18.11.2012 Aufrufe

Projekt Berlin - BICK Magazin. Mensch, Berlin

Projekt Berlin - BICK Magazin. Mensch, Berlin

Projekt Berlin - BICK Magazin. Mensch, Berlin

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

ick<br />

ICH BIN BERLIN.<br />

AUSGABE 1 * 02/2008<br />

KOSTENLOS!<br />

LIES<br />

DOCH<br />

MAL<br />

®


MEDIABERATER/IN GESUCHT!<br />

Wir bieten Dir ab sofort eine freie Mitarbeit auf Provisionsbasis. In unserem Team<br />

kannst Du Dich voll entfalten. Interessiert? Dann schicke uns bitte Deine Bewerbungsunterlagen<br />

zu, vorzugsweise per e-Mail an redaktion@bick-magazin.de -<br />

Wenn Du Fragen hast, sind wir natürlich auch telefonisch für Dich da:<br />

030.297723889.<br />

Deine Aufgaben: Neukunden-Akquise und persönliche Betreuung sowie Entwicklung und Abstimmung<br />

von Werbemaßnahmen. Was wir wollen?! Sicheres Auftreten und Kommunikationsstärke,<br />

Verkaufs- und Marketingkenntnisse, erste Erfahrungen als Mediaberater/in,<br />

selbständiges und eigenverantwortliches Arbeiten, strukturierte und zielorientierte Arbeitsweise<br />

sowie eine hohe Eigenmotivation und Zuverlässigkeit. Also: Dein Typ wird verlangt...<br />

bick®


Lieber Leser,<br />

Du bist <strong>Berlin</strong> und bestens informiert,<br />

kennst dich aus und bewegst dich sicher<br />

durch die Stadt. Welcher Film läuft wo?<br />

Du hast den Überblick, weißt auch, welche<br />

Ausstellung sich lohnt, wann in den<br />

Clubs die Post abgeht und wo man<br />

etwas Tolles kaufen beziehungsweise<br />

essen kann. Eigentlich hast du schon<br />

fast die Qual der Wahl und eine Menge<br />

super Tipps aus vielen Quellen. Auf deinem<br />

Weg durch die Stadt und zu deinen<br />

Zielen begegnest du unzähligen Gestalten,<br />

siehst tausende von Gesichtern.<br />

Überall. Immer. Sie begleiten dich für ein<br />

paar Augenblicke und verschwinden<br />

dann.<br />

Hast du dich schon mal gefragt, wer sie<br />

eigentlich sind und was sie den lieben<br />

langen Tag so machen? Willst du wissen,<br />

was sie denken, wovon sie träumen<br />

und vielleicht Angst haben? Möchtest<br />

du einen kleinen Einblick in ihr Leben bekommen,<br />

vielleicht an etwas Besonderem<br />

teilhaben, dich inspirieren lassen<br />

oder dir einfach nur die Zeit vertreiben?<br />

Dann machen wir jetzt eine kurze Pause.<br />

Bleib ein paar Minuten sitzen, entspann<br />

dich und lies doch mal: ein paar Geschichten,<br />

die aus Gestalten und Gesichtern<br />

<strong>Mensch</strong>en wie du und ich<br />

machen. Spannend, oder? Und das<br />

Beste ist: Du brauchst dafür nirgendwo<br />

hin zu gehen und nichts zu bezahlen. Viel<br />

Spaß mit bick Nummer 1...<br />

Herausgeber<br />

binhaltet<br />

06<br />

08<br />

10<br />

12<br />

14<br />

16<br />

18<br />

20<br />

22<br />

24<br />

28<br />

30<br />

34<br />

36<br />

40<br />

42<br />

42<br />

Grenzgänger<br />

Start frei für Sarah El Bakri<br />

Franz Schulz, unwillkommener<br />

Aufsteiger mit Zukunft?<br />

Künstlerin<br />

Ingos Geschichte<br />

Wo ist Amerika? Biljana auf der Suche<br />

Ein lustiger Bösewicht? Jan Gebauer<br />

Ulrike Ehrlichmann,<br />

Behindertenbeauftragte<br />

Mia aus Oslo und die Farben der Magie<br />

bick girl Vanessa<br />

Erst mal abgeblitzt: Bangaluu Club<br />

Beobachter<br />

Kita St. Sebastian bekommt Geschenke<br />

Der Kältebus hält für jeden<br />

Usbekistan unverschleiert<br />

10 000 Demonstranten denken anders<br />

Sammler<br />

bick macht an<br />

Kolumne: Doktor Juri Bsüschow<br />

Impressum


GRENZGÄNGER<br />

MENSCHEN IN BERLIN<br />

Sarah, Franz, Stephanie, Ingo, Biljana, Jan, Ulrike, Mia und das Model.


START FREI FÜR SARAH EL-BAKRI<br />

MIT DEM STIPENDIENPROGRAMM DER<br />

HERTIE-STIFTUNG IN DIE ZUKUNFT<br />

Unsere Gesellschaft ist multikulti und nicht<br />

selten haben gerade die Kinder von Zuwanderern<br />

mit den unterschiedlichsten Schwierigkeiten<br />

zu kämpfen. Da ist die fremde Sprache,<br />

aber auch ganz neue Lebensumstände und andere<br />

Gewohnheiten sorgen für einige Herausforderungen<br />

im Alltag. Um besonders<br />

begabten und engagierten ausländischen Jugendlichen<br />

bessere Möglichkeiten, eine höhere<br />

Schulbildung und somit größere Chancen<br />

für eine gelungene Integration zu bieten, hat<br />

die Gemeinnützige Hertie-Stiftung das Stipendienprogramm<br />

START ins Leben gerufen. Es<br />

will den Kindern von Zuwanderern in Deutschland<br />

den Weg bereiten - als Ansporn zur Integration,<br />

als "Investition in Köpfe" und als<br />

positives Signal für die Gesellschaft. Sarah El-<br />

Bakri wurde in Deutschland geboren, vor 18<br />

Jahren. Ihre Familie stammt aus dem Sudan.<br />

Seit November 2006 wird die junge Frau von<br />

START gefördert. Ich treffe Sarah zu einem Interview...<br />

Was genau ist START? „Das Programm wurde<br />

vor vier Jahren in Hessen von der Gemeinnützigen<br />

Hertie - Stiftung gegründet. Es fördert uns<br />

Zuwandererkinder von der 8. bis zur 13. Klasse<br />

mit einem Stipendium. Ziel ist es, dass wir Abitur<br />

machen, um dann studieren zu können.<br />

Mittlerweile gibt es START in fast jedem Bundesland.<br />

Wir bekamen am Anfang einen Computer<br />

zum Arbeiten und erhalten nun jeden<br />

Monat 100 Euro Bildungsgeld für Bücher oder<br />

Arbeitsmaterialien. Das START Programm bietet<br />

auch regelmäßige Veranstaltungen und Exkursionen.<br />

Im November war ich zum Beispiel<br />

auf einem Seminar mit dem Titel ‚Mut zur Verantwortung’<br />

– das fand im Saarland statt und<br />

behandelte die Themen der Nachhaltigkeit, also<br />

Umweltschutz und Ökonomie. Davor gab es<br />

schon Seminare zu den Themen Rhetorik,<br />

06<br />

Knigge und auch Europa. Bei START lernt man<br />

eine ganze Menge, das finde ich toll. Es gibt<br />

einem mehr Selbstbewusstsein. Ich bin stolz<br />

darauf, dabei zu sein.“<br />

Wie bist du ins Programm gekommen? „Meine<br />

Biolehrerin Frau Zivny hat mir von START erzählt<br />

und ich war direkt begeistert. Also schickte<br />

ich meine Bewerbung ein, erhielt eine Einladung<br />

und musste mich vor einer Jury behaupten. Natürlich<br />

war ich total nervös – aber das hat wohl<br />

niemanden gestört und ich wurde angenommen.<br />

Im Moment gibt es in <strong>Berlin</strong> etwa 20 Stipendiaten.<br />

Mit den anderen habe ich mich<br />

schnell angefreundet. Wir treffen uns regelmäßig<br />

und unternehmen auch in unserer Freizeit<br />

viel zusammen, gehen zum Beispiel ins Kino<br />

oder Bowlen. Eigentlich sind wir so etwas wie<br />

eine Familie geworden und das ist super schön.“<br />

Was machst du denn sonst so? „Oh, mir wird<br />

eigentlich nie langweilig. Da gibt es einen Aktionskreis<br />

‚Kinder von Tschernobyl’, der es sich<br />

zum Ziel gemacht hat, jeden Sommer ein paar<br />

Kinder aus dem Gebiet der Reaktorkatastrophe<br />

nach Deutschland zu holen und ihnen ein paar<br />

schöne Wochen in einem Camp zu ermöglichen.<br />

Da helfe ich mit und bin auch als Betreuerin vor<br />

Ort. Außerdem arbeite ich an unserer Schülerzeitung<br />

‚Walters Wilde Welt’ mit. Das macht<br />

Spaß, an unserer Schule (Walter-Gropius-<br />

Schule) gibt es vieles, worüber man berichten<br />

kann. Die Lehrer sind sehr engagiert und unterstützen<br />

viele <strong>Projekt</strong>e. Ich mag die Schule und<br />

mit Neukölln komme ich auch klar. Es gibt allerdings<br />

ein paar Plätze, die ich meide und auch<br />

mit Ausländerfeindlichkeit komme ich ab und zu<br />

in Berührung - aber trotzdem ist mir der Bezirk<br />

ziemlich ans Herz gewachsen. Die <strong>Mensch</strong>en<br />

hier sind jedoch nicht so offen gegenüber Fremdem.<br />

Da ist es im Sudan ganz anders.“


Warst du schon mal dort? „Na klar! Gerade<br />

über Weihnachten und Silvester das letzte Mal.<br />

Ein Teil meiner Familie lebt ja im Sudan. Es gibt<br />

vieles, das mir dort unglaublich gut gefällt: Der<br />

Zusammenhalt zwischen den <strong>Mensch</strong>en ist viel<br />

größer, die <strong>Mensch</strong>lichkeit und auch die Gastfreundlichkeit.<br />

Man ist mehr füreinander da und<br />

wie eine große Familie. Natürlich gibt es auch<br />

Sachen, die mir überhaupt nicht gefallen: Die Infrastruktur<br />

ist sehr schlecht und die Obrigkeit,<br />

der Staat kontrolliert das Leben sehr stark. Außerdem<br />

sind alle viel zu unpünktlich, das kann<br />

ich überhaupt nicht haben.“<br />

Wie stellst du dir denn deine Zukunft vor? „Ich<br />

möchte zuerst mein Abitur mit einem möglichst<br />

guten Notendurchschnitt machen. Das dauert<br />

noch ein Jahr. Und danach würde ich gerne studieren.<br />

Ich weiß allerdings noch nicht genau, in<br />

welche Richtung ich gehen will. Auf der einen<br />

Seite würde ich gerne weiter mit Kindern arbeiten,<br />

auf der anderen Seite etwas mit Sprachen<br />

machen. Ich liebe Englisch! Vielleicht kann ich<br />

Nächster Halt:<br />

Zukunft<br />

07<br />

auch beides miteinander verbinden, mal sehen.<br />

Auf jeden Fall möchte ich ein oder zwei Semester<br />

im Ausland verbringen. Und bis dahin<br />

werde ich mich weiterhin im START–Programm<br />

beziehungsweise bei den Alumni – so nennt<br />

man dessen Absolventen - engagieren. Ich<br />

möchte mich an dieser Stelle übrigens noch einmal<br />

ganz herzlich bei der Hertie- Stiftung und all<br />

unseren Sponsoren bedanken!“<br />

Das hört sich doch richtig gut an! Wir wünschen<br />

Sarah und den übrigen Stipendiaten viel<br />

Erfolg! Mehr Infos zum Programm gibt’s im Internet<br />

unter www.start.ghst.de. Und wer den<br />

Kindern von Tschernobyl helfen möchte: Kirchliches<br />

Verwaltungsamt <strong>Berlin</strong>, Stadtmitte,<br />

EDG Kiel, Filiale <strong>Berlin</strong>, Konto: 63606, Bankleitzahl:<br />

21060237, Kennwort: “Kinder von<br />

Tschernobyl. (Bild & Text: J. Nord)


