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biologie wood wide web das intelligente netz der pflanzen - LINV

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BIOLOGIEWOOD WIDE WEBDAS INTELLIGENTE NETZ DER PFLANZENEine biologische Revolution bahnt sich an: Zunehmend entdeckenForscher, <strong>das</strong>s Pflanzen zu erstaunlichen Intelligenzleistungen fähigsind. Verantwortlich dafür ist ihr »Wurzel-Gehirn« – ein riesigesunterirdisches Kommunikations<strong>netz</strong> Von Joseph ScheppachKLETTERPFLANZE Ein Menschhangelt sich an den mächtigenWurzeln eines Baums entlang,<strong>der</strong> die Ruinen eines ehemaligenSilberbergwerks in Mexiko»erobert« hat. Welche entscheidendeRolle Wurzeln in <strong>der</strong> InformationsübertragungzwischenPflanzen spielen, <strong>das</strong> entdeckenNeurobiologen erst jetztCORBIS78 50 P.M. 9/2007 10/2007Zum Anhören unter: www.pm-magazin.de/audio10/2007 9/2007 P.M. 79 51


PIONIER Der In<strong>der</strong> Chandra Bose(1858 – 1937) und sein »Crescograph«.Mit dieser Apparatur untersuchte <strong>der</strong>Forscher <strong>das</strong> Wachstum von PflanzenPFLANZEN-GEDÄCHTNIS Nur wennsie innerhalb von 30 Sekunden zweiBerühungen ihrer Härchen spürt,schnappt die »Venusfliegenfalle« zuHat Grünzeug Grips? Können Pflanzenerkennen, was mit ihnen geschieht?Ist ein Strauch fähig, voreiner Gartenschere zurückzuweichen o<strong>der</strong>sich <strong>der</strong> Gießkanne zuzuneigen? Fühlt einBaum Schmerz, wenn ein Mensch ihn fällto<strong>der</strong> ihm ein Tier einen Zweig abbeißt?Rächen sich manche Bäume sogar dafür? InSüdafrika verendeten 1990 über 3000 Antilopen.Die Täter: Akazienbäume! Sie haltenFressfeinde fern, indem sie bei Gefahrdie Konzentration des giftigen BitterstoffsTannin in ihren Blättern bis zu einer tödlichenDosis steigern. Gleichzeitig setzen sie<strong>das</strong> farblose, süßlich riechende Gas Ethylenfrei, <strong>das</strong> <strong>der</strong> Wind zu den an<strong>der</strong>en Bäumenträgt – die auf dieses Alarmsignal hin ebenfallsihre Giftstoffproduktion erhöhen.Antilopen kennen die Gefahr: Normalerweisefressen sie niemals länger als zehnMinuten von den Blättern ein und desselbenAkazienbaums. Dann wechseln sie zu eineman<strong>der</strong>en Baum – und laufen dabei immergegen die Windrichtung: Nur dort findensie noch nicht gewarnte Akazien. Dasses dennoch zu dem Massensterben in Südafrikakam, hatte diesen Grund: Als diePreise für Antilopenfleisch stiegen, wurdendie Tiere in Gehegen gezüchtet. Und da dieZäune sie am Weiterziehen hin<strong>der</strong>ten,fraßen sie weit länger von den Akazien alsin freier Wildbahn. Das war ihr Tod.Ist die Abwehrstrategie <strong>der</strong> Akazie <strong>das</strong>Ergebnis ihrer Cleverness – o<strong>der</strong> gar Ausdruckihres Bewusstseins? Pflanzen ein Bewusstseinzuzuschreiben, gilt gemeinhin alsesoterische Spinnerei. Doch jetzt sprechenauch ernsthafte Wissenschaftler <strong>der</strong> vermeintlichso tumben Pflanzenwelt ein erstaunlichesAusmaß an Intelligenz und Problemlösefähigkeitzu. Diese Forscher sinddrauf und dran, die Biologe zu revolutionieren– und auch unsere herkömmlicheSicht auf die Pflanzen, die 98 Prozent <strong>der</strong>Biomasse unserer Erde ausmachen.DIE WISSENSCHAFTLER, von denenhier