung in den vier<br />
Tigerstaaten (Taiwan, Süd-Korea, Singapur,<br />
Hongkong) auf Frauenarbeit basierte<br />
2. Erfolgsmodell dieser four tigers beruhte auf<br />
Textilarbeit von niedrigbezahlten Frauen<br />
3. Ziel: Frauen in der Wirtschaft sichtbar zu machen<br />
4
Entstehungsgeschichte<br />
1992 Gründung der International Association for<br />
Feminist Economics (IAFFE) hat 600 Mitglieder in 64<br />
Ländern, wurde 1997 als NGO-Berater zum<br />
Economic and Social Council of the UN berufen<br />
www.iaffe.org<br />
Peer- Reviewed Journal: Feminist Economics<br />
“Feminist Economics has become, with remarkable speed,<br />
a leading journal in economics, vastly enriching the<br />
understanding of important economic issues”.<br />
Amartya Sen - Nobel Prize for Economics 1998, Harvard<br />
University, USA<br />
2015 Annual Conference of IAFFE in Berlin, Hochschule<br />
für Wirtschaft und Recht 16-18 Juli 2015<br />
5
Feminist Economics<br />
in Deutschland<br />
efas: – economics, feminism,<br />
and science<br />
Ökonominnen-Netzwerk: 2000 Gründung in Berlin an<br />
der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft, Berlin<br />
2014 Jahrestagung, Berlin, 4-6 Dezember,<br />
www.efas.htw-berlin.de<br />
6
II.<br />
Institutionalisierung der<br />
<strong>Feministische</strong>n Makroökonomie<br />
Drei Gründe:<br />
(1990s)<br />
1. Strukturanpassungsprogramme des IWF und Weltbank der 1980er Jahre –<br />
Washington Consensus<br />
Der “Washington Consensus” entstand als Reaktion auf die Schuldenkrise<br />
in Lateinamerika in den 80ern. Ein Heilmittel sahen der IWF, die Weltbank<br />
und das US-Finanzministerium in der Liberalisierung und Privatisierung<br />
der Finanz-, Waren- und Gütermärkte und der Arbeitsmärkte.<br />
• Hat insbesondere ärmere Frauen durch Arbeitsplatzverluste und soziale<br />
Kürzungen (Haushaltskonsolidierung) getroffen<br />
DREI AUSRICHTUNGEN DER MAKROÖKONOMISCHEN POLITIK:<br />
1. Deflationäre Ausrichtung - restriktive Finanzpolitik<br />
2. Warenproduktions-Ausrichtung – Care Economy spielt keine Rolle<br />
3. “Männlicher Broterwerber”-Ausrichtung – Männer als Haupternährer<br />
7
Zweiter Grund:<br />
Gründung von kritischen NGOs:<br />
Frauenbewegungen, Umwelt-, Friedensbewegung,<br />
dritte Welt Bewegungen, globalisierungskritische<br />
NGOs<br />
Kritik der supply economics<br />
(Neoliberalismus):<br />
a. Nutzenmaximierung, homo oeconomicus<br />
b. „Natürlichkeit“ des Marktes<br />
c. Methodologischer Individualismus<br />
(mikroökonomische Annahmen)<br />
8
Dritter Grund<br />
Weltfrauenkonferenz in Peking 1995<br />
und die Peking „Platform of Action“<br />
unterzeichnet von 189 Regierungen mit<br />
dem Auftrag: „to review and modify,with<br />
the full participation of women,<br />
macroeconomic objectives and social<br />
policies with a view to achieving the<br />
objectives of the Platform of Action“<br />
9
III. Konventionelle Makroökonomie<br />
Im Mittelpunkt stehen monetäre Aggregate, die<br />
geschlechtslos oder –neutral sind:<br />
* Bruttosozialprodukt<br />
* Exporte/ Importe<br />
* Investionen/Sparvolumen<br />
* Wechselkurse<br />
•Staatsausgaben/Steuereinnahmen<br />
•Geldpolitik/Fiskalpolitik<br />
10
Annahmen der Makroökonomie<br />
1. Nur die Warenwirtschaft schafft<br />
Wohlstand<br />
2. die staatliche Dienstleistungsökonomie<br />
ist ein Kostenfaktor<br />
3. Versorgungswirtschaft der Haushalte<br />