UNWILLKOMMENER AUFSTEIGER<br />

MIT ZUKUNFT UND GESTALTUNGSRAUM:<br />

DR. FRANZ SCHULZ<br />

08<br />

“Ich könnte mir nicht mehr vorstellen,<br />

woanders zu leben,”<br />

meint Dr. Franz Schulz


(Bild & Text: J. Nord). Herr Dr. Schulz, Ihr Lebenslauf<br />

ist ziemlich außergewöhnlich und voller<br />

Gegensätze. Sie haben Kunst studiert,<br />

anschließend Physik, dann promovierten Sie,<br />

machten sich mit einer Computerfirma selbständig,<br />

kamen zur Politik und sind jetzt Bürgermeister<br />

des Bezirks Friedrichshain-<br />

Kreuzberg. Klingt so, als hätten Sie viele Talente,<br />

oder? (Schulz schmunzelt) „Ich habe viele<br />

Dinge, die mich interessieren und herausfordern.<br />

Kunst mochte ich schon immer. Mein<br />

Vater war Malermeister. Dem habe ich öfters<br />

mal den Farbkeller geplündert und dann einfach<br />

drauflos gemalt. Am liebsten expressionistische<br />

Landschaftsbilder. Diesem Stil bin ich bis heute<br />

treu geblieben, obwohl ich nicht mehr so oft die<br />

Gelegenheit zum Malen finde. Damals gewann<br />

ich einen Wettbewerb und das war sozusagen<br />

meine Eintrittskarte zum Kunststudium in Darmstadt.<br />

Mein Studium fiel genau in die Zeit der Studentenrevolte<br />

- Ein Glücksfall, denn diese<br />

Erfahrungen brachten mir viele andere Sichtweisen<br />

auf Politik und Gesellschaft. Es war wie<br />

ein Ausbruch aus dem bürgerlichen Elternhaus<br />

und meist vorhersehbaren Lebenswegen.“<br />

Wie kam dann die Verbindung zwischen Kunst<br />

und Physik zustande? Da scheinen die Gegensätze<br />

doch erst Recht sehr groß zu sein. Wie<br />

passt das zusammen? „Nun: Ich legte einen<br />

Schwerpunkt meines Kunststudiums auf den Bereich<br />

der materialorientierten Ästhetik. Wir versuchten<br />

damals, verschiedene Kunstobjekte<br />

systematisch zu entschlüsseln. Die Idee war, den<br />

Prozess irgendwann umzukehren und Kunst bewusst<br />

zu generieren, auch und gerade mit Hilfe<br />

von neuer Technologie. Hierbei spielten Mathematik<br />

und Physik eine immer stärkere Rolle und<br />

irgendwann war mir klar: Das will ich weiter machen,<br />

da will ich noch mehr wissen! So kam eines<br />

zum anderen, ich absolvierte im zweiten Bildungsweg<br />

mein Abitur und wechselte anschließend<br />

nach Konstanz, zum Physikstudium. Nach<br />

dem Vordiplom ging es in meinem klapprigen<br />

2CV nach <strong>Berlin</strong>, ich bin in irgendwo in Wedding<br />

gelandet und habe mein Studium erfolgreich beendet.“<br />

Warum entschieden Sie sich für <strong>Berlin</strong>?<br />

(Schulz grinst) „Das ist eine lange Geschichte.<br />

09<br />

Nur so viel: Hier musste ich keinen Ersatzdienst<br />

leisten. Und ich wollte unbedingt in eine Großstadt.<br />

Die Zeit bisher war unbeschreiblich, ich<br />

wohnte später in Kreuzberg, direkt an der<br />

Mauer. Dort lebe ich übrigens heute noch. Denn<br />

Fall habe ich hautnah miterlebt. Das hat mich unwahrscheinlich<br />

stark geprägt. Zu diesem Zeitpunkt<br />

hatte ich den Glauben daran, dass man<br />

gesellschaftliche Veränderungen gemeinsam erreichen<br />

kann, schon fast verloren. Umso beeindruckender<br />

war der Mauerfall dann. Hier wurde<br />

Politik plötzlich greifbar und ich wollte mich unbedingt<br />

engagieren.“<br />

Also traten Sie 1990 erst in die Alternative<br />

Liste ein, wurden dann Mitglied der Bündnisgrünen,<br />

Fraktionsvorsitzender und schließlich<br />

1996 Bürgermeister von Kreuzberg. Sie blieben<br />

bis zur Bezirksreform Ende 2000 im Amt,<br />

waren 2001 bis 2006 Stadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg<br />

und wurden vor zwei Jahren<br />

zum Bezirksbürgermeister gewählt. Sind<br />

Sie nach all den Jahren immer noch so engagiert<br />

wie am Anfang? „Ja! In den vergangenen<br />

Jahren habe ich viel erlebt. Das war eine unglaublich<br />

spannende Zeit! Als erster Grüner Bürgermeister<br />

in Kreuzberg war’s nicht einfach. Die<br />

Bündnisgrünen galten damals als unwillkommene<br />

Aufsteiger ohne Zukunft. Aber mit den<br />

zahlreichen Konflikten bin ich stärker geworden<br />

und mit der Zeit kamen dann auch Erfolge, auf<br />

die ich stolz sein kann.“<br />

Welche <strong>Projekt</strong>e liegen Ihnen heute besonders<br />

am Herzen, was bewegt Sie? “Die Stadtentwicklung<br />

- eine Aufgabe, bei der ich mit großen finanziellen<br />

Mitteln eine Menge Gestaltungsraum<br />

habe. Vor allem die Planung und Umsetzung der<br />

Parks am Spreeufer sowie die Umgestaltung<br />

des Gleisdreiecks hielten mich in den vergangenen<br />

Jahren ganz schön auf Trab. Ende dieses<br />

Jahres werden die Parks fertig sein. Eine weitere<br />

Sache, die ich gerne zu Ende bringen möchte, ist<br />

die unendliche Geschichte mit dem Objekt Bethanien,<br />

<strong>Berlin</strong>s letztem besetzten Haus. Da sollen<br />

bald Verträge aufgesetzt werden. Und was<br />

mich bewegt? Ganz einfach: Der Bezirk und die<br />

<strong>Mensch</strong>en. Ich könnte mir nicht mehr vorstellen,<br />

wo anders zu leben. <strong>Berlin</strong> ist wahnsinnig spannend<br />

und ich liebe es, hier zu sein...”


“LAUT WERDEN DURCH KUNST”<br />

ZU BESUCH BEI MALERIN STEPHANIE MAY<br />

„Schau mal, meine neueste Entdeckung: Gunpowder<br />

Tee!“. Stephanie streckt mir ihre Hand<br />

entgegen, in der ein paar zusammengerollte<br />

Teekügelchen liegen. Wir sitzen in der Küche<br />

ihrer kleinen Studenten-WG und trinken aus<br />

hübschen, zierlichen Tässchen den aromatischen<br />

grünen Tee. Aus ihrem Zimmer tönen<br />

rythmische, unaufdringlich sphärische Klänge:<br />

„Dead can dance“ heißt die Gruppe. Genau die<br />

Art Musik, bei der sich die Künstlerin am besten<br />

in eine kreative Stimmung versetzen<br />

kann, erzählt sie mir.<br />

Stephanie May wird im März 25 Jahre alt und<br />

studiert Kunstgeschichte, Prähistorische Archäologie<br />

und Geschichte an der Freien Univsersität<br />

in <strong>Berlin</strong>. Ihr Studium gefällt ihr. Doch<br />

am liebsten tut sie vor allem eines: Malen. Bis<br />

10<br />

zum Abitur war Stephanie ihrer Familie und Klassenkameraden<br />

gegenüber wenig mitteilsam. Sie<br />

zog sich in ihre eigene Welt zurück, interessierte<br />

sich für romantische, mystische Themen und<br />

träumte davon, Künstlerin zu werden. Schon mit<br />

13 Jahren versuchte die junge Frau, ihre Emotionen<br />

in Aquarellen abstrakt darzustellen. Die<br />

Malerei gab ihr die Möglichkeit, sich auszudrücken,<br />

„laut zu werden“. Anregung dafür fand<br />

sie in den Werken von Dali und Klimt, im Jugendstil<br />

und bei den Symbolisten.<br />

In <strong>Berlin</strong> zu leben war schon in der Schulzeit ihr<br />

großer Wunsch. Die Stadt wirkte im Kontrast zu<br />

ihrem pfälzischen Heimatdorf Lambsheim so<br />

faszinierend frei, gerade das etwas „gammelige,<br />

nicht so geleckte“ Flair von Friedrichshain und<br />

Kreuzberg zog die Malerin an. Mit 19 erfüllt sie<br />

Stephanie malt,<br />

seit sie 13 ist.


sich schließlich ihren Wunsch, verbringt die ersten<br />

beiden Jahre hauptsächlich mit der Malerei<br />

und dem Erkunden der Stadt.<br />

Stephanie zeigt mir nun ihre neuesten Arbeiten,<br />

die an den Wänden ihres Zimmers hängen und<br />

auf dem Boden verstreut liegen. Am liebsten<br />

malt sie in Öl auf Leinwand oder in Kreide und<br />

Tusche auf Papier. Für die Figuren in ihren Bildern<br />

verwendet sie als Vorlage Fotografien, die<br />

sie seit ihrer Kindheit in einem alten roten Koffer<br />

sammelt. Der liegt, von einem golden-lächelndem<br />

Buddha bewacht, neben ihrer Staffelei auf<br />

dem Fußboden.<br />

Durch ihre Vorliebe zur ostasiatischen Kunst<br />

sowie zu alten holländischen Meistern wie Vermeer,<br />

verbindet die junge Künstlerin in ihren aktuellen<br />

Bildern ganz unterschiedliche Malweisen:<br />

Gesichter werden detailliert ausgearbeitet<br />

und mit schnell dahingeworfenen Pinselstrichen<br />

und Flächen umrahmt. Dynamisch wirken<br />

ihre Bilder auch durch den Kontrast von<br />

Schwarz-/Weißtönen und sparsam verwen-<br />

11<br />

deten symbolischen Farben wie Rot und Gelb.<br />

Die Grundsubstanz ihrer Kunst sei die innere Gefühlswelt,<br />

der sie, so Stephanie, „ein Gesicht verleihen“<br />

möchte. Dabei sollen ihre Bilder weder<br />

nüchternes Abbild der Realität sein, noch provozieren<br />

oder bloßstellen. „Ich möchte die <strong>Mensch</strong>en<br />

und Dinge in ihrer Schönheit<br />

darstellen“, erklärt mir die Malerin. In ihrem<br />

neuesten Bild „Der Verlust der Unbeschwertheit“<br />

gelingt ihr das, so finde ich, besonders gut.<br />

Stephanies Traum ist es, nach ihrem Studium<br />

selbstständig zu arbeiten, vielleicht Kurse in Maltechniken<br />

zu geben und vom Malen leben zu können.<br />

„Und irgendwann“, zwinkert sie mir zu,<br />

„möchte ich einen Pool aus türkisfarbenen Mosaiken<br />

mitten im Wohnzimmer haben!“.<br />

Übrigens könnt ihr auch jetzt schon ihre Bilder<br />

erwerben oder ein Portrait oder Akt von<br />

euch malen lassen! Schreibt einfach eine Email<br />

an: Lesfleursdumal@gmx.de (Text: Undine Kunath,<br />

Bilder: Vitali Kunath).


