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Zur rechtlichen Verbindlichkeit von „Informationsschreiben“ der ...

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<strong>Zur</strong> <strong>rechtlichen</strong> <strong>Verbindlichkeit</strong> <strong>von</strong> <strong>„Informationsschreiben“</strong> <strong>der</strong><br />

Kassenärztlichen Vereinigungen und <strong>der</strong> Krankenkassen über die<br />

Verordnungsfähigkeit bestimmter Arzneimittel<br />

<strong>von</strong> Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Gerhard Nitz,<br />

Dierks+Bohle Rechtsanwälte, Berlin, www.db-law.de<br />

Eine qualitativ hochwertige und wirtschaftliche medizinische Versorgung setzt<br />

zuverlässige, den medizinischen Standard und auch Kostenrelationen wie<strong>der</strong>gebende<br />

Informationen voraus. Einen Baustein in diesem Informationssystem sollen nach dem<br />

Willen des Gesetzgebers auch Informationsschreiben <strong>der</strong> Kassenärztlichen<br />

Vereinigungen, <strong>der</strong> KBV und <strong>der</strong> Krankenkassen darstellen (§ 73 Abs. 8 SGB V). Diese<br />

Organisationen sollen danach auf dem allgemein anerkannten Stand <strong>der</strong> medizinischen<br />

Erkenntnisse vergleichend über preisgünstige verordnungsfähige Leistungen,<br />

Indikationen und therapeutischen Nutzen <strong>von</strong> Arzneimitteln informieren und Hinweise<br />

geben. Auch wenn sich mancher Vertragsarzt über die zumeist auf Kostenaspekte<br />

verkürzte Perspektive solcher Informationsschreiben ärgert, sind sie im Rahmen <strong>der</strong><br />

gesetzlichen Vorgaben rechtmäßig. Das bedeutet indessen nicht, dass sich <strong>der</strong> Arzt an<br />

aus seiner medizinischen Sicht unzutreffende Schlussfolgerungen in den Schreiben halten<br />

muss.<br />

Informationsschreiben als rechtlich unverbindliche Hinweise<br />

Die Schreiben <strong>von</strong> KVen und/o<strong>der</strong> Krankenkassen auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>von</strong> § 73 Abs. 8<br />

SGB V enthalten schon nach dem Gesetzeswortlaut „Informationen und Hinweise“. Sie<br />

geben dem Vertragsarzt mithin einen „input“ für seine Entscheidungsfindung, ohne die<br />

Entscheidung selbst, den „output“, zu determinieren. Demgemäß sind die Schreiben<br />

rechtlich unverbindlich.<br />

Therapieverantwortung und Wirtschaftlichkeitsgebot<br />

Rechtlich verbindlich sind demgegenüber die ärztliche Therapieverantwortung und das<br />

Wirtschaftlichkeitsgebot. Therapieverantwortung bedeutet als Korrelat <strong>der</strong> sog.<br />

Therapiefreiheit, dass es <strong>der</strong> Arzt selber ist, <strong>der</strong> die Entscheidung über die<br />

Konkretisierung des medizinischen Standards bei dem jeweiligen Patienten in Einklang<br />

mit dessen Willen trifft. Diese Freiheit des Arztes gilt auch im Rahmen <strong>der</strong><br />

vertragsärztlichen Versorgung, findet aber natürlich ihre Grenzen in <strong>rechtlichen</strong><br />

Vorgaben.<br />

Bei Arzneiverordnungen zu Lasten <strong>der</strong> gesetzlichen Krankenkassen ist hier das<br />

Wirtschaftlichkeitsgebot (§§ 12 Abs. 1, 70 Abs. 1 SGB V) <strong>von</strong> beson<strong>der</strong>er Bedeutung. Es


verlangt nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, dass sich <strong>der</strong><br />

Vertragsarzt die Kosten seiner Therapie vergegenwärtigt und sodann einzelfallbezogen<br />

abwägt, ob <strong>der</strong> Einsatz eines preiswerteren Arzneimittels vertretbar ist o<strong>der</strong> ein Anlass<br />

zur Verordnung eines teureren Medikaments besteht (BSG vom 20.10.2004 – B 6 KA 41/03).<br />

