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Gibt es Neues in der Gruppenanalyse - Pieter Hutz

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<strong>Pieter</strong> <strong>Hutz</strong>, Berl<strong>in</strong><br />

<strong>Gibt</strong> <strong>es</strong> Neu<strong>es</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Gruppenanalyse</strong>? 1<br />

Vorbemerkung<br />

Um verständlich darüber zu sprechen, was <strong>es</strong> neu<strong>es</strong> gibt <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Gruppenanalyse</strong>, will<br />

ich Ihnen zuvor e<strong>in</strong> wenig von ihrer G<strong>es</strong>chichte anbieten. Davon, wie sie entstanden<br />

und geworden ist. Ich spreche auch über e<strong>in</strong>ig<strong>es</strong> Grundlegende <strong>der</strong> <strong>Gruppenanalyse</strong><br />

und habe dafür das Thema Gruppenleitung gewählt. Darauf folgen die beiden Ent-<br />

wicklungen, die me<strong>in</strong>em Vortrag den Titel gegeben haben. Insg<strong>es</strong>amt möchte ich Ih-<br />

nen die <strong>Gruppenanalyse</strong> als das nahe br<strong>in</strong>gen, was sie mir nach vielen Jahren d<strong>es</strong> Ler-<br />

nens und weiteren Lernens geworden ist: E<strong>in</strong> fasz<strong>in</strong>ierend<strong>es</strong> Werkzeug therapeuti-<br />

schen Wirkens, e<strong>in</strong>e aufregende und bereichernde Erfahrung sozialer Begegnungen.<br />

Ich b<strong>in</strong> immer wie<strong>der</strong> von <strong>der</strong> Kraft und Kreativität überrascht, die die gruppenanalyti-<br />

sche Arbeit entfalten kann.<br />

Wenn ich me<strong>in</strong>e letzten Erfahrungen mit e<strong>in</strong>er gerade abg<strong>es</strong>chlossenen zweie<strong>in</strong>halb-<br />

jährigen fraktionierten Gruppe vergegenwärtige, dann s<strong>in</strong>d mir di<strong>es</strong>e Kraft und Kreati-<br />

vität unmittelbar präsent: Es s<strong>in</strong>d die zum Teil fast <strong>in</strong>s unerträgliche g<strong>es</strong>teigerten Über-<br />

tragungen e<strong>in</strong>zelner Gruppenmitglie<strong>der</strong> auf e<strong>in</strong>an<strong>der</strong>. Es ist die gegenseitige Freile-<br />

gung und Verstärkung von bislang verborgenen Übertragungsneigungen. Es ist die<br />

damit verbundene Palette an irritierenden libid<strong>in</strong>ösen und aggr<strong>es</strong>siven Affekten. Di<strong>es</strong><br />

all<strong>es</strong> zusammen kann <strong>in</strong> Menge und Komplexität auch e<strong>in</strong>em erfahrenen Gruppenana-<br />

lytiker den Atem nehmen. Und dann entwickelt sich di<strong>es</strong>e schier unvorstellbare Potenz<br />

<strong>der</strong> Gruppe: Di<strong>es</strong>e Affekte und Phantasien auszuhalten und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em langsamen Pro-<br />

z<strong>es</strong>s, (d<strong>es</strong>sen Wendungen mich immer wie<strong>der</strong> überraschen) ihre Integration bzw. die<br />

Auflösung ihrer d<strong>es</strong>truktiven Wirkung zu erreichen. Es ist für mich immer wie<strong>der</strong> be-<br />

e<strong>in</strong>druckend, wie e<strong>in</strong> von Übertragungen <strong>in</strong>itiierter Konflikt zweier Teilnehmer die<br />

Übertragungsneurosen mehrerer Gruppenmitglie<strong>der</strong> aktiviert, und die Gruppe dennoch<br />

e<strong>in</strong>e Potenz entwickelt, die Konflikte zu <strong>in</strong>tegrieren und zu überw<strong>in</strong>den. E<strong>in</strong>e Dyna-<br />

mik, die man übrigens gut mit <strong>der</strong> Foulk<strong>es</strong>schen Sichtweise d<strong>es</strong> Zusammenwirkens<br />

1 Vortrag am Berl<strong>in</strong>er Institut für <strong>Gruppenanalyse</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Goerzalle am 26.11.04<br />

1


von Figur und H<strong>in</strong>tergrund wahrnehmen kann. Aufregend ist <strong>es</strong> natürlich auch d<strong>es</strong>-<br />

halb, weil <strong>es</strong> nie e<strong>in</strong>em Schema folgt. Es gibt ke<strong>in</strong> Schema für die Kreativität e<strong>in</strong>er<br />

Gruppe. Aufregend aber auch, weil <strong>der</strong> Erfolg vorab nie als sicher erwartet werden<br />

kann – er auch nicht immer e<strong>in</strong>tritt. So viel vorweg zu me<strong>in</strong>em eigenen Enthusiasmus<br />

für die <strong>Gruppenanalyse</strong>.<br />

Kurz<strong>es</strong> zur G<strong>es</strong>chichte <strong>der</strong> <strong>Gruppenanalyse</strong><br />

Zur G<strong>es</strong>chichte <strong>der</strong> <strong>Gruppenanalyse</strong> beg<strong>in</strong>ne ich mit Trigant Burrow dem us-<br />

amerikanischen Psychoanalytiker, <strong>der</strong> neben dem deutschen Soziologen Karl Mann-<br />

heim als erster den Namen <strong>Gruppenanalyse</strong> verwandt hat. Burrow hat, wie e<strong>in</strong> jünge-<br />

rer Aufsatz von Sandner zeigt, erste Weichenstellungen für die Entwicklung <strong>der</strong> Grup-<br />

penanalyse vorgenommen: Bei <strong>der</strong> Reflexion se<strong>in</strong>er psychoanalytischen Arbeit musste<br />

er f<strong>es</strong>tstellen, dass <strong>es</strong> nicht nur auf, son<strong>der</strong>n auch h<strong>in</strong>ter <strong>der</strong> Couch bl<strong>in</strong>de Flecken und<br />

psychische Abwehrbewegungen gibt. Dass aber im Unterschied zum Patienten die psy-<br />

chischen Bezugssysteme, Gefühle und Bewertungen d<strong>es</strong> Analytikers als konstant ge-<br />

setzt wurden. In e<strong>in</strong>em ähnlichen Akt von Kreativität wie sie später Foulk<strong>es</strong> und Bion<br />

eigen war, hat er e<strong>in</strong>e Lösung dar<strong>in</strong> g<strong>es</strong>ucht, die psychoanalytische Dyade zu öffnen<br />

und, ich zitiere: Alle Mitglie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er Gruppe dazu zu ermuntern und ihnen die Kom-<br />

petenz zuzusprechen, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppensituation entstehenden verbalen und nonver-<br />

balen Äußerungen auf ihren psychodynamischen S<strong>in</strong>n h<strong>in</strong> zu untersuchen und durch<br />

e<strong>in</strong>e konsensuelle Validierung zu sichern. Burrow hoffte dadurch, „ die kollektiven<br />

Abwehrphänomene“, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>zelanalyse vorhanden, aber vielfach latent bleiben,<br />

viel b<strong>es</strong>ser untersuchen zu können. Burrow sah e<strong>in</strong> Verhaftetse<strong>in</strong> d<strong>es</strong> Analytikers wie<br />

<strong>der</strong> Gruppenmitglie<strong>der</strong> <strong>in</strong> ihren Vorstellungen. Dar<strong>in</strong>, was für sie gut o<strong>der</strong> schlecht sei;<br />

aber auch dar<strong>in</strong>, was <strong>der</strong> Analytiker als se<strong>in</strong>e Autorität und Sicht <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge unbed<strong>in</strong>gt<br />

aufrechterhalten möchte.<br />

Mit di<strong>es</strong>em orig<strong>in</strong>ellen, und für die Frühzeit <strong>der</strong> Psychoanalyse mutigen Schritt zur<br />

Überw<strong>in</strong>dung von Problemen <strong>der</strong> E<strong>in</strong>zelanalyse, schafft Burrow schon 1918 das Set-<br />

t<strong>in</strong>g, mit dem die Grundlage für die analytische Arbeit an dem g<strong>es</strong>amten Spektrums<br />

2


von Phänomenen, die auch heute noch <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Gruppenanalyse</strong> untersucht werden: Der<br />

ganze Bereich, nicht nur <strong>der</strong> <strong>in</strong>dividuellen, son<strong>der</strong>n ebenso gruppalen, sozialen und<br />

nicht zuletzt g<strong>es</strong>ellschaftlichen Abwehrmechanismen, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em b<strong>es</strong>timmten Grup-<br />

peng<strong>es</strong>chehen zusammenwirken und <strong>es</strong> w<strong>es</strong>entlich prägen.<br />

Auch Karl Mannheim <strong>der</strong> bedeutende deutsche Soziologe hat den Begriff „Gruppen-<br />

analyse“ vor Foulk<strong>es</strong> synonym zum Begriff „ Sozialanalyse“ benutzt .Es ist jedoch<br />

Foulk<strong>es</strong>, <strong>der</strong> das Urheberrecht für die <strong>Gruppenanalyse</strong> beansprucht. Für die Gruppen-<br />

analyse als e<strong>in</strong>e Methode zur Erforschung und zur psychotherapeutischen Verände-<br />

rung menschlicher Beziehungsgeflechte, die seelische Strukturen bilden, die entwe<strong>der</strong><br />

krank machen o<strong>der</strong> heilen können. Es ist dabei wichtig, sich klar zu machen, dass<br />

Foulk<strong>es</strong> zwar als Psychoanalytiker <strong>in</strong> den 30. Jahren <strong>der</strong> Leiter d<strong>es</strong> Ambulatoriums d<strong>es</strong><br />

Frankfurter Psychoanalytischen Instituts war, dass er aber <strong>in</strong> regem persönlichen und<br />

wissenschaftlichen Austausch mit <strong>der</strong> Creme <strong>der</strong> damaligen Sozialwissenschaften<br />

stand. Die wissenschaftlichen Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen mit <strong>der</strong> Psychoanalyse, Neurolo-<br />

gie, G<strong>es</strong>taltpsychologie, Feldtheorie und Soziologie <strong>der</strong> Vornazizeit wurden von Foul-<br />

k<strong>es</strong> <strong>in</strong> die Theorie und Praxis <strong>der</strong> <strong>Gruppenanalyse</strong> e<strong>in</strong>gewoben. Erst Foulk<strong>es</strong> hat dar-<br />

aus e<strong>in</strong>e gruppenanalytische Krankheitslehre, e<strong>in</strong>e psychotherapeutische Methode und<br />

e<strong>in</strong> wissenschaftlich<strong>es</strong> Forschungs<strong>in</strong>strument gemacht. Sehr l<strong>es</strong>enswert hierzu s<strong>in</strong>d die<br />