die Rede ist, haben einen neuen Forschungszweigbegründet: »Neuro<strong>biologie</strong><strong>der</strong> Pflanzen«. Neuro<strong>biologie</strong>? Natürlichhaben Pflanzen kein Nervensystem, dessenist sich auch die Neurobio-Fraktion bewusst.Doch seit dem 18. Jahrhun<strong>der</strong>t istnachgewiesen, <strong>das</strong>s es bei Pflanzen nebenden gut erforschten chemischen Botenstoffenauch so genannte elektrische Aktionspotenzialegibt: Sie dienen <strong>der</strong> internen Informationsübertragung,ähnlich wie in denNerven von Tieren und Menschen.Die Gemeinsamkeiten gehen den Neurobiologenzufolge noch viel weiter. »Füruns gibt es zwischen Tier- und Pflanzenreichkaum Unterschiede«, sagt <strong>der</strong> ZellularbiologeFrantisek Baluska vom Institutfür Zelluäre und Molekulare Biologie <strong>der</strong>Universität Bonn. Pflanzen können riechen,schmecken, sehen, hören und sprechen. Siehaben vermutlich sogar mehr Sinne als wirMenschen. So »erspüren« Pflanzen ständigmindestens 20 verschiedene Umweltfaktoren,darunter Licht, Bodenstrukturund Schwerkraft. Und sie orientieren sichan elektrischen und magnetischen Fel<strong>der</strong>n<strong>der</strong> Erde – vergleichbar den Vögeln.Wie sind die »grünen« Neurobiologenzu diesen Erkenntnissen gekommen? Derelektrische Fluss <strong>der</strong> Informationsübertragungim »Körper« <strong>der</strong> Pflanzen lässt sichähnlich wie bei Mensch und Tier messenund per Elektroenzephalogramm (EEG)darstellen. Dazu dringen die Wissenschaftlermit superfeinen Sonden sogar in einzelneZellen <strong>der</strong> Pflanzen ein. Bildgebende Verfahrenermöglichen es darüber hinaus,chemische Prozesse im Inneren zu beobachten:Mit Leuchtmarkern versehene Proteinebewegen sich in <strong>der</strong> Zelle, reagierenmit an<strong>der</strong>en Molekülen – und die Forscherschauen zu.Wie Pflanzen Umweltreize verarbeiten,damit beschäftigt sich die Bonner Forschungsgruppeseit 20 Jahren. »Wir wissenSPL / AGENTUR FOCUS, ULLSTEINPATRICK MACALLISTER, CORBISPflanzen können sehen, sprechen, riechen und hören. Ja, sie haben sogarmehr Sinne als wir Menschen. Sind sie in Wahrheit »verwandelte« Tiere?PFLANZE ODER TIER? Wenn dieMeeresschnecke Pflanzen frisst,baut sie bestimmte Zellen inihre Haut ein. Mit diesen Chloroplastenkann sie Photosynthesebetreiben – und sich wie eine Pflanzevon Sonnenlicht »ernähren«jetzt, <strong>das</strong>s Pflanzen insbeson<strong>der</strong>e unter <strong>der</strong>Erde intensiv miteinan<strong>der</strong> kommunzieren«,erklärt Baluska. »Sie reden miteinan<strong>der</strong> undauch mit bestimmten Pilzen.« Zur Kommunikationverwenden sie in Wasser gelösteBotenstoffe, die sie mit den Wurzeln»schmecken« können.Die jüngste Entdeckung: Über die Wurzelnkönnen Pflanzen auch zwischen ihrereigenen Art und Fremden unterscheiden.WUNDERSAME WENDIGKEIT Ein Wurzelspross(l.) bewegt sich beim Überwindenvon Hin<strong>der</strong>nissen ähnlich vorwärts wieeine Schlange (r.): <strong>das</strong> Ergebnis hochentwickelterKoordinationsfähigkeitSie erkennen ihre Verwandten und schonensie im Kampf um Platz und Nahrung.Wächst nämlich in <strong>der</strong> Nähe ein Artverwandter,dann bilden beide Pflanzen ihreWurzeln weniger stark aus, um sich nichtgegenseitig zu schwächen. »Gärtner wissenzwar schon lange, <strong>das</strong>s manche Pflanzenpaarebesser miteinan<strong>der</strong> auskommenals an<strong>der</strong>e«, sagt die Entdeckerin <strong>der</strong> pflanzlichen»Vetternwirtschaft«, die kanadischeBiologin Susan Dudley. »Wie die Wurzelinteraktionaber genau vor sich geht, <strong>das</strong> beginnenWissenschaftler erst jetzt zu untersuchen.