Aktuelle Architektur in Oberfranken - Enrico Santifaller
Aktuelle Architektur in Oberfranken - Enrico Santifaller
Aktuelle Architektur in Oberfranken - Enrico Santifaller
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AKTUELLE ARCHITEKTUR IN OBERFRANKEN<br />
<strong>Architektur</strong> <strong>in</strong> <strong>Oberfranken</strong> ist nicht Balthasar Neumanns<br />
Vierzehnheiligen, der Bamberger Dom und das Markgräfl iche<br />
Opernhaus <strong>in</strong> Bayreuth alle<strong>in</strong>. Als Ausdruck politischer, sozialer,<br />
wirtschaftlicher und kultureller Strukturen ist <strong>Architektur</strong><br />
<strong>in</strong> <strong>Oberfranken</strong> gleichzeitig kulturelles Gedächtnis und Impulsgeber,<br />
zugleich Er<strong>in</strong>nerungsträger und Entwicklungskatalysator<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er äußerst vielfältigen Region. Zwischen den Zwängen<br />
bzw. Potenzialen der Globalisierung und der wiederentdeckten<br />
Macht des Lokalen gestalten Menschen, Institutionen und<br />
Unternehmen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em komplexen Zusammenspiel mit Architekten,<br />
Fachplanern, Kommunalpolitikern, Entscheidungsgremien<br />
sowie Genehmigungs- und Förderbehörden ihre Umwelt.<br />
Sie bauen Wohnhäuser und Fabriken, Verwaltungsgebäude und<br />
Kulturzentren, soziale E<strong>in</strong>richtungen und technische Infrastruktur,<br />
sie richten E<strong>in</strong>kaufsmöglichkeiten, Kanzleien und Praxen<br />
e<strong>in</strong>, sie gestalten Plätze und Gärten – nach ihren Bedürfnissen,<br />
Erwartungen, Ansprüchen, Vorstellungen und Träumen. Kurz:<br />
Sie bauen Heimat, sie schaffen den Standort <strong>Oberfranken</strong>. Und<br />
das immer wieder neu – zwischen regionalem (Bau-)Dialekt und<br />
dem Esperanto globaler <strong>Architektur</strong>moden bzw. e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>ternationalisierten<br />
Bau<strong>in</strong>dustrie. 50 aktuelle Beispiele aus <strong>Oberfranken</strong><br />
– Gebäude unterschiedlichster Typologien, Platzgestaltungen,<br />
Stadtplanungen – werden <strong>in</strong> diesem Buch vorgestellt,<br />
wobei der Zusammenhang von <strong>Architektur</strong> und Region im Fokus<br />
der Veröffentlichung steht.<br />
Der Autor, der Frankfurter <strong>Architektur</strong>kritiker und Journalist<br />
<strong>Enrico</strong> <strong>Santifaller</strong>, wurde 2005 mit dem Literaturpreis Baukultur<br />
der Deutschen Architekten- und Ingenieurvere<strong>in</strong>e ausgezeichnet.<br />
Herausgeber:<br />
Initiative Baukunst <strong>in</strong> <strong>Oberfranken</strong><br />
Regierung von <strong>Oberfranken</strong><br />
ISBN: 978-3-936721-33-1<br />
9 783936 721331<br />
Büro Wilhelm Verlag<br />
Preis: 19,80 E<br />
<strong>Enrico</strong> <strong>Santifaller</strong> <strong>Aktuelle</strong> <strong>Architektur</strong> <strong>in</strong> <strong>Oberfranken</strong> E<strong>in</strong> <strong>Architektur</strong>führer<br />
<strong>Aktuelle</strong><br />
<strong>Architektur</strong><br />
<strong>in</strong><br />
<strong>Oberfranken</strong><br />
<strong>Enrico</strong> <strong>Santifaller</strong><br />
E<strong>in</strong> <strong>Architektur</strong>führer
Ausgewählte BAuprojeKte<br />
1 E<strong>in</strong>fachsporthalle JVA Ebrach, Ebrach<br />
2 Wohn- und Geschäftshaus Scharf, Burgebrach<br />
3 Bürgerhaus Hallstadt, Hallstadt<br />
Schloss Seehof, Neubau der östlichen Nebengebäude, Memmelsdorf<br />
Haus R + M, Memmelsdorf-Lichteneiche<br />
E.T.A.-Hoffmann-Gymnasium, Mittagsbetreuung, Bamberg<br />
Ziegelbau, Bamberg<br />
8 Wohnquartier „Mayer´sche Gärtnerei“, Bamberg<br />
9 Fischerhof-Schlösschen, Sanierung und Umnutzung, Bamberg<br />
10 Verb<strong>in</strong>dungssteg, Alte Hofhaltung, Bamberg<br />
11 Teilbibliothek für Sprach- und Literaturwissenschaften, Bamberg<br />
12 E.T.A.-Hoffmann-Theater, Bamberg<br />
13 Archiv des Erzbistums Bamberg, Bamberg<br />
1 Internationales Künstlerhaus Villa Concordia, Bamberg<br />
1 Grundschule, Markt Wiesenttal-Muggendorf<br />
1 Stadthalle, Ebermannstadt<br />
1 Kl<strong>in</strong>ikum Forchheim, Forchheim<br />
18 Wohnhaus W., Lill<strong>in</strong>g<br />
19 Mehrgenerationenwerkstatt, Gräfenberg<br />
20 Hauptverwaltung der HABA Firmengruppe, Bad Rodach<br />
21 Wohnanlage am Kasernenplatz, Dörfles-Esbach<br />
22 Kirchengeme<strong>in</strong>deamt, Coburg<br />
23 Block<strong>in</strong>nenraumgestaltung, Coburg<br />
2 Umbau e<strong>in</strong>es Wohnhauses <strong>in</strong> e<strong>in</strong> <strong>Architektur</strong>büro, Grub am Forst<br />
2 Wohnhaus W<strong>in</strong>ter-Welsch, Kronach<br />
2 Filmburg, Kronach<br />
2 Pfarrzentrum St. Johannes der Täufer, Lichtenfels<br />
28 F1, Wohnbox <strong>in</strong> Holzrahmenbauweise, Kulmbach-Burghaig<br />
29 Wohnriegel H1 am Hang, Kulmbach-Kauernburg<br />
30 Wohnhaus H3, Wonsees<br />
31 Waldhaus Mehlmeisel, Mehlmeisel<br />
32 Sozialer Wohnungsbau, Bayreuth<br />
33 Sanierung und Umbau Friedrichstraße , Bayreuth<br />
3 Evangelischer K<strong>in</strong>dergarten, Bayreuth-Saas<br />
3 Unternehmensleitung E.ON Netz GmbH, Bayreuth<br />
3 Fakultät für angewandte Naturwissenschaften, Bayreuth<br />
3 Mühlkanal, Schlossterrassen, Opernstraße, Bayreuth<br />
38 Kanzleistraße und Kirchplatz, Bayreuth<br />
39 Wohnhaus Pirner, Pegnitz-Ha<strong>in</strong>bronn<br />
0 Spielbank, Bad Steben<br />
1 Parkdeck, Schwarzenbach am Wald<br />
2 Fachhochschule Hof, Hof<br />
3 Stadttheater, Hof<br />
Zeh-Scherzer – Umbau der Porzellanfabrik, Rehau<br />
Neugestaltung des Maxplatzes, Rehau<br />
Musikschule, Selb<br />
Bergbräu, Sanierung und Nutzungsänderung, Arzberg<br />
8 Büroräume, Firma Bley, Marktredwitz<br />
9 „Arche Ahoi“, Marktredwitz<br />
0 Ost-West-Kompetenzzentrum, Marktredwitz<br />
10 11<br />
1<br />
2<br />
20<br />
Bamberg<br />
22<br />
coburg<br />
3<br />
6<br />
14 14<br />
7<br />
8<br />
4<br />
9 10 11<br />
23<br />
5<br />
21<br />
24<br />
12 13<br />
27<br />
17<br />
lichtenfels<br />
16<br />
Forchheim<br />
15<br />
18<br />
19<br />
25 26<br />
Kronach<br />
30<br />
Kulmbach<br />
28 29<br />
Bayreuth<br />
39<br />
34 35<br />
40<br />
41<br />
32 33<br />
36 37 38<br />
42 43<br />
31<br />
hof<br />
44 45<br />
wunsiedel<br />
46<br />
48 49 50<br />
cluster Forst und holz<br />
Das Cluster Forst und Holz ist Teil der Cluster-Offensive der Bayerischen Staatsregierung. In der Diskussion mit verschiedenen<br />
Interessengruppen haben sich für die oberfränkische Regional<strong>in</strong>itiative mehrere Themenkreise herauskristallisiert, darunter das<br />
Thema „Bauen mit Holz“. Noch heute s<strong>in</strong>d 0 % der Fläche <strong>Oberfranken</strong>s mit Wald bedeckt. Als natürliches Baumaterial bestimmte<br />
Holz aus heimischen Wäldern <strong>in</strong> der Vergangenheit die <strong>Architektur</strong> <strong>in</strong> <strong>Oberfranken</strong> über Jahrhunderte maßgeblich mit. Die Initiative<br />
möchte aktiv für die Verwendung von Holz als modernem, CO 2 -neutralem Baustoff werben und Modelle der Zusammenarbeit zwischen<br />
Hochschulen, Handwerk und Wirtschaft entwickeln – e<strong>in</strong>e neue „Holzbaukultur“ soll entstehen. Ziel ist, die Akzeptanz dieses<br />
unter ökologischen und bautechnischen Gesichtspunkten überragenden Baustoffs zu verbessern. Dazu werden Planern und Bauherren<br />
Möglichkeiten von bewährten, aber auch neuen <strong>in</strong>novativen Anwendungen und e<strong>in</strong>em umfassenden E<strong>in</strong>satz des Baustoffes<br />
Holz aufgezeigt: von ganz e<strong>in</strong>fachen Konstruktionen wie dem Blockbau und der Brettstapelbauweise bis zum weit gespannten Flächentragwerk,<br />
das gestalterisch vollendete Entwürfe zulässt. Das aktuellste und wichtigste Projekt der Initiative ist das mehrgeschossige<br />
„Wohlfühlhaus für Jung und Alt“ aus Holz, das mit allen vier Fachbereichen der Coburger Designfakultät im W<strong>in</strong>tersemester<br />
2008/2009 geplant wird und zeigen soll, dass e<strong>in</strong> Holzhaus nicht nur klimafreundlich ist, sondern auch den demografischen<br />
Anforderungen der Zukunft gerecht werden kann.<br />
47
ArchiteKtur Für e<strong>in</strong>e VielFältige region<br />
Zwischen tradition und Fortschritt:<br />
warum oberfranken e<strong>in</strong>e neue Baukultur braucht<br />
„Er sah aus dem Fenster <strong>in</strong>s Zwielicht des anbrechenden Tages.<br />
H<strong>in</strong>ter dem Küchenfenster begann e<strong>in</strong>e Wiese, die noch unbebaut<br />
war, was <strong>in</strong> diesem Neubaugebiet aber nicht mehr lange<br />
so bleiben würde. Es schmerzte Kluft<strong>in</strong>ger manchmal e<strong>in</strong> bisschen,<br />
wenn er <strong>in</strong> diese Siedlungen kam, die eigentlich nichts<br />
mehr mit se<strong>in</strong>em Heimatort zu tun hatten.“<br />
Volker Klüpfel, Michael Kobr: Erntedank, 200<br />
„Es muss alles anders werden.“<br />
Wim Wenders: Im Lauf der Zeit, 19 , Filmszene<br />
Wenn Bagger auf-, Ausrüstung und Arbeiter angefahren werden,<br />
Letztere e<strong>in</strong> Gerüst aufrichten, die Polizei womöglich noch<br />
e<strong>in</strong> paar Straßen sperrt und Umleitungen ausweist, dann ist es<br />
wieder e<strong>in</strong>mal der Fall: E<strong>in</strong>e Baustelle wird e<strong>in</strong>gerichtet. Vor<br />
den Anwohnern liegen Wochen, Monate, manchmal Jahre voller<br />
Lärm, Staub und Dreck. E<strong>in</strong> vertrauter Ort, an den man sich<br />
gewöhnt hat, vielleicht schon als K<strong>in</strong>d gespielt hat, wird verändert.<br />
Umgewandelt, umgeformt, unter Umständen verbessert,<br />
möglicherweise se<strong>in</strong>em Geist entsprechend, vielleicht aber<br />
auch verschlechtert. Das e<strong>in</strong>leitende Zitat, genommen aus der<br />
populären Krim<strong>in</strong>alromanreihe um den Allgäuer Kommissar<br />
Kluft<strong>in</strong>ger, beschreibt die Wehmut sehr gut, die viele befällt,<br />
wenn sie e<strong>in</strong>er Baustelle gewahr werden. Und das nicht selten<br />
zu Recht.<br />
Es gab Zeiten, da war das anders. Die Nachkriegszeit zum<br />
Beispiel. Als alles kaputt und zerstört war, als Millionen von<br />
E<strong>in</strong>heimischen und Flüchtl<strong>in</strong>gen schnellstmöglich e<strong>in</strong> Dach<br />
über dem Kopf brauchten und die Architekten versuchten, mit<br />
neuen Gebäuden den alten Geist auszutreiben, da wurde jede<br />
Baustelle gefeiert. Die Parteiplakate warben mit Ziegelste<strong>in</strong>en,<br />
jede größere Stadt organisierte e<strong>in</strong>e Bauausstellung und von<br />
der Bundesregierung <strong>in</strong>itiierte Demonstrativbauvorhaben etwa<br />
<strong>in</strong> Coburg oder Kulmbach zeigten die Vorteile e<strong>in</strong>er rationalisierten<br />
Bauproduktion. Die <strong>Architektur</strong> des Wiederaufbaus ist<br />
freilich sehr verschieden. Die unterschiedliche Ausprägung h<strong>in</strong>g<br />
vom Ort ab, von den Flächenbedürfnissen der Nutzer, aber auch<br />
von der Aussage, die Bauherr und Architekt ihrem Werk geben<br />
wollten. Das „Haus der Deutschen Erziehung“ <strong>in</strong> Bayreuth etwa,<br />
Veranstaltungszentrum des nationalsozialistischen Lehrerbundes,<br />
wurde 19 zu e<strong>in</strong>em Verwaltungsgebäude umgebaut.<br />
Auch wenn man die Fassade erneuert hatte, die Details im Innenraum<br />
modernisiert, so blieb doch der Charakter e<strong>in</strong>es Nazi-<br />
Baus erhalten. Ganz anders Coburg: An der Ecke Ketschengasse/Albertplatz<br />
wurde e<strong>in</strong> barockes Haus abgerissen und durch<br />
e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>geschossigen Pavillon ersetzt. Die großen Schaufenster<br />
mit ihren bleistiftdünnen Profilen, das elegant gekurvte<br />
Flachdach und die pilzförmig-organische Stütze deuten die<br />
Begeisterung für die Sw<strong>in</strong>g<strong>in</strong>g Fifties an. E<strong>in</strong>en Weg zwischen<br />
Moderne und Tradition versucht das Lehrl<strong>in</strong>gs- und Jugendheim<br />
Don Bosco <strong>in</strong> Pegnitz. Das Heim besteht aus bescheidenen Bauten,<br />
die sich mit großflächigen Fenstern zum Garten öffnen, die<br />
Wände dagegen s<strong>in</strong>d aus Bruchste<strong>in</strong>mauerwerk – e<strong>in</strong>em Material,<br />
aus dem auch die umgebenden Bauten bestehen.<br />
So zufällig diese Beispiele, so charakteristisch s<strong>in</strong>d sie <strong>in</strong> ihrer<br />
Verschiedenheit für <strong>Oberfranken</strong>. Ke<strong>in</strong>e andere Region<br />
<strong>in</strong> Bayern ist so schwer auf e<strong>in</strong>en Begriff, auf den Punkt zu<br />
br<strong>in</strong>gen. Obwohl mit rund .200 Quadratkilometern <strong>in</strong> der Fläche<br />
der kle<strong>in</strong>ste, mit knapp 1.100.000 E<strong>in</strong>wohnern <strong>in</strong> Sachen<br />
Bevölkerung der zweitkle<strong>in</strong>ste Regierungsbezirk Bayerns, ist<br />
ke<strong>in</strong> anderer so zersplittert. <strong>Oberfranken</strong> ist e<strong>in</strong> Mosaik von<br />
Teilregionen, die von den Klimaverhältnissen bis zur Religion,<br />
von den Naturräumen bis zur Kultur, von der Wirtschaftskraft<br />
bis zur Geschichte höchst unterschiedlich s<strong>in</strong>d. Der Gegensatz<br />
zwischen <strong>Oberfranken</strong>s Westen und Osten ist nur der auffälligste.<br />
Er entspricht der Historie – hier Hochstift Bamberg, dort<br />
Markgrafschaft Brandenburg-Bayreuth – und der Religion – hier<br />
katholisch, dort protestantisch. Und diese Dichotomie gründet<br />
buchstäblich tief: Anders als <strong>in</strong> Unter- und Mittelfranken, die<br />
<strong>in</strong> geologischer H<strong>in</strong>sicht e<strong>in</strong>e relative E<strong>in</strong>heit bilden, wird <strong>Oberfranken</strong><br />
entlang der von Südost nach Nordwest verlaufenden so-<br />
genannten „fränkischen L<strong>in</strong>ie“ zweigeteilt. Das östliche Drittel<br />
gehört mit Frankenwald und Fichtelgebirge zum Grundgebirge<br />
des Erdaltertums. Der Westen mit Steigerwald, Hassbergen,<br />
Itz-Baunach-Hügelland, Grabfeld sowie der nördlichen Frankenalb<br />
dagegen gehört zum Schichtstufenland des Erdmittelalters.<br />
Aus den diese geologischen Formationen bildenden Geste<strong>in</strong>en<br />
bestand jeweils das bevorzugte lokale Baumaterial, das <strong>in</strong><br />
kle<strong>in</strong>en, heute vielfach überwachsenen Ste<strong>in</strong>brüchen abgebaut<br />
wurde. Bruchste<strong>in</strong>mauern, beispielsweise aus hellgelbem<br />
Dolomit, f<strong>in</strong>det man recht häufig <strong>in</strong> der Gräfenberger Gegend.<br />
Die Mauern sowie der Bauschmuck des Bamberger Doms bestehen<br />
aus diversen Sandste<strong>in</strong>sorten des Umlands. Die schieferbedeckten<br />
Bauernhäuser des Frankenwaldes, die Tür- und<br />
Fenstergewände aus Granit im östlichen Fichtelgebirgsraum<br />
zeugen von der geologischen Beschaffenheit des jeweiligen<br />
Bergmassivs. Der Holzreichtum beider Landstriche spielte darüber<br />
h<strong>in</strong>aus beim Bergbau der frühen Neuzeit e<strong>in</strong>e wesentliche<br />
Rolle. Im Rückblick ersche<strong>in</strong>t dieser Holzreichtum geradezu als<br />
Voraussetzung für die frühe Industrialisierung des oberfränkischen<br />
Nordostens.<br />
„O Täler weit, o Höhen, o schöner grüner Wald, du me<strong>in</strong>er<br />
Lust und Wehen andächt’ger Aufenthalt.“ Diese, später von<br />
Felix Mendelssohn Bartholdy vertonten Verse hat Joseph von<br />
Eichendorff nach e<strong>in</strong>em Besuch <strong>in</strong> Bad Berneck im Fichtelgebirge<br />
1811 gedichtet. <strong>Oberfranken</strong> ist neben dem Rhe<strong>in</strong>tal<br />
das gelobte Land der deutschen Romantik. Beg<strong>in</strong>nend mit den<br />
beiden Berl<strong>in</strong>ern Wilhelm He<strong>in</strong>rich Wackenroder und Ludwig<br />
Tieck, die vom Studienort Erlangen aus nach Bamberg, zum<br />
Schloss Weißenste<strong>in</strong> bei Pommersfelden, <strong>in</strong> die Fränkische<br />
Schweiz, nach Bayreuth und <strong>in</strong>s Fichtelgebirge wanderten und<br />
ihre nachmals berühmten Reiseberichte verfassten, werden die<br />
nun „zauberhaft“ und „geheimnisvoll“ genannten Landschaften<br />
<strong>Oberfranken</strong>s – bald auch touristisch – entdeckt. Die mittelalterlich<br />
anmutenden Städte und Residenzen, die Burgru<strong>in</strong>en und<br />
Bergwerke werden zum Projektionsbild romantischer Sehnsucht.<br />
1808 verschlägt es E.T.A. Hoffmann nach Bamberg, wo er<br />
die Stelle e<strong>in</strong>es Musikdirektors antritt. Der Schriftsteller, Musiker,<br />
Jurist und Maler blieb vier Jahre und e<strong>in</strong>en W<strong>in</strong>ter, obwohl<br />
sich ke<strong>in</strong>e se<strong>in</strong>er Hoffnungen erfüllte. Als Musikdirektor beim<br />
Theater, das heute nach ihm benannt ist, schlägt ihm nicht nur<br />
die Ablehnung des Bamberger Publikums, sondern auch der<br />
Musiker entgegen, die bewusst falsch spielen. Hoffmanns Bamberger<br />
Erfahrungen f<strong>in</strong>den sich später <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em dichterischen<br />
Œuvre verarbeitet, im „Kater Murr“, im „Goldenen Topf“, doch<br />
als er am 21. April 1813 die Stadt Richtung Dresden verließ,<br />
schrieb er <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Tagebuch: „Me<strong>in</strong>e Lehr- und Marterjahre s<strong>in</strong>d<br />
nun <strong>in</strong> Bamberg abgebüßt.“ Der oberfränkische Romantiker ist<br />
freilich e<strong>in</strong> anderer, e<strong>in</strong>er, der den Kollegen Hoffmann mehrmals<br />
<strong>in</strong> Bamberg besuchte: Jean Paul. Geboren <strong>in</strong> Wunsiedel,<br />
aufgewachsen <strong>in</strong> bitterster Armut <strong>in</strong> Joditz, Schwarzenbach<br />
an der Saale und Hof, kam er bis auf se<strong>in</strong> Studium <strong>in</strong> Leipzig<br />
und kurzjährige Aufenthalte <strong>in</strong> Weimar und Berl<strong>in</strong> kaum aus<br />
se<strong>in</strong>er Heimat heraus. Se<strong>in</strong>e metaphernseligen, verklausulierten<br />
Romane spielen <strong>in</strong> den geheimnisvollen, vom Nebel<br />
und Schnee umkränzten Hochebenen des Frankenwaldes und<br />
Fichtelgebirges. Doch wiederholt bedachte der Dichter se<strong>in</strong>e<br />
Heimat mit süffigen Sottisen. An Bayreuth pries Jean Paul die<br />
„schimmernde, aus dem Aether gesunkene“ <strong>Architektur</strong> Sa<strong>in</strong>t-<br />
Pierres und Gontards, war fasz<strong>in</strong>iert vom „Zaubergürtel“ der<br />
umgebenden Landschaft, später allerd<strong>in</strong>gs, enttäuscht von der<br />
städtischen Gesellschaft, schrieb er: „Bayreuth hat den Fehler,<br />
dass zu viele Bayreuther dar<strong>in</strong> wohnen.“<br />
Romantisches <strong>Oberfranken</strong>: Die Burg Rabenste<strong>in</strong> <strong>in</strong> der Fränkischen<br />
Schweiz.<br />
E<strong>in</strong> moderner Nachfahre der deutschen Romantiker ist Wim<br />
Wenders. Se<strong>in</strong> früher, im Sommer 19 gedrehter Film „Im Lauf<br />
der Zeit“, gefilmt an der <strong>in</strong>nerdeutschen Grenze von Lüneburg<br />
bis nach Hof, ist e<strong>in</strong>e Hommage an die Romantik und gleichzeitig<br />
e<strong>in</strong>e blues-unterlegte Liebeserklärung an die herbe oberfränkische<br />
Landschaft, ihre Fachwerkidyllen und ihre Bewohner,<br />
zugleich tastende Suche nach dem eigenen Ich und opulentes<br />
Schwelgen <strong>in</strong> den traumhaften Weiten, der Stille und der E<strong>in</strong>samkeit<br />
der Wälder und Bergkuppen. Mit riesigen Totalen und<br />
langen Schwenks nähert sich Wenders der <strong>in</strong>nerdeutschen<br />
Grenze – dem Todesstreifen, den Posten und Wachtürmen – und<br />
gew<strong>in</strong>nt ihr e<strong>in</strong>e melancholisch-lakonische Poesie ab. „Der<br />
Stoff, aus dem die Zäune s<strong>in</strong>d, besteht aus Beton und Draht“,<br />
schrieb der Journalist Wolfgang Buhl im Jahre 19 über die<br />