Beiträge von Dietl<strong>in</strong>d Köhncke und Sab<strong>in</strong>e Rothe <strong>in</strong> den ersten Bänden <strong>der</strong> Zeitschrift<br />

<strong>Gruppenanalyse</strong>.<br />

Zum Gruppenverständnis von Foulk<strong>es</strong> und Bion<br />

Foulk<strong>es</strong> und Bion s<strong>in</strong>d schließlich die beiden Psycho- und Gruppenanalytiker, die die-<br />

se Grundlagen und den Fundus di<strong>es</strong><strong>es</strong> Sett<strong>in</strong>gs zu zwei fruchtbaren unterschiedlichen<br />

gruppenanalytischen Ansätzen ausgearbeitet haben. Mit dem Abstand von heute kann<br />

man wohl sagen, dass beide Konzepte e<strong>in</strong> Muss <strong>in</strong> <strong>der</strong> Theorieentwicklung <strong>der</strong> Grup-<br />

penanalyse waren: Die an <strong>der</strong> Kommunikation <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppe, an <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung d<strong>es</strong><br />

Ichs orientierte Konzeption von Foulk<strong>es</strong> hat starke ich-psychologische Züge, während<br />

die Bionsche Wahrnehmung sich auf die Bildung <strong>der</strong> frühen Objektbeziehungen kon-<br />

zentriert. Sigmund He<strong>in</strong>rich Foulk<strong>es</strong>’ Verständnis von <strong>Gruppenanalyse</strong> lebt heute vor<br />

3


allem <strong>in</strong> <strong>der</strong> Group Analytic Society <strong>in</strong> London weiter, während Bions Ansatz w<strong>es</strong>ent-<br />

lich die Arbeit d<strong>es</strong> Tavistock-Instituts bee<strong>in</strong>flusst hat.<br />

Felix de Mendelssohn sieht die Unterschiede <strong>der</strong> beiden Vorstellungen von Gruppen-<br />

analyse schon <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wahl d<strong>es</strong> Begriffs für den Gruppenleiter enthalten. Der von Foul-<br />

k<strong>es</strong> angewandte Begriff conductor me<strong>in</strong>t sowohl die Leitung e<strong>in</strong><strong>es</strong> Orch<strong>es</strong>ters als auch<br />

die Leitung im S<strong>in</strong>ne von Stromleitung. Dar<strong>in</strong> kommt die für Foulk<strong>es</strong> zentrale Funkti-<br />

on d<strong>es</strong> Gruppenleiters zum För<strong>der</strong>n und Intensivieren <strong>der</strong> Kommunikation <strong>der</strong> Teil-<br />

nehmer untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> zum Ausdruck. E<strong>in</strong>ige Nachfolger von Foulk<strong>es</strong> begreifen den<br />

Gruppenleiter als e<strong>in</strong>en facilitator, als denjenigen, <strong>der</strong> die Gruppenkommunikation<br />

ermöglicht und erleichtert.<br />

Bions Vorstellung d<strong>es</strong> group lea<strong>der</strong>s ist von <strong>der</strong> Funktion d<strong>es</strong> Bewusstmachens, Deu-<br />

tens und Durcharbeitens erfüllt. Für ihn war die Position d<strong>es</strong> Gruppenführers, wie<br />

Mendelssohn <strong>es</strong> ausdrückt, e<strong>in</strong>e Leerstelle. E<strong>in</strong>e Stelle, die mit den Phantasien <strong>der</strong><br />

Gruppenteilnehmer, auch mit ihren archaischen „Grundannahme-Phantasien“ angefüllt<br />

werden. Foulk<strong>es</strong> und Bion vertraten also grundverschiedene Vorstellungen vom We-<br />

sen und <strong>der</strong> psychischen Dynamik von Gruppen. Bee<strong>in</strong>flusst von Goldste<strong>in</strong> und Elias<br />

sah Foulk<strong>es</strong> e<strong>in</strong>e Gruppe als e<strong>in</strong> sozial<strong>es</strong> W<strong>es</strong>en an, die e<strong>in</strong>e unbewusste Matrix aus<br />

verschiedenen Ebenen ausbildete. Er verstand Gruppe immer als etwas, das mehr war<br />

als die Summe ihrer Mitglie<strong>der</strong>. Foulk<strong>es</strong> spricht von se<strong>in</strong>em Gruppenkonzept als ei-<br />

nem ego tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g <strong>in</strong> action. Nämlich dann, wenn <strong>in</strong> Gruppen unbewusste familiäre<br />

Konstellationen <strong>in</strong>szeniert und bearbeitet werden, wenn ihre Teilnehmer neue Fähig-<br />

keiten zur R<strong>es</strong>onanz und Empathie entwickeln.<br />

Bion h<strong>in</strong>gegen fokussierte auf die <strong>in</strong>nere psychische Realität e<strong>in</strong><strong>es</strong> jeden e<strong>in</strong>zelnen<br />

Teilnehmers, und di<strong>es</strong>e nimmt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Gruppenkonzept die zentrale Position e<strong>in</strong>. Er<br />

untersuchte das Erleben <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppe als e<strong>in</strong>en Spiegel o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Projektionsfläche<br />

<strong>der</strong> <strong>in</strong>neren psychischen Realität <strong>der</strong> Objektbeziehungen. Die Stärke se<strong>in</strong><strong>es</strong> Konzepts<br />

b<strong>es</strong>teht dar<strong>in</strong>, archaisch Anmutend<strong>es</strong>, Phantasmatisch<strong>es</strong> wahrnehmen zu können, wenn<br />

<strong>in</strong> Gruppen regr<strong>es</strong>sive Proz<strong>es</strong>se stattf<strong>in</strong>den. Se<strong>in</strong> Augenmerk ist auf psychotische Spal-<br />

4


tungsmechanismen und Teilobjektbeziehungen gerichtet, die den schmerzhaften per-<br />

sönlichen Reifungsproz<strong>es</strong>sen entgegenstehen.<br />

Seit nunmehr 50 Jahren b<strong>es</strong>tehen di<strong>es</strong>e beiden so unterschiedlichen Konzepte neben-<br />

e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> und ich b<strong>in</strong>, mit Mendelssohn, <strong>der</strong> Auffassung, dass die Tatsache, dass di<strong>es</strong>e<br />

beiden Ansätze sich nach wie vor gegenseitig befruchten, mit <strong>der</strong> Doppelg<strong>es</strong>ichtigkeit<br />

e<strong>in</strong><strong>es</strong> jeden Gruppenproz<strong>es</strong>s<strong>es</strong> zu tun hat. Je nach dem auf welchem Funktionsniveau<br />

sich e<strong>in</strong>e Gruppe bef<strong>in</strong>det, mag man mit <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en o<strong>der</strong> <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Sichtweise eher<br />

e<strong>in</strong>en Zugang zum Verständnis <strong>der</strong> Gruppenproz<strong>es</strong>se gew<strong>in</strong>nen. Gruppenanalytiker<br />

mit Erfahrungen <strong>in</strong> beiden Ansätzen b<strong>es</strong>tätigen, dass sie manche Gruppenphänomene<br />

lieber durch die Foulkssche Brille und an<strong>der</strong>e mit <strong>der</strong> Sichtweise von Bion betrachten.<br />

So unterschiedlich, wie Gruppenanalytiker <strong>in</strong> ihren Persönlichkeiten s<strong>in</strong>d, so verschie-<br />

den werden sie auf die Möglichkeiten reagieren, die di<strong>es</strong>e beiden Ansätze ihnen bieten.<br />

Gerade ihre Unterschiedlichkeit bietet Gruppenanalytikern die Möglichkeit, sich mit<br />

verschiedenen Aspekten - nicht nur theoretisch - son<strong>der</strong>n vor allem emotional vertraut<br />

zu machen und daraus e<strong>in</strong>en eigenen Leitungsstil für Gruppen zu entwickeln.<br />

Nach me<strong>in</strong>er Erfahrung s<strong>in</strong>d <strong>es</strong> zwei G<strong>es</strong>ichtspunkte, die bei <strong>der</strong> Stilbildung, gleich<br />

welchen gruppenanalytischen Ansatz<strong>es</strong> bedeutsam s<strong>in</strong>d. Es geht zum e<strong>in</strong>en um e<strong>in</strong>e<br />

sorgfältige Beobachtung <strong>der</strong> Proz<strong>es</strong>se <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppe, und ich glaube im Lernen d<strong>es</strong>sen<br />

werden Gruppenanalytiker nie fertig. Es geht zum an<strong>der</strong>en um die Reflexion <strong>der</strong> eige-<br />

nen emotionalen Reaktion auf das G<strong>es</strong>chehen. Di<strong>es</strong>en beiden G<strong>es</strong>ichtspunkten <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Praxis <strong>der</strong> Weiterbildung und im Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong>lernen <strong>der</strong> Institutsmitglie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>en si-<br />

cheren Raum zur Verfügung zu stellen, trägt dazu bei, für e<strong>in</strong> Gruppenanalytisch<strong>es</strong><br />

Institut e<strong>in</strong> solid<strong>es</strong> Fundament zu bauen. Auf ihm lassen sich dann auch trefflich neue<br />

Projekte errichten.<br />

Ich will im Folgenden e<strong>in</strong>ige Charakteristika d<strong>es</strong> jeweiligen Verständniss<strong>es</strong> von Grup-<br />

penleitung erst bei Foulk<strong>es</strong> und dann bei Bion entwickeln und komme dann zu zwei<br />

neuen Ansätzen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Gruppenanalyse</strong>.<br />

5


Foulk<strong>es</strong><br />

Foulk<strong>es</strong>, <strong>der</strong> sich ausführlich wie ke<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er zur Technik <strong>der</strong> Adm<strong>in</strong>istration von<br />

Gruppenproz<strong>es</strong>sen geäußert hat, unterscheidet bei <strong>der</strong> Gruppenleitung die dynamische<br />

Adm<strong>in</strong>istration <strong>der</strong> Gruppe und die eigentlichen therapeutischen Aktivitäten, die sich<br />

auf die <strong>in</strong>haltlichen Aspekte <strong>der</strong> Gruppenleitung konzentrieren. Dynamische Adm<strong>in</strong>i-<br />

stration nennt er <strong>es</strong> d<strong>es</strong>halb, weil alle Themen, wie etwa Gruppenzusammenstellung,<br />

Führung <strong>der</strong> Vorg<strong>es</strong>präche, die Raumg<strong>es</strong>taltung, die Vorgabe von Regeln und Pr<strong>in</strong>zi-<br />

pien – ich nenne hier Pünktlichkeit, Kont<strong>in</strong>uität, Vertraulichkeit, ke<strong>in</strong>e Kontakte au-<br />

ßerhalb <strong>der</strong> Gruppe usw. zu den Themen werden, mit denen die Gruppe ihre aktuelle<br />

