17.11.2012 Aufrufe

Aktuelle Architektur in Oberfranken - Enrico Santifaller

Aktuelle Architektur in Oberfranken - Enrico Santifaller

Aktuelle Architektur in Oberfranken - Enrico Santifaller

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

AKTUELLE ARCHITEKTUR IN OBERFRANKEN<br />

<strong>Architektur</strong> <strong>in</strong> <strong>Oberfranken</strong> ist nicht Balthasar Neumanns<br />

Vierzehnheiligen, der Bamberger Dom und das Markgräfl iche<br />

Opernhaus <strong>in</strong> Bayreuth alle<strong>in</strong>. Als Ausdruck politischer, sozialer,<br />

wirtschaftlicher und kultureller Strukturen ist <strong>Architektur</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>Oberfranken</strong> gleichzeitig kulturelles Gedächtnis und Impulsgeber,<br />

zugleich Er<strong>in</strong>nerungsträger und Entwicklungskatalysator<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er äußerst vielfältigen Region. Zwischen den Zwängen<br />

bzw. Potenzialen der Globalisierung und der wiederentdeckten<br />

Macht des Lokalen gestalten Menschen, Institutionen und<br />

Unternehmen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em komplexen Zusammenspiel mit Architekten,<br />

Fachplanern, Kommunalpolitikern, Entscheidungsgremien<br />

sowie Genehmigungs- und Förderbehörden ihre Umwelt.<br />

Sie bauen Wohnhäuser und Fabriken, Verwaltungsgebäude und<br />

Kulturzentren, soziale E<strong>in</strong>richtungen und technische Infrastruktur,<br />

sie richten E<strong>in</strong>kaufsmöglichkeiten, Kanzleien und Praxen<br />

e<strong>in</strong>, sie gestalten Plätze und Gärten – nach ihren Bedürfnissen,<br />

Erwartungen, Ansprüchen, Vorstellungen und Träumen. Kurz:<br />

Sie bauen Heimat, sie schaffen den Standort <strong>Oberfranken</strong>. Und<br />

das immer wieder neu – zwischen regionalem (Bau-)Dialekt und<br />

dem Esperanto globaler <strong>Architektur</strong>moden bzw. e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>ternationalisierten<br />

Bau<strong>in</strong>dustrie. 50 aktuelle Beispiele aus <strong>Oberfranken</strong><br />

– Gebäude unterschiedlichster Typologien, Platzgestaltungen,<br />

Stadtplanungen – werden <strong>in</strong> diesem Buch vorgestellt,<br />

wobei der Zusammenhang von <strong>Architektur</strong> und Region im Fokus<br />

der Veröffentlichung steht.<br />

Der Autor, der Frankfurter <strong>Architektur</strong>kritiker und Journalist<br />

<strong>Enrico</strong> <strong>Santifaller</strong>, wurde 2005 mit dem Literaturpreis Baukultur<br />

der Deutschen Architekten- und Ingenieurvere<strong>in</strong>e ausgezeichnet.<br />

Herausgeber:<br />

Initiative Baukunst <strong>in</strong> <strong>Oberfranken</strong><br />

Regierung von <strong>Oberfranken</strong><br />

ISBN: 978-3-936721-33-1<br />

9 783936 721331<br />

Büro Wilhelm Verlag<br />

Preis: 19,80 E<br />

<strong>Enrico</strong> <strong>Santifaller</strong> <strong>Aktuelle</strong> <strong>Architektur</strong> <strong>in</strong> <strong>Oberfranken</strong> E<strong>in</strong> <strong>Architektur</strong>führer<br />

<strong>Aktuelle</strong><br />

<strong>Architektur</strong><br />

<strong>in</strong><br />

<strong>Oberfranken</strong><br />

<strong>Enrico</strong> <strong>Santifaller</strong><br />

E<strong>in</strong> <strong>Architektur</strong>führer


Ausgewählte BAuprojeKte<br />

1 E<strong>in</strong>fachsporthalle JVA Ebrach, Ebrach<br />

2 Wohn- und Geschäftshaus Scharf, Burgebrach<br />

3 Bürgerhaus Hallstadt, Hallstadt<br />

Schloss Seehof, Neubau der östlichen Nebengebäude, Memmelsdorf<br />

Haus R + M, Memmelsdorf-Lichteneiche<br />

E.T.A.-Hoffmann-Gymnasium, Mittagsbetreuung, Bamberg<br />

Ziegelbau, Bamberg<br />

8 Wohnquartier „Mayer´sche Gärtnerei“, Bamberg<br />

9 Fischerhof-Schlösschen, Sanierung und Umnutzung, Bamberg<br />

10 Verb<strong>in</strong>dungssteg, Alte Hofhaltung, Bamberg<br />

11 Teilbibliothek für Sprach- und Literaturwissenschaften, Bamberg<br />

12 E.T.A.-Hoffmann-Theater, Bamberg<br />

13 Archiv des Erzbistums Bamberg, Bamberg<br />

1 Internationales Künstlerhaus Villa Concordia, Bamberg<br />

1 Grundschule, Markt Wiesenttal-Muggendorf<br />

1 Stadthalle, Ebermannstadt<br />

1 Kl<strong>in</strong>ikum Forchheim, Forchheim<br />

18 Wohnhaus W., Lill<strong>in</strong>g<br />

19 Mehrgenerationenwerkstatt, Gräfenberg<br />

20 Hauptverwaltung der HABA Firmengruppe, Bad Rodach<br />

21 Wohnanlage am Kasernenplatz, Dörfles-Esbach<br />

22 Kirchengeme<strong>in</strong>deamt, Coburg<br />

23 Block<strong>in</strong>nenraumgestaltung, Coburg<br />

2 Umbau e<strong>in</strong>es Wohnhauses <strong>in</strong> e<strong>in</strong> <strong>Architektur</strong>büro, Grub am Forst<br />

2 Wohnhaus W<strong>in</strong>ter-Welsch, Kronach<br />

2 Filmburg, Kronach<br />

2 Pfarrzentrum St. Johannes der Täufer, Lichtenfels<br />

28 F1, Wohnbox <strong>in</strong> Holzrahmenbauweise, Kulmbach-Burghaig<br />

29 Wohnriegel H1 am Hang, Kulmbach-Kauernburg<br />

30 Wohnhaus H3, Wonsees<br />

31 Waldhaus Mehlmeisel, Mehlmeisel<br />

32 Sozialer Wohnungsbau, Bayreuth<br />

33 Sanierung und Umbau Friedrichstraße , Bayreuth<br />

3 Evangelischer K<strong>in</strong>dergarten, Bayreuth-Saas<br />

3 Unternehmensleitung E.ON Netz GmbH, Bayreuth<br />

3 Fakultät für angewandte Naturwissenschaften, Bayreuth<br />

3 Mühlkanal, Schlossterrassen, Opernstraße, Bayreuth<br />

38 Kanzleistraße und Kirchplatz, Bayreuth<br />

39 Wohnhaus Pirner, Pegnitz-Ha<strong>in</strong>bronn<br />

0 Spielbank, Bad Steben<br />

1 Parkdeck, Schwarzenbach am Wald<br />

2 Fachhochschule Hof, Hof<br />

3 Stadttheater, Hof<br />

Zeh-Scherzer – Umbau der Porzellanfabrik, Rehau<br />

Neugestaltung des Maxplatzes, Rehau<br />

Musikschule, Selb<br />

Bergbräu, Sanierung und Nutzungsänderung, Arzberg<br />

8 Büroräume, Firma Bley, Marktredwitz<br />

9 „Arche Ahoi“, Marktredwitz<br />

0 Ost-West-Kompetenzzentrum, Marktredwitz<br />

10 11<br />

1<br />

2<br />

20<br />

Bamberg<br />

22<br />

coburg<br />

3<br />

6<br />

14 14<br />

7<br />

8<br />

4<br />

9 10 11<br />

23<br />

5<br />

21<br />

24<br />

12 13<br />

27<br />

17<br />

lichtenfels<br />

16<br />

Forchheim<br />

15<br />

18<br />

19<br />

25 26<br />

Kronach<br />

30<br />

Kulmbach<br />

28 29<br />

Bayreuth<br />

39<br />

34 35<br />

40<br />

41<br />

32 33<br />

36 37 38<br />

42 43<br />

31<br />

hof<br />

44 45<br />

wunsiedel<br />

46<br />

48 49 50<br />

cluster Forst und holz<br />

Das Cluster Forst und Holz ist Teil der Cluster-Offensive der Bayerischen Staatsregierung. In der Diskussion mit verschiedenen<br />

Interessengruppen haben sich für die oberfränkische Regional<strong>in</strong>itiative mehrere Themenkreise herauskristallisiert, darunter das<br />

Thema „Bauen mit Holz“. Noch heute s<strong>in</strong>d 0 % der Fläche <strong>Oberfranken</strong>s mit Wald bedeckt. Als natürliches Baumaterial bestimmte<br />

Holz aus heimischen Wäldern <strong>in</strong> der Vergangenheit die <strong>Architektur</strong> <strong>in</strong> <strong>Oberfranken</strong> über Jahrhunderte maßgeblich mit. Die Initiative<br />

möchte aktiv für die Verwendung von Holz als modernem, CO 2 -neutralem Baustoff werben und Modelle der Zusammenarbeit zwischen<br />

Hochschulen, Handwerk und Wirtschaft entwickeln – e<strong>in</strong>e neue „Holzbaukultur“ soll entstehen. Ziel ist, die Akzeptanz dieses<br />

unter ökologischen und bautechnischen Gesichtspunkten überragenden Baustoffs zu verbessern. Dazu werden Planern und Bauherren<br />

Möglichkeiten von bewährten, aber auch neuen <strong>in</strong>novativen Anwendungen und e<strong>in</strong>em umfassenden E<strong>in</strong>satz des Baustoffes<br />

Holz aufgezeigt: von ganz e<strong>in</strong>fachen Konstruktionen wie dem Blockbau und der Brettstapelbauweise bis zum weit gespannten Flächentragwerk,<br />

das gestalterisch vollendete Entwürfe zulässt. Das aktuellste und wichtigste Projekt der Initiative ist das mehrgeschossige<br />

„Wohlfühlhaus für Jung und Alt“ aus Holz, das mit allen vier Fachbereichen der Coburger Designfakultät im W<strong>in</strong>tersemester<br />

2008/2009 geplant wird und zeigen soll, dass e<strong>in</strong> Holzhaus nicht nur klimafreundlich ist, sondern auch den demografischen<br />

Anforderungen der Zukunft gerecht werden kann.<br />

47


ArchiteKtur Für e<strong>in</strong>e VielFältige region<br />

Zwischen tradition und Fortschritt:<br />

warum oberfranken e<strong>in</strong>e neue Baukultur braucht<br />

„Er sah aus dem Fenster <strong>in</strong>s Zwielicht des anbrechenden Tages.<br />

H<strong>in</strong>ter dem Küchenfenster begann e<strong>in</strong>e Wiese, die noch unbebaut<br />

war, was <strong>in</strong> diesem Neubaugebiet aber nicht mehr lange<br />

so bleiben würde. Es schmerzte Kluft<strong>in</strong>ger manchmal e<strong>in</strong> bisschen,<br />

wenn er <strong>in</strong> diese Siedlungen kam, die eigentlich nichts<br />

mehr mit se<strong>in</strong>em Heimatort zu tun hatten.“<br />

Volker Klüpfel, Michael Kobr: Erntedank, 200<br />

„Es muss alles anders werden.“<br />

Wim Wenders: Im Lauf der Zeit, 19 , Filmszene<br />

Wenn Bagger auf-, Ausrüstung und Arbeiter angefahren werden,<br />

Letztere e<strong>in</strong> Gerüst aufrichten, die Polizei womöglich noch<br />

e<strong>in</strong> paar Straßen sperrt und Umleitungen ausweist, dann ist es<br />

wieder e<strong>in</strong>mal der Fall: E<strong>in</strong>e Baustelle wird e<strong>in</strong>gerichtet. Vor<br />

den Anwohnern liegen Wochen, Monate, manchmal Jahre voller<br />

Lärm, Staub und Dreck. E<strong>in</strong> vertrauter Ort, an den man sich<br />

gewöhnt hat, vielleicht schon als K<strong>in</strong>d gespielt hat, wird verändert.<br />

Umgewandelt, umgeformt, unter Umständen verbessert,<br />

möglicherweise se<strong>in</strong>em Geist entsprechend, vielleicht aber<br />

auch verschlechtert. Das e<strong>in</strong>leitende Zitat, genommen aus der<br />

populären Krim<strong>in</strong>alromanreihe um den Allgäuer Kommissar<br />

Kluft<strong>in</strong>ger, beschreibt die Wehmut sehr gut, die viele befällt,<br />

wenn sie e<strong>in</strong>er Baustelle gewahr werden. Und das nicht selten<br />

zu Recht.<br />

Es gab Zeiten, da war das anders. Die Nachkriegszeit zum<br />

Beispiel. Als alles kaputt und zerstört war, als Millionen von<br />

E<strong>in</strong>heimischen und Flüchtl<strong>in</strong>gen schnellstmöglich e<strong>in</strong> Dach<br />

über dem Kopf brauchten und die Architekten versuchten, mit<br />

neuen Gebäuden den alten Geist auszutreiben, da wurde jede<br />

Baustelle gefeiert. Die Parteiplakate warben mit Ziegelste<strong>in</strong>en,<br />

jede größere Stadt organisierte e<strong>in</strong>e Bauausstellung und von<br />

der Bundesregierung <strong>in</strong>itiierte Demonstrativbauvorhaben etwa<br />

<strong>in</strong> Coburg oder Kulmbach zeigten die Vorteile e<strong>in</strong>er rationalisierten<br />

Bauproduktion. Die <strong>Architektur</strong> des Wiederaufbaus ist<br />

freilich sehr verschieden. Die unterschiedliche Ausprägung h<strong>in</strong>g<br />

vom Ort ab, von den Flächenbedürfnissen der Nutzer, aber auch<br />

von der Aussage, die Bauherr und Architekt ihrem Werk geben<br />

wollten. Das „Haus der Deutschen Erziehung“ <strong>in</strong> Bayreuth etwa,<br />

Veranstaltungszentrum des nationalsozialistischen Lehrerbundes,<br />

wurde 19 zu e<strong>in</strong>em Verwaltungsgebäude umgebaut.<br />

Auch wenn man die Fassade erneuert hatte, die Details im Innenraum<br />

modernisiert, so blieb doch der Charakter e<strong>in</strong>es Nazi-<br />

Baus erhalten. Ganz anders Coburg: An der Ecke Ketschengasse/Albertplatz<br />

wurde e<strong>in</strong> barockes Haus abgerissen und durch<br />

e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>geschossigen Pavillon ersetzt. Die großen Schaufenster<br />

mit ihren bleistiftdünnen Profilen, das elegant gekurvte<br />

Flachdach und die pilzförmig-organische Stütze deuten die<br />

Begeisterung für die Sw<strong>in</strong>g<strong>in</strong>g Fifties an. E<strong>in</strong>en Weg zwischen<br />

Moderne und Tradition versucht das Lehrl<strong>in</strong>gs- und Jugendheim<br />

Don Bosco <strong>in</strong> Pegnitz. Das Heim besteht aus bescheidenen Bauten,<br />

die sich mit großflächigen Fenstern zum Garten öffnen, die<br />

Wände dagegen s<strong>in</strong>d aus Bruchste<strong>in</strong>mauerwerk – e<strong>in</strong>em Material,<br />

aus dem auch die umgebenden Bauten bestehen.<br />

So zufällig diese Beispiele, so charakteristisch s<strong>in</strong>d sie <strong>in</strong> ihrer<br />

Verschiedenheit für <strong>Oberfranken</strong>. Ke<strong>in</strong>e andere Region<br />

<strong>in</strong> Bayern ist so schwer auf e<strong>in</strong>en Begriff, auf den Punkt zu<br />

br<strong>in</strong>gen. Obwohl mit rund .200 Quadratkilometern <strong>in</strong> der Fläche<br />

der kle<strong>in</strong>ste, mit knapp 1.100.000 E<strong>in</strong>wohnern <strong>in</strong> Sachen<br />

Bevölkerung der zweitkle<strong>in</strong>ste Regierungsbezirk Bayerns, ist<br />

ke<strong>in</strong> anderer so zersplittert. <strong>Oberfranken</strong> ist e<strong>in</strong> Mosaik von<br />

Teilregionen, die von den Klimaverhältnissen bis zur Religion,<br />

von den Naturräumen bis zur Kultur, von der Wirtschaftskraft<br />

bis zur Geschichte höchst unterschiedlich s<strong>in</strong>d. Der Gegensatz<br />

zwischen <strong>Oberfranken</strong>s Westen und Osten ist nur der auffälligste.<br />

Er entspricht der Historie – hier Hochstift Bamberg, dort<br />

Markgrafschaft Brandenburg-Bayreuth – und der Religion – hier<br />

katholisch, dort protestantisch. Und diese Dichotomie gründet<br />

buchstäblich tief: Anders als <strong>in</strong> Unter- und Mittelfranken, die<br />

<strong>in</strong> geologischer H<strong>in</strong>sicht e<strong>in</strong>e relative E<strong>in</strong>heit bilden, wird <strong>Oberfranken</strong><br />

entlang der von Südost nach Nordwest verlaufenden so-<br />

genannten „fränkischen L<strong>in</strong>ie“ zweigeteilt. Das östliche Drittel<br />

gehört mit Frankenwald und Fichtelgebirge zum Grundgebirge<br />

des Erdaltertums. Der Westen mit Steigerwald, Hassbergen,<br />

Itz-Baunach-Hügelland, Grabfeld sowie der nördlichen Frankenalb<br />

dagegen gehört zum Schichtstufenland des Erdmittelalters.<br />

Aus den diese geologischen Formationen bildenden Geste<strong>in</strong>en<br />

bestand jeweils das bevorzugte lokale Baumaterial, das <strong>in</strong><br />

kle<strong>in</strong>en, heute vielfach überwachsenen Ste<strong>in</strong>brüchen abgebaut<br />

wurde. Bruchste<strong>in</strong>mauern, beispielsweise aus hellgelbem<br />

Dolomit, f<strong>in</strong>det man recht häufig <strong>in</strong> der Gräfenberger Gegend.<br />

Die Mauern sowie der Bauschmuck des Bamberger Doms bestehen<br />

aus diversen Sandste<strong>in</strong>sorten des Umlands. Die schieferbedeckten<br />

Bauernhäuser des Frankenwaldes, die Tür- und<br />

Fenstergewände aus Granit im östlichen Fichtelgebirgsraum<br />

zeugen von der geologischen Beschaffenheit des jeweiligen<br />

Bergmassivs. Der Holzreichtum beider Landstriche spielte darüber<br />

h<strong>in</strong>aus beim Bergbau der frühen Neuzeit e<strong>in</strong>e wesentliche<br />

Rolle. Im Rückblick ersche<strong>in</strong>t dieser Holzreichtum geradezu als<br />

Voraussetzung für die frühe Industrialisierung des oberfränkischen<br />

Nordostens.<br />

„O Täler weit, o Höhen, o schöner grüner Wald, du me<strong>in</strong>er<br />

Lust und Wehen andächt’ger Aufenthalt.“ Diese, später von<br />

Felix Mendelssohn Bartholdy vertonten Verse hat Joseph von<br />

Eichendorff nach e<strong>in</strong>em Besuch <strong>in</strong> Bad Berneck im Fichtelgebirge<br />

1811 gedichtet. <strong>Oberfranken</strong> ist neben dem Rhe<strong>in</strong>tal<br />

das gelobte Land der deutschen Romantik. Beg<strong>in</strong>nend mit den<br />

beiden Berl<strong>in</strong>ern Wilhelm He<strong>in</strong>rich Wackenroder und Ludwig<br />

Tieck, die vom Studienort Erlangen aus nach Bamberg, zum<br />

Schloss Weißenste<strong>in</strong> bei Pommersfelden, <strong>in</strong> die Fränkische<br />

Schweiz, nach Bayreuth und <strong>in</strong>s Fichtelgebirge wanderten und<br />

ihre nachmals berühmten Reiseberichte verfassten, werden die<br />

nun „zauberhaft“ und „geheimnisvoll“ genannten Landschaften<br />

<strong>Oberfranken</strong>s – bald auch touristisch – entdeckt. Die mittelalterlich<br />

anmutenden Städte und Residenzen, die Burgru<strong>in</strong>en und<br />

Bergwerke werden zum Projektionsbild romantischer Sehnsucht.<br />

1808 verschlägt es E.T.A. Hoffmann nach Bamberg, wo er<br />

die Stelle e<strong>in</strong>es Musikdirektors antritt. Der Schriftsteller, Musiker,<br />

Jurist und Maler blieb vier Jahre und e<strong>in</strong>en W<strong>in</strong>ter, obwohl<br />

sich ke<strong>in</strong>e se<strong>in</strong>er Hoffnungen erfüllte. Als Musikdirektor beim<br />

Theater, das heute nach ihm benannt ist, schlägt ihm nicht nur<br />

die Ablehnung des Bamberger Publikums, sondern auch der<br />

Musiker entgegen, die bewusst falsch spielen. Hoffmanns Bamberger<br />

Erfahrungen f<strong>in</strong>den sich später <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em dichterischen<br />

Œuvre verarbeitet, im „Kater Murr“, im „Goldenen Topf“, doch<br />

als er am 21. April 1813 die Stadt Richtung Dresden verließ,<br />

schrieb er <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Tagebuch: „Me<strong>in</strong>e Lehr- und Marterjahre s<strong>in</strong>d<br />

nun <strong>in</strong> Bamberg abgebüßt.“ Der oberfränkische Romantiker ist<br />

freilich e<strong>in</strong> anderer, e<strong>in</strong>er, der den Kollegen Hoffmann mehrmals<br />

<strong>in</strong> Bamberg besuchte: Jean Paul. Geboren <strong>in</strong> Wunsiedel,<br />

aufgewachsen <strong>in</strong> bitterster Armut <strong>in</strong> Joditz, Schwarzenbach<br />

an der Saale und Hof, kam er bis auf se<strong>in</strong> Studium <strong>in</strong> Leipzig<br />

und kurzjährige Aufenthalte <strong>in</strong> Weimar und Berl<strong>in</strong> kaum aus<br />

se<strong>in</strong>er Heimat heraus. Se<strong>in</strong>e metaphernseligen, verklausulierten<br />

Romane spielen <strong>in</strong> den geheimnisvollen, vom Nebel<br />

und Schnee umkränzten Hochebenen des Frankenwaldes und<br />

Fichtelgebirges. Doch wiederholt bedachte der Dichter se<strong>in</strong>e<br />

Heimat mit süffigen Sottisen. An Bayreuth pries Jean Paul die<br />

„schimmernde, aus dem Aether gesunkene“ <strong>Architektur</strong> Sa<strong>in</strong>t-<br />

Pierres und Gontards, war fasz<strong>in</strong>iert vom „Zaubergürtel“ der<br />

umgebenden Landschaft, später allerd<strong>in</strong>gs, enttäuscht von der<br />

städtischen Gesellschaft, schrieb er: „Bayreuth hat den Fehler,<br />

dass zu viele Bayreuther dar<strong>in</strong> wohnen.“<br />

Romantisches <strong>Oberfranken</strong>: Die Burg Rabenste<strong>in</strong> <strong>in</strong> der Fränkischen<br />

Schweiz.<br />

E<strong>in</strong> moderner Nachfahre der deutschen Romantiker ist Wim<br />

Wenders. Se<strong>in</strong> früher, im Sommer 19 gedrehter Film „Im Lauf<br />

der Zeit“, gefilmt an der <strong>in</strong>nerdeutschen Grenze von Lüneburg<br />

bis nach Hof, ist e<strong>in</strong>e Hommage an die Romantik und gleichzeitig<br />

e<strong>in</strong>e blues-unterlegte Liebeserklärung an die herbe oberfränkische<br />

Landschaft, ihre Fachwerkidyllen und ihre Bewohner,<br />

zugleich tastende Suche nach dem eigenen Ich und opulentes<br />

Schwelgen <strong>in</strong> den traumhaften Weiten, der Stille und der E<strong>in</strong>samkeit<br />

der Wälder und Bergkuppen. Mit riesigen Totalen und<br />

langen Schwenks nähert sich Wenders der <strong>in</strong>nerdeutschen<br />

Grenze – dem Todesstreifen, den Posten und Wachtürmen – und<br />

gew<strong>in</strong>nt ihr e<strong>in</strong>e melancholisch-lakonische Poesie ab. „Der<br />

Stoff, aus dem die Zäune s<strong>in</strong>d, besteht aus Beton und Draht“,<br />

schrieb der Journalist Wolfgang Buhl im Jahre 19 über die<br />

Grenze zur DDR. <strong>Oberfranken</strong> traf die Teilung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e freie und<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e sozialistische Welt besonders hart. Coburg beispielsweise<br />

war, trotz des Anschlusses an Bayern 1920, seit dem frühen<br />

12 13<br />

Mittelalter <strong>in</strong> Richtung Thür<strong>in</strong>gen orientiert, Hof Richtung<br />

Sachsen und das Sechs-Ämter-Land, heute der Landkreis Wunsiedel,<br />

nach Böhmen. Wie sonst nur noch Österreich war <strong>Oberfranken</strong><br />

die e<strong>in</strong>zige Region Europas mit Grenzen zu zwei Staaten<br />

des Warschauer Pakts. Was vor 19 <strong>in</strong> der Mitte Deutschlands<br />

war, war plötzlich Peripherie, war am Ende der Welt, im toten<br />

W<strong>in</strong>kel, im Schatten medialer Aufmerksamkeit.<br />

Wie aus der grünen e<strong>in</strong>e immer befestigtere, später unüberw<strong>in</strong>dliche<br />

Grenze wird, beschreibt Helmut Käutners Film<br />

„Himmel ohne Sterne“ aus dem Jahre 19 9, den er auf der Burg<br />

Lauenste<strong>in</strong> und im Frankenwald drehte. Käutner <strong>in</strong>szenierte<br />

mit leichter Hand und doch subtil e<strong>in</strong> Melodram, das die durch<br />

die Teilung entstandene menschliche Not schildert. Der etwa<br />

von der New York Times gefeierte Film plädierte über alle<br />

großpolitischen Spannungen h<strong>in</strong>aus, die alltäglichen Tragödien<br />

der am offenen Herzen vollzogenen Trennung nicht zu vergessen:<br />

etwa die <strong>in</strong> der 0-Seelen-Geme<strong>in</strong>de Mödlareuth, 12<br />

