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INHALTSVERZEICHNIS Seite 1. EINLEITUNG 1 2 - PropackExpo

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<strong>INHALTSVERZEICHNIS</strong> <strong>Seite</strong><br />

<strong>1.</strong> <strong>EINLEITUNG</strong> 1<br />

2. VORGEHENSWEISE 2<br />

2.<strong>1.</strong> Beschaffung von Retrovir ® Restmengen 2<br />

2.2. Geräte, Material, Gefahren und Sicherheit im Zusammenhang mit<br />

der Aufarbeitung von Retrovir ®<br />

2.3 Isolierung von AZT aus Retrovir ® -Kapseln 4<br />

2.4. Reinheitstest des rückgewonnenen AZT 5<br />

3. ERGEBNISSE 6<br />

3.<strong>1.</strong> Fundorte für Restmengen des Anti-AIDS-Medikaments Retrovir ®<br />

3.2. Rückgewinnung des antiviralen Wirkstoffs AZT aus Retrovir ®<br />

4. DISKUSSION 11<br />

5. LITERATURVERZEICHNIS 12<br />

6. DANKSAGUNG 12<br />

<strong>1.</strong> <strong>EINLEITUNG</strong><br />

Unser Gesundheitswesen verursacht bekanntlich erhebliche Kosten, die teilweise auch da-<br />

durch bedingt sind, dass die vom Arzt verordneten, oft sehr teuren Medikamente aus ver-<br />

schiedenen Gründen vom Patienten nur teilweise aufgebraucht werden. Die nicht eingenom-<br />

menen Medikamente müssen als Restmengen entsorgt werden, falls sie nicht anderweitig zu<br />

verwerten sind.<br />

Als 12-jährige habe ich bei einem Umweltwettbewerb der Sparkassen aufgezeigt, wie<br />

man unverkäuflich gewordene Lebensmittel mit Hilfe eines Hausschweins (schmackhafte<br />

Biotonne) in einem reinen Wohngebiet, sehr einfach in einer sinnvollen Verwertung entsorgen<br />

kann. Für meinen Beitrag, „Jolanthe, eine schmackhafte Biotonne“, habe ich einen Bundes-<br />

preis erhalten. Mit meinen Grundkenntnissen aus dem „Leistungskurs Chemie“ möchte ich<br />

nun untersuchen, ob man Wirkstoffe aus nicht mehr verwendbaren Medikamenten isolieren<br />

kann. Aus den isolierten Wirkstoffen könnte man möglicherweise wieder neue Medikamente<br />

(Recycling) oder durch chemische Derivatisierung neue Wirkstoffe herstellen.<br />

Als Modellversuch zur Rückgewinnung von Wirkstoffen habe ich die Isolierung des<br />

Wirkstoffs 3’-Azido-2’, 3’-dideoxythymidin (AZT) aus dem Anti-AIDS-Medikament Retro-<br />

3<br />

6<br />

7


vir ® aus folgenden Gründen ausgewählt. AZT zählt zu der Gruppe der sehr teuren antiretrovi-<br />

ralen Wirkstoffe und ist in den Medikamenten Retrovir ® und Combivir ® enthalten, die mit am<br />

häufigsten in der AIDS-Therapie eingesetzt werden (vgl. Frischl, M.A., 1999). Der jährliche<br />

Bedarf an AZT allein für die ca. 5000 AIDS Patienten, die 1997 in Deutschland erfaßt waren<br />

(vgl. Hamouda, O., 1999), liegt im Kilogrammbereich, wenn man die heutigen Therapiesche-<br />

mata (vgl. Mauss, St., 1999) zugrundelegt. Berücksichtigt man, dass weltweit über 30,6 Mil-<br />

lionen Menschen mit HIV infiziert sind, kann man folglich mit Restmengen an diesen Medi-<br />

kamenten rechnen, die ein Recycling erstrebenswert erscheinen lassen. Mit der vorliegenden<br />

Arbeit wird zunächst die Frage geklärt, ob in Deutschland Restmengen an Retrovir ® anfallen,<br />

konsequent gesammelt und einer Entsorgung zugeführt werden. Anschließend wird aufge-<br />

zeigt, wie der Wirkstoff AZT aus dem Medikament Retrovir ® in analysenreiner Form mit ei-<br />

nem vertretbaren experimentellen Aufwand zurückgewonnen werden kann.<br />

2. VORGEHENSWEISE<br />

2.<strong>1.</strong> Beschaffung von Retrovir ® Restmengen<br />

Zur Beschaffung von Restmengen Retrovir ® habe ich zunächst bei einigen AIDS-Hilfe Orga-<br />

nisationen in Deutschland und bei den Autoren des Fachbuches „Die antiretrovirale Behand-<br />

lung der HIV-Erkrankung“, Georg Thieme Verlag, Stuttgart, (1999) mit folgendem Schreiben<br />

angefragt. „Ich bin eine 18-jährige Gymnasiastin und möchte 1999/2000 am Wettbewerb<br />