Haltung zum therapeutischen Proz<strong>es</strong>s ausdrückt. Für Foulk<strong>es</strong> hat die Gruppenleitung<br />

d<strong>es</strong>halb die zentrale Funktion <strong>der</strong> Grenzüberwachung. Se<strong>in</strong> Gruppenleitungskonzept<br />

sieht den Gruppenleiter immer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Position auf <strong>der</strong> Grenze <strong>der</strong> Gruppe. Hier wird<br />

deutlich, dass die dynamische Adm<strong>in</strong>istration <strong>der</strong> Gruppe rasch <strong>in</strong> therapeutische Ak-<br />

tivitäten übergeht, denn di<strong>es</strong>e s<strong>in</strong>d zu e<strong>in</strong>em erheblichen Teil mit den „Phänomenen<br />

an <strong>der</strong> Gruppengrenze“ b<strong>es</strong>chäftigt. Kommunikation außerhalb, vor o<strong>der</strong> nach den<br />

Sitzungen, Regelbrüche <strong>in</strong> <strong>der</strong> Verletzung <strong>der</strong> Vertraulichkeit, Unregelmäßigkeit <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Bezahlung s<strong>in</strong>d die Themen, an denen sich e<strong>in</strong>e b<strong>es</strong>on<strong>der</strong>e Dynamik entfalten<br />

kann. All<strong>es</strong> was nicht g<strong>es</strong>prochen werden kann o<strong>der</strong> nicht soll, wird <strong>in</strong> szenisch zu<br />

verstehend<strong>es</strong> Handeln umg<strong>es</strong>etzt.<br />

Foulk<strong>es</strong> unterscheidet drei Erlebnisbereiche <strong>der</strong> Gruppenteilnehmer aus denen sich im<br />

W<strong>es</strong>entlichen das Material speist, das den Gruppenproz<strong>es</strong>s prägt: Es kommt 1) aus<br />

dem laufenden Interaktionsproz<strong>es</strong>s <strong>der</strong> Gruppe, 2) aus vergangenem Erleben, das <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Gruppe wie<strong>der</strong>holt und er<strong>in</strong>nert wird und 3) aus dem gegenwärtigen sozialen Le-<br />

ben außerhalb <strong>der</strong> unmittelbaren Behandlungssituation im Plexus <strong>der</strong> Gruppe.<br />

Für die therapeutische Entwicklung <strong>der</strong> Gruppe s<strong>in</strong>d vor allem die Ereignisse von Be-<br />

deutung, mit denen die Grenzen zwischen dem aktuellen Gruppenerleben <strong>in</strong> <strong>der</strong> Be-<br />

handlungssituation und dem weiteren sozialen Leben <strong>der</strong> Gruppenmitglie<strong>der</strong> durch-<br />

brochen o<strong>der</strong> durchlässig werden. Sie s<strong>in</strong>d <strong>es</strong> d<strong>es</strong>halb, weil sie Versuche darstellen, die<br />

Gruppensituation für die Teilnehmer so zu verän<strong>der</strong>n, dass die Spannungen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Gruppensituation so ger<strong>in</strong>g wie nun irgend möglich werden. Gruppenspannungen sol-<br />

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len aufgehoben werden, das <strong>der</strong> Gruppenleitung Ausgeliefertfühlen soll überwunden<br />

werden, ohne die Beziehung direkt konfrontativ zu g<strong>es</strong>talten. Man kann die Gruppen-<br />

aktivitäten so verstehen: Sie stellen den permanenten Versuch dar, eigene Gruppen-<br />

normen aufzustellen, die die Wirkung <strong>der</strong> Normensetzung durch den Gruppenleiter<br />

abschwächen sollen. Wird di<strong>es</strong>en Ereignissen sorgsam Aufmerksamkeit g<strong>es</strong>chenkt,<br />

dann können bislang unbekannte o<strong>der</strong> unverstandene Themen zur Sprache kommen,<br />

die die Gruppe bisher nur handelnd kommunizieren konnte.<br />

Foulk<strong>es</strong> spricht von vier Ebenen <strong>der</strong> Kommunikation <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppe, die er als die ak-<br />

tuelle Ebene, die Übertragungsebene, die projektive Ebene und die primordiale Ebene<br />

bezeichnet und auf die ich <strong>in</strong> di<strong>es</strong>em Rahmen nicht im E<strong>in</strong>zelnen e<strong>in</strong>gehen kann.<br />

Die Erlebnisbereiche, die Ebenen <strong>der</strong> Kommunikation und die Unterscheidung zwi-<br />

schen adm<strong>in</strong>istrativer Kommunikation und den Inhalten <strong>der</strong> therapeutischen Arbeit<br />

erhellen jedoch, wie komplex die Gruppendynamik ist und wie vielfältig <strong>der</strong> Gruppen-<br />

leiter se<strong>in</strong>e Wahrnehmungs<strong>in</strong>strumente e<strong>in</strong>stellen muss. Die Vielfalt <strong>der</strong> Wahrneh-<br />

mungse<strong>in</strong>stellungen, die Mannigfaltigkeit <strong>der</strong> Ebenen und die m<strong>in</strong>imale Strukturierung<br />

schaffen für die Gruppenteilnehmer e<strong>in</strong>e auf Angst und Regr<strong>es</strong>sion h<strong>in</strong> orientierte Si-<br />

tuation. Aber auch im Erleben <strong>der</strong> Gruppenleitung spielt die Angst vor <strong>der</strong> Gruppe<br />

e<strong>in</strong>e bedeutende Rolle: Fantasien von Ausgeliefertse<strong>in</strong>, Nichtverstehen, davon, e<strong>in</strong>em<br />

als mächtig erlebten Gruppenkörper gegenüberzustehen und ähnlichem mehr prägen<br />

se<strong>in</strong> Erleben.<br />

Die G<strong>es</strong>taltung <strong>der</strong> Angstabwehr <strong>der</strong> Gruppenleitung ist, oft ununterscheidbar <strong>in</strong> die<br />

eigenen produktiven therapeutischen Aktivitäten verwoben und wirft die Frage auf,<br />

wie, auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er gel<strong>in</strong>genden Deutung die Angstabwehr d<strong>es</strong> Gruppenleiters enthalten<br />

ist? Nach me<strong>in</strong>er Erfahrung gibt <strong>es</strong> immer e<strong>in</strong> sowohl als auch und e<strong>in</strong> mehr o<strong>der</strong> we-<br />

niger von produktiven und proz<strong>es</strong>sh<strong>in</strong><strong>der</strong>lichen Anteilen. Alle Deutungsarbeit trägt die<br />

spezifischen Abwehrmerkmale d<strong>es</strong> Gruppenleiters. Der Abwehrcharakter <strong>der</strong> Deu-<br />

tungsarbeit richtet sich oft dagegen, die Angst vor <strong>der</strong> Gruppe zuzulassen. Die Gruppe<br />

kann als mächtig erlebt werden, zumal ihre Tätigkeit darauf zielt, e<strong>in</strong> eigen<strong>es</strong> Gleich-<br />

gewicht <strong>der</strong> Gruppenbeziehungen herzustellen und die Verän<strong>der</strong>ungsbemühungen d<strong>es</strong><br />

7


Gruppenleiters zu sabotieren – am b<strong>es</strong>ten ohne, dass er <strong>es</strong> merkt. Di<strong>es</strong> g<strong>es</strong>chieht oft<br />

schon, <strong>in</strong>dem sie die adm<strong>in</strong>istrativen Grenzen <strong>der</strong> Gruppe unterläuft und b<strong>es</strong>chädigt.<br />

Stellen Sie sich folgende Situation für e<strong>in</strong>en Gruppenleiter vor: Die Gruppe beg<strong>in</strong>nt<br />

und niemand ist da.<br />

Grundsätzlich gel<strong>in</strong>gt die Entwicklung d<strong>es</strong> therapeutischen Proz<strong>es</strong>s<strong>es</strong> umso mehr, je<br />

weniger <strong>der</strong> Gruppenleiter sich <strong>der</strong> Wahrnehmung se<strong>in</strong>er Ängste vor <strong>der</strong> Gruppe und<br />

den gruppalen Manipulationsversuchen verschließen muss.<br />

Im Folgenden trage ich Ihnen e<strong>in</strong>ige Ratschläge Foulk<strong>es</strong>’ für die Leitung von Gruppen<br />

vor, di<strong>es</strong> se<strong>in</strong>e Vorstellungen von <strong>Gruppenanalyse</strong> plastisch werden lassen.<br />

1. Foulk<strong>es</strong> deutet vor allem projektive und Übertragungsmechanismen, denn sie ma-<br />

chen e<strong>in</strong>en großen und relativ leicht wahrnehmbaren Teil <strong>der</strong> sichtbaren Gruppen-<br />

dynamik aus. Er plädiert jedoch für e<strong>in</strong>en sparsamen und zurückhaltenden Umgang<br />

mit Deutungen, und er gibt immer <strong>der</strong> Arbeit <strong>der</strong> Gruppe den Vorzug. Es geht ihm<br />

um die Entwicklung e<strong>in</strong><strong>es</strong> Gruppenproz<strong>es</strong>s<strong>es</strong>, e<strong>in</strong><strong>es</strong> eigenen Proz<strong>es</strong>s<strong>es</strong>, <strong>der</strong> die<br />

Gruppe auch <strong>in</strong> ihrer Autonomieentwicklung b<strong>es</strong>tärkt. Die Arbeit b<strong>es</strong>teht überwie-<br />

gend dar<strong>in</strong>, die Gruppe mit dem zu konfrontieren, was sie nicht versteht. Ich per-<br />

sönlich empf<strong>in</strong>de folgend<strong>es</strong> immer wie<strong>der</strong>, auch nach vielen Erfahrungen als e<strong>in</strong>e<br />

<strong>der</strong> schwierigen Gruppenleitungssituationen: Selber etwas zu merken, zu verstehen,<br />

<strong>es</strong> doch auf <strong>der</strong> Hand liegen zu sehen, die Irrungen und Wirrungen <strong>der</strong> Gruppe zu<br />

erleben und sie schier nicht mehr auszuhalten – und ihr die eigene Weisheit trotz-<br />

dem nicht auf dem silbernen Tablett zu servieren.<br />

Aus m<strong>in</strong>d<strong>es</strong>tens zwei Gründen verführen Gruppen dazu gerne. Sie wollen sich die<br />

b<strong>es</strong>chämenden Aspekte <strong>der</strong> Selbsterarbeitung gerne ersparen, und im Nichtverste-<br />

hen e<strong>in</strong>er Gruppensituation s<strong>in</strong>d ja viele <strong>in</strong>dividuelle Abwehrformationen und<br />

Schamkonflikte verborgen. In <strong>der</strong> Verführung d<strong>es</strong> Gruppenleiters bedienen sie aber<br />

auch gerne se<strong>in</strong>e Größenphantasien, und <strong>es</strong> kommt zu e<strong>in</strong>em Abwehrbündnis von<br />