Kilometer nördlich von Hof, wo der Eiserne Vorhang <strong>in</strong>klusive<br />

Selbstschussanlagen den Ort durchschnitt, weshalb die amerikanischen<br />

Grenzposten den Weiler „Little Berl<strong>in</strong>“ nannten. Die<br />

kle<strong>in</strong>e Wiedervere<strong>in</strong>igung <strong>in</strong> Kle<strong>in</strong>tettau dagegen war e<strong>in</strong>malig,<br />

als 19 e<strong>in</strong> etwa 100 Meter breiter und e<strong>in</strong> Kilometer langer<br />

DDR-Wurmfortsatz mit drei verlassenen Häusern der Bundesrepublik<br />

ganz offiziell überlassen wurde.<br />

In Käutners Streifen verliert sich zwar die Liebe se<strong>in</strong>er Protagonisten<br />

buchstäblich im Niemandsland, doch besteht vor<br />

dem Mauerbau noch Hoffung auf Überw<strong>in</strong>dung der Grenzen. In<br />

Wenders e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halb Dekaden später entstandenem Road Movie<br />

dagegen hat sich der Todesstreifen – trotz neuer Ostpolitik,<br />

trotz Grundlagenvertrag und kle<strong>in</strong>em Grenzverkehr – tief <strong>in</strong>s<br />

kollektive Bewusstse<strong>in</strong> e<strong>in</strong>gegraben. Der Film, der auch die<br />

Geschichte der sterbenden Landk<strong>in</strong>os erzählt, erweist sich als<br />

Metapher für die Entvölkerung des Gebiets beidseits der Grenze.<br />

<strong>Oberfranken</strong> verlor als e<strong>in</strong>ziger der neun bayerischen Regierungsbezirke<br />

bis 1989 kont<strong>in</strong>uierlich an Bevölkerung. Zwischen<br />

19 0 und 198 g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> den Landkreisen Hof und Wunsiedel die<br />

E<strong>in</strong>wohnerzahl um rund e<strong>in</strong> Fünftel zurück. Wer dablieb, richtete<br />

sich leidlich e<strong>in</strong>. <strong>Oberfranken</strong>, die <strong>in</strong>dustrielle Wiege Bayerns,<br />

war se<strong>in</strong>es H<strong>in</strong>terlandes beraubt. Die Wirtschaft, deren traditionelle<br />

Rohstoff- und Absatzmärkte verloren waren, h<strong>in</strong>g nicht<br />

selten am Tropf der Zonenrandförderung. Gefertigt wurde aufgrund<br />

der niedrigen Löhne und hoher Subventionen vor allem<br />

arbeits<strong>in</strong>tensive Massenware. Doch die Wettbewerbsfähigkeit<br />

der Unternehmen blieb labil. Zudem wurde die Ansiedlung<br />

anderer Branchen vielfach verh<strong>in</strong>dert, obzwar es e<strong>in</strong>zelne wie<br />

Rosenthal gab, die mit Hilfe von bekannten Designern, Künstlern<br />

und Architekten auch <strong>in</strong>ternational positiv ausstrahlten.<br />

Auch andere Branchen konnten Erfolge verzeichnen: etwa der<br />

Tourismus: <strong>Oberfranken</strong> wurde zur Wochenend- und Ferienregion<br />

für die Bürger Berl<strong>in</strong>s. Aber <strong>in</strong> der Mehrheit wurde <strong>Oberfranken</strong><br />

– mit Ausnahmen wie Coburg oder Bamberg – vor allem<br />

wirtschaftlich gesehen zur Problemregion Bayerns.<br />

Noch e<strong>in</strong>mal Wenders: In e<strong>in</strong>er der letzten Filmszenen lässt er<br />

die Botschaft „Es muss alles anders werden“ auf e<strong>in</strong> von den<br />

US-Soldaten aufgegebenes Wachhäuschen direkt an der Grenze<br />

p<strong>in</strong>nen. Der Filmemacher als Hellseher? 1 Jahre nachdem der


Film abgedreht war, wurde nicht alles, aber vieles anders.<br />

Unvergessen die kilometerlangen Trabbi-Schlangen auf der<br />

vorher kaum befahrenen Autobahn Richtung Hof und Bayreuth.<br />

Unvergessen die auf Wochen ausverkauften Läden. In den ersten<br />

Monaten nach der Wende bekam man <strong>in</strong> den grenznahen<br />

Landkreisen ke<strong>in</strong> gebrauchtes Auto. Die 19 gekappten Verkehrsverb<strong>in</strong>dungen<br />

wurden nach und nach wieder hergerichtet,<br />

neue kamen h<strong>in</strong>zu wie etwa die Autobahn Bamberg-Coburg-<br />

Erfurt. Die Bevölkerung wuchs vor allem wegen e<strong>in</strong>es positiven<br />

Wanderungssaldos wieder an, ebenso die Beschäftigten, während<br />

die Arbeitslosenquote sank – doch es war nur Strohfeuer.<br />

Die Wiedervere<strong>in</strong>igungseuphorie verdeckte den Strukturwandel,<br />

die Krise vor allem der alten Industrie – von Porzellan zu<br />

Textil, von Glas bis zu Möbel und Spielzeug –, die schon <strong>in</strong> den<br />

1980ern e<strong>in</strong>setzte und sich im Zuge der Globalisierung verstärkte.<br />

19 0 arbeiteten noch 31 Prozent aller oberfränkischen<br />

Beschäftigten im Textilgewerbe, 200 waren es gerade noch<br />

sieben. Ähnliches beim Glas- und Keramikgewerbe: 19 0 waren<br />

es 2 Prozent, 200 nur noch elf.<br />

Das ebenso plötzliche wie unerwartete Rücken vom Rand <strong>in</strong>s<br />

Zentrum der Republik brachte nicht nur Chancen, sondern auch<br />

Verwerfungen mit sich. Während <strong>in</strong> Mödlareuth 199 e<strong>in</strong> sehenswertes<br />

„Deutsch-Deutsches Museum“ e<strong>in</strong>gerichtet wurde,<br />

verloren viele <strong>Oberfranken</strong> ihren Arbeitsplatz. Im Westen lief<br />

die Zonenrandförderung aus, jenseits der früheren Grenze wurden<br />

Investitionen mit bis zu 0 Prozent subventioniert. Zudem<br />

waren – und s<strong>in</strong>d – die Löhne „drüben“ wesentlich ger<strong>in</strong>ger. In<br />

e<strong>in</strong>em Bericht über die Wirtschaftslage am früheren Eisernen<br />

Vorhang aus dem Jahre 2000 verzeichnete die „Zeit“ e<strong>in</strong> Lohngefälle<br />

von 10:1. Die durchschnittliche Arbeitsstunde kostete<br />

e<strong>in</strong>en Unternehmer <strong>in</strong> Wunsiedel umgerechnet brutto 12, 0<br />

Euro, im 3 Kilometer entfernten Cheb, dem früheren Eger,<br />

gerade etwas über e<strong>in</strong>en Euro. Vom Friseur über den Zahnarzt<br />

bis zur Kur, vom Benz<strong>in</strong> über den Schnaps bis zum Tabak: Wer<br />

kann, der fährt e<strong>in</strong>e viertel, e<strong>in</strong>e halbe Stunde und erhält <strong>in</strong><br />

Tschechien Dienstleistungen und Waren erheblich günstiger.<br />

Ke<strong>in</strong> Wunder, dass gerade die arbeits<strong>in</strong>tensive, ger<strong>in</strong>g qualifizierte<br />

Massenproduktion abwanderte. Manche Unternehmen<br />

behielten ihre Verwaltungszentralen sowie Entwicklungs- und<br />

Forschungsabteilungen im Westen, die Fertigung aber – die<br />

Arbeitsplätze für Ger<strong>in</strong>gqualifizierte – wanderte nach Osten.<br />

Freilich, das E<strong>in</strong>schätzen der aktuellen Wirtschaftskraft <strong>Oberfranken</strong>s<br />

hängt stark von der Perspektive, vom Kontext ab.<br />

Innerhalb Bayerns liegt <strong>Oberfranken</strong> auf den h<strong>in</strong>teren Rängen.<br />

Wäre <strong>Oberfranken</strong> e<strong>in</strong> selbstständiges Bundesland, würde es<br />

<strong>in</strong> Sachen Wirtschaftsleistung und Arbeitslosigkeit nach<br />

Bayern und Baden-Württemberg auf Platz drei liegen. Im August<br />

2008 betrug die Arbeitslosenquote <strong>in</strong> Bayern 3,9 Prozent, <strong>in</strong><br />

<strong>Oberfranken</strong> ,0 und im Bundesdurchschnitt , Prozent. Immer<br />

noch verzeichnet der Regierungsbezirk die dritthöchste Industriedichte<br />

<strong>in</strong> der Europäischen Union, die Zahl der Industriebeschäftigten<br />

je 1.000 E<strong>in</strong>wohner liegt um 0 Prozent über dem<br />

Bundesdurchschnitt. Die IHK Bayreuth zählt darüber h<strong>in</strong>aus<br />

rund 00 „hidden leaders“ auf: mittelständische Unternehmen,<br />

die <strong>in</strong> <strong>Oberfranken</strong> ansässig und auf ihrem Spezialgebiet<br />

Weltmarktführer s<strong>in</strong>d. Namen wie Brose (Coburg, Bamberg)<br />

oder die Rehau Gruppe (Rehau), Moll (Bamberg) und Scherdel<br />

(Marktredwitz) s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Fachkreisen weit über die Grenzen<br />

Deutschlands bekannt. Die öffentliche Hand versucht diese<br />

positiven Entwicklungen auch mittels regionaler Cluster zu<br />

unterstützen. Diese Konzentrationen von Unternehmen, Zulieferern,<br />

Dienstleistungsanbietern, regionalen Institutionen und<br />

Ausbildungsstätten soll die Produktivität erhöhen und die Zahl<br />

der Innovationen steigern. Insgesamt gibt es <strong>in</strong> <strong>Oberfranken</strong> 19<br />

solche Cluster, die teilweise – wie Möbel, Logistik oder Textil<br />

und Bekleidung – traditionelle Produktions- und Dienstleisterstrukturen,<br />

Erfahrungen und angestammte Kompetenz nutzen<br />

und diese weiterentwickeln.<br />

Der Cluster „Glas, Porzellan, Keramik“ beispielsweise hat weniger<br />

die Herstellung von Tellern und Tassen im S<strong>in</strong>n, sondern<br />

Entwicklung von Hightech-Keramik und Spezialgläsern, die <strong>in</strong><br />

Automobilen, <strong>in</strong> Mobiltelefonen oder sogar <strong>in</strong> der Raumfahrt<br />

zum E<strong>in</strong>satz kommen. Neben München und Nürnberg ist das<br />

Kulmbacher Land drittgrößtes Zentrum der Lebensmittelverarbeitung<br />

<strong>in</strong> Bayern. Der regionale Cluster „Ernährung“ hat<br />

se<strong>in</strong>en Schwerpunkt <strong>in</strong> Kulmbach, wo auch das Bundesforschungs<strong>in</strong>stitut<br />

für Ernährung und Lebensmittel (Max Rubner-<br />

Institut) residiert. Wenn man den Lebensmittelbegriff etwas<br />

weiter fasst, kommt diesem Kompetenzzentrum auch der Umstand<br />

zu Gute, dass <strong>Oberfranken</strong> die höchste Brauereidichte<br />

der Welt vorweisen kann. Vom „Schlenkerla“ <strong>in</strong> Bamberg, das<br />

es sogar <strong>in</strong>s Onl<strong>in</strong>e-Lexikon Wikipedia geschafft hat, bis zum<br />

von Gourmets geschätzten Herrmanns Posthotel und Restaurant<br />

<strong>in</strong> Wirsberg steht darüber h<strong>in</strong>aus e<strong>in</strong>e Reihe von Gastronomiebetrieben<br />

zur Verfügung, die diesen Cluster mit dem <strong>in</strong><br />

<strong>Oberfranken</strong> wichtigen Tourismus verknüpft. E<strong>in</strong> bedeutender<br />

Aspekt der Clusterpolitik ist die Vernetzung von Wirtschaft<br />

und Wissenschaft. Die vier <strong>in</strong> den 19 0er Jahren gegründeten<br />

Hochschulen (<strong>in</strong> Hof erst 199 ) <strong>in</strong>vestieren <strong>in</strong> jeweils unterschiedliche<br />

Forschungsbereiche und arbeiten mit außeruniversitären<br />

Forschungse<strong>in</strong>richtungen wie dem Kompetenzzentrum<br />

Neue Materialien Nordbayern oder dem Friedrich-Baur-Forschungs<strong>in</strong>stitut<br />

für Biomaterialien (beide Bayreuth) zusammen.<br />

E<strong>in</strong> idealtypisches Cluster stellt etwa die Textilbranche<br />

<strong>in</strong> <strong>Oberfranken</strong> dar: Auf engstem Raum (Hof und Kulmbach) ist<br />

die gesamte Wertschöpfungskette Textil zusammengefasst.<br />

Der <strong>in</strong> Münchberg residierende Fachbereich Textiltechnik der<br />

Hochschule Hof unterstützt die Betriebe der Gegend mit Forschungs-,<br />

Entwicklungs- und Qualifizierungsmaßnahmen. Vor<br />

allem bieten die Hochschulen e<strong>in</strong>e praxisnahe Ausbildung,<br />

wobei die eher reflektierenden Kulturwissenschaften vor allem<br />

an der Universität Bamberg ihren Sitz haben. Auch hier gibt es<br />

Kooperationsmöglichkeiten: Die Studenten der Designfakultät<br />

<strong>in</strong> Coburg können <strong>in</strong> Bamberg den Masterstudiengang „Heritage<br />

Conservation“ belegen. Insgesamt ist vieles im Fluss, gerade<br />

die Vernetzung – von Unternehmen und Unternehmen, von Unternehmen<br />

und Hochschulen, aber auch die zwischen den Kommunen<br />

– könnte noch um e<strong>in</strong> Vielfaches offensiver angegangen<br />

werden. Der „Krieg um die Köpfe“ hat bereits begonnen, für<br />

Unternehmen wird es immer schwieriger, hoch qualifiziertes<br />

Personal nach <strong>Oberfranken</strong> zu locken bzw. es <strong>in</strong> der Region zu<br />

halten.<br />

<strong>Oberfranken</strong> hat als Region e<strong>in</strong> Imageproblem – nach außen und<br />

nach <strong>in</strong>nen. Das liegt an besagter Zersplitterung, an den jeweils<br />

eigenen Subregionen mit ihrer <strong>in</strong>dividuellen Geschichte, wobei<br />

nicht jedes Kapitel rühmlich ist. Man kennt und schätzt die alt-<br />

ehrwürdigen Städte <strong>Oberfranken</strong>s, die e<strong>in</strong>zelnen Landstriche,<br />

die attraktiven Ferienregionen. Aber es gibt ke<strong>in</strong>e zentripetale<br />

Metropole, die beispielhaft für die Region steht. Es gibt ke<strong>in</strong><br />

Bild, das man sofort mit der Region <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung br<strong>in</strong>gt. Weder<br />

e<strong>in</strong> historisches noch e<strong>in</strong> modernes. Zwar nennt <strong>Oberfranken</strong><br />

e<strong>in</strong>e vielfältige zeitgenössische Kulturszene se<strong>in</strong> Eigen: von<br />

Eugen Gomr<strong>in</strong>gers Institut für konkrete Poesie <strong>in</strong> Rehau über<br />

das Bayreuther Kunstmuseum und die Studiobühne bis zum<br />

Künstlerhaus Concordia <strong>in</strong> Bamberg. Jede der vier kreisfreien<br />

Städte besitzt e<strong>in</strong> Drei-Sparten-Theater. Moderne Schriftsteller<br />

wirken <strong>in</strong> <strong>Oberfranken</strong>: von der Dramatiker<strong>in</strong> Kerst<strong>in</strong> Specht<br />

und der Unterhaltungsliterat<strong>in</strong> Tanja K<strong>in</strong>kel über den Mundartpoeten<br />

Gerhard C. Krischker und den Lyriker Jochen Lobe bis<br />

zum populärsten unter ihnen, dem K<strong>in</strong>derbuchautor Paul Maar.<br />

Und natürlich gibt es die Festivals: von den Hofer Filmtagen<br />

unter He<strong>in</strong>z Badewitz – übrigens Wenders Aufnahmeleiter bei<br />

„Im Lauf der Zeit“ – über die Luisenburg-Festspiele nahe Wunsiedel<br />

unter Michael Lerchenberg bis zu, selbstverständlich,<br />

den Bayreuther Richard-Wagner-Festspielen. Doch das Exemplarische,<br />

das für die Region steht, das fehlt.<br />

Partizipativer Stadtumbau West: Bürger und Architekten gestalteten<br />

geme<strong>in</strong>sam den Bürgerpark <strong>in</strong> Selb im Rahmen des Stadtumbaus.<br />

Ebenso <strong>in</strong> der <strong>Architektur</strong>. <strong>Oberfranken</strong> steht im Inventar der<br />

an moderner <strong>Architektur</strong> Interessierten nicht an erster Stelle.<br />

Die Kritiker der Bauzeitschriften und Feuilletons überregionaler<br />

Tageszeitungen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie <strong>in</strong> den Metropolen<br />

unterwegs, auch wenn sie ausgetretene Pfade betreten. Und<br />

auch für die großen Immobilien<strong>in</strong>vestoren ist <strong>Oberfranken</strong> nicht<br />

unbed<strong>in</strong>gt erste Adresse. Um Missverständnissen vorzubeugen:<br />

Das wird auch durch das vorliegende Buch nicht anders werden.<br />

Und doch, die hier vorgestellten 0 Bauwerke – vom Theater<br />

bis zum E<strong>in</strong>familienhaus, von der Gestaltung e<strong>in</strong>es städtischen<br />

Platzes bis zum Bürogebäude, von der Kita bis zum Verb<strong>in</strong>dungssteg<br />

– s<strong>in</strong>d bildkräftige Beispiele der Modernisierung, die<br />

derzeit <strong>in</strong> <strong>Oberfranken</strong> stattf<strong>in</strong>det. Die nötig ist, die sich, soll<br />

die Zukunft bewältigt werden, fortsetzen muss. Die <strong>in</strong> dieser<br />

Publikation präsentierten Gebäude wollen und können sich<br />

nicht an <strong>Oberfranken</strong>s Klassikern <strong>in</strong> Sachen Baukunst messen:<br />

Die Burgen – von der Plassenburg über die Festung Rosenberg<br />

zur Veste Coburg –, die Kirchen – der Bamberger Dom etwa,<br />

Vierzehnheiligen oder, vom gleichen Balthasar Neumann, die<br />

1 1<br />

eher unbekannte Basilika <strong>in</strong> Gößwe<strong>in</strong>ste<strong>in</strong> –, die Schlösser<br />

– von Weißenste<strong>in</strong> über Ehrenburg bis zur Eremitage – s<strong>in</strong>d aus<br />

gänzlich anderen Motiven, mit e<strong>in</strong>em völlig anderen f<strong>in</strong>anziellen<br />

H<strong>in</strong>tergrund entstanden als die zeitgenössische, stets zweckgebundene<br />

und ständig f<strong>in</strong>anziell h<strong>in</strong>terfragte Flächenproduktion.<br />

Interessant ist, dass man diesen halben Hunderter an moderner<br />

<strong>Architektur</strong> gut zur Hälfte der Kategorie „Bauen im<br />

Bestand“ zuzuordnen hat. Ob das Schließen von Baulücken, ob<br />

Erweiterungen bestehender Bauten, ob kaum sichtbare Umbauten<br />

<strong>in</strong> historischen Hüllen – stets war von den Architekten<br />

und Ingenieuren e<strong>in</strong> sensibles E<strong>in</strong>gehen auf den Ort und dessen<br />

Bed<strong>in</strong>gungen, das Anknüpfen an die im Umfeld verwendeten<br />

Materialien, Formen und Dimensionen, das optimale Verschränken<br />

von Alt und Neu gefordert. Diszipl<strong>in</strong> und Engagement waren<br />

nötig, Zurückhaltung und Erf<strong>in</strong>dungsreichtum, Respekt, aber<br />

auch Mut. Die zeitgenössischen Anforderungen an das Bauen<br />

– etwa die mittlerweile auch gesetzlich sanktionierte Schonung<br />

der (Energie-)Ressourcen – s<strong>in</strong>d ebenso <strong>in</strong> die Beispiele <strong>in</strong>tegriert<br />

wie der Tribut an die Geschichte. Selbst der Stadtumbau<br />

West, der derzeit vor allem <strong>in</strong> Nordostoberfranken stattf<strong>in</strong>det,<br />

ist beides: Hoffnung machender Neuanfang und gleichzeitig<br />

Achtung der Leistung früherer Generationen. Die auf den folgenden<br />

Seiten dargebotenen <strong>Architektur</strong>en s<strong>in</strong>d gute, bisweilen<br />

hervorragende Beispiele von dem, was entsteht, wenn die Baustelle<br />

e<strong>in</strong>em Gebäude weicht. Es s<strong>in</strong>d Gebäude, die den Maßstab<br />

der Umgebung aufnehmen und nun selbst maßstabssetzend<br />

s<strong>in</strong>d. Letztlich Gebäude, die Heimat weiterbauen. Zwar wird<br />

manchen weiterh<strong>in</strong> Wehmut befallen angesichts der billigen<br />

Kisten, die die hier vorgestellte qualitätvolle <strong>Architektur</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Oberfranken</strong> bei weitem überwiegen, auch zu Recht. Deswegen<br />

gilt: <strong>Oberfranken</strong> braucht bessere <strong>Architektur</strong>, braucht Baukultur<br />

im S<strong>in</strong>ne von höherer Qualität und öffentlicher, aber vorurteilsfreier<br />

und sich gegenseitig ernstnehmender Diskussion.<br />

Dieses Buch und die geplanten Ausstellungen, welche die hier<br />

präsentierten Bauwerke <strong>in</strong> den Städten der Region vorstellen,<br />

sollen e<strong>in</strong> Anstoß dazu se<strong>in</strong>.