Ingo auf dem Weg zum letzten<br />

Kapitel in seiner Geschichte<br />

“MICH HOLT ALLES WIEDER EIN!<br />

JEDEN TAG. JEDE NACHT.”<br />

INGOS GESCHICHTE.<br />

„Erzähl meine Geschichte!“ höre ich. Immer wieder: „Erzähl meine Geschichte!“ Mit jedem Mal<br />

wird die Stimme brüchiger, mit jedem Mal die Umarmung fester. Ich spüre Bartstoppeln an meiner<br />

rechten Wange, nicht meine eigenen, und sie kratzen. Ich spüre ein Zittern und die Konturen<br />

einer Flasche, die sich unter der Jacke von Ingo an meine Brust drückt. Eine Flasche mit<br />

Wodka, 40 % vol. und schon halb leer. Es ist die zweite an diesem Tag, aber das gehört schon<br />

zu Ingos Geschichte. „Erzähl sie allen!“ meint er. Mittlerweile schluchzt der schwere Mann in<br />

meiner Umarmung, hält mich aber immer noch wie festgeschraubt. Es ist eine Umarmung, die<br />

ich nicht lösen kann, obwohl sie mich erschüttert. Weil sie zu einer Geschichte gehört, deren<br />

Ende ich gerade vor mir sehe. Ingo ist fertig. Er war es eigentlich schon immer. Und jetzt möchte<br />

ich von ihm erzählen, seine Geschichte, die es viel zu oft gibt auf unseren Straßen, die so oder<br />

ähnlich immer wieder erzählt werden könnte.<br />

Es ist die Geschichte eines Mannes namens Ingo<br />

und ich glaube, es ist auch immer noch die eines<br />

kleinen Jungen. Ingo ist nie so richtig erwachsen<br />

geworden. Er konnte es nicht, weil ihn der Junge<br />

von damals nicht in Ruhe lässt, weil er ihn immer<br />

12<br />

noch Tag für Tag begleitet und an Früher erinnert,<br />

ihm Dinge ins Ohr schreit, die Ingo längst<br />

nicht mehr hören will, nicht mehr hören kann.<br />

Dinge von seinem Vater, „ein Bär von einem<br />

Mann, so breit, dass ich zweimal reinpassen


würde“ und von den Schlägen, die seine Mutter,<br />

die beiden Schwestern und er kassierten: „Nicht<br />

mit der flachen Hand, nein, mit der Faust! Immer<br />

rein.“ Ingos Vater war Grubenarbeiter, Alkoholiker.<br />

Ingo erzählt, die Worte brechen aus ihm heraus:<br />

„Er kam heim, griff nach der Flasche und<br />

schlug zu.“ Abend für Abend. Kein Entkommen.<br />

Tagsüber will Ingo flüchten, sein Zuhause vergessen.<br />

In der Schule wird er zum Kasper, der eigentlich<br />

nach Hilfe schreit. Einer, den anfangs alle lustig<br />

finden, weil er so laut und frech ist. Zu dem man<br />

aber nie eingeladen wird, der keine Ausflüge mitmachen<br />

kann und der Woche um Woche ein<br />

bisschen verschlossener, ein bisschen seltsamer<br />

wird. Schließlich verliert er auch die letzten<br />

Freunde und dann das bisschen Respekt vor<br />

sich selbst. Mit 12 fängt Ingo an, ab und zu mal<br />

einen Zug aus der Flasche zu nehmen. „Das war<br />

krass: Ich kam mir dann endlich groß und stark<br />

vor, fast so wie mein Vater. Wenn der was getrunken<br />

hat, haben alle auf ihn gehört, haben<br />

alle das getan, was er wollte“, erinnert sich der<br />

43-jährige. Ein Jahr lang trinkt sich Ingo Mut an.<br />

Dann stellt er sich dem Vater eines Abends in<br />

den Weg. An dieser Stelle seiner Geschichte<br />

sieht mich Ingo direkt an, aber trotzdem ist er<br />

Jahre weit weg. In einer anderen Zeit, etwa<br />

1978, an einem anderen Ort, nämlich in der kleinen<br />

Wohnung seiner Jugend. Wieder steht er<br />

vor dem Vater, dem Riesen, wieder sagt er die<br />

Worte, die er nicht vergessen kann, die ihn<br />

immer noch verfolgen, sie knallen aus ihm raus:<br />

„Wenn du noch einmal, noch einmal, einmal<br />

meine Mutter schlägst, dann bringe ich dich<br />

um.“ Seine Augen füllen sich mit Tränen, er blinzelt<br />

und kehrt ins Heute zurück, fragt mich:<br />

„Willst du wissen, was dann passiert ist?“ Widerwillig<br />

nicke ich, obwohl ich es mir denken<br />

kann.<br />

Und Ingo sagt tatsächlich: „Dann schlug er noch<br />

mal zu, ein einziges Mal, das letzte Mal.“ Er<br />

greift sich in den Mund, löst seine Zähne, oben<br />

und unten, spuckt das Gebiss in die Handfläche<br />

und öffnet eine Höhle zum Rachen, mit<br />

drei, vier Stummeln. Plötzlich ist sein Gesicht<br />

eingefallen, um Jahre gealtert. Es passt jetzt<br />

nicht mehr auf den riesigen, kräftigen Körper,<br />

13<br />

den eines Maurers „und Betonierers, vergiss<br />

das nicht, das ist mir wichtig!“ Genauso wichtig<br />

ist ihm, zu erklären, dass er „morgen zwischen<br />

zwei und halb drei“ seinen Führerschein wieder<br />

bekommt, „den großen, den für Lastwagen.“ Das<br />

fällt mir schwer zu glauben, schließlich hat Ingo<br />

keinen festen Wohnsitz, geht schon seit vier Jahren<br />

„auf Platte.“ Und er kann kaum mehr was<br />

sehen: „Das ist alles wegen dem verdammten Alkohol,<br />

glaubs mir, Digger, Alkohol ist schlimmer<br />

als Drogen. Alkohol ist das Schlimmste.“ Ingo<br />

stürmt jetzt durch seine Geschichte, hakt Kapitel<br />

um Kapitel ab, bei ihm vergehen die 12 Jahre<br />

Knast, Schwere Körperverletzung, wie im Fluge,<br />

auch die Zeit danach als Fahrer fliegt vorbei. Ingo<br />

erzählt und erzählt, die Worte sprudeln nur so<br />

aus ihm heraus. Selten hört jemand zu, „du hast<br />

keine Freunde mehr auf der Straße, keine<br />

Freunde mehr!“ meint Ingo. Wieder stehen ihm<br />

die Tränen in den Augen: „Ich hatte noch nie<br />

einen Freund, einen echten. Willst du mein<br />

Freund sein?“<br />

Ich bin sprachlos und Ingo rückt seine Flasche in<br />

der dicken Jacke zurecht. Die Kleider hat er neu<br />

bekommen, von der Mission: „Ich will nicht rumlaufen<br />

wie ein Penner, will ordentlich aussehen,<br />

will wieder jemand sein, will raus aus der Stadt.<br />

Die macht mich kaputt.“ Das weiß er schon lange<br />

und er hat auch schon versucht, auszubrechen.<br />

Von 1997 bis 2003 „war ich trocken, war ich<br />

clean, da war alles fast in Ordnung. Da hatte<br />

ich eine Freundin, aber, Junge, ich hab’s versaut.<br />

Ich versaue immer alles.“ Sagt das und<br />

wirft einen Zettel auf den nassen Asphalt. Den<br />

hat er in der Mission bekommen, gerade eben.<br />

Und darauf steht die Adresse einer Klinik, in der<br />

Ingo Entzug machen könnte. Aber er will nicht,<br />

schafft es nicht mehr. Wieder schimmern seine<br />

Augen feucht: „Mich holt alles wieder ein. Jeden<br />

Tag. Jede Nacht.“ Jetzt ist er am Ende, stolpert<br />

auf mich zu, umarmt mich, schluchzt und meint<br />

„Erzähl meine Geschichte!“ Immer wieder: „Erzähl<br />

meine Geschichte!“ Ich muss es ihm versprechen.<br />

Dann löst sich Ingo, dreht sich um und<br />

stolpert auf die Straße. Er „kann ich nicht in der<br />

Mission bleiben,“ weil er dann „ganz unten ist,<br />

ganz unten.“ Und das verkraftet Ingo nicht. Gleich<br />

darauf fällt ihm die Flasche Wodka auf den<br />

Asphalt. Sie zerbricht nicht... (Bild & Text: J. Nord)


“WO IST AMERIKA..?”<br />

KUNST AUF HI-8 UND BALD IN DER BOX...<br />

(Bild & Text: J. Nord). Ein wenig seltsam sind die drei Gestalten schon: Sie haben furchtbare<br />

Klamotten an, tragen reglose Gesichter zur Schau, sie laufen immer wieder im Kreis und scheinen<br />

den eisigen Wind am Frankfurter Tor, Ecke Warschauer Straße überhaupt nicht zu spüren.<br />

Grund genug für uns, mal nachzuhaken...<br />

Entschuldigung: Dürfen wir mal kurz stören?<br />

“Wo ist Amerika? Wo ist Amerika?”<br />

Wie bitte? “Na, so lautet der Titel des Clips, den<br />

wir hier gerade drehen. Es wird ein Musikvideo<br />

im Stile der 80er...”<br />

Und warum? Die sind doch Geschichte.<br />

“Genau. Aber das Video wird Teil einer Installation.”<br />

(Anmerkung der Redaktion: “Installation”<br />

ist in der zeitgenössischen Kunst die Bezeichnung<br />

für ein Kunstwerk, das nach einem bestimmten<br />

Konzept aus der Anordnung<br />

verschiedener oder gleicher Objekte und Materialien<br />

entsteht; Installationen können Einzelobjekte<br />

sein oder sich auf die Ausgestaltung<br />

ganzer Räume beziehen. Daneben gibt es unter<br />

anderem Licht- und Klang-Installationen)<br />

Das klingt verdächtig nach Kunst. Richtig? “Erfasst.<br />

Ich bin übrigens Biljana und studiere Freie<br />

Kunst. Meine Freunde hier sind Véronique und<br />

Friedemann. Die beiden helfen mir bei meiner<br />

Meisterarbeit, sie sind Schauspieler und Techniker<br />

zugleich. Das ganze <strong>Projekt</strong> trägt den Titel<br />

‘Wo ist Amerika?’ und wird Mitte Februar an der<br />

UDK (Universität der Künste) gezeigt. Kommt<br />

doch mal vorbei...”<br />

Und was gibt’s dort zu sehen? “Ich will eine Art<br />

Box bauen, in die man eintreten und den Film<br />

sehen kann. Sozusagen ein eigener Raum zur Interpretation.<br />

Der Titel ‘Wo ist Amerika’ stammt<br />

übrigens von einer jugoslavischen Band namens<br />

‘Idol’. Wir haben ihn neu gemixt und auch den<br />

Gesang selbst aufgenommen. War lustig.”<br />

Du hast selbst gesungen? Wow. “Ach, so<br />

schlimm war das gar nicht. Ich hatte zum Bei-<br />

spiel nur eine einzige Zeile. Der Text des Songs<br />

ist nicht so schwer...” (Biljana schmunzelt)<br />

Wie lautet die denn? “Und ich sage ‘A’ wie Amerika...<br />

Das wars.”<br />

Du weißt ja: wer “A” sagt, muss auch “B”<br />

sagen, oder? Also: Warum gerade dieser<br />

Song? “Meine Arbeit soll dazu anregen, sich Gedanken<br />

zu machen. Bei ‘Amerika’ fällt jedem<br />

etwas ein, jeder hat eine Meinung. Den Film kann<br />

man dann sehr gut selbst interpretieren.”<br />

Das klingt ziemlich frei. Was bedeutet für euch<br />

Kunst? “Die Möglichkeit, etwas Besonderes,<br />

etwas Leidenschaftliches auszudrücken und mit<br />

anderen <strong>Mensch</strong>en zu teilen. Kunst ist der<br />

Punkt, zu dem wir immer wieder zurück kehren.”<br />

Also auch nach dem Studium? “Klar. Wir suchen<br />

die ganze Zeit schon einen Arbeits- und<br />

Präsentationsraum. Wenn du was weißt, melde<br />

dich einfach.”<br />

?<br />

Okay. Dann noch viel Glück beim <strong>Projekt</strong>. Was<br />

kommt als nächstes? “Oh, es gibt eine Menge<br />

zu tun. Wir müssen 5 Stunden Rohmaterial vom<br />

kultigen Hi-8 Format digitalisieren und schneiden.<br />

Danach wird an der Box gearbeitet.”<br />

14<br />

?