Grenze zur DDR. <strong>Oberfranken</strong> traf die Teilung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e freie und<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e sozialistische Welt besonders hart. Coburg beispielsweise<br />
war, trotz des Anschlusses an Bayern 1920, seit dem frühen<br />
12 13<br />
Mittelalter <strong>in</strong> Richtung Thür<strong>in</strong>gen orientiert, Hof Richtung<br />
Sachsen und das Sechs-Ämter-Land, heute der Landkreis Wunsiedel,<br />
nach Böhmen. Wie sonst nur noch Österreich war <strong>Oberfranken</strong><br />
die e<strong>in</strong>zige Region Europas mit Grenzen zu zwei Staaten<br />
des Warschauer Pakts. Was vor 19 <strong>in</strong> der Mitte Deutschlands<br />
war, war plötzlich Peripherie, war am Ende der Welt, im toten<br />
W<strong>in</strong>kel, im Schatten medialer Aufmerksamkeit.<br />
Wie aus der grünen e<strong>in</strong>e immer befestigtere, später unüberw<strong>in</strong>dliche<br />
Grenze wird, beschreibt Helmut Käutners Film<br />
„Himmel ohne Sterne“ aus dem Jahre 19 9, den er auf der Burg<br />
Lauenste<strong>in</strong> und im Frankenwald drehte. Käutner <strong>in</strong>szenierte<br />
mit leichter Hand und doch subtil e<strong>in</strong> Melodram, das die durch<br />
die Teilung entstandene menschliche Not schildert. Der etwa<br />
von der New York Times gefeierte Film plädierte über alle<br />
großpolitischen Spannungen h<strong>in</strong>aus, die alltäglichen Tragödien<br />
der am offenen Herzen vollzogenen Trennung nicht zu vergessen:<br />
etwa die <strong>in</strong> der 0-Seelen-Geme<strong>in</strong>de Mödlareuth, 12<br />
Kilometer nördlich von Hof, wo der Eiserne Vorhang <strong>in</strong>klusive<br />
Selbstschussanlagen den Ort durchschnitt, weshalb die amerikanischen<br />
Grenzposten den Weiler „Little Berl<strong>in</strong>“ nannten. Die<br />
kle<strong>in</strong>e Wiedervere<strong>in</strong>igung <strong>in</strong> Kle<strong>in</strong>tettau dagegen war e<strong>in</strong>malig,<br />
als 19 e<strong>in</strong> etwa 100 Meter breiter und e<strong>in</strong> Kilometer langer<br />
DDR-Wurmfortsatz mit drei verlassenen Häusern der Bundesrepublik<br />
ganz offiziell überlassen wurde.<br />
In Käutners Streifen verliert sich zwar die Liebe se<strong>in</strong>er Protagonisten<br />
buchstäblich im Niemandsland, doch besteht vor<br />
dem Mauerbau noch Hoffung auf Überw<strong>in</strong>dung der Grenzen. In<br />
Wenders e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halb Dekaden später entstandenem Road Movie<br />
dagegen hat sich der Todesstreifen – trotz neuer Ostpolitik,<br />
trotz Grundlagenvertrag und kle<strong>in</strong>em Grenzverkehr – tief <strong>in</strong>s<br />
kollektive Bewusstse<strong>in</strong> e<strong>in</strong>gegraben. Der Film, der auch die<br />
Geschichte der sterbenden Landk<strong>in</strong>os erzählt, erweist sich als<br />
Metapher für die Entvölkerung des Gebiets beidseits der Grenze.<br />
<strong>Oberfranken</strong> verlor als e<strong>in</strong>ziger der neun bayerischen Regierungsbezirke<br />
bis 1989 kont<strong>in</strong>uierlich an Bevölkerung. Zwischen<br />
19 0 und 198 g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> den Landkreisen Hof und Wunsiedel die<br />
E<strong>in</strong>wohnerzahl um rund e<strong>in</strong> Fünftel zurück. Wer dablieb, richtete<br />
sich leidlich e<strong>in</strong>. <strong>Oberfranken</strong>, die <strong>in</strong>dustrielle Wiege Bayerns,<br />
war se<strong>in</strong>es H<strong>in</strong>terlandes beraubt. Die Wirtschaft, deren traditionelle<br />
Rohstoff- und Absatzmärkte verloren waren, h<strong>in</strong>g nicht<br />
selten am Tropf der Zonenrandförderung. Gefertigt wurde aufgrund<br />
der niedrigen Löhne und hoher Subventionen vor allem<br />
arbeits<strong>in</strong>tensive Massenware. Doch die Wettbewerbsfähigkeit<br />
der Unternehmen blieb labil. Zudem wurde die Ansiedlung<br />
anderer Branchen vielfach verh<strong>in</strong>dert, obzwar es e<strong>in</strong>zelne wie<br />
Rosenthal gab, die mit Hilfe von bekannten Designern, Künstlern<br />
und Architekten auch <strong>in</strong>ternational positiv ausstrahlten.<br />
Auch andere Branchen konnten Erfolge verzeichnen: etwa der<br />
Tourismus: <strong>Oberfranken</strong> wurde zur Wochenend- und Ferienregion<br />
für die Bürger Berl<strong>in</strong>s. Aber <strong>in</strong> der Mehrheit wurde <strong>Oberfranken</strong><br />
– mit Ausnahmen wie Coburg oder Bamberg – vor allem<br />
wirtschaftlich gesehen zur Problemregion Bayerns.<br />
Noch e<strong>in</strong>mal Wenders: In e<strong>in</strong>er der letzten Filmszenen lässt er<br />
die Botschaft „Es muss alles anders werden“ auf e<strong>in</strong> von den<br />
US-Soldaten aufgegebenes Wachhäuschen direkt an der Grenze<br />
p<strong>in</strong>nen. Der Filmemacher als Hellseher? 1 Jahre nachdem der
Film abgedreht war, wurde nicht alles, aber vieles anders.<br />
Unvergessen die kilometerlangen Trabbi-Schlangen auf der<br />
vorher kaum befahrenen Autobahn Richtung Hof und Bayreuth.<br />
Unvergessen die auf Wochen ausverkauften Läden. In den ersten<br />
Monaten nach der Wende bekam man <strong>in</strong> den grenznahen<br />
Landkreisen ke<strong>in</strong> gebrauchtes Auto. Die 19 gekappten Verkehrsverb<strong>in</strong>dungen<br />
wurden nach und nach wieder hergerichtet,<br />
neue kamen h<strong>in</strong>zu wie etwa die Autobahn Bamberg-Coburg-<br />
Erfurt. Die Bevölkerung wuchs vor allem wegen e<strong>in</strong>es positiven<br />
Wanderungssaldos wieder an, ebenso die Beschäftigten, während<br />
die Arbeitslosenquote sank – doch es war nur Strohfeuer.<br />
Die Wiedervere<strong>in</strong>igungseuphorie verdeckte den Strukturwandel,<br />
die Krise vor allem der alten Industrie – von Porzellan zu<br />
Textil, von Glas bis zu Möbel und Spielzeug –, die schon <strong>in</strong> den<br />
1980ern e<strong>in</strong>setzte und sich im Zuge der Globalisierung verstärkte.<br />
19 0 arbeiteten noch 31 Prozent aller oberfränkischen<br />
Beschäftigten im Textilgewerbe, 200 waren es gerade noch<br />
sieben. Ähnliches beim Glas- und Keramikgewerbe: 19 0 waren<br />
es 2 Prozent, 200 nur noch elf.<br />
Das ebenso plötzliche wie unerwartete Rücken vom Rand <strong>in</strong>s<br />
Zentrum der Republik brachte nicht nur Chancen, sondern auch<br />
Verwerfungen mit sich. Während <strong>in</strong> Mödlareuth 199 e<strong>in</strong> sehenswertes<br />
„Deutsch-Deutsches Museum“ e<strong>in</strong>gerichtet wurde,<br />
verloren viele <strong>Oberfranken</strong> ihren Arbeitsplatz. Im Westen lief<br />
die Zonenrandförderung aus, jenseits der früheren Grenze wurden<br />
Investitionen mit bis zu 0 Prozent subventioniert. Zudem<br />
waren – und s<strong>in</strong>d – die Löhne „drüben“ wesentlich ger<strong>in</strong>ger. In<br />
e<strong>in</strong>em Bericht über die Wirtschaftslage am früheren Eisernen<br />
Vorhang aus dem Jahre 2000 verzeichnete die „Zeit“ e<strong>in</strong> Lohngefälle<br />
von 10:1. Die durchschnittliche Arbeitsstunde kostete<br />
e<strong>in</strong>en Unternehmer <strong>in</strong> Wunsiedel umgerechnet brutto 12, 0<br />
Euro, im 3 Kilometer entfernten Cheb, dem früheren Eger,<br />
gerade etwas über e<strong>in</strong>en Euro. Vom Friseur über den Zahnarzt<br />
bis zur Kur, vom Benz<strong>in</strong> über den Schnaps bis zum Tabak: Wer<br />
kann, der fährt e<strong>in</strong>e viertel, e<strong>in</strong>e halbe Stunde und erhält <strong>in</strong><br />
Tschechien Dienstleistungen und Waren erheblich günstiger.<br />
Ke<strong>in</strong> Wunder, dass gerade die arbeits<strong>in</strong>tensive, ger<strong>in</strong>g qualifizierte<br />
Massenproduktion abwanderte. Manche Unternehmen<br />
behielten ihre Verwaltungszentralen sowie Entwicklungs- und<br />
Forschungsabteilungen im Westen, die Fertigung aber – die<br />
Arbeitsplätze für Ger<strong>in</strong>gqualifizierte – wanderte nach Osten.<br />
Freilich, das E<strong>in</strong>schätzen der aktuellen Wirtschaftskraft <strong>Oberfranken</strong>s<br />
hängt stark von der Perspektive, vom Kontext ab.<br />
Innerhalb Bayerns liegt <strong>Oberfranken</strong> auf den h<strong>in</strong>teren Rängen.<br />
Wäre <strong>Oberfranken</strong> e<strong>in</strong> selbstständiges Bundesland, würde es<br />
<strong>in</strong> Sachen Wirtschaftsleistung und Arbeitslosigkeit nach<br />
Bayern und Baden-Württemberg auf Platz drei liegen. Im August<br />
2008 betrug die Arbeitslosenquote <strong>in</strong> Bayern 3,9 Prozent, <strong>in</strong><br />
<strong>Oberfranken</strong> ,0 und im Bundesdurchschnitt , Prozent. Immer<br />
noch verzeichnet der Regierungsbezirk die dritthöchste Industriedichte<br />
<strong>in</strong> der Europäischen Union, die Zahl der Industriebeschäftigten<br />
je 1.000 E<strong>in</strong>wohner liegt um 0 Prozent über dem<br />
Bundesdurchschnitt. Die IHK Bayreuth zählt darüber h<strong>in</strong>aus<br />
rund 00 „hidden leaders“ auf: mittelständische Unternehmen,<br />
die <strong>in</strong> <strong>Oberfranken</strong> ansässig und auf ihrem Spezialgebiet<br />
Weltmarktführer s<strong>in</strong>d. Namen wie Brose (Coburg, Bamberg)<br />
oder die Rehau Gruppe (Rehau), Moll (Bamberg) und Scherdel<br />
(Marktredwitz) s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Fachkreisen weit über die Grenzen<br />
Deutschlands bekannt. Die öffentliche Hand versucht diese<br />
positiven Entwicklungen auch mittels regionaler Cluster zu<br />
unterstützen. Diese Konzentrationen von Unternehmen, Zulieferern,<br />
Dienstleistungsanbietern, regionalen Institutionen und<br />
Ausbildungsstätten soll die Produktivität erhöhen und die Zahl<br />
der Innovationen steigern. Insgesamt gibt es <strong>in</strong> <strong>Oberfranken</strong> 19<br />
solche Cluster, die teilweise – wie Möbel, Logistik oder Textil<br />
und Bekleidung – traditionelle Produktions- und Dienstleisterstrukturen,<br />
Erfahrungen und angestammte Kompetenz nutzen<br />
und diese weiterentwickeln.<br />
Der Cluster „Glas, Porzellan, Keramik“ beispielsweise hat weniger<br />
die Herstellung von Tellern und Tassen im S<strong>in</strong>n, sondern<br />
Entwicklung von Hightech-Keramik und Spezialgläsern, die <strong>in</strong><br />
Automobilen, <strong>in</strong> Mobiltelefonen oder sogar <strong>in</strong> der Raumfahrt<br />
zum E<strong>in</strong>satz kommen. Neben München und Nürnberg ist das<br />
Kulmbacher Land drittgrößtes Zentrum der Lebensmittelverarbeitung<br />
<strong>in</strong> Bayern. Der regionale Cluster „Ernährung“ hat<br />
se<strong>in</strong>en Schwerpunkt <strong>in</strong> Kulmbach, wo auch das Bundesforschungs<strong>in</strong>stitut<br />
für Ernährung und Lebensmittel (Max Rubner-<br />
Institut) residiert. Wenn man den Lebensmittelbegriff etwas<br />
weiter fasst, kommt diesem Kompetenzzentrum auch der Umstand<br />
zu Gute, dass <strong>Oberfranken</strong> die höchste Brauereidichte<br />
der Welt vorweisen kann. Vom „Schlenkerla“ <strong>in</strong> Bamberg, das<br />
es sogar <strong>in</strong>s Onl<strong>in</strong>e-Lexikon Wikipedia geschafft hat, bis zum<br />
von Gourmets geschätzten Herrmanns Posthotel und Restaurant<br />
<strong>in</strong> Wirsberg steht darüber h<strong>in</strong>aus e<strong>in</strong>e Reihe von Gastronomiebetrieben<br />
zur Verfügung, die diesen Cluster mit dem <strong>in</strong><br />
<strong>Oberfranken</strong> wichtigen Tourismus verknüpft. E<strong>in</strong> bedeutender<br />
Aspekt der Clusterpolitik ist die Vernetzung von Wirtschaft<br />
und Wissenschaft. Die vier <strong>in</strong> den 19 0er Jahren gegründeten<br />
Hochschulen (<strong>in</strong> Hof erst 199 ) <strong>in</strong>vestieren <strong>in</strong> jeweils unterschiedliche<br />
Forschungsbereiche und arbeiten mit außeruniversitären<br />
Forschungse<strong>in</strong>richtungen wie dem Kompetenzzentrum<br />
Neue Materialien Nordbayern oder dem Friedrich-Baur-Forschungs<strong>in</strong>stitut<br />
für Biomaterialien (beide Bayreuth) zusammen.<br />
E<strong>in</strong> idealtypisches Cluster stellt etwa die Textilbranche<br />
<strong>in</strong> <strong>Oberfranken</strong> dar: Auf engstem Raum (Hof und Kulmbach) ist<br />
die gesamte Wertschöpfungskette Textil zusammengefasst.<br />
Der <strong>in</strong> Münchberg residierende Fachbereich Textiltechnik der<br />
Hochschule Hof unterstützt die Betriebe der Gegend mit Forschungs-,<br />
Entwicklungs- und Qualifizierungsmaßnahmen. Vor<br />
allem bieten die Hochschulen e<strong>in</strong>e praxisnahe Ausbildung,<br />
wobei die eher reflektierenden Kulturwissenschaften vor allem<br />
an der Universität Bamberg ihren Sitz haben. Auch hier gibt es<br />
Kooperationsmöglichkeiten: Die Studenten der Designfakultät<br />
<strong>in</strong> Coburg können <strong>in</strong> Bamberg den Masterstudiengang „Heritage<br />
Conservation“ belegen. Insgesamt ist vieles im Fluss, gerade<br />
die Vernetzung – von Unternehmen und Unternehmen, von Unternehmen<br />
und Hochschulen, aber auch die zwischen den Kommunen<br />
– könnte noch um e<strong>in</strong> Vielfaches offensiver angegangen<br />
werden. Der „Krieg um die Köpfe“ hat bereits begonnen, für<br />
Unternehmen wird es immer schwieriger, hoch qualifiziertes<br />
Personal nach <strong>Oberfranken</strong> zu locken bzw. es <strong>in</strong> der Region zu<br />
halten.<br />
<strong>Oberfranken</strong> hat als Region e<strong>in</strong> Imageproblem – nach außen und<br />
nach <strong>in</strong>nen. Das liegt an besagter Zersplitterung, an den jeweils<br />
eigenen Subregionen mit ihrer <strong>in</strong>dividuellen Geschichte, wobei<br />
nicht jedes Kapitel rühmlich ist. Man kennt und schätzt die alt-<br />
ehrwürdigen Städte <strong>Oberfranken</strong>s, die e<strong>in</strong>zelnen Landstriche,<br />
die attraktiven Ferienregionen. Aber es gibt ke<strong>in</strong>e zentripetale<br />
Metropole, die beispielhaft für die Region steht. Es gibt ke<strong>in</strong><br />
Bild, das man sofort mit der Region <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung br<strong>in</strong>gt. Weder<br />
e<strong>in</strong> historisches noch e<strong>in</strong> modernes. Zwar nennt <strong>Oberfranken</strong><br />
e<strong>in</strong>e vielfältige zeitgenössische Kulturszene se<strong>in</strong> Eigen: von<br />
Eugen Gomr<strong>in</strong>gers Institut für konkrete Poesie <strong>in</strong> Rehau über<br />
das Bayreuther Kunstmuseum und die Studiobühne bis zum<br />
Künstlerhaus Concordia <strong>in</strong> Bamberg. Jede der vier kreisfreien<br />
Städte besitzt e<strong>in</strong> Drei-Sparten-Theater. Moderne Schriftsteller<br />
wirken <strong>in</strong> <strong>Oberfranken</strong>: von der Dramatiker<strong>in</strong> Kerst<strong>in</strong> Specht<br />
und der Unterhaltungsliterat<strong>in</strong> Tanja K<strong>in</strong>kel über den Mundartpoeten<br />
Gerhard C. Krischker und den Lyriker Jochen Lobe bis<br />
zum populärsten unter ihnen, dem K<strong>in</strong>derbuchautor Paul Maar.<br />
Und natürlich gibt es die Festivals: von den Hofer Filmtagen<br />
unter He<strong>in</strong>z Badewitz – übrigens Wenders Aufnahmeleiter bei<br />
„Im Lauf der Zeit“ – über die Luisenburg-Festspiele nahe Wunsiedel<br />
unter Michael Lerchenberg bis zu, selbstverständlich,<br />
den Bayreuther Richard-Wagner-Festspielen. Doch das Exemplarische,<br />
das für die Region steht, das fehlt.<br />
Partizipativer Stadtumbau West: Bürger und Architekten gestalteten<br />
geme<strong>in</strong>sam den Bürgerpark <strong>in</strong> Selb im Rahmen des Stadtumbaus.<br />
Ebenso <strong>in</strong> der <strong>Architektur</strong>. <strong>Oberfranken</strong> steht im Inventar der<br />
an moderner <strong>Architektur</strong> Interessierten nicht an erster Stelle.<br />
Die Kritiker der Bauzeitschriften und Feuilletons überregionaler<br />
Tageszeitungen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie <strong>in</strong> den Metropolen<br />
unterwegs, auch wenn sie ausgetretene Pfade betreten. Und<br />
auch für die großen Immobilien<strong>in</strong>vestoren ist <strong>Oberfranken</strong> nicht<br />
unbed<strong>in</strong>gt erste Adresse. Um Missverständnissen vorzubeugen:<br />
Das wird auch durch das vorliegende Buch nicht anders werden.<br />
Und doch, die hier vorgestellten 0 Bauwerke – vom Theater<br />
bis zum E<strong>in</strong>familienhaus, von der Gestaltung e<strong>in</strong>es städtischen<br />
Platzes bis zum Bürogebäude, von der Kita bis zum Verb<strong>in</strong>dungssteg<br />
– s<strong>in</strong>d bildkräftige Beispiele der Modernisierung, die<br />
derzeit <strong>in</strong> <strong>Oberfranken</strong> stattf<strong>in</strong>det. Die nötig ist, die sich, soll<br />
die Zukunft bewältigt werden, fortsetzen muss. Die <strong>in</strong> dieser<br />
Publikation präsentierten Gebäude wollen und können sich<br />
nicht an <strong>Oberfranken</strong>s Klassikern <strong>in</strong> Sachen Baukunst messen:<br />
Die Burgen – von der Plassenburg über die Festung Rosenberg<br />
zur Veste Coburg –, die Kirchen – der Bamberger Dom etwa,<br />
Vierzehnheiligen oder, vom gleichen Balthasar Neumann, die<br />
1 1<br />
eher unbekannte Basilika <strong>in</strong> Gößwe<strong>in</strong>ste<strong>in</strong> –, die Schlösser<br />
– von Weißenste<strong>in</strong> über Ehrenburg bis zur Eremitage – s<strong>in</strong>d aus<br />
gänzlich anderen Motiven, mit e<strong>in</strong>em völlig anderen f<strong>in</strong>anziellen<br />
H<strong>in</strong>tergrund entstanden als die zeitgenössische, stets zweckgebundene<br />
und ständig f<strong>in</strong>anziell h<strong>in</strong>terfragte Flächenproduktion.<br />
Interessant ist, dass man diesen halben Hunderter an moderner<br />
<strong>Architektur</strong> gut zur Hälfte der Kategorie „Bauen im<br />
Bestand“ zuzuordnen hat. Ob das Schließen von Baulücken, ob<br />
Erweiterungen bestehender Bauten, ob kaum sichtbare Umbauten<br />
<strong>in</strong> historischen Hüllen – stets war von den Architekten<br />
und Ingenieuren e<strong>in</strong> sensibles E<strong>in</strong>gehen auf den Ort und dessen<br />
Bed<strong>in</strong>gungen, das Anknüpfen an die im Umfeld verwendeten<br />
Materialien, Formen und Dimensionen, das optimale Verschränken<br />
von Alt und Neu gefordert. Diszipl<strong>in</strong> und Engagement waren<br />
nötig, Zurückhaltung und Erf<strong>in</strong>dungsreichtum, Respekt, aber<br />
auch Mut. Die zeitgenössischen Anforderungen an das Bauen<br />
– etwa die mittlerweile auch gesetzlich sanktionierte Schonung<br />
der (Energie-)Ressourcen – s<strong>in</strong>d ebenso <strong>in</strong> die Beispiele <strong>in</strong>tegriert<br />
wie der Tribut an die Geschichte. Selbst der Stadtumbau<br />
West, der derzeit vor allem <strong>in</strong> Nordostoberfranken stattf<strong>in</strong>det,<br />
ist beides: Hoffnung machender Neuanfang und gleichzeitig<br />
Achtung der Leistung früherer Generationen. Die auf den folgenden<br />
Seiten dargebotenen <strong>Architektur</strong>en s<strong>in</strong>d gute, bisweilen<br />
hervorragende Beispiele von dem, was entsteht, wenn die Baustelle<br />
e<strong>in</strong>em Gebäude weicht. Es s<strong>in</strong>d Gebäude, die den Maßstab<br />
der Umgebung aufnehmen und nun selbst maßstabssetzend<br />
s<strong>in</strong>d. Letztlich Gebäude, die Heimat weiterbauen. Zwar wird<br />
manchen weiterh<strong>in</strong> Wehmut befallen angesichts der billigen<br />
Kisten, die die hier vorgestellte qualitätvolle <strong>Architektur</strong> <strong>in</strong><br />
<strong>Oberfranken</strong> bei weitem überwiegen, auch zu Recht. Deswegen<br />
gilt: <strong>Oberfranken</strong> braucht bessere <strong>Architektur</strong>, braucht Baukultur<br />
im S<strong>in</strong>ne von höherer Qualität und öffentlicher, aber vorurteilsfreier<br />
und sich gegenseitig ernstnehmender Diskussion.<br />
Dieses Buch und die geplanten Ausstellungen, welche die hier<br />
präsentierten Bauwerke <strong>in</strong> den Städten der Region vorstellen,<br />
sollen e<strong>in</strong> Anstoß dazu se<strong>in</strong>.