Streitberg


egion BAMBerg und ForchheiM<br />

das weltkulturerbe als wille und Vorstellung<br />

Bamberg – schön alt und funktionalistisch modern<br />

„Das Rom des Nordens“, das „Prag an der Regnitz“, „die<br />

fränkische Akropolis“ oder „Kle<strong>in</strong>-Venedig“: Von Bamberg zu<br />

sprechen, heißt <strong>in</strong> die oberste Vokabel-Schublade greifen. Der<br />

Schriftsteller Godehard Schramm überschreibt se<strong>in</strong>en Artikel<br />

über das bauliche Erbe Bambergs mit „Die sanierte Traumstadt“.<br />

Karl-He<strong>in</strong>z Deschner, stets spitzzüngiger Kirchenkritiker,<br />

bezeichnet se<strong>in</strong>e Geburtsstadt als die „wahrsche<strong>in</strong>lich<br />

schönste Stadt Deutschlands“. Und Hans Wollschläger, ruhmreicher<br />

200 verstorbener Übersetzer des Ulysses, mühte bei<br />

ähnlicher Formulierung sogar den Allmächtigen: „Bei Gott e<strong>in</strong>e<br />

schöne Stadt“. Die Schönheit dieser Stadt hat seit 1993 sogar<br />

e<strong>in</strong>en offiziellen Titel: Weltkulturerbe. Freilich, gerade wenn es<br />

um solch e<strong>in</strong> Markenzeichen geht, sollte man präzise se<strong>in</strong>: Die<br />

UNESCO hat nicht Bamberg <strong>in</strong> die Liste des Welterbes aufgenommen,<br />

sondern die Bamberger Altstadt.<br />

Das Gebiet „repräsentiert <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zigartiger Weise die auf frühmittelalterlicher<br />

Grundstruktur entwickelte mitteleuropäische<br />

Stadt“, heißt es <strong>in</strong> der Begründung. Und: „In dem historischen<br />

Stadtbild mit se<strong>in</strong>en zahlreichen Monumentalbauten aus dem<br />

11. bis 18. Jahrhundert – e<strong>in</strong>e Synthese aus mittelalterlichen<br />

Kirchen und barocken Bürgerhäusern sowie Palästen – bleiben<br />

architekturgeschichtliche Momente lebendig, die ganz Europa<br />

betrafen.“ Auch dieser Satz sollte zur Präzision anregen.<br />

Nicht e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige Bauepoche wurde ausgezeichnet, nicht die<br />

Romanik, nicht die Gotik, nicht der Barock, sondern das Mite<strong>in</strong>ander,<br />

die Achtung des Erbes wie auch dessen Verwerfung und<br />

des an se<strong>in</strong>e Stelle Tretenden, das bisweilen beziehungslose,<br />

bisweilen verknüpfte Nebene<strong>in</strong>ander, die Historisierung und<br />

das Anverwandeln im Stil der Zeit. In e<strong>in</strong>er Zeit, <strong>in</strong> der gegen<br />

die Zumutungen der Moderne wiederholt auf die „europäische<br />

Stadt“ rekurriert wird, gilt dieses Mite<strong>in</strong>ander, das Vielfalt und<br />

Atmosphäre verspricht, aber gegenseitige Toleranz zur Bed<strong>in</strong>gung<br />

hat, als Vorbild.<br />

Wegen se<strong>in</strong>er überschaubaren Dimensionen und der topografischen<br />

Lage bietet Bamberg nicht nur dem Stadthistoriker<br />

die Chance, wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Prospekt die Siedlungsgeschichte<br />

dieser Stadt zu erkennen. Lässt der Besucher se<strong>in</strong>e Blicke<br />

vom Domberg aus <strong>in</strong> das Tal schweifen, liegen die e<strong>in</strong>zelnen<br />

Entwicklungsschübe wie Schichten vor ihm: der Dombezirk als<br />

Siedlungskern auf e<strong>in</strong>em Ausläufer des Steigerwaldes, die anschließende<br />

erste bürgerliche Siedlung auf dem „Sand“, e<strong>in</strong>em<br />

schmalen Streifen zwischen dem Bergfuß und dem südlichen<br />

Regnitz-Arm. Im 12. Jahrhundert begann sich die Inselsiedlung<br />

zwischen den beiden Flussarmen zu entwickeln. Nachdem der<br />

Hang des Kaulbergs urbar gemacht wurde, siedelten sich im 13.<br />

Jahrhundert im Süden der Sandstadt Bettelorden und Juden an.<br />

Die im späten Mittelalter wachsende Inselstadt stellte die Verb<strong>in</strong>dung<br />

zum Gelände westlich des zweiten Regnitzarms her. Im<br />

Schnittpunkt zweier Fernhandelswege gelegen, siedelten sich<br />

dort vor allem landwirtschaftliche Betriebe an – die sogenannte<br />

Gärtnerstadt.<br />

Erhebliche Konsequenzen brachte der Regierungsantritt der<br />

Schörnbornschen Bischöfe mit sich: Mit den bedeutendsten<br />

Architekten ihrer Zeit – die Dientzenhofer-Brüder, Lucas von<br />

Hildebrandt, Maximilian von Welsch und Balthasar Neumann<br />

– erfolgte die barocke Umgestaltung der Stadt. Die kargen<br />

Fassaden der Gotik erhielten geschwungenes Dekor, bescheidene<br />

Häuser wurden durch raumgreifende Paläste ersetzt – e<strong>in</strong><br />

Maßstabssprung sowohl horizontal als auch vertikal. Seitdem<br />

wächst die Stadt vor allem <strong>in</strong> die Breite. Der Anschluss an den<br />

Ludwig-Donau-Ma<strong>in</strong>-Kanal und Eisenbahnnetz sowie die Industrialisierung<br />

hatten noch größere Folgen für das Bamberger<br />

Weichbild: der umfassende Ausbau der städtischen Infrastruktur,<br />

weitere <strong>in</strong>dustrielle Expansion, der Flüchtl<strong>in</strong>gszuzug nach<br />

dem 2. Weltkrieg, der die E<strong>in</strong>wohnerzahl kurzfristig auf 100.000<br />

hochschnellen ließ. Schließlich die Suburbanisierung, die Auslagerung<br />

von E<strong>in</strong>zelhandel und Gewerbe vor die Tore der Stadt.<br />

Die E<strong>in</strong>wohnerzahl Bambergs g<strong>in</strong>g bis etwa zum Jahr 2000 kont<strong>in</strong>uierlich<br />

zurück, seitdem stieg sie leicht wieder an und betrug<br />

zum Stichtag 31.12.200 knapp 0.000.<br />

Mitten im Weltkulturerbe: das Alte Rathaus <strong>in</strong> Bamberg<br />

Heute ist Bamberg der ökonomische Schwerpunkt <strong>Oberfranken</strong>s.<br />

Im Mai 2008 lag die Arbeitslosenquote im Arbeitsagenturbezirk<br />

Bamberg – Stadt und Landkreis Bamberg sowie<br />

Landkreis Forchheim – bei ,1 Prozent. Dies entsprach genau<br />

dem Durchschnitt Bayerns und war 3, Prozent ger<strong>in</strong>ger als der<br />

Bundesdurchschnitt. Zum Vergleich: Im gleichen Monat hatte<br />

der Arbeitsagenturbezirk Coburg ,3, der Bezirk Bayreuth ,9<br />

und der Bezirk Hof ,2 Prozent Arbeitslose. Der Bamberger<br />

Raum hat nicht nur die höchste Arbeitsplatzdichte <strong>Oberfranken</strong>s,<br />

sondern auch die größte Anzahl an Großunternehmen. An<br />

der Spitze steht das Werk des Bosch-Konzerns mit fast 8.000<br />

Beschäftigten. Daneben s<strong>in</strong>d Werke des Autozulieferers Brose,<br />

des Michel<strong>in</strong>-Konzerns <strong>in</strong> Hallstadt und der Wieland Electric mit<br />

jeweils etwa 1.000 Beschäftigten. Zu den Vorteilen des Bamberger<br />

Raums gehört auch die größte Branchen-Diversifizierung<br />

des Regierungsbezirks mit Dienstleistern wie der Sozialstiftung<br />

Bamberg (etwa 2.200 Beschäftigte) oder dem Direktvermarkter<br />

der GHP-Unternehmensgruppe (1. 00 Beschäftigte). Bamberg<br />

profitiert von der Nähe zur Metropolregion Nürnberg, von e<strong>in</strong>er<br />

äußerst guten Verkehrsanb<strong>in</strong>dung und dem Wasserstraßennetz.<br />

Welterbestatus und Wirtschaftszentrum – auf den ersten Blick<br />

sche<strong>in</strong>t das kaum vere<strong>in</strong>bar. Handel und Gewerbe fordern stets<br />

ihren räumlichen Preis. In Bamberg weniger, denn die Stadt<br />

hat ihre Nutzungen separiert. Die Charta von Athen, 19 1 von<br />

Le Corbusier als Konzept e<strong>in</strong>er funktionalistischen Stadtplanung<br />

veröffentlicht, die Wohnen, Freizeit und Arbeiten räumlich<br />

trennt, feiert <strong>in</strong> Bamberg durch die H<strong>in</strong>tertür Wiederauferstehung<br />

– wenn man Freizeit durch E<strong>in</strong>kaufen ersetzt. Der Bereich<br />

zwischen Steigerwald und Bahnl<strong>in</strong>ie, bereits 1983 als „Stadtdenkmal“<br />

mit rund 2.000 E<strong>in</strong>zeldenkmälern rechtlich geschützt,<br />

dient dem Wohnen, der Verwaltung, den großen Bildungs<strong>in</strong>sti-<br />

<strong>Architektur</strong>büro MGF, Stuttgart:<br />

Hotel Untere Mühlen, Bamberg, Wettbewerb, 200 , 1. Preis<br />

tutionen und der kle<strong>in</strong>räumigen Versorgung. Der großflächige<br />

E<strong>in</strong>zelhandel dagegen liegt im Norden, teils auf Bamberger,<br />

teils auf Hallstädter Gemarkung. Das im Volksmund Laubanger<br />

genannte Areal – e<strong>in</strong>es der größten zusammenhängenden<br />

E<strong>in</strong>zelhandelsgebiete Deutschlands – bot Ende 200 <strong>in</strong>sgesamt<br />

1 .000 Quadratmeter Verkaufsfläche, das Gebiet an<br />

der Hallstädter Michel<strong>in</strong>straße weitere 1 .000. Im Stadtkern<br />

standen dagegen nur 1.000 Quadratmeter Verkaufsfläche zur<br />

Verfügung. Bambergs Industrie bef<strong>in</strong>det sich zum größten Teil<br />

ebenfalls im Norden, am Hafen nahe dem Autobahnkreuz oder<br />

westlich der Bahnl<strong>in</strong>ie. Diese Sonderung der verschiedenen<br />

Lebensbereiche fördert hohes Verkehrsaufkommen, hat hohe<br />

ökologische Kosten, beschränkt aber den Entwicklungs- und<br />

Investitionsdruck auf die Innenstadt. Freilich, die von diesen<br />

Gewerbegebieten gebildeten nichtssagenden Stadte<strong>in</strong>gänge, die<br />

sich sche<strong>in</strong>bar kilometerlang h<strong>in</strong>ziehenden Landschaften voller<br />

banaler Zweckbauten ohne jegliche städtebauliche Ordnung<br />

s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>es Weltkulturerbes nicht würdig.<br />

18 19<br />

Für das Magaz<strong>in</strong> „Merian“ schrieb der Journalist Willy Heckel<br />

im Februar 19 9: „Denkmalpflege ist e<strong>in</strong>es der Bamberger<br />

Zauberwörter. In den Leserbriefspalten der Zeitungen nimmt es<br />

mit Abstand die erste Rolle e<strong>in</strong>.“ Vorausgegangen war die Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />

um den Bau der „Unteren Brücke“ am alten<br />

Rathaus, bei der sich am Ende der Stadtrat mit e<strong>in</strong>em schlichten<br />

Betonsteg durchsetzte. Stadtplanung ist <strong>in</strong> der Innenstadt,<br />

wo kaum e<strong>in</strong> Ste<strong>in</strong> nicht historisch und kaum e<strong>in</strong> Bürger nicht<br />

Kunstgeschichtler ist, schwierig. Die Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />

um moderne <strong>Architektur</strong> und die Gestaltung des öffentlichen<br />

Raums s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Bamberg Legende. Mal wird auf Beschluss des<br />

Stadtrats e<strong>in</strong> moderner Brunnen nahe der Mart<strong>in</strong>skirche abgebrochen,<br />

der zuvor als „entartetes Wasserspiel“ oder „dynamisches<br />

Pissoir“ denunziert wurde (Die „Zeit“ titelte daraufh<strong>in</strong><br />

„Die Banausen von Bamberg“). Mal gel<strong>in</strong>gt es den Bürgern,<br />

die Pläne der Stadtverwaltung, e<strong>in</strong>e Flächensanierung samt<br />

Neubau e<strong>in</strong>es elfstöckigen Rathauses, e<strong>in</strong>es E<strong>in</strong>kaufszentrums<br />

und e<strong>in</strong>er vierspurigen Straße – der „Durchbruch Mitte“ - zu<br />

verh<strong>in</strong>dern. Mal fallen unersetzliche historische Bauten der<br />

Abrissbirne zum Opfer – etwa das „Haus zum Marienbild“ am<br />

Pfahlplätzchen. Mal tauchen irgende<strong>in</strong>en historischen Stil<br />

nachäffende Neubauten auf – wie Am Kranen oder <strong>in</strong> der Lange<br />

Straße. Und die Theatergassen, im Pr<strong>in</strong>zip e<strong>in</strong>e städtebaulich<br />

s<strong>in</strong>nvolle Belebung e<strong>in</strong>es Block<strong>in</strong>neren, werden durch armselige<br />

<strong>Architektur</strong> entwertet.<br />

E<strong>in</strong> jüngstes Beispiel für die Diskussionen im Umgang mit dem<br />

baulichen Erbe ist der Konflikt um den geplanten Neubau e<strong>in</strong>es<br />

Hotels auf e<strong>in</strong>em brachliegenden Gelände an den Unteren<br />

Mühlen. Den von der Stadt ausgelobten Wettbewerb gewann<br />

e<strong>in</strong> Entwurf des Stuttgarter Büros MGF, das <strong>in</strong> anderen Städten<br />

– etwa im Weltkulturerbe Regensburg – mit Neubauten glänzte,<br />

die Maßstab und Material der Umgebung sowie die lokale Bautradition<br />

aufnehmen und dennoch kompromisslos modern s<strong>in</strong>d.<br />

Auch der Hotel-Vorschlag bestach durch diese Merkmale und<br />

wurde von den Stadtvätern als „Meilenste<strong>in</strong>“ und „wertvoll“<br />

gepriesen. Als freilich jene Leserbriefschreiber die Oberhand<br />

gewannen, die das Projekt ablehnten, distanzierte sich die<br />

Kommunalpolitik, die eben noch des Lobes voll war. Inzwischen<br />

ist das Projekt vertagt – wohl auf den St. Nimmerle<strong>in</strong>stag. Um<br />

solche Kontroversen e<strong>in</strong>zudämmen, hat der Stadtrat e<strong>in</strong> Mediationsverfahren<br />

„Zukunft Innenstadt Bamberg“ <strong>in</strong> Auftrag<br />

gegeben, das im Juli 2008 abgeschlossen wurde. Mit Bürgern,<br />

Anwohnern und Interessenvertretern sowie externen Experten<br />

und der Stadtverwaltung wurden sieben Ziele vere<strong>in</strong>bart. Da<br />

will man beispielsweise die E<strong>in</strong>kaufs- und Wohnfunktion der<br />

Innenstadt stärken, dazu ihre Erreichbarkeit sichern, gleichzeitig<br />

aber den motorisierten Individualverkehr reduzieren.<br />

Die Verwirklichung dieser Vorsätze wird wieder zu Konflikten<br />

führen, denn dieser Verkehr ist Folge e<strong>in</strong>er funktionalistischen<br />

Stadtplanung. Über allem steht das Ziel, das Weltkulturerbe<br />

als Qualitätsmaßstab <strong>in</strong> der Gestaltung zu begreifen und als<br />

Chance zur Wertschöpfung zu sehen. Das Weltkulturerbe zu<br />

begreifen, heißt Toleranz als Tradition zu begreifen. Oder, wie es<br />

Manfred Sack, der Nestor der deutschen <strong>Architektur</strong>kritik, so<br />

vortrefflich ausdrückte, „diese mitunter wunderbar dissonante<br />

Harmonie der Epochen“ als Chance zu sehen.


2<br />

wohn- und geschäftshaus scharf<br />

Burgebrach<br />

E<strong>in</strong>e zweigeschossige Gebäudekiste ist <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em überwiegend<br />

gewerblich genutzten Gebiet nichts Außergewöhnliches. Fensterbänder<br />

und Sichtbetonfassade sowie e<strong>in</strong> großer Parkplatz<br />

ebenfalls nicht. Bei den Farben allerd<strong>in</strong>gs – kalkweiß und an<br />

kalkuliert wenigen Stellen e<strong>in</strong> Gold –, bei den präzise geschnittenen<br />

Kanten, L<strong>in</strong>ien und Ausschnitten sowie erst recht bei der<br />

Nutzung – e<strong>in</strong>en Friseursalon erwartet man dann doch eher an<br />

e<strong>in</strong>er belebten Straße – fängt der fremde Betrachter an, stutzig<br />

zu werden. Denn was sich profan „Wohn- und Geschäftshaus“<br />

nennt, ist e<strong>in</strong> eigener Kosmos. E<strong>in</strong> eigenes Universum, letztlich<br />

e<strong>in</strong> gelungenes Experiment, das e<strong>in</strong>erseits ganz auf den Bauherren<br />

– e<strong>in</strong>en jungen, sehr erfolgreichen und renommierten<br />

Friseur – zugeschnitten ist: weil dieser se<strong>in</strong>e Wohnräume auch<br />

für Veranstaltungen und Sem<strong>in</strong>are benutzt, helfen Schiebetüren,<br />

die Grenzen zwischen Privat- und Salonbereich durchlässig und<br />

fließend zu machen.<br />

Andererseits erweist das Haus durch die Verwendung von<br />

<strong>in</strong>dustriellen Materialien – die erwähnte Betonfassade, die<br />

schwarz gefassten Klappfenster, die betongraue Fertigteiltreppe,<br />

e<strong>in</strong>fach-weiße Geländer, e<strong>in</strong> brauner Epoxydharz als Bodenbelag<br />

– dem Ort Referenz. Wobei das Gebäude, das mit se<strong>in</strong>em<br />

schmalen Rechteck dem engen Grundstücksverlauf folgt, für<br />

die – überwiegend weiblichen – Kunden e<strong>in</strong> Versprechen darstellt:<br />

Es verspricht Beauty, Lifestyle und designtes Ambiente,<br />

es verspricht die Möglichkeit, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e andere Welt e<strong>in</strong>zutauchen,<br />

loszulassen und sich selbst etwas Gutes zu tun. Weiche Ledersessel,<br />

e<strong>in</strong>e fast barock zu nennende Drahtleuchte, schwelgende<br />

Blumenarrangements und e<strong>in</strong> Spiel von wechselnden<br />

Ausblicken und Spiegelbildern kontrastieren die kubischen<br />

Formen im Interieur und erzeugen e<strong>in</strong> ästhetisches Kraftfeld,<br />

das e<strong>in</strong>er Bühne für Klientel wie Personal gleichkommt. Und<br />

das Versprechen verfängt: Manche Kund<strong>in</strong>nen kommen von weit<br />

her angereist.<br />

Wohn- und Geschäftshaus Scharf<br />

9 138 Burgebrach, Am Sportplatz 1<br />

Fertigstellung: 200<br />

Johannes Schulz-Hess,<br />

Schulz-Hess <strong>Architektur</strong> GmbH, Johannes Schulz-Hess, Bamberg<br />

2


7<br />

Ziegelbau<br />

Bamberg<br />

Es war e<strong>in</strong>e weise Entscheidung der Bamberger Stadtplanung,<br />

das ehemalige Industrieareal zwischen Mußstraße und l<strong>in</strong>kem<br />

Regnitzarm zu e<strong>in</strong>em Standort für Kultur, Events und Kongresse<br />

zu machen. Auch wenn im Rückblick nicht immer alles<br />

so gelaufen ist, wie ursprünglich gedacht, wie vielleicht auch<br />

ursprünglich besser geplant, so kann man doch nach 1 Jahren<br />

Bauzeit neben der Konzert- und Kongresshalle und e<strong>in</strong>em zwar<br />

ambitionierten, aber architektonisch belanglosen Dreisternehotel<br />

auf e<strong>in</strong> Highlight stolz se<strong>in</strong>, das die Er<strong>in</strong>nerung auf die<br />

durch <strong>in</strong>dustrielle Entwicklung bed<strong>in</strong>gte Stadterweiterung am<br />

Ende des 19. Jahrhunderts bewahrt: den Ziegelbau. E<strong>in</strong>st weitab<br />

von der Stadt gelegen, hatten die Baumeister Daniel Fuchs<br />

und se<strong>in</strong> Nachfolger Johannes Kronfuß zwischen 189 und 1908<br />

e<strong>in</strong> backste<strong>in</strong>ernes Webereigebäude errichtet, das mit se<strong>in</strong>en<br />

reichgegliederten Fassaden e<strong>in</strong> stattliches Beispiel gründerzeitlicher<br />

Industriearchitektur war.<br />

Dieses unter Wahrung se<strong>in</strong>es mitunter rauen Charakters <strong>in</strong><br />

die post<strong>in</strong>dustrielle Zeit gerettet zu haben, ist das Verdienst<br />

der Stadtplanung sowie des Münchner Professors Eberhard<br />

Schunck und se<strong>in</strong>es Projektleiters Christoph Schneider. Denn<br />

als Tagungszentrum bewährt sich der Ziegelbau ausgezeichnet.<br />

In 1 bis ,20 Meter hohen Räumen, zwischen 0 und 90<br />

Quadratmetern groß, zwischen 10 und 00 Veranstaltungsteilnehmer<br />

fassend, können Workshops und Weiterbildungssem<strong>in</strong>are,<br />

Konferenzen und Kurzlehrgänge, sogar Bälle stattf<strong>in</strong>den.<br />

Während Sem<strong>in</strong>arleiter die ebenso konzentrationsfördernde<br />

wie warme Atmosphäre der Räume mit ihrem geschlämmten<br />

Mauerwerk loben, zeigt sich der Betreiber über die flexiblen<br />

Strukturen des Gebäudes begeistert: Sie sichern ihm e<strong>in</strong> großes<br />

Nutzerspektrum. Grundlage des architektonischen Konzepts<br />

war die sensible Sanierung des Bestands und die Ablesbarkeit<br />

des Neuh<strong>in</strong>zugefügten: etwa e<strong>in</strong>e großartige Treppenskulptur<br />

zum Obergeschoss, die Fensterstürze aus Sichtbeton oder zurückhaltend<br />

gestaltete Nebenräume im Keller. Zusammen mit<br />

der durch e<strong>in</strong>en Gang verbundenen, ausnehmend freundlichen<br />

Tiefgarage – von denselben Architekten geplant – ist e<strong>in</strong> s<strong>in</strong>nenreiches<br />

Ensemble entstanden, das <strong>in</strong> der Weltkulturerbestadt<br />

Bamberg e<strong>in</strong>en ganz eigenen Akzent setzt.<br />

Ziegelbau<br />

9 0 9 Bamberg, Mußstraße<br />

Fertigstellung: 200<br />

Schunck Ullrich Architekten, München<br />

Literatur:<br />

Stadt Bamberg, Baureferat (Hg.): Sanierungsgebiet Mußstraße – Kulturund<br />

Kongresszentrum Bamberg. Bamberg 200 (Eigenverlag).<br />

Kongresszentrum Bamberg, <strong>in</strong>: Wettbewerbe aktuell, /199 .<br />

Tiefgarage, <strong>in</strong>: Klaus Raab, Neue <strong>Architektur</strong> <strong>in</strong> Bamberg, Baumeister<br />

Exkursion , 11/2001.<br />

3


8<br />

wohnquartier „Mayer´sche gärtnerei“<br />

Bamberg<br />

„Wohnen ist auch heute noch e<strong>in</strong>e höchst <strong>in</strong>dividuelle Mischung<br />

aus äußeren E<strong>in</strong>flüssen, eigenen Verhaltensweisen und Vorlieben<br />

– entsprechend schwer ist es zu verallgeme<strong>in</strong>ern.“ Dieser<br />

Satz stammt aus der fünfbändigen „Geschichte des Wohnens“<br />

mit ihren <strong>in</strong>sgesamt mehr als .000 Seiten. Da es, wie das Zitat<br />

andeutet, die ideale Wohnung nicht gibt, sondern sie immer<br />

von der persönlichen Lebenssituation abhängig ist, versuchen<br />

<strong>in</strong>telligentere Planer und Bauträger, variantenreiche Wohnungen<br />

<strong>in</strong> verschiedenen Typologien – Reihenhaus, Stadthaus,<br />

Etagenwohnungen – zu errichten. E<strong>in</strong> Musterbeispiel für e<strong>in</strong>en<br />

urbanen Wohnungsbau ist das von Gisela und Hans-Dieter<br />

Kaiser für die Joseph-Stiftung geplante und im Niedrigenergie-Standard<br />

erstellte Quartier „Mayer’sche Gärtnerei“. In<br />

e<strong>in</strong>em viergeschossigen Riegel wurden 8 Eigentums- und 20<br />

Mietwohnungen gebaut sowie, rechtw<strong>in</strong>klig dazu angeordnet,<br />

fünf Zeilen mit <strong>in</strong>sgesamt 3 Stadthäusern. Die Anlage ist e<strong>in</strong><br />

Modellvorhaben im Rahmen des von der Obersten Baubehörde<br />

<strong>in</strong>itiierten experimentellen Wohnungsbaus, das <strong>in</strong> der näheren<br />

Umgebung – leider nicht mehr ganz so qualitätsvolle – Nachfolger<br />

gefunden hat.<br />

Abgeschirmt durch das Diözesanarchiv hat sich <strong>in</strong> diesem Quartier<br />

e<strong>in</strong> ruhiges Eigenleben entwickelt, wobei parkende Autos <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>e Tiefgarage verbannt wurden und die Wohnwege nur dem<br />

Anliefer- und Entsorgungsverkehr freigegeben s<strong>in</strong>d. Während<br />

bei den Geschosswohnungen – die von der 2-Zimmer- über<br />

die 3-Zimmer- bis zur Maisonette-Wohnung reichen – über 20<br />

verschiedene Grundrisstypen verwirklicht wurden, gibt es für<br />

die Stadthäuser vier verschiedene Typen, die vom zweigeschossigen<br />

„Starterhaus“ bis zum teilbaren dreigeschossigen Mehrgenerationenhaus<br />

reichen. Obwohl das Quartier e<strong>in</strong>e gestalterische,<br />

bis <strong>in</strong>s Detail stimmige E<strong>in</strong>heit aufweist, obgleich die<br />

Oberflächen-Materialien auf ganz wenige beschränkt wurden,<br />

versprechen höchst unterschiedliche Raumsituationen – Tore,<br />

Laubengänge, Vorplätze, Treppentürme, Freitreppen, gegensätzlich<br />

orientierte Freibereiche, Erdgeschoss-, W<strong>in</strong>ter- und<br />

Dachgärten – vielfältige E<strong>in</strong>drücke und e<strong>in</strong>e lebendige Atmosphäre,<br />

die sowohl von Familien als auch von S<strong>in</strong>gles, Senioren<br />

und gehbeh<strong>in</strong>derten Menschen geschätzt wird.<br />

Wohnquartier „Mayer´sche Gärtnerei“<br />

9 0 Bamberg, Anna-Maria-Junius-Straße 8–8 , 130–132,<br />

Dr.-Ida-Noddack-Straße 3–1<br />

Fertigstellung: 2002<br />

<strong>Architektur</strong>büro Kaiser + Kaiser, Stuttgart<br />

Auszeichnungen:<br />

BDA-Preis Franken „Gute Bauten“ 2002<br />

Deutscher Bauherrenpreis 2002, Kategorie „Neubau“<br />

3


9<br />

Fischerhof-schlösschen, sanierung und umnutzung<br />

Bamberg<br />

Das altehrwürdige Fischerhof-Schlösschen wurde 1 3 als<br />

Sommerfrische der Mönche vom nahen Kloster Michaelsberg<br />

errichtet. In der offenen Arkadenhalle hatte man Setzl<strong>in</strong>ge<br />

gezogen, die dann <strong>in</strong> den zahlreichen, heute ausnahmslos<br />

zugeschütteten Weihern vor dem Haus ausgesetzt wurden.<br />

Nachdem die Mönche auszogen, diente das barocke Anwesen<br />

als Gastwirtschaft, dann als Wohnhaus, schließlich stand das<br />

Gebäude über 2 Jahre leer, die offene Halle wurde noch als<br />

Omnibusgarage genutzt. Das Anwesen verrottete zusehends<br />

und drohte Anfang der 1990er Jahre e<strong>in</strong>zustürzen. Es ist Birgit<br />

und Matthias Dietz zu danken, dieses kle<strong>in</strong>e, aber fe<strong>in</strong>e Denkmal<br />

barocker Baukunst mit e<strong>in</strong>em behutsamen Sanierungs- und<br />

Umnutzungskonzept vor dem Vergessen und damit vor dem<br />

Abriss gerettet zu haben. Dabei respektiert dieses Konzept<br />

nicht nur die historische Substanz, sondern es nutzt auch das<br />

Potenzial für ebenso ungewöhnliche wie erstaunlich großzügige<br />

Räume aus.<br />

Wo es für den Gesamte<strong>in</strong>druck nötig war, wurde der historische<br />