und Gemeinwesen konsumiert, was in<br />
der privaten Warenwirtschaft produziert<br />
wird<br />
11
IV. <strong>Feministische</strong> <strong>Ökonomie</strong><br />
Wohlstand wird auf vier Ebenen<br />
erzeugt:<br />
1. Privatsektor<br />
2. Staatssektor<br />
3. Care Economy<br />
4. Dritter Sektor (NGO, Non-Profit<br />
Sektor)<br />
12
<strong>Feministische</strong> Konzeptionen der <strong>Ökonomie</strong><br />
Erweiterung der<br />
Input – Output Analyse:<br />
1. Grafik: Nationale <strong>Ökonomie</strong><br />
2. Grafik: Globalisierung<br />
13
NGO Sector<br />
Formal<br />
Paid Work<br />
Volunteer<br />
Work<br />
Grafik 2: Globalization<br />
NORTH<br />
Domestic Sector<br />
Unpaid Care Work<br />
Public Sector<br />
Formal Paid Work<br />
Global Private Sector<br />
Formal Paid Work<br />
Informal Paid and Unpaid Work<br />
NGO Sector<br />
Formal<br />
Paid Work<br />
Volunteer<br />
Work<br />
Public Sector<br />
Formal<br />
Paid Work<br />
Domestic Sector<br />
Public services, income transfers and payments<br />
Less taxes and user fees<br />
Inputs of paid labour and volunteer work<br />
Unpaid Care Work<br />
SOUTH<br />
Market and non market goods and services<br />
including information and advocacy<br />
market goods and services and payments<br />
Inputs of paid labour<br />
14
V. Beispiele Feminist-Ökonomischer Forschung<br />
„To Make Visible The Invisible“<br />
1. Subprime Krise: Individualisierung von<br />
Risiken durch die Finanzialisierung des<br />
täglichen Lebens<br />
2. Genderblindheit der Finanzlehre als<br />
Resultat einer „epistemic community“<br />
3. Budget Konsolidierung und die<br />
Rettungspakete 2009<br />
4. Hätten die Lehman Sisters die Finanzkrise<br />
verhindern können? Frauen als weniger<br />
risikoavers?<br />
15
1. Individualisierung der<br />
Risiken: Subprime Krise<br />
Finanz Governance hat Auswirkungen wie die Risiken in der<br />
Gesellschaft verteilt/organisiert werden<br />
Frauen mit wenig Ersparnissen und limitierten<br />
Eigentum/Besitz von Vermögen sind negativ beeinträchtigt<br />
durch die Individualisierung der Risiken<br />
US – subprime Kreditvergabe wurde vor allem an Frauen<br />
und Minoritäten vergeben, oder an alleinstehende Mütter<br />
Resultat: Steigende (weibliche) Haushaltsverschuldung mit<br />
relativen flachen Einkommenszuwächsen<br />
16
Women Disproportionately<br />
Receive Subprime Mortgages<br />
Source: Senate Hearing<br />
2008:7<br />
(US-Senate Hearing 2008)<br />
17
Graph Two: Median Secured and<br />
Unsecured Debt Outstanding and Income<br />
(Montgomerie/Young 2010)<br />
Single Mother Median<br />
$120,000<br />
$100,000<br />
$89,600<br />
$98,450<br />
$80,000<br />
$66,600<br />
UDebt<br />
$60,000<br />
$40,000<br />
$20,000<br />
$50,800<br />
$37,300<br />
$41,101<br />
$13,330 $15,361 $15,209<br />
$21,590<br />
$23,622 $25,709<br />
SDebt<br />
Income<br />
$0<br />
1992 1995 1998 2001 2004 2007<br />
18
Graph Three: Median Secured and<br />
Unsecured Debt Outstanding and Income<br />
(Montgomerie/Young 2010)<br />
Black Single Mothers Median<br />
$140,000<br />
$120,000<br />
$122,550<br />
$100,000<br />
UDebt<br />
$80,000<br />
$60,000<br />
$40,000<br />
$20,000<br />
$35,000<br />
$27,000<br />
$25,800<br />
$10,254 $9,217 $11,154<br />
$43,030<br />
$16,449<br />
$64,280<br />
$18,486<br />
$20,567<br />
SDebt<br />
Income<br />
$0<br />