Streitberg
egion BAMBerg und ForchheiM<br />
das weltkulturerbe als wille und Vorstellung<br />
Bamberg – schön alt und funktionalistisch modern<br />
„Das Rom des Nordens“, das „Prag an der Regnitz“, „die<br />
fränkische Akropolis“ oder „Kle<strong>in</strong>-Venedig“: Von Bamberg zu<br />
sprechen, heißt <strong>in</strong> die oberste Vokabel-Schublade greifen. Der<br />
Schriftsteller Godehard Schramm überschreibt se<strong>in</strong>en Artikel<br />
über das bauliche Erbe Bambergs mit „Die sanierte Traumstadt“.<br />
Karl-He<strong>in</strong>z Deschner, stets spitzzüngiger Kirchenkritiker,<br />
bezeichnet se<strong>in</strong>e Geburtsstadt als die „wahrsche<strong>in</strong>lich<br />
schönste Stadt Deutschlands“. Und Hans Wollschläger, ruhmreicher<br />
200 verstorbener Übersetzer des Ulysses, mühte bei<br />
ähnlicher Formulierung sogar den Allmächtigen: „Bei Gott e<strong>in</strong>e<br />
schöne Stadt“. Die Schönheit dieser Stadt hat seit 1993 sogar<br />
e<strong>in</strong>en offiziellen Titel: Weltkulturerbe. Freilich, gerade wenn es<br />
um solch e<strong>in</strong> Markenzeichen geht, sollte man präzise se<strong>in</strong>: Die<br />
UNESCO hat nicht Bamberg <strong>in</strong> die Liste des Welterbes aufgenommen,<br />
sondern die Bamberger Altstadt.<br />
Das Gebiet „repräsentiert <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zigartiger Weise die auf frühmittelalterlicher<br />
Grundstruktur entwickelte mitteleuropäische<br />
Stadt“, heißt es <strong>in</strong> der Begründung. Und: „In dem historischen<br />
Stadtbild mit se<strong>in</strong>en zahlreichen Monumentalbauten aus dem<br />
11. bis 18. Jahrhundert – e<strong>in</strong>e Synthese aus mittelalterlichen<br />
Kirchen und barocken Bürgerhäusern sowie Palästen – bleiben<br />
architekturgeschichtliche Momente lebendig, die ganz Europa<br />
betrafen.“ Auch dieser Satz sollte zur Präzision anregen.<br />
Nicht e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige Bauepoche wurde ausgezeichnet, nicht die<br />
Romanik, nicht die Gotik, nicht der Barock, sondern das Mite<strong>in</strong>ander,<br />
die Achtung des Erbes wie auch dessen Verwerfung und<br />
des an se<strong>in</strong>e Stelle Tretenden, das bisweilen beziehungslose,<br />
bisweilen verknüpfte Nebene<strong>in</strong>ander, die Historisierung und<br />
das Anverwandeln im Stil der Zeit. In e<strong>in</strong>er Zeit, <strong>in</strong> der gegen<br />
die Zumutungen der Moderne wiederholt auf die „europäische<br />
Stadt“ rekurriert wird, gilt dieses Mite<strong>in</strong>ander, das Vielfalt und<br />
Atmosphäre verspricht, aber gegenseitige Toleranz zur Bed<strong>in</strong>gung<br />
hat, als Vorbild.<br />
Wegen se<strong>in</strong>er überschaubaren Dimensionen und der topografischen<br />
Lage bietet Bamberg nicht nur dem Stadthistoriker<br />
die Chance, wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Prospekt die Siedlungsgeschichte<br />
dieser Stadt zu erkennen. Lässt der Besucher se<strong>in</strong>e Blicke<br />
vom Domberg aus <strong>in</strong> das Tal schweifen, liegen die e<strong>in</strong>zelnen<br />
Entwicklungsschübe wie Schichten vor ihm: der Dombezirk als<br />
Siedlungskern auf e<strong>in</strong>em Ausläufer des Steigerwaldes, die anschließende<br />
erste bürgerliche Siedlung auf dem „Sand“, e<strong>in</strong>em<br />
schmalen Streifen zwischen dem Bergfuß und dem südlichen<br />
Regnitz-Arm. Im 12. Jahrhundert begann sich die Inselsiedlung<br />
zwischen den beiden Flussarmen zu entwickeln. Nachdem der<br />
Hang des Kaulbergs urbar gemacht wurde, siedelten sich im 13.<br />
Jahrhundert im Süden der Sandstadt Bettelorden und Juden an.<br />
Die im späten Mittelalter wachsende Inselstadt stellte die Verb<strong>in</strong>dung<br />
zum Gelände westlich des zweiten Regnitzarms her. Im<br />
Schnittpunkt zweier Fernhandelswege gelegen, siedelten sich<br />
dort vor allem landwirtschaftliche Betriebe an – die sogenannte<br />
Gärtnerstadt.<br />
Erhebliche Konsequenzen brachte der Regierungsantritt der<br />
Schörnbornschen Bischöfe mit sich: Mit den bedeutendsten<br />
Architekten ihrer Zeit – die Dientzenhofer-Brüder, Lucas von<br />
Hildebrandt, Maximilian von Welsch und Balthasar Neumann<br />
– erfolgte die barocke Umgestaltung der Stadt. Die kargen<br />
Fassaden der Gotik erhielten geschwungenes Dekor, bescheidene<br />
Häuser wurden durch raumgreifende Paläste ersetzt – e<strong>in</strong><br />
Maßstabssprung sowohl horizontal als auch vertikal. Seitdem<br />
wächst die Stadt vor allem <strong>in</strong> die Breite. Der Anschluss an den<br />
Ludwig-Donau-Ma<strong>in</strong>-Kanal und Eisenbahnnetz sowie die Industrialisierung<br />
hatten noch größere Folgen für das Bamberger<br />
Weichbild: der umfassende Ausbau der städtischen Infrastruktur,<br />
weitere <strong>in</strong>dustrielle Expansion, der Flüchtl<strong>in</strong>gszuzug nach<br />
dem 2. Weltkrieg, der die E<strong>in</strong>wohnerzahl kurzfristig auf 100.000<br />
hochschnellen ließ. Schließlich die Suburbanisierung, die Auslagerung<br />
von E<strong>in</strong>zelhandel und Gewerbe vor die Tore der Stadt.<br />
Die E<strong>in</strong>wohnerzahl Bambergs g<strong>in</strong>g bis etwa zum Jahr 2000 kont<strong>in</strong>uierlich<br />
zurück, seitdem stieg sie leicht wieder an und betrug<br />
zum Stichtag 31.12.200 knapp 0.000.<br />
Mitten im Weltkulturerbe: das Alte Rathaus <strong>in</strong> Bamberg<br />
Heute ist Bamberg der ökonomische Schwerpunkt <strong>Oberfranken</strong>s.<br />
Im Mai 2008 lag die Arbeitslosenquote im Arbeitsagenturbezirk<br />
Bamberg – Stadt und Landkreis Bamberg sowie<br />
Landkreis Forchheim – bei ,1 Prozent. Dies entsprach genau<br />
dem Durchschnitt Bayerns und war 3, Prozent ger<strong>in</strong>ger als der<br />
Bundesdurchschnitt. Zum Vergleich: Im gleichen Monat hatte<br />
der Arbeitsagenturbezirk Coburg ,3, der Bezirk Bayreuth ,9<br />
und der Bezirk Hof ,2 Prozent Arbeitslose. Der Bamberger<br />
Raum hat nicht nur die höchste Arbeitsplatzdichte <strong>Oberfranken</strong>s,<br />
sondern auch die größte Anzahl an Großunternehmen. An<br />
der Spitze steht das Werk des Bosch-Konzerns mit fast 8.000<br />
Beschäftigten. Daneben s<strong>in</strong>d Werke des Autozulieferers Brose,<br />
des Michel<strong>in</strong>-Konzerns <strong>in</strong> Hallstadt und der Wieland Electric mit<br />
jeweils etwa 1.000 Beschäftigten. Zu den Vorteilen des Bamberger<br />
Raums gehört auch die größte Branchen-Diversifizierung<br />
des Regierungsbezirks mit Dienstleistern wie der Sozialstiftung<br />
Bamberg (etwa 2.200 Beschäftigte) oder dem Direktvermarkter<br />
der GHP-Unternehmensgruppe (1. 00 Beschäftigte). Bamberg<br />
profitiert von der Nähe zur Metropolregion Nürnberg, von e<strong>in</strong>er<br />
äußerst guten Verkehrsanb<strong>in</strong>dung und dem Wasserstraßennetz.<br />
Welterbestatus und Wirtschaftszentrum – auf den ersten Blick<br />
sche<strong>in</strong>t das kaum vere<strong>in</strong>bar. Handel und Gewerbe fordern stets<br />
ihren räumlichen Preis. In Bamberg weniger, denn die Stadt<br />
hat ihre Nutzungen separiert. Die Charta von Athen, 19 1 von<br />
Le Corbusier als Konzept e<strong>in</strong>er funktionalistischen Stadtplanung<br />
veröffentlicht, die Wohnen, Freizeit und Arbeiten räumlich<br />
trennt, feiert <strong>in</strong> Bamberg durch die H<strong>in</strong>tertür Wiederauferstehung<br />
– wenn man Freizeit durch E<strong>in</strong>kaufen ersetzt. Der Bereich<br />
zwischen Steigerwald und Bahnl<strong>in</strong>ie, bereits 1983 als „Stadtdenkmal“<br />
mit rund 2.000 E<strong>in</strong>zeldenkmälern rechtlich geschützt,<br />
dient dem Wohnen, der Verwaltung, den großen Bildungs<strong>in</strong>sti-<br />
<strong>Architektur</strong>büro MGF, Stuttgart:<br />
Hotel Untere Mühlen, Bamberg, Wettbewerb, 200 , 1. Preis<br />
tutionen und der kle<strong>in</strong>räumigen Versorgung. Der großflächige<br />
E<strong>in</strong>zelhandel dagegen liegt im Norden, teils auf Bamberger,<br />
teils auf Hallstädter Gemarkung. Das im Volksmund Laubanger<br />
genannte Areal – e<strong>in</strong>es der größten zusammenhängenden<br />
E<strong>in</strong>zelhandelsgebiete Deutschlands – bot Ende 200 <strong>in</strong>sgesamt<br />
1 .000 Quadratmeter Verkaufsfläche, das Gebiet an<br />
der Hallstädter Michel<strong>in</strong>straße weitere 1 .000. Im Stadtkern<br />
standen dagegen nur 1.000 Quadratmeter Verkaufsfläche zur<br />
Verfügung. Bambergs Industrie bef<strong>in</strong>det sich zum größten Teil<br />
ebenfalls im Norden, am Hafen nahe dem Autobahnkreuz oder<br />
westlich der Bahnl<strong>in</strong>ie. Diese Sonderung der verschiedenen<br />
Lebensbereiche fördert hohes Verkehrsaufkommen, hat hohe<br />
ökologische Kosten, beschränkt aber den Entwicklungs- und<br />
Investitionsdruck auf die Innenstadt. Freilich, die von diesen<br />
Gewerbegebieten gebildeten nichtssagenden Stadte<strong>in</strong>gänge, die<br />
sich sche<strong>in</strong>bar kilometerlang h<strong>in</strong>ziehenden Landschaften voller<br />
banaler Zweckbauten ohne jegliche städtebauliche Ordnung<br />
s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>es Weltkulturerbes nicht würdig.<br />
18 19<br />
Für das Magaz<strong>in</strong> „Merian“ schrieb der Journalist Willy Heckel<br />
im Februar 19 9: „Denkmalpflege ist e<strong>in</strong>es der Bamberger<br />
Zauberwörter. In den Leserbriefspalten der Zeitungen nimmt es<br />
mit Abstand die erste Rolle e<strong>in</strong>.“ Vorausgegangen war die Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />
um den Bau der „Unteren Brücke“ am alten<br />
Rathaus, bei der sich am Ende der Stadtrat mit e<strong>in</strong>em schlichten<br />
Betonsteg durchsetzte. Stadtplanung ist <strong>in</strong> der Innenstadt,<br />
wo kaum e<strong>in</strong> Ste<strong>in</strong> nicht historisch und kaum e<strong>in</strong> Bürger nicht<br />
Kunstgeschichtler ist, schwierig. Die Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />
um moderne <strong>Architektur</strong> und die Gestaltung des öffentlichen<br />
Raums s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Bamberg Legende. Mal wird auf Beschluss des<br />
Stadtrats e<strong>in</strong> moderner Brunnen nahe der Mart<strong>in</strong>skirche abgebrochen,<br />
der zuvor als „entartetes Wasserspiel“ oder „dynamisches<br />
Pissoir“ denunziert wurde (Die „Zeit“ titelte daraufh<strong>in</strong><br />
„Die Banausen von Bamberg“). Mal gel<strong>in</strong>gt es den Bürgern,<br />
die Pläne der Stadtverwaltung, e<strong>in</strong>e Flächensanierung samt<br />
Neubau e<strong>in</strong>es elfstöckigen Rathauses, e<strong>in</strong>es E<strong>in</strong>kaufszentrums<br />
und e<strong>in</strong>er vierspurigen Straße – der „Durchbruch Mitte“ - zu<br />
verh<strong>in</strong>dern. Mal fallen unersetzliche historische Bauten der<br />
Abrissbirne zum Opfer – etwa das „Haus zum Marienbild“ am<br />
Pfahlplätzchen. Mal tauchen irgende<strong>in</strong>en historischen Stil<br />
nachäffende Neubauten auf – wie Am Kranen oder <strong>in</strong> der Lange<br />
Straße. Und die Theatergassen, im Pr<strong>in</strong>zip e<strong>in</strong>e städtebaulich<br />
s<strong>in</strong>nvolle Belebung e<strong>in</strong>es Block<strong>in</strong>neren, werden durch armselige<br />
<strong>Architektur</strong> entwertet.<br />
E<strong>in</strong> jüngstes Beispiel für die Diskussionen im Umgang mit dem<br />
baulichen Erbe ist der Konflikt um den geplanten Neubau e<strong>in</strong>es<br />
Hotels auf e<strong>in</strong>em brachliegenden Gelände an den Unteren<br />
Mühlen. Den von der Stadt ausgelobten Wettbewerb gewann<br />
e<strong>in</strong> Entwurf des Stuttgarter Büros MGF, das <strong>in</strong> anderen Städten<br />
– etwa im Weltkulturerbe Regensburg – mit Neubauten glänzte,<br />
die Maßstab und Material der Umgebung sowie die lokale Bautradition<br />
aufnehmen und dennoch kompromisslos modern s<strong>in</strong>d.<br />
Auch der Hotel-Vorschlag bestach durch diese Merkmale und<br />
wurde von den Stadtvätern als „Meilenste<strong>in</strong>“ und „wertvoll“<br />
gepriesen. Als freilich jene Leserbriefschreiber die Oberhand<br />
gewannen, die das Projekt ablehnten, distanzierte sich die<br />
Kommunalpolitik, die eben noch des Lobes voll war. Inzwischen<br />
ist das Projekt vertagt – wohl auf den St. Nimmerle<strong>in</strong>stag. Um<br />
solche Kontroversen e<strong>in</strong>zudämmen, hat der Stadtrat e<strong>in</strong> Mediationsverfahren<br />
„Zukunft Innenstadt Bamberg“ <strong>in</strong> Auftrag<br />
gegeben, das im Juli 2008 abgeschlossen wurde. Mit Bürgern,<br />
Anwohnern und Interessenvertretern sowie externen Experten<br />
und der Stadtverwaltung wurden sieben Ziele vere<strong>in</strong>bart. Da<br />
will man beispielsweise die E<strong>in</strong>kaufs- und Wohnfunktion der<br />
Innenstadt stärken, dazu ihre Erreichbarkeit sichern, gleichzeitig<br />
aber den motorisierten Individualverkehr reduzieren.<br />
Die Verwirklichung dieser Vorsätze wird wieder zu Konflikten<br />
führen, denn dieser Verkehr ist Folge e<strong>in</strong>er funktionalistischen<br />
Stadtplanung. Über allem steht das Ziel, das Weltkulturerbe<br />
als Qualitätsmaßstab <strong>in</strong> der Gestaltung zu begreifen und als<br />
Chance zur Wertschöpfung zu sehen. Das Weltkulturerbe zu<br />
begreifen, heißt Toleranz als Tradition zu begreifen. Oder, wie es<br />
Manfred Sack, der Nestor der deutschen <strong>Architektur</strong>kritik, so<br />
vortrefflich ausdrückte, „diese mitunter wunderbar dissonante<br />
Harmonie der Epochen“ als Chance zu sehen.
2<br />
wohn- und geschäftshaus scharf<br />
Burgebrach<br />
E<strong>in</strong>e zweigeschossige Gebäudekiste ist <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em überwiegend<br />
gewerblich genutzten Gebiet nichts Außergewöhnliches. Fensterbänder<br />
und Sichtbetonfassade sowie e<strong>in</strong> großer Parkplatz<br />
ebenfalls nicht. Bei den Farben allerd<strong>in</strong>gs – kalkweiß und an<br />
kalkuliert wenigen Stellen e<strong>in</strong> Gold –, bei den präzise geschnittenen<br />
Kanten, L<strong>in</strong>ien und Ausschnitten sowie erst recht bei der<br />
Nutzung – e<strong>in</strong>en Friseursalon erwartet man dann doch eher an<br />
e<strong>in</strong>er belebten Straße – fängt der fremde Betrachter an, stutzig<br />
zu werden. Denn was sich profan „Wohn- und Geschäftshaus“<br />
nennt, ist e<strong>in</strong> eigener Kosmos. E<strong>in</strong> eigenes Universum, letztlich<br />
e<strong>in</strong> gelungenes Experiment, das e<strong>in</strong>erseits ganz auf den Bauherren<br />
– e<strong>in</strong>en jungen, sehr erfolgreichen und renommierten<br />
Friseur – zugeschnitten ist: weil dieser se<strong>in</strong>e Wohnräume auch<br />
für Veranstaltungen und Sem<strong>in</strong>are benutzt, helfen Schiebetüren,<br />
die Grenzen zwischen Privat- und Salonbereich durchlässig und<br />
fließend zu machen.<br />
Andererseits erweist das Haus durch die Verwendung von<br />
<strong>in</strong>dustriellen Materialien – die erwähnte Betonfassade, die<br />
schwarz gefassten Klappfenster, die betongraue Fertigteiltreppe,<br />
e<strong>in</strong>fach-weiße Geländer, e<strong>in</strong> brauner Epoxydharz als Bodenbelag<br />
– dem Ort Referenz. Wobei das Gebäude, das mit se<strong>in</strong>em<br />
schmalen Rechteck dem engen Grundstücksverlauf folgt, für<br />
die – überwiegend weiblichen – Kunden e<strong>in</strong> Versprechen darstellt:<br />
Es verspricht Beauty, Lifestyle und designtes Ambiente,<br />
es verspricht die Möglichkeit, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e andere Welt e<strong>in</strong>zutauchen,<br />
loszulassen und sich selbst etwas Gutes zu tun. Weiche Ledersessel,<br />
e<strong>in</strong>e fast barock zu nennende Drahtleuchte, schwelgende<br />
Blumenarrangements und e<strong>in</strong> Spiel von wechselnden<br />
Ausblicken und Spiegelbildern kontrastieren die kubischen<br />
Formen im Interieur und erzeugen e<strong>in</strong> ästhetisches Kraftfeld,<br />
das e<strong>in</strong>er Bühne für Klientel wie Personal gleichkommt. Und<br />
das Versprechen verfängt: Manche Kund<strong>in</strong>nen kommen von weit<br />
her angereist.<br />
Wohn- und Geschäftshaus Scharf<br />
9 138 Burgebrach, Am Sportplatz 1<br />
Fertigstellung: 200<br />
Johannes Schulz-Hess,<br />
Schulz-Hess <strong>Architektur</strong> GmbH, Johannes Schulz-Hess, Bamberg<br />
2
7<br />
Ziegelbau<br />
Bamberg<br />
Es war e<strong>in</strong>e weise Entscheidung der Bamberger Stadtplanung,<br />
das ehemalige Industrieareal zwischen Mußstraße und l<strong>in</strong>kem<br />
Regnitzarm zu e<strong>in</strong>em Standort für Kultur, Events und Kongresse<br />
zu machen. Auch wenn im Rückblick nicht immer alles<br />
so gelaufen ist, wie ursprünglich gedacht, wie vielleicht auch<br />
ursprünglich besser geplant, so kann man doch nach 1 Jahren<br />
Bauzeit neben der Konzert- und Kongresshalle und e<strong>in</strong>em zwar<br />
ambitionierten, aber architektonisch belanglosen Dreisternehotel<br />
auf e<strong>in</strong> Highlight stolz se<strong>in</strong>, das die Er<strong>in</strong>nerung auf die<br />
durch <strong>in</strong>dustrielle Entwicklung bed<strong>in</strong>gte Stadterweiterung am<br />
Ende des 19. Jahrhunderts bewahrt: den Ziegelbau. E<strong>in</strong>st weitab<br />
von der Stadt gelegen, hatten die Baumeister Daniel Fuchs<br />
und se<strong>in</strong> Nachfolger Johannes Kronfuß zwischen 189 und 1908<br />
e<strong>in</strong> backste<strong>in</strong>ernes Webereigebäude errichtet, das mit se<strong>in</strong>en<br />
reichgegliederten Fassaden e<strong>in</strong> stattliches Beispiel gründerzeitlicher<br />
Industriearchitektur war.<br />
Dieses unter Wahrung se<strong>in</strong>es mitunter rauen Charakters <strong>in</strong><br />
die post<strong>in</strong>dustrielle Zeit gerettet zu haben, ist das Verdienst<br />
der Stadtplanung sowie des Münchner Professors Eberhard<br />
Schunck und se<strong>in</strong>es Projektleiters Christoph Schneider. Denn<br />
als Tagungszentrum bewährt sich der Ziegelbau ausgezeichnet.<br />
In 1 bis ,20 Meter hohen Räumen, zwischen 0 und 90<br />
Quadratmetern groß, zwischen 10 und 00 Veranstaltungsteilnehmer<br />
fassend, können Workshops und Weiterbildungssem<strong>in</strong>are,<br />
Konferenzen und Kurzlehrgänge, sogar Bälle stattf<strong>in</strong>den.<br />
Während Sem<strong>in</strong>arleiter die ebenso konzentrationsfördernde<br />
wie warme Atmosphäre der Räume mit ihrem geschlämmten<br />
Mauerwerk loben, zeigt sich der Betreiber über die flexiblen<br />
Strukturen des Gebäudes begeistert: Sie sichern ihm e<strong>in</strong> großes<br />
Nutzerspektrum. Grundlage des architektonischen Konzepts<br />
war die sensible Sanierung des Bestands und die Ablesbarkeit<br />
des Neuh<strong>in</strong>zugefügten: etwa e<strong>in</strong>e großartige Treppenskulptur<br />
zum Obergeschoss, die Fensterstürze aus Sichtbeton oder zurückhaltend<br />
gestaltete Nebenräume im Keller. Zusammen mit<br />
der durch e<strong>in</strong>en Gang verbundenen, ausnehmend freundlichen<br />
Tiefgarage – von denselben Architekten geplant – ist e<strong>in</strong> s<strong>in</strong>nenreiches<br />
Ensemble entstanden, das <strong>in</strong> der Weltkulturerbestadt<br />
Bamberg e<strong>in</strong>en ganz eigenen Akzent setzt.<br />
Ziegelbau<br />
9 0 9 Bamberg, Mußstraße<br />
Fertigstellung: 200<br />
Schunck Ullrich Architekten, München<br />
Literatur:<br />
Stadt Bamberg, Baureferat (Hg.): Sanierungsgebiet Mußstraße – Kulturund<br />
Kongresszentrum Bamberg. Bamberg 200 (Eigenverlag).<br />
Kongresszentrum Bamberg, <strong>in</strong>: Wettbewerbe aktuell, /199 .<br />
Tiefgarage, <strong>in</strong>: Klaus Raab, Neue <strong>Architektur</strong> <strong>in</strong> Bamberg, Baumeister<br />
Exkursion , 11/2001.<br />
3
8<br />
wohnquartier „Mayer´sche gärtnerei“<br />
Bamberg<br />
„Wohnen ist auch heute noch e<strong>in</strong>e höchst <strong>in</strong>dividuelle Mischung<br />
aus äußeren E<strong>in</strong>flüssen, eigenen Verhaltensweisen und Vorlieben<br />
– entsprechend schwer ist es zu verallgeme<strong>in</strong>ern.“ Dieser<br />
Satz stammt aus der fünfbändigen „Geschichte des Wohnens“<br />
mit ihren <strong>in</strong>sgesamt mehr als .000 Seiten. Da es, wie das Zitat<br />
andeutet, die ideale Wohnung nicht gibt, sondern sie immer<br />
von der persönlichen Lebenssituation abhängig ist, versuchen<br />
<strong>in</strong>telligentere Planer und Bauträger, variantenreiche Wohnungen<br />
<strong>in</strong> verschiedenen Typologien – Reihenhaus, Stadthaus,<br />
Etagenwohnungen – zu errichten. E<strong>in</strong> Musterbeispiel für e<strong>in</strong>en<br />
urbanen Wohnungsbau ist das von Gisela und Hans-Dieter<br />
Kaiser für die Joseph-Stiftung geplante und im Niedrigenergie-Standard<br />
erstellte Quartier „Mayer’sche Gärtnerei“. In<br />
e<strong>in</strong>em viergeschossigen Riegel wurden 8 Eigentums- und 20<br />
Mietwohnungen gebaut sowie, rechtw<strong>in</strong>klig dazu angeordnet,<br />
fünf Zeilen mit <strong>in</strong>sgesamt 3 Stadthäusern. Die Anlage ist e<strong>in</strong><br />
Modellvorhaben im Rahmen des von der Obersten Baubehörde<br />
<strong>in</strong>itiierten experimentellen Wohnungsbaus, das <strong>in</strong> der näheren<br />
Umgebung – leider nicht mehr ganz so qualitätsvolle – Nachfolger<br />
gefunden hat.<br />
Abgeschirmt durch das Diözesanarchiv hat sich <strong>in</strong> diesem Quartier<br />
e<strong>in</strong> ruhiges Eigenleben entwickelt, wobei parkende Autos <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>e Tiefgarage verbannt wurden und die Wohnwege nur dem<br />
Anliefer- und Entsorgungsverkehr freigegeben s<strong>in</strong>d. Während<br />
bei den Geschosswohnungen – die von der 2-Zimmer- über<br />
die 3-Zimmer- bis zur Maisonette-Wohnung reichen – über 20<br />
verschiedene Grundrisstypen verwirklicht wurden, gibt es für<br />
die Stadthäuser vier verschiedene Typen, die vom zweigeschossigen<br />
„Starterhaus“ bis zum teilbaren dreigeschossigen Mehrgenerationenhaus<br />
