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Rede von Joachim Stein, Sprecher der Schwulen Aktion Südwest ...

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http://www.csd-konstanz.de/downloads/csd_konstanz_2007_rede_stein.pdf<br />

<strong>Rede</strong> <strong>von</strong> <strong>Joachim</strong> <strong>Stein</strong>, <strong>Sprecher</strong> <strong>der</strong> <strong>Schwulen</strong> <strong>Aktion</strong> <strong>Südwest</strong>,<br />

anlässlich des CSDs in Konstanz 2007.<br />

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,<br />

sehr geehrte politisch Verantwortliche hier im Stadtgarten,<br />

meine sehr geehrten Damen und Herren,<br />

liebe Freundinnen und Freunde,<br />

Gaymeinsam, Liebe an allen Ufern ist dieses Jahr das Motto des CSD Konstanz, zugleich CSD <strong>Südwest</strong>,<br />

als dessen Vertreter ich hier spreche.Gaymeinsam ist ein hoher Anspruch: Nur allzuoft erlebe ich, dass den<br />

gesetzten Worten keineTaten folgen: Behin<strong>der</strong>te Schwule und Lesben etwa o<strong>der</strong> ältere Menschen o<strong>der</strong> auch<br />

nur weniger attraktive tun sich erheblich schwerer, Kontakt zu finden o<strong>der</strong> eine Partnerin, einen Partner zu<br />

finden. Da beschränkt sich das Gaymeinsame auf die Tatsache, gaymeinsam gleichgeschlechtlich zu lieben.<br />

Gaymeinsam ist deshalb eine Grenzüberschreitung, so betrachtet eine Selbstauffor<strong>der</strong>ung, die eigenen<br />

Blockaden zu überwinden, weiter zu sehen und dann hoffentlich auch zu tun, was diese Auffor<strong>der</strong>ung<br />

beinhaltet.<br />

Dabei dürfen die politischen Rahmenbedingungen natürlich nicht außer Acht gelassen werden: Wenn<br />

Vereinigungen <strong>von</strong> Lesben und <strong>Schwulen</strong> in Baden-Württemberg nach wie vor mit den Finanzämtern um die<br />

Anerkennung <strong>der</strong> Gemeinnützigkeit kämpfen müssen, Stadträtinnen und Stadträte o<strong>der</strong><br />

Landtagsabgeordnete sich bei <strong>der</strong> Frage nach finanzieller Unterstützung <strong>von</strong> Selbsthilfeorganisationen taub<br />

stellen ist kein Klima geschaffen, das wirkliche Anerkennung signalisiert. Ja, natürlich: An den<br />

selbstorganisierten CSD's die schrill, lustig und fürs Stadtklima för<strong>der</strong>lich sind und damit durchaus auch<br />

mögliche Wähler/innenschichten ansprechen können, beteiligt man sich inzwischen gern. Selten ist bei<br />

politischen Demonstrationen soviel Lebensfreude und Friedlichkeit zu finden. Im politischen Alltagsgeschäft<br />

erinnert sich dann meist nur die politische Opposition und teilt bedauernd mit, dass entsprechende Anträge<br />

keinen Erfolg haben können, weil die Mehrheiten an<strong>der</strong>e sind... Da endet dann die Verbundenheit ziemlich<br />

rasch.<br />

Ebenso die Curricula des Landes Baden-Württemberg: Nach wie vor ist die Ausgrenzung homosexueller<br />

Menschen politisches Programm, weil Lesben und Schwule weitgehend <strong>von</strong> den Schülerinnen und Schülern<br />

ferngehalten werden, lesbische und schwule Themen im Unterricht unter ferner liefen abgehandelt werden<br />

und die Empfehlungen zum Lehrplan immer noch nahe legen, dass die heterosexuelle, christlich geprägte<br />

Lebensform als die vom Land gewünschte und unterstützte darzustellen ist. Auch wenn vereinzelt mit Hilfe<br />

des Sozialministeriums Ansätze vorhanden sind, den Lehrerinnen und Lehrern die beson<strong>der</strong>en<br />

Lebensumstände <strong>von</strong> Lesben und <strong>Schwulen</strong> verständlicher zu machen, so wird dies nur dort Erfolg haben,<br />

wo Offenheit, eben Gaymeinsamkeit, auch persönlich so verstanden wird.<br />

Immer noch endet die Gaymeinsamkeit in diesem Land an den Türen <strong>der</strong> Standesämter: Es gibt kein<br />

einheitliches Recht für die Erklärung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. Nach wie vor drückt sich das<br />

Land Baden-Württemberg um eine klare Positionierung, wo personenstandsrechtliche Erklärungen <strong>von</strong><br />

<strong>Schwulen</strong> und Lesben Platz haben. Zwar wurde die Empfehlung, dies möglichst nicht in den Standesämtern<br />

zu tun, relativiert. Trotzdem kann man sich auch nach 5 Jahren immer noch nicht dazu durchringen,<br />

Gaymeinsamkeit herzustellen.<br />

Auch bei den Bedingungen im Kanst hat sich überhaupt nichts verän<strong>der</strong>t: Sexuelle Übergriffe sind weiterhin<br />

an <strong>der</strong> Tagesordnung, während die Schutzmaßnahmen und die Versorgung <strong>von</strong> HIV-Infizierten kleingeredet<br />

werden. Verwaltungsorganisatorische Winkelzüge statt wirksamer Unterstützung und Versorgung sollen die<br />

wahren Gegebenheiten verschleiern und vermitteln, dass allerhand getan wird. Gerade hier zeigt sich, dass<br />