Bestand kle<strong>in</strong>teilig ergänzt, Freskenmalerei freigelegt, die<br />

zuvor morsche Holzkonstruktion im vordem nicht ausgebauten<br />

Dachgeschoss, wo notwendig, ausgetauscht und mit sichtbaren<br />

Stahlteilen vervollständigt. Die charakteristischen, zuvor offenen<br />

Arkadenbögen mit ihren noch erhaltenen historischen<br />

Gittern schlossen die Architekten mit e<strong>in</strong>er fragilen Glaskonstruktion,<br />

die rahmenlos ist und mit Punkthaltern am Mauerwerk<br />

befestigt wurde. Ergänzt wurde das Schlösschen, das<br />

nun repräsentativer Sitz e<strong>in</strong>es <strong>Architektur</strong>büros ist, an se<strong>in</strong>er<br />

rückwärtigen Fassade durch e<strong>in</strong>en zweigeschossigen Anbau. In<br />

diesem s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> Treppenhaus, die Sanitärräume und die Heizung<br />

untergebracht. Die <strong>Architektur</strong>sprache des außen mit Betonwerkste<strong>in</strong>en<br />

verkleideten Anbaus ist gemäß dem Konzept der<br />

Ablesbarkeit aller neuen Teile deutlich zeitgenössisch, wobei<br />

die Innenwände von dem Künstler Otto Herr plastisch gestaltet<br />

wurden.<br />

Fischerhof-Schlösschen, Sanierung und Umnutzung<br />

9 0 9 Bamberg, Gaustadter Hauptstraße 109 A<br />

Fertigstellung: 199<br />

<strong>Architektur</strong>büro Dietz, Bamberg<br />

Literatur:<br />

Bund Deutscher Architekten BDA (Hg.): <strong>Architektur</strong> <strong>in</strong> Franken<br />

199 –2001, Nürnberg ohne Jahrgang (Eigenverlag), S. 11.<br />

Auszeichnungen:<br />

BDA-Preis Franken 1998, Auszeichnung<br />

Bayerische Denkmalschutzmedaille 1999<br />

Denkmalpflegepreis der <strong>Oberfranken</strong>stiftung<br />

BHU Wettbewerb „Fassaden gestalten, Baukultur erhalten“ 2000,<br />

Bundessieger<br />

38


18<br />

wohnhaus w.<br />

Lill<strong>in</strong>g<br />

Lokale Tradition und <strong>in</strong>ternationale Moderne: Was bei vielen als<br />

Entweder-oder gilt, lässt sich auch, e<strong>in</strong>en guten Architekten<br />

und e<strong>in</strong>en mutigen Bauherrn vorausgesetzt, meisterhaft verb<strong>in</strong>den.<br />

Das Wohnhaus W. <strong>in</strong> Lill<strong>in</strong>g etwa kann man als Musterbeispiel<br />

e<strong>in</strong>es modernen Regionalismus bezeichnen: In Anlage,<br />

Form und Dimensionen nimmt es die <strong>in</strong>takte Bebauungsstruktur<br />

des Weilers auf, <strong>in</strong> Materialien, <strong>in</strong>nerer Organisation und<br />

Raumfluchten h<strong>in</strong>gegen wird die regionale Tradition neu und<br />

eigenständig <strong>in</strong>terpretiert. Zeitgenössische Anforderungen wie<br />

Energieeffizienz, Ressourcenschonung oder Komfort werden<br />

darüber h<strong>in</strong>aus erfüllt.<br />

Nach Lill<strong>in</strong>g kommend fällt der am Ortsrand gelegene Neubau<br />

überhaupt nicht auf. Markus Gentner, der verantwortliche Architekt,<br />

g<strong>in</strong>g behutsam mit dem Baugrundstück, e<strong>in</strong>e herrliche<br />

Kirschbaumwiese, um und verteilte die gewünschte Wohn- und<br />

Nutzfläche auf drei funktionale Gebäudee<strong>in</strong>heiten. Diese s<strong>in</strong>d<br />

nicht nur dem fränkischen Dreiseithof ähnlich um e<strong>in</strong>en altehrwürdigen<br />

Kirschbaum gruppiert und bilden e<strong>in</strong>en schönen E<strong>in</strong>gangshof,<br />

sondern nehmen auch den ortsüblichen Maßstab auf.<br />

An der vierten Flanke formen mit gelblichen Kalkste<strong>in</strong>en gefüllte<br />

Gabionen e<strong>in</strong>en zaunartigen Sichtschutz, der im Hof dennoch<br />

offen wirkt. Während das mit Holzlamellen verkleidete<br />

Wirtschaftsgebäude mit Garage und Energieversorgung an<br />

e<strong>in</strong>e Scheune er<strong>in</strong>nert, bieten Wohn- und Schlafhaus ebenso<br />

großzügige wie weite Räume, die sich zur Sonnenseite mit<br />

großformatigen Fenstern und Glastüren öffnen. Die Neigung<br />

der anthrazitfarbenen Steildächer ist mit 3 Prozent ebenfalls<br />

ortstypisch. Holzpelletheizung, mikrobiologische Kläranlage<br />

und e<strong>in</strong>e Regenwasserzisterne runden das ökologische Konzept<br />

des Niedrigenergiehauses ab.<br />

Wohnhaus W.<br />

91322 Gräfenberg, Ortsteil Lill<strong>in</strong>g<br />

Fertigstellung: 200<br />

att architekten, Markus Gentner, Nürnberg<br />

Literatur:<br />

Inga Schaefer: Genius Loci – genial umgesetzt, <strong>in</strong>: DBZ 2/2008, S. – 1.<br />

Auszeichnungen:<br />

„Gut bedacht 200 “, 2. Platz<br />

BDA-Preis Bayern 200 , Nom<strong>in</strong>ierung


Staffelberg


egion coBurg, lichtenFels und KronAch<br />

die randlage zur Kultur erhoben<br />

Zwischen tradition und design: coburg, Kronach, lichtenfels<br />

„Selbstbewusst“, „selbstständig“, „eigenwillig“ – unter diesen<br />

Kategorien, stets mit e<strong>in</strong>em Ausrufezeichen versehen, haben<br />

Coburgs Stadtobere im Mai 2008 das neue Stadtentwicklungskonzept<br />

ihren Bürgern vorgestellt. Da wird die „Jahrhunderte<br />

alte Geschichte“ betont, die „märchenhafte“ Landschaft, die<br />

„bee<strong>in</strong>druckende“ Stärke der örtlichen Wirtschaft und die 0<br />

Jahre, als man <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Randlage an der Zonengrenze war.<br />

Coburg, als das „Schneckenhaus für Glückliche“ und „Schlupfw<strong>in</strong>kel<br />

deutschen Gemüts“ bekannt, und se<strong>in</strong>e Bevölkerung<br />

s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e besondere Synthese e<strong>in</strong>gegangen. Das wissen auch<br />

die <strong>Oberfranken</strong> außerhalb des Stadt- und Landkreises Coburg.<br />

Spricht man mit diesen über Coburg, sieht man vielsagende<br />

Mienen und hört: „... das Herzogtum halt.“ Diese These von der<br />

Individualität Coburgs ist freilich nicht nur vorwitziges Gerede,<br />

sondern mittlerweile sogar wissenschaftliche Me<strong>in</strong>ung. Als sich<br />

Deutschlands Geografen 200 <strong>in</strong> Bayreuth trafen, gab man<br />

ihnen e<strong>in</strong>en „Exkursionsführer <strong>Oberfranken</strong>“ zur Hand. Das<br />

Kapitel über Coburg hatte den Untertitel „e<strong>in</strong> regionaler Sonderfall“.<br />

Dass sich die Bürger des Herzogtums, kaum dass es Republik<br />

geworden, 1919 gegen Thür<strong>in</strong>gen und im folgenden Jahr für<br />

Bayern entschieden, hat zu dieser Eigenständigkeit ebenso<br />

beigetragen wie die Situation nach 19 . Im Herzogtum Sachsen-Coburg<br />

und Gotha waren, wie bereits der Name andeutet,<br />

die Beziehungen nach „drüben“ traditionell besonders stark.<br />

Die Randlage war gleichsam Insellage: Ähnlich dem Kronacher<br />

Land ragte Coburg wie e<strong>in</strong>e Ausbuchtung <strong>in</strong> das Gebiet Thür<strong>in</strong>gen.<br />

Der Eiserne Vorhang wand sich auf drei Seiten um die Region.<br />

Selbst im Westen war Osten. Und nach der Wende wog das<br />

Fördergefälle besonders schwer. Dennoch, Coburg ist e<strong>in</strong>e der<br />

wirtschaftlich stärksten Städte Bayerns, die Arbeitsplatzdichte<br />

ist auffallend hoch und das Gewerbesteueraufkommen pro<br />

E<strong>in</strong>wohner ist das höchste bundesweit. Neben der Haftpflicht-<br />

Unterstützungs-Kasse kraftfahrender Beamter Deutschlands,<br />

besser bekannt als HUK-Coburg, gibt es e<strong>in</strong>e Reihe von Unternehmen<br />

wie den Automobilzulieferer Brose, die Kompressorenwerke<br />

Kaeser oder die Werkzeugmasch<strong>in</strong>enhersteller Kapp und<br />

Lasco, die <strong>in</strong> ihren Spezialgebieten Weltmarktführer s<strong>in</strong>d. Sie<br />

s<strong>in</strong>d neben der Haba Gruppe <strong>in</strong> Bad Rodach die größten Mitglieder<br />

der IHK zu Coburg, <strong>in</strong> der nur die Unternehmen der Stadt<br />

und des Landkreises Coburg organisiert s<strong>in</strong>d (Für das restliche<br />

<strong>Oberfranken</strong> ist die IHK Bayreuth zuständig). Diese Unternehmen<br />

bieten darüber h<strong>in</strong>aus wie der Baur Versand <strong>in</strong> Burgkunstadt,<br />

die Kunststoff-Technik Scherer & Trier <strong>in</strong> Michelau oder<br />

die Hoffmann Innovation Group <strong>in</strong> Lichtenfels, der Unterhaltungselektroniker<br />

Loewe oder die Dr. Schneider Kunststoffwerke<br />

<strong>in</strong> Kronach Arbeitsplätze für viele Menschen aus Thür<strong>in</strong>gen.<br />

Im Juni verzeichnete die für die Landkreise Lichtenfels,<br />

Kronach und Coburg sowie die Stadt Coburg zuständige Arbeitsagentur<br />

e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>pendlerquote von 22,1 Prozent – mehr als die<br />

Hälfte davon kamen aus Thür<strong>in</strong>gen.<br />

Bei aller Wirtschaftskraft gehen Struktur- und demografischer<br />

Wandel nicht spurlos an der Region vorüber. Im Landkreis Lichtenfels<br />

zum Beispiel s<strong>in</strong>d die Beschäftigten im verarbeitenden<br />

Gewerbe von 9. im Jahre 2000 auf . 3 im Jahre 200 zurückgegangen.<br />

In der Stadt Coburg wurde im September 2008<br />

e<strong>in</strong> Arbeitslosenanteil von , Prozent verzeichnet, im Januar<br />

200 betrug er noch fast doppelt so viel. Damit lag die Stadt mit<br />

an der Spitze <strong>in</strong> Bayern. Nach der Wende stieg die Bevölkerung<br />

kurzzeitig, seit 1992 allerd<strong>in</strong>gs nimmt sie kont<strong>in</strong>uierlich ab –<br />

<strong>in</strong>zwischen mit dramatischen Aussichten. Für den Landkreis<br />

Kronach etwa wird bis 2020 e<strong>in</strong> Bevölkerungsverlust von 1 bis<br />

20 Prozent prognostiziert. Die Stadt Coburg musste <strong>in</strong> ihrem historischen<br />

Zentrum von 1990 bis 200 e<strong>in</strong>en Rückgang von jährlich<br />

230 E<strong>in</strong>wohnern registrieren. E<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>räumige Projektion<br />

des Wirtschafts- und Sozialforschungs<strong>in</strong>stituts MODUS geht<br />

von zwei verschiedenen Szenarien aus: Im positiven Fall könnte<br />

die Gesamtstadt Coburg se<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>wohnerzahl von derzeit 1.283<br />

(Stichtag 31.12.200 ) auf etwa 0.000 bis zum Jahr 2020 stabilisieren.<br />

Sollte e<strong>in</strong>e systematische Stadtentwicklungspolitik nicht<br />

fruchten, wäre im gleichen Zeitraum e<strong>in</strong> Bevölkerungsrückgang<br />

auf 3 . 00 E<strong>in</strong>wohner programmiert.<br />

Balthasar Neumann: Basilika Vierzehnheiligen, 1 3–1 2<br />

Diese Aussichten vor Augen hat Coburg im Juli 200 das Büro<br />

des Braunschweiger Städtebauprofessors Walter Ackers beauftragt,<br />

e<strong>in</strong> <strong>in</strong>tegriertes Stadtentwicklungskonzept (ISEK) zu erarbeiten.<br />

Ackers versteht se<strong>in</strong> Konzept als „Choreographie für die<br />

Zukunft“, wobei an der Erarbeitung desselben die Öffentlichkeit<br />

auf diversen Ebenen mit Workshops und lokalen Arbeitsgruppen<br />

umfassend beteiligt werden soll. Die beiden wichtigsten<br />

Punkte dieses Drehbuchs s<strong>in</strong>d zum e<strong>in</strong>en, die Stellung Coburgs<br />

als Oberzentrum der Region zu stärken. Zum zweiten soll <strong>in</strong>nerhalb<br />

der Stadt die Rolle und Funktion der Stadtmitte als Wohn-<br />

und E<strong>in</strong>kaufsstandort gestärkt werden. „Ziel ist“, heißt es <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em Zwischenbericht zum ISEK, „die Gestaltung von vollständigen<br />

Lebenswelten, <strong>in</strong> denen Wohnen, Arbeiten, Freizeit und<br />

Versorgung enger aufe<strong>in</strong>ander bezogen werden“. Junge Bevölkerung<br />

soll gewonnen, die Familienfreundlichkeit durch Ausbau<br />

des Freizeit- und Sportangebots gefördert und Studenten, Senioren<br />

und Pendler an die Stadt gebunden werden. E<strong>in</strong>e konkrete<br />

Maßnahme <strong>in</strong> diesem Zusammenhang ist der Plan, das Itz-Ufer<br />

aufzuwerten und damit Coburg als Stadt am Ufer wieder erlebbar<br />

zu machen. Das „naturräumliche Band der Itz“ soll dabei<br />

mit der Aktivierung des Coburger Südens als Kongress- und<br />

Veranstaltungszentrum und e<strong>in</strong>em neuen Stadtviertel – das<br />

Band für Wissenschaft, Technik und Design auf dem Areal des<br />

ehemaligen Güterbahnhofs – verknüpft werden.<br />

Diese ISEK-Passagen lesen sich nachvollziehbar und logisch.<br />

Freilich, enthalten sie e<strong>in</strong>ige allgeme<strong>in</strong>e Formulierungen, die<br />

erst vor dem H<strong>in</strong>tergrund e<strong>in</strong>er ganzen Reihe von – Außenstehende<br />

verwirrenden – Ause<strong>in</strong>andersetzungen und Konflikten<br />

zu verstehen s<strong>in</strong>d, die Coburgs Kommunalpolitik und Stadtplanung<br />

seit gut e<strong>in</strong>em Jahrzehnt bestimmen und deren Ausgang<br />

darüber h<strong>in</strong>aus zum Redaktionsschluss völlig offen ist. E<strong>in</strong><br />

Streitpunkt ist zum Beispiel das Entwicklungsgebiet Lauterer<br />

Höhe an der Autobahn A 3, deren letztes Teilstück im September<br />

2008 übergeben wurde. Die Stadt plante dort Ende<br />

der 1990er Jahre e<strong>in</strong> 8.000 Quadratmeter großes E<strong>in</strong>kaufs-<br />

und Freizeitzentrum mit Veranstaltungsarena für über .000<br />

Personen, wodurch viele Geschäftsleute der Innenstadt e<strong>in</strong>e<br />

Abwanderung der Käufer an den Stadtrand befürchteten. In<br />

e<strong>in</strong>em Bürgerentscheid sprachen sich die Coburger mit äußerst<br />

knapper Mehrheit dagegen aus. Genehmigt wurden dennoch<br />

E<strong>in</strong>kaufs- und Fachmärkte mit <strong>in</strong>sgesamt 1 .000 Quadratmeter<br />

Verkaufsfläche – „ohne <strong>in</strong>nenstadtrelevantes Sortiment“.<br />

Zusätzlich plädieren nach wie vor kommunalpolitische Kräfte<br />

für e<strong>in</strong>e „Multifunktionshalle“ genannte Veranstaltungsarena<br />

<strong>in</strong> diesem Gebiet. Als Antwort auf die Pläne der Stadt auf der<br />

Lauterer Höhe präsentierten wirtschaftsnahe Kreise e<strong>in</strong> selbst<br />

entwickeltes „Neues Innenstadtkonzept“ (NIK). Ziel des NIK ist,<br />

Coburg als Kongressort attraktiver zu machen. Die Multifunktionshalle<br />

soll dazu statt auf der Lauterer Höhe auf dem <strong>in</strong>nenstadtnahen<br />

Schützenanger errichtet und das bestehende Kongresshaus<br />

Rosengarten ausgebaut werden. Die Sportstätten<br />

dagegen sollen <strong>in</strong> den Norden der Stadt verlegt werden. E<strong>in</strong>em<br />

Teil dieses Konzepts stimmten die Coburger per Bürgerentscheid<br />

im April 200 zu. Die Konsequenzen dieser Entscheidung<br />

s<strong>in</strong>d aber weiterh<strong>in</strong> umstritten. Die Stadt auf alle Fälle lobte<br />

im Oktober 200 e<strong>in</strong>en städtebaulichen Wettbewerb „Coburgs<br />

neuer Süden“ aus, dessen erster Preis – e<strong>in</strong> Entwurf der Weimarer<br />

Architekten Schettler & Wittenberg – laut Jury-Urteil<br />

„durch e<strong>in</strong>e hohe Prägnanz <strong>in</strong> der Anordnung der Funktionen,<br />

der räumlichen Gliederung und Ausformung“ besticht. Die NIK-<br />

Initiatoren allerd<strong>in</strong>gs zeigten sich darob öffentlichkeitswirksam<br />

enttäuscht, während die IHK die Stadtverwaltung mahnte, „nicht<br />

von den Überlegungen des Neuen Innenstadtkonzepts abzuweichen“.<br />

Über diese Ause<strong>in</strong>andersetzungen h<strong>in</strong>aus spielt das „Design-<br />

Cluster Coburg“ <strong>in</strong> allen Entwicklungsstrategien e<strong>in</strong>e wichtige<br />

Rolle. Von Licht- bis zu Produktdesign, von der Innenarchitektur<br />

bis zum ganzen Bereich des Planens und Bauens versuchen die<br />

2 3<br />

im ehemaligen Hofbräuhaus residierenden Institutionen und<br />

E<strong>in</strong>richtungen – vor allem die Designfakultät der Hochschule<br />

Coburg, die Designwerkstatt sowie das Coburger Designforum<br />

<strong>Oberfranken</strong> – den Aufbau e<strong>in</strong>er Designlandschaft <strong>in</strong> der Region<br />

zu fördern. Innovative und nachhaltige Gestaltung soll die Qualitätsentwicklung<br />

von Produkten der Unternehmen der Region<br />

fördern. Tradition und Ansätze s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> großem Umfang vorhanden.<br />

Er<strong>in</strong>nert sei an den erwähnten Premiumunterhaltungselektroniker<br />

Loewe <strong>in</strong> Kronach, an das vielfach preisgekrönte<br />

Rosenthalwerk mit se<strong>in</strong>en signifikanten Dachwaben, ebenfalls<br />

<strong>in</strong> Kronach, an das Innovationszentrum <strong>in</strong> der „Deutschen<br />

Korbstadt“ Lichtenfels, das <strong>in</strong> Kooperation mit den Coburger<br />

Innenarchitekten bereits e<strong>in</strong>e Ausstellung mit Leichtbau-Möbeln<br />

präsentieren konnte. Wer will, kann <strong>in</strong> diese Überlieferung<br />

auch Lukas Cranach, Sohn der Stadt Kronach, und den Erbauer<br />

der Basilika Vierzehnheiligen, Balthasar Neumann, e<strong>in</strong>beziehen:<br />

Beide waren nicht nur erfolgreiche Künstler und Gestalter,<br />

sondern auch clevere Geschäftsmänner und Unternehmer.<br />

Das Gebäude selbst, besagtes ehemaliges Hofbräuhaus, kann<br />

als Omen für die kommenden Aufgaben des Design-Clusters<br />

Coburg dienen. 18 entstanden, wurde der Brauereibetrieb,<br />

der <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en besten Zeiten etwa 130 Mitarbeiter beschäftigte,<br />

1982 e<strong>in</strong>gestellt. Danach stand der monumentale, durch e<strong>in</strong>en<br />

Mittelrisalit und zwei Außenrisalite gegliederte Bau an Coburgs<br />

Stadtachse, der B , vis-à-vis der Innenstadt leer. Im Februar<br />

1999 brach e<strong>in</strong> Brand aus, dem e<strong>in</strong> Großteil der historischen<br />

Substanz zum Opfer fiel. Doch statt das denkmalgeschützte<br />

Gebäude abzureißen, fand es nach Renovierung und Umbau<br />

neue Verwendung: Die Produktdesigner und Innenarchitekten<br />

der Hochschule zusammen mit der Designwerkstatt und der<br />

Firmenzentrale e<strong>in</strong>es Softwarehauses zogen e<strong>in</strong>. Damit konnte<br />

nicht nur e<strong>in</strong> Makel des weit abseits des Zentrums liegenden<br />

Hochschulcampus zum Teil behoben werden (die Fertigstellung<br />

e<strong>in</strong>es direkt angrenzenden Neubaus für Architekten und Bau<strong>in</strong>genieure<br />

ist für 2012 vorgesehen), sondern auch e<strong>in</strong> Zeichen<br />

gesetzt werden: So denn die Strategien des Coburger Stadtentwicklungskonzepts<br />

zur Stärkung der Innenstadt Erfolg haben<br />

sollen, ist e<strong>in</strong>e sensible Anpassung der Bestandes an aktuelle<br />

und künftige Bedürfnisse nötig. Das gilt nicht nur für die wunderbar<br />

erhaltene Altstadt Coburgs, das gilt auch für Kronach<br />

– bekannt auch als das oberfränkische Rothenburg –, das gilt<br />

für e<strong>in</strong>e ganze Reihe von historischen Kernen <strong>in</strong> den Geme<strong>in</strong>den<br />

und Kle<strong>in</strong>städten der Region. Alle<strong>in</strong> mit Sanierung und Renovierung,<br />

aber auch alle<strong>in</strong> mit Lichtevents, bei denen e<strong>in</strong>, zwei Wochen<br />

lang Straßen und Gassen des nächtens <strong>in</strong> bunten Farben<br />

erstrahlen, ist es nicht getan, sollen sich die Hoffnungen auf die<br />

Attraktivitätssteigerung von Stadt und Land erfüllen. Ebenso<br />

behutsame wie beherzte E<strong>in</strong>griffe s<strong>in</strong>d nötig, Achtung des Erbes<br />

wie der Mut zum Experiment, Verantwortung gegenüber der<br />

Geschichte und der Zukunft – unter Berücksichtigung der gestalterischen<br />

Qualität. E<strong>in</strong>e entsprechende Architekten<strong>in</strong>itiative<br />

zur Förderung auch der Baukultur hat sich im Sommer<br />

2008 gegründet (Kontakt: Oliver Lederer, Kastanienweg 18,<br />

9 0 Coburg, Tel.: 09 1/ 99 0). Wenn all das gel<strong>in</strong>gt, sollen<br />

die Coburger und die ihnen Naheliegenden weiter eigenwillig,<br />

selbstbewusst und selbstständig se<strong>in</strong>.