«KLAR IST: »Wurzeln bilden ein riesiges, dynamischesKommunikations<strong>netz</strong>«, sagt Baluskasakademischer Mitstreiter, <strong>der</strong> pensionierteBiologie-Professor DietmarVolkmann. Und dieses Info-Netz ist mindestensso groß ist wie <strong>das</strong> World WideWeb. So besitzt z. B. schon eine einzige Roggenpflanze13 Millionen Wurzelfasern miteiner Gesamtlänge von 600 Kilometern.An je<strong>der</strong> davon wachsen Wurzelhärchen:etwa 14 Milliarden, die aneinan<strong>der</strong>gereihteine Länge von 10600 Kilometern ergeben– die Entfernung von Pol zu Pol. An <strong>der</strong>Spitze je<strong>der</strong> einzelnen Wurzelfaser entdecktendie Bonner Neurobiologen spezialisierteZellen. »Sie oszillieren ähnlich wie Hirnneuronenin synchronen Phasen«, erklärtVolkmann und scheut sich nicht, davon zusprechen, <strong>das</strong>s diese Zellen »gehirnähnlicheFunktionen« wahrnehmen. Zusammen bildensie <strong>das</strong> »Gehirn« <strong>der</strong> Pflanze, den »neuronalenWurzelstock« – gleichsam ein»Wood Wide Web«. Damit es arbeitenkann, sind die einzelnen Zellen des Gehirnsdurch »pflanzliche Synapsen« miteinan<strong>der</strong>ver<strong>netz</strong>t – ähnlich wie bei Mensch und Tier.Wie erstaunlich lernfähig dieses Netzwerkist, ergab ein Versuch, bei dem dieWurzeln einer jungen Pflanze einer niedrigkonzentrierten Salzlösung ausgesetzt wurden.Diese Tortur führte dazu, <strong>das</strong>s diePflanze später sogar in höheren Salzkonzentrationenüberleben konnte, die normalerweisetödlich für sie sind. Die Erfahrung<strong>der</strong> Wurzel wurde also auf die ganze Pflanzeübertragen: Sie lernte, sich an die salzigeUmgebung anzupassen.Dass Pflanzen gewissermaßen mitdenkenund aus ihren Erfahrungen lernen, zeigtsich auch an jungen Bäumen: Gießt man sieüber einige Zeit in immer gleichen Abstän-10/2007 P.M. 53


den, prägen sie sich diesen Rhythmus ein;lässt man dann eine Wässerung ausfallen,bekommen sie dennoch einen Wachstumsschub– als wären sie gegossen worden. Erstwenn <strong>der</strong> Nährstoffnachschub mehrmalsnacheinan<strong>der</strong> ausbleibt, merken sie, <strong>das</strong>s<strong>der</strong> Rhythmus unterbrochen ist, und senkenihren Energieaufwand für weiteres Wachstum.Die Fähigkeit, künftige Entwicklungenvorherzuahnen, zeigt sich auch in <strong>der</strong> Artund Weise, wie die oberirdischen Teile einerPflanze auf einen Konkurrenten reagieren,<strong>der</strong> ihnen <strong>das</strong> Sonnenlicht »wegnehmen«will: Die von <strong>der</strong> Nachbarpflanze auf sieselbst reflektierten Strahlen liefern ihr die Informationenüber die Position und dieWachstumsrichtung des Nachbarn. Undprompt än<strong>der</strong>t sie ihre eigene Wachstumsrichtung– noch bevor sie tatsächlich beschattetwird!TEAMWORK Wie die Passionsblumebieten viele Pflanzen den Ameisenspeziell für sie produzierten Nektaran. Als Gegenleistung wehren dieTiere Schädlinge