reichen. Obwohl das Quartier e<strong>in</strong>e gestalterische,<br />
bis <strong>in</strong>s Detail stimmige E<strong>in</strong>heit aufweist, obgleich die<br />
Oberflächen-Materialien auf ganz wenige beschränkt wurden,<br />
versprechen höchst unterschiedliche Raumsituationen – Tore,<br />
Laubengänge, Vorplätze, Treppentürme, Freitreppen, gegensätzlich<br />
orientierte Freibereiche, Erdgeschoss-, W<strong>in</strong>ter- und<br />
Dachgärten – vielfältige E<strong>in</strong>drücke und e<strong>in</strong>e lebendige Atmosphäre,<br />
die sowohl von Familien als auch von S<strong>in</strong>gles, Senioren<br />
und gehbeh<strong>in</strong>derten Menschen geschätzt wird.<br />
Wohnquartier „Mayer´sche Gärtnerei“<br />
9 0 Bamberg, Anna-Maria-Junius-Straße 8–8 , 130–132,<br />
Dr.-Ida-Noddack-Straße 3–1<br />
Fertigstellung: 2002<br />
<strong>Architektur</strong>büro Kaiser + Kaiser, Stuttgart<br />
Auszeichnungen:<br />
BDA-Preis Franken „Gute Bauten“ 2002<br />
Deutscher Bauherrenpreis 2002, Kategorie „Neubau“<br />
3
9<br />
Fischerhof-schlösschen, sanierung und umnutzung<br />
Bamberg<br />
Das altehrwürdige Fischerhof-Schlösschen wurde 1 3 als<br />
Sommerfrische der Mönche vom nahen Kloster Michaelsberg<br />
errichtet. In der offenen Arkadenhalle hatte man Setzl<strong>in</strong>ge<br />
gezogen, die dann <strong>in</strong> den zahlreichen, heute ausnahmslos<br />
zugeschütteten Weihern vor dem Haus ausgesetzt wurden.<br />
Nachdem die Mönche auszogen, diente das barocke Anwesen<br />
als Gastwirtschaft, dann als Wohnhaus, schließlich stand das<br />
Gebäude über 2 Jahre leer, die offene Halle wurde noch als<br />
Omnibusgarage genutzt. Das Anwesen verrottete zusehends<br />
und drohte Anfang der 1990er Jahre e<strong>in</strong>zustürzen. Es ist Birgit<br />
und Matthias Dietz zu danken, dieses kle<strong>in</strong>e, aber fe<strong>in</strong>e Denkmal<br />
barocker Baukunst mit e<strong>in</strong>em behutsamen Sanierungs- und<br />
Umnutzungskonzept vor dem Vergessen und damit vor dem<br />
Abriss gerettet zu haben. Dabei respektiert dieses Konzept<br />
nicht nur die historische Substanz, sondern es nutzt auch das<br />
Potenzial für ebenso ungewöhnliche wie erstaunlich großzügige<br />
Räume aus.<br />
Wo es für den Gesamte<strong>in</strong>druck nötig war, wurde der historische<br />
Bestand kle<strong>in</strong>teilig ergänzt, Freskenmalerei freigelegt, die<br />
zuvor morsche Holzkonstruktion im vordem nicht ausgebauten<br />
Dachgeschoss, wo notwendig, ausgetauscht und mit sichtbaren<br />
Stahlteilen vervollständigt. Die charakteristischen, zuvor offenen<br />
Arkadenbögen mit ihren noch erhaltenen historischen<br />
Gittern schlossen die Architekten mit e<strong>in</strong>er fragilen Glaskonstruktion,<br />
die rahmenlos ist und mit Punkthaltern am Mauerwerk<br />
befestigt wurde. Ergänzt wurde das Schlösschen, das<br />
nun repräsentativer Sitz e<strong>in</strong>es <strong>Architektur</strong>büros ist, an se<strong>in</strong>er<br />
rückwärtigen Fassade durch e<strong>in</strong>en zweigeschossigen Anbau. In<br />
diesem s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> Treppenhaus, die Sanitärräume und die Heizung<br />
untergebracht. Die <strong>Architektur</strong>sprache des außen mit Betonwerkste<strong>in</strong>en<br />
verkleideten Anbaus ist gemäß dem Konzept der<br />
Ablesbarkeit aller neuen Teile deutlich zeitgenössisch, wobei<br />
die Innenwände von dem Künstler Otto Herr plastisch gestaltet<br />
wurden.<br />
Fischerhof-Schlösschen, Sanierung und Umnutzung<br />
9 0 9 Bamberg, Gaustadter Hauptstraße 109 A<br />
Fertigstellung: 199<br />
<strong>Architektur</strong>büro Dietz, Bamberg<br />
Literatur:<br />
Bund Deutscher Architekten BDA (Hg.): <strong>Architektur</strong> <strong>in</strong> Franken<br />
199 –2001, Nürnberg ohne Jahrgang (Eigenverlag), S. 11.<br />
Auszeichnungen:<br />
BDA-Preis Franken 1998, Auszeichnung<br />
Bayerische Denkmalschutzmedaille 1999<br />
Denkmalpflegepreis der <strong>Oberfranken</strong>stiftung<br />
BHU Wettbewerb „Fassaden gestalten, Baukultur erhalten“ 2000,<br />
Bundessieger<br />
38
18<br />
wohnhaus w.<br />
Lill<strong>in</strong>g<br />
Lokale Tradition und <strong>in</strong>ternationale Moderne: Was bei vielen als<br />
Entweder-oder gilt, lässt sich auch, e<strong>in</strong>en guten Architekten<br />
und e<strong>in</strong>en mutigen Bauherrn vorausgesetzt, meisterhaft verb<strong>in</strong>den.<br />
Das Wohnhaus W. <strong>in</strong> Lill<strong>in</strong>g etwa kann man als Musterbeispiel<br />
e<strong>in</strong>es modernen Regionalismus bezeichnen: In Anlage,<br />
Form und Dimensionen nimmt es die <strong>in</strong>takte Bebauungsstruktur<br />
des Weilers auf, <strong>in</strong> Materialien, <strong>in</strong>nerer Organisation und<br />
Raumfluchten h<strong>in</strong>gegen wird die regionale Tradition neu und<br />
eigenständig <strong>in</strong>terpretiert. Zeitgenössische Anforderungen wie<br />
Energieeffizienz, Ressourcenschonung oder Komfort werden<br />
darüber h<strong>in</strong>aus erfüllt.<br />
Nach Lill<strong>in</strong>g kommend fällt der am Ortsrand gelegene Neubau<br />
überhaupt nicht auf. Markus Gentner, der verantwortliche Architekt,<br />
g<strong>in</strong>g behutsam mit dem Baugrundstück, e<strong>in</strong>e herrliche<br />
Kirschbaumwiese, um und verteilte die gewünschte Wohn- und<br />
Nutzfläche auf drei funktionale Gebäudee<strong>in</strong>heiten. Diese s<strong>in</strong>d<br />
nicht nur dem fränkischen Dreiseithof ähnlich um e<strong>in</strong>en altehrwürdigen<br />
Kirschbaum gruppiert und bilden e<strong>in</strong>en schönen E<strong>in</strong>gangshof,<br />
sondern nehmen auch den ortsüblichen Maßstab auf.<br />
An der vierten Flanke formen mit gelblichen Kalkste<strong>in</strong>en gefüllte<br />
Gabionen e<strong>in</strong>en zaunartigen Sichtschutz, der im Hof dennoch<br />
offen wirkt. Während das mit Holzlamellen verkleidete<br />
Wirtschaftsgebäude mit Garage und Energieversorgung an<br />
e<strong>in</strong>e Scheune er<strong>in</strong>nert, bieten Wohn- und Schlafhaus ebenso<br />
großzügige wie weite Räume, die sich zur Sonnenseite mit<br />
großformatigen Fenstern und Glastüren öffnen. Die Neigung<br />
der anthrazitfarbenen Steildächer ist mit 3 Prozent ebenfalls<br />
ortstypisch. Holzpelletheizung, mikrobiologische Kläranlage<br />
und e<strong>in</strong>e Regenwasserzisterne runden das ökologische Konzept<br />
des Niedrigenergiehauses ab.<br />
Wohnhaus W.<br />
91322 Gräfenberg, Ortsteil Lill<strong>in</strong>g<br />
Fertigstellung: 200<br />
att architekten, Markus Gentner, Nürnberg<br />
Literatur:<br />
Inga Schaefer: Genius Loci – genial umgesetzt, <strong>in</strong>: DBZ 2/2008, S. – 1.<br />
Auszeichnungen:<br />
„Gut bedacht 200 “, 2. Platz<br />
BDA-Preis Bayern 200 , Nom<strong>in</strong>ierung
Staffelberg
egion coBurg, lichtenFels und KronAch<br />
die randlage zur Kultur erhoben<br />
Zwischen tradition und design: coburg, Kronach, lichtenfels<br />
„Selbstbewusst“, „selbstständig“, „eigenwillig“ – unter diesen<br />
Kategorien, stets mit e<strong>in</strong>em Ausrufezeichen versehen, haben<br />
Coburgs Stadtobere im Mai 2008 das neue Stadtentwicklungskonzept<br />
ihren Bürgern vorgestellt. Da wird die „Jahrhunderte<br />
alte Geschichte“ betont, die „märchenhafte“ Landschaft, die<br />
„bee<strong>in</strong>druckende“ Stärke der örtlichen Wirtschaft und die 0<br />
Jahre, als man <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Randlage an der Zonengrenze war.<br />
Coburg, als das „Schneckenhaus für Glückliche“ und „Schlupfw<strong>in</strong>kel<br />
deutschen Gemüts“ bekannt, und se<strong>in</strong>e Bevölkerung<br />
s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e besondere Synthese e<strong>in</strong>gegangen. Das wissen auch<br />
die <strong>Oberfranken</strong> außerhalb des Stadt- und Landkreises Coburg.<br />
Spricht man mit diesen über Coburg, sieht man vielsagende<br />
Mienen und hört: „... das Herzogtum halt.“ Diese These von der<br />
Individualität Coburgs ist freilich nicht nur vorwitziges Gerede,<br />
sondern mittlerweile sogar wissenschaftliche Me<strong>in</strong>ung. Als sich<br />
Deutschlands Geografen 200 <strong>in</strong> Bayreuth trafen, gab man<br />
ihnen e<strong>in</strong>en „Exkursionsführer <strong>Oberfranken</strong>“ zur Hand. Das<br />
Kapitel über Coburg hatte den Untertitel „e<strong>in</strong> regionaler Sonderfall“.<br />
Dass sich die Bürger des Herzogtums, kaum dass es Republik<br />
geworden, 1919 gegen Thür<strong>in</strong>gen und im folgenden Jahr für<br />
Bayern entschieden, hat zu dieser Eigenständigkeit ebenso<br />
beigetragen wie die Situation nach 19 . Im Herzogtum Sachsen-Coburg<br />
und Gotha waren, wie bereits der Name andeutet,<br />
die Beziehungen nach „drüben“ traditionell besonders stark.<br />
Die Randlage war gleichsam Insellage: Ähnlich dem Kronacher<br />
Land ragte Coburg wie e<strong>in</strong>e Ausbuchtung <strong>in</strong> das Gebiet Thür<strong>in</strong>gen.<br />
Der Eiserne Vorhang wand sich auf drei Seiten um die Region.<br />
Selbst im Westen war Osten. Und nach der Wende wog das<br />
Fördergefälle besonders schwer. Dennoch, Coburg ist e<strong>in</strong>e der<br />
wirtschaftlich stärksten Städte Bayerns, die Arbeitsplatzdichte<br />
ist auffallend hoch und das Gewerbesteueraufkommen pro<br />
E<strong>in</strong>wohner ist das höchste bundesweit. Neben der Haftpflicht-<br />
Unterstützungs-Kasse kraftfahrender Beamter Deutschlands,<br />
besser bekannt als HUK-Coburg, gibt es e<strong>in</strong>e Reihe von Unternehmen<br />
wie den Automobilzulieferer Brose, die Kompressorenwerke<br />
Kaeser oder die Werkzeugmasch<strong>in</strong>enhersteller Kapp und<br />
Lasco, die <strong>in</strong> ihren Spezialgebieten Weltmarktführer s<strong>in</strong>d. Sie<br />
s<strong>in</strong>d neben der Haba Gruppe <strong>in</strong> Bad Rodach die größten Mitglieder<br />
der IHK zu Coburg, <strong>in</strong> der nur die Unternehmen der Stadt<br />
und des Landkreises Coburg organisiert s<strong>in</strong>d (Für das restliche<br />
<strong>Oberfranken</strong> ist die IHK Bayreuth zuständig). Diese Unternehmen<br />
bieten darüber h<strong>in</strong>aus wie der Baur Versand <strong>in</strong> Burgkunstadt,<br />
die Kunststoff-Technik Scherer & Trier <strong>in</strong> Michelau oder<br />
die Hoffmann Innovation Group <strong>in</strong> Lichtenfels, der Unterhaltungselektroniker<br />
Loewe oder die Dr. Schneider Kunststoffwerke<br />
<strong>in</strong> Kronach Arbeitsplätze für viele Menschen aus Thür<strong>in</strong>gen.<br />
Im Juni verzeichnete die für die Landkreise Lichtenfels,<br />
Kronach und Coburg sowie die Stadt Coburg zuständige Arbeitsagentur<br />
e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>pendlerquote von 22,1 Prozent – mehr als die<br />
Hälfte davon kamen aus Thür<strong>in</strong>gen.<br />
Bei aller Wirtschaftskraft gehen Struktur- und demografischer<br />
Wandel nicht spurlos an der Region vorüber. Im Landkreis Lichtenfels<br />
zum Beispiel s<strong>in</strong>d die Beschäftigten im verarbeitenden<br />
Gewerbe von 9. im Jahre 2000 auf . 3 im Jahre 200 zurückgegangen.<br />
In der Stadt Coburg wurde im September 2008<br />
e<strong>in</strong> Arbeitslosenanteil von , Prozent verzeichnet, im Januar<br />
200 betrug er noch fast doppelt so viel. Damit lag die Stadt mit<br />
an der Spitze <strong>in</strong> Bayern. Nach der Wende stieg die Bevölkerung<br />
kurzzeitig, seit 1992 allerd<strong>in</strong>gs nimmt sie kont<strong>in</strong>uierlich ab –<br />
<strong>in</strong>zwischen mit dramatischen Aussichten. Für den Landkreis<br />
Kronach etwa wird bis 2020 e<strong>in</strong> Bevölkerungsverlust von 1 bis<br />
20 Prozent prognostiziert. Die Stadt Coburg musste <strong>in</strong> ihrem historischen<br />
Zentrum von 1990 bis 200 e<strong>in</strong>en Rückgang von jährlich<br />
230 E<strong>in</strong>wohnern registrieren. E<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>räumige Projektion<br />
des Wirtschafts- und Sozialforschungs<strong>in</strong>stituts MODUS geht<br />
von zwei verschiedenen Szenarien aus: Im positiven Fall könnte<br />
die Gesamtstadt Coburg se<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>wohnerzahl von derzeit 1.283<br />
(Stichtag 31.12.200 ) auf etwa 0.000 bis zum Jahr 2020 stabilisieren.<br />
Sollte e<strong>in</strong>e systematische Stadtentwicklungspolitik nicht<br />
fruchten, wäre im gleichen Zeitraum e<strong>in</strong> Bevölkerungsrückgang<br />
auf 3 . 00 E<strong>in</strong>wohner programmiert.<br />
Balthasar Neumann: Basilika Vierzehnheiligen, 1 3–1 2<br />
Diese Aussichten vor Augen hat Coburg im Juli 200 das Büro<br />
des Braunschweiger Städtebauprofessors Walter Ackers beauftragt,<br />
e<strong>in</strong> <strong>in</strong>tegriertes Stadtentwicklungskonzept (ISEK) zu erarbeiten.<br />
Ackers versteht se<strong>in</strong> Konzept als „Choreographie für die<br />
Zukunft“, wobei an der Erarbeitung desselben die Öffentlichkeit<br />
auf diversen Ebenen mit Workshops und lokalen Arbeitsgruppen<br />
umfassend beteiligt werden soll. Die beiden wichtigsten<br />
Punkte dieses Drehbuchs s<strong>in</strong>d zum e<strong>in</strong>en, die Stellung Coburgs<br />
als Oberzentrum der Region zu stärken. Zum zweiten soll <strong>in</strong>nerhalb<br />
der Stadt die Rolle und Funktion der Stadtmitte als Wohn-<br />
und E<strong>in</strong>kaufsstandort gestärkt werden. „Ziel ist“, heißt es <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em Zwischenbericht zum ISEK, „die Gestaltung von vollständigen<br />
Lebenswelten, <strong>in</strong> denen Wohnen, Arbeiten, Freizeit und<br />
Versorgung enger aufe<strong>in</strong>ander bezogen werden“. Junge Bevölkerung<br />
soll gewonnen, die Familienfreundlichkeit durch Ausbau<br />
des Freizeit- und Sportangebots gefördert und Studenten, Senioren<br />
und Pendler an die Stadt gebunden werden. E<strong>in</strong>e konkrete<br />
Maßnahme <strong>in</strong> diesem Zusammenhang ist der Plan, das Itz-Ufer<br />
aufzuwerten und damit Coburg als Stadt am Ufer wieder erlebbar<br />
zu machen. Das „naturräumliche Band der Itz“ soll dabei<br />
mit der Aktivierung des Coburger Südens als Kongress- und<br />
Veranstaltungszentrum und e<strong>in</strong>em neuen Stadtviertel – das<br />
Band für Wissenschaft, Technik und Design auf dem Areal des<br />
ehemaligen Güterbahnhofs – verknüpft werden.<br />
Diese ISEK-Passagen lesen sich nachvollziehbar und logisch.<br />
Freilich, enthalten sie e<strong>in</strong>ige allgeme<strong>in</strong>e Formulierungen, die<br />
erst vor dem H<strong>in</strong>tergrund e<strong>in</strong>er ganzen Reihe von – Außenstehende<br />
verwirrenden – Ause<strong>in</strong>andersetzungen und Konflikten<br />
zu verstehen s<strong>in</strong>d, die Coburgs Kommunalpolitik und Stadtplanung<br />
seit gut e<strong>in</strong>em Jahrzehnt bestimmen und deren Ausgang<br />
darüber h<strong>in</strong>aus zum Redaktionsschluss völlig offen ist. E<strong>in</strong><br />
Streitpunkt ist zum Beispiel das Entwicklungsgebiet Lauterer<br />
Höhe an der Autobahn A 3, deren letztes Teilstück im September<br />
2008 übergeben wurde. Die Stadt plante dort Ende<br />
der 1990er Jahre e<strong>in</strong> 8.000 Quadratmeter großes E<strong>in</strong>kaufs-<br />
und Freizeitzentrum mit Veranstaltungsarena für über .000<br />
Personen, wodurch viele Geschäftsleute der Innenstadt e<strong>in</strong>e<br />
Abwanderung der Käufer an den Stadtrand befürchteten. In<br />
e<strong>in</strong>em Bürgerentscheid sprachen sich die Coburger mit äußerst<br />
knapper Mehrheit dagegen aus. Genehmigt wurden dennoch<br />
E<strong>in</strong>kaufs- und Fachmärkte mit <strong>in</strong>sgesamt 1 .000 Quadratmeter<br />
Verkaufsfläche – „ohne <strong>in</strong>nenstadtrelevantes Sortiment“.<br />
Zusätzlich plädieren nach wie vor kommunalpolitische Kräfte<br />
für e<strong>in</strong>e „Multifunktionshalle“ genannte Veranstaltungsarena<br />
<strong>in</strong> diesem Gebiet. Als Antwort auf die Pläne der Stadt auf der<br />
Lauterer Höhe präsentierten wirtschaftsnahe Kreise e<strong>in</strong> selbst<br />
entwickeltes „Neues Innenstadtkonzept“ (NIK). Ziel des NIK ist,<br />
Coburg als Kongressort attraktiver zu machen. Die Multifunktionshalle<br />
soll dazu statt auf der Lauterer Höhe auf dem <strong>in</strong>nenstadtnahen<br />
Schützenanger errichtet und das bestehende Kongresshaus<br />
Rosengarten ausgebaut werden. Die Sportstätten<br />
dagegen sollen <strong>in</strong> den Norden der Stadt verlegt werden. E<strong>in</strong>em<br />
Teil dieses Konzepts stimmten die Coburger per Bürgerentscheid<br />
im April 200 zu. Die Konsequenzen dieser Entscheidung<br />
s<strong>in</strong>d aber weiterh<strong>in</strong> umstritten. Die Stadt auf alle Fälle lobte<br />
im Oktober 200 e<strong>in</strong>en städtebaulichen Wettbewerb „Coburgs<br />
neuer Süden“ aus, dessen erster Preis – e<strong>in</strong> Entwurf der Weimarer<br />
Architekten Schettler & Wittenberg – laut Jury-Urteil<br />
„durch e<strong>in</strong>e hohe Prägnanz <strong>in</strong> der Anordnung der Funktionen,<br />
der räumlichen Gliederung und Ausformung“ besticht. Die NIK-<br />
Initiatoren allerd<strong>in</strong>gs zeigten sich darob öffentlichkeitswirksam<br />
enttäuscht, während die IHK die Stadtverwaltung mahnte, „nicht<br />
von den Überlegungen des Neuen Innenstadtkonzepts abzuweichen“.<br />
Über diese Ause<strong>in</strong>andersetzungen h<strong>in</strong>aus spielt das „Design-<br />
Cluster Coburg“ <strong>in</strong> allen Entwicklungsstrategien e<strong>in</strong>e wichtige<br />
Rolle. Von Licht- bis zu Produktdesign, von der Innenarchitektur<br />
bis zum ganzen Bereich des Planens und Bauens versuchen die<br />
2 3<br />
im ehemaligen Hofbräuhaus residierenden Institutionen und<br />
E<strong>in</strong>richtungen – vor allem die Designfakultät der Hochschule<br />
Coburg, die Designwerkstatt sowie das Coburger Designforum<br />
<strong>Oberfranken</strong> – den Aufbau e<strong>in</strong>er Designlandschaft <strong>in</strong> der Region<br />
zu fördern. Innovative und nachhaltige Gestaltung soll die Qualitätsentwicklung<br />
von Produkten der Unternehmen der Region<br />
fördern. Tradition und Ansätze s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> großem Umfang vorhanden.<br />
Er<strong>in</strong>nert sei an den erwähnten Premiumunterhaltungselektroniker<br />
Loewe <strong>in</strong> Kronach, an das vielfach preisgekrönte<br />
Rosenthalwerk mit se<strong>in</strong>en signifikanten Dachwaben, ebenfalls<br />
<strong>in</strong> Kronach, an das Innovationszentrum <strong>in</strong> der „Deutschen<br />
Korbstadt“ Lichtenfels, das <strong>in</strong> Kooperation mit den Coburger<br />
Innenarchitekten bereits e<strong>in</strong>e Ausstellung mit Leichtbau-Möbeln<br />
präsentieren konnte. Wer will, kann <strong>in</strong> diese Überlieferung<br />
auch Lukas Cranach, Sohn der Stadt Kronach, und den Erbauer<br />
der Basilika Vierzehnheiligen, Balthasar Neumann, e<strong>in</strong>beziehen:<br />
Beide waren nicht nur erfolgreiche Künstler und Gestalter,<br />
sondern auch clevere Geschäftsmänner und Unternehmer.<br />
Das Gebäude selbst, besagtes ehemaliges Hofbräuhaus, kann<br />
als Omen für die kommenden Aufgaben des Design-Clusters<br />
Coburg dienen. 18 entstanden, wurde der Brauereibetrieb,<br />
der <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en besten Zeiten etwa 130 Mitarbeiter beschäftigte,<br />
1982 e<strong>in</strong>gestellt. Danach stand der monumentale, durch e<strong>in</strong>en<br />
Mittelrisalit und zwei Außenrisalite gegliederte Bau an Coburgs<br />
Stadtachse, der B , vis-à-vis der Innenstadt leer. Im Februar<br />
1999 brach e<strong>in</strong> Brand aus, dem e<strong>in</strong> Großteil der historischen<br />
Substanz zum Opfer fiel. Doch statt das denkmalgeschützte<br />
Gebäude abzureißen, fand es nach Renovierung und Umbau<br />
neue Verwendung: Die Produktdesigner und Innenarchitekten<br />
der Hochschule zusammen mit der Designwerkstatt und der<br />
Firmenzentrale e<strong>in</strong>es Softwarehauses zogen e<strong>in</strong>. Damit konnte<br />
nicht nur e<strong>in</strong> Makel des weit abseits des Zentrums liegenden<br />
Hochschulcampus zum Teil behoben werden (die Fertigstellung<br />
e<strong>in</strong>es direkt angrenzenden Neubaus für Architekten und Bau<strong>in</strong>genieure<br />
ist für 2012 vorgesehen), sondern auch e<strong>in</strong> Zeichen<br />
gesetzt werden: So denn die Strategien des Coburger Stadtentwicklungskonzepts<br />
zur Stärkung der Innenstadt Erfolg haben<br />
sollen, ist e<strong>in</strong>e sensible Anpassung der Bestandes an aktuelle<br />
und künftige Bedürfnisse nötig. Das gilt nicht nur für die wunderbar<br />
erhaltene Altstadt Coburgs, das gilt auch für Kronach<br />
– bekannt auch als das oberfränkische Rothenburg –, das gilt<br />
für e<strong>in</strong>e ganze Reihe von historischen Kernen <strong>in</strong> den Geme<strong>in</strong>den<br />
und Kle<strong>in</strong>städten der Region. Alle<strong>in</strong> mit Sanierung und Renovierung,<br />
aber auch alle<strong>in</strong> mit Lichtevents, bei denen e<strong>in</strong>, zwei Wochen<br />
lang Straßen und Gassen des nächtens <strong>in</strong> bunten Farben<br />
erstrahlen, ist es nicht getan, sollen sich die Hoffnungen auf die<br />
Attraktivitätssteigerung von Stadt und Land erfüllen. Ebenso<br />
behutsame wie beherzte E<strong>in</strong>griffe s<strong>in</strong>d nötig, Achtung des Erbes<br />
wie der Mut zum Experiment, Verantwortung gegenüber der<br />
Geschichte und der Zukunft – unter Berücksichtigung der gestalterischen<br />
Qualität. E<strong>in</strong>e entsprechende Architekten<strong>in</strong>itiative<br />
zur Förderung auch der Baukultur hat sich im Sommer<br />
2008 gegründet (Kontakt: Oliver Lederer, Kastanienweg 18,<br />
9 0 Coburg, Tel.: 09 1/ 99 0). Wenn all das gel<strong>in</strong>gt, sollen<br />
die Coburger und die ihnen Naheliegenden weiter eigenwillig,<br />
selbstbewusst und selbstständig se<strong>in</strong>.
