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Hirnforscher haben Tanzern in den Kopf geschaut und festgestellt ...

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<strong>Hirnforscher</strong> <strong>haben</strong> <strong>Tanzern</strong> <strong>in</strong> <strong>den</strong> <strong>Kopf</strong> <strong>geschaut</strong> <strong>und</strong> <strong>festgestellt</strong>: Sietra<strong>in</strong>ieren<br />

wichtige<br />

Fahigkeiten <strong>und</strong> senken ihr Demenzrisiko.<br />

Was 5011 e<strong>in</strong> Tanzkurs <strong>den</strong>n br<strong>in</strong>gen? An dieser Frage s<strong>in</strong>d<br />

schon viele Frauen gescheitert, die versucht <strong>haben</strong>, aus<br />

e<strong>in</strong>er Couch potato e<strong>in</strong>en Parkettlowen zu machen.Jetzt<br />

liefert ihnen die Wissenschaft bestechende Argumente. Die <strong>Hirnforscher</strong><br />

Steven Brown van der Simon Fraser University im kanadischen<br />

Burnaby <strong>und</strong> Michael Mart<strong>in</strong>ez von der University ofTexas <strong>in</strong><br />

San Antonio untersuchten erstmals, welche Gehirnregionen beim<br />

Tanzen aktiv s<strong>in</strong>d. Dazu legten Brown <strong>und</strong> Mart<strong>in</strong>ez nache<strong>in</strong>ander<br />

funf weibliche <strong>und</strong> fOnf mannliche Amateur-Tangotanzer <strong>in</strong> <strong>den</strong><br />

Kernsp<strong>in</strong>tomographen <strong>und</strong> befestigten e<strong>in</strong>e Platte so am Fussende,<br />

dass die Fusse derTanzer daruber gleiten <strong>und</strong> e<strong>in</strong>fache Tangoschritte<br />

ausfuhren konnten. Ober <strong>Kopf</strong>horer wurde Musik e<strong>in</strong>gespielt. 1m<br />

ersten Durchgang sollten die Proban<strong>den</strong> zur MU$ik Tangoschritte<br />

aufder Platte machen, im zweiten Durchgang willkurlich ihre Be<strong>in</strong>e


ewegen. Wie die Forschererwarteten, waren <strong>in</strong> bei<strong>den</strong> Durchgangen<br />

die motorischen Gehirnregionen der Proban<strong>den</strong> aktiv.<br />

Doch beim Tangofeuerten die Neuronen auch noch an e<strong>in</strong>er anderen<br />

Stelle stark: im «Precuneus».Diese Hirnregion im Scheitellappen<br />

ist wichtig fUr Orientierung <strong>und</strong> Raums<strong>in</strong>n. Sensoren <strong>in</strong> Muskeln<br />

<strong>und</strong> Gelenken Ubermitteln Informationen dorth<strong>in</strong>. Deshalb<br />

sprechen die Wissenschaftler auch yom Bewegungss<strong>in</strong>n.Mit se<strong>in</strong>er<br />

Hilfe nimmt der Mensch Bewegungen <strong>und</strong> Gelenkpositionen wahr.<br />

«Der Precuneus ist e<strong>in</strong>e Art k<strong>in</strong>asthetische Landkarte, die es dem<br />

Menschen erlaubt, se<strong>in</strong>en K6rper im Raum zu navigieren», erklart<br />

Brown. Beim Tanzen,schliesst der <strong>Hirnforscher</strong>, ist diese Raumwahrnehmung<br />

offenbar besonders ausgepragt. Wie die Wissenschaftler<br />

schon langerwissen, ist das k<strong>in</strong>asthetische S<strong>in</strong>nessystem stark mit<br />

anderen Hirnfunktionen wie Gedachtnis, Sprache,Lernen <strong>und</strong> Emotionen<br />

verknUpft. «Bewegung beschleunigt das Gehirn zu maximaler<br />

Leistung», deutet Siegfried Lehrl, Psychologe an der Universitat<br />

Erlangen <strong>und</strong> ExpertefUr Gehirnjogg<strong>in</strong>g,die neuen Bef<strong>und</strong>e.<br />

Die Tangotanzer-Studie deckte auch auf, warum rhythmische<br />

Musik viele Menschen dazu br<strong>in</strong>gt, mitzuklatschen, zu schnipsen<br />

oder mit <strong>Kopf</strong> oder Fusszu wippen. Voraussetzung dafUr ist, dass<br />

das Gehirn Rhythmen erkennt, vergleicht <strong>und</strong> <strong>in</strong> Beziehung zu gespeichertem<br />