BILJANA (30) VERONIQUE (28) FRIEDEMANN (21)<br />

15


BÖSEWICHTE SIND LUSTIG!<br />

JAN GEBAUER, GESCHICHTENERZÄHLER<br />

MIT HERZ UND SEELE<br />

Gibt gern den Geheimnisvollen:<br />

Jan Gebauer in seinem Element<br />

16


(Text: J. Nord, Bild: Agentur OMEN) Jan Gebauer<br />

ist Schauspieler mit Herz und Seele. Er<br />

studierte an der Bayerischen Theaterakademie<br />

in München bei Größen wie Hans-Magnus Enzensberger<br />

und Peter Zadek. Jan wurde über<br />

Hörspiele, Features und Erzählungen bei ARTE,<br />

dem Bayerischen Rundfunk und dem WDR bekannt.<br />

Der Saarländer stand unter anderem in<br />

München, Hamburg, Stuttgart, Darmstadt und<br />

Heidelberg auf der Bühne, war in Stücken wie<br />

„Der tollste Tag“ und „Comedian Harmonists“<br />

zu sehen. Auch das Fernsehen hat’s ihm angetan:<br />

Im vergangenen Jahr spielte Jan eine Rolle<br />

in der ProSieben - Produktion ‘Die Unbeugsamen’<br />

von Regisseur Dirk Regel. Wir trafen den<br />

<strong>Berlin</strong>er auf ein Interview.<br />

Wie fühlt man sich eigentlich als Theaterschauspieler<br />

beim Fernsehen? „Beides hat seine Vorund<br />

Nachteile. Beim Film muss man zum Beispiel<br />

genauer arbeiten und sich streng ans Drehbuch<br />

halten. Dafür kann man eine Szene wiederholen,<br />

wenn mal was schief geht. Im Theater geht das ja<br />

so gut wie nie! Dort stellt man einen intensiven<br />

Kontakt zum Publikum her, experimentiert stärker<br />

mit seinen heiteren und düsteren Seiten… Das ist<br />

eine echte Herausforderung! Da darf man den Augenblick<br />

nicht verpassen – sonst ist er womöglich<br />

vorbei. Authentischer bin ich eigentlich im Theater,<br />

aber durch Filme kann man das größere Publikum<br />

ansprechen. Ich mag auf jeden Fall beides.“<br />

Woran arbeitest du gerade? (Jan schmunzelt)<br />

„Ich spiele die Pflanze im Musical ‚Der kleine Horrorladen’<br />

– Audrey II heißt sie, und du weißt ja: Sie<br />

ernährt sich von Blut. Eine lustige Geschichte, ich<br />

mag die Rolle. Das Musical startet am 8. Februar<br />

in Görlitz und wird ein oder zwei Jahre laufen. Wir<br />

haben dann pro Monat zwei oder drei Vorstellungen.<br />

In der Zwischenzeit bin ich viel unterwegs, arbeite<br />

weiterhin als Sprecher für ARTE, dazu<br />

kommt noch ein Stück namens ‚Hamlet und der<br />

kleine Prinz von Dänemark’ in Halle sowie eine<br />

Rolle in einem saarländischen Filmprojekt für das<br />

Max Ophüls Festival. Da mime ich einen Bösewicht,<br />

so eine Rolle spiele ich gerne. Bösewichte<br />

sind lustig.“<br />

Lebst du die ganze Zeit aus dem Koffer? „Sozusagen.<br />

Meistens bin ich in einem Hotel unterge-<br />

17<br />

bracht oder bekomme ein Zimmer zur Verfügung<br />

gestellt. Ich habe kein Auto und fahre immer mit<br />

der Bahn zu meinen Terminen. Das finde ich auch<br />

ganz gut so, denn diese Zeit im Zug kann ich zur<br />

Vorbereitung nutzen. Das Lernen von Texten ist<br />

zum Beispiel ein notwendiges Übel für mich: Ich<br />

mag es überhaupt nicht, muss mir alles tausendmal<br />

durchlesen und bin dabei eigentlich am Liebsten<br />

in einem Café, wo ich immer mal wieder<br />

abschalten und mir die <strong>Mensch</strong>en um mich<br />

herum ansehen kann. Mit offenen Augen kann<br />

man eine Menge lernen, gerade als Schauspieler.“<br />

Du hast dich bewusst vor sieben Jahren für <strong>Berlin</strong><br />

als Wohnort entschieden. Warum? „Ich bin<br />

hier nicht, um zu arbeiten. Ich bin hier, um zu<br />

leben! In Friedrichshain fühle ich mich wahnsinnig<br />

wohl. Der ganze Bezirk ist eine wahre Fundgrube<br />

für mich, die <strong>Mensch</strong>en inspirieren meine Arbeit<br />

sehr stark. Man begegnet hier allen möglichen<br />

Kulturen und Persönlichkeiten auf dichtem Raum.<br />

Im Café sitze ich mal neben einem Banker, mal<br />

neben einem Punk. Das ist doch toll! Ich mag zum<br />

Beispiel den Boxhagener Platz, vor allem im Mai.<br />

Das ist ein geiler Monat, weil das Wetter meistens<br />

stimmt und die ganze Stadt noch bunter<br />

wird.“<br />

Was kannst du denn besonders empfehlen?<br />

(Jan grinst) „Das kommt ganz auf die Stimmung<br />

an. Aber zu meinen Favoriten gehören: Morgens<br />

in aller Ruhe im Intimes Zeitung lesen, mittags mal<br />

einen ‚Long Island Iced Tea’ in der Dachkammer<br />

trinken und abends auf dem Freischwimmer abhängen.<br />

Der perfekte Tag! Leider passiert das<br />

sehr selten, weil ich immer viel zu tun habe.“<br />

Wie siehst du die Zukunft? Was steht noch fest<br />

auf deinem Plan? “Ich bin ein Geschichtenerzähler!<br />

Und das will ich auch weiterhin machen. Da<br />

bin ich mit ganzem Herzen dabei, denn halbe Sachen<br />

haben keine Aussagekraft. Wenn ich etwas<br />

mache, dann richtig. Qualität wird sich letztendlich<br />

immer durchsetzen - das ist jedenfalls meine Vision.<br />

Neugier und Phantasie treiben mich an. Und<br />

vielleicht komme ich in diesem Jahr endlich dazu,<br />

einen alten Traum zu verwirklichen: Ich möchte<br />

gerne nach Neuseeland und fünf Klimazonen an<br />

einem Stück bereisen...”