20<br />

hauptverwaltung der hABA-Firmengruppe<br />

Bad Rodach<br />

„Das Wort ‚sozial’ nehmen wir ernst! Sowohl bei den sozialen<br />

Leistungen für unsere Mitarbeiter als auch im Verhältnis zu unseren<br />

Partnern.“ Dies steht auf e<strong>in</strong>er Schautafel im E<strong>in</strong>gangsfoyer<br />

der HABA-Hauptverwaltung <strong>in</strong> Bad Rodach. Wenn sich<br />

der Besucher umschaut, man ihn <strong>in</strong> die Besprechungsräume,<br />

<strong>in</strong>s Cas<strong>in</strong>o führt oder vielleicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>es der Büros e<strong>in</strong>lässt, wird<br />

er feststellen, dass auch das Gebäude e<strong>in</strong>e soziale Leistung<br />

darstellt. Alle<strong>in</strong> die Raumlandschaft der die drei Büroflügel<br />

verb<strong>in</strong>denden Halle: drei Stockwerke hoch, hell, offen, lichtdurchflutet,<br />

mit grazilen Treppen und Stegen, e<strong>in</strong>em kantigen<br />

Empfangstresen, der e<strong>in</strong>er Pilotenkanzel gleicht, und dem gläsernen<br />

Aufzug. Ob Mitarbeiter oder Besucher, diese <strong>Architektur</strong><br />

gibt jedem, der die Halle betritt, e<strong>in</strong> erhebendes Gefühl und Luft<br />

zum Atmen.<br />

„Der Weg zum Erfolg führt über die Pflicht, Innovation zur<br />

ständigen Aufgabe zu machen.“ Auch dieses ist auf besagter<br />

Schautafel zu lesen. Das Gebäude ist mit energiesparenden<br />

Technologien ausgestattet, die dem aktuellsten Stand der<br />

(Öko-)Technik entsprechen: Nutzung von Erdwärme und -kühle<br />

zur Klimatisierung, Nutzung von Fernwärme (wobei nur Holzabfälle<br />

aus der eigenen Möbelproduktion verbrannt werden),<br />

Nutzung von Brauchwasser für sanitäre Anlagen. Wobei die<br />

Verwendung avancierter Haustechnik ansche<strong>in</strong>end zum Genius<br />

Loci gehört: Schon der „Brauhof“, der e<strong>in</strong>st an derselben Stelle<br />

stand, war e<strong>in</strong>st Bad Rodachs modernstes Haus, weil das erst<br />

als Gastwirtschaft, dann als Wohnhaus dienende Gebäude als<br />

erstes Haus des Städtchens se<strong>in</strong>e Bewohner mit fließendem<br />

Wasser versorgte.<br />

Noch e<strong>in</strong>mal die Schautafel: „Wir stellen uns der Verantwortung<br />

für unsere Umwelt.“ Neben besagter ressourcenschonender<br />

Technik kommt der nachwachsende Rohstoff Holz vielfältig zum<br />

E<strong>in</strong>satz: für die Möblierung, als Konstruktionsmaterial für die<br />

Pfosten-Riegel-Fassade, zur Schalldämpfung für Täfelungen<br />

oder als samtig-edler Bodenbelag (weiß pigmentierte Eiche).<br />

Andere Materialien wie der Sichtbeton oder der Muschelkalk<br />

wurden naturbelassen. Und die Kant<strong>in</strong>e, an die sich e<strong>in</strong>e Freiterrasse<br />

anschließt, öffnet sich mit raumhoher Verglasung zu<br />

e<strong>in</strong>em schilfbepflanzten, wild romantisch anmutenden Teich.<br />

Die Schautafel verkündet darüber h<strong>in</strong>aus, dass die Firmengruppe<br />

zum Standort Bad Rodach steht. Eigentlich überflüssig, denn<br />

wer Augen hat zu sehen, der bemerkt dies auch ohne erläuternden<br />

Text.<br />

Hauptverwaltung der HABA-Firmengruppe<br />

9 3 Bad Rodach, August-Grosch-Straße 1–3<br />

Fertigstellung: 200<br />

h a Gessert + Randecker Architekten, Stuttgart<br />

(Freianlagen: Thomas Gnäd<strong>in</strong>ger, S<strong>in</strong>gen, und Droll & Lauenste<strong>in</strong>,<br />

Coburg)


24<br />

umbau e<strong>in</strong>es wohnhauses <strong>in</strong> e<strong>in</strong> <strong>Architektur</strong>büro<br />

Grub am Forst<br />

<strong>Architektur</strong>büros f<strong>in</strong>det man <strong>in</strong> Verwaltungsbauten, <strong>in</strong> Fabriketagen,<br />

<strong>in</strong> Geschosswohnungen oder Souterra<strong>in</strong>s. Auch<br />

wenn der Computer schon längst Zirkel, L<strong>in</strong>eal und Reißbrett<br />

verdrängt, auch wenn sich durch die Digitalisierung der Planungsarbeit<br />

der Kapitale<strong>in</strong>satz erhöht hat, die räumlichen<br />

Anforderungen des Entwerfens und Planens s<strong>in</strong>d erstaunlich<br />

ger<strong>in</strong>g und vom baulichen Rahmen unabhängig. Und doch ist<br />

e<strong>in</strong> <strong>Architektur</strong>büro im Häuschen der Großmutter sehr selten.<br />

Vor allem dann, wenn dieses Häuschen, <strong>in</strong> dessen sehr beengten<br />

Platzverhältnissen – wie im konkreten Fall – e<strong>in</strong>mal drei<br />

Generationen mite<strong>in</strong>ander lebten, e<strong>in</strong>e ebenso orig<strong>in</strong>elle wie<br />

ansprechende Umgestaltung erfahren hat, mith<strong>in</strong> e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es<br />

Schmuckstück daraus wurde.<br />

Das neue Ersche<strong>in</strong>ungsbild macht schon von Weitem auf die<br />

veränderte Nutzung aufmerksam: Fassade und Satteldach bis<br />

zum First ganz mit Lärchenholz verschalt – wobei die Lamellen<br />

ihre Richtung nicht ändern –, zusätzliche, reichlich ungewöhnliche<br />

Fensteröffnungen, die nicht e<strong>in</strong>er normalen Ordnung, sondern<br />

Sichtbedürfnissen aus den Innenräumen folgen, und e<strong>in</strong><br />

Betonband, das zuerst als Namensschild und Briefkasten dient,<br />

dann zum Bodenbelag wird, aus dem sich e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>gangstreppe<br />

faltet, die schließlich zum Vordach und W<strong>in</strong>dschutz wird. Das<br />

s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>fache, dennoch sehr wirkungsvolle Mittel, die Eleganz<br />

und Raff<strong>in</strong>esse ausstrahlen und ästhetische Kompetenz bezeugen.<br />

Die Kubatur des Siedlungshauses aus den 19 0er Jahren<br />

blieb jedoch unverändert.<br />

Auch im Inneren, <strong>in</strong> dem das Abbrechen von drei Wänden und<br />

e<strong>in</strong>er halben Decke neue Großzügigkeit schuf, Sanitär<strong>in</strong>stallationen<br />

und Bodenbeläge erneuert wurden und das Interieur<br />

aktuellen Komfort- und Repräsentationswünschen angepasst<br />

wurde, blieb der Umbau trotz aller Veränderung sehr behutsam.<br />

Vertiefungen, wie man sie aus der Bauforschung kennt,<br />

wirken wie Gemälde, zeigen die ursprünglichen Farben von<br />

Wänden und Leisten und bewahren so die Er<strong>in</strong>nerung an die<br />

e<strong>in</strong>stige Anmutung von Omas Häuschen.<br />

Umbau e<strong>in</strong>es Wohnhauses <strong>in</strong> e<strong>in</strong> <strong>Architektur</strong>büro<br />

9 2 1 Grub am Forst, R<strong>in</strong>gstraße 21<br />

Fertigstellung: 200<br />

<strong>Architektur</strong>büro [lu:p], Renee Lorenz, Grub am Forst<br />

Auszeichnungen:<br />

VELUX Architekten-Wettbewerb 0 : Tageslicht Konzepte, Nom<strong>in</strong>ierung.<br />

Leserwahl, Zeitschrift „house and more“, „Lösungen mit Tageslicht“<br />

2008, . Platz<br />

Literatur:<br />

Baunetz, Wissen Altbaumodernisierung: Ungewöhnlicher Umgang mit<br />

Bausubstanz aus den 0er Jahren, 18.03.2008.<br />

<strong>Enrico</strong> <strong>Santifaller</strong>: E<strong>in</strong> <strong>Architektur</strong>büro <strong>in</strong> Omas Häuschen, <strong>in</strong>:<br />

Deutsche Bauzeitschrift DBZ, 8/2008.


„chAnce Für neue QuAlität“<br />

stadtumbau west <strong>in</strong> oberfranken<br />

Der Name „Selb“ stand nicht auf dem Titel, aber e<strong>in</strong> Blick <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>e mögliche Zukunft der Stadt: e<strong>in</strong> geräumiger, dennoch geschützter<br />

Platz <strong>in</strong>mitten e<strong>in</strong>er sanft geschwungenen Grünanlage<br />

mit Blumen- und Sträucherrabatten, mit Zier- und Gemüsegärten,<br />

e<strong>in</strong>er haushohen Rutschbahn mit vielen W<strong>in</strong>dungen<br />

und vielen Menschen, die beisammen stehen, sich unterhalten,<br />

sich erholen. Gefasst ist dieser Platz mit ebenfalls haushohen,<br />

relativ schmalen Anbaumodulen, mit denen die dah<strong>in</strong>ter stehenden<br />

Häuser nach dem Bedürfnis ihrer Bewohner erweitert<br />

werden. Diese Zeichnung zierte die Titelseite der renommierten<br />

spanischen <strong>Architektur</strong>zeitschrift „av proyectos“, welche den<br />

Vorschlag des spanischen Architektenteams gutierrez-delafuente<br />

arquitectos aus Madrid für den Europan-Wettbewerb<br />

zu Selb vorstellte. Die Jury, die diesen Entwurf mit dem ersten<br />

Preis auszeichnete, attestierte ihm „städtebaulichen und konzeptuellen<br />

Charme“. Auch die nicht m<strong>in</strong>der renommierte deutsche<br />

<strong>Architektur</strong>zeitschrift „Bauwelt“ lobte den Entwurf – etwa<br />

jene Module, mit denen der Gebäudebestand „altersgerecht und<br />

barrierefrei“ umgenutzt und E<strong>in</strong>richtungen für Senioren <strong>in</strong>tegriert<br />

werden können. Dass Selb mit <strong>in</strong>teressanter <strong>Architektur</strong><br />

Schlagzeilen macht, ist nichts Neues. Wie an anderer Stelle<br />

erläutert, haben <strong>in</strong> den „goldenen Jahren“ der Porzellanstadt<br />

Größen wie Gropius, Uecker, Morand<strong>in</strong>i und Hundertwasser<br />

baukünstlerische Akzente gesetzt. Neu ist freilich, dass die<br />

architektonischen und städtebaulichen Geschehnisse <strong>in</strong> Selb<br />

selbst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Krise auf nationale und <strong>in</strong>ternationale Resonanz<br />

stoßen.<br />

Selb ist die Pilotstadt für den „Stadtumbau West“ <strong>in</strong> Bayern. Die<br />

Stadt steht exemplarisch für die Anpassungs- und Stadtentwicklungsprozesse,<br />

die alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> Bayern Städte und Marktgeme<strong>in</strong>den<br />

betreffen (Stand: Oktober 2008). In <strong>Oberfranken</strong><br />

s<strong>in</strong>d es 2 Kommunen, die Stadtumbau-Maßnahmen e<strong>in</strong>geleitet<br />

haben, davon 1 <strong>in</strong> Hochfranken. Strukturwandel, demografischer<br />

Wandel, Konversion von Bahn- und militärischen Liegenschaften<br />

stellen Städte vor erhebliche Probleme. Nachdem<br />

die Bundesregierung 2002 das Programm „Stadtumbau Ost“<br />

ausgerufen hatte, folgte zwei Jahre später das Bund-Länder-<br />

Programm „Stadtumbau West“. 2 bayerische Kommunen<br />

wurden bis e<strong>in</strong>schließlich des Jahres 2008 mit <strong>in</strong>sgesamt 8,<br />

Millionen Euro unterstützt, wobei die Mittel vom Bund, Land<br />

Bayern sowie von der Europäischen Union kamen. Das kl<strong>in</strong>gt<br />

viel, e<strong>in</strong> Vergleich hilft aber diese Summe e<strong>in</strong>zuschätzen: Die<br />

Kosten für den geplanten Neubau der Europäischen Zentralbank,<br />

e<strong>in</strong> rund 180 Meter hoher Büroturm <strong>in</strong> Frankfurt, werden<br />

von seriösen Zeitungen auf rund 0 bis 8 0 Millionen Euro<br />

geschätzt. Die oberfränkischen Kommunen wurden von 200<br />

bis 2008 mit <strong>in</strong>sgesamt 1 , Millionen Euro unterstützt, die<br />

Stadt Selb erhielt darüber h<strong>in</strong>aus weitere zwei Millionen Euro<br />

an Zuschuss, weil sie als e<strong>in</strong>e von 1 Pilotstädten <strong>in</strong> das Forschungsvorhaben<br />

„Stadtumbau West“ des Bundesm<strong>in</strong>isteriums<br />

für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung e<strong>in</strong>gebunden war. Die<br />

Regierung von <strong>Oberfranken</strong> bewilligt nicht nur die Fördermittel,<br />

sondern sie unterstützt die Städte und Geme<strong>in</strong>den bei der<br />

Entwicklung neuer Perspektiven und begleitet sie auf dem Weg<br />

der Erneuerung h<strong>in</strong> zu mehr örtlicher Attraktivität und Lebensqualität.<br />

Dennoch, bei den im Vergleich doch bescheidenen Beträgen ist<br />

der Stadtumbau für die e<strong>in</strong>zelnen Kommunen e<strong>in</strong>e ungeheure<br />

Aufgabe. Selbitz im Landkreis Hof zum Beispiel hatte von 1990<br />

bis 2003 e<strong>in</strong>en Verlust von e<strong>in</strong>em Drittel der sozialversicherungspflichtigen<br />

Beschäftigten zu verkraften. Der Umbau der<br />

. 00-E<strong>in</strong>wohner-Stadt konzentriert sich auf die Revitalisierung<br />

von alt<strong>in</strong>dustriellen Gewerbeflächen <strong>in</strong> Altstadtnähe. Die<br />

Beschäftigtenzahl <strong>in</strong> der 3. 00-Seelen-Kommune Kirchenlamitz<br />

im Landkreis Wunsiedel g<strong>in</strong>g im selben Zeitraum sogar um zwei<br />

Drittel zurück. Auch hier sollen Industriebrachen e<strong>in</strong>e neue<br />

Nutzung f<strong>in</strong>den und öffentliche Räume aufgewertet werden.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus wurde e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>terkommunale Zusammenarbeit<br />

mit Schwarzenbach an der Saale (Beschäftigtenverlust 2 Prozent)<br />

e<strong>in</strong>geleitet: Maßnahmen und Projekte sollen geme<strong>in</strong>sam<br />

entwickelt oder aufe<strong>in</strong>ander abgestimmt werden.<br />

Die spanische <strong>Architektur</strong>zeitschrift „av proyectos“ veröffentlichte im<br />

Sommer 200 auf ihrem Titelblatt e<strong>in</strong>en Plan, der die mögliche Zukunft<br />

der Stadt Selb zeigt.<br />

Auch die Stadt Teuschnitz, Landkreis Kronach, will mit den<br />

Nachbarkommunen Ste<strong>in</strong>bach am Wald, Tettau, Ludwigsstadt,<br />

Reichenbach und Tschirn zusammenarbeiten. Teuschnitz,<br />

ebenfalls großen Strukturproblemen ausgesetzt, hatte alle<strong>in</strong><br />

<strong>in</strong> den fünf Jahren zwischen 1999 und 200 e<strong>in</strong>en Rückgang der<br />

Beschäftigtenzahl um 0 Prozent zu verkraften. In der „ARGE<br />

Rennsteig“, wie die <strong>in</strong>terkommunale Kooperation heißt, soll e<strong>in</strong><br />

geme<strong>in</strong>sames Entwicklungskonzept erarbeitet werden. Zwar<br />

wird <strong>in</strong> Bayern der Schwerpunkt des Stadtumbau-Programms<br />

auf den ländlichen Raum gelegt, doch auch <strong>in</strong> größeren Städten<br />

wie Bamberg (ERBA-Gelände) und Bayreuth (Röhrenseekaserne,<br />

Markgrafenkaserne) gibt es Gebiete, die e<strong>in</strong>er dr<strong>in</strong>genden<br />

Neuordnung harren.<br />

Die Oberste Baubehörde im Bayerischen Staatsm<strong>in</strong>isterium des<br />

Innern versteht den Stadtumbau als „Chance für neue Qualität“.<br />

So lautete auch der Titel e<strong>in</strong>er Fachtagung im Oktober 200 , auf<br />

der e<strong>in</strong>e Zwischenbilanz des Förderprogramms gezogen wurde.<br />

Die Referenten erläuterten, wie brachgefallene oder erneuerungsbedürftige<br />

Flächen und Gebäude zu e<strong>in</strong>er strategischen<br />

Aufwertung des Lebens- und Wirtschaftsstandortes Stadt genutzt<br />

werden können. Mit mehr Grün, attraktiven öffentlichen<br />

Räumen und der Verbesserung der Nutzungsvielfalt könnte die<br />

Lebensqualität <strong>in</strong> den Städten, vor allem ihren Kernen erhöht<br />

werden. Die notwendigen Schrumpfungsprozesse sollen dabei<br />

nicht als unvermeidliche Zumutung, sondern als Möglichkeit,<br />

die Potenziale der Stadt zu wecken, verstanden werden. Partnerschaftliches<br />

Handeln, e<strong>in</strong>e umfassende Bürgerbeteiligung<br />

sowie die Weiterentwicklung der Identität des Ortes, das war<br />

die Me<strong>in</strong>ung der Tagungsbesucher, stellen wesentliche Erfolgsfaktoren<br />

dar. Die wichtigste Erkenntnis dieser Konferenz<br />

freilich war, dass der Stadtumbau-Prozess ganzheitlich gesehen<br />

werden muss. Lediglich architektonisch-städtebauliche<br />

Maßnahmen würden ebenso zu kurz greifen wie e<strong>in</strong>e Ausrichtung<br />

auf re<strong>in</strong> soziale und wirtschaftliche Aspekte. Die Probleme<br />

– von der Altlastenbeseitigung über wohnungswirtschaftliche<br />

Belange bis zur Schulentwicklungsplanung, von der Konversion<br />

militärischer Flächen über Überalterung der Bürgerschaft bis<br />

zur Vernetzung von Kulture<strong>in</strong>richtungen – seien so komplex,<br />

dass nur e<strong>in</strong> <strong>in</strong>tegriertes, verschiedenste Bereiche berücksichtigendes<br />

Konzept Erfolg verspricht.<br />

Die Integrierten Stadtentwicklungskonzepte s<strong>in</strong>d deswegen<br />

Grundlage allen Stadtumbaus und der Förderung durch das<br />

Bund-Länderprogramm. In den von der Obersten Baubehörde<br />

herausgegebenen „H<strong>in</strong>weise(n) zur Programmdurchführung“<br />

heißt es dazu schlicht, aber deutlich: „Das städtebauliche Entwicklungskonzept<br />

(SEK) ist die konzeptionelle Grundlage des<br />

Stadtumbaus und wird für die Realisierung konkreter Maßnahmen<br />

vorausgesetzt.“ Die Planungen sollen über die schon<br />

genannten Aspekte h<strong>in</strong>aus für e<strong>in</strong>e Umlenkung der Investitionen<br />

auf städtebaulich e<strong>in</strong>gebundene Standorte sorgen, die Versorgung<br />

mit sozialer und technischer Infrastruktur sichern, Initiativen<br />

für mehr K<strong>in</strong>der- und Familienfreundlichkeit unterstützen<br />

und städtebauliche und architektonische Qualitäten erhalten<br />

und weiterentwickeln. Betrachtet man so e<strong>in</strong> Stadtentwicklungskonzept<br />

allerd<strong>in</strong>gs genauer, dann liest es sich nicht selten<br />

wie e<strong>in</strong> Katalog von Zumutungen. Wenn von „Renaturierung“,<br />

„Umwidmung“ oder „Rückbau“ beispielsweise gesprochen wird,<br />

ist meistens Abriss geme<strong>in</strong>t. Wie solcherart Abriss dennoch auf<br />

die Akzeptanz der Bevölkerung stoßen kann, zeigt e<strong>in</strong> Beispiel<br />

aus Selb. Am Buchwalder Weg am südöstlichen Stadtrand wurde<br />

e<strong>in</strong> sanierungsbedürftiges Wohngebäude abgebrochen. Die<br />

anderen Wohngebäude aber ließ man nicht nur modernisieren,<br />

sondern mit Balkonen, Vordächern, Mietergärten und e<strong>in</strong>er<br />

Verbesserung des Wohnumfeldes aufwerten. Darüber h<strong>in</strong>aus<br />

wurden die Gebäude mit e<strong>in</strong>er effektiven Wärmedämmung<br />

versehen. Auch im Stadtteil Vorwerk wurden 2 Wohne<strong>in</strong>heiten<br />

abgerissen, 2 andere dagegen saniert. Zusätzlich wurde e<strong>in</strong><br />

lange leer stehendes Gebäude zu e<strong>in</strong>em barrierefreien und<br />

auch gestalterisch deutlich aufgewerteten Pflegestützpunkt<br />

umgebaut. Dieser Stützpunkt, der <strong>in</strong> e<strong>in</strong> gesamtstädtisches<br />

Gesundheits- und Pflegenetzwerk e<strong>in</strong>gebunden ist, betreut<br />

82 83<br />

Demenzkranke, bietet diverse Gruppen für Senioren und nimmt<br />

sich auch der Angehörigen an.<br />

Dass der Stadtumbau <strong>in</strong> Selb als Chance für neue Qualität verstanden<br />

wird, dokumentiert e<strong>in</strong> weiteres Beispiel. Am Rand der<br />

historischen Altstadt lag die Brachfläche der ehemaligen Brauerei<br />

Rauh & Ploß, für die man jahrelang vergeblich e<strong>in</strong>e neue<br />

Nutzung suchte. Um für den Stadtumbau Akzeptanz zu wecken,<br />

schlug die Stadt e<strong>in</strong>e Zwischennutzung vor und rief die Bürger<br />

zu e<strong>in</strong>em Ideenwettbewerb für die Gestaltung des Areals auf.<br />

E<strong>in</strong>e Fachjury bewertete 22 Arbeiten und vergab drei Preise. Die<br />

Vorschläge wurden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Bürgerversammlung vorgestellt<br />

und dann von den Architekten Peter Kuchenreuther, Gerhart<br />

Plaß und der Landschaftsarchitekt<strong>in</strong> Gisela Fank <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en<br />

schlüssigen Entwurf umgesetzt. Das Ergebnis kann sich sehen<br />

lassen: E<strong>in</strong>e hochwertige, zum Teil terrassierte und mit Treppen<br />

verbundene Grünfläche ist entstanden, die von Solitärbäumen<br />

gerahmt wird. An zentraler Stelle wurde e<strong>in</strong> von Sitzmöglichkeiten<br />

umgebenes Schachfeld mit Kacheln realisiert, wobei<br />

dessen Kosten Sponsoren übernahmen, die <strong>in</strong>nerhalb von zehn<br />

Tagen gefunden werden konnten. Auch die Gabionen, welche die<br />

Blumenbeete fassen, wurden von den Bürgern gefüllt – verwendet<br />

wurden dazu ehemalige Gipsformen aus der Porzellan<strong>in</strong>dustrie.<br />

Den nördlichen Bereich besetzt e<strong>in</strong>e Mehrzweckfläche,<br />

die für Märkte, e<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>imesse oder zum Boulespiel genutzt<br />

werden kann.<br />

Diese, von den E<strong>in</strong>wohnern Selbs „Bürgerpark“ genannte, im<br />

Oktober 200 feierlich übergebene Grünfläche erfüllte über<br />

das Umwidmen e<strong>in</strong>er von Bretterzäunen umgebenen Baugrube<br />

h<strong>in</strong>aus weitere Funktionen: Das offiziell „Impulsprojekt“ genannte<br />

Vorhaben und die zahlreichen Aktionen, diese Brache<br />

zu gestalten, verschafften dem Stadtumbauprozess e<strong>in</strong>e große<br />

Öffentlichkeit. Diese Öffentlichkeit und der Aufruf, etwas für<br />

die Gestaltung der Stadt zu tun, führte wiederum zu e<strong>in</strong>em<br />

tatkräftigen Engagement der Bürger. Sponsoren und ehrenamtliche<br />

Tätigkeit konnten damit auch für andere Projekte<br />

gewonnen werden. Insgesamt wurde die Lähmung, die die<br />

Stadt angesichts immer drastischerer E<strong>in</strong>wohner- und Arbeitsplatzverluste<br />

befallen hatte, überwunden und e<strong>in</strong> neuer Geme<strong>in</strong>schaftsgeist<br />

geweckt. Im H<strong>in</strong>blick auf den immens großen<br />

Kapitalbedarf, den der Stadtumbau benötigt, und den chronisch<br />

leeren Kassen der Kommunen ist Engagement der Bürgerschaften<br />

und der Privatwirtschaft notwendiger denn je. Freilich,<br />

das Engagement von Grundstücks- und Gebäudeeigentümern,<br />

selbst <strong>in</strong>itiativ zu werden, lässt nach wie vor zu wünschen übrig.<br />

Immerh<strong>in</strong> gel<strong>in</strong>gt den vom Stadtumbau betroffenen Kommunen,<br />

Immobilien zu realistischen, sprich: zu deutlich ger<strong>in</strong>geren<br />

Preisen zu erwerben. Diese Grundstücke können dann im Rahmen<br />

des Stadtentwicklungskonzepts aktiviert werden. So wird<br />

<strong>in</strong> Selb derzeit e<strong>in</strong> neues Jugendzentrum und Jugendhotel geplant.<br />

Entwurfsverfasser ist jenes spanische Architektenteam,<br />

das den e<strong>in</strong>gangs erwähnten Europan-Wettbewerb gewonnen<br />

hatte.