Gruppe und Gruppenleitung: Der Gruppenleiter erspart <strong>der</strong> Gruppe die Scham d<strong>es</strong><br />

Proz<strong>es</strong>s<strong>es</strong> <strong>der</strong> Selbstentdeckung und er bedient ihre Abhängigkeitswünsche. Die<br />

8


Gruppe erspart ihm das Angsterleben, das dann entsteht, wenn e<strong>in</strong> Gruppenleiter<br />

sich ohne Macht auf die Irrungen und Wirrungen d<strong>es</strong> Erkenntnisproz<strong>es</strong>s<strong>es</strong> <strong>der</strong><br />

Gruppe e<strong>in</strong>lassen muss.<br />

2. Gegenüber <strong>der</strong> auch aus <strong>der</strong> E<strong>in</strong>zeltherapie bekannten an den e<strong>in</strong>zelnen Teilnehmer<br />

gerichteten Interpretation von projektivem o<strong>der</strong> übertragungsgeprägtem Material<br />

bevorzugt Foulk<strong>es</strong> Interpretationen, die die kommunikative Dynamik <strong>der</strong> Gruppe<br />

zum Gegenstand haben. Etwa: “Es sche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong>e Angst <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppe zu geben, man<br />

könnte zu sehr <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mittelpunkt geraten … aber zugleich will man doch nicht<br />

übersehen, überhört o<strong>der</strong> übergangen werden…“ Di<strong>es</strong>e Interventionsweise hilft<br />

die Wahrnehmung <strong>der</strong> Gruppe für ihre eigene Dynamik zu entwickeln. In <strong>der</strong> vor-<br />

sichtigen und zurückhaltenden Art, die Gruppe bei <strong>der</strong> Selbstwahrnehmung anzu-<br />

leiten, versucht er ihr selbstständig<strong>es</strong> Potential zur Entwicklung und Bearbeitung<br />

ihrer Anliegen zu för<strong>der</strong>n. Es ist gerade die auf die Wahrnehmung <strong>der</strong> Gruppe ge-<br />

richtete Interventionsweise, die den Gruppenmitglie<strong>der</strong>n hilft, die Beziehungen zu-<br />

e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> wahrzunehmen und sich ihrer Wünsche und Ängste zu vergegenwärtigen.<br />

3. Foulk<strong>es</strong> legt großen Wert darauf die aktuelle Dynamik unter den Gruppenmitglie-<br />

<strong>der</strong>n sowie zwischen E<strong>in</strong>zelnen, <strong>der</strong> Gruppe und dem Gruppenleiter im Hier und<br />

Jetzt angem<strong>es</strong>sen zu erfassen - selbstverständlich unter Berücksichtigung <strong>der</strong> je-<br />

weiligen Übertragungsanteile. Er verzichtet aber gerade d<strong>es</strong>halb auf Übertragungs-<br />

deutungen unter Bezugnahme auf Objekte <strong>der</strong> Vergangenheit. Für ihn erklären sie,<br />

statt dass sie das Durcharbeiten ermöglichen, denn sie führen zu e<strong>in</strong>er Ablenkung<br />

von den unmittelbaren Affekten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppe. Er sieht sie als defensive Aktionen<br />

d<strong>es</strong> Gruppenleiters auf die aggr<strong>es</strong>siven Strebungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppe an. O<strong>der</strong> auf die<br />

oft noch schwieriger zu ertragenden libid<strong>in</strong>ösen Strebungen <strong>der</strong> Gruppenmitglie-<br />

<strong>der</strong>.<br />

4. Foulk<strong>es</strong> nennt e<strong>in</strong>ige schwierige Verhaltensweise <strong>der</strong> Gruppenleitung; er markiert<br />

sie aber nicht so sehr als technische Fehler, son<strong>der</strong>n sucht sie, wie zuvor schon ge-<br />

sagt, als Versuche <strong>der</strong> Bewältigung eigener Ängste im Kontakt mit <strong>der</strong> Gruppe zu<br />

verstehen<br />

9


• Den defensiven Charakter von Übertragungsdeutungen habe ich schon genannt; zu<br />

tiefe Deutungen sche<strong>in</strong>en häufig dem Zweck zu dienen, eigene Hilflosigkeit mit<br />

dem Zerschlagen e<strong>in</strong><strong>es</strong> gordischen Knotens bewältigen zu wollen. O<strong>der</strong> sie s<strong>in</strong>d ei-<br />

ne Reaktion darauf, dass man aus Angst vor <strong>der</strong> Gruppe den Kontakt zu ihr verlo-<br />

ren hat und damit das G<strong>es</strong>pür davon, was e<strong>in</strong>e Gruppe gerade verträgt und wie ihre<br />

Abwehr orientiert ist.<br />

• Die Öffentlichkeit <strong>der</strong> Gruppe for<strong>der</strong>t vom Leiter immer wie<strong>der</strong> zu berücksichti-<br />

gen, dass die Gruppe e<strong>in</strong>e konfrontierende Deutung ebenfalls hört und dass das ge-<br />

deutete Gruppenmitglied <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e schwerwiegende Schamsituation kommen kann.<br />

Z.B. wenn man jemanden mit se<strong>in</strong>en wi<strong>der</strong>sprüchlichen Bemerkungen aus ver-<br />

schiedenen Stunden konfrontiert. E<strong>in</strong>e Gruppe, egal <strong>in</strong> welchem Entwicklungssta-<br />

dium braucht solche Interventionen nicht. Sie nehmen ihr die Arbeit ab, selber die<br />

unbewusst ohneh<strong>in</strong> wahrgenommenen Wi<strong>der</strong>sprüche artikulieren zu lernen und sie<br />

führen dazu, dass die Gruppenleitung den Platz an <strong>der</strong> Gruppengrenze e<strong>in</strong>büsst.<br />

• Verknüpfende Deutungen stellen Verb<strong>in</strong>dungen aus dem Material <strong>der</strong> Gruppe her<br />

und sie s<strong>in</strong>d für Gruppenleiter oft e<strong>in</strong> emotional-<strong>in</strong>tellektuell<strong>es</strong> Vergnügen, weil sie<br />

ihm die Arbeit abverlangen, die Schil<strong>der</strong>ungen auf ihren latenten Gehalt h<strong>in</strong> zu un-<br />

tersuchen. Für Foulk<strong>es</strong> dienen aber auch sie oft nur dazu, die Gruppe ihrer Denkfä-<br />

higkeit zu berauben. Bei unsicheren Gruppenleitern, so Mendelssohn, seien sie be-<br />

liebt, weil di<strong>es</strong>e hoffen, mit ihrem Nützlichmachen ihre Existenzberechtigung zu<br />

unterstreichen. Klassifizierende o<strong>der</strong> kategorisierende Deutungen reduzieren das<br />

Erleben <strong>der</strong> Gruppenteilnehmer. Sie führen weg von „<strong>der</strong> unmittelbaren affektiven<br />

Engagiertheit und <strong>der</strong> spezifischen Färbung d<strong>es</strong> Anlass<strong>es</strong>.“<br />

Nehmen wir di<strong>es</strong>e H<strong>in</strong>weise zur Gruppenleitung zusammen, so sieht Foulk<strong>es</strong> die we-<br />

sentliche Aufgabe <strong>der</strong> Gruppenleitung dar<strong>in</strong>, die Kommunikation <strong>der</strong> Gruppenteil-<br />

nehmer aufrecht zu halten. Und nicht dar<strong>in</strong>, mit richtigen Deutungen se<strong>in</strong>e eigene Po-<br />

sition <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppe als unanfechtbar zu stabilisieren. Er soll nur <strong>in</strong>tervenieren, wenn<br />

die Gruppenkommunikation stagniert, blockiert o<strong>der</strong> sich im Kreis dreht. E<strong>in</strong> Zitat von<br />

10


Foulk<strong>es</strong> unterstreicht die Bedeutung di<strong>es</strong>er Haltung, wenn er for<strong>der</strong>t, nur dann zu <strong>in</strong>-<br />

tervenieren, „wenn er (<strong>der</strong> Gruppenleiter) geduldig aber vergebens darauf gewartet hat,<br />

dass e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppe selber entsteht. Auch dann sei er b<strong>es</strong>ser beraten, die<br />

unbewussten Abwehrmechanismen und Wi<strong>der</strong>stände zu analysieren, welche die Grup-<br />

penmitglie<strong>der</strong> daran h<strong>in</strong><strong>der</strong>n, selber darauf zu kommen.“<br />

Für Foulk<strong>es</strong> entwickeln die Gruppenleitung e<strong>in</strong>e produktive Balance zwischen zwei<br />

sche<strong>in</strong>bar e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> entgegen g<strong>es</strong>etzten Polen: Der Gruppenleiter schützt e<strong>in</strong>erseits die<br />

Gruppenmitglie<strong>der</strong> und lässt allenfalls milde Traumatisierungen zu (e<strong>in</strong> Ausdruck <strong>der</strong><br />

Gruppenanalytiker<strong>in</strong> Urte F<strong>in</strong>ger-Dr<strong>es</strong>cher). Er sorgt an<strong>der</strong>erseits für die Situation<br />

e<strong>in</strong>er erträglichen Gleichgewichtsstörung. Er steuert das Verhältnis von konstruktiven<br />

und d<strong>es</strong>truktiven Tendenzen, zwischen aufrüttelnden und stützenden Wirkungen fort-<br />

während aus.<br />

Di<strong>es</strong>e Zusammenstellung macht deutlich, und so formuliert <strong>es</strong> auch Mendelssohn, dass<br />

die technische Kompetenz <strong>der</strong> Gruppenleitung von <strong>der</strong> persönlich ethischen Haltung<br />

d<strong>es</strong> Therapeuten abhängt. In <strong>der</strong> Gruppensituation ist <strong>der</strong> Analytiker mehr exponiert<br />

als h<strong>in</strong>ter <strong>der</strong> Couch; er wird mehr zum Vorbild genommen, ist aber auch Angriffen<br />

direkter ausg<strong>es</strong>etzt. Foulk<strong>es</strong> schreibt, dass se<strong>in</strong>e Qualifikation <strong>der</strong> entspricht, die man<br />

sich vom Führer e<strong>in</strong>er demokratischen Geme<strong>in</strong>schaft wünscht. Er muss, so Foulk<strong>es</strong>,<br />

<strong>der</strong> schweren Versuchung gewachsen se<strong>in</strong>, den lieben Gott zu spielen. Er muss immun<br />

werden gegen die Gefahr, die Gruppe zu se<strong>in</strong>er eigenen Befriedigung zu missbrau-<br />

chen. Das bedeutete, dass er se<strong>in</strong>en eigenen Ödipuskomplex befriedigt gelöst hat. Er<br />

liebt und achtet die Gruppe und will ihre Mitglie<strong>der</strong> zu selbstverantwortlichen Indivi-<br />

duen machen. Er möchte Unterwerfung durch Zusammenarbeit von Gleichen unter<br />

gleichen Bed<strong>in</strong>gungen ersetzen. Trotz se<strong>in</strong>er emotionalen Sensitivität hat er das Selbst-<br />

vertrauen, das aus B<strong>es</strong>cheidenheit entspr<strong>in</strong>gt. Se<strong>in</strong> Mut zu führen entsteht aus sozialer<br />