Wissen setzt. Das heisst,je bekannter e<strong>in</strong> Rhythmus<br />

ist, desto starker wird die Bewegung provoziert.<br />

Schwerstarbeit furs Gehirn<br />

Steven Brown stellte fest, dass beim Tanzen mit Musik der sogenannte<br />

Kle<strong>in</strong>hirnwurm aktiver ist,als wenn die musikalische Untermalung<br />

fehlt. «Diese Hirnregion fungiert als e<strong>in</strong>e Art neuronaler<br />

Taktgeber <strong>und</strong> ist mit <strong>den</strong> auditorischen, visuellen <strong>und</strong> somatosensorischen<br />

Systemen im Gehirn verbun<strong>den</strong>»,erklart Brown.Auch das<br />

aus evolutionsbiologischerSicht sehr alte sogenannte vestibulare<br />

System <strong>in</strong> Innenohr <strong>und</strong> Kle<strong>in</strong>hirn, das <strong>den</strong> Gleichgewichtss<strong>in</strong>n<br />

steuert, 1st notwendig fUr die Verb<strong>in</strong>dung yon Bewegung <strong>und</strong><br />

Rhythmus. DasunterstUtzt die gangigeThese, dassTanzen<strong>und</strong> Musizieren<br />

<strong>in</strong> der Menschheitsgeschichte zur gleichen Zeit entstan<strong>den</strong><br />

s<strong>in</strong>d. Zum Tanzen braucht der Mensch ahnlich komplexe sensomotorische<br />

Fahigkeiten wie zum Erlernen e<strong>in</strong>es Musik<strong>in</strong>struments.<br />

Doch das Tanzen hat fUr die Entwicklung des Menschen noch<br />

e<strong>in</strong>e weit gr6ssere Bedeutung als das Musizieren: Estra<strong>in</strong>iert die<br />

Fahigkeit zum Nachahmen. Die Forscherfan<strong>den</strong> heraus:Wenn man<br />

sich nur vorstellt, Walzer zu tanzen,arbeitet das Gehirn <strong>in</strong> <strong>den</strong> gleichen<br />

Regionen,wie wenn man tatsachlich Walzer tanzt. Beim Tanzen<br />

nur zuzuschauen genUgt schon, um die entsprechen<strong>den</strong> Hirnregionen<br />

zu aktivieren - um zwar umso starker, je bekannter der<br />

Tanz ist. "Wir schliessen daraus, dass Tanzen frUher e<strong>in</strong>e Form der<br />

Kommunikation war»,erklart Steven Brown- <strong>und</strong> liefert Belege:Bei<br />

allen untersuchten Bewegungsablaufen war bei <strong>den</strong> Tangotanzern<br />

e<strong>in</strong>e Region <strong>in</strong> der rechten Gehirnhalfte aktiv,die der Broca-Region<br />

<strong>in</strong> der l<strong>in</strong>ken Hemisphare als sogenanntes Homologentspricht. Die<br />

Broca-Regionist als Sprachzentrum bekannt, <strong>und</strong> sie ist auch wichtigfur<br />

die Verarbeitung yon Gesten. Marco lacoboni, Wissenschaftler<br />

der University of California, hatte bereits 2003 die Funktion<br />

dieser bel<strong>den</strong> Gehirnregionen untersucht, <strong>in</strong>dem er sie bei Versuchspersonen<br />

vorUbergehend blockierte. Wurde das Broca-Homolog<br />

ausgeschaltet, konnten die Proban<strong>den</strong> vorgegebene F<strong>in</strong>gerbewegungen<br />

nicht mehr so gut nachahmen.lacoboni schloss daraus,<br />

dass diese Gehirnregion wichtig ist fur die Imitation, fUrdas Lernen<br />

yon anderen - <strong>und</strong> damit letztlich furdas Weitergeben yon Kultur.<br />

DassTanzen das G~hirn verandert. <strong>haben</strong> <strong>in</strong>zwischen verschie<strong>den</strong>e<br />

Studien belegt. So fand Elizabeth Spelke yon der Harvard<br />

University heraus,dass jahrelanges Tanzen bei Schulk<strong>in</strong>dern raumliches<br />