20<br />
hauptverwaltung der hABA-Firmengruppe<br />
Bad Rodach<br />
„Das Wort ‚sozial’ nehmen wir ernst! Sowohl bei den sozialen<br />
Leistungen für unsere Mitarbeiter als auch im Verhältnis zu unseren<br />
Partnern.“ Dies steht auf e<strong>in</strong>er Schautafel im E<strong>in</strong>gangsfoyer<br />
der HABA-Hauptverwaltung <strong>in</strong> Bad Rodach. Wenn sich<br />
der Besucher umschaut, man ihn <strong>in</strong> die Besprechungsräume,<br />
<strong>in</strong>s Cas<strong>in</strong>o führt oder vielleicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>es der Büros e<strong>in</strong>lässt, wird<br />
er feststellen, dass auch das Gebäude e<strong>in</strong>e soziale Leistung<br />
darstellt. Alle<strong>in</strong> die Raumlandschaft der die drei Büroflügel<br />
verb<strong>in</strong>denden Halle: drei Stockwerke hoch, hell, offen, lichtdurchflutet,<br />
mit grazilen Treppen und Stegen, e<strong>in</strong>em kantigen<br />
Empfangstresen, der e<strong>in</strong>er Pilotenkanzel gleicht, und dem gläsernen<br />
Aufzug. Ob Mitarbeiter oder Besucher, diese <strong>Architektur</strong><br />
gibt jedem, der die Halle betritt, e<strong>in</strong> erhebendes Gefühl und Luft<br />
zum Atmen.<br />
„Der Weg zum Erfolg führt über die Pflicht, Innovation zur<br />
ständigen Aufgabe zu machen.“ Auch dieses ist auf besagter<br />
Schautafel zu lesen. Das Gebäude ist mit energiesparenden<br />
Technologien ausgestattet, die dem aktuellsten Stand der<br />
(Öko-)Technik entsprechen: Nutzung von Erdwärme und -kühle<br />
zur Klimatisierung, Nutzung von Fernwärme (wobei nur Holzabfälle<br />
aus der eigenen Möbelproduktion verbrannt werden),<br />
Nutzung von Brauchwasser für sanitäre Anlagen. Wobei die<br />
Verwendung avancierter Haustechnik ansche<strong>in</strong>end zum Genius<br />
Loci gehört: Schon der „Brauhof“, der e<strong>in</strong>st an derselben Stelle<br />
stand, war e<strong>in</strong>st Bad Rodachs modernstes Haus, weil das erst<br />
als Gastwirtschaft, dann als Wohnhaus dienende Gebäude als<br />
erstes Haus des Städtchens se<strong>in</strong>e Bewohner mit fließendem<br />
Wasser versorgte.<br />
Noch e<strong>in</strong>mal die Schautafel: „Wir stellen uns der Verantwortung<br />
für unsere Umwelt.“ Neben besagter ressourcenschonender<br />
Technik kommt der nachwachsende Rohstoff Holz vielfältig zum<br />
E<strong>in</strong>satz: für die Möblierung, als Konstruktionsmaterial für die<br />
Pfosten-Riegel-Fassade, zur Schalldämpfung für Täfelungen<br />
oder als samtig-edler Bodenbelag (weiß pigmentierte Eiche).<br />
Andere Materialien wie der Sichtbeton oder der Muschelkalk<br />
wurden naturbelassen. Und die Kant<strong>in</strong>e, an die sich e<strong>in</strong>e Freiterrasse<br />
anschließt, öffnet sich mit raumhoher Verglasung zu<br />
e<strong>in</strong>em schilfbepflanzten, wild romantisch anmutenden Teich.<br />
Die Schautafel verkündet darüber h<strong>in</strong>aus, dass die Firmengruppe<br />
zum Standort Bad Rodach steht. Eigentlich überflüssig, denn<br />
wer Augen hat zu sehen, der bemerkt dies auch ohne erläuternden<br />
Text.<br />
Hauptverwaltung der HABA-Firmengruppe<br />
9 3 Bad Rodach, August-Grosch-Straße 1–3<br />
Fertigstellung: 200<br />
h a Gessert + Randecker Architekten, Stuttgart<br />
(Freianlagen: Thomas Gnäd<strong>in</strong>ger, S<strong>in</strong>gen, und Droll & Lauenste<strong>in</strong>,<br />
Coburg)
24<br />
umbau e<strong>in</strong>es wohnhauses <strong>in</strong> e<strong>in</strong> <strong>Architektur</strong>büro<br />
Grub am Forst<br />
<strong>Architektur</strong>büros f<strong>in</strong>det man <strong>in</strong> Verwaltungsbauten, <strong>in</strong> Fabriketagen,<br />
<strong>in</strong> Geschosswohnungen oder Souterra<strong>in</strong>s. Auch<br />
wenn der Computer schon längst Zirkel, L<strong>in</strong>eal und Reißbrett<br />
verdrängt, auch wenn sich durch die Digitalisierung der Planungsarbeit<br />
der Kapitale<strong>in</strong>satz erhöht hat, die räumlichen<br />
Anforderungen des Entwerfens und Planens s<strong>in</strong>d erstaunlich<br />
ger<strong>in</strong>g und vom baulichen Rahmen unabhängig. Und doch ist<br />
e<strong>in</strong> <strong>Architektur</strong>büro im Häuschen der Großmutter sehr selten.<br />
Vor allem dann, wenn dieses Häuschen, <strong>in</strong> dessen sehr beengten<br />
Platzverhältnissen – wie im konkreten Fall – e<strong>in</strong>mal drei<br />
Generationen mite<strong>in</strong>ander lebten, e<strong>in</strong>e ebenso orig<strong>in</strong>elle wie<br />
ansprechende Umgestaltung erfahren hat, mith<strong>in</strong> e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es<br />
Schmuckstück daraus wurde.<br />
Das neue Ersche<strong>in</strong>ungsbild macht schon von Weitem auf die<br />
veränderte Nutzung aufmerksam: Fassade und Satteldach bis<br />
zum First ganz mit Lärchenholz verschalt – wobei die Lamellen<br />
ihre Richtung nicht ändern –, zusätzliche, reichlich ungewöhnliche<br />
Fensteröffnungen, die nicht e<strong>in</strong>er normalen Ordnung, sondern<br />
Sichtbedürfnissen aus den Innenräumen folgen, und e<strong>in</strong><br />
Betonband, das zuerst als Namensschild und Briefkasten dient,<br />
dann zum Bodenbelag wird, aus dem sich e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>gangstreppe<br />
faltet, die schließlich zum Vordach und W<strong>in</strong>dschutz wird. Das<br />
s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>fache, dennoch sehr wirkungsvolle Mittel, die Eleganz<br />
und Raff<strong>in</strong>esse ausstrahlen und ästhetische Kompetenz bezeugen.<br />
Die Kubatur des Siedlungshauses aus den 19 0er Jahren<br />
blieb jedoch unverändert.<br />
Auch im Inneren, <strong>in</strong> dem das Abbrechen von drei Wänden und<br />
e<strong>in</strong>er halben Decke neue Großzügigkeit schuf, Sanitär<strong>in</strong>stallationen<br />
und Bodenbeläge erneuert wurden und das Interieur<br />
aktuellen Komfort- und Repräsentationswünschen angepasst<br />
wurde, blieb der Umbau trotz aller Veränderung sehr behutsam.<br />
Vertiefungen, wie man sie aus der Bauforschung kennt,<br />
wirken wie Gemälde, zeigen die ursprünglichen Farben von<br />
Wänden und Leisten und bewahren so die Er<strong>in</strong>nerung an die<br />
e<strong>in</strong>stige Anmutung von Omas Häuschen.<br />
Umbau e<strong>in</strong>es Wohnhauses <strong>in</strong> e<strong>in</strong> <strong>Architektur</strong>büro<br />
9 2 1 Grub am Forst, R<strong>in</strong>gstraße 21<br />
Fertigstellung: 200<br />
<strong>Architektur</strong>büro [lu:p], Renee Lorenz, Grub am Forst<br />
Auszeichnungen:<br />
VELUX Architekten-Wettbewerb 0 : Tageslicht Konzepte, Nom<strong>in</strong>ierung.<br />
Leserwahl, Zeitschrift „house and more“, „Lösungen mit Tageslicht“<br />
2008, . Platz<br />
Literatur:<br />
Baunetz, Wissen Altbaumodernisierung: Ungewöhnlicher Umgang mit<br />
Bausubstanz aus den 0er Jahren, 18.03.2008.<br />
<strong>Enrico</strong> <strong>Santifaller</strong>: E<strong>in</strong> <strong>Architektur</strong>büro <strong>in</strong> Omas Häuschen, <strong>in</strong>:<br />
Deutsche Bauzeitschrift DBZ, 8/2008.
„chAnce Für neue QuAlität“<br />
stadtumbau west <strong>in</strong> oberfranken<br />
Der Name „Selb“ stand nicht auf dem Titel, aber e<strong>in</strong> Blick <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>e mögliche Zukunft der Stadt: e<strong>in</strong> geräumiger, dennoch geschützter<br />
Platz <strong>in</strong>mitten e<strong>in</strong>er sanft geschwungenen Grünanlage<br />
mit Blumen- und Sträucherrabatten, mit Zier- und Gemüsegärten,<br />
e<strong>in</strong>er haushohen Rutschbahn mit vielen W<strong>in</strong>dungen<br />
und vielen Menschen, die beisammen stehen, sich unterhalten,<br />
sich erholen. Gefasst ist dieser Platz mit ebenfalls haushohen,<br />
relativ schmalen Anbaumodulen, mit denen die dah<strong>in</strong>ter stehenden<br />
Häuser nach dem Bedürfnis ihrer Bewohner erweitert<br />
werden. Diese Zeichnung zierte die Titelseite der renommierten<br />
spanischen <strong>Architektur</strong>zeitschrift „av proyectos“, welche den<br />
Vorschlag des spanischen Architektenteams gutierrez-delafuente<br />
arquitectos aus Madrid für den Europan-Wettbewerb<br />
zu Selb vorstellte. Die Jury, die diesen Entwurf mit dem ersten<br />
Preis auszeichnete, attestierte ihm „städtebaulichen und konzeptuellen<br />
Charme“. Auch die nicht m<strong>in</strong>der renommierte deutsche<br />
<strong>Architektur</strong>zeitschrift „Bauwelt“ lobte den Entwurf – etwa<br />
jene Module, mit denen der Gebäudebestand „altersgerecht und<br />
barrierefrei“ umgenutzt und E<strong>in</strong>richtungen für Senioren <strong>in</strong>tegriert<br />
werden können. Dass Selb mit <strong>in</strong>teressanter <strong>Architektur</strong><br />
Schlagzeilen macht, ist nichts Neues. Wie an anderer Stelle<br />
erläutert, haben <strong>in</strong> den „goldenen Jahren“ der Porzellanstadt<br />
Größen wie Gropius, Uecker, Morand<strong>in</strong>i und Hundertwasser<br />
baukünstlerische Akzente gesetzt. Neu ist freilich, dass die<br />
architektonischen und städtebaulichen Geschehnisse <strong>in</strong> Selb<br />
selbst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Krise auf nationale und <strong>in</strong>ternationale Resonanz<br />
stoßen.<br />
Selb ist die Pilotstadt für den „Stadtumbau West“ <strong>in</strong> Bayern. Die<br />
Stadt steht exemplarisch für die Anpassungs- und Stadtentwicklungsprozesse,<br />
die alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> Bayern Städte und Marktgeme<strong>in</strong>den<br />
betreffen (Stand: Oktober 2008). In <strong>Oberfranken</strong><br />
s<strong>in</strong>d es 2 Kommunen, die Stadtumbau-Maßnahmen e<strong>in</strong>geleitet<br />
haben, davon 1 <strong>in</strong> Hochfranken. Strukturwandel, demografischer<br />
Wandel, Konversion von Bahn- und militärischen Liegenschaften<br />
stellen Städte vor erhebliche Probleme. Nachdem<br />
die Bundesregierung 2002 das Programm „Stadtumbau Ost“<br />
ausgerufen hatte, folgte zwei Jahre später das Bund-Länder-<br />
Programm „Stadtumbau West“. 2 bayerische Kommunen<br />
wurden bis e<strong>in</strong>schließlich des Jahres 2008 mit <strong>in</strong>sgesamt 8,<br />
Millionen Euro unterstützt, wobei die Mittel vom Bund, Land<br />
Bayern sowie von der Europäischen Union kamen. Das kl<strong>in</strong>gt<br />
viel, e<strong>in</strong> Vergleich hilft aber diese Summe e<strong>in</strong>zuschätzen: Die<br />
Kosten für den geplanten Neubau der Europäischen Zentralbank,<br />
e<strong>in</strong> rund 180 Meter hoher Büroturm <strong>in</strong> Frankfurt, werden<br />
von seriösen Zeitungen auf rund 0 bis 8 0 Millionen Euro<br />
geschätzt. Die oberfränkischen Kommunen wurden von 200<br />
bis 2008 mit <strong>in</strong>sgesamt 1 , Millionen Euro unterstützt, die<br />
Stadt Selb erhielt darüber h<strong>in</strong>aus weitere zwei Millionen Euro<br />
an Zuschuss, weil sie als e<strong>in</strong>e von 1 Pilotstädten <strong>in</strong> das Forschungsvorhaben<br />
„Stadtumbau West“ des Bundesm<strong>in</strong>isteriums<br />
für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung e<strong>in</strong>gebunden war. Die<br />
Regierung von <strong>Oberfranken</strong> bewilligt nicht nur die Fördermittel,<br />
sondern sie unterstützt die Städte und Geme<strong>in</strong>den bei der<br />
Entwicklung neuer Perspektiven und begleitet sie auf dem Weg<br />
der Erneuerung h<strong>in</strong> zu mehr örtlicher Attraktivität und Lebensqualität.<br />
Dennoch, bei den im Vergleich doch bescheidenen Beträgen ist<br />
der Stadtumbau für die e<strong>in</strong>zelnen Kommunen e<strong>in</strong>e ungeheure<br />
Aufgabe. Selbitz im Landkreis Hof zum Beispiel hatte von 1990<br />
bis 2003 e<strong>in</strong>en Verlust von e<strong>in</strong>em Drittel der sozialversicherungspflichtigen<br />
Beschäftigten zu verkraften. Der Umbau der<br />
. 00-E<strong>in</strong>wohner-Stadt konzentriert sich auf die Revitalisierung<br />
von alt<strong>in</strong>dustriellen Gewerbeflächen <strong>in</strong> Altstadtnähe. Die<br />
Beschäftigtenzahl <strong>in</strong> der 3. 00-Seelen-Kommune Kirchenlamitz<br />
im Landkreis Wunsiedel g<strong>in</strong>g im selben Zeitraum sogar um zwei<br />
Drittel zurück. Auch hier sollen Industriebrachen e<strong>in</strong>e neue<br />
Nutzung f<strong>in</strong>den und öffentliche Räume aufgewertet werden.<br />
Darüber h<strong>in</strong>aus wurde e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>terkommunale Zusammenarbeit<br />
mit Schwarzenbach an der Saale (Beschäftigtenverlust 2 Prozent)<br />
e<strong>in</strong>geleitet: Maßnahmen und Projekte sollen geme<strong>in</strong>sam<br />
entwickelt oder aufe<strong>in</strong>ander abgestimmt werden.<br />
Die spanische <strong>Architektur</strong>zeitschrift „av proyectos“ veröffentlichte im<br />
Sommer 200 auf ihrem Titelblatt e<strong>in</strong>en Plan, der die mögliche Zukunft<br />
der Stadt Selb zeigt.<br />
Auch die Stadt Teuschnitz, Landkreis Kronach, will mit den<br />
Nachbarkommunen Ste<strong>in</strong>bach am Wald, Tettau, Ludwigsstadt,<br />
Reichenbach und Tschirn zusammenarbeiten. Teuschnitz,<br />
ebenfalls großen Strukturproblemen ausgesetzt, hatte alle<strong>in</strong><br />
<strong>in</strong> den fünf Jahren zwischen 1999 und 200 e<strong>in</strong>en Rückgang der<br />
Beschäftigtenzahl um 0 Prozent zu verkraften. In der „ARGE<br />
Rennsteig“, wie die <strong>in</strong>terkommunale Kooperation heißt, soll e<strong>in</strong><br />
geme<strong>in</strong>sames Entwicklungskonzept erarbeitet werden. Zwar<br />
wird <strong>in</strong> Bayern der Schwerpunkt des Stadtumbau-Programms<br />
auf den ländlichen Raum gelegt, doch auch <strong>in</strong> größeren Städten<br />
wie Bamberg (ERBA-Gelände) und Bayreuth (Röhrenseekaserne,<br />
Markgrafenkaserne) gibt es Gebiete, die e<strong>in</strong>er dr<strong>in</strong>genden<br />
Neuordnung harren.<br />
Die Oberste Baubehörde im Bayerischen Staatsm<strong>in</strong>isterium des<br />
Innern versteht den Stadtumbau als „Chance für neue Qualität“.<br />
So lautete auch der Titel e<strong>in</strong>er Fachtagung im Oktober 200 , auf<br />
der e<strong>in</strong>e Zwischenbilanz des Förderprogramms gezogen wurde.<br />
Die Referenten erläuterten, wie brachgefallene oder erneuerungsbedürftige<br />
Flächen und Gebäude zu e<strong>in</strong>er strategischen<br />
Aufwertung des Lebens- und Wirtschaftsstandortes Stadt genutzt<br />
werden können. Mit mehr Grün, attraktiven öffentlichen<br />
Räumen und der Verbesserung der Nutzungsvielfalt könnte die<br />
Lebensqualität <strong>in</strong> den Städten, vor allem ihren Kernen erhöht<br />
werden. Die notwendigen Schrumpfungsprozesse sollen dabei<br />
nicht als unvermeidliche Zumutung, sondern als Möglichkeit,<br />
die Potenziale der Stadt zu wecken, verstanden werden. Partnerschaftliches<br />
Handeln, e<strong>in</strong>e umfassende Bürgerbeteiligung<br />
sowie die Weiterentwicklung der Identität des Ortes, das war<br />
die Me<strong>in</strong>ung der Tagungsbesucher, stellen wesentliche Erfolgsfaktoren<br />
dar. Die wichtigste Erkenntnis dieser Konferenz<br />
freilich war, dass der Stadtumbau-Prozess ganzheitlich gesehen<br />
werden muss. Lediglich architektonisch-städtebauliche<br />
Maßnahmen würden ebenso zu kurz greifen wie e<strong>in</strong>e Ausrichtung<br />
auf re<strong>in</strong> soziale und wirtschaftliche Aspekte. Die Probleme<br />
– von der Altlastenbeseitigung über wohnungswirtschaftliche<br />
Belange bis zur Schulentwicklungsplanung, von der Konversion<br />
militärischer Flächen über Überalterung der Bürgerschaft bis<br />
zur Vernetzung von Kulture<strong>in</strong>richtungen – seien so komplex,<br />
dass nur e<strong>in</strong> <strong>in</strong>tegriertes, verschiedenste Bereiche berücksichtigendes<br />
Konzept Erfolg verspricht.<br />
Die Integrierten Stadtentwicklungskonzepte s<strong>in</strong>d deswegen<br />
Grundlage allen Stadtumbaus und der Förderung durch das<br />
Bund-Länderprogramm. In den von der Obersten Baubehörde<br />
herausgegebenen „H<strong>in</strong>weise(n) zur Programmdurchführung“<br />
heißt es dazu schlicht, aber deutlich: „Das städtebauliche Entwicklungskonzept<br />
(SEK) ist die konzeptionelle Grundlage des<br />
Stadtumbaus und wird für die Realisierung konkreter Maßnahmen<br />
vorausgesetzt.“ Die Planungen sollen über die schon<br />
genannten Aspekte h<strong>in</strong>aus für e<strong>in</strong>e Umlenkung der Investitionen<br />
auf städtebaulich e<strong>in</strong>gebundene Standorte sorgen, die Versorgung<br />
mit sozialer und technischer Infrastruktur sichern, Initiativen<br />
für mehr K<strong>in</strong>der- und Familienfreundlichkeit unterstützen<br />
und städtebauliche und architektonische Qualitäten erhalten<br />
und weiterentwickeln. Betrachtet man so e<strong>in</strong> Stadtentwicklungskonzept<br />
allerd<strong>in</strong>gs genauer, dann liest es sich nicht selten<br />
wie e<strong>in</strong> Katalog von Zumutungen. Wenn von „Renaturierung“,<br />
„Umwidmung“ oder „Rückbau“ beispielsweise gesprochen wird,<br />
ist meistens Abriss geme<strong>in</strong>t. Wie solcherart Abriss dennoch auf<br />
die Akzeptanz der Bevölkerung stoßen kann, zeigt e<strong>in</strong> Beispiel<br />
aus Selb. Am Buchwalder Weg am südöstlichen Stadtrand wurde<br />
e<strong>in</strong> sanierungsbedürftiges Wohngebäude abgebrochen. Die<br />
anderen Wohngebäude aber ließ man nicht nur modernisieren,<br />
sondern mit Balkonen, Vordächern, Mietergärten und e<strong>in</strong>er<br />
Verbesserung des Wohnumfeldes aufwerten. Darüber h<strong>in</strong>aus<br />
wurden die Gebäude mit e<strong>in</strong>er effektiven Wärmedämmung<br />
versehen. Auch im Stadtteil Vorwerk wurden 2 Wohne<strong>in</strong>heiten<br />
abgerissen, 2 andere dagegen saniert. Zusätzlich wurde e<strong>in</strong><br />
lange leer stehendes Gebäude zu e<strong>in</strong>em barrierefreien und<br />
auch gestalterisch deutlich aufgewerteten Pflegestützpunkt<br />
umgebaut. Dieser Stützpunkt, der <strong>in</strong> e<strong>in</strong> gesamtstädtisches<br />
Gesundheits- und Pflegenetzwerk e<strong>in</strong>gebunden ist, betreut<br />
82 83<br />
Demenzkranke, bietet diverse Gruppen für Senioren und nimmt<br />
sich auch der Angehörigen an.<br />
Dass der Stadtumbau <strong>in</strong> Selb als Chance für neue Qualität verstanden<br />
wird, dokumentiert e<strong>in</strong> weiteres Beispiel. Am Rand der<br />
historischen Altstadt lag die Brachfläche der ehemaligen Brauerei<br />
Rauh & Ploß, für die man jahrelang vergeblich e<strong>in</strong>e neue<br />
Nutzung suchte. Um für den Stadtumbau Akzeptanz zu wecken,<br />
schlug die Stadt e<strong>in</strong>e Zwischennutzung vor und rief die Bürger<br />
zu e<strong>in</strong>em Ideenwettbewerb für die Gestaltung des Areals auf.<br />
E<strong>in</strong>e Fachjury bewertete 22 Arbeiten und vergab drei Preise. Die<br />
Vorschläge wurden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Bürgerversammlung vorgestellt<br />
und dann von den Architekten Peter Kuchenreuther, Gerhart<br />
Plaß und der Landschaftsarchitekt<strong>in</strong> Gisela Fank <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en<br />
schlüssigen Entwurf umgesetzt. Das Ergebnis kann sich sehen<br />
lassen: E<strong>in</strong>e hochwertige, zum Teil terrassierte und mit Treppen<br />
verbundene Grünfläche ist entstanden, die von Solitärbäumen<br />
gerahmt wird. An zentraler Stelle wurde e<strong>in</strong> von Sitzmöglichkeiten<br />
umgebenes Schachfeld mit Kacheln realisiert, wobei<br />
dessen Kosten Sponsoren übernahmen, die <strong>in</strong>nerhalb von zehn<br />
Tagen gefunden werden konnten. Auch die Gabionen, welche die<br />
Blumenbeete fassen, wurden von den Bürgern gefüllt – verwendet<br />
wurden dazu ehemalige Gipsformen aus der Porzellan<strong>in</strong>dustrie.<br />
Den nördlichen Bereich besetzt e<strong>in</strong>e Mehrzweckfläche,<br />
die für Märkte, e<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>imesse oder zum Boulespiel genutzt<br />
werden kann.<br />
Diese, von den E<strong>in</strong>wohnern Selbs „Bürgerpark“ genannte, im<br />
Oktober 200 feierlich übergebene Grünfläche erfüllte über<br />
das Umwidmen e<strong>in</strong>er von Bretterzäunen umgebenen Baugrube<br />
h<strong>in</strong>aus weitere Funktionen: Das offiziell „Impulsprojekt“ genannte<br />
Vorhaben und die zahlreichen Aktionen, diese Brache<br />
zu gestalten, verschafften dem Stadtumbauprozess e<strong>in</strong>e große<br />
Öffentlichkeit. Diese Öffentlichkeit und der Aufruf, etwas für<br />
die Gestaltung der Stadt zu tun, führte wiederum zu e<strong>in</strong>em<br />
tatkräftigen Engagement der Bürger. Sponsoren und ehrenamtliche<br />
Tätigkeit konnten damit auch für andere Projekte<br />
gewonnen werden. Insgesamt wurde die Lähmung, die die<br />
Stadt angesichts immer drastischerer E<strong>in</strong>wohner- und Arbeitsplatzverluste<br />
befallen hatte, überwunden und e<strong>in</strong> neuer Geme<strong>in</strong>schaftsgeist<br />
geweckt. Im H<strong>in</strong>blick auf den immens großen<br />
Kapitalbedarf, den der Stadtumbau benötigt, und den chronisch<br />
leeren Kassen der Kommunen ist Engagement der Bürgerschaften<br />
und der Privatwirtschaft notwendiger denn je. Freilich,<br />
das Engagement von Grundstücks- und Gebäudeeigentümern,<br />
selbst <strong>in</strong>itiativ zu werden, lässt nach wie vor zu wünschen übrig.<br />
Immerh<strong>in</strong> gel<strong>in</strong>gt den vom Stadtumbau betroffenen Kommunen,<br />
Immobilien zu realistischen, sprich: zu deutlich ger<strong>in</strong>geren<br />
Preisen zu erwerben. Diese Grundstücke können dann im Rahmen<br />
des Stadtentwicklungskonzepts aktiviert werden. So wird<br />
<strong>in</strong> Selb derzeit e<strong>in</strong> neues Jugendzentrum und Jugendhotel geplant.<br />
Entwurfsverfasser ist jenes spanische Architektenteam,<br />
das den e<strong>in</strong>gangs erwähnten Europan-Wettbewerb gewonnen<br />
hatte.