Verantwortung. (1974, 92)<br />

Foulk<strong>es</strong> ist <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Ratschlägen für die Gruppenleitung durchaus praktisch und direkt<br />

und ich greife e<strong>in</strong>ige auf:<br />

11


• Folgen Sie <strong>der</strong> Gruppe, hören sie zuerst zu, bevor Sie <strong>in</strong>tervenieren. Wenn Sie den-<br />

ken, dass Sie verstanden haben, hören Sie wie<strong>der</strong> zu, um zu sehen, ob Ihr E<strong>in</strong>druck<br />

berechtigt ist.<br />

• Es ist nicht Ihre normale Funktion <strong>der</strong> Gruppe Ihre E<strong>in</strong>sichten mitzuteilen, Deutun-<br />

gen zu geben. Schauen Sie, ob die Teilnehmer nicht selber zu Lösungen kommen,<br />

und wenn nicht, warum. Manchmal darf man, wenn nötig sanfte Hilf<strong>es</strong>tellungen<br />

geben. Verwende Sie das Analysieren und Deuten nicht – b<strong>es</strong>on<strong>der</strong>s genetische<br />

Deutungen – nicht zu Abwehzwecken<br />

• Versuchen Sie herauszuf<strong>in</strong>den, wie die Gruppe <strong>es</strong> anstellt, nicht zu verstehen, ne-<br />

benbei auch, wie je<strong>der</strong> Patient <strong>es</strong> anstellt, sich nicht zu verän<strong>der</strong>n. In <strong>der</strong> Analyse<br />

di<strong>es</strong>er Blockierungen können Sie durchaus aktiver se<strong>in</strong> und dazu beitragen, dass<br />

die unbewussten Beweggründe dafür erkannt werden. Wenn di<strong>es</strong>e Wi<strong>der</strong>stände von<br />

allen Gruppenmitglie<strong>der</strong>n geteilt werden, zeigen Sie di<strong>es</strong>e für alle auf, für die<br />

Gruppe als Ganz<strong>es</strong>, durch Konfrontation und durch Analyse d<strong>es</strong> Verhaltens, nicht<br />

alle<strong>in</strong>e durch die Deutung.<br />

• Fokussieren Sie auf das Bedürfnis d<strong>es</strong> Patienten krank zu se<strong>in</strong>, auf se<strong>in</strong>e Verteidi-<br />

gung se<strong>in</strong>er Krankheit uns se<strong>in</strong>e selbst-d<strong>es</strong>truktiven Tendenzen. Lassen Sie sich<br />

nicht <strong>in</strong> die Verantwortung h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> manipulieren, Sie müssten für se<strong>in</strong>e Heilung ge-<br />

rade stehen.<br />

Und zum Schluss: wenn Sie ratlos s<strong>in</strong>d, wenn ihnen auch die Analyse ihrer Gegen-<br />

übertragung ke<strong>in</strong>e erhellenden H<strong>in</strong>weise gibt, so vertrauen Sie durchaus <strong>der</strong> Gruppe.<br />

Die Gruppe trägt all<strong>es</strong> Wissen zur Überw<strong>in</strong>dung von Wi<strong>der</strong>ständen <strong>in</strong> sich und ist, oft<br />

viel b<strong>es</strong>ser als <strong>der</strong> Gruppenleiter <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage e<strong>in</strong>e Situation angem<strong>es</strong>sen zu <strong>in</strong>terpretie-<br />

ren und die Balance zwischen Progr<strong>es</strong>sion und D<strong>es</strong>truktion zu halten.<br />

Ich habe zum Verständnis <strong>der</strong> <strong>Gruppenanalyse</strong> das Thema Gruppenleitung gewählt,<br />

weil <strong>es</strong> zum e<strong>in</strong>en die Tätigkeit ist, <strong>in</strong> <strong>der</strong> viele von Ihnen viele eigene Erfahrungen<br />

haben und wir uns über unsere Erfahrungen verständigen können. Aber auch d<strong>es</strong>halb,<br />

12


weil ich mit dem Thema Gruppenleitung die Hoffnung verb<strong>in</strong>de, manche von Ihnen<br />

für die <strong>Gruppenanalyse</strong> zu <strong>in</strong>ter<strong>es</strong>sieren.<br />

Ich komme zu Bion.<br />

Bion<br />

Bions Vorstellung von <strong>der</strong> Gruppe ist radikal verschieden zu <strong>der</strong> von Foulk<strong>es</strong>. Für ihn<br />

ist die Gruppe immer e<strong>in</strong> temporär strukturiert<strong>es</strong> und aufgabenzentriert<strong>es</strong> Zusammen-<br />

kommen von Individuen. Bions frühe Tavistock Untersuchungen und se<strong>in</strong> experimen-<br />

teller Umgang mit Gruppen haben ihm mehr als Foulk<strong>es</strong> den Zugang zu archaischen<br />

Gruppenereignissen ermöglicht. Er betont <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en frühen Schriften immer, dass <strong>es</strong><br />

die Gruppe <strong>in</strong> <strong>der</strong> Realität nicht gibt. Sie existiere nur „<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Ansammlung von In-<br />

dividuen, die geme<strong>in</strong>sam archaische Phantasien darüber produzieren, dass <strong>es</strong> so etwas<br />

wie e<strong>in</strong>e Gruppe geben könnte“. Die Gruppe, die von ihren Teilnehmern um ihrer<br />

selbst willen leben o<strong>der</strong> überleben soll, bleibt für ihn e<strong>in</strong> Phantasma. Er versteht sie als<br />

e<strong>in</strong>e psychische Abwehrstruktur. Bion me<strong>in</strong>t kritisch, dass ihre so genannte Kultur nur<br />

zur Normierung und Regulierung <strong>der</strong> <strong>in</strong>dividuellen Leidenschaften <strong>der</strong> Teilnehmer<br />

diene. Nach me<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>druck hat Bion mit Gruppen mehr aus dem Inter<strong>es</strong>se ge-<br />

forscht, etwas vom Erleben <strong>der</strong> Individuen zu verstehen, um zu ihren tieferen Schich-<br />

ten vorzudr<strong>in</strong>gen. Er entwickelte nie das therapeutische Inter<strong>es</strong>se von Foulk<strong>es</strong>, das die-<br />

sen das enorme heilende Potential <strong>der</strong> Gruppe hat entdecken lassen.<br />

Bions Grundannahmen jedoch, se<strong>in</strong>e F<strong>es</strong>tstellungen über Funktionsweisen von Grup-<br />

pen gehören heute zum gruppenanalytischen Allgeme<strong>in</strong>wissen. Abhängigkeit, Kampf-<br />

Flucht und Paarbildung stellen für ihn die <strong>in</strong>st<strong>in</strong>ktiven geme<strong>in</strong>samen Selbsthilfelösun-<br />

gen <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er Gruppe dar, die sich <strong>der</strong> Leiterlosigkeit ausg<strong>es</strong>etzt fühlt. Ich<br />

zitiere hier nach Mendelssohn die zu den drei Grundannahmen gehörenden Gruppen-<br />

phantasien <strong>in</strong> ihrer typischen Kle<strong>in</strong>ianischen Expr<strong>es</strong>sivität: a) die depr<strong>es</strong>siv abhängige<br />

Hoffnung auf e<strong>in</strong>e göttliche Hilfe o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e nährende Brust, b) den Konflikt um die<br />

B<strong>es</strong>etzung <strong>der</strong> Leerstelle <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppe und c) die m<strong>es</strong>sianische Hoffnung auf Erlö-<br />

sung durch e<strong>in</strong>e sexuelle Vere<strong>in</strong>igung, die das erwünschte Neue hervorbr<strong>in</strong>gen kann.<br />

Das Neue, das die Gruppe nicht glaubt, errechen zu können.<br />

13


Für Bion ist das Individuum die primäre E<strong>in</strong>heit; er stellt <strong>es</strong> im emphatischen S<strong>in</strong>n<br />

immer <strong>in</strong> den Mittelpunkt - <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Kampf um die eigene Individualität <strong>in</strong> <strong>der</strong> Aus-<br />

e<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> Gruppe. Der Kampf d<strong>es</strong> Individuums, so Bion, b<strong>es</strong>tehe dar-<br />

<strong>in</strong>, am emotionalen Leben <strong>der</strong> Gruppe teilzuhaben, sich dabei dennoch selber treu zu<br />

bleiben, nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Herde <strong>der</strong> Grundannahmen-Menschen aufzugehen, sich nicht von<br />

ihren sozialen Normierung vere<strong>in</strong>nahmen zu lassen.<br />

Bion formuliert di<strong>es</strong> nicht aus e<strong>in</strong>er therapeutisch p<strong>es</strong>simistischen Position heraus. Er<br />

vergleicht di<strong>es</strong>e Anstrengungen vielmehr mit denen, die <strong>der</strong> Säugl<strong>in</strong>g bewältigen<br />

muss, wenn er e<strong>in</strong>en befriedigenden Kontakt zur mütterlichen Brust herstellen will.<br />

Mendelssohn, e<strong>in</strong> exzellenter Kenner d<strong>es</strong> Bionschen Werk<strong>es</strong> stellt f<strong>es</strong>t, dass Bions<br />

Deutungen sich niemals an die Gruppe, wie an e<strong>in</strong> W<strong>es</strong>en richten – was fälschlicher<br />

Weise oft so verstanden wird. Er adr<strong>es</strong>siert sie fast ausschließlich an den E<strong>in</strong>zelnen, <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>en Versuchen, mit <strong>der</strong> Gruppe <strong>in</strong> Kontakte zu kommen und se<strong>in</strong>em Erleben, wie die<br />

Gruppe darauf reagiert. In se<strong>in</strong>er b<strong>es</strong>on<strong>der</strong>s str<strong>in</strong>genten Zurückhaltung, se<strong>in</strong>er Art von<br />

kryptisch-sph<strong>in</strong>xhafter Abst<strong>in</strong>enz lag e<strong>in</strong>e Fähigkeit, tiefere Schichten d<strong>es</strong> psychischen<br />

Funktionsniveaus freizulegen. Bion konnte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er zuweilen atemberaubend unbefan-<br />

genen und experimentell zumutenden Weise mit Gruppen umgehen. In Erfahrungen<br />

mit Gruppen und an<strong>der</strong>en Schriften ist di<strong>es</strong> nachzul<strong>es</strong>en. Es war di<strong>es</strong>e Art, die <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Gruppe und <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Gegenübertragung <strong>in</strong> b<strong>es</strong>on<strong>der</strong>er Weise zur Belebung und zum<br />