„Jugend forscht“ teilnehmen. Die von mir gewählte Forschungsaufgabe lautet:<br />

„Rückgewinnung von Wirkstoffen aus nicht mehr verwendbaren Medikamenten am Beispiel<br />

des Anti-AIDS-Virostatikums AZT.“<br />

Meine Fragen an Sie sind: <strong>1.</strong>Gibt es in Ihrem Arbeitsbereich das Anti-HIV-Medikament AZT,<br />

Zidovudin, Retrovir ® in nicht mehr verwertbarer Form (Restbestand, über dem Verfallstermin<br />

usw.), das entsorgt werden müsste? 2.Wo und bei wem werden diese Restbestände gesammelt<br />

bzw. entsorgt? 3. An wen könnte ich mich wenden, um diesen „Abfall“ zu erhalten?<br />

Für Ihre Hilfe wäre ich Ihnen dankbar und würde mich über eine baldige Nachricht sehr<br />

freuen.“<br />

Auf meine 22 Anfragen erhielt ich 17 Antworten. 4 Beantworter schickten mir Retrovir ® -<br />

Restmengen, die anderen, die nicht über Restmengen verfügten, gaben mir Hinweise auf<br />

mögliche Fundorte (Apotheken, Ärzte, Universitätskliniken und Pflegedienste), die ich dar-<br />

aufhin angeschrieben habe. Als Ergebnis meiner Anfragen standen mir nach 4 Wochen fol-<br />

gende Retrovir ® -Restmengen für meine Arbeit zur Verfügung: 40 Kapseln à 250 mg AZT von<br />

2


der Medizinischen Hochschule H., 40 Kapseln à 250 mg von der Praxis Dr. M., aus K., 50<br />

Kapseln à 250 mg AZT von der Praxis Dr. U.&F., aus S., 100 Kapseln à 100 mg AZT von der<br />

Praxis Dr. U.&F., aus S., 100 Kapseln à 100 mg AZT von der AIDS-Hilfe S., 30 Kapseln à<br />

100 mg AZT vom Haunerschem Kinderspital, aus M.. In den erhaltenen 360 Kapseln Retro-<br />

vir ® sollten nach den Angaben der Gebrauchsinformation neben 8 unwirksamen pharmazeu-<br />

tischen Hilfsmitteln in unbekannter Menge der Wirkstoff AZT in einer Gesamtmenge von<br />

55,5 g enthalten sein, die im günstigsten Fall aus den Kapseln isoliert werden könnten, wenn<br />

ein praktikabler Weg gefunden würde.<br />

2.2. Geräte und Material, Gefahren und Sicherheit im Zusammenhang mit<br />

der Aufarbeitung von Retrovir ®<br />

Geräte: 2 Bechergläser (250 ml), Gabel, Pinzette, grobes Teesieb, Pulvertrichter, 250 ml Er-<br />

lenmeyerkolben, Pulverflasche, 2 Muffen, 2 Klammern, Hebebühne, 250 ml Heizpilz,<br />

2 Rundkolben, (250 ml), Siedesteine, Schlifffett, Messzylinder, Wasserstrahlpumpe, Saug-<br />

flasche mit Manschette und Glasfritte (D3), Spatel, offene und geschlossene Schmelz-<br />

punktröhrchen, Bunsenbrenner, Kammer für die Dünnschichtchromatographie, Gefrier-<br />

schrank, Rotationsverdampfer, Schmelzpunktapparatur, Soxhlet-Extraktor, UV-Lampe,<br />

Waage.<br />

Material: 1l Ethylacetat (99,5 % BstlNr. 11,002-7, 28.70 DM/l Firma Aldrich), flüssiger<br />

Stickstoff, Retrovir ® Kapseln, Kieselgelplatte mit Fluoreszensindikator (Firma Merck)<br />

Gefahren und Sicherheit: Aus den R- und S-Sätzen zur Sicherheitskennzeichnung von<br />

Chemikalien (nach GefStoff V), die in den Katalogen des Chemikalienhandels (Aldrich, Fluka<br />

und Riedel-de-Haën) aufgeführt sind, folgt, dass man mit AZT und Ethylacetat unter dem Ab-<br />

zug arbeiten, hierbei einen Labormantel, eine Schutzbrille, Handschuhe tragen muss: Auf fol-<br />

gende Gefahren (R-Sätze) ist zu achten und dementsprechende Sicherheitsmaßnahmen (S-<br />