Im Fichtelgebirge
egion BAyreuth und KulMBAch<br />
wo das wähnen kurzzeitig Frieden f<strong>in</strong>det<br />
Bayreuth, Kulmbach: Markgräflicher Mut und wagners wille<br />
zur Kunst<br />
„Vier Wochen lang“, schrieb der Literat Gerhard Schönemann,<br />
„er<strong>in</strong>nert die Welt Bayreuth daran, dass es Bayreuth ist“. Vier<br />
Wochen, <strong>in</strong> denen sich die oberfränkische Regierungshauptstadt<br />
zur Weltstadt auf Zeit verwandelt: Promi-Schaulaufen,<br />
Luxuslimous<strong>in</strong>en-Paraden, Wagner allgegenwärtig, ausgebuchte<br />
Hotels <strong>in</strong> der ganzen Region, schließlich die Geschehnisse<br />
und Begebenheiten auf jenem Hügel, auf dem sich, obschon<br />
er so heißt, nicht immer alle grün s<strong>in</strong>d. Nun mag man all<br />
das nicht unbed<strong>in</strong>gt als Ausweis von Weltläufigkeit halten. Und<br />
Public View<strong>in</strong>g, das Rudelgucken e<strong>in</strong>es auf e<strong>in</strong>e überlebensgroße<br />
Le<strong>in</strong>wand projizierten Events, das im Sommer 2008 für<br />
die Festspiel<strong>in</strong>szenierungen auf dem Volksfestplatz erstmalig<br />
<strong>in</strong> Bayreuth stattfand, hat mittlerweile <strong>in</strong> jedes größere Dorf<br />
E<strong>in</strong>zug gehalten. Doch diese vier Wochen def<strong>in</strong>ieren <strong>in</strong> Bayreuth<br />
e<strong>in</strong>e eigene Jahreszeit. Was Köln oder Ma<strong>in</strong>z der Karneval, ist<br />
Bayreuth die Festspielzeit. Und im Rest des Jahres geht man es<br />
gemächlicher an. Se<strong>in</strong>en „langersehnten Ruhesitz“ fand schon<br />
Richard Wagner <strong>in</strong> Bayreuth. „Wunderlich und still“ beschrieb<br />
bereits Voltaire die Stadt. Und die Markgräf<strong>in</strong> Wilhelm<strong>in</strong>e<br />
schrieb an ihren Bruder, den großen Fritz: „Wir führen hier e<strong>in</strong><br />
stilles Landleben.“ Wer heute wagt, auf dem verkehrsreichen<br />
Hohenzollernr<strong>in</strong>g um Bayreuths Innenstadt zu promenieren,<br />
der wird sich über den großen Sprung wundern, den Bayreuth<br />
von der lieblichen Landpomeranze zur regen Verwaltungs- und<br />
Universitätsstadt mit gut 0.000 E<strong>in</strong>wohnern machen musste.<br />
Und es waren die Markgrafen selbst, an der Spitze Wilhelm<strong>in</strong>e,<br />
die zu diesem Sprung angesetzt hatten.<br />
Der Aufstieg Bayreuths g<strong>in</strong>g auf Kosten Kulmbachs. Nachdem<br />
die Hohenzollern, aus Nürnberg kommend, sich zum Machthaber<br />
über diesen Teil Frankens aufschwangen, residierten sie<br />
über 2 0 Jahre lang auf der Plassenburg oberhalb Kulmbachs.<br />
Die Stadt, begünstigt durch ihre Verkehrslage, gedieh. Kaufleute<br />
und Händler machten gute Geschäfte, die Tuchmacher und<br />
Barchentweber, die Färber und Seidensticker expandierten die<br />
Produktion. Und früh, genauer von 13 9 an, zogen die Brauer<br />
e<strong>in</strong>, wobei sich der Malzgeruch bis <strong>in</strong>s späte 20. Jahrhundert<br />
hielt. Manch fleißig-gelehrter Kulmbacher wie etwa Friedrich<br />
Sesselmann brachte es sogar zum Kurfürstlichen Brandenburgischen<br />
Kanzler. Doch Kulmbachs Herrlichkeit währte nicht<br />
allzu lange. Bereits Markgraf Albrecht Alcibiades zog es 20<br />
Kilometer weiter nach Südosten, im Bundesständischen Krieg<br />
wurde er gestoppt. Se<strong>in</strong> späterer Nachfolger Christian verlegte<br />
die Residenz, kaum dass er 1 03 die Regentschaft angetreten,<br />
endgültig nach Bayreuth.<br />
Bis dah<strong>in</strong> war die Stadt e<strong>in</strong> immer wieder von Katastrophen<br />
gepe<strong>in</strong>igtes Kaff. Noch die aus Berl<strong>in</strong> gerade angekommene<br />
Wilhelm<strong>in</strong>e sieht allenthalben „Dorfbewohner“. Doch langsam<br />
beg<strong>in</strong>nt Bayreuth zu wachsen. Christian Ernst lässt neue<br />
Straßenzüge, Alleen, Gärten und Parks anlegen, und Erbpr<strong>in</strong>z<br />
Georg Wilhelm nach e<strong>in</strong>em barocken Idealplan St. Georgen.<br />
Danach regierte Georg Friedrich Karl, laut Auskunft se<strong>in</strong>er<br />
Schwiegertochter Wilhelm<strong>in</strong>e der „Trunksucht“ verfallen. Doch<br />
vom übermäßigen Alkoholgenuss ließ sich der Fürst <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />
Produktivität nicht h<strong>in</strong>dern. Auf ihn geht die Anlage der Friedrichstraße<br />
zurück, die bedeutsamste barocke Stadterweiterung<br />
Bayreuths. Ob der Straßenmarkt von St. Georgen mit se<strong>in</strong>en<br />
Typenhäusern, ob der sandste<strong>in</strong>erne Prospekt der Friedrichstraße<br />
mit ihren Palais, Wohnhäusern und öffentlichen Bauten,<br />
wer jene spezifisch preußische Mischung aus diszipl<strong>in</strong>iertem<br />
Barock und opulentem Klassizismus erleben möchte, braucht<br />
nicht extra nach Potsdam oder Berl<strong>in</strong> zu fahren. Diese trotz<br />
aller Pracht asketische Beschränkung auf e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>heitliches<br />
Material, auf wenige Farben, Dachformen und Höhenl<strong>in</strong>ien, auf<br />
ruhige Konturen und richtige Proportionen gibt Bayreuth etwas<br />
E<strong>in</strong>zigartiges und stellt e<strong>in</strong>en baulichen Gegenpol zum Barock<br />
der Dientzenhofers und Neumanns im Hochstift Bamberg dar.<br />
Weltläufiges <strong>in</strong>des brachte erst Wilhelm<strong>in</strong>e <strong>in</strong>s Oberfränkische.<br />
Erzogen, um e<strong>in</strong>mal König<strong>in</strong> von England zu werden, war sie<br />
sich mit ihrem Gatten Friedrich, der <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Jugend <strong>in</strong> Genf<br />
und Paris gewesen war, e<strong>in</strong>ig im Willen, Bayreuth zur modernen<br />
Residenz zu erheben. Das Neue Schloss mit Hofgarten und dem<br />
nussbaumgetäfelten Speisezimmer – der Illusion e<strong>in</strong>es Palmenha<strong>in</strong>s<br />
–, die Eremitage, das Markgräfliche Opernhaus s<strong>in</strong>d beider<br />
H<strong>in</strong>terlassenschaften, dazu später noch Schloss Fantaisie,<br />
das ihre Tochter Pr<strong>in</strong>zess<strong>in</strong> Friederike vollenden sollte.<br />
Carl Wölfel, Richard Wagner, Wilhelm Neumann:<br />
Villa Wahnfried, Bayreuth, 18 2-18<br />
Gäbe es Wagner ohne das Markgräfliche Opernhaus <strong>in</strong><br />
Bayreuth? Der prächtige, aber <strong>in</strong>time Bau war schlicht zu kle<strong>in</strong><br />
für Wagners hochfahrend-titanische Pläne. Nun, da nach Stationen<br />
<strong>in</strong> halb Europa das Wähnen des Musikdramatikers Frieden<br />
fand, baute er se<strong>in</strong>en hölzernen Tempel der Kunst <strong>in</strong> Bayreuth<br />
(von Freund Semper hatte er gehört, dass Palladio Holz für das<br />
Teatro Olimpico <strong>in</strong> Vicenza verwendete). Anders als Wilhelm<strong>in</strong>e,<br />
die Voltaire aus Paris holen ließ, weil sie an der prov<strong>in</strong>ziellen<br />
Beschränktheit Bayreuths verzweifelte, baute Wagner <strong>in</strong> der<br />
Prov<strong>in</strong>z e<strong>in</strong>e Gegenwirklichkeit zur verderbten Mammon-Welt,<br />
zur Großbourgeoisie, zur Industrialisierung und zum Kapitalismus<br />
– all das, worunter er im verhassten Paris litt. Wagner<br />
kaufte das Grundstück auf dem Grünen Hügel mit Geld, das er<br />
nicht hatte. Genauso geschah’s bei der Villa Wahnfried am Rande<br />
des Hofgartens. Die Büste Ludwigs II., die die Villa-Zufahrt<br />
ziert, ist Geste des Dankes an den Gönner, der e<strong>in</strong>mal mehr<br />
se<strong>in</strong> Portemonnaie öffnete. Als dann am 22. Mai 18 2 feierlich<br />
der Grundste<strong>in</strong> gelegt wurde, bedeutete es dem Teilnehmer<br />
Friedrich Nietzsche „die erste Weltumsegelung im Reiche der<br />
Kunst“. Die ersten Festspiele im Jahre 18 waren e<strong>in</strong> Ereignis.<br />
Wilhelm I., der deutsche Kaiser, war <strong>in</strong> die ehemalige Hohenzollernstadt<br />
gereist, um an der Spitze der Fürstlichkeiten den<br />
Grünen Hügel h<strong>in</strong>auf zu wallfahren. Doch vom Taumel der Premiere<br />
erwacht, zeigte Wagner sich enttäuscht, blieb doch die<br />
Festspielkasse nicht nur leer, sondern verzeichnete e<strong>in</strong> sagenhaftes<br />
Defizit von knapp 100.000 Mark. Wagner hatte genug<br />
– von Bayreuth, von Bayern, vom Deutschen Reich – und wollte<br />
nach Nordamerika auswandern, bis ihm erneut die königlichbayerische<br />
Geldbörse aus der Patsche half, woraufh<strong>in</strong> die Festspiele<br />
erst e<strong>in</strong>mal gesichert waren.<br />
Und während Wagner zwischen Euphorie und Depression oszillierte,<br />
veränderte sich Bayreuth. Die Industrialisierung und<br />
die Moderne hielten E<strong>in</strong>zug, verspätet zwar, aber immerh<strong>in</strong>.<br />
Manche ihrer baulichen Erzeugnisse s<strong>in</strong>d auch heute noch zu<br />
sehen: die alte Sp<strong>in</strong>nerei zum Beispiel, die Anfang des 21. Jahrhunderts<br />
e<strong>in</strong>e Wiedergeburt – freilich mit anderen Nutzungen<br />
– fand, oder die Maisel-Brauerei – bezeichnenderweise an der<br />
Kulmbacher Straße – oder die gründerzeitlichen Prachtbauten<br />
wie das Justizgebäude, der Wölfelblock oder die königliche Lehrerbildungsanstalt,<br />
die wie e<strong>in</strong> R<strong>in</strong>g die Innenstadt umschließen.<br />
Die Stadt wuchs unaufhaltsam <strong>in</strong>s Land, <strong>in</strong>tegrierte oder<br />
verdrängte dörfliche Strukturen. Nach dem unwürdigen, am<br />
Ende zerstörerischen Zwischenspiel als Hauptstadt des Gaus<br />
„Bayerische Ostmark“ im 1000-jährigen Reich folgte 19 der<br />
demokratische Neubeg<strong>in</strong>n – freilich nicht <strong>in</strong> der Mitte Deutschlands<br />
wie zu Richard Wagners Zeiten, sondern an der Peripherie.<br />
Und bevor auch der Grüne Hügel mit den Enkelbrüdern<br />
Wolfgang und Wieland wieder zu Festspielwochen lud, fanden<br />
hier, im Tempel deutscher Kunst, Varietéveranstaltungen statt,<br />
was die schnell sich wieder vergrößernde Wagnergeme<strong>in</strong>de als<br />
Entweihung registrierte.<br />
Dem Wiederaufbau nach dem Krieg folgte der Abbruch alter<br />
Bausubstanz. Die verkehrsgerechte Stadt, die Auflösung<br />
alter E<strong>in</strong>zelhandelsstrukturen verlangten Opfer. Für das Gebäude<br />
des Hertie-Kaufhauses <strong>in</strong> der Maxstraße wurden drei<br />
historische Häuser abgerissen, für das C&A-Gebäude <strong>in</strong> der<br />
Richard-Wagner-Straße ebenfalls. Prom<strong>in</strong>entestes Beispiel<br />
8 8<br />
für den Fortschrittsglauben der 19 0er Jahre ist das hoch<br />
auffahrende Neue Rathaus, das bald schon wieder ganz alt<br />
aussah und mit viel Geld renoviert werden musste. Trotz se<strong>in</strong>er<br />
Randlage blieben die diversen Städtebaupolitiken auch <strong>in</strong><br />
Bayreuth nicht folgenlos: Funktionalismus, Stadterweiterung,<br />
Suburbanisierung, Stadterneuerung, Stadtsanierung. Die Entscheidung<br />
des Bayerischen Landtags 19 1, die Stadt zu e<strong>in</strong>em<br />
Universitätsstandort auszubauen, gab Bayreuth neue Dynamik,<br />
die bis heute anhält. Freilich, die Atmosphäre e<strong>in</strong>er klassischen<br />
Universitätsstadt kann der Campus <strong>in</strong> Bayreuths Südosten trotz<br />
renommierter Forscher und mittlerweile 10.000 Studenten<br />
nicht vermitteln. Und doch, <strong>in</strong> der Sophienstraße und den anschließenden<br />
Gassen lebt e<strong>in</strong>e neue Urbanität auf, die Bayreuth<br />
bis dah<strong>in</strong> noch nicht kannte.<br />
Konsequenzen, die bis heute anhalten, zog der Bau des Rotma<strong>in</strong>-Centers<br />
westlich der Innenstadt 199 nach sich. 1 .000<br />
Quadratmeter Verkaufsfläche und 0 Wohnungen genehmigte<br />
der Bayreuther Stadtrat, 20.000 Quadratmeter und sieben Wohnungen<br />
wurden es – e<strong>in</strong>e Vergrößerung der Bayreuther E<strong>in</strong>zelhandelsfläche<br />
um e<strong>in</strong> Drittel. Und nicht nur das: Den durch<br />
das E<strong>in</strong>kaufszentrum, das nun alle hochwertigen Geschäfte<br />
beherbergt, bed<strong>in</strong>gten Funktionsverlust der Innenstadt kann<br />
sie auf Dauer nicht kompensieren. Und das trotz aller architektonischen<br />
Versuche – wie etwa der aufgeregt kommentierte,<br />
letztlich folgenlose Wettbewerb um das Stadthaus. Während die<br />
Marktstraße, durch e<strong>in</strong>e Brücke an das RMC angeschlossen,<br />
durch Gastronomie e<strong>in</strong>en teilweise zufriedenstellenden Ersatz<br />
gefunden hat, ist die Richard-Wagner-Straße als E<strong>in</strong>kaufsstraße<br />
nicht zu retten. Der im Sommer vorgelegte Entwurf für e<strong>in</strong><br />
Integriertes Stadtentwicklungskonzept sucht deshalb nach<br />
neuen Wegen.<br />
E<strong>in</strong> Integriertes Stadtentwicklungskonzept wurde im Sommer<br />
2008 auch für Kulmbach erarbeitet. So verschieden die Entwicklung<br />
beider Städte, so sehr gleichen sich die aktuellen<br />
Probleme. Was das RMC für Bayreuth ist, stellt das Fritz für die<br />
Gewerbe- und Industriestadt Kulmbach dar. Brachen alter Industrieanlagen<br />
müssen revitalisiert werden, die Innenstadt ist<br />
von e<strong>in</strong>em hohen Leerstand geprägt, überflüssige Verkaufsflächen<br />
suchen nach neuer Nutzung. Auch die Lösungen gleichen<br />
sich hier wie dort. Verknüpfungen etwa der Kunst- und Kulturstätten<br />
werden gesucht: Was <strong>in</strong> Kulmbach der Bier-und Museumsweg<br />
ist, ist <strong>in</strong> Bayreuth der Versuch, die alten Chausseen<br />
wieder aufleben zu lassen und die Markgräflichen Schlösser zu<br />
verb<strong>in</strong>den. Und die <strong>Architektur</strong>, zeitgenössische, <strong>in</strong> die Zukunft<br />
weisende und dabei das Alte modernisierende wird wieder beschworen.<br />
Man sollte vom Mut der Markgrafen lernen und von<br />
Wagners Wille zur Kunst. Auch über die vier Wochen h<strong>in</strong>aus.
34<br />
evangelischer K<strong>in</strong>dergarten<br />
Bayreuth-Saas<br />
„As soon as you’re born, they make you feel small“, heißt es <strong>in</strong><br />
John Lennons Lied “Work<strong>in</strong>g Class Hero”. Auch K<strong>in</strong>dergärten<br />
machen mit verme<strong>in</strong>tlich k<strong>in</strong>dgerechter Gestaltung die Kle<strong>in</strong>en<br />
erst richtig kle<strong>in</strong>, weil sie deren Drang, groß zu werden, unterschätzen.<br />
Moderne Pädagogik fordert, gestützt auf Erkenntnisse<br />
der Hirnforschung, nicht pastellfarbene Förmchen, Türmchen<br />
und W<strong>in</strong>kelchen, sondern vielfältige Angebote, die K<strong>in</strong>der<br />
bei der Entwicklung eigener Themen begleiten. Nicht nostalgische<br />
Projektionen Erwachsener, sondern s<strong>in</strong>nliche – ästhetische<br />
wie körperliche – Offerten, die K<strong>in</strong>der bei der Ausbildung<br />
ihrer sprachlichen, mathematischen und kreativen Kompetenzen<br />
unterstützen und dabei so flexibel s<strong>in</strong>d, dass K<strong>in</strong>der ihre<br />
Welt selbstständig erobern können. In dieser H<strong>in</strong>sicht ist der<br />
K<strong>in</strong>dergarten im Bayreuther Stadtteil Saas e<strong>in</strong> Musterexemplar.<br />
In der als Wohngebiet zunehmend beliebten Saas wurde die<br />
bestehende E<strong>in</strong>richtung zu kle<strong>in</strong>. Beim Wettbewerb für e<strong>in</strong>en<br />
Erweiterungsbau konnte sich das <strong>Architektur</strong>büro Hauck +<br />
Steger mit e<strong>in</strong>em Entwurf durchsetzen, dessen Leitmotiv<br />
„Spielen und Lernen unterm Blätterdach“ lautete: e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>geschossiger<br />
Baukörper aus Holz, der, im rechten W<strong>in</strong>kel zum<br />
Altbau gelegen, sich mit durchgehender Fensterfront zum mit<br />
großkroni-gen Laubbäumen bewachsenen Garten öffnet. Das<br />
realisierte Gebäude, das die topografischen Bed<strong>in</strong>gungen – e<strong>in</strong><br />
Höhenrücken mit verschieden abfallendem Gelände – auch im<br />
Inneren geschickt nützt, wird dem Versprechen, das im Wettbewerb<br />
gegeben wurde, gerecht: Gruppen- und Betreuungsräume<br />
s<strong>in</strong>d konsequent zum Garten gerichtet. E<strong>in</strong>e großzügige Loggia<br />
und breite Treppen lassen e<strong>in</strong>e nicht nur optische Verb<strong>in</strong>dung<br />
<strong>in</strong>s Grün zu.<br />
Es s<strong>in</strong>d die Details, die diesen K<strong>in</strong>dergarten zu e<strong>in</strong>em sowohl<br />
spielerisch als auch ästhetisch spannenden Erlebnis machen:<br />
die weiß gelackten Küchenelemente, die von zwei Seiten benutzt,<br />
aber auch bündig zusammengeklappt werden können,<br />
der Flur, der sich weitet, zusammenzieht und wieder weitet,<br />
die schicken Waschtische <strong>in</strong> den Bädern, die boden- und deckengleichen<br />
Verglasungen und die Oberlichter, die Podeste,<br />
die zugleich als Wandschrank, Höhle und Rutschbahn funktionieren,<br />
der weite Dachüberstand, der zusammen mit dem<br />
Laub allzu große Sonnene<strong>in</strong>strahlung verh<strong>in</strong>dert. Konzept und<br />
Ausführung, Funktion, Präzision und Eleganz greifen <strong>in</strong>e<strong>in</strong>ander<br />
und gehen <strong>in</strong> dem lichtdurchfluteten Gebäude e<strong>in</strong>e perfekte<br />
Verknüpfung e<strong>in</strong>. Sie f<strong>in</strong>det bei den K<strong>in</strong>dern – übrigens auch bei<br />
Erziehern und Eltern – äußerst positive Resonanz.<br />
K<strong>in</strong>dergarten<br />
9 Bayreuth, Erikaweg 38 (Stadtteil Saas)<br />
Fertigstellung: 200<br />
Hauck + Steger <strong>Architektur</strong>, Bruno Hauck, Bayreuth<br />
102
Petersgrad, Joditz
egion hoF und wunsiedel<br />
das pr<strong>in</strong>zip hof(f)nung<br />
hochfranken: problemregion im Aufwärtstrend<br />
Es mag Zufall, kann aber auch Signal se<strong>in</strong>, dass das 200 verabschiedete<br />
Integrierte Stadtentwicklungskonzept (ISEK) von<br />
Hof mit Fotos illustriert wird, die vornehmlich im W<strong>in</strong>ter aufgenommen<br />
wurden. Ob die Fabrikvorstadt, ob Münsterviertel,<br />
Otterberg oder das Zentrum: wenn es nach den Bildern geht<br />
– e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige Idylle, selbst die Industriebauten. Was früher das<br />
bayerische Manchester genannt wurde, was ehedem die Stadt<br />
der Sp<strong>in</strong>deln war, liegt nun <strong>in</strong> w<strong>in</strong>terlich-tiefem Schlaf. Als ob es<br />
noch e<strong>in</strong>e Bestätigung für den Spitznamen „Bayerisch Sibirien“<br />
gebraucht hätte, wie manche den Landstrich um Hof neckisch<br />
nennen. Wie anders die Prospekte, mit denen Hochfranken auf<br />
sich aufmerksam macht. In e<strong>in</strong>er von Stadt und Landkreis Hof<br />
sowie vom Landkreis Wunsiedel im Fichtelgebirge im Jahre<br />
200 herausgegebenen Broschüre heißt es: „E<strong>in</strong> unbestrittener<br />
Höhepunkt <strong>in</strong> Hochfranken ist der Reichtum und die Vielfalt von<br />
Landschaft und Natur. Tiefe Täler im Naturpark Frankenwald<br />
und liebliche Höhen im Naturpark Fichtelgebirge s<strong>in</strong>d der Rahmen<br />
für unzählige Flusslandschaften, Seen und Wälder von<br />
immer wieder überraschender Gestalt.“ Bebildert wird diese<br />
Aussage mit wunderbaren Fotos, die blühende Wiesen, sattgrüne<br />
Wälder, markante Felsformationen und verträumte Seen<br />
zeigen. Hochfranken wird als e<strong>in</strong> Landstrich präsentiert, <strong>in</strong> dem<br />
es sich angenehm, ausgezeichnet, ja herrlich leben lässt.<br />
Jener Zustand zwischen „Bayerisch Sibirien“ und blühendem<br />
Landstrich ist typisch für Hochfranken, e<strong>in</strong> Kunstname, den sich<br />
die beiden Landkreise Hof und Wunsiedel sowie die Stadt Hof<br />
seit e<strong>in</strong>iger Zeit geben. Denn, betrachtet man schlicht die Zahlen<br />
– ob Wirtschaftskraft oder Bevölkerungsverlust –, so ist der<br />
Nordosten <strong>Oberfranken</strong>s die Problemregion des Regierungsbezirks.<br />
Andererseits s<strong>in</strong>d vielfältige Tendenzen und Initiativen zu<br />
beobachten, die – sei’s die Wirtschaft, sei’s die <strong>Architektur</strong>, sei’s<br />
der Stadtumbau West – es <strong>in</strong>sgesamt rechtfertigen, von e<strong>in</strong>em<br />
Aufwärtstrend zu sprechen. Die Depression, die etwa Ende der<br />
1990er Jahre e<strong>in</strong>setzte und die ganze Region ergriff, ist überwunden.<br />
Obwohl noch viel zu tun bleibt.<br />
Der Industriestandort Hochfranken hat e<strong>in</strong>e Menge Tradition.<br />
Handwerkliche Textilproduktion im großen Stil gab es <strong>in</strong> Hof<br />
und se<strong>in</strong>em Umland bereits im Spätmittelalter. Die Industrialisierung<br />
der Textilproduktion bedeutete für die Stadt e<strong>in</strong>en ungeheuren<br />
Aufschwung. Hof verfünffachte se<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>wohnerzahl,<br />
gerade <strong>in</strong> der Gründerzeit expandierte die Stadt – der backste<strong>in</strong>erne<br />
Geschosswohnungsbau ist heute charakteristisch für<br />
Hof. Dom<strong>in</strong>iert wurden Wohnblöcke von – heute verschwundenen<br />
- Schloten und Kam<strong>in</strong>en der Textilfabriken, welche die<br />
Saale und ihre Zuflüsse als Abwasserkanäle benutzten. Im<br />
Verbund mit dem südsächsischen Raum entstand <strong>in</strong> der Weimarer<br />
Republik der größte textile Industriebezirk des deutschen<br />
Reiches. Die Hofer Unternehmen konzentrierten sich dabei auf<br />
die Herstellung von Garnen und Zwirnen, also auf die Grundstufen<br />
der textilen Kette. Mit der deutschen Teilung wurden diese<br />
Industrien nicht nur an den geografischen Rand gedrängt, sondern<br />
verloren darüber h<strong>in</strong>aus ihre traditionellen Rohstoff- und<br />
Absatzmärkte.<br />
Auch viele von den „Porzell<strong>in</strong>ern“ <strong>in</strong> Selb, Arzberg und der<br />
nördlichen Oberpfalz waren ursprünglich Lohnweber. Mit der<br />
Erf<strong>in</strong>dung der <strong>in</strong>dustriellen Serienfertigung von Porzellan<br />
entstand e<strong>in</strong>e Konzentration von e<strong>in</strong>schlägigen Betrieben und<br />
Unternehmen, die bis <strong>in</strong> die 19 0er Jahre immer weiter expandierten.<br />
Neben den weltbekannten Unternehmen und Marken<br />
wie Rosenthal, Hutschenreuther oder Arzberg-Porzellan<br />
siedelten sich im Landkreis Wunsiedel und den benachbarten<br />
Landkreisen der Oberpfalz Spezialgewerbe wie Buntdrucker<br />
und Porzellanmaler bis zu spezialisierten Masch<strong>in</strong>enbauern<br />
und Gemengelieferanten an. 19 waren alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> Selb über<br />
.000 Menschen <strong>in</strong> der Porzellan<strong>in</strong>dustrie beschäftigt. Philipp<br />
Rosenthal lud Künstler und Designer nach Selb, um avantgardistische<br />
Porzellanserien zu kreieren. Selbst die Fabriken baute<br />
man mit architektonischem Anspruch. Otto Piene schuf am<br />
Hauptverwaltungsgebäude des Unternehmens e<strong>in</strong> Riesenbild<br />
mit 19 Meter Breite und bis zu 18 Meter Höhe – damals die<br />
größte künstlerisch gestaltete Fassadenmalerei Deutschlands.<br />
Die Spiegelfassade des Erweiterungsbaus entstand nach e<strong>in</strong>em<br />
Entwurf Marcello Morand<strong>in</strong>is, wobei zu e<strong>in</strong>em der ersten Male<br />
<strong>in</strong> Deutschland das Structural-Glaz<strong>in</strong>g-Pr<strong>in</strong>zip verwendet wurde.<br />
Die alte Porzellanfabrik Rosenthal unterzog Friedensreich<br />
Hundertwasser e<strong>in</strong>er ökologischen Behübschung – übrigens<br />
e<strong>in</strong>er der ersten Aufträge, die der Künstler als Architekt erhielt.<br />
Im umgebauten „Rosenthal Theater Selb“ schuf Günther Uecker<br />
e<strong>in</strong>en kubistischen Zuschauerraum. Der Höhepunkt dieser<br />
Phase war die Beauftragung von Walter Gropius. Der Bauhaus-<br />
Gründer konnte <strong>in</strong> Rotbühl se<strong>in</strong>e Vision e<strong>in</strong>er totalen <strong>Architektur</strong><br />
verwirklichen und e<strong>in</strong>e vorbildliche Fabrik am Standort Selb<br />
bauen. Zudem erarbeitete Gropius e<strong>in</strong>en Stadtentwicklungsplan<br />
für Selb mit der Zielvorgabe 30.000 E<strong>in</strong>wohner im Jahr 2000.<br />
Auch wenn diese Zeit heute als „goldene Jahre“ verklärt wird,<br />
war Hochfranken durch die deutsche Teilung massiv betroffen.<br />