Verstehen abg<strong>es</strong>paltener Affekte beigetragen hat. Untersucht man e<strong>in</strong>zelne se<strong>in</strong>er In-<br />

terventionen, so kann man verschiedene Ebenen erkennen, die se<strong>in</strong>e Grundhaltung als<br />

Gruppenleiter ausmachen. Er b<strong>es</strong>chäftigt sich mit<br />

a) dem geme<strong>in</strong>samen Phantasma als e<strong>in</strong>er Abwehrformation, das alle Gruppen-<br />

mitglie<strong>der</strong> teilen<br />

b) <strong>der</strong> Abspaltung und <strong>der</strong> projektiven Verarbeitung von d<strong>es</strong>truktiven Impulsen<br />

und Vorstellungen,<br />

c) <strong>der</strong> permanenten Dialektik zwischen dem E<strong>in</strong>zelnen und <strong>der</strong> Gruppe und den<br />

damit verbundenen Schwierigkeiten, die beide bei ihren Versuchen erleben,<br />

vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong> etwas Gut<strong>es</strong> zu bekommen. Letzter<strong>es</strong> ist übrigens e<strong>in</strong>e sehr nützli-<br />

14


che Wahrnehmungse<strong>in</strong>stellung, weil sie auch den Gruppenmitglie<strong>der</strong>n relativ<br />

leicht zugänglich ist.<br />

Wenn Bion <strong>es</strong> als die Hauptaufgabe e<strong>in</strong>er Gruppe ansieht, das Conta<strong>in</strong>ment von psy-<br />

chischem Schmerz zu erhalten, dann sieht er die Aufgabe d<strong>es</strong> Gruppenleiters dar<strong>in</strong>,<br />

di<strong>es</strong>en Proz<strong>es</strong>s zu unterstützen und ihn <strong>in</strong> Gang zuhalten. Bions Sprache ist zwar völlig<br />

verschieden von <strong>der</strong> Foulk<strong>es</strong>schen. Es geht aber um nichts an<strong>der</strong><strong>es</strong>, wenn Foulk<strong>es</strong> von<br />

<strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> Kommunikation über die w<strong>es</strong>entlichen D<strong>in</strong>ge d<strong>es</strong> Gruppenlebens<br />

spricht. Während Foulk<strong>es</strong> von e<strong>in</strong>em Gruppenleiter im ethisch-demokratischen S<strong>in</strong>n<br />

spricht, skizziert Bion <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Spätwerk den Entwurf von e<strong>in</strong>em Gruppenanalytiker<br />

als „e<strong>in</strong>em Mystiker <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppe“. Ich glaube, di<strong>es</strong>e mystische Position entwickelt er<br />

aus e<strong>in</strong>em tiefen Misstrauen gegenüber <strong>der</strong> Macht <strong>der</strong> gruppalen Abwehrmechanis-<br />

men, denn di<strong>es</strong>e laufen immer Gefahr, den Gruppenleiter <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e technisch verkleidete<br />

Erstarrung zu versetzen. Foulk<strong>es</strong> Mittel gegen das Gift <strong>der</strong> Erstarrung, die sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

glatten Deutungstechnik äußert, ist die jeweilige affektive Bezogenheit d<strong>es</strong> Gruppenlei-<br />

ters im hier und jetzt <strong>der</strong> Gruppe – sie ist für ihn <strong>der</strong> Beitrag d<strong>es</strong> Gruppenleiters zur<br />

Vitalisierung <strong>der</strong> Gruppenbeziehungen. Bions Interventionen, die d<strong>es</strong> Mystikers <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Gruppe sollen „e<strong>in</strong>e paradoxe, bildhafte und mehrdeutige Wirkung haben, um nicht<br />

dem Status quo <strong>der</strong> Gruppe anheim zu fallen“. Mendelssohn me<strong>in</strong>t mit Status quo <strong>der</strong><br />

Gruppe den Zustand <strong>der</strong> tödlichen Langeweile, die <strong>in</strong> Gruppen aufkommen kann. Es<br />

ist di<strong>es</strong>er unerträgliche Zustand, wenn <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppe all<strong>es</strong> nach den Regeln <strong>der</strong> Kunst<br />

mögliche getan wurde, ohne den Boden für neue Ideen und Vorstellungen zu bereiten.<br />

Aber gerade darum geht <strong>es</strong> Bion: Um die Auferstehung, um die Erschaffung d<strong>es</strong> Neuen<br />

aus dem Alten, di<strong>es</strong> versucht er mit se<strong>in</strong>er Haltung als Gruppenleiter zu erreichen.<br />

Es gibt dafür ke<strong>in</strong>en vorg<strong>es</strong>chriebenen f<strong>es</strong>ten Weg. Es sche<strong>in</strong>t eher so etwas wie e<strong>in</strong><br />

jenseits <strong>der</strong> Gruppenarbeit zu se<strong>in</strong>, wie man sie lege artis normalerweise tut. Etwas,<br />

was er an e<strong>in</strong>er Stelle e<strong>in</strong>en Zustand von Reverie nennt; e<strong>in</strong>en Zustand, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>em wa-<br />

chen Träumen ähnelt. Wenn <strong>es</strong>, ich zitiere Bion, without memory and d<strong>es</strong>ire g<strong>es</strong>chieht,<br />

also ohne sich an das Vergangene zu halten, ohne sich an e<strong>in</strong>em Wunsch für die Zu-<br />

kunft d<strong>es</strong> Proz<strong>es</strong>s<strong>es</strong> zu orientieren, kann die Gruppenleitung den latenten Traum <strong>der</strong><br />

15


Gruppe manchmal e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong><strong>es</strong>, aber wichtig<strong>es</strong> Stück vorausträumen und den gruppalen<br />

Status Quo überw<strong>in</strong>den.<br />

Ich komme zum Schluss di<strong>es</strong><strong>es</strong> Abschnitts.<br />

Wahrsche<strong>in</strong>lich treffen sich Bion und Mendelssohn hier mit Grotjan, <strong>der</strong> immer vertre-<br />

ten hat, die <strong>Gruppenanalyse</strong> sei ke<strong>in</strong> Handwerk, vielmehr e<strong>in</strong>e Kunst. In <strong>der</strong> kurzen<br />

Untersuchung e<strong>in</strong>er eigenen Fallvignette schlägt Mendelssohn die folgende Haltung<br />

vor: Von drei möglichen Deutungen auf unterschiedlichen dynamischen Ebenen kön-<br />

nen durchaus alle drei richtig se<strong>in</strong>. Und er kann <strong>es</strong> dennoch nicht vertreten, sich für<br />

e<strong>in</strong>e von dreien zu entscheide. Sie können alle drei, wiewohl technisch korrekt, alle-<br />

samt falsch se<strong>in</strong>, weil sie sich „bereits viel zu lange <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er rout<strong>in</strong>ierten Form verfe-<br />

stigt haben, unweigerlich verbraucht und unlebendig wirken“. Da, so Mendelssohn,<br />

kann <strong>es</strong> b<strong>es</strong>ser se<strong>in</strong>, noch zu warten, bis etwas Unerwartet<strong>es</strong> kommt, e<strong>in</strong> Bild, e<strong>in</strong>e<br />

Vorstellung, e<strong>in</strong>e Beobachtung, die nicht di<strong>es</strong>em handwerklichen Rahmen angepasst<br />

ersche<strong>in</strong>t. Dafür braucht <strong>es</strong> etwas vom Mut und <strong>der</strong> Zuversicht, die Bion so eigen war.<br />

Ich komme zum dritten Teil me<strong>in</strong><strong>es</strong> Vortrags, <strong>in</strong> dem ich versuche Ihnen zwei neuere<br />

theoretische Entwicklungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Gruppenanalyse</strong> nahe zu br<strong>in</strong>gen; Entwicklungen,<br />

die am Londoner Institut of group-analysis entstanden s<strong>in</strong>d. Ich spreche zunächst über<br />

die theoretische Entwicklung d<strong>es</strong> Konzepts <strong>der</strong> Anti-Group von Morris Nitsun und<br />

dann über die Weiterentwicklung <strong>der</strong> orthodoxen Foulk<strong>es</strong>schen Theorie zu <strong>der</strong> e<strong>in</strong><strong>es</strong><br />

radikalisierten Foulk<strong>es</strong> durch Farhad Dalal.<br />

Die Anti–Group<br />

Morris Nitsun kritisiert an Foulk<strong>es</strong> se<strong>in</strong>e zu positive Me<strong>in</strong>ung über Gruppenproz<strong>es</strong>se<br />

und stellt anhand von Fallbeispielen den konstruktiven Gruppenproz<strong>es</strong>sen die, wie er<br />

sagt, anti-gruppalen Proz<strong>es</strong>se gegenüber. Er me<strong>in</strong>t damit d<strong>es</strong>truktive Gruppenproz<strong>es</strong>-<br />

se, die Sie alle aus Ihrer Praxis, wie auch aus dem sozialen Leben kennen werden. Sol-<br />

che Proz<strong>es</strong>se können für die Entwicklung e<strong>in</strong>er Gruppe tödlich se<strong>in</strong>, wenn sie vom<br />

Gruppenleiter und <strong>der</strong> Gruppe nicht beachtet werden. Vor allem <strong>in</strong> den USA hat Kon-<br />

zept <strong>der</strong> Anti-Gruppe e<strong>in</strong>e breite Diskussion ausgelöst und wird auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> amerikani-<br />

schen Gruppenpsychotherapi<strong>es</strong>zene sehr bereitwillig aufgenommen. Mit se<strong>in</strong>er An-<br />

16


wendung wird die Hoffnung verbunden, E<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> d<strong>es</strong>truktive, gewalttätige g<strong>es</strong>ell-<br />

schaftliche Proz<strong>es</strong>se zu gew<strong>in</strong>nen. Auf Kongr<strong>es</strong>sen <strong>der</strong> amerikanischen Group Psy-<br />

chotherapy Association, tritt di<strong>es</strong><strong>es</strong> Suchen nach Erklärungen für Gewalt vor allem <strong>in</strong><br />

den dort stattf<strong>in</strong>denden Großgruppen sehr deutlich zutage, die immer von Gruppenana-<br />

lytikern geleitet werden. Der Präsident <strong>der</strong> amerikanischen Gruppenpsychotherapie-<br />

G<strong>es</strong>ellschaft, Harold Bernard, hatte se<strong>in</strong> E<strong>in</strong>leitungsreferat 2002 ganz auf das Konzept<br />