1992 1995 1998 2001 2004 2007<br />
19
2. Genderblindheit der Finanz-Epistemic<br />
Community<br />
Epistemic Communities: interne Logik selbstreferentieller<br />
Wissensgemeinschaften<br />
Dieses Modell des Gruppendenkens hat maßgeblich zur Finanzkrise<br />
beigetragen, indem die komplexen Interaktionen zwischen<br />
Finanzakteuren und –märkten auf der einen Seite und die Kreditrisiken<br />
auf der anderen ausgeblendet wurden.<br />
Teilen die gleichen Einschätzungen kausaler Zusammenhänge und<br />
Politikziele wie auch normative Grundannahmen und<br />
Geltungsansprüche – intellectual capture, Brooksley Born, Chefin<br />
der Commodity Futures Trading Commission (CFTC) zu Derivaten<br />
Ökonomische Orthodoxie enthält zugleich ein Bündel von Annahmen<br />
über Männer und Frauen<br />
Frauen werden als weniger rational konstruiert, ihnen wird ein<br />
geringeres Verständnis von Mathematik, abstraktes Denken und Logik<br />
nachgesagt<br />
Abweichungen von diesen abstrakten Modellen wird als<br />
unwissenschaftlich, subjektiv, irrational, unsachgemäßer Exkurs zu den<br />
modellbasierten Zielen, die von einer marktgläubigen<br />
Finanzwirtschaftselite etabliert und institutionalisiert wurde, degradiert<br />
Ausgrenzung bezieht sich nicht nur auf Fem. <strong>Ökonomie</strong>, auch auf<br />
alternative heterodoxe Ansätze der <strong>Ökonomie</strong><br />
20
Female Representation in Regulatory Reform Initiatives<br />
Prof. Brigitte Young, PhD<br />
WWU Münster<br />
Institut für Politikwissenschaft<br />
Juni 2009<br />
Institution<br />
% Female<br />
Number of<br />
Members<br />
Chair<br />
Wise Men and Expert Committees<br />
High Level Expert Group on EU Financial Supervision<br />
Larosiere Group<br />
G20 Working Group 1<br />
Enhancing Sound Regulation and Strengthening Transparency<br />
G20 Working Group 2<br />
Reinforcing International Cooperation and Promoting Integrity in Financial Markets<br />
G20 Working Group 3<br />
Reform of the IMF<br />
Stiglitz Commission<br />
The Commission of Experts of the President of the UN General Assembly on Reforms of the<br />
International Monetary and Financial System<br />
0 8 M<br />
7 29 M<br />
4 27 M<br />
0 27 M<br />
9 22 M<br />
21
Prof. Brigitte Young, PhD<br />
WWU Münster<br />
Institut für Politikwissenschaft<br />
Juni 2009<br />
Female Representation in Financial Governance Institutions and Networks in the<br />
European Union<br />
Institution<br />
European Committees and Institutions<br />
% Female<br />
Number of<br />
Members<br />
The European Central Bank (ECB) 5 22 M<br />
Lamfalussy Level I<br />
Economic and Financial Affairs Committee (ECOFIN) 11 27 M<br />
Economic and Financial Services Committee (EFC) 7 67 M<br />
European Commission, DG Internal Market & Services 17 12 M<br />
European Commission, DG Economic & Financial Affairs 18 11 M<br />
Lamfalussy Level II<br />
European Securities Committee (ESC) 28,5 28 M<br />
Lamfalussy Level III<br />
Committee of European Banking Supervisors (CEBS) 11 47 M<br />
Committee of European Securities Regulators (CESR) 16,5 30 M<br />
Chair<br />
Committee of European Insurance and Occupational Pensions Supervisors<br />
(CEIOPS)<br />
0 5 M<br />
22
WWU Münster<br />
Institut für Politikwissenschaft<br />
Sommersemester 2009<br />
Female representation in financial governance institutions and networks II<br />
Institution<br />
% Female<br />
Number of<br />