VON BARRIEREFREIHEIT UND<br />

BAUHERREN<br />

EINE BEHINDERTENBEAUFTRAGTE ERZÄHLT<br />

Heutzutage sind etwa 19 % der Bürgerinnen<br />

und Bürger in Deutschland 65 Jahre oder<br />

älter. Dieser Anteil wird sich in den nächsten<br />

30 Jahren auf rund 30 % erhöhen. Da viele Erkrankungen<br />

und Behinderungen erst im Alter<br />

auftreten, wird die Zahl der <strong>Mensch</strong>en mit Behinderung<br />

proportional zur Altersentwicklung<br />

der Bevölkerung steigen. Dem Gesetz nach<br />

sind <strong>Mensch</strong>en behindert, wenn ihre körperliche<br />

Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische<br />

Gesundheit von dem für das jeweilige Lebensalter<br />

typischen Zustand abweichen und daher<br />

ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt<br />

ist. Allen <strong>Mensch</strong>en mit und ohne<br />

Behinderung soll jederzeit ermöglicht werden,<br />

gleichberechtigt am vielfältigen sozialen, wirtschaftlichen<br />

und kulturellen Leben in <strong>Berlin</strong><br />

teilzunehmen. Deswegen wurden 1987 zunächst<br />

für den Westteil der Stadt mit dem<br />

Programm "Behindertenfreundliches <strong>Berlin</strong>"<br />

die Weichen für ein behindertengerechtes<br />

Leben gestellt. Nach der Zusammenführung<br />

beider Stadthälften hat der Senat am 15. September<br />

1992 einige wichtige Leitlinien zum<br />

Ausbau <strong>Berlin</strong>s als behindertengerechte<br />

Stadt beschlossen. Gleichzeitig wurden in den<br />

Bezirksverwaltungen neue Stellen mit Ansprechpartnern,<br />

den so genannten Behindertenbeauftragten<br />

geschaffen.<br />

Ulrike Ehrlichmann ist seit Juni 2005 als Behindertenbeauftragte<br />

in der Bezirksverwaltung<br />

von Friedrichshain-Kreuzberg tätig. In dem Bezirk<br />

leben alleine über 39 000 <strong>Mensch</strong>en mit<br />

Behinderung. Zu Ulrikes Aufgaben gehören die<br />

Bereiche Barrierefreiheit, Beratung und natürlich<br />

<strong>Projekt</strong>arbeit. Gerade in Sachen Barrierefreiheit<br />

„steckt der Teufel oft im Detail,“ meint<br />

die <strong>Berlin</strong>erin. Der Bereich sei riesig. Ulrike arbeitet<br />

hier eng mit dem Gewerbe- und Bauaufsichtsamt<br />

zusammen, mit Architekten und<br />

Bauherren. Oft gibt es Besichtigungstermine,<br />

18<br />

Räumlichkeiten und Gegebenheiten müssen geprüft<br />

werden. Zum Beispiel: Ist ein barrierefreier<br />

Zugang möglich, können Rollstuhlfahrer ohne<br />

Probleme ins Gebäude? Oder: Gibt es behindertengerechte<br />

Toiletten, Aufzüge und gar Parkplätze?<br />

„Eigentlich existiert da eine ganz klare<br />

Gesetzgebung, die alles zu dem Thema beinhaltet!“<br />

sagt die Behindertenbeauftragte. Eigentlich.<br />

Denn die Wirklichkeit sieht oft ganz anders<br />

aus: „In den vergangenen Jahren wurde die Verwaltung<br />

mehr und mehr vereinfacht und ermöglicht<br />

nun viel größere Freiräume.“ Das heißt:<br />

Vieles ist jetzt nicht mehr Genehmigungspflichtig<br />

und und die Einhaltung der Vorschriften<br />

zur Barrierefreiheit liegt bei den<br />

Bauherren selbst. „Die vergessen das Thema<br />

dann oft. Das ist kein böser Wille – die Leute<br />

wissen es einfach nicht besser.“ Manchmal<br />

spielen auch die Gegebenheiten nicht mit. Ulrike<br />

Ehrlichmann erklärt: „Wir sind ein Bezirk mit vielen<br />

Altbauten. Diese Gebäude wurden damals<br />

nicht behindertengerecht gebaut und daran<br />

lässt sich nun nicht mehr viel ändern.“<br />

Bei Teilen der Infrastruktur sieht es ähnlich aus:<br />

„Das Ostkreuz ist ein Alptraum, die U5 ebenfalls.<br />

Da gibt es zurzeit nur Treppen und keinen einzigen,<br />

zur Oberfläche reichenden Aufzug. Aber wir<br />

arbeiten daran. Es braucht nur seine Zeit.“ Ende<br />

2008 sollen zwei Aufzüge entlang der U5 ihren<br />

Betrieb aufnehmen. Am Ostkreuz hingegen<br />

muss man sich noch weiter gedulden, weil der<br />

gesamte Bereich umgebaut werden soll. „Das<br />

Thema Barrierefreiheit reicht aber noch viel weiter<br />

und ich werde oft von Bürgern auf bestimmte<br />

Problembereiche hingewiesen“ sagt<br />

die Behindertenbeauftragte. Zum Beispiel auf<br />

die neuen, öffentlichen Sprechzellen ohne Kennzeichnung<br />

für Sehbehinderte. Oder die sperrigen<br />

Drehkreuze am Eingang von Supermärkten.<br />

„Wir versuchen dann natürlich alles, um das<br />

Problem möglichst schnell zu beseitigen. Die


Zusammenarbeit mit dem Tiefbauamt und externen<br />

Stellen ist sehr eng. Wenn der Problembereich<br />

nicht zur Verwaltung gehört,<br />

kontaktieren wir die betreffenden Betreiber<br />

oder Verantwortlichen. Da wird im Anschluss<br />

auch sehr oft etwas verändert!“ Ein überaus positives<br />

Beispiel sei die BVG. Dort gibt es schon<br />

lange eine Behindertenbeauftragte, die ihren<br />

Job sehr ernst nimmt: Viele Trams und Busse<br />

sind mittlerweile mit Niederflurtechnik ausgerüstet<br />

und leicht zu betreten – außerdem werden<br />

die S-Bahnhöfe nach und nach mit Rampen ausgestattet.<br />

„Wir sind da natürlich auch stark<br />

auf die Unterstützung von behinderten <strong>Mensch</strong>en<br />

angewiesen – denn oft sieht man den<br />

Wald vor lauter Bäumen nicht!“ meint Ulrike<br />

Ehrlichmann. Ein weiterer Arbeitsbereich der<br />

<strong>Berlin</strong>erin ist die Beratung, sowohl von Angehörigen<br />

als auch von Behinderten selbst: „Da geht<br />

es um alle möglichen Themen des alltäglichen<br />

Lebens: Vom Wohnungsumbau über Fragen zur<br />

Infrastruktur und dem Umgang mit Behörden<br />

bis hin zu Freizeitangeboten und natürlich Pro-<br />

Ulrike Ehrlichmann ist Behindertenbeauftragte<br />

im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg<br />

blemen bei der Jobsuche.“ Letztere gestaltet<br />

sich für <strong>Mensch</strong>en mit Behinderung ausgesprochen<br />

schwierig. Es gibt viel zu wenig Jobs,<br />

was „eine Katastrophe“ sei, denn „viele haben<br />

den starken Wunsch nach einer regelmäßigen<br />

Beschäftigung.“ Oft bessere sich auch der Gesundheitszustand<br />

im Arbeitsleben erheblich. Die<br />

Behindertenbeauftragte versucht natürlich<br />

auch hierbei zu helfen, sie will Arbeitssuchende<br />

in Maßnahmen oder Jobs zu vermitteln. Dazu<br />

und für andere Bereiche gibt es viele <strong>Projekt</strong>e,<br />

den Behindertenbeirat zum Beispiel oder auch<br />

mobidat.net – eine Plattform im Internet für<br />

<strong>Mensch</strong>en mit Behinderung. Ulrike Ehrlichmann<br />

hat also eine ganze Menge zu tun, aber sie mag<br />

ihren Job: „Er ist sehr abwechslungsreich und<br />

ich bin viel mit <strong>Mensch</strong>en in Kontakt.“<br />

Mehr Informationen zum Thema gibt es auf<br />

www.mobidat.net und bei den Behindertenbeauftragten<br />

der Bezirksverwaltungen. (Bild &<br />

Text: J. Nord).


Mia aus Oslo wäscht auch<br />

nur mit heißem Wasser<br />

MIA AUS OSLO, 40°C UND DIE<br />

FARBEN DER MAGIE<br />

SALONGEPLAUDER<br />

20<br />


�����<br />

(Bild & Text: J. Nord). Freitagmittag in einem Friedrichshainer Waschsalon. Es ist kaum was<br />

los und nur zwei Maschinen laufen. Auf der Bank vor ihnen sitzt eine junge Frau namens Mia (27)<br />

und ist tief in ihr Buch versunken...<br />

Hi! Was liest du denn da?<br />

“Hm... das ist Terry Pratchett<br />

und ‘Die Farben der Magie’.”<br />

Aha. Und wie ist das Buch?<br />

“Ich weiß nicht.”<br />

Moment mal: Du hast schon<br />

die Hälfte gelesen, oder? “Ja.<br />

Aber ich kann die Geschichte<br />

nicht so gut verstehen. Es ist<br />

mein erstes Buch in Deutsch.”<br />

Wirklich? Wieso denn? “Nun:<br />

Ich komme aus Norwegen und<br />

bin für 3 Monate in <strong>Berlin</strong>. Um<br />

Deutsch zu lernen. Deswegen<br />

besuche ich auch Kurse am<br />

Goethe Institut. ‘Die Farben der<br />

Magie” lese ich, um meinen<br />

Wortschatz zu erweitern.”<br />

Und du konntest vorher kein<br />

Deutsch? Dann bist du ja ein<br />

echtes Naturtalent! Ich kann<br />

dich jedenfalls sehr gut ver-<br />

stehen. Was machst du denn<br />

in Norwegen so? “Ich studiere<br />

Soziologie in Oslo. Außerdem<br />

habe ich mal Philosophie und<br />

Sexualforschung gemacht. Das<br />

war echt interessant.”<br />

Wow. Dann kannst du mir ja<br />

bestimmt einiges über die<br />

<strong>Berlin</strong>er erzählen. Aus soziologischer<br />

Sicht sozusagen...<br />

“Oh: Hier gibt es viele merkwürdige<br />

Leute!” (sie schmunzelt)<br />

“Eine bunte Mischung mit<br />

unglaublichen Charakteren. Die<br />

<strong>Berlin</strong>er sind sehr kreativ und<br />

machen einfach ihr eigenes<br />

Ding. Das ist aufregend. Ich<br />

war auch eine Zeit lang in München,<br />

aber dort gefällt es mir<br />

gar nicht. Zu langweilig. Und<br />

selbst in Oslo ist man nicht so<br />

kreativ wie hier. Ich würde<br />

gerne bleiben.”<br />

Wann musst du denn wieder<br />

21<br />

heim? “Schon in ein paar<br />

Tagen. Leider.”<br />

Sag mal: Wie wascht ihr in<br />

Norwegen denn eure Wäsche?!<br />

Buntes bei 30 oder<br />

40°C? “Geht eigentlich beides.<br />

Aber ich mach’s immer mit<br />

40° und nehme möglichst<br />

kurze Programme. Man soll ja<br />

auch an die Umwelt denken...”<br />

Wie oft kommst du denn in<br />

den Salon? “Meistens einmal<br />

in der Woche. Aber nur tagsüber.<br />

Abends ist mir das nicht<br />

so geheuer.”<br />

Noch was philosophisches<br />

zum Abschied: Wenn du ein<br />

Teil deiner Wäsche wärst:<br />

Würdest du an Schicksal<br />

glauben? “Nein. Ich denke: Es<br />

gibt keine Vorherbestimmung.<br />

Man sollte einfach das Beste<br />

aus seinem Dasein machen.”


22<br />

bic<br />

GIR<br />

Van<br />

(2


k L<br />

essa<br />

3)<br />

23<br />

Fotografiert von Manfred Halter, Zweibrücken. www.foto-halter.de


BANGALUU CLUB<br />

INVALIDENSTRASSE 30 | WWW.BANGALUU.COM<br />

19.01.08 | 104.6 RTL HITRADIO CLUBNIGHT<br />

24


25<br />

Fotos Dancefloor: J. Nord; Dinnerclub (2): Jan Benten, Nils Krüger: <strong>Berlin</strong>4fun.com


BEOBACHTER<br />

ALLES DREHT SICH UM BERLIN<br />

Gefangene machen Geschenke, der Kältebus ist eines und in Taschkent<br />

schenkt bestimmt auch mal irgend jemand irgendwem irgendwas,<br />

während in <strong>Berlin</strong> wieder demonstriert wird.