Sätze) sind zu treffen. 3’-Azido-2’,3’-dideoxythymidin (AZT):<br />

R23/24/25: Gift beim Einatmen, Verschlucken, Berühren mit der Hand. S22: Staub nicht ein-<br />

atmen; S23: Gas/Rauch/ Dampf/Aerosol nicht einatmen; S24/25: Berührung mit dem Auge<br />

und der Haut vermeiden.<br />

Ethylacetat:<br />

R11: leicht entzündlich. S16: von Zündquellen fernhalten, S23: Gas, Rauch, Dampf, Aerosol<br />

nicht einatmen, S29: Nicht in die Kanalisation gelangen lassen, S33: Maßnahmen gegen elek-<br />

trostatische Aufladung treffen.<br />

3


Retrovir ® -Rückstände aus der Extraktion können als organische Filterrückstände, Ethylace-<br />

tatreste als organisches Lösungsmittel entsorgt werden, falls sie nicht rückdestilliert und wie-<br />

der verwendet werden.<br />

2.3 Isolierung von AZT aus Retrovir ® -Kapseln<br />

Methode A<br />

Die Retrovir ® -Kapseln werden in einem Becher-<br />

glas mit einigen Millilitern flüssigem Stickstoff<br />

übergossen. Die so „schockgefrorenen“ Kapseln<br />

sind spröde und können dann mit einer Gabel<br />

leicht zerstossen werden. Das erhaltene pulvrige<br />

Gemisch wird in Kapselreste und Kapselinhalt<br />

gesiebt. Im nächsten Schritt wird das gewünschte<br />

AZT aus dem Kapselinhalt in zwei Durchgängen<br />

mit Ethylacetat extrahiert. Hierzu füllt man eine<br />

Extraktionshülse (Durchmesser 3,5 cm, Höhe<br />

12 cm) mit maximal 52,3 g Kapselinhalt, der an-<br />

schließend in einem Soxhlet-Extraktor (siehe Fig.<br />

1), zunächst 6 Stunden mit Ethylacetat extrahiert<br />

wird. Über die Heizpilztemperatur wird die Ex-<br />

traktionsgeschwindigkeit so eingestellt, dass in-<br />

nerhalb von ca. 5 min ein Überlauf erfolgt. Nach<br />

Beendigung der Extraktion wird die Hülse, die<br />

möglichst wenig Ethylacetat enthalten sollte, mit<br />

einer Pinzette aus dem Extraktor genommen.<br />

Fig. 1 Extraktion des Retovir ® -Kapsel-<br />

inhalts in einem Soxhlet-Extraktor<br />

Der in der Hülse verbliebene Rückstand wird in ein Becherglas überführt, unter dem Abzug<br />

an der Luft gewichtskonstant getrocknet und ausgewogen. Die Extraktionslösung (AZT gelöst<br />

in Ethylacetat) wird auf ca. -20°C gekühlt. Dabei fallen ca. 80 % des gelösten AZT als ein<br />

weisser Niederschlag (Hauptfraktion) aus, der mit einer Glasfritte im Wasserstrahlvakuum<br />

abgesaugt, in ein Becherglas überführt und ebenfalls unter dem Abzug an der Luft gewichts-<br />

konstant getrocknet wird. Aus der im Rotationsverdampfer auf ca. 30 ml konzentrierten Mut-<br />

terlauge, fallen bei ca. -20°C weitere ca. 10 % der extrahierten AZT-Menge aus<br />

(Nachfällung), die abgesaugt, getrocknet und mit der Hauptfraktion vereinigt werden. Die<br />

4


nach dem ersten Durchgang gewonnene Gesamtmenge an AZT entspricht bereits 75 - 85 %<br />

der in den Kapsel enthaltenen AZT-Menge. Anschließend wird der an der Luft getrocknete<br />

Extraktionsrückstand aus dem ersten Durchgang nochmals in einem zweiten Durchgang unter<br />

analogen Bedingungen extrahiert. Die Aufarbeitung des Extrakts ergibt weitere ca. 10 % der<br />

zu erwartenden AZT-Menge des Kapselinhalts. Die Ausbeute des ersten Extraktionsdurch-<br />

gangs wird durch die zu extrahierende Menge beeinflusst. Die Gesamtausbeute aus beiden<br />