Im Fichtelgebirge


egion BAyreuth und KulMBAch<br />

wo das wähnen kurzzeitig Frieden f<strong>in</strong>det<br />

Bayreuth, Kulmbach: Markgräflicher Mut und wagners wille<br />

zur Kunst<br />

„Vier Wochen lang“, schrieb der Literat Gerhard Schönemann,<br />

„er<strong>in</strong>nert die Welt Bayreuth daran, dass es Bayreuth ist“. Vier<br />

Wochen, <strong>in</strong> denen sich die oberfränkische Regierungshauptstadt<br />

zur Weltstadt auf Zeit verwandelt: Promi-Schaulaufen,<br />

Luxuslimous<strong>in</strong>en-Paraden, Wagner allgegenwärtig, ausgebuchte<br />

Hotels <strong>in</strong> der ganzen Region, schließlich die Geschehnisse<br />

und Begebenheiten auf jenem Hügel, auf dem sich, obschon<br />

er so heißt, nicht immer alle grün s<strong>in</strong>d. Nun mag man all<br />

das nicht unbed<strong>in</strong>gt als Ausweis von Weltläufigkeit halten. Und<br />

Public View<strong>in</strong>g, das Rudelgucken e<strong>in</strong>es auf e<strong>in</strong>e überlebensgroße<br />

Le<strong>in</strong>wand projizierten Events, das im Sommer 2008 für<br />

die Festspiel<strong>in</strong>szenierungen auf dem Volksfestplatz erstmalig<br />

<strong>in</strong> Bayreuth stattfand, hat mittlerweile <strong>in</strong> jedes größere Dorf<br />

E<strong>in</strong>zug gehalten. Doch diese vier Wochen def<strong>in</strong>ieren <strong>in</strong> Bayreuth<br />

e<strong>in</strong>e eigene Jahreszeit. Was Köln oder Ma<strong>in</strong>z der Karneval, ist<br />

Bayreuth die Festspielzeit. Und im Rest des Jahres geht man es<br />

gemächlicher an. Se<strong>in</strong>en „langersehnten Ruhesitz“ fand schon<br />

Richard Wagner <strong>in</strong> Bayreuth. „Wunderlich und still“ beschrieb<br />

bereits Voltaire die Stadt. Und die Markgräf<strong>in</strong> Wilhelm<strong>in</strong>e<br />

schrieb an ihren Bruder, den großen Fritz: „Wir führen hier e<strong>in</strong><br />

stilles Landleben.“ Wer heute wagt, auf dem verkehrsreichen<br />

Hohenzollernr<strong>in</strong>g um Bayreuths Innenstadt zu promenieren,<br />

der wird sich über den großen Sprung wundern, den Bayreuth<br />

von der lieblichen Landpomeranze zur regen Verwaltungs- und<br />

Universitätsstadt mit gut 0.000 E<strong>in</strong>wohnern machen musste.<br />

Und es waren die Markgrafen selbst, an der Spitze Wilhelm<strong>in</strong>e,<br />

die zu diesem Sprung angesetzt hatten.<br />

Der Aufstieg Bayreuths g<strong>in</strong>g auf Kosten Kulmbachs. Nachdem<br />

die Hohenzollern, aus Nürnberg kommend, sich zum Machthaber<br />

über diesen Teil Frankens aufschwangen, residierten sie<br />

über 2 0 Jahre lang auf der Plassenburg oberhalb Kulmbachs.<br />

Die Stadt, begünstigt durch ihre Verkehrslage, gedieh. Kaufleute<br />

und Händler machten gute Geschäfte, die Tuchmacher und<br />

Barchentweber, die Färber und Seidensticker expandierten die<br />

Produktion. Und früh, genauer von 13 9 an, zogen die Brauer<br />

e<strong>in</strong>, wobei sich der Malzgeruch bis <strong>in</strong>s späte 20. Jahrhundert<br />

hielt. Manch fleißig-gelehrter Kulmbacher wie etwa Friedrich<br />

Sesselmann brachte es sogar zum Kurfürstlichen Brandenburgischen<br />

Kanzler. Doch Kulmbachs Herrlichkeit währte nicht<br />

allzu lange. Bereits Markgraf Albrecht Alcibiades zog es 20<br />

Kilometer weiter nach Südosten, im Bundesständischen Krieg<br />

wurde er gestoppt. Se<strong>in</strong> späterer Nachfolger Christian verlegte<br />

die Residenz, kaum dass er 1 03 die Regentschaft angetreten,<br />

endgültig nach Bayreuth.<br />

Bis dah<strong>in</strong> war die Stadt e<strong>in</strong> immer wieder von Katastrophen<br />

gepe<strong>in</strong>igtes Kaff. Noch die aus Berl<strong>in</strong> gerade angekommene<br />

Wilhelm<strong>in</strong>e sieht allenthalben „Dorfbewohner“. Doch langsam<br />

beg<strong>in</strong>nt Bayreuth zu wachsen. Christian Ernst lässt neue<br />

Straßenzüge, Alleen, Gärten und Parks anlegen, und Erbpr<strong>in</strong>z<br />

Georg Wilhelm nach e<strong>in</strong>em barocken Idealplan St. Georgen.<br />

Danach regierte Georg Friedrich Karl, laut Auskunft se<strong>in</strong>er<br />

Schwiegertochter Wilhelm<strong>in</strong>e der „Trunksucht“ verfallen. Doch<br />

vom übermäßigen Alkoholgenuss ließ sich der Fürst <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Produktivität nicht h<strong>in</strong>dern. Auf ihn geht die Anlage der Friedrichstraße<br />

zurück, die bedeutsamste barocke Stadterweiterung<br />

Bayreuths. Ob der Straßenmarkt von St. Georgen mit se<strong>in</strong>en<br />

Typenhäusern, ob der sandste<strong>in</strong>erne Prospekt der Friedrichstraße<br />

mit ihren Palais, Wohnhäusern und öffentlichen Bauten,<br />

wer jene spezifisch preußische Mischung aus diszipl<strong>in</strong>iertem<br />

Barock und opulentem Klassizismus erleben möchte, braucht<br />

nicht extra nach Potsdam oder Berl<strong>in</strong> zu fahren. Diese trotz<br />

aller Pracht asketische Beschränkung auf e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>heitliches<br />

Material, auf wenige Farben, Dachformen und Höhenl<strong>in</strong>ien, auf<br />

ruhige Konturen und richtige Proportionen gibt Bayreuth etwas<br />

E<strong>in</strong>zigartiges und stellt e<strong>in</strong>en baulichen Gegenpol zum Barock<br />

der Dientzenhofers und Neumanns im Hochstift Bamberg dar.<br />

Weltläufiges <strong>in</strong>des brachte erst Wilhelm<strong>in</strong>e <strong>in</strong>s Oberfränkische.<br />

Erzogen, um e<strong>in</strong>mal König<strong>in</strong> von England zu werden, war sie<br />

sich mit ihrem Gatten Friedrich, der <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Jugend <strong>in</strong> Genf<br />

und Paris gewesen war, e<strong>in</strong>ig im Willen, Bayreuth zur modernen<br />

Residenz zu erheben. Das Neue Schloss mit Hofgarten und dem<br />

nussbaumgetäfelten Speisezimmer – der Illusion e<strong>in</strong>es Palmenha<strong>in</strong>s<br />

–, die Eremitage, das Markgräfliche Opernhaus s<strong>in</strong>d beider<br />

H<strong>in</strong>terlassenschaften, dazu später noch Schloss Fantaisie,<br />

das ihre Tochter Pr<strong>in</strong>zess<strong>in</strong> Friederike vollenden sollte.<br />

Carl Wölfel, Richard Wagner, Wilhelm Neumann:<br />

Villa Wahnfried, Bayreuth, 18 2-18<br />

Gäbe es Wagner ohne das Markgräfliche Opernhaus <strong>in</strong><br />

Bayreuth? Der prächtige, aber <strong>in</strong>time Bau war schlicht zu kle<strong>in</strong><br />

für Wagners hochfahrend-titanische Pläne. Nun, da nach Stationen<br />

<strong>in</strong> halb Europa das Wähnen des Musikdramatikers Frieden<br />

fand, baute er se<strong>in</strong>en hölzernen Tempel der Kunst <strong>in</strong> Bayreuth<br />

(von Freund Semper hatte er gehört, dass Palladio Holz für das<br />

Teatro Olimpico <strong>in</strong> Vicenza verwendete). Anders als Wilhelm<strong>in</strong>e,<br />

die Voltaire aus Paris holen ließ, weil sie an der prov<strong>in</strong>ziellen<br />

Beschränktheit Bayreuths verzweifelte, baute Wagner <strong>in</strong> der<br />

Prov<strong>in</strong>z e<strong>in</strong>e Gegenwirklichkeit zur verderbten Mammon-Welt,<br />

zur Großbourgeoisie, zur Industrialisierung und zum Kapitalismus<br />

– all das, worunter er im verhassten Paris litt. Wagner<br />

kaufte das Grundstück auf dem Grünen Hügel mit Geld, das er<br />

nicht hatte. Genauso geschah’s bei der Villa Wahnfried am Rande<br />

des Hofgartens. Die Büste Ludwigs II., die die Villa-Zufahrt<br />

ziert, ist Geste des Dankes an den Gönner, der e<strong>in</strong>mal mehr<br />

se<strong>in</strong> Portemonnaie öffnete. Als dann am 22. Mai 18 2 feierlich<br />

der Grundste<strong>in</strong> gelegt wurde, bedeutete es dem Teilnehmer<br />

Friedrich Nietzsche „die erste Weltumsegelung im Reiche der<br />

Kunst“. Die ersten Festspiele im Jahre 18 waren e<strong>in</strong> Ereignis.<br />

Wilhelm I., der deutsche Kaiser, war <strong>in</strong> die ehemalige Hohenzollernstadt<br />

gereist, um an der Spitze der Fürstlichkeiten den<br />

Grünen Hügel h<strong>in</strong>auf zu wallfahren. Doch vom Taumel der Premiere<br />

erwacht, zeigte Wagner sich enttäuscht, blieb doch die<br />

Festspielkasse nicht nur leer, sondern verzeichnete e<strong>in</strong> sagenhaftes<br />

Defizit von knapp 100.000 Mark. Wagner hatte genug<br />

– von Bayreuth, von Bayern, vom Deutschen Reich – und wollte<br />

nach Nordamerika auswandern, bis ihm erneut die königlichbayerische<br />

Geldbörse aus der Patsche half, woraufh<strong>in</strong> die Festspiele<br />

erst e<strong>in</strong>mal gesichert waren.<br />

Und während Wagner zwischen Euphorie und Depression oszillierte,<br />

veränderte sich Bayreuth. Die Industrialisierung und<br />

die Moderne hielten E<strong>in</strong>zug, verspätet zwar, aber immerh<strong>in</strong>.<br />

Manche ihrer baulichen Erzeugnisse s<strong>in</strong>d auch heute noch zu<br />

sehen: die alte Sp<strong>in</strong>nerei zum Beispiel, die Anfang des 21. Jahrhunderts<br />

e<strong>in</strong>e Wiedergeburt – freilich mit anderen Nutzungen<br />

– fand, oder die Maisel-Brauerei – bezeichnenderweise an der<br />

Kulmbacher Straße – oder die gründerzeitlichen Prachtbauten<br />

wie das Justizgebäude, der Wölfelblock oder die königliche Lehrerbildungsanstalt,<br />

die wie e<strong>in</strong> R<strong>in</strong>g die Innenstadt umschließen.<br />

Die Stadt wuchs unaufhaltsam <strong>in</strong>s Land, <strong>in</strong>tegrierte oder<br />

verdrängte dörfliche Strukturen. Nach dem unwürdigen, am<br />

Ende zerstörerischen Zwischenspiel als Hauptstadt des Gaus<br />

„Bayerische Ostmark“ im 1000-jährigen Reich folgte 19 der<br />

demokratische Neubeg<strong>in</strong>n – freilich nicht <strong>in</strong> der Mitte Deutschlands<br />

wie zu Richard Wagners Zeiten, sondern an der Peripherie.<br />

Und bevor auch der Grüne Hügel mit den Enkelbrüdern<br />

Wolfgang und Wieland wieder zu Festspielwochen lud, fanden<br />

hier, im Tempel deutscher Kunst, Varietéveranstaltungen statt,<br />

was die schnell sich wieder vergrößernde Wagnergeme<strong>in</strong>de als<br />

Entweihung registrierte.<br />

Dem Wiederaufbau nach dem Krieg folgte der Abbruch alter<br />

Bausubstanz. Die verkehrsgerechte Stadt, die Auflösung<br />

alter E<strong>in</strong>zelhandelsstrukturen verlangten Opfer. Für das Gebäude<br />

des Hertie-Kaufhauses <strong>in</strong> der Maxstraße wurden drei<br />

historische Häuser abgerissen, für das C&A-Gebäude <strong>in</strong> der<br />

Richard-Wagner-Straße ebenfalls. Prom<strong>in</strong>entestes Beispiel<br />

8 8<br />

für den Fortschrittsglauben der 19 0er Jahre ist das hoch<br />

auffahrende Neue Rathaus, das bald schon wieder ganz alt<br />

aussah und mit viel Geld renoviert werden musste. Trotz se<strong>in</strong>er<br />

Randlage blieben die diversen Städtebaupolitiken auch <strong>in</strong><br />

Bayreuth nicht folgenlos: Funktionalismus, Stadterweiterung,<br />

Suburbanisierung, Stadterneuerung, Stadtsanierung. Die Entscheidung<br />

des Bayerischen Landtags 19 1, die Stadt zu e<strong>in</strong>em<br />

Universitätsstandort auszubauen, gab Bayreuth neue Dynamik,<br />

die bis heute anhält. Freilich, die Atmosphäre e<strong>in</strong>er klassischen<br />

Universitätsstadt kann der Campus <strong>in</strong> Bayreuths Südosten trotz<br />

renommierter Forscher und mittlerweile 10.000 Studenten<br />

nicht vermitteln. Und doch, <strong>in</strong> der Sophienstraße und den anschließenden<br />

Gassen lebt e<strong>in</strong>e neue Urbanität auf, die Bayreuth<br />

bis dah<strong>in</strong> noch nicht kannte.<br />

Konsequenzen, die bis heute anhalten, zog der Bau des Rotma<strong>in</strong>-Centers<br />

westlich der Innenstadt 199 nach sich. 1 .000<br />

Quadratmeter Verkaufsfläche und 0 Wohnungen genehmigte<br />

der Bayreuther Stadtrat, 20.000 Quadratmeter und sieben Wohnungen<br />

wurden es – e<strong>in</strong>e Vergrößerung der Bayreuther E<strong>in</strong>zelhandelsfläche<br />

um e<strong>in</strong> Drittel. Und nicht nur das: Den durch<br />

das E<strong>in</strong>kaufszentrum, das nun alle hochwertigen Geschäfte<br />

beherbergt, bed<strong>in</strong>gten Funktionsverlust der Innenstadt kann<br />

sie auf Dauer nicht kompensieren. Und das trotz aller architektonischen<br />

Versuche – wie etwa der aufgeregt kommentierte,<br />

letztlich folgenlose Wettbewerb um das Stadthaus. Während die<br />

Marktstraße, durch e<strong>in</strong>e Brücke an das RMC angeschlossen,<br />

durch Gastronomie e<strong>in</strong>en teilweise zufriedenstellenden Ersatz<br />

gefunden hat, ist die Richard-Wagner-Straße als E<strong>in</strong>kaufsstraße<br />

nicht zu retten. Der im Sommer vorgelegte Entwurf für e<strong>in</strong><br />

Integriertes Stadtentwicklungskonzept sucht deshalb nach<br />

neuen Wegen.<br />

E<strong>in</strong> Integriertes Stadtentwicklungskonzept wurde im Sommer<br />

2008 auch für Kulmbach erarbeitet. So verschieden die Entwicklung<br />

beider Städte, so sehr gleichen sich die aktuellen<br />

Probleme. Was das RMC für Bayreuth ist, stellt das Fritz für die<br />

Gewerbe- und Industriestadt Kulmbach dar. Brachen alter Industrieanlagen<br />

müssen revitalisiert werden, die Innenstadt ist<br />

von e<strong>in</strong>em hohen Leerstand geprägt, überflüssige Verkaufsflächen<br />

suchen nach neuer Nutzung. Auch die Lösungen gleichen<br />

sich hier wie dort. Verknüpfungen etwa der Kunst- und Kulturstätten<br />

werden gesucht: Was <strong>in</strong> Kulmbach der Bier-und Museumsweg<br />

ist, ist <strong>in</strong> Bayreuth der Versuch, die alten Chausseen<br />

wieder aufleben zu lassen und die Markgräflichen Schlösser zu<br />

verb<strong>in</strong>den. Und die <strong>Architektur</strong>, zeitgenössische, <strong>in</strong> die Zukunft<br />

weisende und dabei das Alte modernisierende wird wieder beschworen.<br />

Man sollte vom Mut der Markgrafen lernen und von<br />

Wagners Wille zur Kunst. Auch über die vier Wochen h<strong>in</strong>aus.


34<br />

evangelischer K<strong>in</strong>dergarten<br />

Bayreuth-Saas<br />

„As soon as you’re born, they make you feel small“, heißt es <strong>in</strong><br />

John Lennons Lied “Work<strong>in</strong>g Class Hero”. Auch K<strong>in</strong>dergärten<br />

machen mit verme<strong>in</strong>tlich k<strong>in</strong>dgerechter Gestaltung die Kle<strong>in</strong>en<br />

erst richtig kle<strong>in</strong>, weil sie deren Drang, groß zu werden, unterschätzen.<br />

Moderne Pädagogik fordert, gestützt auf Erkenntnisse<br />

der Hirnforschung, nicht pastellfarbene Förmchen, Türmchen<br />

und W<strong>in</strong>kelchen, sondern vielfältige Angebote, die K<strong>in</strong>der<br />

bei der Entwicklung eigener Themen begleiten. Nicht nostalgische<br />

Projektionen Erwachsener, sondern s<strong>in</strong>nliche – ästhetische<br />

wie körperliche – Offerten, die K<strong>in</strong>der bei der Ausbildung<br />

ihrer sprachlichen, mathematischen und kreativen Kompetenzen<br />

unterstützen und dabei so flexibel s<strong>in</strong>d, dass K<strong>in</strong>der ihre<br />

Welt selbstständig erobern können. In dieser H<strong>in</strong>sicht ist der<br />

K<strong>in</strong>dergarten im Bayreuther Stadtteil Saas e<strong>in</strong> Musterexemplar.<br />

In der als Wohngebiet zunehmend beliebten Saas wurde die<br />

bestehende E<strong>in</strong>richtung zu kle<strong>in</strong>. Beim Wettbewerb für e<strong>in</strong>en<br />

Erweiterungsbau konnte sich das <strong>Architektur</strong>büro Hauck +<br />

Steger mit e<strong>in</strong>em Entwurf durchsetzen, dessen Leitmotiv<br />

„Spielen und Lernen unterm Blätterdach“ lautete: e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>geschossiger<br />

Baukörper aus Holz, der, im rechten W<strong>in</strong>kel zum<br />

Altbau gelegen, sich mit durchgehender Fensterfront zum mit<br />

großkroni-gen Laubbäumen bewachsenen Garten öffnet. Das<br />

realisierte Gebäude, das die topografischen Bed<strong>in</strong>gungen – e<strong>in</strong><br />

Höhenrücken mit verschieden abfallendem Gelände – auch im<br />

Inneren geschickt nützt, wird dem Versprechen, das im Wettbewerb<br />

gegeben wurde, gerecht: Gruppen- und Betreuungsräume<br />

s<strong>in</strong>d konsequent zum Garten gerichtet. E<strong>in</strong>e großzügige Loggia<br />

und breite Treppen lassen e<strong>in</strong>e nicht nur optische Verb<strong>in</strong>dung<br />

<strong>in</strong>s Grün zu.<br />

Es s<strong>in</strong>d die Details, die diesen K<strong>in</strong>dergarten zu e<strong>in</strong>em sowohl<br />

spielerisch als auch ästhetisch spannenden Erlebnis machen:<br />

die weiß gelackten Küchenelemente, die von zwei Seiten benutzt,<br />

aber auch bündig zusammengeklappt werden können,<br />

der Flur, der sich weitet, zusammenzieht und wieder weitet,<br />

die schicken Waschtische <strong>in</strong> den Bädern, die boden- und deckengleichen<br />

Verglasungen und die Oberlichter, die Podeste,<br />

die zugleich als Wandschrank, Höhle und Rutschbahn funktionieren,<br />

der weite Dachüberstand, der zusammen mit dem<br />

Laub allzu große Sonnene<strong>in</strong>strahlung verh<strong>in</strong>dert. Konzept und<br />

Ausführung, Funktion, Präzision und Eleganz greifen <strong>in</strong>e<strong>in</strong>ander<br />

und gehen <strong>in</strong> dem lichtdurchfluteten Gebäude e<strong>in</strong>e perfekte<br />

Verknüpfung e<strong>in</strong>. Sie f<strong>in</strong>det bei den K<strong>in</strong>dern – übrigens auch bei<br />

Erziehern und Eltern – äußerst positive Resonanz.<br />

K<strong>in</strong>dergarten<br />

9 Bayreuth, Erikaweg 38 (Stadtteil Saas)<br />

Fertigstellung: 200<br />

Hauck + Steger <strong>Architektur</strong>, Bruno Hauck, Bayreuth<br />

102


Petersgrad, Joditz


egion hoF und wunsiedel<br />

das pr<strong>in</strong>zip hof(f)nung<br />

hochfranken: problemregion im Aufwärtstrend<br />

Es mag Zufall, kann aber auch Signal se<strong>in</strong>, dass das 200 verabschiedete<br />

Integrierte Stadtentwicklungskonzept (ISEK) von<br />

Hof mit Fotos illustriert wird, die vornehmlich im W<strong>in</strong>ter aufgenommen<br />

wurden. Ob die Fabrikvorstadt, ob Münsterviertel,<br />

Otterberg oder das Zentrum: wenn es nach den Bildern geht<br />

– e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige Idylle, selbst die Industriebauten. Was früher das<br />

bayerische Manchester genannt wurde, was ehedem die Stadt<br />

der Sp<strong>in</strong>deln war, liegt nun <strong>in</strong> w<strong>in</strong>terlich-tiefem Schlaf. Als ob es<br />

noch e<strong>in</strong>e Bestätigung für den Spitznamen „Bayerisch Sibirien“<br />

gebraucht hätte, wie manche den Landstrich um Hof neckisch<br />

nennen. Wie anders die Prospekte, mit denen Hochfranken auf<br />

sich aufmerksam macht. In e<strong>in</strong>er von Stadt und Landkreis Hof<br />

sowie vom Landkreis Wunsiedel im Fichtelgebirge im Jahre<br />

200 herausgegebenen Broschüre heißt es: „E<strong>in</strong> unbestrittener<br />

Höhepunkt <strong>in</strong> Hochfranken ist der Reichtum und die Vielfalt von<br />

Landschaft und Natur. Tiefe Täler im Naturpark Frankenwald<br />

und liebliche Höhen im Naturpark Fichtelgebirge s<strong>in</strong>d der Rahmen<br />

für unzählige Flusslandschaften, Seen und Wälder von<br />

immer wieder überraschender Gestalt.“ Bebildert wird diese<br />

Aussage mit wunderbaren Fotos, die blühende Wiesen, sattgrüne<br />

Wälder, markante Felsformationen und verträumte Seen<br />

zeigen. Hochfranken wird als e<strong>in</strong> Landstrich präsentiert, <strong>in</strong> dem<br />

es sich angenehm, ausgezeichnet, ja herrlich leben lässt.<br />

Jener Zustand zwischen „Bayerisch Sibirien“ und blühendem<br />

Landstrich ist typisch für Hochfranken, e<strong>in</strong> Kunstname, den sich<br />

die beiden Landkreise Hof und Wunsiedel sowie die Stadt Hof<br />

seit e<strong>in</strong>iger Zeit geben. Denn, betrachtet man schlicht die Zahlen<br />

– ob Wirtschaftskraft oder Bevölkerungsverlust –, so ist der<br />

Nordosten <strong>Oberfranken</strong>s die Problemregion des Regierungsbezirks.<br />

Andererseits s<strong>in</strong>d vielfältige Tendenzen und Initiativen zu<br />

beobachten, die – sei’s die Wirtschaft, sei’s die <strong>Architektur</strong>, sei’s<br />

der Stadtumbau West – es <strong>in</strong>sgesamt rechtfertigen, von e<strong>in</strong>em<br />

Aufwärtstrend zu sprechen. Die Depression, die etwa Ende der<br />

1990er Jahre e<strong>in</strong>setzte und die ganze Region ergriff, ist überwunden.<br />

Obwohl noch viel zu tun bleibt.<br />

Der Industriestandort Hochfranken hat e<strong>in</strong>e Menge Tradition.<br />

Handwerkliche Textilproduktion im großen Stil gab es <strong>in</strong> Hof<br />

und se<strong>in</strong>em Umland bereits im Spätmittelalter. Die Industrialisierung<br />

der Textilproduktion bedeutete für die Stadt e<strong>in</strong>en ungeheuren<br />

Aufschwung. Hof verfünffachte se<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>wohnerzahl,<br />

gerade <strong>in</strong> der Gründerzeit expandierte die Stadt – der backste<strong>in</strong>erne<br />

Geschosswohnungsbau ist heute charakteristisch für<br />

Hof. Dom<strong>in</strong>iert wurden Wohnblöcke von – heute verschwundenen<br />

- Schloten und Kam<strong>in</strong>en der Textilfabriken, welche die<br />

Saale und ihre Zuflüsse als Abwasserkanäle benutzten. Im<br />

Verbund mit dem südsächsischen Raum entstand <strong>in</strong> der Weimarer<br />

Republik der größte textile Industriebezirk des deutschen<br />

Reiches. Die Hofer Unternehmen konzentrierten sich dabei auf<br />

die Herstellung von Garnen und Zwirnen, also auf die Grundstufen<br />

der textilen Kette. Mit der deutschen Teilung wurden diese<br />

Industrien nicht nur an den geografischen Rand gedrängt, sondern<br />

verloren darüber h<strong>in</strong>aus ihre traditionellen Rohstoff- und<br />

Absatzmärkte.<br />

Auch viele von den „Porzell<strong>in</strong>ern“ <strong>in</strong> Selb, Arzberg und der<br />

nördlichen Oberpfalz waren ursprünglich Lohnweber. Mit der<br />

Erf<strong>in</strong>dung der <strong>in</strong>dustriellen Serienfertigung von Porzellan<br />

entstand e<strong>in</strong>e Konzentration von e<strong>in</strong>schlägigen Betrieben und<br />

Unternehmen, die bis <strong>in</strong> die 19 0er Jahre immer weiter expandierten.<br />

Neben den weltbekannten Unternehmen und Marken<br />

wie Rosenthal, Hutschenreuther oder Arzberg-Porzellan<br />

siedelten sich im Landkreis Wunsiedel und den benachbarten<br />

Landkreisen der Oberpfalz Spezialgewerbe wie Buntdrucker<br />

und Porzellanmaler bis zu spezialisierten Masch<strong>in</strong>enbauern<br />

und Gemengelieferanten an. 19 waren alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> Selb über<br />

.000 Menschen <strong>in</strong> der Porzellan<strong>in</strong>dustrie beschäftigt. Philipp<br />

Rosenthal lud Künstler und Designer nach Selb, um avantgardistische<br />

Porzellanserien zu kreieren. Selbst die Fabriken baute<br />

man mit architektonischem Anspruch. Otto Piene schuf am<br />

Hauptverwaltungsgebäude des Unternehmens e<strong>in</strong> Riesenbild<br />

mit 19 Meter Breite und bis zu 18 Meter Höhe – damals die<br />

größte künstlerisch gestaltete Fassadenmalerei Deutschlands.<br />

Die Spiegelfassade des Erweiterungsbaus entstand nach e<strong>in</strong>em<br />

Entwurf Marcello Morand<strong>in</strong>is, wobei zu e<strong>in</strong>em der ersten Male<br />

<strong>in</strong> Deutschland das Structural-Glaz<strong>in</strong>g-Pr<strong>in</strong>zip verwendet wurde.<br />