Sind verschiedene Therapieoptionen im konkreten Einzelfall therapeutisch äquivalent,<br />

muss <strong>der</strong> Arzt die preisgünstigere Alternative wählen. Umgekehrt bedeutet dies aber<br />

auch, dass die teurere Therapie dann wirtschaftlich ist, wenn es hierfür einen<br />

medizinischen Grund gibt.<br />

Im Praxisalltag for<strong>der</strong>t das Wirtschaftlichkeitsgebot vom Vertragsarzt also die<br />

medizinische Begründbarkeit <strong>von</strong> Mehrkosten. Diese Begründungen gilt es zu<br />

dokumentieren.<br />

Kostenperspektive<br />

Bei <strong>der</strong> Beurteilung <strong>der</strong> Wirtschaftlichkeit können heute nicht mehr einfach die<br />

Apothekenverkaufspreise <strong>von</strong> Arzneimitteln vergleichen werden, wie dies lei<strong>der</strong> noch<br />

häufig in den Informationsschreiben nach § 73 Abs. 8 SGB V geschieht. Maßgeblich für<br />

die Wirtschaftlichkeitsbeurteilung sind nämlich die <strong>der</strong> Krankenkasse tatsächlich<br />

entstehenden Kosten.<br />

Hierzu gehören an sich auch Folge- und Begleitkosten <strong>der</strong> verglichenen Therapien, die für<br />

den Vertragsarzt aber nur selten bezifferbar sind. Von alltagspraktischer Bedeutung sind<br />

jedoch Rabattverträge. Bei Arzneimitteln ohne Rabattvertrag trägt <strong>der</strong> Arzt Therapie- und<br />

Wirtschaftlichkeitsverantwortung. Schließt eine Krankenkasse jedoch einen Rabattvertrag<br />

über ein bestimmtes Arzneimittel ab, übernimmt sie insoweit die Wirtschaftlichkeits-<br />

verantwortung; dem Arzt obliegt nur noch die Therapieverantwortung. Zwar kann ein<br />

rabattbegünstigtes Arzneimittel durchaus noch nach <strong>der</strong> Rabattierung teurer sein als das<br />

preisgünstigste Generikum, doch dies ist dann nicht mehr Problem des Arztes. Für ihn gilt<br />

schlicht: Er kann sich darauf verlassen, dass die Verordnung eines rabattierten<br />

Arzneimittels im System <strong>der</strong> Gesetzlichen Krankenversicherung als wirtschaftlich gilt. Ein<br />

Vergleich <strong>der</strong> nach Rabattgewährung den Kassen tatsächlich entstehenden Kosten wäre<br />

den Ärzten wegen <strong>der</strong> Vertraulichkeit <strong>der</strong> Rabatthöhen auch gar nicht möglich.<br />

Fazit<br />

Informationsschreiben <strong>der</strong> KVen und/o<strong>der</strong> Krankenkassen sind zu beachtende<br />

Informationen und Hinweise, die <strong>der</strong> Vertragsarzt zur Kenntnis nehmen muss. Sie binden<br />

aber seine Verordnungsentscheidung nicht. Vielmehr gelten für den Vertragsarzt insoweit<br />

die Anfor<strong>der</strong>ungen des medizinischen Standards und des Wirtschaftlichkeitsgebots.<br />

Praktisch bedeutet dies, dass medizinische Überlegungen vorrangig sind: Gibt es einen<br />

medizinischen Grund, die teurere Therapie zu verordnen, so ist sie auch – trotz des<br />

Informationsschreibens – wirtschaftlich. Erst wenn mehrere Therapien medizinisch


gleichwertig sind, spielt ein Kostenvergleich eine Rolle. Dabei gelten<br />

Rabattvertragsarzneimittel stets als wirtschaftlich, auch wenn <strong>der</strong> Arzt die konkrete<br />

Rabatthöhe nicht kennt.

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