Extraktionensdurchgängen liegt bei ca. 90 % (siehe Ergebnisse 3.2.).<br />

Methode B<br />

Als Alternative zur Methode A werden die Kapseln zwar auch zerkleinert, aber dann direkt,<br />

ohne Abtrennung der Kapselreste, extrahiert. Das nach der Methode B erhaltene AZT weist<br />

im Vergleich zu dem nach Methode A erhaltenen eine schwache Gelbfärbung auf, ansonsten<br />

führen beide Methoden zu gleichen Ausbeuten an identischem AZT. Nach der Methode B<br />

entfällt zwar der Aufwand für das Sieben, dafür wird aber die zu extrahierende Stoffmenge<br />

um den Anteil der nicht entfernten Kapselreste (ca. 20 % des Retrovir ® -Kapselgewichts) ver-<br />

grössert.<br />

2.4. Reinheitstest des isolierten AZT<br />

Der Schmelzpunkt (Fp.) des isolierten gewichtskonstant getrockneten AZT wird in einer<br />

Büchi-Apparatur bestimmt. Der Fp. der Hauptfraktion (Fp. 119-120°C) entspricht dem Lite-<br />

raturwert (119-121) (vgl. Horwitz et al., 1964). AZT aus der Nachfällung schmilzt etwa 1°C<br />

tiefer als AZT aus der Hauptfraktion, weist aber mit 118°C immer noch einen höheren Fp. als<br />

das AZT auf, welches im Handel von der Firma Aldrich mit einem Fp. von 113°C angeboten<br />

wird. Bei der Kieselgeldünnschichtchromatographie (DC) mit Fluoreszenzindikator wanderte<br />

das isolierte AZT in Ethylacetat als einheitlicher Fleck, der einen Rf-Wert von 0,40 aufweist,<br />

unter der UV-Lampe bei 254 nm detektierbar ist und beim Erhitzen der DC-Platte über dem<br />

Bunsenbrenner als braun-schwarzer Fleck im Sichtbaren erscheint.<br />

5


In der Hochdruckflüssigkeitschromatographie<br />

(HPLC), die ebenfalls wie die Elementaranalyse im<br />

Institut für Organische Chemie der Universität<br />

Tübingen durchgeführt wurde, verhält sich das<br />

isolierte AZT identisch mit einer gekauften AZT-<br />

Referenz. An einer RP-7� C18-Säule wird AZT als<br />

wäßrige Lösung aufgetragen und verläßt in Peak I<br />

(siehe Fig. 2) nach einer Retentionszeit von 8,6 min<br />

unter isokratischen Bedingungen (0,05 M<br />

Ammoniumacetat / 30% Methanol) die Säule<br />

(250 x 4 mm).<br />

Fig. 2 HPLC-Chromatogramm von AZT<br />

an einer RP-7� C18-Säule<br />

Die Elementaranalyse bestätigt nochmals die Reinheit der Substanz, da die berechneten und<br />

gefundenen prozentualen Anteile der C, H, N Atome übereinstimmen.<br />

AZT: C10 H13 N5 O4<br />

M = 267 g/mol<br />

% Anteil C H N<br />

berechnet: 44,947 4,90 26,21<br />

gefunden: 45,00 4,94 26,10<br />

3. ERGEBNISSE<br />

3.<strong>1.</strong> Fundorte für Restmengen des Anti-AIDS-Medikaments Retrovir ®<br />

Für die Versorgung der HIV-positiven Patienten wurde in Deutschland ein dichtes Netz von<br />

Einrichtungen aufgebaut. Allein 138 AIDS-Hilfe Organisationen (vgl. Beißwengen et al.,<br />

1998) bieten ihre Hilfe an. Kliniken, Arztpraxen und Pflegedienste mit dazugehörigen Apo-<br />

theken ermöglichen eine optimale Versorgung der AIDS-Patienten. Die Aussichten über die-<br />

ses gut organisierte Netz von Hilfsstellen Restmengen an Retrovir ® zu finden, schien mir eine<br />

sehr günstige Ausgangslage für die Realisierung meines Forschungsvorhabens zu sein. Hinzu-<br />

kommt, dass gerade in der AIDS-Therapie überdurchschnittlich viele Restmengen an Medi-<br />

kamenten anfallen sollten, da die Therapie durch Unverträglichkeit, Resistenzbildung, Resig-<br />

nation und anderen Gründen häufiger zum Abbruch kommt, als dies bei anderen langwierigen<br />

Krankheiten der Fall ist.<br />

Nach Restmengen von Retrovir ® habe ich zunächst einerseits beim Bundesverband<br />

(Berlin) und 8 von 138 AIDS-Hilfe Organisationen in Deutschland und andererseits bei 12<br />