Members<br />
Chair<br />
US Institutions<br />
Securities and Exchange Commission (SEC), Commissioners 60 5 F¹<br />
Federal Reserve System, Federal Open Market Committee 20 10 M<br />
Wise Men Committees<br />
High Level Expert Group on EU Financial supervision<br />
(Larosière Group)<br />
0 8 M<br />
Intergovernmental Institutions<br />
IMF Board of Directors 4 24 F<br />
World Bank Board of Directors 8 24 M<br />
Private Sector Entities<br />
International Accounting Standards Board 7 14 M<br />
International Institute of Finance 3 33 M<br />
¹Mary L. Schapiro was formally nominated upon Obama’s inauguration into office on January 20, 2009 as chairwoman of the Securities and<br />
Exchange Commission.<br />
23
Institution<br />
Prof. Brigitte Young, PhD<br />
WWU Münster<br />
Institut für Politikwissenschaft<br />
Juni 2009<br />
Female Representation in Intergovernmental, Private and Global Regulatory<br />
Institutions<br />
Intergovernmental Institutions<br />
% Female<br />
Number of<br />
Members<br />
IMF Board of Directors 4,5 24 F<br />
World Bank Board of Directors 12 24 M<br />
Private Sector Entities<br />
International Accounting Standards Board (IASB) 7 13 M<br />
International Institute of Finance (IIF) 0 30 M<br />
Global Committees<br />
The International Organization of Securities Commissions (IOSCO) 30 20 F<br />
Basel Committee on Banking Supervision 8 25 M<br />
International Association of Insurance Supervisors (IAIS) 6 17 M<br />
Chair<br />
24
Machtverschiebung im Finanzbereich zu quasistaatlichen<br />
(technischen) zunehmend privaten<br />
Organisationen und Netzwerken<br />
Verschiebung der Finanzregulierung in private Gremien mit<br />
„soft Regelungen“<br />
Governed by quasi-staatlichen Institutionen (wie die<br />
unabhängigen Zentralbanken, Regulierungsbehörden sowie<br />
die Rating Agenturen (privat ohne jegliche<br />
Rechenschaftspflicht weder noch staatliche Kontrolle)<br />
Im Finanzbereich ist der öffentliche Aspekt stark<br />
geschrumpft, wenig Öffentlichkeit und Rechenschaftspflicht<br />
gegenüber dem Parlament<br />
Verschiebung der öffentlichen Finanzdomäne zu einer<br />
privaten Sphäre<br />
Entscheidungen des Finanzsektors werden in Globalen<br />
Policy Netzwerken getroffen – exklusiv, elitär, geschlossen,<br />
ad hoc, and zunehmend privat.<br />
25
3. Budget<br />
Konsolidierung<br />
Restriktive Fiskale Auflagen sind die dominante Strategie vieler<br />
Regierungen trotz niedriger Inflation und Wachstumseinbußen (insb.<br />
Deutschland, aber auch Österreich, Niederlande)<br />
Hat verheerende Auswirkungen auf öffentliche Budgets<br />
Paradox: Regierungen benötigen mehr Geld um die ökonomische und<br />
finanzielle Krise zu bewältigen, Regierungen sind aber mit fallenden<br />
Haushaltsmitteln konfrontiert<br />
Fiskale Schraube – zunehmender Druck öffentliche Ausgaben zu<br />
reduzieren führt mehr und mehr zur Finanzialisierung und<br />
Privatisierung von bisher öffentlichen Gütern. Regierungen verwenden<br />
einen immer größeren Anteil des Haushaltsbudgets für den<br />
Schuldendienst.<br />
Menschliche Unsicherheit hat für viele Niedrigverdiener zugenommen,<br />
davon betroffen sind Geringqualifizierte, Minoritäten und<br />
ImmigrantInnen.<br />
26
Stimulus Pakete<br />
Prozentual in Bezug auf BSP betrugen die fiskalen Stimulus<br />
Pakete für 2009 in der EU 1,0 % des BSP und 2,1 % in den<br />
USA<br />