<strong>der</strong> Anti-Gruppe g<strong>es</strong>tützt. Er versucht mit ihm <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> amerikanischen G<strong>es</strong>ell-<br />

schaft und <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> amerikanischen Gruppenpsychotherapie-G<strong>es</strong>ellschaft d<strong>es</strong>truk-<br />

tive Gruppenproz<strong>es</strong>se zu identifizieren.<br />

Das Konzept ersche<strong>in</strong>t zunächst e<strong>in</strong>leuchtend, aber aus e<strong>in</strong>er entwicklungspsychologi-<br />

schen Sicht, die sich an W<strong>in</strong>nicott anlehnt, eröffnet sich e<strong>in</strong> Verstehen für die kon-<br />

struktive Potenz <strong>der</strong> D<strong>es</strong>truktivität. Werner Knauss hat unter dem Titel die Kreativität<br />

d<strong>es</strong>truktiver Phantasien schon im Heft 2/97 <strong>der</strong> gruppenanalyse dazu g<strong>es</strong>chrieben.<br />

Danach werden d<strong>es</strong>truktive Gruppenproz<strong>es</strong>se nur dann zur Gefahr, wenn die damit<br />

zusammenhängenden, unbewussten d<strong>es</strong>truktiven Fantasien <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gruppe nicht<br />

kommuniziert werden können. E<strong>in</strong>e zentrale und gefährliche Rolle spielt bei di<strong>es</strong>er<br />

Nichtkommunikation die Abspaltung <strong>der</strong> Fantasie vom Gefühlsleben - also die affekti-<br />

ve Isolierung <strong>der</strong> d<strong>es</strong>truktiven Fantasie. Di<strong>es</strong>e Abwehr, so Knauss kann nur dann auf-<br />

gegeben werden, wenn die d<strong>es</strong>truktiven Fantasien im affektiven Erleben <strong>der</strong> Gruppe<br />

bewusst Bedeutung gew<strong>in</strong>nen und wie<strong>der</strong> belebt werden können. Wird di<strong>es</strong>e Ebene d<strong>es</strong><br />

Verstehens nicht erreicht, kommt <strong>es</strong> zu e<strong>in</strong>er weiteren Verdrängung <strong>der</strong> d<strong>es</strong>truktiven<br />

Fantasien. Das Verstehen, <strong>der</strong> erlebte Zusammenhang von Fantasie und Affekt de-<br />

struktiver Proz<strong>es</strong>se kann <strong>in</strong> regr<strong>es</strong>siven Gruppensituationen die E<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> den Zu-<br />

sammenhang von d<strong>es</strong>truktiven Fantasien und frühen Trennungssituationen ermögli-<br />

chen.<br />

Knauss weißt darauf h<strong>in</strong>, dass di<strong>es</strong> Konsequenzen hat für das Verständnis von Ausbil-<br />

dungsproz<strong>es</strong>sen <strong>in</strong> gruppenanalytischen Instituten: Regelmäßig werden <strong>in</strong> gruppenana-<br />

lytischen Ausbildungsproz<strong>es</strong>sen solche Fantasien und Regr<strong>es</strong>sionen virulent, wenn <strong>es</strong><br />

um die Ablösung <strong>der</strong> Gruppe vom Leiter geht. Di<strong>es</strong> tritt b<strong>es</strong>on<strong>der</strong>s an dem Punkt auf,<br />

an dem die Gruppenmitglie<strong>der</strong> ihre eigenen Gruppen zusammenstellen und leiten sol-<br />

17


len. Hier treten massive Abhängigkeitswünsche vom Leiter auf, er solle ihnen sagen,<br />

wie man <strong>es</strong> richtig macht etc. Wenn die Analyse tiefer gehen kann, werden d<strong>es</strong>truktive<br />

Übertragungsfantasien bewusst. Wie z.B. den Leiter umzubr<strong>in</strong>gen, ihm genüsslich die<br />

Haut abzuziehen, ihn sich e<strong>in</strong>zuverleiben und sich an se<strong>in</strong>e Stelle zu setzen. Wird die-<br />

se Phase <strong>der</strong> Ablösung und Verselbstständigung nicht ausreichend <strong>in</strong> gruppenanalyti-<br />

schen Weiterbildungsproz<strong>es</strong>sen bearbeitet, kann <strong>es</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge <strong>in</strong> Instituten zu Spal-<br />

tungsproz<strong>es</strong>sen kommen, zu heftigen, kaum mehr nachvollziehbaren und kaum zu ü-<br />

berbrückenden Konflikten. Nitsun hat also die kreative Kraft d<strong>es</strong>truktiver Fantasien<br />

nicht bis zu <strong>der</strong>en regr<strong>es</strong>siven Wurzeln <strong>in</strong> <strong>der</strong> frühen Trennung aus <strong>der</strong> Symbiose ver-<br />

folgt und dadurch <strong>der</strong>en kreative Kraft für die Trennungsproz<strong>es</strong>se nicht erkannt. Er hat<br />

die gruppale D<strong>es</strong>truktivität verabsolutiert, verd<strong>in</strong>glicht, was man, selber als e<strong>in</strong>en ma-<br />

gischen regr<strong>es</strong>siven Proz<strong>es</strong>s ansehen kann. D<strong>es</strong>wegen bleibt se<strong>in</strong> Vorgehen mehr im<br />

Bereich <strong>der</strong> Sozialtechnologie, wenn er versucht, den d<strong>es</strong>truktiven Proz<strong>es</strong>sen kreative<br />

Proz<strong>es</strong>se entgegenzustellen und sie, ganz im S<strong>in</strong>ne von Melanie Kle<strong>in</strong>, so lange zu<br />

conta<strong>in</strong>en, bis die positiven Kräfte die Überhand gew<strong>in</strong>nen.<br />

Der radikalisierte Foulk<strong>es</strong><br />

E<strong>in</strong>e weitere aus dem Institute of Group Analysis (London) kommende Weiterent-<br />

wicklung stellt die Kritik von Farhad Dalal am orthodoxen Foulk<strong>es</strong> dar. Er radikali-<br />

siert die Foulk<strong>es</strong>schen Gedanken <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Buch „Tak<strong>in</strong>g the group seriously“ (1999,<br />

London). Im Rahmen di<strong>es</strong><strong>es</strong> Vortrags kann ich darauf nicht ausführlich e<strong>in</strong>gehen und<br />

möchte an se<strong>in</strong>er Arbeit zum sozialen Unbewussten (group analysis 34(4), 12/2001,<br />

S.539-56) e<strong>in</strong>ige Gedankengänge anknüpfen. Dalal kritisiert am orthodoxen Foulk<strong>es</strong>,<br />

dass er doch <strong>der</strong> Individualpsychoanalyse <strong>in</strong> weiten Teilen se<strong>in</strong>er Theorie verhaftet<br />

geblieben sei. Und trotzdem, das nennt er den radikalen Foulk<strong>es</strong>, habe er e<strong>in</strong> konse-<br />

quent<strong>es</strong> gruppenanalytisch<strong>es</strong> Denken für alle Bereiche angelegt. Im Begriff d<strong>es</strong> sozia-<br />

len Unbewussten, so die Kritik von Dalal, sei e<strong>in</strong>g<strong>es</strong>chlossen, dass <strong>es</strong> auch e<strong>in</strong> Unbe-<br />

wusst<strong>es</strong> gebe, das nicht sozial sei. Folglich verf<strong>es</strong>tige die Verwendung d<strong>es</strong> Begriffs die<br />

Schwierigkeit, die er überw<strong>in</strong>den wolle. Beim radikalen Foulk<strong>es</strong>, so Dalal, gebe <strong>es</strong><br />

dann nur noch e<strong>in</strong> Unbewusst<strong>es</strong>. Di<strong>es</strong> könne nicht an<strong>der</strong>s gedacht werden, als e<strong>in</strong><br />

gruppal<strong>es</strong> Unbewusst<strong>es</strong>. Konsequent versteht Dalal alle psychischen Strukturen e<strong>in</strong>-<br />

schließlich d<strong>es</strong> Unbewussten als Ergebnisse von Gruppenerfahrungen. In di<strong>es</strong>em S<strong>in</strong>ne<br />

18


könne auch nicht mehr von e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>dividuellen Identität im Unterschied zu e<strong>in</strong>er Grup-<br />

penidentität g<strong>es</strong>prochen werden. Nur noch von Identität.<br />

Dalal erweitert die Foulk<strong>es</strong>sche Vorstellung, dass die Gruppe, die Beziehung zwischen<br />

Menschen, die primäre psychosoziale E<strong>in</strong>heit sei, um den Aspekt <strong>der</strong> Machtbeziehun-<br />

gen. Er bezieht sich dabei auf die prom<strong>in</strong>ente Kritik von Norbert Elias am soziologi-<br />

schen Reduktionismus mit dem Ergebnis, dass „ Ich“ und „Wir“ auch aus Machtbezie-<br />

hungen <strong>in</strong> und zwischen Gruppen entstehen. Se<strong>in</strong> Fazit lautet: das Unbewusste ist auf<br />

je<strong>der</strong> Ebene und <strong>in</strong> je<strong>der</strong> Dynamik durch soziale Machtbeziehungen konstituiert.<br />

Knauss, <strong>der</strong> di<strong>es</strong>e Radikalisierung von Foulk<strong>es</strong> durch Dalal teilweise mitgeht, wendet<br />

zugleich folgend<strong>es</strong> e<strong>in</strong>: Dalal vernachlässige, wie übrigens viele systemtheoretisch<br />

orientierte Denker, die Frage <strong>der</strong> Subjektivität und <strong>der</strong> E<strong>in</strong>zigartigkeit e<strong>in</strong><strong>es</strong> jeden<br />

Menschen. Subjektivität und E<strong>in</strong>zigartigkeit s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tat beid<strong>es</strong> Begriffe, die das<br />

Individuum gegen Nivellierungsproz<strong>es</strong>se <strong>in</strong> Gruppen schützen. Proz<strong>es</strong>se, die dem In-<br />

dividuum vor allem <strong>in</strong> Massenbewegungen sehr gefährlich werden können. Selbst ge-<br />

klonte Individuen haben ke<strong>in</strong>e geklonte Biographie und G<strong>es</strong>chichte. Subjektivität und<br />

E<strong>in</strong>zigartigkeit, das kann man an vielen Untersuchungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zwill<strong>in</strong>gsforschung an<br />

e<strong>in</strong>eiigen Zwill<strong>in</strong>gen sehen, s<strong>in</strong>d Entwicklungsproz<strong>es</strong>se, die immer schon im sozialen<br />

Zusammenhang e<strong>in</strong>er Gruppe, Kultur o<strong>der</strong> G<strong>es</strong>ellschaft stattf<strong>in</strong>den.<br />

Subjektivität und E<strong>in</strong>zigartigkeit s<strong>in</strong>d aber für die Interaktion und die Kommunikation<br />

zwischen den Gruppenmitglie<strong>der</strong>n von unabd<strong>in</strong>gbarer und nicht reduzierbarer Bedeu-<br />

tung. Die Diversivität <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Gruppenmitglie<strong>der</strong>, ihre Subjektivität und E<strong>in</strong>zig-<br />

artigkeit, wird bei Dalal theoretisch <strong>in</strong> ihrer Bedeutung für den Kommunikationspro-<br />

z<strong>es</strong>s unter gleichberechtigten Gruppenmitglie<strong>der</strong>n zu wenig reflektiert. Hierzu Haber-<br />

mas:( Die E<strong>in</strong>beziehung d<strong>es</strong> An<strong>der</strong>en. Studien zur politischen Theorie. Taschenbuch,<br />