6


von 15 Autoren des Fachbuchs „Die antiretrovirale Behandlung der HIV-Erkrankung“ nach-<br />

gefragt. Auf meine 22 Anfragen erhielt ich von den angeschriebenen AIDS-Hilfe Organisatio-<br />

nen 5 Antworten und eine Retrovir ® -Restmenge. Von den angefragten Buchautoren antwor-<br />

teten alle. Einige beurteilten mein Vorhaben sehr positiv, 4 überließen mir Restmengen an<br />

Retrovir ® , andere teilten mir ebenso wie die AIDS-Hilfe Organisationen Adressen von Apo-<br />

theken, Ärzten, Pflegediensten, Entsorgungsfirmen und den Hersteller (GlaxoWellcome) als<br />

mögliche Bezugsquellen für Retrovir ® -Restmengen mit, von denen ich 46 angeschrieben und<br />

37 Antworten erhalten habe. Vom Hersteller GlaxoWellcome erhielt ich telefonisch über-<br />

raschenderweise die Antwort, dass es in Deutschland keine Restmengen gibt. Die Auswertung<br />

der Antworten ergab, dass die Entsorgung von Retrovir ® -Restmengen auf sehr unterschied-<br />

lichen Wegen, aber nach keinem leicht erkennbaren System erfolgt und sicherlich effektiver<br />

organisiert werden müsste. Bei der überwiegenden Zahl der Beantworter fielen keine Rest-<br />

mengen an Retrovir ® an, da sie nicht unmittelbar mit dem Medikament arbeiteten. Wenn<br />

Restmengen anfielen, wurden diese entweder häufig nach Afrika und an Hilfsorganisationen<br />

der Dritten Welt sowie an arme Patienten verschenkt oder ohne spezielle Angabe „weiter<br />

verwendet“, manchmal einer Firma zur Entsorgung übergeben. Von den zwei angeschriebe-<br />

nen Entsorgungsunternehmen erhielt ich keine Antwort.<br />

3.2. Rückgewinnung des Wirkstoffs AZT aus Retrovir ®<br />

Retrovir ® gehört zur Gruppe von Anti-AIDS-Medikamenten, die als Virostatika die Produk-<br />

tion neuer HI-Viren in den gesunden Zellen der HIV-positiven Patienten unterbinden. Retro-<br />

vir ® enthält aufgrund der Angaben der Gebrauchsinformation der Firma Glaxo Wellcome als<br />

Anti-HIV Wirkstoff das Nukleosidanaloga AZT (siehe Fig. 3), das als Feststoff zusammen mit<br />

8 nicht wirksamen, sogenannten pharmazeutischen Hilfstoffen (Maisstärke, mikrokristalline<br />

Cellulose, Poly(0-carboxy-methyl) stärke-Natriumsalz, Magnesiumstearat, Gelatine, Titandi-<br />

oxid (E 171), Indigocarmin (E 132) und Eisen(II,III)-oxid) in einer Retrovir ® -Kapsel einge-<br />

schlossen ist. Ein HIV-positver Patient muss Retrovir ® täglich über viele Jahre einnehmen, so<br />

dass große Mengen AZT zur Herstellung von Retrovir ® benötigt werden. Der Hersteller, der<br />

Pharmakonzern GlaxoWellcome, bietet Retrovir ® in Packungen mit 40 Kapseln à 250 mg<br />

AZT oder mit 100 Kapseln à 100 mg AZT an. Eine Packung mit 100 Kapseln Retrovir ® , die<br />

insgesamt 10 g AZT enthalten, wird mit einer unverbindlichen Preisempfehlung<br />

(Paulinenapotheke in S.) mit 515 DM angeboten, so dass der AZT-Preis je Gramm bei ca. 55<br />

DM liegt. Der hohe Preis ist sicherlich auch dadurch bedingt, dass die Synthese von AZT, die<br />

7


ereits 1964 beschrieben wurde (vgl. Horwitz et al., 1964), sehr aufwendig ist und nur vom<br />

Fachmann durchgeführt werden kann. Im Chemikalienhandel wird die Reinsubstanz AZT<br />

überraschenderweise noch wesentlich teurer angeboten, so dass AZT zu den extrem teuren<br />

Feinchemikalien zählt (siehe Fig. 4).<br />

Fig.3 Strukturformel von AZT Fig. 4 Handelspreise für AZT<br />

Der ausgearbeitete, einfache Weg zur Isolierung von AZT aus Retrovir ® basiert auf Ergebnis-<br />

sen folgender Voruntersuchungen. Zunächst wurde die Löslichkeit des Kapselinhalts in ver-<br />

schiedenen Lösungsmitteln qualitativ bestimmt. Hierzu wurde der Inhalt jeweils einer Retro-<br />

vir ® -Kapsel aus einer Packung mit gültigem oder einer mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum<br />

in 1 ml Wasser, Methanol, Ethanol, Ethylacetat oder Chloroform suspendiert. Von dem Sus-<br />

pensionsüberstand wurden bei Raumtemperatur und bei 50°C Aliquots mit Hilfe der Dünn-<br />

schichtchromatographie (DC) untersucht. Hierbei zeigte sich, dass AZT in Ethylacetat mit<br />

einem Rf-Wert von 0,40 wandert, während die abzutrennenden Begleitstoffe an der Auftrage-<br />

stelle zurückblieben. Als einziger Bestandteil des Kapselinhalts löschte AZT unter der UV-<br />