Hohes Maß an Sozialisierung von Verlusten<br />
Problem: Stimulus Pakete, Rettungsaktionen und<br />
Unterstützung für die Finanzinstitute wurden von Männern in<br />
exklusiven und geschlossenen Männerclubs entwickelt für:<br />
• Abwrackprämie f. Autos, Kurzzeitarbeit<br />
Kaum ein Bewusstsein, dass die reduzierten Steuereinnahmen<br />
und die damit einhergehende Reduzierung von Sozialleistungen<br />
tendenziell Frauen härter treffen als Männer<br />
27
4. Hätten die Lehman-Sisters die<br />
Finanzkrise verhindern können?<br />
Populäre Annahmen zu Frauen und Finanzen<br />
Frauen im Vergleich zu Männern sind eher<br />
risikoscheu<br />
Investieren langfristig<br />
Investieren in weniger spekulativen Wertbeständen<br />
Frauen sind stabilitätsorientiert<br />
Männer tauschen ihre Wertbestände 45 % öfter als<br />
Frauen, „dadurch wird der Ertrag um 2.65<br />
Prozentpunkte im Jahr reduziert im Vergleich zu<br />
1.72 Punkten für Frauen“ (Barber und Odean 2001)<br />
28
Neue und alte<br />
Einsichten<br />
Alte Einsicht wird bestätigt: Dass<br />
Männer eher zu risikoreichen Verhalten in den<br />
untersuchten vier Ländern tendieren.<br />
Neue Einsichten: Diese Entscheidungen aber<br />
durch die generellen Geschlechtsungleichheiten<br />
im Lande beeinflusst werden. Somit zeigt sich,<br />
dass Frauen in Italien (mit hoher<br />
Genderungleichheit) weniger riskante<br />
Wertbestände besitzen, gleichzeitig weist Italien<br />
im Vergleich zu Holland, Österreich und Spanien<br />
die größten gesellschaftlichen<br />
Genderungleichheiten auf.<br />
29
Neue Studien<br />
Frage: Können gesellschaftliche Strukturen und kulturelle<br />
Faktoren individuelle Finanzentscheidungen von Frauen<br />
und Männern beeinflussen?<br />
DIW (Berlin): Oleg Badunenko, Nataliya Barasinksa, Dorothea<br />
Schäfer, 2010: Is Gender a good predictor of financial risk<br />
taking? Evidence from national surveys of household<br />
Ländervergleich: Österreich, Niederlande, Italien und<br />
Spanien (Ebene von Haushalten)<br />
Hypothesen:<br />
1. Männer besitzen tendenziell mehr mit Risiko behaftete<br />
Wertbestände als Frauen (risikoreiche Aktien)<br />
2. Männer verteilen einen größeren Teil ihres<br />
Finanzportfolios in risikoreiche Wertbestände als Frauen<br />
30
Gesellschaftliche<br />
Strukturen<br />
Individuelles Risikoverhalten hängt mit der jeweiligen<br />
Gendergleichstellung in einem Land ab.<br />
Deshalb sollen wir unsere Annahmen über das<br />
Verhalten von „typischen“ Männern und Frauen<br />
revidieren und die gesellschaftlichen Strukturen<br />
ins Kalkül aufnehmen.<br />
31
Soziale Schichte<br />
wichtiger als Gender<br />
Renee Adams, University of Queensland,<br />
Studie über schwedische<br />
FirmendirektorInnen:<br />
Frauen, die wohlhabend sind (at the top) sind nicht<br />
abgeneigt gegenüber Risiko – obwohl die<br />
„normale“ Frau auf der Straße risikoscheu ist.<br />
Eigentlich sind Frauen in männlichen<br />
Boardrooms risikofreundlicher als ihre<br />
männlichen Kollegen (hat aber auch mit dem<br />
Margaret Thatcher Syndrome zu tun).<br />
32
VI. Offene Fragen in der<br />
<strong>Feministische</strong>n Makroökonomie<br />
1. Wie gewinnt man eine genderorientierte, feministische Perspektive auf<br />
aktuelle Krisenereignisse?<br />
2. Was sind die Transmissionsriemen zwischen Gender und<br />
Finanzmärkten?<br />
3. Neue Phase der Globalisierung mit neuen Regeln durch den Wandel der<br />