GESCHENKE VON GEFANGENEN<br />

JUNGE INHAFTIERTE BAUEN SPIELZEUG<br />

(Bild & Text: J. Nord). Paul ist vier Jahre alt und<br />

schon Lokführer. Begeistert schiebt er eine riesige<br />

Eisenbahn aus Holz durch den Aufenthaltsraum<br />

der Integrationskita St. Sebastian in<br />

Wedding. Es geht vorbei an ein paar Stühlen,<br />

unter einem Tisch durch und dann zum nächsten<br />

Halt: Einer großen Ranch mit unzähligen kleinen<br />

Holzfiguren, Pferden, Kühen und natürlich einer<br />

Menge Cowboys. Auf Pauls Fahrplan stehen danach<br />

eine verwinkelte Burg und am anderen<br />

Ende des Raumes ein Puppenhaus. Doch zuerst<br />

muss er den Zug sicher um ein paar Spielkameraden<br />

herumfahren, die sich auf dem Boden um<br />

ein Gesellschaftsspiel scharen. Paul ist begeistert.<br />

Genau wie die 50 anderen Kinder der Kita auch:<br />

Denn für sie gab’s zu Weihnachten eine besondere<br />

Überraschung: am 20. Dezember brachten fünf<br />

Angestellte der Jugendstrafanstalt eine ganze Wagenladung<br />

selbst gebautes Spielzeug vorbei. Hergestellt<br />

wurde es von jugendlichen und<br />

heranwachsenden Inhaftierten. “Das Spielzeug ist<br />

echt gut geworden! Unsere Jungs haben sich<br />

28<br />

große Mühe gegeben!” erklärte Jan Jakomowitsch,<br />

der Leiter in der “Berufsfindung” der Jugendstrafanstalt.<br />

Dort sollen die Inhaftierten im Alter von<br />

etwa 14 bis 20 Jahren ihre Fähigkeiten sowie Fertigkeiten<br />

finden und auf mögliche Berufe vorbereitet<br />

werden. Die Arbeit an den Spielzeugen dauerte<br />

mehr als drei Monate, 14 Jugendliche waren beschäftigt.<br />

Viele hatten zuvor “noch nie ein Werkzeug<br />

in der Hand”, waren aber am Ende zu Recht<br />

stolz auf ihr Werk. “Wir machen diese Aktion bereits<br />

seit über 30 Jahren und immer für andere<br />

Kindertagesstätten,” sagte Janina Deininger von<br />

der Öffentlichkeitsarbeit der Jugendstrafanstalt.<br />

Das Geld für die Materialien wird immer bei Fußballwohltätigkeitsturnieren<br />

gesammelt. 2007<br />

kamen so 240 Euro zusammen. Genug, um einen<br />

ganzen Haufen Spielzeug zu bauen und den Kindern<br />

der Kita ein unvergessliches Weihnachtsgeschenk<br />

zu machen. “Wir haben uns sehr gefreut!<br />

Das ist eine tolle Aktion,” lobte Maria Silbermann,<br />

die Leiterin der Kita St. Sebastian. Auch im nächsten<br />

Jahr wird es wieder Geschenke von der Jugendstrafanstalt<br />

geben, dann allerdings für die<br />

Kinder in einem anderen Bezirk...<br />


�<br />

�<br />

�<br />

�<br />

��<br />

29<br />

Lokführer Paul beim Spielen<br />

in der Kita St. Sebastian..<br />


DER KÄLTEBUS HÄLT FÜR JEDEN<br />

NACHTS IN BERLIN - EINE REPORTAGE<br />

Ein Montagabend, irgendwo in der Stadt. Es ist<br />

kurz nach 22 Uhr. Heftiger Regen prasselt auf<br />

den Kleinbus der Stadtmission nieder, die<br />

Scheibenwischer schlagen im Takt und Wolfgang<br />

Gerhard lenkt den Wagen zielstrebig<br />

durch das Labyrinth dunkler Straßen in Richtung<br />

Hackesche Höfe. Wolfgang, der von vielen<br />

einfach „Wolle“ gerufen wird, unterhält sich<br />

leise mit seinem Beifahrer Christoph-Samuel<br />

Rottmann, kurz „Locke“ genannt. Die beiden<br />

sind ein eingespieltes Team, fahren im Kältebus<br />

regelmäßig durch die langen Winternächte und<br />

kümmern sich um die <strong>Berlin</strong>er, mit denen viele<br />

nichts zu tun haben wollen, die oft übersehen<br />

und vergessen werden. Wolfgang und Locke<br />

sind für die Obdachlosen da, besuchen sie, unterhalten<br />

sich ein bisschen, hören zu, bringen<br />

was Warmes, Decke oder Tee, und wollen sie<br />

am liebsten alle mitnehmen, in eine der Notübernachtungen.<br />

„Sonst erfrieren die doch da<br />

draußen!“ meint Wolfgang.<br />

Der gelernte Schriftsetzer weiß, wovon er spricht.<br />

Er selbst war mal eine kurze Zeit „auf Platte“, Drogensüchtig<br />

und am Rande der Gesellschaft. Mitte<br />

der 70er fand Wolle durch den Glauben zurück<br />

ins Leben und entschied sich für eine theologische<br />

Ausbildung. So kam er dann schließlich zur<br />

<strong>Berlin</strong>er Stadtmission und war von Anfang an<br />

beim <strong>Projekt</strong> Kältebus dabei. Das war im Winter<br />

1995. Wolfgang erinnert sich zurück: „Am Anfang<br />

haben wir jede Nacht zwischen 50 und 60<br />

Obdachlose eingesammelt!“ Aus Parks, unter<br />

Brücken, in alten Häusern, Bahnhöfen oder Parkhäusern<br />

beziehungsweise einfach von der Straße.<br />

Damals war das Angebot zur Notübernachtung<br />

von Stadtmission, Diakonie und ähnlichen Einrichtungen<br />

kaum bekannt, mittlerweile hat es<br />

sich jedoch rumgesprochen. Viele Obdachlose<br />

kommen nun von sich aus. Locke, Wolle und die<br />

anderen meist ehrenamtlichen Helfer bringen<br />

pro Nacht oft noch fünf bis sechs weitere in die<br />

Stationen, zu einem vollen Teller mit warmem<br />

Essen und einem Schlafplatz. „Es gibt viel mehr<br />

30<br />

Obdachlose als man denkt, über 4000 in der<br />

Stadt und nicht alle kann man gleich auf den ersten<br />

Blick erkennen. Es sind <strong>Mensch</strong>en wie du<br />

und ich!“ erzählt Christoph-Samuel. <strong>Mensch</strong>en<br />

mit Träumen, Zielen und Wünschen. Nicht „der<br />

Penner um die Ecke“, sondern eine Persönlichkeit,<br />

ein Schicksal. „Ich habe viele Freunde auf der<br />

Straße gefunden,“ meint Wolfgang. Freunde, die<br />

seine Hilfe nicht immer in Anspruch nehmen wollen<br />

oder können.<br />

So wie die Frau in der Nähe des Kottbusser<br />

Tores, die eingepackt in eine alte Decke im Regen<br />

an einem Hauseingang liegt. Schon seit Wochen<br />

versuchen Locke und Wolle, sie zum Mitkommen<br />

zu bewegen. Aber sie will nicht, sie kann nicht:<br />

„Diese Frau hat kein Vertrauen mehr, zu niemandem.“<br />

Manche Obdachlose können gar nicht<br />

glauben, dass sich jemand für sie interessiert und<br />

helfen will. An erster Stelle steht das Angebot, im<br />

Kältebus zu einer sicheren Notschlafstelle zu fahren,<br />

dort können weitere Hilfen vermittelt werden.<br />

Von der ärztlichen Untersuchung bis hin zum Entzug,<br />

zur festen Schlafstelle und der langsamen<br />

Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Die <strong>Berlin</strong>er<br />

Stadtmission verfügt über ein umfangreiches<br />

Netzwerk für Wohnungslose, dazu<br />

gehören sozialpädagogische Beratung und<br />

seelsorgerliche Begleitung, Wohnhilfen, eine<br />

Krankenstation und ein Übergangshaus. Grundvoraussetzung<br />

ist jedoch, dass der Betroffene -<br />

die Leute von der Mission sprechen von ihren<br />

„Gästen“ - die Hilfe auch in Anspruch nehmen<br />

möchte. „Manche wollen das nicht, wir werden<br />

sogar bisweilen beschimpft oder angegriffen,“<br />

meint Wolfgang. Deswegen sind die Helfer auch<br />

immer zu zweit im Kleinbus unterwegs, zwischen<br />

60 und 120 Kilometer fahren sie in einer Nacht.<br />

Christoph-Samuel erklärt: „Wir wollen nacheinander<br />

alle bekannten Plätze abfahren! Das schaffen<br />

wir meistens im Rhythmus von zwei Wochen.“<br />

In diesem Winter ist der Kältebus zum ersten<br />

Mal an sieben Tagen in der Woche unterwegs -<br />

auf der Straße gibt es kein Wochenende. Mitt-


lerweile sind Locke und Wolle an den Hackeschen<br />

Höfen angekommen und parken den<br />

Wagen in einer Seitenstraße. Wolfgang<br />

schnappt sich einen Schlafsack und erklärt: „Der<br />

ist für einen Freund, eine Spende, er hat darum<br />

gebeten.“ An diesem Abend kann Wolle das Geschenk<br />

jedoch nicht übergeben, sein Bekannter<br />

ist nicht zu sehen. Dafür treffen die beiden auf<br />

zwei junge Obdachlose, die im strömenden Regen<br />

an einen Laternenpfahl kauern und im Stillen eine<br />

Straßenzeitung verkaufen.<br />

Beide lassen sich überreden, mit ins Trockene zu<br />

kommen. Auf dem Weg zur Mission erzählt Daniel<br />

ein bisschen von seinem Schicksal: „Ich bin<br />

28 und Obdachlos, hatte noch nie eine Freundin.<br />

Aber vor einer Woche habe ich eine Nette<br />

kennen gelernt und sogar ihre Nummer bekommen.“<br />

Daniel ist schon seit 8 Jahren auf der<br />

Straße und gerade weiß er nicht so recht, wie es<br />

mit dem Mädchen weiter gehen soll. Ihm fehlt der<br />

Mut, ihr zu sagen, dass er kein festes Dach über<br />

dem Kopf hat, keine anderen Kleider außer denen<br />

an seinem Körper, ihm fehlt der Mut, ihr zu beich-<br />

32<br />

ten, dass er süchtig ist und jeden Tag Heroin<br />

braucht. Aber vielleicht wird er ihn finden, seinen<br />

Mut, vielleicht wird er eines Tages nicht mehr mit<br />

dem Kältebus zur nächsten Notübernachtung<br />

fahren, vielleicht wird er Wolfgang und Locke<br />

heute zum letzten Mal sehen.<br />

Die zwei sind schon wieder unterwegs zu einem<br />

neuen Ziel, am anderen Ende der Stadt. Jemand<br />

hat angerufen, einen Obdachlosen gemeldet.<br />

Das kann man jederzeit tun, unter der Nummer<br />

0178-52 35 838. Locke und Wolle kümmern<br />

sich jetzt um ihn.<br />

Mehr Informationen gibt es im Internet unter<br />

www.kaeltebus.de - Helfen Sie mit und spenden<br />

Sie, ihre Spende kann viel bewirken. Kontonummer:<br />

31 555 00, Bankleitzahl: 100 205<br />

00. Da reichen 15 Euro zum Beispiel schon<br />

aus, um die Wäsche von 15 Wohnungslosen zu<br />

waschen, 50 Euro kosten zwei gründliche medizinische<br />

Erstversorgungen, 100 Euro bringen<br />

50 Wohnungslosen eine warme Mahlzeit auf<br />

den Teller. (Bild & Text: J. Nord).


RAUM FREI FÜR IHRE<br />

WERBUNG<br />

IST IM GANZEN HEFT! RUFEN SIE UNS AN:<br />

bick magazin, TEL. 030-29772389


PR-Anzeige<br />

Undine besuchte den Registan-Platz in Samarkand und reiste dann weiter nach Buchara.<br />