Von der Überw<strong>in</strong>dung der deutschen Teilung war die Region<br />
ebenso stark betroffen. Gerade Hof, traditioneller Grenzort am<br />
Vierländereck Bayern, Thür<strong>in</strong>gen, Sachsen und Böhmen, verlor<br />
genau diese Funktion. Alle<strong>in</strong> bei Bahn, Post und Zoll wurden<br />
2.000 Arbeitsplätze abgebaut. Nach der Grenzöffnung brauchte<br />
man sie nicht mehr. Der kurzzeitige Boom nach der Öffnung<br />
des Eisernen Vorhangs war schnell vorbei. Man war die Fesseln<br />
los, doch die Euphorie täuschte über vieles h<strong>in</strong>weg – etwa über<br />
die sich abzeichnende Krise der Textil- und Porzellan<strong>in</strong>dustrie,<br />
die die Stadt, die Region dann mit voller Wucht e<strong>in</strong>holte. Alle<strong>in</strong><br />
zwischen 199 und 200 g<strong>in</strong>g die Zahl der oberfränkischen<br />
Textilbetriebe um gut e<strong>in</strong> Drittel, die der Bekleidungsbetriebe<br />
fast um zwei Drittel zurück. Ähnlich sieht es mit den Beschäftigtenzahlen<br />
aus: Im gleichen Zeitraum wurden <strong>in</strong> der Textil<strong>in</strong>dustrie<br />
3 ,1 Prozent, <strong>in</strong> der Bekleidungs<strong>in</strong>dustrie 1, Prozent<br />
aller Arbeitsplätze abgebaut. Der Umsatz allerd<strong>in</strong>gs sank nur<br />
um 11, bzw. 3 , Prozent. Mit Rationalisierungen versuchten<br />
die Unternehmen die im <strong>in</strong>ternationalen Vergleich zu hohen<br />
Arbeitskosten abzufangen, die Produktion <strong>in</strong>des wurde kapital<strong>in</strong>tensiver.<br />
In <strong>Oberfranken</strong> allerd<strong>in</strong>gs konnte die Textilbranche<br />
den Strukturwandel besser verkraften als <strong>in</strong> anderen Regionen<br />
Deutschlands. Die Zahlen der Porzellan<strong>in</strong>dustrie s<strong>in</strong>d ähnlich<br />
dramatisch. Zwischen 199 und 200 g<strong>in</strong>g die Zahl der Betriebe<br />
knapp um die Hälfte zurück, die der Beschäftigten um 0 Prozent<br />
und die Produktion um 2 Prozent. Die Porzellan<strong>in</strong>dustrie<br />
hatte zusätzlich zur geänderten Wettbewerbssituation auch<br />
mit Preise<strong>in</strong>brüchen von über 30 Prozent und geänderten Verbrauchergewohnheiten<br />
zu kämpfen. Technisierung, Rationalisierung,<br />
Firmenübernahmen durch ausländische Investoren<br />
und e<strong>in</strong>e Produktionsverlagerung <strong>in</strong>s arbeitskostengünstigere<br />
Osteuropa trafen die oberfränkischen Porzellanstandorte mit<br />
voller Wucht. Heute arbeiten <strong>in</strong> Selb bei 1 . 00 E<strong>in</strong>wohnern nur<br />
noch rund 00 Personen <strong>in</strong> der Porzellan<strong>in</strong>dustrie.<br />
Baukultur geht jeden an: die erfolgreiche Postkartenaktion der<br />
nitiative Hof-Architekten.<br />
Freilich, es s<strong>in</strong>d gerade diese Branchen, von denen Hoffnungsschimmer<br />
ausgehen. Die Cluster<strong>in</strong>itiativen im Bereich Textil/<br />
Bekleidung sowie Porzellan/Keramik versuchen die traditionelle<br />
Konzentration von Unternehmen, Know-how und Ausbildungsstätten<br />
<strong>in</strong> zukunftsfähige Strukturen zu verwandeln.<br />
Besondere Hoffnung liegt dabei auf den Wachstumsmärkten<br />
der technischen Textilien und der technischen Keramik, die<br />
<strong>in</strong> der Mediz<strong>in</strong>-, Luft-, Raumfahrt- und Automobiltechnik zum<br />
E<strong>in</strong>satz kommen. Die noch junge, aber schon erfolgreiche Hochschule<br />
Hof spielt bei dieser Initiative zusammen mit anderen<br />
Forschungse<strong>in</strong>richtungen wie KeKuTex, FORKERAM, Johann-<br />
Friedrich-Böttger-Institut, BioCer Entwicklungs-GmbH, dem<br />
Kompetenzzentrum Neue Materialien und dem Bayreuther<br />
Zentrum für Kolloide und Grenzflächen oder Netzwerken wie<br />
OfraTex oder dem Kunststoffnetzwerk Franken e<strong>in</strong>e besondere<br />
Rolle. Diese Initiativen s<strong>in</strong>d allerd<strong>in</strong>gs auf mittlere Dauer angelegt.<br />
Von der sich erholenden Wirtschaft der vergangenen Jahre<br />
11 11<br />
hat jedenfalls auch Hochfranken profitiert. Die Arbeitslosenquote<br />
sank im Arbeitsagenturbezirk Hof, der Hochfranken entspricht,<br />
im August 2008 auf ,3 Prozent. Das war zwar 1,3 Prozent<br />
höher als die Arbeitslosenquote von <strong>Oberfranken</strong> und 2,<br />
Prozent höher als die <strong>in</strong> Bayern, aber immer noch 1,3 Prozent<br />
ger<strong>in</strong>ger als die bundesdeutsche Arbeitslosenquote. Auch die<br />
sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten, die Umsätze der<br />
Unternehmen und das Brutto<strong>in</strong>landsprodukt nahmen zu – bei<br />
freilich abnehmender Bevölkerung. Große Hoffnungen setzt<br />
man seitens der oberfränkischen Wirtschaft auf den geplanten<br />
Gewerbe- und Freizeitpark im tschechischen Aš, unmittelbar an<br />
der Stadtgrenze von Selb.<br />
Der demografische Wandel wird schon bald zum Hauptproblem<br />
Hochfrankens. Integrierte Stadtentwicklungs- und Stadtumbaukonzepte<br />
trifft man <strong>in</strong> diesem Raum an allen Ecken und Enden.<br />
In Hof etwa sieht das ISEK vor, städtebauliche Defizite der Vergangenheit<br />
zu beseitigen – die Saaleauen beispielsweise, nachdem<br />
sich die Stadt Jahrhunderte lang vom Fluss abgewendet<br />
hatte, endlich als Erholungs- und Erlebnisraum <strong>in</strong> das Stadtleben<br />
mit e<strong>in</strong>zubeziehen. Das nach den Plänen des Stuttgarter<br />
Büros Bez + Kock entstandene „Studentenwohnen am Saalepark“<br />
oder das neue Projekt „Zentral an der Saal’“, e<strong>in</strong> Wettbewerbsgew<strong>in</strong>n<br />
des Kulmbacher Büros H2M-Architekten, s<strong>in</strong>d<br />
dazu höchst <strong>in</strong>teressante Ansätze. Generell achtet die Stadtverwaltung<br />
Hof <strong>in</strong> jüngster Zeit vermehrt auf architektonische<br />
Qualität – wie etwa der im Juli 2008 entschiedene Wettbewerb<br />
um die Generalsanierung und Erweiterung der Freiheitshalle<br />
beweist. Viel ist noch zu tun. Die Qualitäten der gründerzeitlichen<br />
Wohnquartiere sollten erhalten und weiter ausgebaut,<br />
der Pflasterbelag von der Altstadt <strong>in</strong> die Ludwigstraße weitergeführt<br />
und e<strong>in</strong>e Perlenschnur an Plätzen von der Innenstadt<br />
über den Bahnhof bis zum Theresienste<strong>in</strong> – 2003 zu Deutschlands<br />
schönstem Park gekürt – e<strong>in</strong>gerichtet werden. All das<br />
s<strong>in</strong>d eher schlichte Maßnahmen, die den Anpassungsprozess,<br />
den Hof ohneh<strong>in</strong> vollzieht, städtebaulich und architektonisch<br />
unterstützen könnten.<br />
Historische Identität und deren Fortschreibung: E<strong>in</strong>e weitere<br />
Maßnahme, die architektonische Qualität der Städte zu steigern,<br />
s<strong>in</strong>d die Gestaltungsfibeln, die etwa für Wunsiedel, Arzberg und<br />
Kirchenlamitz erarbeitet wurden. Diese Fibeln bilden Basis<br />
und Rahmen für E<strong>in</strong>zelberatungen zu konkreten Sanierungsvorhaben,<br />
die von der Städtebauförderung unterstützt werden.<br />
Ob Fassaden, Dächer, Fenster und Türen, Vorgärten, Innenhöfe<br />
oder E<strong>in</strong>friedungen: Mit Positiv- und Negativbeispielen werden<br />
wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Handbuch ortstypische Materialien, Farben, Konstruktionen<br />
und Gestaltungen vorgestellt und den möglichen<br />
Bauherren e<strong>in</strong>e ganze Reihe von praktischen Empfehlungen zur<br />
Hand gegeben, welche die lokale Bautradition aufnehmen und<br />
weiterentwickeln. Die Gestaltungsfibeln selbst s<strong>in</strong>d wie etwa<br />
<strong>in</strong> Arzberg <strong>in</strong> die Integrierten Stadtentwicklungskonzepte e<strong>in</strong>gebunden.<br />
Insgesamt haben die hochfränkischen Städte damit<br />
e<strong>in</strong>en Planungs- und Gestaltungsrahmen, der, so er konsequent<br />
befolgt wird, ihre Lebensqualität erhöhen wird.
43<br />
stadttheater<br />
Hof<br />
Stolz ist man <strong>in</strong> Hof auf „se<strong>in</strong>“ Stadttheater. Auf die drei Sparten,<br />
auf Schauspieler, Sänger und Tänzer, natürlich auch auf die Hofer<br />
Symphoniker, auf zahlreiche geglückte Premieren und nicht<br />
zuletzt auch auf die <strong>Architektur</strong>. Und das mit Recht. Zusammen<br />
mit der Freiheitshalle vis-à-vis def<strong>in</strong>iert das ebenso bee<strong>in</strong>druckende<br />
wie ausladende Theatergebäude die kulturelle Mitte der<br />
Stadt neu. Es setzt e<strong>in</strong>e Zäsur zum Gewerbegebiet an der Fröbelstraße<br />
und schafft mit der „Theaterwiese“, zu der sich das<br />
transparente Foyer öffnet, e<strong>in</strong> erhabenes Pendant zu dem auf<br />
der anderen Seite der Kulmbacher Straße gelegenen Volksfestplatz.<br />
Das Gebäude selbst führt die klassischen Vorstellungen<br />
des Theaterbaus fort, <strong>in</strong>dem sich der viertelkreisförmige Zuschauerraum<br />
als eigenes Volumen an der Fassade abzeichnet.<br />
Weil sich andererseits ke<strong>in</strong> vere<strong>in</strong>heitlichendes Gehäuse über<br />
die anderen Funktionsräume – vom Malersaal bis zur Maske<br />
– stülpt, sondern diese als 1 Meter breiter Riegel artikulieren,<br />
verkörpert der Neubau auch e<strong>in</strong>en Traditionsbruch. Das Theater<br />
als beispiellos komplexer, auf fehlerfreie Funktionsabläufe und<br />
entsprechend perfekte Raumanordnungen angewiesener Betrieb<br />
wird <strong>in</strong> Hof mit Aplomb erfahrbar.<br />
Das Herz, den Kern des Theaters bildet die Bühne, was sich<br />
durch deren bis <strong>in</strong> 28 Meter Höhe aufragenden, außen metallisch-schimmernden<br />
Turm deutlich ablesen lässt. Die Werkstätten<br />
– Tischlerei, Schlosserei, die Montagehalle und diverse<br />
Magaz<strong>in</strong>e – s<strong>in</strong>d auf gleicher Ebene, aber schallentkoppelt zur<br />
Bühne angeordnet. Die Materialien – geschlämmte Kalksandste<strong>in</strong>mauern,<br />
Betonfertigteile, L<strong>in</strong>oleum, Industrieparkett,<br />
Wellblech –, die Scheddächer und die Überputz-Installationen<br />
unterstreichen den Produktionscharakter dieser Räume und<br />
vermitteln zum angrenzenden Gewerbegebiet. E<strong>in</strong>en herben<br />
Grundton, freilich sehr abgemildert, weisen auch die Räume im<br />
teilweise aufgeständerten Künstlerflügel des Riegels auf. Dessen<br />
großformatige Fenster bieten immer wieder fasz<strong>in</strong>ierende<br />
Ausblicke über die Stadt, wobei e<strong>in</strong>e dreigeschossige, reich<br />
bepflanzte Glashalle den Höhepunkt darstellt. Dem Publikum<br />
dagegen wird e<strong>in</strong> dreigeschossiges, transparentes Foyer geboten,<br />
das mit se<strong>in</strong>en filigranen Galerien, Stegen und Treppen<br />
auch den Zuschauern zahlreiche Auftrittsmöglichkeiten bietet.<br />
Das Theater – übrigens Ergebnis e<strong>in</strong>es Architektenwettbewerbs<br />
– greift den rauen Charakter der Arbeiter- und Bürgerstadt<br />
Hof auf und sublimiert ihn zu e<strong>in</strong>em grandiosen Gebäude, das<br />
zu Recht mit dem Deutschen <strong>Architektur</strong>preis ausgezeichnet<br />
wurde.<br />
Theater Hof<br />
9 030 Hof, Kulmbacher Straße<br />
Fertigstellung: 199<br />
Auer + Weber mit Thomas Bittcher-Zeitz, München<br />
Auszeichnung:<br />
Deutscher <strong>Architektur</strong>preis 199 , Auszeichnung<br />
Literatur:<br />
Wolfgang Bachmann: Theater <strong>in</strong> Hof, Baumeister 3/199 .<br />
Theater Hof – Stadt Hof (Hg.): Theater Hof – Geschichte und Gegenwart.<br />
Hof 199 .<br />
12
44<br />
Zeh-scherzer – umbau der porzellanfabrik<br />
Rehau<br />
Weiße Oberflächen, P<strong>in</strong>nwände aus dickem Wollfilz, e<strong>in</strong> Boden<br />
aus samtig-edlen, überbreiten Eichendielen, e<strong>in</strong>e Grünwand<br />
statt vere<strong>in</strong>zelt-vertrockneter Gummibäume und dazwischen<br />
Betonstützen. „Darf es im Büro aussehen wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Sushibar?“<br />
Diese rhetorische Frage stellte der Journalist André<br />
Ohren an den Anfang se<strong>in</strong>er Überlegungen zum neuen Sitz des<br />
Geschäftsfelds „Automotive“ der Rehau AG+Co. Auch wer der<br />
japanischen Küche eher fern, e<strong>in</strong>heimischen Genüssen <strong>in</strong>des<br />
nahesteht, kann sich <strong>in</strong> der eigenartigen Atmosphäre dieser<br />
Büroräume komplett wohlfühlen. Eigenartig nicht im S<strong>in</strong>ne von<br />
seltsam oder befremdend, sondern von neu, bis dato unbekannt<br />
und vor allem auf den Ort, auf das Unternehmen, auf das Umfeld<br />
zugeschnitten. Und die Atmosphäre ist natürlich die e<strong>in</strong>er<br />
Arbeitsumgebung. Freilich, ke<strong>in</strong>e 08/1 -Standard-Simpel-Billigbüroe<strong>in</strong>richtung,<br />
sondern e<strong>in</strong>e Umgebung, die zeigt, wie sehr<br />
der Arbeitgeber die Arbeitnehmer schätzt.<br />
Dass der Polymerverarbeiter Rehau nicht e<strong>in</strong> schönes, neues<br />
Bürogebäude weit draußen auf der Grünen Wiese, sondern e<strong>in</strong><br />
Gebäudekonglomerat e<strong>in</strong>es die Geschichte der gleichnamigen<br />
Stadt prägenden, gleichwohl untergegangenen Porzellanherstellers<br />
zum neuen Sitz e<strong>in</strong>es zuvor weit verstreuten Geschäftsfeldes<br />
erkor, spricht für sich. Nicht der e<strong>in</strong>dimensional, sondern<br />
der komplex denkende Mitarbeiter, der <strong>in</strong> der Lage ist, vielfältige<br />
Anregungen und E<strong>in</strong>drücke zu ver- und etwas Neues zu<br />
erarbeiten, sichert den Unternehmenserfolg. Und dafür bieten<br />
die ebenso kommunikativen wie s<strong>in</strong>nlichen Büroräume e<strong>in</strong>e<br />
kongeniale Umgebung.<br />
E<strong>in</strong> Beispiel: Die besagten Betonstützen des Tragwerks bewahren<br />
die Er<strong>in</strong>nerung an die e<strong>in</strong>stige Fabrik und kontrastieren<br />
mit ihrer sandgestrahlten rau-rohen Oberfläche vorzüglich mit<br />
den weiß-glänzenden, perfekt e<strong>in</strong>gepassten E<strong>in</strong>bauten. Wobei<br />
letztere mit dem Kunststoff „Rausolid“ verkleidet wurden, der<br />
e<strong>in</strong>e lasiertem Porzellan vergleichbare Oberflächenstruktur<br />
aufweist. Die E<strong>in</strong>bauten s<strong>in</strong>d als raumbildende Elemente e<strong>in</strong>gesetzt,<br />
sodass sie als Regal, Schrank, Tisch, bisweilen auch<br />
als Ausstellungskab<strong>in</strong>ett dienen, sich stets aber <strong>in</strong> den Gesamte<strong>in</strong>druck<br />
e<strong>in</strong>er großzügigen Fabrikhalle mit teilweise offenem<br />
Dachstuhl e<strong>in</strong>fügen. Darüber h<strong>in</strong>aus wurden die Mitarbeiter<br />
nach ihren <strong>in</strong>dividuellen Bedürfnissen befragt. Dieser architektonische<br />
Maßanzug, der sich bis dato nach außen nicht abbildet,<br />
ist auf große Resonanz bei Mitarbeitern und Geschäftsleitung<br />
gestoßen. So große Resonanz, dass die Architekten <strong>in</strong>zwischen<br />
e<strong>in</strong>e Corporate Architecture entwickelten.<br />
rehauwork – Umbau der Porzellanfabrik Zeh-Scherzer<br />
9 111 Rehau, Zehstraße<br />
Fertigstellung: 200<br />
Weber + Würsch<strong>in</strong>ger Architekten, Berl<strong>in</strong>/Weiden<br />
Veröffentlichungen:<br />
Christoph Gunser: Polymer statt Porzellan: Fabrik wird zu Büro <strong>in</strong> Rehau,<br />
<strong>in</strong>: db, 10/200 , S. 3– .<br />
Weiße Wände – Neue Büroräume für e<strong>in</strong>en Kunststoffhersteller,<br />
<strong>in</strong>: Bauwelt, 10/200 , S. 18–19.<br />
128
49<br />
Arche Ahoi<br />
Marktredwitz<br />
Über e<strong>in</strong>e halbe Million Besucher konnte die länderübergreifende<br />
Landesgartenschau Marktredwitz-Cheb 200 alle<strong>in</strong> auf dem<br />
1 Hektar großen Gelände im Süden von Marktredwitz empfangen.<br />
Zwischen all den Blumenrabatten und Beeten, den Ausstellungshallen,<br />
Buden und gastronomischen E<strong>in</strong>richtungen bot<br />
e<strong>in</strong> etwas abgelegener ökumenischer Andachtsraum e<strong>in</strong>en Ort<br />
der Stille und des Rückzugs. Für das geme<strong>in</strong>same „Arche Ahoi“<br />
genannte Projekt von Marktredwitzer evangelischen und katholischen<br />
Kirchengeme<strong>in</strong>den entwarf der ortsansässige Architekt<br />
Thomas Sticht e<strong>in</strong> Bauwerk, das er sche<strong>in</strong>bar der biblischen<br />
Schöpfungsgeschichte entnommen hat. Schlichte, mittlerweile<br />
ergraute Bretter deuten e<strong>in</strong>e schräge Schiffsbordwand, den<br />
Bug und das Heck e<strong>in</strong>es Bootskörpers an. Darauf erhebt sich<br />
e<strong>in</strong> ebenso schlichtes Haus aus Holzlamellen, das man auch als<br />
Allusion auf die bereits vom römischen <strong>Architektur</strong>theoretiker<br />
Vitruv beschriebene Urhütte deuten kann.<br />
Überraschung, Verblüffung, Erfurcht auslösend zeigt sich dann<br />
das Innere: Noch angerührt von dieser sich so anspruchslos gebenden,<br />
ja fast banalen Hülle, tritt der Besucher durch e<strong>in</strong> bescheidenes<br />
Holztor, worauf sich e<strong>in</strong> zwar kle<strong>in</strong>er, aber überwältigender<br />
Raum auftut, der ihm fast den Atem raubt. Gleichsam<br />
aus dem Nichts zeichnet e<strong>in</strong> raumbildendes Stabtragwerk e<strong>in</strong><br />
nahezu kathedralenartiges Gewölbe nach. Als ob die Streben<br />
tanzen würden, bilden im Rhythmus durchgesteckte Hölzer e<strong>in</strong>e<br />
stützenfreie Konstruktion, die e<strong>in</strong>er gotischen Kirche ähnelt.<br />
Vom Schock erholt, richtet der Besucher den Blick unwillkürlich<br />
nach vorne, auf das von oben belichtete, schlichte Holzkreuz,<br />
das ansche<strong>in</strong>end <strong>in</strong> die Wand <strong>in</strong>tegriert ist, und fühlt sich, obwohl<br />
Altar und Ambo fehlen, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em sakralen Raum. (Tatsächlich<br />
ist das Querholz des Kreuzes e<strong>in</strong> konstruktiv notwendiger<br />
Balken, die vertikale L<strong>in</strong>ie bilden zusätzliche Streben.) Die je<br />
nach Blickw<strong>in</strong>kel mal geschlossenen, mal semitransparenten<br />
Lamellenwände bieten mal die Geborgenheit e<strong>in</strong>er Höhle, mal<br />
den Ausblick auf das Schaugelände. Auf der Landesgartenschau<br />
war die Arche äußerst erfolgreich, auch im Jahre 2008 f<strong>in</strong>den<br />
immer sonntags Andachten statt.<br />
Arche Ahoi<br />
9 1 Marktredwitz, Gelände der grenzenlosen Gartenschau<br />
Fertigstellung: 200<br />
<strong>Architektur</strong>büro Sticht, Marktredwitz<br />
138
Bayreuth Bayreuth<br />
e<strong>in</strong>e region leuchtet<br />
lichtdesign <strong>in</strong> oberfranken<br />
Hollfeld Weidenberg<br />
Lebendige und lebenswerte Städte und Geme<strong>in</strong>den <strong>in</strong> <strong>Oberfranken</strong><br />
– das ist das Ziel der Städtebauförderungspolitik der<br />
Regierung von <strong>Oberfranken</strong> und vieler weiterer oberfränkischer<br />
Initiativen. E<strong>in</strong>e wichtige Voraussetzung für lebendige Städte<br />
ist e<strong>in</strong> attraktiver öffentlicher Raum, der die Menschen zum<br />
Aufenthalt, zum Verweilen und zum Kommunizieren e<strong>in</strong>lädt.<br />
Stadtgrün, Parks und schön gestaltete Plätze s<strong>in</strong>d Instrumente<br />
dazu. E<strong>in</strong> weiteres Mittel dazu ist Licht. Licht ist nicht nur Beleuchtung,<br />
sondern kann die Qualitäten der Stadt thematisieren<br />
und <strong>in</strong>szenieren. Erst durch Licht können öffentliche Räume<br />
und Zusammenhänge wahrgenommen werden. Erst durch Licht<br />
können Kle<strong>in</strong>ode der Stadt aus dem Unsichtbaren <strong>in</strong>s Blickfeld<br />
gerückt werden. Sensibel abgestimmtes Licht zaubert unverwechselbare<br />
Atmosphären, bereichert durch neue Perspektiven,<br />
schafft Treffpunkte für Bewohner und Besucher. Deswegen<br />
steht die Lichtgestaltung <strong>in</strong> <strong>Oberfranken</strong> ganz oben. Dauerhafte<br />
Licht<strong>in</strong>stallationen auf der Grundlage von Lichtmasterplänen<br />
werden im Rahmen der Städtebauförderung durch die Regierung<br />
von <strong>Oberfranken</strong> mit f<strong>in</strong>anziert, wie zum Beispiel <strong>in</strong> Hollfeld.<br />
Angefangen hatten alle Bemühungen, das Thema Lichtgestaltung<br />
<strong>in</strong> die oberfränkischen Städte zu br<strong>in</strong>gen, an der Designfakultät<br />
der Hochschule Coburg. Am Lehrstuhl von Professor Uwe<br />
Belzner experimentierten die Studierenden mit Lichtgestaltung<br />
<strong>in</strong> unterschiedlichen Projekten, bald leuchtete zu den Coburger<br />
Marktredwitz Marktredwitz<br />
Designtagen das Hofbräuhaus, der Sitz der Designfakultät, <strong>in</strong><br />
verschiedenen Farben. Das Themenfeld eröffnet der Hochschule<br />
die Chance der bundesweiten Profilierung und damit<br />
der Erarbeitung e<strong>in</strong>es Alle<strong>in</strong>stellungsmerkmals. Zur Intensivierung<br />
der bisherigen Bemühungen und zur Akzentuierung<br />
des Lichtdesigns <strong>in</strong> <strong>Oberfranken</strong> war es notwendig, praktische<br />
Projektumsetzungen zu platzieren und zu realisieren. Die Hochschule<br />
arbeitet daher seit Ende 200 mit <strong>Oberfranken</strong> Offensiv<br />
und dem Coburger Designforum <strong>Oberfranken</strong> zusammen, um<br />
das Thema Licht auch als Instrument für das Standort- und<br />
Regionalmarket<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>zusetzen. Mit f<strong>in</strong>anzieller Unterstützung<br />
der <strong>Oberfranken</strong>stiftung wurden <strong>in</strong> Workshops für ausgewählte<br />
Orte und Szenarien Lichtpläne erarbeitet und beispielhaft umgesetzt.<br />
Ob Bayreuth, Marktredwitz, Kronach, Hollfeld, Tettau, Bamberg,<br />
Wunsiedel, Weidenberg oder Kulmbach – und natürlich<br />
Coburg: In all diesen Städten wurden bereits Lichtveranstaltungen<br />
organisiert. Die Landesgartenschau <strong>in</strong> Marktredwitz<br />
war im Juli 200 beispielsweise die e<strong>in</strong>drucksvolle Kulisse für<br />
die effektvolle Inszenierung von Natur durch gestalterische<br />
Lichtelemente. Überdimensionale künstliche Seerosen, die<br />
<strong>in</strong> verschiedenen Farben leuchten, e<strong>in</strong>e Lichterwiese und die<br />
Projektion e<strong>in</strong>es Baumes an die Wand e<strong>in</strong>es Industriedenkmals<br />
waren nur wenige der buchstäblichen Highlights, die es<br />
zu bestaunen gab. „Kunst, Kitsch, Licht und Party“ lautete das<br />
Weidenberg Weidenberg<br />
Motto der „Bunten Nacht <strong>in</strong> Tettau“ im Juli 200 . Neben der Beleuchtung<br />
der Straßen gab es e<strong>in</strong>e große Partymeile mit Kunst<br />
und Musik. Mit dem bis zu diesem Zeitpunkt größten Zeit- und<br />
Materialaufwand wurde Weidenberg, Landkreis Bayreuth, im<br />
Juni 2008 beg<strong>in</strong>nend an der Ste<strong>in</strong>ach über die 120 Stufen der<br />
Schiedtreppe bis zum Oberen Markt mit e<strong>in</strong>er bee<strong>in</strong>druckenden<br />
Licht<strong>in</strong>stallation <strong>in</strong> Szene gesetzt. Die St. Michaelis-Kirche<br />
mit ihrem, dank LED-Technik und Filtern, <strong>in</strong> geheimnisvollem<br />
Farbwechsel erstrahlenden Turm wurde zum Wahrzeichen der<br />
Marktgeme<strong>in</strong>de. Die warm angestrahlte Weide an der Ste<strong>in</strong>ach<br />
lud Besucher zum Verweilen e<strong>in</strong> und die Brücke spiegelte ihr<br />
warmes Rot rätselhaft im Wasser.<br />
Diese Aktionen fanden große Resonanz bei E<strong>in</strong>wohnern wie<br />
Touristen. Auch die Fest<strong>in</strong>stallationen. Der Coburger Marktplatz<br />
wird nun seit e<strong>in</strong>iger Zeit permanent illum<strong>in</strong>iert. Ebenso<br />
seit 200 der „Blaue Turm“ <strong>in</strong> Hollfeld. Die Fassade des Gebäudes<br />
wurde vom Künstler Thomas Brix gestaltet, die Hochschule<br />
Coburg übernahm die Illum<strong>in</strong>ierung. Weil nun Bürger<br />
sowie politische Entscheidungsträger für das Thema Licht im<br />
öffentlichen Raum sensibilisiert s<strong>in</strong>d, sollen weitere dauerhafte<br />
Licht<strong>in</strong>stallationen folgen. Projekte für Fest<strong>in</strong>stallationen auf<br />
der Grundlage von professionellen Lichtmasterplänen und der<br />
Unterstützung durch die Privatwirtschaft werden <strong>in</strong> Zukunft die<br />
Städte <strong>Oberfranken</strong>s noch attraktiver machen.