Die alte Porzellanfabrik Rosenthal unterzog Friedensreich<br />

Hundertwasser e<strong>in</strong>er ökologischen Behübschung – übrigens<br />

e<strong>in</strong>er der ersten Aufträge, die der Künstler als Architekt erhielt.<br />

Im umgebauten „Rosenthal Theater Selb“ schuf Günther Uecker<br />

e<strong>in</strong>en kubistischen Zuschauerraum. Der Höhepunkt dieser<br />

Phase war die Beauftragung von Walter Gropius. Der Bauhaus-<br />

Gründer konnte <strong>in</strong> Rotbühl se<strong>in</strong>e Vision e<strong>in</strong>er totalen <strong>Architektur</strong><br />

verwirklichen und e<strong>in</strong>e vorbildliche Fabrik am Standort Selb<br />

bauen. Zudem erarbeitete Gropius e<strong>in</strong>en Stadtentwicklungsplan<br />

für Selb mit der Zielvorgabe 30.000 E<strong>in</strong>wohner im Jahr 2000.<br />

Auch wenn diese Zeit heute als „goldene Jahre“ verklärt wird,<br />

war Hochfranken durch die deutsche Teilung massiv betroffen.<br />

Von der Überw<strong>in</strong>dung der deutschen Teilung war die Region<br />

ebenso stark betroffen. Gerade Hof, traditioneller Grenzort am<br />

Vierländereck Bayern, Thür<strong>in</strong>gen, Sachsen und Böhmen, verlor<br />

genau diese Funktion. Alle<strong>in</strong> bei Bahn, Post und Zoll wurden<br />

2.000 Arbeitsplätze abgebaut. Nach der Grenzöffnung brauchte<br />

man sie nicht mehr. Der kurzzeitige Boom nach der Öffnung<br />

des Eisernen Vorhangs war schnell vorbei. Man war die Fesseln<br />

los, doch die Euphorie täuschte über vieles h<strong>in</strong>weg – etwa über<br />

die sich abzeichnende Krise der Textil- und Porzellan<strong>in</strong>dustrie,<br />

die die Stadt, die Region dann mit voller Wucht e<strong>in</strong>holte. Alle<strong>in</strong><br />

zwischen 199 und 200 g<strong>in</strong>g die Zahl der oberfränkischen<br />

Textilbetriebe um gut e<strong>in</strong> Drittel, die der Bekleidungsbetriebe<br />

fast um zwei Drittel zurück. Ähnlich sieht es mit den Beschäftigtenzahlen<br />

aus: Im gleichen Zeitraum wurden <strong>in</strong> der Textil<strong>in</strong>dustrie<br />

3 ,1 Prozent, <strong>in</strong> der Bekleidungs<strong>in</strong>dustrie 1, Prozent<br />

aller Arbeitsplätze abgebaut. Der Umsatz allerd<strong>in</strong>gs sank nur<br />

um 11, bzw. 3 , Prozent. Mit Rationalisierungen versuchten<br />

die Unternehmen die im <strong>in</strong>ternationalen Vergleich zu hohen<br />

Arbeitskosten abzufangen, die Produktion <strong>in</strong>des wurde kapital<strong>in</strong>tensiver.<br />

In <strong>Oberfranken</strong> allerd<strong>in</strong>gs konnte die Textilbranche<br />

den Strukturwandel besser verkraften als <strong>in</strong> anderen Regionen<br />

Deutschlands. Die Zahlen der Porzellan<strong>in</strong>dustrie s<strong>in</strong>d ähnlich<br />

dramatisch. Zwischen 199 und 200 g<strong>in</strong>g die Zahl der Betriebe<br />

knapp um die Hälfte zurück, die der Beschäftigten um 0 Prozent<br />

und die Produktion um 2 Prozent. Die Porzellan<strong>in</strong>dustrie<br />

hatte zusätzlich zur geänderten Wettbewerbssituation auch<br />

mit Preise<strong>in</strong>brüchen von über 30 Prozent und geänderten Verbrauchergewohnheiten<br />

zu kämpfen. Technisierung, Rationalisierung,<br />

Firmenübernahmen durch ausländische Investoren<br />

und e<strong>in</strong>e Produktionsverlagerung <strong>in</strong>s arbeitskostengünstigere<br />

Osteuropa trafen die oberfränkischen Porzellanstandorte mit<br />

voller Wucht. Heute arbeiten <strong>in</strong> Selb bei 1 . 00 E<strong>in</strong>wohnern nur<br />

noch rund 00 Personen <strong>in</strong> der Porzellan<strong>in</strong>dustrie.<br />

Baukultur geht jeden an: die erfolgreiche Postkartenaktion der<br />

nitiative Hof-Architekten.<br />

Freilich, es s<strong>in</strong>d gerade diese Branchen, von denen Hoffnungsschimmer<br />

ausgehen. Die Cluster<strong>in</strong>itiativen im Bereich Textil/<br />

Bekleidung sowie Porzellan/Keramik versuchen die traditionelle<br />

Konzentration von Unternehmen, Know-how und Ausbildungsstätten<br />

<strong>in</strong> zukunftsfähige Strukturen zu verwandeln.<br />

Besondere Hoffnung liegt dabei auf den Wachstumsmärkten<br />

der technischen Textilien und der technischen Keramik, die<br />

<strong>in</strong> der Mediz<strong>in</strong>-, Luft-, Raumfahrt- und Automobiltechnik zum<br />

E<strong>in</strong>satz kommen. Die noch junge, aber schon erfolgreiche Hochschule<br />

Hof spielt bei dieser Initiative zusammen mit anderen<br />

Forschungse<strong>in</strong>richtungen wie KeKuTex, FORKERAM, Johann-<br />

Friedrich-Böttger-Institut, BioCer Entwicklungs-GmbH, dem<br />

Kompetenzzentrum Neue Materialien und dem Bayreuther<br />

Zentrum für Kolloide und Grenzflächen oder Netzwerken wie<br />

OfraTex oder dem Kunststoffnetzwerk Franken e<strong>in</strong>e besondere<br />

Rolle. Diese Initiativen s<strong>in</strong>d allerd<strong>in</strong>gs auf mittlere Dauer angelegt.<br />

Von der sich erholenden Wirtschaft der vergangenen Jahre<br />

11 11<br />

hat jedenfalls auch Hochfranken profitiert. Die Arbeitslosenquote<br />

sank im Arbeitsagenturbezirk Hof, der Hochfranken entspricht,<br />

im August 2008 auf ,3 Prozent. Das war zwar 1,3 Prozent<br />

höher als die Arbeitslosenquote von <strong>Oberfranken</strong> und 2,<br />

Prozent höher als die <strong>in</strong> Bayern, aber immer noch 1,3 Prozent<br />

ger<strong>in</strong>ger als die bundesdeutsche Arbeitslosenquote. Auch die<br />

sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten, die Umsätze der<br />

Unternehmen und das Brutto<strong>in</strong>landsprodukt nahmen zu – bei<br />

freilich abnehmender Bevölkerung. Große Hoffnungen setzt<br />

man seitens der oberfränkischen Wirtschaft auf den geplanten<br />

Gewerbe- und Freizeitpark im tschechischen Aš, unmittelbar an<br />

der Stadtgrenze von Selb.<br />

Der demografische Wandel wird schon bald zum Hauptproblem<br />

Hochfrankens. Integrierte Stadtentwicklungs- und Stadtumbaukonzepte<br />

trifft man <strong>in</strong> diesem Raum an allen Ecken und Enden.<br />

In Hof etwa sieht das ISEK vor, städtebauliche Defizite der Vergangenheit<br />

zu beseitigen – die Saaleauen beispielsweise, nachdem<br />

sich die Stadt Jahrhunderte lang vom Fluss abgewendet<br />

hatte, endlich als Erholungs- und Erlebnisraum <strong>in</strong> das Stadtleben<br />

mit e<strong>in</strong>zubeziehen. Das nach den Plänen des Stuttgarter<br />

Büros Bez + Kock entstandene „Studentenwohnen am Saalepark“<br />

oder das neue Projekt „Zentral an der Saal’“, e<strong>in</strong> Wettbewerbsgew<strong>in</strong>n<br />

des Kulmbacher Büros H2M-Architekten, s<strong>in</strong>d<br />

dazu höchst <strong>in</strong>teressante Ansätze. Generell achtet die Stadtverwaltung<br />

Hof <strong>in</strong> jüngster Zeit vermehrt auf architektonische<br />

Qualität – wie etwa der im Juli 2008 entschiedene Wettbewerb<br />

um die Generalsanierung und Erweiterung der Freiheitshalle<br />

beweist. Viel ist noch zu tun. Die Qualitäten der gründerzeitlichen<br />

Wohnquartiere sollten erhalten und weiter ausgebaut,<br />

der Pflasterbelag von der Altstadt <strong>in</strong> die Ludwigstraße weitergeführt<br />

und e<strong>in</strong>e Perlenschnur an Plätzen von der Innenstadt<br />

über den Bahnhof bis zum Theresienste<strong>in</strong> – 2003 zu Deutschlands<br />

schönstem Park gekürt – e<strong>in</strong>gerichtet werden. All das<br />

s<strong>in</strong>d eher schlichte Maßnahmen, die den Anpassungsprozess,<br />

den Hof ohneh<strong>in</strong> vollzieht, städtebaulich und architektonisch<br />

unterstützen könnten.<br />

Historische Identität und deren Fortschreibung: E<strong>in</strong>e weitere<br />

Maßnahme, die architektonische Qualität der Städte zu steigern,<br />

s<strong>in</strong>d die Gestaltungsfibeln, die etwa für Wunsiedel, Arzberg und<br />

Kirchenlamitz erarbeitet wurden. Diese Fibeln bilden Basis<br />

und Rahmen für E<strong>in</strong>zelberatungen zu konkreten Sanierungsvorhaben,<br />

die von der Städtebauförderung unterstützt werden.<br />

Ob Fassaden, Dächer, Fenster und Türen, Vorgärten, Innenhöfe<br />

oder E<strong>in</strong>friedungen: Mit Positiv- und Negativbeispielen werden<br />

wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Handbuch ortstypische Materialien, Farben, Konstruktionen<br />

und Gestaltungen vorgestellt und den möglichen<br />

Bauherren e<strong>in</strong>e ganze Reihe von praktischen Empfehlungen zur<br />

Hand gegeben, welche die lokale Bautradition aufnehmen und<br />

weiterentwickeln. Die Gestaltungsfibeln selbst s<strong>in</strong>d wie etwa<br />

<strong>in</strong> Arzberg <strong>in</strong> die Integrierten Stadtentwicklungskonzepte e<strong>in</strong>gebunden.<br />

Insgesamt haben die hochfränkischen Städte damit<br />

e<strong>in</strong>en Planungs- und Gestaltungsrahmen, der, so er konsequent<br />

befolgt wird, ihre Lebensqualität erhöhen wird.


43<br />

stadttheater<br />

Hof<br />

Stolz ist man <strong>in</strong> Hof auf „se<strong>in</strong>“ Stadttheater. Auf die drei Sparten,<br />

auf Schauspieler, Sänger und Tänzer, natürlich auch auf die Hofer<br />

Symphoniker, auf zahlreiche geglückte Premieren und nicht<br />

zuletzt auch auf die <strong>Architektur</strong>. Und das mit Recht. Zusammen<br />

mit der Freiheitshalle vis-à-vis def<strong>in</strong>iert das ebenso bee<strong>in</strong>druckende<br />

wie ausladende Theatergebäude die kulturelle Mitte der<br />

Stadt neu. Es setzt e<strong>in</strong>e Zäsur zum Gewerbegebiet an der Fröbelstraße<br />

und schafft mit der „Theaterwiese“, zu der sich das<br />

transparente Foyer öffnet, e<strong>in</strong> erhabenes Pendant zu dem auf<br />

der anderen Seite der Kulmbacher Straße gelegenen Volksfestplatz.<br />

Das Gebäude selbst führt die klassischen Vorstellungen<br />

des Theaterbaus fort, <strong>in</strong>dem sich der viertelkreisförmige Zuschauerraum<br />

als eigenes Volumen an der Fassade abzeichnet.<br />

Weil sich andererseits ke<strong>in</strong> vere<strong>in</strong>heitlichendes Gehäuse über<br />

die anderen Funktionsräume – vom Malersaal bis zur Maske<br />

– stülpt, sondern diese als 1 Meter breiter Riegel artikulieren,<br />

verkörpert der Neubau auch e<strong>in</strong>en Traditionsbruch. Das Theater<br />

als beispiellos komplexer, auf fehlerfreie Funktionsabläufe und<br />

entsprechend perfekte Raumanordnungen angewiesener Betrieb<br />

wird <strong>in</strong> Hof mit Aplomb erfahrbar.<br />

Das Herz, den Kern des Theaters bildet die Bühne, was sich<br />

durch deren bis <strong>in</strong> 28 Meter Höhe aufragenden, außen metallisch-schimmernden<br />

Turm deutlich ablesen lässt. Die Werkstätten<br />

– Tischlerei, Schlosserei, die Montagehalle und diverse<br />

Magaz<strong>in</strong>e – s<strong>in</strong>d auf gleicher Ebene, aber schallentkoppelt zur<br />

Bühne angeordnet. Die Materialien – geschlämmte Kalksandste<strong>in</strong>mauern,<br />

Betonfertigteile, L<strong>in</strong>oleum, Industrieparkett,<br />

Wellblech –, die Scheddächer und die Überputz-Installationen<br />

unterstreichen den Produktionscharakter dieser Räume und<br />

vermitteln zum angrenzenden Gewerbegebiet. E<strong>in</strong>en herben<br />

Grundton, freilich sehr abgemildert, weisen auch die Räume im<br />

teilweise aufgeständerten Künstlerflügel des Riegels auf. Dessen<br />

großformatige Fenster bieten immer wieder fasz<strong>in</strong>ierende<br />

Ausblicke über die Stadt, wobei e<strong>in</strong>e dreigeschossige, reich<br />

bepflanzte Glashalle den Höhepunkt darstellt. Dem Publikum<br />

dagegen wird e<strong>in</strong> dreigeschossiges, transparentes Foyer geboten,<br />

das mit se<strong>in</strong>en filigranen Galerien, Stegen und Treppen<br />

auch den Zuschauern zahlreiche Auftrittsmöglichkeiten bietet.<br />

Das Theater – übrigens Ergebnis e<strong>in</strong>es Architektenwettbewerbs<br />

– greift den rauen Charakter der Arbeiter- und Bürgerstadt<br />

Hof auf und sublimiert ihn zu e<strong>in</strong>em grandiosen Gebäude, das<br />

zu Recht mit dem Deutschen <strong>Architektur</strong>preis ausgezeichnet<br />

wurde.<br />

Theater Hof<br />

9 030 Hof, Kulmbacher Straße<br />

Fertigstellung: 199<br />

Auer + Weber mit Thomas Bittcher-Zeitz, München<br />

Auszeichnung:<br />

Deutscher <strong>Architektur</strong>preis 199 , Auszeichnung<br />

Literatur:<br />

Wolfgang Bachmann: Theater <strong>in</strong> Hof, Baumeister 3/199 .<br />

Theater Hof – Stadt Hof (Hg.): Theater Hof – Geschichte und Gegenwart.<br />

Hof 199 .<br />

12


44<br />

Zeh-scherzer – umbau der porzellanfabrik<br />

Rehau<br />

Weiße Oberflächen, P<strong>in</strong>nwände aus dickem Wollfilz, e<strong>in</strong> Boden<br />

aus samtig-edlen, überbreiten Eichendielen, e<strong>in</strong>e Grünwand<br />

statt vere<strong>in</strong>zelt-vertrockneter Gummibäume und dazwischen<br />

Betonstützen. „Darf es im Büro aussehen wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Sushibar?“<br />

Diese rhetorische Frage stellte der Journalist André<br />

Ohren an den Anfang se<strong>in</strong>er Überlegungen zum neuen Sitz des<br />

Geschäftsfelds „Automotive“ der Rehau AG+Co. Auch wer der<br />

japanischen Küche eher fern, e<strong>in</strong>heimischen Genüssen <strong>in</strong>des<br />

nahesteht, kann sich <strong>in</strong> der eigenartigen Atmosphäre dieser<br />

Büroräume komplett wohlfühlen. Eigenartig nicht im S<strong>in</strong>ne von<br />

seltsam oder befremdend, sondern von neu, bis dato unbekannt<br />

und vor allem auf den Ort, auf das Unternehmen, auf das Umfeld<br />

zugeschnitten. Und die Atmosphäre ist natürlich die e<strong>in</strong>er<br />

Arbeitsumgebung. Freilich, ke<strong>in</strong>e 08/1 -Standard-Simpel-Billigbüroe<strong>in</strong>richtung,<br />

sondern e<strong>in</strong>e Umgebung, die zeigt, wie sehr<br />

der Arbeitgeber die Arbeitnehmer schätzt.<br />

Dass der Polymerverarbeiter Rehau nicht e<strong>in</strong> schönes, neues<br />

Bürogebäude weit draußen auf der Grünen Wiese, sondern e<strong>in</strong><br />

Gebäudekonglomerat e<strong>in</strong>es die Geschichte der gleichnamigen<br />

Stadt prägenden, gleichwohl untergegangenen Porzellanherstellers<br />

zum neuen Sitz e<strong>in</strong>es zuvor weit verstreuten Geschäftsfeldes<br />

erkor, spricht für sich. Nicht der e<strong>in</strong>dimensional, sondern<br />

der komplex denkende Mitarbeiter, der <strong>in</strong> der Lage ist, vielfältige<br />

Anregungen und E<strong>in</strong>drücke zu ver- und etwas Neues zu<br />

erarbeiten, sichert den Unternehmenserfolg. Und dafür bieten<br />

die ebenso kommunikativen wie s<strong>in</strong>nlichen Büroräume e<strong>in</strong>e<br />

kongeniale Umgebung.<br />

E<strong>in</strong> Beispiel: Die besagten Betonstützen des Tragwerks bewahren<br />

die Er<strong>in</strong>nerung an die e<strong>in</strong>stige Fabrik und kontrastieren<br />

mit ihrer sandgestrahlten rau-rohen Oberfläche vorzüglich mit<br />

den weiß-glänzenden, perfekt e<strong>in</strong>gepassten E<strong>in</strong>bauten. Wobei<br />

letztere mit dem Kunststoff „Rausolid“ verkleidet wurden, der<br />

e<strong>in</strong>e lasiertem Porzellan vergleichbare Oberflächenstruktur<br />

aufweist. Die E<strong>in</strong>bauten s<strong>in</strong>d als raumbildende Elemente e<strong>in</strong>gesetzt,<br />

sodass sie als Regal, Schrank, Tisch, bisweilen auch<br />

als Ausstellungskab<strong>in</strong>ett dienen, sich stets aber <strong>in</strong> den Gesamte<strong>in</strong>druck<br />

e<strong>in</strong>er großzügigen Fabrikhalle mit teilweise offenem<br />

Dachstuhl e<strong>in</strong>fügen. Darüber h<strong>in</strong>aus wurden die Mitarbeiter<br />

nach ihren <strong>in</strong>dividuellen Bedürfnissen befragt. Dieser architektonische<br />

Maßanzug, der sich bis dato nach außen nicht abbildet,<br />

ist auf große Resonanz bei Mitarbeitern und Geschäftsleitung<br />

gestoßen. So große Resonanz, dass die Architekten <strong>in</strong>zwischen<br />

e<strong>in</strong>e Corporate Architecture entwickelten.<br />

rehauwork – Umbau der Porzellanfabrik Zeh-Scherzer<br />

9 111 Rehau, Zehstraße<br />

Fertigstellung: 200<br />

Weber + Würsch<strong>in</strong>ger Architekten, Berl<strong>in</strong>/Weiden<br />

Veröffentlichungen:<br />

Christoph Gunser: Polymer statt Porzellan: Fabrik wird zu Büro <strong>in</strong> Rehau,<br />

<strong>in</strong>: db, 10/200 , S. 3– .<br />

Weiße Wände – Neue Büroräume für e<strong>in</strong>en Kunststoffhersteller,<br />

<strong>in</strong>: Bauwelt, 10/200 , S. 18–19.<br />

128


49<br />

Arche Ahoi<br />

Marktredwitz<br />

Über e<strong>in</strong>e halbe Million Besucher konnte die länderübergreifende<br />

Landesgartenschau Marktredwitz-Cheb 200 alle<strong>in</strong> auf dem<br />

1 Hektar großen Gelände im Süden von Marktredwitz empfangen.<br />

Zwischen all den Blumenrabatten und Beeten, den Ausstellungshallen,<br />

Buden und gastronomischen E<strong>in</strong>richtungen bot<br />

e<strong>in</strong> etwas abgelegener ökumenischer Andachtsraum e<strong>in</strong>en Ort<br />

der Stille und des Rückzugs. Für das geme<strong>in</strong>same „Arche Ahoi“<br />

genannte Projekt von Marktredwitzer evangelischen und katholischen<br />

Kirchengeme<strong>in</strong>den entwarf der ortsansässige Architekt<br />

Thomas Sticht e<strong>in</strong> Bauwerk, das er sche<strong>in</strong>bar der biblischen<br />

Schöpfungsgeschichte entnommen hat. Schlichte, mittlerweile<br />

ergraute Bretter deuten e<strong>in</strong>e schräge Schiffsbordwand, den<br />

Bug und das Heck e<strong>in</strong>es Bootskörpers an. Darauf erhebt sich<br />

e<strong>in</strong> ebenso schlichtes Haus aus Holzlamellen, das man auch als<br />

Allusion auf die bereits vom römischen <strong>Architektur</strong>theoretiker<br />

Vitruv beschriebene Urhütte deuten kann.<br />

Überraschung, Verblüffung, Erfurcht auslösend zeigt sich dann<br />

das Innere: Noch angerührt von dieser sich so anspruchslos gebenden,<br />

ja fast banalen Hülle, tritt der Besucher durch e<strong>in</strong> bescheidenes<br />

Holztor, worauf sich e<strong>in</strong> zwar kle<strong>in</strong>er, aber überwältigender<br />

Raum auftut, der ihm fast den Atem raubt. Gleichsam<br />

aus dem Nichts zeichnet e<strong>in</strong> raumbildendes Stabtragwerk e<strong>in</strong><br />

nahezu kathedralenartiges Gewölbe nach. Als ob die Streben<br />

tanzen würden, bilden im Rhythmus durchgesteckte Hölzer e<strong>in</strong>e<br />

stützenfreie Konstruktion, die e<strong>in</strong>er gotischen Kirche ähnelt.<br />

Vom Schock erholt, richtet der Besucher den Blick unwillkürlich<br />

nach vorne, auf das von oben belichtete, schlichte Holzkreuz,<br />

das ansche<strong>in</strong>end <strong>in</strong> die Wand <strong>in</strong>tegriert ist, und fühlt sich, obwohl<br />

Altar und Ambo fehlen, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em sakralen Raum. (Tatsächlich<br />

ist das Querholz des Kreuzes e<strong>in</strong> konstruktiv notwendiger<br />

Balken, die vertikale L<strong>in</strong>ie bilden zusätzliche Streben.) Die je<br />

nach Blickw<strong>in</strong>kel mal geschlossenen, mal semitransparenten<br />

Lamellenwände bieten mal die Geborgenheit e<strong>in</strong>er Höhle, mal<br />

den Ausblick auf das Schaugelände. Auf der Landesgartenschau<br />

war die Arche äußerst erfolgreich, auch im Jahre 2008 f<strong>in</strong>den<br />

immer sonntags Andachten statt.<br />

Arche Ahoi<br />

9 1 Marktredwitz, Gelände der grenzenlosen Gartenschau<br />

Fertigstellung: 200<br />

<strong>Architektur</strong>büro Sticht, Marktredwitz<br />

138


Bayreuth Bayreuth<br />

e<strong>in</strong>e region leuchtet<br />

lichtdesign <strong>in</strong> oberfranken<br />

Hollfeld Weidenberg<br />

Lebendige und lebenswerte Städte und Geme<strong>in</strong>den <strong>in</strong> <strong>Oberfranken</strong><br />

– das ist das Ziel der Städtebauförderungspolitik der<br />

Regierung von <strong>Oberfranken</strong> und vieler weiterer oberfränkischer<br />

Initiativen. E<strong>in</strong>e wichtige Voraussetzung für lebendige Städte<br />

ist e<strong>in</strong> attraktiver öffentlicher Raum, der die Menschen zum<br />

Aufenthalt, zum Verweilen und zum Kommunizieren e<strong>in</strong>lädt.<br />

Stadtgrün, Parks und schön gestaltete Plätze s<strong>in</strong>d Instrumente<br />

dazu. E<strong>in</strong> weiteres Mittel dazu ist Licht. Licht ist nicht nur Beleuchtung,<br />

sondern kann die Qualitäten der Stadt thematisieren<br />

und <strong>in</strong>szenieren. Erst durch Licht können öffentliche Räume<br />

und Zusammenhänge wahrgenommen werden. Erst durch Licht<br />

können Kle<strong>in</strong>ode der Stadt aus dem Unsichtbaren <strong>in</strong>s Blickfeld<br />

gerückt werden. Sensibel abgestimmtes Licht zaubert unverwechselbare<br />

Atmosphären, bereichert durch neue Perspektiven,<br />

schafft Treffpunkte für Bewohner und Besucher. Deswegen<br />

steht die Lichtgestaltung <strong>in</strong> <strong>Oberfranken</strong> ganz oben. Dauerhafte<br />

Licht<strong>in</strong>stallationen auf der Grundlage von Lichtmasterplänen<br />

werden im Rahmen der Städtebauförderung durch die Regierung<br />

von <strong>Oberfranken</strong> mit f<strong>in</strong>anziert, wie zum Beispiel <strong>in</strong> Hollfeld.<br />

Angefangen hatten alle Bemühungen, das Thema Lichtgestaltung<br />

<strong>in</strong> die oberfränkischen Städte zu br<strong>in</strong>gen, an der Designfakultät<br />

der Hochschule Coburg. Am Lehrstuhl von Professor Uwe<br />

Belzner experimentierten die Studierenden mit Lichtgestaltung<br />

<strong>in</strong> unterschiedlichen Projekten, bald leuchtete zu den Coburger<br />