Denken f6rdert. Tanzbegeisterte K<strong>in</strong>der schnitten <strong>in</strong> Geometrie-Tests<br />

besser ab als K<strong>in</strong>der, die nur kurzzeitig oder nie getanzt<br />

hatten. «BeimTanzenwer<strong>den</strong> Gehirnregionen aktiviert,die auch zu<br />

geometrischem Denken befahigen», schliesst Spelke.<br />

Ballet macht nett<br />

Auch der Londoner Psychologe Konstant<strong>in</strong>os Petrides stellte Erfreuliches<br />

fest, als er 2006 BallettschUler untersuchte: Emotionalitat,<br />

Selbstmotivation <strong>und</strong> soziale Fahigkeiten waren bei ihnen<br />

umso ausgepragter,je besser sie ihre Ballettschritte beherrschten.<br />

E<strong>in</strong>e kanadische Studie yon Laura-Ann Petitto hat zudem<br />

Die rhythmische Bewegung verbessert<br />

<strong>in</strong>jedem Alter die Konzentrationsfiihigkeit.<br />

kurzlich gezeigt, dass erwachsene Profitanzer <strong>in</strong> Aufmerksamkeitstests<br />

besser abschnitten als Tanzmuffel: Sie konnten sich<br />

besser konzentrieren <strong>und</strong> Iiessen sich nicht so leicht ablenken.<br />

Selbst im h6heren Alter lohnt sich der Besuch im Tanzstudio: E<strong>in</strong>e<br />

Langzeitstudie mit Senioren am Albert E<strong>in</strong>ste<strong>in</strong> College of Medic<strong>in</strong>e<br />

<strong>in</strong> New York ergab schon 2003, dass regelmassiges Tanzen<br />

dieWahrsche<strong>in</strong>lichkeit, an e<strong>in</strong>er Demenz zu erkranken, um 76 Prozent<br />

senkt. Damit beugt die rhythmische Bewegung dem Verlust<br />

yon Synapsenverb<strong>in</strong>dungen deutlich besservor als Lesen (3SProzent)<br />

<strong>und</strong> Kreuzwortratseln (47 Prozent).<br />

Partnerwechsel ist ges<strong>und</strong><br />

Sport verandert das Demenzrisiko dagegen kaum. Die US-Forscher<br />

erklaren das so: Das Erlernen yon Tanzen verlangt e<strong>in</strong> Nach<strong>den</strong>ken<br />

Uber Schritte, Drehungen <strong>und</strong> K6rperhaltung. Tanzer mUssen also<br />

viele Entscheidungen treffen - <strong>und</strong> das lasst neue Nervenverastelungen<br />

im Gehirn spriessen. «Gut ist auch, wenn man wechselnde<br />

Tanzpartner hat, auf die man sich immer wieder neu e<strong>in</strong>stellen<br />

muss», me<strong>in</strong>t der Psychologe Lehrl. Die Ausrede, man k6nne nicht<br />

tanzen,lassen Wissenschaftler nicht gelten. E<strong>in</strong>fache rhythmische<br />

Tanzewie Polkaoder Foxtrott seienfUrje<strong>den</strong> erlernbar.Stefan Koelsch,<br />

Wissenschaftler <strong>und</strong> Musikexperte an der Universitat Sussex, ist<br />

uberzeugt: «Neuronale Korrelate fUr elegantes Bewegen <strong>und</strong> K6rperkoord<strong>in</strong>ation<br />

geh6ren zur Gr<strong>und</strong>ausstattung des mensch lichen<br />

Gehirns.» Doch die neuronalen Vorgange bei Profis <strong>und</strong> Hobbytanzern<br />

unterschei<strong>den</strong> sich deutlich, vor allem was Rhythmus <strong>und</strong><br />

RaumgefUhl angeht. Die Unterschiede s<strong>in</strong>d nicht nur das Resultat<br />

jahrelanger Obung, weiss Emily Cross,Psycholog<strong>in</strong> am Max-Plancklnstitut<br />

fUr Kognitionsforschung <strong>in</strong> Leipzig: «FUrdie perfekte <strong>und</strong><br />

komplexe Koord<strong>in</strong>ation, wie sie Profitanzer beherrschen, braucht<br />

man e<strong>in</strong>e spezielle Begabung.» Manche Forscher<strong>haben</strong> sich bereits<br />

auf die Suche nach e<strong>in</strong>em «Tanz-Gen»begeben.<br />

Kathr<strong>in</strong> Burger istfreie Wissenschaftsjournalist<strong>in</strong>.<br />

Dieser<br />

Artikef stammt aus «Bild der<br />

Wissenschaft Heft 01/09"

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