Gaymeinsamkeit eine wirksame For<strong>der</strong>ung sein kann, wenn es um bestimmte Personenkreise geht, die<br />

eben nicht dem Mainstream <strong>der</strong> Gesellschaft angehören.<br />

Seit Jahren auch Stillstand in <strong>der</strong> AIDS-Politik: Während in an<strong>der</strong>en Bundeslän<strong>der</strong>n neue Initiativen im<br />

präventiven Bereich unterstützt werden, bleibt es im Land bei <strong>der</strong> schmalbrüstigen Unterstützung für die<br />

AIDS-Hilfen, die oft auch noch so spät ausgezahlt wird, dass einzelne AIDS-Hilfen ihr Personal nicht<br />

rechtzeitig bezahlen können und am Rande <strong>der</strong> Insolvenz wan<strong>der</strong>n. Wie sollen hier wirkungsvolle Strategien<br />

im Kampf gegen sexuell übertragbare Krankheiten entwickelt werden, wenn <strong>der</strong> Existenzkampf und das


dazu erfundene Verwaltungsunwesen den größten Teil <strong>der</strong> Arbeitskraft absorbieren? Die Quittung haben wir<br />

mit den neuesten Zahlen des Robert-Koch-Instituts erhalten: Die höchsten Raten <strong>der</strong> Neuinfektion sind in<br />

Baden-Württemberg. Eines <strong>der</strong> reichsten Bundeslän<strong>der</strong> in Deutschland leistet sich den Luxus, sein Geld<br />

lieber in unsinnige Prestigeprojekte wie Stuttgart 21 zu stecken, als mit erheblich geringerem Aufwand eine<br />

wirksame Präventionsstrategie zu entwickeln. Hierunter fällt auch die finanzielle Unterstützung <strong>von</strong><br />

Selbsthilfeorganisationen im Sinne <strong>der</strong> strukturellen Prävention.<br />

Auf Druck <strong>der</strong> Europäischen Union wurde vor gut einem Jahr endlich ein Allgemeines Gleichstellungsgesetz<br />

in Kraft gesetzt, das auch bei Benachteiligungen wegen <strong>der</strong> sexuellen Identität herangezogen werden kann.<br />

Die erste Auswertung zeigt, dass Lesben und Schwule diese Möglichkeit kaum nutzen: Wo im Arbeitsleben<br />

so wenig Gaymeinsamkeit ist, ist es eben nicht selbstverständlich, sich vor Gericht und dann auch im Betrieb<br />

als Lesbe o<strong>der</strong> Schwuler zu outen und Gleichstellung zu verlangen. Juristisch kann dies möglicherweise<br />

durchgesetzt werden, die Auswirkungen auf den betrieblichen Alltag sprechen dann vielleicht doch eine<br />

an<strong>der</strong>e Sprache. Das ist kein Plädoyer gegen dieses Gesetz, aber bei so wenig Gaymeinsamkeit reichen<br />

gute Absichten eben nicht immer aus.<br />

Apropos EU: Der Anschluss <strong>der</strong> osteuropäischen Staaten hat das Klima für Lesben und Schwule eher<br />

wie<strong>der</strong> verschlechtert. Solange in Polen und Rumänien die Rechtslage <strong>der</strong> EU zwar umgesetzt aber nicht<br />

gelebt und in allen politischen Verhandlungen stets als Faustpfand benutzt wird, um eigene Gesetzes- und<br />

Vertragsinitiativen o<strong>der</strong> Interessen stärker durchzusetzen, ist die Gaymeinsamkeit das Papier nicht wert, auf<br />

dem sie steht. Häßliche Szenen, in denen wenige politisch organisierte Menschen <strong>von</strong> einer großen Zahl<br />

Polizist/innen geschützt werden müssen und trotzdem <strong>von</strong> organisierten rechten Gruppierungen, vorwiegend<br />

Jugendliche, angegriffen werden können, dienen nicht dazu, Vertrauen zu entwickeln. Wieviel<br />

Gaymeinsamkeit bleibt im Ernstfall im politischen Alltagsgeschäft übrig? Verhandlungsmasse für<br />

erpresserischen, populistischen Eigennutz?<br />

Von Gaymeinsamkeit sind wir also noch weit entfernt. Vorherrschend sind Egoismus und<br />

Ellbogengesellschaft. Gaymeinsamkeit wenigstens sichtbar zu machen, ist Aufgabe solcher Feiertage.<br />

Wirksam kann sie aber erst werden, wenn jede und je<strong>der</strong> <strong>von</strong> uns sie für sich annimmt und lebt und sei <strong>von</strong><br />

an<strong>der</strong>en einfor<strong>der</strong>t. Heute ist ein guter Tag dazu. Feiern, reden, lachen, lieben sind ein erfolgversprechen<strong>der</strong><br />

Anfang. Trotz schwieriger Zeiten braucht es auch die Fröhlichkeit und Unbeschwertheit solcher Tage. Ich<br />

hoffe, dass sie über den Tag hinaus wirken werden für mehr Gaymeinsamkeit an allen Ufern. Dafür<br />

sollten wir kämpfen. Vielen Dank.<br />

Mehr zum CSD Konstanz 2007 auf www.csd-konstanz.de!

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