USBEKISTAN UNVERSCHLEIERT<br />

EIN REISEBERICHT VON UNDINE<br />

„Wooohin fährst du in Urlaub? Nach Taschkent?<br />

Ehhm, wo liegt das denn gleich nochmal...?“<br />

- “In Usbekistan.“ - „Ach so! Ja, klar.<br />

Usbekistan. Hmm.“<br />

Ja, mein Reiseziel klingt für viele Ohren ungewöhnlich.<br />

Ich muss gestehen, dass meine Kenntnisse über<br />

dieses Land, das einmal Teil der Sowjetunion war,<br />

ebenfalls recht spärlich sind: Schemenhaft erinnern<br />

mich Städtenamen wie Taschkent und Samarkand<br />

an die Erzählungen aus 1001 Nacht, ich weiß,<br />

dass ein Großteil der Bevölkerung islamischen<br />

Glaubens ist und ein Blick in den<br />

Atlas verrät mir, dass Usbekistan südlich<br />

an Kasachstan grenzt. Meine<br />

Freundin Angelika, die ich dort besuchen<br />

werde, rät mir, Klamotten für<br />

jede Wetterlage mitzunehmen – der<br />

November hält je nach Laune Temperaturen<br />

aus jeder Jahreszeit parat. Ich lasse<br />

mich also in jeder Hinsicht überraschen – und<br />

erlebe zwei unglaublich spannende Wochen in einem<br />

Wüstenland voller Oasen. Die erste davon ist Taschkent:<br />

Eine 2-Millionen-Metropole mit grünen Parkanlagen,<br />

Bananen- und Kakibäumen, wo jedes<br />

Fleckchen Grün künstlich bewässert werden muss.<br />

Das Stadtbild ist geprägt von Gebäuden aus der So-<br />

34<br />

wjetzeit, sogar eine Metro gibt es, die an Moskau erinnert,<br />

seinerzeit die erste in Zentralasien. Aber trotz<br />

der Ähnlichkeit mit russischen Städten besitzt die<br />

Stadt mit ihren Moscheen und Bazaren einen unverkennbar<br />

orientalischen Charakter. Besonders<br />

exotisch erscheinen mir die großen, an Doppelbetten<br />

erinnernde Holzgestelle, die überall im Land vor<br />

den Cafés und in den Innenhöfen zu sehen sind. In<br />

der Mitte dieser sogenannten Toptschane stehen<br />

niedrige Tischchen, auf denen die Speisen serviert<br />

werden. Wir bestellen wie die Einheimischen<br />

Tee und Plow, das nationale Reisgericht<br />

und lassen es uns dort gut gehen. Um<br />

einen richtigen Eindruck vom Orient<br />

zu bekommen, empfiehlt mir Angelika<br />

eine Reise nach Samarkand und<br />

Buchara: Hier schlendern wir durch<br />

die Altstädte mit ihren prachtvollen<br />

mittelalterlichen Moscheen und Medresen,<br />

von deren Schönheit ich überwältigt<br />

bin. Jedes Detail der mit Mosaiken<br />

überzogenen Mauern fasziniert mit seiner abwechslungsreichen<br />

Ornamentik und der Harmonie<br />

der Blau-, Gold- und Grüntöne. Die ehemaligen Schülerzimmer<br />

der alten Koranschulen werden nun als<br />

kleine Läden und Ateliers genutzt, in denen man wunderschöne<br />

handgearbeitete Holzschnitzereien, Tep-


piche und traditionelle, quietschbunte Kleidung erstehen<br />

kann. Immer wieder kommen wir hier auch<br />

mit den Einheimischen ins Gespräch, die uns offen<br />

und freundlich begegnen. Auch die Frauen zeigen<br />

sich in dem islamischen Land selbstbewusst in der<br />

Öffentlichkeit, nirgends sehen wir verschleierte Gesichter.<br />

Überhaupt gewinne ich den Eindruck, dass<br />

die Usbeken ein offenes, lebensfrohes Völkchen sind.<br />

Das erlebe ich auch bei einem Restaurantbesuch in<br />

der Taschkenter Innenstadt: Hier wird nicht nur gemeinsam<br />

gegessen, sondern auch getanzt und gefeiert,<br />

egal ob jung oder alt. Wir betreten einen<br />

gemütlichen, mit Strohmatten und bestickten Teppichen<br />

geschmückten Raum, der vor Leben sprudelt!<br />

Ein DJ (ja, im Restaurant!) beflügelt die gute Laune<br />

der Gäste mit lautstarkem orientalischem Pop, wir<br />

brüllen unsere Bestellung in das trainierte Ohr des<br />

Kellners und erhalten innerhalb kürzester Zeit die lekkersten<br />

Salate, Schaschlik, süßen Aprikosensaft und<br />

Wodka. Ja, so ein Fläschchen fehlt auch in Usbekistan<br />

nur selten auf den Tischen. Und da die Musik<br />

nunmal so schön im Gange ist, beginnen die ersten<br />

Gäste zu tanzen. Angelika und ich gesellen uns dazu,<br />

geben unser Bestes in orientalischen Schlangenbewegungen<br />

und ernten wohlwollende Blicke. So vergeht<br />

kein Tag ohne neue, interessante Erlebnisse: In<br />

Tashkent höre ich zum ersten Mal den mystischen<br />

Ruf des Muezzins zum Gebet und erlebe am Abend<br />

eine eindrucksvolle Bauchtanzshow. Im ehemaligen<br />

Fischerdorf Moynak, das einst am Ufer des riesigen<br />

Aralsees lag, stehe ich fassungslos an einer Steilküste,<br />

die nun auf über 100 Kilometer Wüste blickt. In<br />

Chiwa schauen wir den Teppichweberinnen bei ihrer<br />

geduldigen Arbeit über die Schulter und durchschreiten<br />

die ehemaligen Gemächer des Khans und<br />

seines Harems. Eines ist sicher: Usbekistan hat viel<br />

mehr zu bieten, als in meine zwei Urlaubswochen hineinpasst.<br />

Schon sitze ich wieder im Flieger, der gerade<br />

eine dicke, graue Wolkendecke über dem<br />

Tegeler Flughafen durchbricht, beiß in mein letztes<br />

Stückchen süße Honigmelone und träume von Angelikas<br />

Abschiedsworten: „Du musst unbedingt im<br />

Frühling wiederkommen, wenn in den Bergen die wilden<br />

Tulpen blühen...“<br />

Ihr wollt auch mal nach Usbekistan? Dann los,<br />

am besten mit airBaltic, direkt von <strong>Berlin</strong>! Den<br />

Hin- und Rückflug gibts schon ab 440 Euro.<br />

Die schönste Reisezeit ist im Frühling und im<br />

Herbst. (Text: Undine Kunath; Bilder: Vitali Kunath).<br />

35<br />

Ein Mosaik aus Mauern:<br />

Die Altstadt von Chiwa..<br />

AUCH WEG GEWESEN?<br />

Dann schick uns doch deinen<br />

Reisebericht und ein paar Bilder an:<br />

redaktion@bick-magazin.de<br />

UNSER TIPP: FLIEGE MIT


10 000 DEMONSTRANTEN<br />

UND DIE FREIHEIT, ANDERS ZU DENKEN<br />

„Kommunismus, ich will ein Kind von dir!“ steht in<br />

dicken Lettern auf einem großen Plakat. Das wiederum<br />

wird von einem vermummten Typen wild<br />

durch die Gegend geschwenkt. Eigentlich bin ich<br />

nur auf dem Weg zur U5, als mir an der Kreuzung<br />

Samariterstraße und Frankfurter Allee am 13. Januar<br />

eine Großdemonstration dazwischen kommt.<br />

Ich finde das Plakat sehr eigenartig und will mehr<br />

wissen. Deswegen gehe ich dem Ganzen nach und<br />

frage seinen Schwinger: „Was soll das?“ Er sieht<br />

mich an als käme ich vom Mond und sagt:<br />

„Nichts.“ Das ist ziemlich wenig für einen Artikel.<br />

Also versuche ich es wieder und will wissen: „Wer<br />

bist du?“ Der Typ schüttelt den Kopf und meint:<br />

„Namen sind nicht wichtig.“<br />

Bevor ich noch etwas sagen kann, drückt mir jemand<br />

einen Zettel in die Hand. Darauf steht in großen,<br />

roten Buchstaben: „Gemeinsam gegen<br />

Zukunftskiller!“ Ich laufe ein bisschen mit der Masse<br />

und lese währenddessen. Da steht unter anderem<br />

geschrieben, dass es Zeit sei, „sich zu wehren,“ dass<br />

man „gemeinsam gegen Bildungsabbau und Ausbildungsplatzvernichtung“<br />

vorgehen müsse. Und dass<br />

es Zukunftskiller geben würde, die sogar „Namen<br />

und Adressen“ hätten. Aha! Also sind Namen wohl<br />

doch wichtig! Aber das klingt alles ziemlich seltsam<br />

und ich bekomme ein bisschen Angst. Trotzdem lese<br />

ich weiter. Einige der Zukunftskiller seien sogar bekannt:<br />

„Sie heißen z.B. Angela Merkel [...] oder Jürgen<br />

Rüttgers. [...] Oder sie heißen René Obermann,<br />

der als Chef der Telekom die Übernahme nach der<br />

Ausbildung in seinem Konzern eingestampft hat.“<br />

Also: Die Telekom kenne ich. Aber die anderen Zukunftskiller..?<br />

Das ist wohl Ansichtssache. Doch jeder<br />

hat ja schließlich das Recht auf freie Meinungsäußerung.<br />

So steht’s im Grundgesetz und ein berühmtes<br />

Zitat von Rosa Luxemburg lautet: „Freiheit ist<br />

immer auch die Freiheit der Andersdenkenden.“<br />

Überhaupt scheint es bei dieser Demonstration<br />

hauptsächlich darum zu gehen, anders zu denken.<br />

Denn davon ist vor allem auf den Plakaten die Rede.<br />

Da lese ich eine bunte Mischung an Parolen: Wohl<br />

so ziemlich alles, für oder gegen das man demon-<br />

37<br />

strieren kann, außer der Sache mit der Umweltzone.<br />

Ich sehe Sprüche über „Solidarität mit den Völkern<br />

Afrikas“ (und Kubas, Venezuelas, Ecuadors, Nicaraguas<br />

sowie Palästinas), ein Stück weiter steht was<br />

über Abscheu gegenüber „neokolonialistischen Machenschaften,“<br />

gegenüber der „aggressiven“ EU und<br />

NATO,“ der Bundeswehr und überhaupt, gegen<br />

Hartz IV. Man demonstriert hier natürlich auch<br />

gegen „Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus.“<br />

Das volle Programm und immer wieder tauchen<br />

die Namen Liebknecht beziehungsweise<br />

Luxemburg auf.<br />

Endlich weiß ich Bescheid: Ich bin in die alljährliche<br />

Großdemonstration zum Gedenken an die am 15.<br />

Januar 1919 ermordeten Sozialisten Karl Liebknecht<br />

und Rosa Luxemburg geraten. Zusammen<br />

mit mehr als 10 000 <strong>Mensch</strong>en laufe ich nun weiter<br />

zur Gedenkstätte der Sozialisten auf dem Zentralfriedhof<br />

Friedrichsfelde. Rosa Luxemburg war eine<br />

bedeutende Vertreterin der europäischen Arbeiterbewegung.<br />

Sie wirkte vor allem in der polnischen und<br />

deutschen Sozialdemokratie als marxistische Theoretikerin<br />

und engagierte Antimilitaristin. Gegen die<br />

Kriegsunterstützung der SPD gründete sie 1914 die<br />

„Gruppe Internationale“ und leitete dann mit Karl<br />

Liebknecht den daraus hervorgehenden Spartakusbund.<br />

Als politische Autorin verfasste sie zahlreiche<br />

zeitkritische Aufsätze und ökonomische Analysen:<br />

vor 1914 unter anderem in der „Leipziger Volkszeitung,“<br />

bis 1918 auch in der Haft und danach als Herausgeberin<br />

der Zeitung „Die Rote Fahne“. Ende<br />

1918 gehörte sie zu den Gründungsmitgliedern der<br />

KPD, deren erstes Parteiprogramm sie großenteils<br />

verfasste. Im Gefolge des gescheiterten Spartakusaufstands<br />

wurde sie unter nicht restlos geklärten<br />

Umständen zusammen mit Karl Liebknecht von Freikorps-Soldaten<br />

ermordet. Ich frage mich, ob „Kommunismus,<br />

ich will ein Kind von dir!“ nicht ein wenig<br />

zu anders gedacht ist.<br />

(Bild & Text: J. Nord. Quellen: „Jugend-Aktionsprogramm<br />

der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend“,<br />

Veranstalter: www.ll-demo.de und Wikipedia.)


www.porsche-design.com<br />

RAUM FREI FÜR IHRE<br />

WERBUNG<br />

IST IM GANZEN HEFT! RUFEN SIE UNS AN:<br />

bick magazin, TEL. 030-29772389


SAMMLER<br />

NEUES AUS BERLIN<br />

Was zum anmachen und was zu lachen.