heiMAt Als Versuch und Versuchung<br />
über die notwendigkeit e<strong>in</strong>es modernen<br />
regionalismus <strong>in</strong> der <strong>Architektur</strong><br />
Üblicherweise beg<strong>in</strong>nt e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>lassung zum Thema Heimat und<br />
<strong>Architektur</strong> mit e<strong>in</strong>em Zitat aus dem „Pr<strong>in</strong>zip Hoffnung“ von Ernst<br />
Bloch. Diese nicht. Denn Blochs Heimatbegriff ist utopisch, also<br />
ortlos. <strong>Architektur</strong> demgegenüber schafft Orte, wie immer sie<br />
auch beschaffen se<strong>in</strong> mögen. Zum Zweiten hat sich das Heimatverständnis<br />
weiterentwickelt, moderne Heimatforscher, gleich<br />
welcher diszipl<strong>in</strong>ärer Provenienz sie entstammen, gehen von<br />
e<strong>in</strong>em aktiven Heimatbegriff aus. „Heimat ist Tatort, Ort der Tat“,<br />
schreibt zum Beispiel der Pädagogikprofessor Egbert Daum, Heimat<br />
ist „soziales und politisches Handlungs- und Lernfeld für alle<br />
Alters-, Klassen- und Herkunftsschichten“. In e<strong>in</strong> ähnliches Horn,<br />
jedoch breiter orchestriert, stößt der Philosoph Peter Sloterdijk<br />
im Rückgriff auf den antiken Kollegen Cicero: „Die Heimat als Ort<br />
guten Lebens lässt sich immer weniger e<strong>in</strong>fach dort vorf<strong>in</strong>den, wo<br />
man durch den Zufall der Geburt schon ist. Sie muss, wo immer<br />
man sei, durch Lebenskünste und kluge Allianzen fortwährend<br />
neu erfunden werden.“ Als letzter dieser Gewährsmänner für e<strong>in</strong><br />
aktives Heimatverständnis sei der Architekt und langjährige Lehrstuhl<strong>in</strong>haber<br />
für ländliches Bauen an der TU München, Helmut<br />
Gebhard, zitiert: Heimat, sagte Gebhard <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Interview mit<br />
dem Bayrischen Rundfunk, ist „als Er<strong>in</strong>nerung und gleichzeitig als<br />
Auftrag für die Zukunft“ zu begreifen.<br />
Architekten und Stadtplaner, Gebhard bildet e<strong>in</strong>e der wenigen<br />
Ausnahmen, sprechen nicht gerne über Heimat. Wie viele andere<br />
Berufsgruppen auch gehen sie dem politischen Missbrauch des<br />
Begriffs aus dem Wege, der von der „Entdeckung“ der Heimat als<br />
antistädtische, das „natürliche“ Leben auf dem Lande mystifizierende<br />
Ideologie Ende des 19. Jahrhunderts über die Nationalsozialisten<br />
mit ihrem rassistischen „Blut-und-Boden“-Begriff bis<br />
<strong>in</strong> die jüngste Zeit bei rechtsextremistischen Bewegungen reicht.<br />
Auch die Heimatfilmwelle <strong>in</strong> den 19 0er Jahren oder die aktuelle<br />
Volksmusikwelle s<strong>in</strong>d eher kommerzielle Ausbeutungen von<br />
Nostalgiegefühlen. Nur e<strong>in</strong>mal, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Ausstellung des Bundes<br />
Deutscher Architekten BDA im Jahre 19 3 <strong>in</strong> Stuttgart, wurde<br />
der Begriff benutzt: „Heimat de<strong>in</strong>e Häuser“, so nannte sich diese<br />
Schau, war ke<strong>in</strong> Rückgriff auf die Historie, sondern klagte rücksichtslose<br />
Spekulationsbauten und bauliche Selbstdarstellungen<br />
der Gegenwart an, die vertraute Umgebungen überwucherten. In<br />
der Regel verwendeten Architekten <strong>in</strong> den 19 0er Jahren Begriffe<br />
wie „Identifikationsmöglichkeit“ oder auch die ähnlich vage „Identität“,<br />
Stadtplaner sprachen von „Milieu“ oder „Kiez“. Geme<strong>in</strong>sam<br />
war allen mit diesen Term<strong>in</strong>i verbundenen Vorstellungen, e<strong>in</strong>en<br />
wiedererkennbaren Lebensraum zu schaffen, den sich die Bewohner<br />
aneignen, <strong>in</strong>dem sie vertrauensvolle Beziehungen aufbauen<br />
können. Es g<strong>in</strong>g und geht also – jenseits der verwendeten Begriffe<br />
– um Beziehungen von Orten und Menschen, von Räumen und<br />
Menschen. Um „Sich-zu-Hause-fühlen“, um e<strong>in</strong>en gestaltbaren<br />
Freiraum, der gleichzeitig Geborgenheit bietet. Wichtig ist das<br />
Wechselseitige: Menschen verändern Orte und Räume, Orte und<br />
Räume verändern Menschen.<br />
Nun ist <strong>Architektur</strong>, Städtebau zumal, eher dem Statischen<br />
verpflichtet, dem Immobilen, dem Langfristigen. Und doch, e<strong>in</strong><br />
Gebäude, sei es Wohnhaus, sei es e<strong>in</strong>e Verwaltungszentrale verändert<br />
sich mit dem Tag des E<strong>in</strong>zugs der ersten Mieter. Erst mit<br />
beweglichen Möbeln, später dann mit gezielten E<strong>in</strong>griffen oder<br />
Erweiterungen der Bausubstanz. Da wird mal die Tür versetzt,<br />
dann e<strong>in</strong>e Wand herausgebrochen und im Flur ist auch Platz für<br />
e<strong>in</strong> gutes Stück. Und bei Renovierungen und Sanierungen – derzeit<br />
aktuell wegen diverser Verpflichtungen zum Energiesparen – wird<br />
schnell mal e<strong>in</strong>e Fassade durch e<strong>in</strong>e andere ersetzt, die wärmedämmender<br />
ist. Wie demgegenüber Ort und Räume Menschen<br />
prägen und verändern, ist wissenschaftlich noch nicht <strong>in</strong> Ansätzen<br />
erforscht. In den <strong>Architektur</strong>fakultäten wird das Bauen gelehrt<br />
– nicht dessen soziale, nicht dessen psychologische Wirkungen.<br />
Die Psychologen und die Soziologen beschäftigen sich mit zwischenmenschlichen<br />
Interaktionen, selbst die Stadt-, die Wohn- und<br />
die seit Kurzem wieder entdeckte Raumsoziologie liefern zu besagter<br />
Frage wenig brauchbare Antworten. Es bleibt bei diffusen<br />
und allgeme<strong>in</strong>en Klauseln wie etwa bei dem schon erwähnten<br />
Pädagogen Daum, der auf das „Alltagsleben“ verweist, das<br />
„alle Menschen körperlich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em lokalen Kontext“ verbr<strong>in</strong>gen<br />
– selbst unter globalisierten oder durch das Internet bee<strong>in</strong>flussten<br />
Lebensbed<strong>in</strong>gungen.<br />
Trotz oder gerade wegen der Globalisierung bleibt es humanes<br />
Bedürfnis, e<strong>in</strong>en Platz <strong>in</strong> der Welt zu f<strong>in</strong>den. Heimat feiert derzeit<br />
Hochkonjunktur: vom Film – „Wer früher stirbt, ist länger tot“ sei<br />
nur als Beispiel genannt – über die Dialektliteratur bis zur Speisekarte<br />
à la „Aus Großmutters Kochbuch“ <strong>in</strong> der Gastronomie.<br />
Selbst Wolf Biermann, der vor 20, 30 Jahren jede Erwähnung des<br />
Wortes Heimat der Nähe zum Faschismus verdächtigte, publizierte<br />
im Jahre 200 e<strong>in</strong>en Gedichtband mit dem Titel „Heimat“. Freilich,<br />
all diese Beispiele zeigen, dass Heimat heute nicht mehr die<br />
Heimat früherer Tage ist. Biermann beispielsweise schrieb e<strong>in</strong>en<br />
guten Teil besagter Gedichte im südfranzösischen Languedoc und<br />
Roussillon. Die „Regionale Küche“, die e<strong>in</strong>ige Sterneköche äußerst<br />
gew<strong>in</strong>nbr<strong>in</strong>gend vermarkten, kommt ohne e<strong>in</strong> paar Häppchen<br />
„Nouvelle Cuis<strong>in</strong>e“ nicht aus. Die „neuen“ Heimatfilme werden<br />
mit modernen Elementen – sei’s die Filmmusik, seien es sekundenschnelle<br />
Schnittfolgen – <strong>in</strong>szeniert. Der Erfolg des Songs „Gekommen<br />
um zu bleiben“ der Popband „Wir s<strong>in</strong>d Helden“ zeigt, dass<br />
die Versuchung der Heimat auch musikalische Genres erfasst, die<br />
geme<strong>in</strong>h<strong>in</strong> nicht des Traditionalismus verdächtigt werden. Der Titel<br />
des teilweise mit englischen Wörtern gesungenen Liedes deutet<br />
darüber h<strong>in</strong>aus mit dem nachfolgenden Vers „Wir gehen nicht<br />
mehr weg“ die labile Gleichzeitigkeit von Mobilität und Sehnsucht<br />
nach Stabilität an. Die allumfassende Mobilität von Waren und Kapital,<br />
Informationen und Menschen sche<strong>in</strong>t Ort und Raum zu e<strong>in</strong>er<br />
quantité négligeable, e<strong>in</strong>er zu vernachlässigenden Kategorie zu<br />
machen. Zu e<strong>in</strong>er re<strong>in</strong> technischen Kategorie, bei der es alle<strong>in</strong> darum<br />
geht, <strong>in</strong> welcher Zeit wie viele Kilometer überwunden werden<br />
können. Obwohl man im Wohnzimmer via Liveschaltungen, Telefon<br />
oder Internet <strong>in</strong> Sekundenschnelle mit fast allen Punkten dieser<br />
Welt verbunden se<strong>in</strong> kann, gleichzeitig aber all diese Medien diese<br />
Punkte nivellieren, wächst das Bedürfnis nach Aufenthaltsqualität,<br />
Authentizität, gewohnten Ritualen – mith<strong>in</strong> nach Vertrauen und<br />
Sicherheit versprechenden Orten und Räumen.<br />
Bloch, nun doch: „<strong>Architektur</strong> <strong>in</strong>sgesamt ist und bleibt e<strong>in</strong> Produktionsversuch<br />
menschlicher Heimat“, schrieb er im „Pr<strong>in</strong>zip<br />
Hoffnung“. Es empfiehlt sich auch hier genau zu se<strong>in</strong>: <strong>Architektur</strong>,<br />
so Bloch, ist ke<strong>in</strong>e Produktion von Heimat, sondern lediglich e<strong>in</strong><br />
Versuch. Denn Heimat zu schaffen, steht weder bei Architekten<br />
noch bei Fachplanern noch bei ihren Auftragebern an erster Stelle<br />
der möglichen Baumotive. 80 Prozent des deutschen Nettoanlagekapitals<br />
stecken <strong>in</strong> Immobilien. Anlageorientierte Immobilien<br />
sollen erstens wertstabil se<strong>in</strong> und zum Zweiten sichere (Miet-)Z<strong>in</strong>sen<br />
br<strong>in</strong>gen – zumal <strong>in</strong> Zeiten globaler F<strong>in</strong>anzkrise e<strong>in</strong>e durchaus<br />
verständliche Forderung von gewerblichen wie privaten Bauherrn.<br />
<strong>Architektur</strong> ist ke<strong>in</strong>e freie, sondern zweckgebundene Kunst. Sie<br />
hat praktischen Bedürfnissen zu folgen, was nicht heißt, dass <strong>Architektur</strong><br />
praktisch se<strong>in</strong> muss. Zeitgenössische Flächenproduktion<br />
heißt optimierte Grundrisse, heißt e<strong>in</strong> ökonomisches Verhältnis<br />
von Nutz- und Erschließungsflächen, heißt kostengünstige Konditionierung<br />
von Raumluft, heißt flexible Rastere<strong>in</strong>teilung, heißt e<strong>in</strong>e<br />
anpassungsfähige Tragstruktur. Heißt vor allem Wirtschaftlichkeit.<br />
Und wenn die Gebäudeanmutung der Vermarktung des Gebäudes<br />
oder se<strong>in</strong>es Inhalts dient, und nur dann, wird die entsprechend<br />
glamouröse Fassade, die entsprechend extravagante Form gebaut.<br />
Bei all diesen Zwecken ist <strong>Architektur</strong>, wie es der Berl<strong>in</strong>er<br />
Architekt Konrad Wohlhage ausdrückte, „Schmuggelware“ geworden.<br />
So ist auch der Versuch, Heimat zu schaffen, e<strong>in</strong> zwar nicht<br />
gesetzwidriges, aber doch verstecktes Anliegen geworden, das<br />
sich h<strong>in</strong>ter der Erfüllung aller Zwecke, Normen und Optimierungen<br />
verbirgt.<br />
Die Erfüllung der Zwecke alle<strong>in</strong> schafft ke<strong>in</strong>e Heimat. Sie schafft<br />
ke<strong>in</strong>en Ort, höchstens Unorte. Sie schafft ke<strong>in</strong>e Räume, höchstens<br />
Flächen. Erst der „ästhetische Eigenwille“, schrieb der Gründungsdirektor<br />
des Deutschen <strong>Architektur</strong>museums He<strong>in</strong>rich Klotz,<br />
schafft den Mehrwert des Humanen. Erst dieser Wille transformiert<br />
und transzendiert das Gebäude jenseits aller Zwecke zu<br />
e<strong>in</strong>em s<strong>in</strong>nlich-poetischen Erlebnis – Irrtümer nicht ausgeschlossen.<br />
Geme<strong>in</strong>t ist nicht das Immer-höher, größer, weiter e<strong>in</strong>er den<br />
olympischen Diszipl<strong>in</strong>en folgenden Investorenarchitektur. Geme<strong>in</strong>t<br />
ist nicht das Immer-schräger, spektakulärer, überdrehter<br />
des Stararchitekten(un)wesens. Geme<strong>in</strong>t ist nicht das Artifizielle,<br />
geme<strong>in</strong>t ist das Existenzielle – so Gerhard Matzig, <strong>Architektur</strong>kritiker<br />
der „Süddeutschen Zeitung“. Gefordert ist das Vermögen,<br />
sozial <strong>in</strong>telligente Räume zu schaffen, die Freiheit und gleichzeitig<br />
Sicherheit bieten.<br />
Freilich, wenn den Architekten von den Sozialwissenschaften<br />
ke<strong>in</strong>e Unterstützung bei der Beantwortung der Frage gewährt<br />
wird, wie denn solche Räume beschaffen se<strong>in</strong> sollen, hilft ihnen<br />
nur der Blick auf die eigene Geschichte. Man muss dabei gar nicht<br />
auf Vitruv, den antiken <strong>Architektur</strong>theoretiker, mit se<strong>in</strong>en drei<br />
Kard<strong>in</strong>alkategorien der Firmitas (Stabilität), Venustas (Anmut)<br />
und Utilitas (Zweckmäßigkeit) zurückgreifen. Auch nicht auf Leon<br />
Battista Alberti, den <strong>Architektur</strong>theoretiker der Renaissance, der<br />
se<strong>in</strong>en bauenden Kollegen geraten hatte, erst mal das Klima ehrfurchtsvoll<br />
zu studieren, bevor sie ans Entwerfen gehen. Es reicht<br />
auf die Geschichte der modernen <strong>Architektur</strong> zurückzugreifen, die<br />
nach gängigem Vorurteil verme<strong>in</strong>tlich unhistorisch, <strong>in</strong>dividualistisch<br />
und <strong>in</strong>ternationalistisch ist. Helmut Gebhard hat <strong>in</strong> dem e<strong>in</strong>leitend<br />
erwähnten Interview darauf h<strong>in</strong>gewiesen, dass genau jene<br />
Architekten, die 190 den Deutschen Werkbund gründeten, bereits<br />
fünf Jahre vorher den Bayerischen Landesvere<strong>in</strong> für Heimatschutz<br />
aus der Taufe hoben. „Es waren also“, so Gebhard, „die gleichen<br />
Personen, die auf der e<strong>in</strong>en Seite den Heimatbegriff verteidigten<br />
und auf der anderen Seite das alles so <strong>in</strong>terpretierten, dass man<br />
auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ganz neuen Situation heimatgemäß bauen kann.<br />
1 1<br />
Diese zwei D<strong>in</strong>ge s<strong>in</strong>d also durchaus vere<strong>in</strong>bar: auf der e<strong>in</strong>en Seite<br />
diese bewusste Weiterführung der europäischen, <strong>in</strong> diesem Fall<br />
der örtlichen Bautradition und dieses neue Arbeiten“.<br />
Sogar Sigfried Giedion, Freund Le Corbusiers, Theoretiker des<br />
Neuen Bauens und e<strong>in</strong>flussreichster Propagandist der modernen<br />
<strong>Architektur</strong>, wandelte sich– freilich erst nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
– zum glühenden Befürworter des regionalistischen Bauens.<br />
Im Aufsatz „Über e<strong>in</strong>en neuen Regionalismus“, auf Deutsch<br />
erschienen <strong>in</strong> dem 19 publizierten Bändchen „<strong>Architektur</strong> und<br />
Geme<strong>in</strong>schaft“, schreibt Giedion, dass die besten zeitgenössischen<br />
Architekten regionalistisch bauen. Ähnlich wie die bayerischen<br />
Heimatschützer 0 Jahre vorher, sche<strong>in</strong>t dem nachmaligen Professor<br />
für Kunstgeschichte an der ETH Zürich Regionalismus und<br />
Modernität ke<strong>in</strong> Widerspruch, sondern Voraussetzung zu se<strong>in</strong>. Die<br />
Anforderungen des Bodens und des Klimas sollen mit zeitgenössischen<br />
Mitteln der <strong>Architektur</strong> ausgedrückt werden. Das Klima<br />
erweitert Giedion dah<strong>in</strong>, dass dieses nicht nur meteorologische<br />
Begebenheiten wie durchschnittliche Regenwerte oder Sonnenstand,<br />
sondern auch die Lebensgewohnheiten der Region, <strong>in</strong> der<br />
man baut, e<strong>in</strong>schließen soll. Und er geht noch weiter: Schon die<br />
moderne <strong>Architektur</strong> der 1920er Jahre griff, so Giedion, auf nationale<br />
Traditionen zurück. Er erwähnt die Holländer Mondrian, van<br />
Doesburg und Rietveld und schreibt, dass <strong>in</strong> den Niederlanden<br />
schon im 1 . Jahrhundert sehr viel Wert auf e<strong>in</strong>e plane Ausgestaltung<br />
der Wände gelegt wurde. Und dass <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Land die<br />
ebene Fläche so vorherrschend sei wie <strong>in</strong> der Region der Polder<br />
und Kanäle. Giedion verweist <strong>in</strong> diesem Zusammenhang auf die<br />
bunten Tulpenfelder. Den regionalistischen Ansatz <strong>in</strong> Frankreich<br />
f<strong>in</strong>det Giedion <strong>in</strong> der Fähigkeit, „mit neuen Konstruktionsmethoden<br />
zu operieren“, was sich zum Beispiel schon bei den Gewölben der<br />
großen gotischen Kathedralen gezeigt hätte. Wichtig beim regionalistischen<br />
Ansatz ist das Verhältnis zur Tradition. Dazu noch e<strong>in</strong><br />
Zitat Giedions: „Selbstverständlich möchte ich ke<strong>in</strong>eswegs dah<strong>in</strong><br />
gehend <strong>in</strong>terpretiert werden, als ob ich Mondrians Bilder als Reproduktionen<br />
von Tulpenfeldern betrachte! Aber Mondrian wählt<br />
aus den unabsehbaren Möglichkeiten, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Region liegen,<br />
jene aus, die am engsten mit unserer Zeit verwandt ist.“<br />
Laut dem Cheftheoretiker der modernen <strong>Architektur</strong> ist es also<br />
möglich, modern und gleichzeitig regionalistisch zu bauen. Zeitgenössische<br />
Bedürfnisse und Anforderungen zu erfüllen und gleichzeitig<br />
mit vertrauten Bildern, mit den Materialien der Umgebung,<br />
mit den Formen und Dimensionen der Nachbarschaft zu arbeiten.<br />
Freilich, <strong>Architektur</strong> bietet nur den Rahmen, während Heimat<br />
sich nicht im Physisch-Materiellen erschöpft. Nötig ist gemäß des<br />
aktiven Heimatverständnisses die Tat. Also die permanente Neuerf<strong>in</strong>dung,<br />
der öffentliche Streit, die <strong>in</strong>dividuelle und die kollektive<br />
Aneignung des Raums. „Ich will Heimat schüren, nicht Heimat<br />
schützen“, sagte der Städteplaner Karl Ganser, als ihm <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Interview mit der „Zeit“ die aktuelle Bauunkultur vorgehalten<br />
wurde. Schüren von Heimat heißt, die Architekten und Stadtplaner<br />
bei ihrem Produktionsversuch von zukünftiger Heimat nicht<br />
alle<strong>in</strong>e zu lassen. In e<strong>in</strong>er heimatlosen, weil auf ständige Mobilität<br />
getrimmten Zeit heißt Schüren von Heimat aber auch, dass Heimat<br />
nur <strong>in</strong>soweit bewahrt werden kann, wie sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen,<br />
allen – Menschen mit und ohne Migrationsh<strong>in</strong>tergrund – offenstehenden<br />
Leistung weiterentwickelt werden kann. E<strong>in</strong>en Versuch ist<br />
es wert.