Lampe bei 254 nm die Fluoreszenz und konnte somit als schwarzer Fleck sehr gut detektiert<br />

werden, während, die an der Auftragestelle zurückbleibenden Begleitstoffe, nur unter der UV-<br />

Lampe bei 366 nm weißlich fluoreszierten. Beim Erhitzen der getrockneten Dünnschichtplatte<br />

verfärbte sich der AZT-Fleck sowie die Begleitstoffe an der Auftragestelle braun-schwarz, da<br />

der Zuckerrest des AZT-Moleküls bzw. die Polysaccharide aus den Begleitstoffen<br />

(Maisstärke, Zellulose, Poly(O-carboxymethylstärke)) in der Hitze verkohlten. Die Löslich-<br />

keitsunterschiede ergaben, dass sich AZT sowohl in Ethanol als auch in Ethylacetat in der<br />

Wärme gut, dagegen in der Kälte schlecht löste, während die Begleitstoffe in beiden Lösungs-<br />

8


mitteln wesentlich schlechter oder überhaupt nicht gelöst wurden, so dass beide Lösungsmittel<br />

für eine Extraktion von AZT aus Retrovir ® -Kapseln in Frage kamen. Außerdem zeigte sich,<br />

dass der Inhalt aus Kapseln vor und nach dem Haltbarkeitsdatum im DC keine Unterschiede<br />

erkennen liessen, so dass die Kapseln gemeinsam aufgearbeitet werden konnten. Als Extrak-<br />

tionsmittel wurde Ethylacetat verwendet, das eine niedrigere Siedetemperatur als Ethanol<br />

aufweist, so dass die thermische Belastung für AZT bei einer kontinuierlichen Extraktion über<br />

mehrere Stunden mit Ethylacetat geringer ist als bei der Verwendung von Ethanol. Außerdem<br />

war Ethylacetat mit ca. 30 DM/l im Vergleich zu Ethanol mit 110 DM/l bei entsprechender<br />

Reinheit (99,5 %) deutlich billiger.<br />

In einer weiteren Versuchsreihe wurde der Inhalt von Retrovir ® -Kapseln mit Ethyl-<br />

acetat 12 Stunden unter Rückfluß erhitzt. Nach jeweils 2,4,6,8 und 12 Stunden wurden Ali-<br />

quots der Lösung entnommen und mit Hilfe der DC untersucht. Hierbei zeigte sich, dass<br />

ausser AZT keine neuen Flecken auftraten, so dass AZT unter den Bedingungen einer 12-<br />

stündigen Extraktion mit Ethylacetat weitgehend stabil bleibt.<br />

Wie die extrahierte AZT-Menge von der Extraktionszeit abhing, wurde so ermittelt,<br />

dass der kontinuierlich, mit Ethylacetat extrahierte Kapselinhalt, jeweils nach 2,4,6,8 und 10<br />

Stunden getrocknet und ausgewogen wurde. Aus der Gewichtsabnahme nach sechsstündiger<br />

Extraktion folgte, dass bis zu 80 % der zu erwartenden AZT-Menge bereits extrahiert waren,<br />

und nach 12 Stunden nur noch eine geringe AZT-Menge im Extaktionsrückstand verblieb.<br />

Aufgrund dieser Ergebnisse wurde die präparative Extraktion von AZT in jeweils 2 Durch-<br />

gängen zu 6 Stunden durchgeführt. Die Ergebnisse der präparativen Extraktion von 316<br />