Frankfurt 1999, S.19): „Die auf Mitgliedschaft begründete „Solidarität“ er<strong>in</strong>nert an<br />

das soziale Band, das alle vere<strong>in</strong>igt: E<strong>in</strong>er steht für den an<strong>der</strong>en e<strong>in</strong>. Der unerbittliche<br />

Egalitarismus <strong>der</strong> „Gerechtigkeit“ for<strong>der</strong>t h<strong>in</strong>gegen Sensibilität für die Unterschiede,<br />

die das e<strong>in</strong>e Individuum vom an<strong>der</strong>en trennen: Je<strong>der</strong> verlangt, vom an<strong>der</strong>en <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

An<strong>der</strong>sartigkeit geachtet zu werden.“ Das ist e<strong>in</strong> gruppenanalytisch<strong>es</strong> Credo, dem<br />

19


sich Foulk<strong>es</strong> und Bion gleichermaßen verpflichtet fühlen. Das Grundg<strong>es</strong>etz <strong>der</strong> Grup-<br />

penanalyse ist eigentlich e<strong>in</strong> soziologisch<strong>es</strong>: Die Gruppe schafft sich geme<strong>in</strong>sam<br />

diejenige Norm, von <strong>der</strong> je<strong>der</strong> <strong>in</strong>dividuell abweicht. Die Kommunikation über die<br />

je <strong>in</strong>dividuellen Abweichungen macht die Norm bewusst und somit verän<strong>der</strong>bar.<br />

Konflikte, die damit zusammenhängen, werden so e<strong>in</strong>er bewussten Kommunika-<br />

tion zugänglich. Das ist durchaus auch e<strong>in</strong> <strong>in</strong>ter<strong>es</strong>santer G<strong>es</strong>ichtspunkt für die Ent-<br />

wicklung e<strong>in</strong><strong>es</strong> gruppenanalytischen Instituts.<br />

Sie sehen, das Neue, das ich Ihnen hier vorg<strong>es</strong>tellt habe hat nicht den Charakter von<br />

akademischen F<strong>in</strong><strong>es</strong>sen. Es reflektiert vielmehr aktuelle soziale und g<strong>es</strong>ellschaftliche<br />

Entwicklungen. Es stellt ernsthafte Bemühungen dar, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er sich wandelnden Welt<br />

<strong>der</strong>en Auswirkungen auf die Gruppe und ihre Mitglie<strong>der</strong> zu erforschen und das Wir-<br />

kungspotential <strong>der</strong> <strong>Gruppenanalyse</strong> zu erweitern. Ich halte <strong>es</strong> für beträchtlich. Die<br />

<strong>Gruppenanalyse</strong> ist e<strong>in</strong> Instrument nicht nur <strong>der</strong> Behandlung <strong>in</strong> und von Gruppen. Ne-<br />

ben den G<strong>es</strong>ichtspunkten, die ich hier her entwickelt habe, steckt das Neue <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Gruppenanalyse</strong> auch <strong>in</strong> ihrer Potenz zur kommunikativen und organisatorischen Ent-<br />

wicklung von neuen Praxisfel<strong>der</strong>n. Die <strong>Gruppenanalyse</strong> schafft Neu<strong>es</strong> im sich kom-<br />

munikativ Verbreiten und dar<strong>in</strong>, sich theoretisch und praktisch <strong>in</strong> neue Wirkungsfel-<br />

<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>zumischen. Der Gruppenanalytische Blick eröffnet an<strong>der</strong>e E<strong>in</strong>sichten <strong>in</strong> die<br />

Konfliktzusammenhänge z.B. <strong>in</strong> Schule, Jugendhilfe und G<strong>es</strong>undheitsw<strong>es</strong>en. Grup-<br />

penanalytisch<strong>es</strong> Wissen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Arbeit di<strong>es</strong>er Bereiche e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen, verän<strong>der</strong>t gruppale<br />

und organisationale Wirkungszusammenhänge. Die Gruppenanalytische Haltung auf<br />

neue Fel<strong>der</strong> anzuwenden, den Wurzeln d<strong>es</strong> D<strong>es</strong>truktiven <strong>in</strong> solchen Fel<strong>der</strong>n gewahr zu<br />

werden, sie aufzudecken und neue <strong>in</strong>stitutionelle Lösungen zu entwickeln, bedeutet<br />

das Potential <strong>der</strong> <strong>Gruppenanalyse</strong> auszuschöpfen.<br />

Wechsle ich von <strong>der</strong> theoretischen Erörterung zu dem, was unser Institut praktisch<br />

und methodisch an Erweiterung entwickeln könnte so sehe ich neben <strong>der</strong> B<strong>es</strong>chäfti-<br />

gung mit <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> gruppenanalytischen Weiterbildung die folgenden The-<br />

men und Anwendungsfel<strong>der</strong>.<br />

20


Die Teamsupervision und Organisationsberatung<br />

Bei <strong>der</strong> ersten Fachtagung <strong>der</strong> Sektion Analytische Gruppenpsychotherapie zur grup-<br />

penanalytischen Teamsupervision und Organisationsberatung wurde als Ergebnis for-<br />

muliert, dass das Spezifische e<strong>in</strong><strong>es</strong> gruppenanalytischen Ansatz<strong>es</strong> die Thematisierung<br />

unbewusster Gruppenproz<strong>es</strong>se und die Thematisierung von Fantasien und Gefühlen<br />

darstelle. Welchen Wert die Thematisierung unbewusster Gruppenproz<strong>es</strong>se und die<br />

Kommunikation über Gefühle und Fantasien <strong>in</strong> Arbeitsgruppen, Teamgruppen und bei<br />

<strong>der</strong> Organisationsentwicklung hat, muss weiter ausgearbeitet werden. G<strong>es</strong>ichert ist,<br />

dass auch das Handeln <strong>der</strong> Gruppenteilnehmer <strong>in</strong> Arbeitsgruppen von unbewussten<br />

Proz<strong>es</strong>sen b<strong>es</strong>timmt wird. In gruppendynamischen und systemtheoretischen Organi-<br />

grammen bleibt ke<strong>in</strong> Platz für das Unbewusste. Di<strong>es</strong> kann dazu führen, dass zwar die<br />

Diagramme Klarheit über die unterschiedlichen Strukturen e<strong>in</strong>er Organisation ver-<br />

schaffen, aber nicht verstehbar machen, warum das nicht so funktioniert wie <strong>es</strong> im Or-<br />

ganigramm vorg<strong>es</strong>ehen ist.<br />

Gruppenanalytische Bal<strong>in</strong>t-Gruppen<br />

Die traditionelle Bal<strong>in</strong>t-Arbeit fokussiert kurze Episoden <strong>der</strong> Interaktion zwischen<br />

Arzt und Patient, Lehrer und Schüler etc. Unberücksichtigt bleibt sowohl <strong>der</strong> Grup-<br />

penproz<strong>es</strong>s <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bal<strong>in</strong>t-Gruppe wie auch die gruppalen und <strong>in</strong>stitutionellen Zusam-<br />

menhänge <strong>der</strong> kurzen Interaktionen, die untersucht werden, die unbewussten <strong>in</strong>stitu-<br />

tionellen Übertragungsproz<strong>es</strong>se. Die gruppenanalytische Bal<strong>in</strong>t-Gruppenarbeit sucht<br />

di<strong>es</strong>e genau <strong>in</strong>s Zentrum zu rücken, was auf die Teilnehmer an <strong>der</strong> gruppenanalyti-<br />

schen Bal<strong>in</strong>t-Gruppe zunächst sehr befremdlich wirkt. Sie können weniger distanziert<br />

bleiben, quasi den Patienten nicht mehr wie von außen betrachten. Sie bekommen im<br />

zunächst unbewussten Gruppenproz<strong>es</strong>s, <strong>in</strong> den sowohl Arzt wie Patient verstrickt s<strong>in</strong>d,<br />

die unbewussten Kommunikationskonflikte <strong>der</strong> zur Diskussion g<strong>es</strong>tellten Szene ge-<br />

spiegelt und werden emotional dar<strong>in</strong> verwickelt. Di<strong>es</strong>en Proz<strong>es</strong>s abzugrenzen gegen<br />

e<strong>in</strong>e Selbsterfahrungsgruppe ist schwierig, aber notwendig.<br />

Gruppenanalytische Forschung<br />

Gruppenanalytische Forschungen, z.B. Di<strong>es</strong>e von Bosse und Knauss belegen, dass die-<br />

ser Ansatz für transkulturelle Forschungsarbeit fruchtbar und notwendig ist, das zeigen<br />

21


auch die Tagungen <strong>der</strong> Europäischen G<strong>es</strong>ellschaft für Transkulturelle <strong>Gruppenanalyse</strong>.<br />

Die Notwendigkeit zeigen aber auch die jüngsten Erfahrungen transkultureller Kon-<br />

flikte nicht nun <strong>in</strong> den Nie<strong>der</strong>landen. Lei<strong>der</strong> wird <strong>in</strong> di<strong>es</strong>em Bereich wenig unternom-<br />

men, am eh<strong>es</strong>ten wird zurzeit gruppenanalytisch geforscht:<br />

- <strong>in</strong> Untersuchungen von Supervisions- und Organisationsproz<strong>es</strong>sen und<br />

- <strong>in</strong> Untersuchungen von Proz<strong>es</strong>sen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pädagogen- und Lehrerausbildung.<br />

- Die B<strong>es</strong>chreibung von jeweils e<strong>in</strong>zigartigen gruppenanalytischen Proz<strong>es</strong>sen ist<br />

für die Entwicklung di<strong>es</strong>er Forschungsmethode und die Weiterentwicklung <strong>der</strong><br />

gruppenanalytischen Theorie von em<strong>in</strong>enter Bedeutung. In e<strong>in</strong>er Stadt wie Ber-<br />

l<strong>in</strong> wäre, auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zusammenarbeit mit an<strong>der</strong>n gruppenanalytischen Instituten<br />

und weiteren Organisationen e<strong>in</strong> Feld für reichhaltig<strong>es</strong> Wirken.<br />

__________________<br />

<strong>Pieter</strong> <strong>Hutz</strong><br />

Nassauische Straße 10<br />

10717 Berl<strong>in</strong> - Wilmersd.<br />

Tel. +49 30 - 8642 3003<br />

Fax +49 30 - 8642 3005<br />

Mobil 0177 - 8642 303<br />

http:// www.pieterhutz.de<br />

Der Vortrag ist <strong>in</strong> di<strong>es</strong>er Fassung nicht zur weiteren Verbbreitung b<strong>es</strong>timmt.<br />

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