ick<br />

MACHT AN.<br />

Schon Frühlingsgefühle? Wohl kaum. Weil der<br />

Winter sich nicht entscheiden kann, ob er gehen<br />

oder bleiben soll. Die Redaktion plädiert für gehen,<br />

will aber vorher wenigstens noch einmal richtig<br />

viel Schnee haben. Für einen halben Tag oder so.<br />

Danach wollen wir den Frühling und die neue Saison<br />

begrüßen - mit unseren Accessoires.<br />

Sky<br />

Flower Print Top<br />

Flower Prints sind in. Dieses<br />

Jahr gilt: Je größer und bunter,<br />

desto besser! Kurzes Top<br />

mit einer Kette aus rosafarbenen<br />

Perlen als Halterneck.<br />

Doch Vorsicht vor den vielen<br />

Bienchen, wenn Sie im Sommer<br />

mal auf einer Wiese<br />

Pause machen wollen, ja?<br />

229,00 €<br />

www.stylebop.com<br />

Prada<br />

Handtasche<br />

Dieses Accessoire ist wieder<br />

mal produktgewordene Eleganz<br />

zum sündhaften Preis.<br />

Ob Mario Prada bei der Gründung<br />

seines Unternehmens<br />

1913 wohl geahnt hat, dass<br />

dessen Produkte fast 100<br />

Jahre später immer noch für<br />

schlaflose Nächte bei der<br />

meist weiblichen Kundschaft<br />

sorgen werden?<br />

898,20 €<br />

www.unique-way.de<br />

FÜR SIE.<br />

40<br />

TIPP!<br />

Porsche<br />

Sonnenbrille<br />

Fiorentini + Baker<br />

Plateaus<br />

48,00 €<br />

www.yoox.com<br />

Kik<br />

Hose<br />

9,99 €<br />

www.kik-textilien.de<br />

117,81 €<br />

www.porsche-design.com<br />

Porsche. Ein Mann würde jetzt feuchte<br />

Hände bekommen. Weil er gleich an 911 und<br />

Co denken muss. Ihr Herzchen darf jetzt aber<br />

ebenfalls schneller schlagen! Denn Porsche<br />

Design hat echt schmucke Accessoires im<br />

Angebot. Eines davon ist die formschöne<br />

Sonnebrille für Sie. Jetzt geben Sie sich ‘nen<br />

Ruck und gönnen Ihrem Mann den Turbo!<br />

Nette Knöchelbrecher in der<br />

Farbe Malve. Schon gewusst?<br />

Die bekanntesten<br />

Vorgänger der Plateaus sind<br />

die Zoccoli im Venedig des<br />

15. Jahrhunderts. Trotzdem<br />

sollte frau einen Besuch in<br />

dieser Stadt und mit diesen<br />

solchen Schuhen vielleicht<br />

überdenken. In der Gondel<br />

braucht’s nen festen Stand.<br />

Na, wäre das nicht die ideale<br />

Ergänzung zur Prada Tasche?<br />

Ist ja farblich ziemlich<br />

stimmig. Und weil’s auch vom<br />

Preis her passt, könnte Frau<br />

sich vielleicht sogar das Waschen<br />

sparen. Und gleich<br />

einen Vorratspack an Hosen<br />

anlegen. Günstiger geht<br />

wahrscheinlich nicht mehr.


Yamaha SR 500, Bj. 1978<br />

www.mobile.de<br />

ca. 1000,00 €<br />

ICON Super Duty Jacket<br />

www.speedware.de<br />

ca. 250,00 €<br />

Thermo Shirt<br />

ALDI<br />

ca. 20,00 €<br />

41<br />

LEE Keeler<br />

www.lee.com<br />

ca. 60,00 €<br />

Sonnenbrille<br />

www.ebay.de<br />

ca. 5,00 €<br />

bick<br />

BOY<br />

Florian<br />

(26)<br />

FÜR IHN.


Lieber Dr. Juri Bsüschow<br />

Mein grüner Nachbar wollte sich vor einigen Wochen<br />

ein Windrad in den Garten stellen. Aller Nachhaltigkeit<br />

und Umweltliebe zum Trotz, das ging entschieden<br />

zu weit! Achim und ich waren natürlich dagegen.<br />

Schließlich wollen wir unsere Sonntagszeitung im Wintergarten<br />

auch in Zukunft ohne summende Schattenspiele<br />

auf den Blättern genießen. Ich stelle mir ja<br />

auch keinen Reaktor in den Garten, nur weil ich für<br />

Atomkraft bin. Deswegen habe ich die besten Anwälte<br />

des Landes auf Trab gebracht. Die hätten auch nicht<br />

davor zurückgeschreckt, meinen Nachbarn und seine<br />

neongrünen Familie als neue Terrorzelle auszuweisen.<br />

Soweit ist es dann aber nicht gekommen, weil die Ökos<br />

von nebenan letzte Woche ausgezogen sind. Nun frage<br />

ich mich natürlich: Hab ich das alles ein wenig übertrieben?<br />

Angela<br />

Liebe Angela,<br />

es ist schön, dass Du Dir so viele Gedanken über<br />

nachbarschaftliche Beziehungen machst, wo Du<br />

doch eigentlich mehr als genug mit der Weltpolitik<br />

zu tun hättest. Leider ist es dafür jetzt zu spät<br />

und der Nachbar über alle Berge. Um Dein Gewissen<br />

zu beruhigen und meine Pressefreiheit zu<br />

wahren, werde ich versuchen, dir das Ganze<br />

schön zu schreiben. Also: Windräder verschan-<br />

IMPRESSUM<br />

Herausgeber & Chefredakteur (v.i.s.d.p.)<br />

Jan-Erik Nord, Diplom Designer<br />

Warschauer Straße 85 | 10243 <strong>Berlin</strong><br />

fon: 030.29772389 | fax: 030.29772390<br />

mail: redaktion@bick-magazin.de<br />

Anzeigenhotline | 0160.92162375<br />

Verbreitung | <strong>Berlin</strong>, alle Bezirke<br />

Redaktion (redaktion@bick-magazin.de)<br />

Julia Würtz (Dr. Juri Bsüschow), Undine und<br />

Vitali Kunath, Manfred Halter<br />

Konzept + Gestaltung | Jan-Erik Nord<br />

Druck | Saxoprint GmbH, Dresden<br />

42<br />

deln die Landschaft. Sie sind hässlich und machen<br />

Krach! So ein Windrad brummt gerne mal lauter<br />

als der Staubsauger im Keller... Natürlich sieht<br />

der Gesetzgeber da Ruhezeiten vor. Werden die<br />

nicht beachtet, spricht man von Lärmbelästigung.<br />

In Deinem Fall war stark davon auszugehen.<br />

Womit Deine rechtlichen Schritte also tatsächlich<br />

einigermaßen begründet waren. Außerdem kann<br />

man ja nie wissen, wer sich wirklich hinter dem<br />

ach so netten Nachbarn verbirgt. Terrorzelle<br />

schön und gut - aber was, wenn’s jemand von<br />

Greenpeace war? Oder noch schlimmer: Einer<br />

von der SPD?<br />

Du kannst ganz beruhigt sein: die Mehrheit der<br />

Wähler ist bestimmt auf Deiner Seite. Schließlich<br />

ist Klimaschutz nur solange toll, wie er nicht vor<br />

der eigenen Haustür stattfindet. Und wie heißt es<br />

doch so schön: Der Kun...Wähler ist König. Also<br />

bist Du auf dem richtigen politischen Weg. Nicht<br />

zu vergessen: Die Bibel. Schließlich bist Du Christdemokratin!<br />

Also solltest Du Dich auch ein wenig<br />

danach richten, was so in der Bibel steht. Zum<br />

Beispiel über das Verhältnis von <strong>Mensch</strong> und<br />

Natur: „Groß sind die Werke des Herrn; wer ihrer<br />

achtet, der hat eitel Lust daran“ (Altes Testament,<br />

Buch 5). Ist ein Windrad das Werk Gottes?<br />

Wohln eher nicht. Also: Windräder sind böse und<br />

Deine schwarze Weste wieder rein gewaschen.<br />

Der nächste Nachbar kommt bestimmt.<br />

Dein Dr. Juri Bsüschow<br />

Alle Veröffentlichungen sind urheberrechtlich geschützt.<br />

Dies gilt auch für speziell angefertigte Werbeanzeigen.<br />

Weiterverwendung jeweils nur mit schriftlicher Genehmigung<br />

des Herausgebers möglich. Namentlich gekennzeichnete<br />

Artikel spiegeln nicht zwangsläufig die<br />

Meinung der Redaktion wider. Keine Haftung bei Druckoder<br />

Satzfehlern. Die Redaktion freut sich über eingesandte<br />

Beiträge, behält sich aber das Recht der Nichtveröffentlichung<br />

oder Kürzung vor.<br />

Redaktions- und Anzeigenschluss Nr 2:<br />

02. April 2008. Nr 2 erscheint am 15. April.


EINMAL MODEL<br />

UND ZURÜCK, BITTE.<br />

SCHÖNEFELD > ZWEIBRÜCKEN<br />

> FOTO-SHOOTING > SHOPPEN<br />

IM DESIGNER OUTLET> RÜCKFLUG<br />

Alles an einem Tag und super günstig. Was will<br />

Frau mehr? Infos: www.foto-halter.de<br />

oder telefonisch: 06332.48 76 60<br />

:<br />

:<br />

:<br />

:<br />

:<br />

:<br />

:<br />

:<br />

Fotostudio Halter<br />

Pirmasenser Straße 97<br />

Im Gewerbepark Dorndorf<br />

66482 Zweibrücken<br />

Mobil: 0171.40 50 565


INTERNET PROJEKT:<br />

www.LiveOnlineFor1000Years.com<br />

1000 JAHRE<br />

ONLINE LEBEN<br />

JETZT ANMELDEN!<br />

Wieso sterben wir? Was kommt danach? Fragen, die sich bestimmt jeder schon<br />

mal gestellt hat. Nach dem Tod verblassen die Erinnerungen an einen <strong>Mensch</strong>en,<br />

er gerät langsam in Vergessenheit. So verschwinden mit jeder neuen<br />

Generation unzählige Persönlichkeiten, Lebenswerke und Zeitzeugnisse.<br />

Ab sofort ist ein kleines bisschen mehr Unsterblichkeit<br />

für jeden möglich! Seit Ende<br />

Januar kann man sich im Internet verewigen.<br />

Auf der Internetplattform von<br />

www.LiveOnlineFor1000Years.com sollen<br />

Persönlichkeiten Jahrzehnte, Jahrhunderte<br />

und vielleicht sogar Jahrtausende<br />

überleben - solange das Internet existiert!<br />

Die Mitglieder können auf der Plattform all<br />

das veröffentlichen, was ihnen wichtig ist,<br />

ihr Leben auszeichnet und sie zu etwas<br />

Besonderem macht. Das können Bilder<br />

und Videos oder Geschichten und Gedichte<br />

sein, Gedanken und Zeichnungen.<br />

Eben das, was man den Kindern, Enkeln,<br />

ja sogar der ganzen <strong>Mensch</strong>heit hinterlassen<br />

möchte und was die Zeiten überdauern<br />

soll. So entsteht ein riesiger<br />

Datenspeicher mit unzähligen Profilen und<br />

Inhalten, ein Schatz an Persönlichkeiten<br />

und ihrem Wissen, der jedem <strong>Mensch</strong>en<br />

frei zugänglich ist. Machen Sie mit!

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!