Geopolitik. Welche Kapitalistische <strong>Ökonomie</strong>? Liberale (westliche) oder<br />
autoritär kapitalistische (asiatische) <strong>Ökonomie</strong>?<br />
4. Regulierung: Was haben accounting standards (fair-value accounting),<br />
rating agenturen, capital adequacy rules (Basel I,II, III) und derivatives<br />
regulation mit gender zu tun?<br />
5. Institutionelle Regulierung: Würde die Berufung von mehr Frauen im<br />
Finanzsektor einen Unterschied machen? Hätten Lehman Sisters die<br />
Finanzkrise verhindern können?<br />
6. Gibt es unterschiedliche Investmentkulturen zwischen Frauen und<br />
Männern?<br />
7. Was für Theorien und Wissen (knowledge) bräuchten wir für eine<br />
feministische Makrökonomie?<br />
8. Was sind überhaupt die Fragen und Ziele, die wir versuchen wollen zu<br />
beantworten und mit welchen Mitteln?<br />
33
FAZIT<br />
<strong>Feministische</strong> <strong>Ökonomie</strong> hat erheblichen<br />
wissenschaftlichen Beitrag geleistet:<br />
1) Arbeitsmarktforschung<br />
2) Sozialbereich (Gesundheit, Bildung, Care-Bereich,<br />
Beruf-Familie; Kindergärten etc.)<br />
3) Internationaler Handel – Textilbereich, informelle<br />
Arbeit in Entwicklungsländern<br />
Großer wissenschaftlicher Forschungsdefizit:<br />
1. Finanzsektor; Geldpolitik, globale<br />
Finanzmarktregulierung, Finanzmarktarchitektur,<br />
Derivate, Shadow banking, private equities<br />
34
Literatur<br />
1. B.Young, I. Bakker and D. Elson, 2011:<br />
Questioning Financial governance from a Feminist Perspective, (Routlede<br />
IAFFE Advances in Feminist Economics) London: Routledge.<br />
2. I. Kurz-Scherf/Alexandra Scheele (Hrsg.), Macht oder ökonomisches<br />
Gesetz. Zusammenhang von Krise und Geschlecht, Münster:<br />
Westfälisches Dampfboot 2012.<br />
3. G. Caglar, E.Prügl u. S. Zwingel, Feminist Strategies in International<br />
Governance, London: Routledge 2013<br />
4. B. Young/Ch. Scherrer (eds.)., Gender Knowledge and Knowledge<br />
Networks in International Political Economy, Baden-Baden: Nomos, 2010.<br />
5. I. Bakker (ed.), The Strategic Silence. Gender and Economic Policy.<br />
London: Zed Books. 1994.<br />
6. Various Issues of Feminist Economics.<br />
35
Geschlechtsspezifische<br />
Empfehlungen<br />
1. Forderung einer critical mass von Frauen (40%) in<br />
Entscheidungsstrukturen (Management und Aufsichtsräten sowie<br />
Regulierungsbehörden) von öffentlichen und privaten Finanzund<br />
wirtschaftlichen Gremien und Firmen<br />
2. Einrichtung einer unabhängigen Institution, „Economic<br />
Committee of Wise Women“ auf der EU Ebene in Anlehnung an<br />
„Wise Men Committees“, die Daten erhebt und kritische<br />
Evaluierung der Reforminitiativen unternimmt<br />
3. Forschung: Gründung und Finanzierung eines Think-Tanks<br />
für Gender und Financial Governance. Zielt neues Wissen<br />
und Modell für Finanzgovernance zu fördern, die im<br />
Interesse der Gesellschaft fungieren mit dem Ziel Wohlfahrt,<br />
Gerechtigkeit und Fairness zu verbinden<br />
4. Capacity Building and Outreach: eine Vereinigung von<br />
Frauenexpertinnen (insbesondere junge Frauen) zur globalen<br />
<strong>Ökonomie</strong> und globalen ökonomischer Governance zu<br />
etablieren.<br />
5. „Green und Social New Deal“ – nachhaltiger Green New Deal mit<br />
dem Ausbau sozialer Infrastruktur und nicht nur technischer<br />
Infrastruktur<br />
36