Retrovir ® -Kapseln, die in 3 Ansätzen (2 x nach Methode A, 1 x nach Methode B) erfolgte,<br />

sind in Tab.2 zusammengefaßt.<br />

Tab.2: Bedingungen und Ergebnisse der Extraktion von AZT aus dem Kaspelinhalt<br />

von Retrovir ® durch eine zweimalige sechsstündige Extraktion mit jeweils 200 ml Ethylacetat<br />

in einer Soxhlet-Apparatur.<br />

RETROVIR ® -KAPSELN EXTRAKTION<br />

Anzahl<br />

(Typ a) Gewicht Inhalt AZT Anteil<br />

)<br />

b) Methode Rückstand in<br />

A/B der Hülse d)<br />

AZT isoliert<br />

aus Extrakt<br />

in g in g in % in g in % in g in g in%<br />

50(II) 13,6 11,2 81,9 5,0 37 A 6,4 4,6 91,0<br />

232(I,II) 65,0 52,3 80,5 24,3 37 A 28,6 21,9 90,0<br />

34(I) 16,9 16,9 c) 100,0 c) 8,5 47 B 7,5 7,7 90,6<br />

a) Typ I: Kapseln à 250 mg; II: Kapseln à 100 mg b) ermittelt aus den Herstellerangabe<br />

c) ohne Trennung von Kapsel und Kapselinhalt d) nach dem zweiten Extraktionsdurchgang<br />

9


Hierbei zeigte sich aus dem Gewichtsverlust des Hülseninhalts (Extraktionsrückstand), dass<br />

nach dem zweiten Extraktionsdurchlauf 90 % der zu erwartenden AZT-Menge extrahiert wa-<br />

ren. Das Ergebnis wurde mit Hilfe der DC überprüft (vgl. Fig.5).<br />

Fig. 5 Dünnschichtchromatographie des isolier-<br />

ten AZT (Bahn 1), des Rückstand der Extraktion<br />

des Retrovir ® -Kapselinhalts(Bahn 2), sowie der<br />

Mutterlauge des Ethylacetatextrakts (Bahn 3).<br />

Das Chromatogramm K zeigt die eingezeichne-<br />

ten, UV-sichtbaren (AZT, Rf 0,40), H die in der<br />

Hitze auftretenden Flecken (AZT und Begleit-<br />

stoffe am Ursprung).<br />

Die Dünnschichtplatte zeigte, dass der Niederschlag aus dem Extrakt (Bahn 1) nur AZT ent-<br />

hielt. Der Extraktionsrückstand (Bahn 2) enthielt nur noch Spuren von AZT, aber deutlich die<br />

am Ursprung zurückbleibenden Begleitstoffe. In der Mutterlauge (Bahn 3) waren AZT und<br />

eine langsamer wandernde Verunreinigung aber keine Begleitstoffe enthalten. Aus dem Ethyl-<br />

acetatextrakt fielen bereits etwa 80 % des gelösten AZT beim Abkühlen auf -20°C aus<br />

(Hauptfraktion), während weitere 10 % (Nachfällung) aus der konzentrierten, auf -20°C ge-<br />

kühlten Mutterlauge erhalten wurden.<br />

Im Endergebnis konnten aus den 316 Retrovir ® -Kapseln 34 g (90 %) der zu erwarten-<br />

den 38 g AZT in analysenreiner Form erhalten werden mit einem Handelswert von<br />

34.000 DM, wenn man die Grammpreise des Chemikalienhandels (~ 1000 DM) (vgl. Fig.4)<br />

zugrundelegt. Das AZT habe ich dem Institut für Organische Chemie der Universität Tübin-<br />

gen für weitere Forschungsarbeiten überlassen. Es ist sicherlich kaum vorstellbar, dass 34.000<br />

DM für 34 g AZT bezahlt werden, wenn 316 Retrovir ® -Kapseln, in denen 38 g AZT<br />

„verpackt“ sind, bereits für ca. 2000 DM in den Apotheken erhältlich sind.<br />

Als Fazit meiner Arbeit sehe ich (siehe Fig.5), dass die Rückgewinnung von AZT aus<br />

Retrovir ® auf dem von mir aufgezeigten Weg sicherlich wesentlich kostengünstiger als eine<br />

Neusynthese von AZT ist und somit eine realistische Alternative zur Synthese darstellt.<br />

10


4. DISKUSSION<br />

Fig.5 Sarah mit ihrem isolierten AZT<br />

Die Rückgewinnung von AZT aus Retrovir ® ist ein Beispiel, das überzeugend und vermutlich<br />

auch mit zum ersten Mal zeigt, dass eine Aufarbeitung von Medikamentenresten eine loh-<br />

nenswerte Alternative zur Synthese des darin enthaltenen Wirkstoffes sein kann. Der so er-<br />

haltene Wirkstoff könnte wieder zu Medikamenten verarbeitet werden, wobei allerdings<br />

strenge gesetzliche Auflagen zu erfüllen sind. Außerdem wäre die Verwendung des isolierten<br />

Wirkstoffes als Ausgangsmaterial zur Synthese von neuen Wirkstoffen denkbar. Nach dem<br />

von mir ausgearbeiteten Verfahren können sicherlich noch weitere Nucleosidanaloga, die in<br />

anderen Anti-AIDS Medikamenten enthalten sind, isoliert werden, zum Beispiel Zalcitabin<br />

aus Hivid ® , Lamivudin aus Epivir ® , Didanosin aus Videx ® und Stavudin aus Zerit ® (vgl.<br />