Marktredwitz Marktredwitz<br />

Designtagen das Hofbräuhaus, der Sitz der Designfakultät, <strong>in</strong><br />

verschiedenen Farben. Das Themenfeld eröffnet der Hochschule<br />

die Chance der bundesweiten Profilierung und damit<br />

der Erarbeitung e<strong>in</strong>es Alle<strong>in</strong>stellungsmerkmals. Zur Intensivierung<br />

der bisherigen Bemühungen und zur Akzentuierung<br />

des Lichtdesigns <strong>in</strong> <strong>Oberfranken</strong> war es notwendig, praktische<br />

Projektumsetzungen zu platzieren und zu realisieren. Die Hochschule<br />

arbeitet daher seit Ende 200 mit <strong>Oberfranken</strong> Offensiv<br />

und dem Coburger Designforum <strong>Oberfranken</strong> zusammen, um<br />

das Thema Licht auch als Instrument für das Standort- und<br />

Regionalmarket<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>zusetzen. Mit f<strong>in</strong>anzieller Unterstützung<br />

der <strong>Oberfranken</strong>stiftung wurden <strong>in</strong> Workshops für ausgewählte<br />

Orte und Szenarien Lichtpläne erarbeitet und beispielhaft umgesetzt.<br />

Ob Bayreuth, Marktredwitz, Kronach, Hollfeld, Tettau, Bamberg,<br />

Wunsiedel, Weidenberg oder Kulmbach – und natürlich<br />

Coburg: In all diesen Städten wurden bereits Lichtveranstaltungen<br />

organisiert. Die Landesgartenschau <strong>in</strong> Marktredwitz<br />

war im Juli 200 beispielsweise die e<strong>in</strong>drucksvolle Kulisse für<br />

die effektvolle Inszenierung von Natur durch gestalterische<br />

Lichtelemente. Überdimensionale künstliche Seerosen, die<br />

<strong>in</strong> verschiedenen Farben leuchten, e<strong>in</strong>e Lichterwiese und die<br />

Projektion e<strong>in</strong>es Baumes an die Wand e<strong>in</strong>es Industriedenkmals<br />

waren nur wenige der buchstäblichen Highlights, die es<br />

zu bestaunen gab. „Kunst, Kitsch, Licht und Party“ lautete das<br />

Weidenberg Weidenberg<br />

Motto der „Bunten Nacht <strong>in</strong> Tettau“ im Juli 200 . Neben der Beleuchtung<br />

der Straßen gab es e<strong>in</strong>e große Partymeile mit Kunst<br />

und Musik. Mit dem bis zu diesem Zeitpunkt größten Zeit- und<br />

Materialaufwand wurde Weidenberg, Landkreis Bayreuth, im<br />

Juni 2008 beg<strong>in</strong>nend an der Ste<strong>in</strong>ach über die 120 Stufen der<br />

Schiedtreppe bis zum Oberen Markt mit e<strong>in</strong>er bee<strong>in</strong>druckenden<br />

Licht<strong>in</strong>stallation <strong>in</strong> Szene gesetzt. Die St. Michaelis-Kirche<br />

mit ihrem, dank LED-Technik und Filtern, <strong>in</strong> geheimnisvollem<br />

Farbwechsel erstrahlenden Turm wurde zum Wahrzeichen der<br />

Marktgeme<strong>in</strong>de. Die warm angestrahlte Weide an der Ste<strong>in</strong>ach<br />

lud Besucher zum Verweilen e<strong>in</strong> und die Brücke spiegelte ihr<br />

warmes Rot rätselhaft im Wasser.<br />

Diese Aktionen fanden große Resonanz bei E<strong>in</strong>wohnern wie<br />

Touristen. Auch die Fest<strong>in</strong>stallationen. Der Coburger Marktplatz<br />

wird nun seit e<strong>in</strong>iger Zeit permanent illum<strong>in</strong>iert. Ebenso<br />

seit 200 der „Blaue Turm“ <strong>in</strong> Hollfeld. Die Fassade des Gebäudes<br />

wurde vom Künstler Thomas Brix gestaltet, die Hochschule<br />

Coburg übernahm die Illum<strong>in</strong>ierung. Weil nun Bürger<br />

sowie politische Entscheidungsträger für das Thema Licht im<br />

öffentlichen Raum sensibilisiert s<strong>in</strong>d, sollen weitere dauerhafte<br />

Licht<strong>in</strong>stallationen folgen. Projekte für Fest<strong>in</strong>stallationen auf<br />

der Grundlage von professionellen Lichtmasterplänen und der<br />

Unterstützung durch die Privatwirtschaft werden <strong>in</strong> Zukunft die<br />

Städte <strong>Oberfranken</strong>s noch attraktiver machen.


heiMAt Als Versuch und Versuchung<br />

über die notwendigkeit e<strong>in</strong>es modernen<br />

regionalismus <strong>in</strong> der <strong>Architektur</strong><br />

Üblicherweise beg<strong>in</strong>nt e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>lassung zum Thema Heimat und<br />

<strong>Architektur</strong> mit e<strong>in</strong>em Zitat aus dem „Pr<strong>in</strong>zip Hoffnung“ von Ernst<br />

Bloch. Diese nicht. Denn Blochs Heimatbegriff ist utopisch, also<br />

ortlos. <strong>Architektur</strong> demgegenüber schafft Orte, wie immer sie<br />

auch beschaffen se<strong>in</strong> mögen. Zum Zweiten hat sich das Heimatverständnis<br />

weiterentwickelt, moderne Heimatforscher, gleich<br />

welcher diszipl<strong>in</strong>ärer Provenienz sie entstammen, gehen von<br />

e<strong>in</strong>em aktiven Heimatbegriff aus. „Heimat ist Tatort, Ort der Tat“,<br />

schreibt zum Beispiel der Pädagogikprofessor Egbert Daum, Heimat<br />

ist „soziales und politisches Handlungs- und Lernfeld für alle<br />

Alters-, Klassen- und Herkunftsschichten“. In e<strong>in</strong> ähnliches Horn,<br />

jedoch breiter orchestriert, stößt der Philosoph Peter Sloterdijk<br />

im Rückgriff auf den antiken Kollegen Cicero: „Die Heimat als Ort<br />

guten Lebens lässt sich immer weniger e<strong>in</strong>fach dort vorf<strong>in</strong>den, wo<br />

man durch den Zufall der Geburt schon ist. Sie muss, wo immer<br />

man sei, durch Lebenskünste und kluge Allianzen fortwährend<br />

neu erfunden werden.“ Als letzter dieser Gewährsmänner für e<strong>in</strong><br />

aktives Heimatverständnis sei der Architekt und langjährige Lehrstuhl<strong>in</strong>haber<br />

für ländliches Bauen an der TU München, Helmut<br />

Gebhard, zitiert: Heimat, sagte Gebhard <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Interview mit<br />

dem Bayrischen Rundfunk, ist „als Er<strong>in</strong>nerung und gleichzeitig als<br />

Auftrag für die Zukunft“ zu begreifen.<br />

Architekten und Stadtplaner, Gebhard bildet e<strong>in</strong>e der wenigen<br />

Ausnahmen, sprechen nicht gerne über Heimat. Wie viele andere<br />

Berufsgruppen auch gehen sie dem politischen Missbrauch des<br />

Begriffs aus dem Wege, der von der „Entdeckung“ der Heimat als<br />

antistädtische, das „natürliche“ Leben auf dem Lande mystifizierende<br />

Ideologie Ende des 19. Jahrhunderts über die Nationalsozialisten<br />

mit ihrem rassistischen „Blut-und-Boden“-Begriff bis<br />

<strong>in</strong> die jüngste Zeit bei rechtsextremistischen Bewegungen reicht.<br />

Auch die Heimatfilmwelle <strong>in</strong> den 19 0er Jahren oder die aktuelle<br />

Volksmusikwelle s<strong>in</strong>d eher kommerzielle Ausbeutungen von<br />

Nostalgiegefühlen. Nur e<strong>in</strong>mal, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Ausstellung des Bundes<br />

Deutscher Architekten BDA im Jahre 19 3 <strong>in</strong> Stuttgart, wurde<br />

der Begriff benutzt: „Heimat de<strong>in</strong>e Häuser“, so nannte sich diese<br />

Schau, war ke<strong>in</strong> Rückgriff auf die Historie, sondern klagte rücksichtslose<br />

Spekulationsbauten und bauliche Selbstdarstellungen<br />

der Gegenwart an, die vertraute Umgebungen überwucherten. In<br />

der Regel verwendeten Architekten <strong>in</strong> den 19 0er Jahren Begriffe<br />

wie „Identifikationsmöglichkeit“ oder auch die ähnlich vage „Identität“,<br />

Stadtplaner sprachen von „Milieu“ oder „Kiez“. Geme<strong>in</strong>sam<br />

war allen mit diesen Term<strong>in</strong>i verbundenen Vorstellungen, e<strong>in</strong>en<br />

wiedererkennbaren Lebensraum zu schaffen, den sich die Bewohner<br />

aneignen, <strong>in</strong>dem sie vertrauensvolle Beziehungen aufbauen<br />

können. Es g<strong>in</strong>g und geht also – jenseits der verwendeten Begriffe<br />

– um Beziehungen von Orten und Menschen, von Räumen und<br />

Menschen. Um „Sich-zu-Hause-fühlen“, um e<strong>in</strong>en gestaltbaren<br />

Freiraum, der gleichzeitig Geborgenheit bietet. Wichtig ist das<br />

Wechselseitige: Menschen verändern Orte und Räume, Orte und<br />

Räume verändern Menschen.<br />

Nun ist <strong>Architektur</strong>, Städtebau zumal, eher dem Statischen<br />

verpflichtet, dem Immobilen, dem Langfristigen. Und doch, e<strong>in</strong><br />

Gebäude, sei es Wohnhaus, sei es e<strong>in</strong>e Verwaltungszentrale verändert<br />

sich mit dem Tag des E<strong>in</strong>zugs der ersten Mieter. Erst mit<br />

beweglichen Möbeln, später dann mit gezielten E<strong>in</strong>griffen oder<br />

Erweiterungen der Bausubstanz. Da wird mal die Tür versetzt,<br />

dann e<strong>in</strong>e Wand herausgebrochen und im Flur ist auch Platz für<br />

e<strong>in</strong> gutes Stück. Und bei Renovierungen und Sanierungen – derzeit<br />

aktuell wegen diverser Verpflichtungen zum Energiesparen – wird<br />

schnell mal e<strong>in</strong>e Fassade durch e<strong>in</strong>e andere ersetzt, die wärmedämmender<br />

ist. Wie demgegenüber Ort und Räume Menschen<br />

prägen und verändern, ist wissenschaftlich noch nicht <strong>in</strong> Ansätzen<br />

erforscht. In den <strong>Architektur</strong>fakultäten wird das Bauen gelehrt<br />

– nicht dessen soziale, nicht dessen psychologische Wirkungen.<br />

Die Psychologen und die Soziologen beschäftigen sich mit zwischenmenschlichen<br />

Interaktionen, selbst die Stadt-, die Wohn- und<br />

die seit Kurzem wieder entdeckte Raumsoziologie liefern zu besagter<br />

Frage wenig brauchbare Antworten. Es bleibt bei diffusen<br />

und allgeme<strong>in</strong>en Klauseln wie etwa bei dem schon erwähnten<br />

Pädagogen Daum, der auf das „Alltagsleben“ verweist, das<br />

„alle Menschen körperlich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em lokalen Kontext“ verbr<strong>in</strong>gen<br />

– selbst unter globalisierten oder durch das Internet bee<strong>in</strong>flussten<br />

Lebensbed<strong>in</strong>gungen.<br />

Trotz oder gerade wegen der Globalisierung bleibt es humanes<br />

Bedürfnis, e<strong>in</strong>en Platz <strong>in</strong> der Welt zu f<strong>in</strong>den. Heimat feiert derzeit<br />

Hochkonjunktur: vom Film – „Wer früher stirbt, ist länger tot“ sei<br />

nur als Beispiel genannt – über die Dialektliteratur bis zur Speisekarte<br />

à la „Aus Großmutters Kochbuch“ <strong>in</strong> der Gastronomie.<br />

Selbst Wolf Biermann, der vor 20, 30 Jahren jede Erwähnung des<br />

Wortes Heimat der Nähe zum Faschismus verdächtigte, publizierte<br />

im Jahre 200 e<strong>in</strong>en Gedichtband mit dem Titel „Heimat“. Freilich,<br />

all diese Beispiele zeigen, dass Heimat heute nicht mehr die<br />

Heimat früherer Tage ist. Biermann beispielsweise schrieb e<strong>in</strong>en<br />

guten Teil besagter Gedichte im südfranzösischen Languedoc und<br />

Roussillon. Die „Regionale Küche“, die e<strong>in</strong>ige Sterneköche äußerst<br />

gew<strong>in</strong>nbr<strong>in</strong>gend vermarkten, kommt ohne e<strong>in</strong> paar Häppchen<br />

„Nouvelle Cuis<strong>in</strong>e“ nicht aus. Die „neuen“ Heimatfilme werden<br />

mit modernen Elementen – sei’s die Filmmusik, seien es sekundenschnelle<br />

Schnittfolgen – <strong>in</strong>szeniert. Der Erfolg des Songs „Gekommen<br />

um zu bleiben“ der Popband „Wir s<strong>in</strong>d Helden“ zeigt, dass<br />

die Versuchung der Heimat auch musikalische Genres erfasst, die<br />

geme<strong>in</strong>h<strong>in</strong> nicht des Traditionalismus verdächtigt werden. Der Titel<br />

des teilweise mit englischen Wörtern gesungenen Liedes deutet<br />

darüber h<strong>in</strong>aus mit dem nachfolgenden Vers „Wir gehen nicht<br />

mehr weg“ die labile Gleichzeitigkeit von Mobilität und Sehnsucht<br />

nach Stabilität an. Die allumfassende Mobilität von Waren und Kapital,<br />

Informationen und Menschen sche<strong>in</strong>t Ort und Raum zu e<strong>in</strong>er<br />

quantité négligeable, e<strong>in</strong>er zu vernachlässigenden Kategorie zu<br />

machen. Zu e<strong>in</strong>er re<strong>in</strong> technischen Kategorie, bei der es alle<strong>in</strong> darum<br />

geht, <strong>in</strong> welcher Zeit wie viele Kilometer überwunden werden<br />

können. Obwohl man im Wohnzimmer via Liveschaltungen, Telefon<br />

oder Internet <strong>in</strong> Sekundenschnelle mit fast allen Punkten dieser<br />

Welt verbunden se<strong>in</strong> kann, gleichzeitig aber all diese Medien diese<br />

Punkte nivellieren, wächst das Bedürfnis nach Aufenthaltsqualität,<br />

Authentizität, gewohnten Ritualen – mith<strong>in</strong> nach Vertrauen und<br />

Sicherheit versprechenden Orten und Räumen.<br />

Bloch, nun doch: „<strong>Architektur</strong> <strong>in</strong>sgesamt ist und bleibt e<strong>in</strong> Produktionsversuch<br />

menschlicher Heimat“, schrieb er im „Pr<strong>in</strong>zip<br />

Hoffnung“. Es empfiehlt sich auch hier genau zu se<strong>in</strong>: <strong>Architektur</strong>,<br />

so Bloch, ist ke<strong>in</strong>e Produktion von Heimat, sondern lediglich e<strong>in</strong><br />

Versuch. Denn Heimat zu schaffen, steht weder bei Architekten<br />

noch bei Fachplanern noch bei ihren Auftragebern an erster Stelle<br />

der möglichen Baumotive. 80 Prozent des deutschen Nettoanlagekapitals<br />

stecken <strong>in</strong> Immobilien. Anlageorientierte Immobilien<br />

sollen erstens wertstabil se<strong>in</strong> und zum Zweiten sichere (Miet-)Z<strong>in</strong>sen<br />

br<strong>in</strong>gen – zumal <strong>in</strong> Zeiten globaler F<strong>in</strong>anzkrise e<strong>in</strong>e durchaus<br />

verständliche Forderung von gewerblichen wie privaten Bauherrn.<br />

<strong>Architektur</strong> ist ke<strong>in</strong>e freie, sondern zweckgebundene Kunst. Sie<br />

hat praktischen Bedürfnissen zu folgen, was nicht heißt, dass <strong>Architektur</strong><br />

praktisch se<strong>in</strong> muss. Zeitgenössische Flächenproduktion<br />

heißt optimierte Grundrisse, heißt e<strong>in</strong> ökonomisches Verhältnis<br />

von Nutz- und Erschließungsflächen, heißt kostengünstige Konditionierung<br />

von Raumluft, heißt flexible Rastere<strong>in</strong>teilung, heißt e<strong>in</strong>e<br />

anpassungsfähige Tragstruktur. Heißt vor allem Wirtschaftlichkeit.<br />

Und wenn die Gebäudeanmutung der Vermarktung des Gebäudes<br />

oder se<strong>in</strong>es Inhalts dient, und nur dann, wird die entsprechend<br />

glamouröse Fassade, die entsprechend extravagante Form gebaut.<br />

Bei all diesen Zwecken ist <strong>Architektur</strong>, wie es der Berl<strong>in</strong>er<br />

Architekt Konrad Wohlhage ausdrückte, „Schmuggelware“ geworden.<br />

So ist auch der Versuch, Heimat zu schaffen, e<strong>in</strong> zwar nicht<br />

gesetzwidriges, aber doch verstecktes Anliegen geworden, das<br />

sich h<strong>in</strong>ter der Erfüllung aller Zwecke, Normen und Optimierungen<br />

verbirgt.<br />

Die Erfüllung der Zwecke alle<strong>in</strong> schafft ke<strong>in</strong>e Heimat. Sie schafft<br />

ke<strong>in</strong>en Ort, höchstens Unorte. Sie schafft ke<strong>in</strong>e Räume, höchstens<br />

Flächen. Erst der „ästhetische Eigenwille“, schrieb der Gründungsdirektor<br />

des Deutschen <strong>Architektur</strong>museums He<strong>in</strong>rich Klotz,<br />

schafft den Mehrwert des Humanen. Erst dieser Wille transformiert<br />

und transzendiert das Gebäude jenseits aller Zwecke zu<br />

e<strong>in</strong>em s<strong>in</strong>nlich-poetischen Erlebnis – Irrtümer nicht ausgeschlossen.<br />

Geme<strong>in</strong>t ist nicht das Immer-höher, größer, weiter e<strong>in</strong>er den<br />

olympischen Diszipl<strong>in</strong>en folgenden Investorenarchitektur. Geme<strong>in</strong>t<br />

ist nicht das Immer-schräger, spektakulärer, überdrehter<br />

des Stararchitekten(un)wesens. Geme<strong>in</strong>t ist nicht das Artifizielle,<br />

geme<strong>in</strong>t ist das Existenzielle – so Gerhard Matzig, <strong>Architektur</strong>kritiker<br />

der „Süddeutschen Zeitung“. Gefordert ist das Vermögen,<br />

sozial <strong>in</strong>telligente Räume zu schaffen, die Freiheit und gleichzeitig<br />

Sicherheit bieten.<br />

Freilich, wenn den Architekten von den Sozialwissenschaften<br />

ke<strong>in</strong>e Unterstützung bei der Beantwortung der Frage gewährt<br />

wird, wie denn solche Räume beschaffen se<strong>in</strong> sollen, hilft ihnen<br />

nur der Blick auf die eigene Geschichte. Man muss dabei gar nicht<br />

auf Vitruv, den antiken <strong>Architektur</strong>theoretiker, mit se<strong>in</strong>en drei<br />

Kard<strong>in</strong>alkategorien der Firmitas (Stabilität), Venustas (Anmut)<br />

und Utilitas (Zweckmäßigkeit) zurückgreifen. Auch nicht auf Leon<br />

Battista Alberti, den <strong>Architektur</strong>theoretiker der Renaissance, der<br />

se<strong>in</strong>en bauenden Kollegen geraten hatte, erst mal das Klima ehrfurchtsvoll<br />

zu studieren, bevor sie ans Entwerfen gehen. Es reicht<br />

auf die Geschichte der modernen <strong>Architektur</strong> zurückzugreifen, die<br />

nach gängigem Vorurteil verme<strong>in</strong>tlich unhistorisch, <strong>in</strong>dividualistisch<br />

und <strong>in</strong>ternationalistisch ist. Helmut Gebhard hat <strong>in</strong> dem e<strong>in</strong>leitend<br />

erwähnten Interview darauf h<strong>in</strong>gewiesen, dass genau jene<br />

Architekten, die 190 den Deutschen Werkbund gründeten, bereits<br />

fünf Jahre vorher den Bayerischen Landesvere<strong>in</strong> für Heimatschutz<br />

aus der Taufe hoben. „Es waren also“, so Gebhard, „die gleichen<br />

Personen, die auf der e<strong>in</strong>en Seite den Heimatbegriff verteidigten<br />

und auf der anderen Seite das alles so <strong>in</strong>terpretierten, dass man<br />

auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ganz neuen Situation heimatgemäß bauen kann.<br />

1 1<br />

Diese zwei D<strong>in</strong>ge s<strong>in</strong>d also durchaus vere<strong>in</strong>bar: auf der e<strong>in</strong>en Seite<br />

diese bewusste Weiterführung der europäischen, <strong>in</strong> diesem Fall<br />

der örtlichen Bautradition und dieses neue Arbeiten“.<br />

Sogar Sigfried Giedion, Freund Le Corbusiers, Theoretiker des<br />

Neuen Bauens und e<strong>in</strong>flussreichster Propagandist der modernen<br />

<strong>Architektur</strong>, wandelte sich– freilich erst nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

– zum glühenden Befürworter des regionalistischen Bauens.<br />

Im Aufsatz „Über e<strong>in</strong>en neuen Regionalismus“, auf Deutsch<br />

erschienen <strong>in</strong> dem 19 publizierten Bändchen „<strong>Architektur</strong> und<br />

Geme<strong>in</strong>schaft“, schreibt Giedion, dass die besten zeitgenössischen<br />

Architekten regionalistisch bauen. Ähnlich wie die bayerischen<br />

Heimatschützer 0 Jahre vorher, sche<strong>in</strong>t dem nachmaligen Professor<br />

für Kunstgeschichte an der ETH Zürich Regionalismus und<br />

Modernität ke<strong>in</strong> Widerspruch, sondern Voraussetzung zu se<strong>in</strong>. Die<br />

Anforderungen des Bodens und des Klimas sollen mit zeitgenössischen<br />

Mitteln der <strong>Architektur</strong> ausgedrückt werden. Das Klima<br />

erweitert Giedion dah<strong>in</strong>, dass dieses nicht nur meteorologische<br />

Begebenheiten wie durchschnittliche Regenwerte oder Sonnenstand,<br />

sondern auch die Lebensgewohnheiten der Region, <strong>in</strong> der<br />

man baut, e<strong>in</strong>schließen soll. Und er geht noch weiter: Schon die<br />

moderne <strong>Architektur</strong> der 1920er Jahre griff, so Giedion, auf nationale<br />

Traditionen zurück. Er erwähnt die Holländer Mondrian, van<br />

Doesburg und Rietveld und schreibt, dass <strong>in</strong> den Niederlanden<br />

schon im 1 . Jahrhundert sehr viel Wert auf e<strong>in</strong>e plane Ausgestaltung<br />

der Wände gelegt wurde. Und dass <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Land die<br />

ebene Fläche so vorherrschend sei wie <strong>in</strong> der Region der Polder<br />

und Kanäle. Giedion verweist <strong>in</strong> diesem Zusammenhang auf die<br />

bunten Tulpenfelder. Den regionalistischen Ansatz <strong>in</strong> Frankreich<br />

f<strong>in</strong>det Giedion <strong>in</strong> der Fähigkeit, „mit neuen Konstruktionsmethoden<br />

zu operieren“, was sich zum Beispiel schon bei den Gewölben der<br />

großen gotischen Kathedralen gezeigt hätte. Wichtig beim regionalistischen<br />

Ansatz ist das Verhältnis zur Tradition. Dazu noch e<strong>in</strong><br />

Zitat Giedions: „Selbstverständlich möchte ich ke<strong>in</strong>eswegs dah<strong>in</strong><br />

gehend <strong>in</strong>terpretiert werden, als ob ich Mondrians Bilder als Reproduktionen<br />

von Tulpenfeldern betrachte! Aber Mondrian wählt<br />

aus den unabsehbaren Möglichkeiten, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Region liegen,<br />

jene aus, die am engsten mit unserer Zeit verwandt ist.“<br />

Laut dem Cheftheoretiker der modernen <strong>Architektur</strong> ist es also<br />

möglich, modern und gleichzeitig regionalistisch zu bauen. Zeitgenössische<br />

Bedürfnisse und Anforderungen zu erfüllen und gleichzeitig<br />

mit vertrauten Bildern, mit den Materialien der Umgebung,<br />

mit den Formen und Dimensionen der Nachbarschaft zu arbeiten.<br />

Freilich, <strong>Architektur</strong> bietet nur den Rahmen, während Heimat<br />

sich nicht im Physisch-Materiellen erschöpft. Nötig ist gemäß des<br />

aktiven Heimatverständnisses die Tat. Also die permanente Neuerf<strong>in</strong>dung,<br />

der öffentliche Streit, die <strong>in</strong>dividuelle und die kollektive<br />

Aneignung des Raums. „Ich will Heimat schüren, nicht Heimat<br />

schützen“, sagte der Städteplaner Karl Ganser, als ihm <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Interview mit der „Zeit“ die aktuelle Bauunkultur vorgehalten<br />

wurde. Schüren von Heimat heißt, die Architekten und Stadtplaner<br />

bei ihrem Produktionsversuch von zukünftiger Heimat nicht<br />

alle<strong>in</strong>e zu lassen. In e<strong>in</strong>er heimatlosen, weil auf ständige Mobilität<br />

getrimmten Zeit heißt Schüren von Heimat aber auch, dass Heimat<br />

nur <strong>in</strong>soweit bewahrt werden kann, wie sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen,<br />

allen – Menschen mit und ohne Migrationsh<strong>in</strong>tergrund – offenstehenden<br />

Leistung weiterentwickelt werden kann. E<strong>in</strong>en Versuch ist<br />

es wert.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!