Mauss, St., 1999). Eine Rückgewinnung ist allgemein nur dann lohnenswert, wenn der zu<br />

isolierende Wirkstoff, wie im Falle der Nukleosidanaloga, zu den wertvollen, aufwendig zu<br />

synthetisierenden Feinchemikalien zählt. Ausserdem sollte er für eine Isolierung ausreichend<br />

stabil sein und von den jeweils zugesetzten pharmazeutischen Hilfsstoffen quantitativ mit<br />

einem vertretbaren Aufwand befreit werden können. Bei der riesigen Zahl von teuren Medi-<br />

kamenten gibt es sicherlich zahlreiche Wirkstoffe, deren Rückgewinnung erstrebenswert wäre.<br />

Eine denkbare industrielle Rückgewinnung von Wirkstoffen sollte meiner Ansicht<br />

nach grundsätzlich nicht an chemischen Schwierigkeiten scheitern, sondern ist derzeit vor<br />

allem dadurch erschwert, dass das Sammeln der Restmengen an Arzneimitteln nicht optimal<br />

organisiert ist oder nicht konsequent vollzogen wird. Vermutlich ist bisher noch keine Firma<br />

an einer Rückgewinnung von Wirkstoffen interessiert, weil es an überzeugenden Beispielen<br />

fehlt. Für den Fall, dass man die Restmengen an Arzneimitteln effektiver sammeln will, um<br />

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sie als Wertstoff zu verwerten, schlage ich die Einführung einer Art Medikamentenpfand oder<br />

Rückkaufvergütung vor, die den Sammlern, ähnlich wie beim Flaschenpfand, von den Sam-<br />

melstellen (Apotheken) auszuzahlen wäre. Ich bin überzeugt, dass bei einer solchen Vergü-<br />

tung Restmengen von Medikamenten zum Vorschein kommen, die zur Zeit leider möglicher-<br />

weise aus Unkenntnis oder Verantwortungslosigkeit über die Haushalte in der Kanalisation<br />

oder über den Restmüll auf Deponien „verschwinden“. Ich würde mich freuen, wenn durch<br />

meine Forschungsarbeit „der Stein ins Rollen gebracht werden würde“, denn der sorgfältige<br />

Umgang mit unseren Ressourcen sollte allen Beteiligten ein Anliegen sein.<br />

5. LITERATURVERZEICHNIS<br />

<strong>1.</strong> Adams, O., Mauss, St.: Antiretrovirale Wirkmechanismen und zukünftige Entwicklung,<br />

in DIE ANTIRETROVIRALE BEHANDLUNG DER HIV-ERKRANKUNG, Georg<br />

Thieme Verlag, Stuttgart, S.14 - 32 (1999)<br />

2. Beißwengen, K. -D., Höpfner, C.: AIDS-Hilfe Organisationen in Deutschland, in HIV<br />

AIDS HEUTIGER WISSENSSTAND, Deutsche AIDS-Hilfe e.V., Berlin, S. 42 - 51<br />

(1998).<br />

3. Fischl, M.A.: Zidovudine, in AIDS THERAPY, Churchill Livincstone Verlag, New<br />

York, S. 17 - 31 (1999).<br />

4. Hamouda, O.: Epidemiologie und klinische Epidemiologie, in DIE<br />

ANTIRETROVIRALE BEHANDLUNG DER HIV-ERKRANKUNG, Georg Thieme<br />

Verlag, Stuttgart, S. 4 - 13 (1999).<br />

5. Horwitz, J.P., Chua, J. Noel, M.: Nucleosides. V. The Monomesylates of 1-(2’-Deoxy-<br />

ß-D-lyxofuranosyl)thymine, J. Org. Chem., 29, S. 2076-2078 (1964).<br />

6. Mauss, St.: Interaktionen antiretroviraler Medikamente, in DIE ANTIRETROVIRALE<br />

BEHANDLUNG DER HIV-ERKRANKUNG, Georg Thieme Verlag, Stuttgart, S. 84<br />

(1999).<br />

6. DANKSAGUNG<br />

An dieser Stelle möchte ich mich zunächst bei allen bedanken, die meine experimentelle Ar-<br />

beit durch Überlassen von Retrovir ® -Restmengen, Chemikalien, Ausleihen von Geräten und<br />

der Bereitstellung eines Arbeitsplatzes ermöglicht haben. Ausserdem möchte ich allen danken,<br />

die mich mit vielen guten Ratschlägen unterstützt haben.<br />

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