ab.SYNAPSEN DasHormon Auxin gilt alsBotenstoff, <strong>der</strong> Informationenin Pflanzenwurzelnweiterleitet –ähnlich den Neurotransmitternin Gehirnen. ImBild zu sehen ist eineMais-Wurzelspitze. DasAuxin sammelt sich in<strong>der</strong> Mitte (l.: roterBereich). Rechts: Fließströmedes Auxins. Forscherglauben: Die Konzentrationin <strong>der</strong> Mitteentspricht <strong>der</strong> Synapsezwischen NervenzellenDIE »PARASITÄRE Kleeseide« ist ebenfallsein Meister <strong>der</strong> Vorausplanung. Sieernährt sich von an<strong>der</strong>en Wirts<strong>pflanzen</strong> –und möchte natürlich vorher wissen, obsich <strong>der</strong> Aufwand lohnt und <strong>der</strong> Wirt genug»hergibt«. Um <strong>das</strong> zu erkunden, berührt sieihr Opfer erst einmal mit ihren Saugnäpfchen.»Von <strong>der</strong> Einschätzung hängt ab, wieviele Windungen die Kleeseide um den Wirtlegt«, schreibt <strong>der</strong> Zellbiologe AnthonyTrewavas von <strong>der</strong> University of Edinburgh.»Denn je mehr Windungen, desto mehrSprosse, um an die Nährstoffe herankommen.Ist die Wirtspflanze aber schwach,dann bedeuten zu viele Sprosse einen Energieverlust.«Ob die Kleeseide tatsächlich»zuschlägt«, hängt davon ab, wie sie ihreVersorgung während <strong>der</strong> nächsten vier Tageeinschätzt – wäre sie nicht gesichert, würdedie Kleeseide eingehen.»Eine solche vorausschauende Planungverlangt ein flexibles Verhalten«, soTrewavas. »Das setzt Lernfähigkeit und Erinnerungsvermögenvoraus. Und es erfor<strong>der</strong>tIntelligenz.« Intelligenz? Ein schillern<strong>der</strong>Begriff. Er stammt aus dem lateinischen»inter-legere« – »wählen zwischen« verschiedenenOptionen. Aber eine allgemeingültigeDefinition von dem, was Intelligenzist, gibt es bis heute nicht. In <strong>der</strong> Biologiewird sie häufig als »adaptives und variablesVerhalten während <strong>der</strong> Lebenszeit eines Individuums«definiert. Genau dies lässt sichbei Pflanzen beobachten, meint Trewavas:Pflanzen sind adaptiv, also anpassungsfähig,und sie können ihr Verhalten än<strong>der</strong>n.Sie versuchen, aus einer gegebenen Situation<strong>das</strong> Beste für Wachstum und Fortpflanzungherauszuholen. Und da gilt es ebenauch für Pflanzen, genau abzuwägen: Wobefinden sich die meisten Nährstoffe? Wiestark ist die Konkurrenz? Wird es sich lohnen,neue Sprosse auszutreiben?»Selbst Bakterien wird eine basale Formvon Intelligenz zugesprochen, und mehrzelligePflanzen können all <strong>das</strong>, was Einzellerkönnen, in deutlich komplexerer Form«,sagt Trewavas. Sind Pflanzen womöglich sointelligent wie nie<strong>der</strong>e Tiere? Ist eine Pflanzeein »verwandeltes« Tier, wie <strong>der</strong> BiologeRaoul Francé schon 1924 schrieb? Gemeinsamkeitensind durchaus vorhanden.Zum Beispiel besteht eine erstaunliche Ähnlichkeitzwischen <strong>der</strong> Hohlkonstruktion desGrashalms und dem Rückgrat <strong>der</strong> Wirbeltiere;zwischen den Wasserleitungsbahnenin den Pflanzen und den Blutbahnen <strong>der</strong>Tiere; zwischen den Chloroplasten <strong>der</strong>Pflanzen, die <strong>das</strong> Sonnenlicht absorbieren,und den Stäbchenzellen in <strong>der</strong> Netzhautdes Wirbeltierauges; zwischen dem grünenPflanzenfarbstoff Chlorophyll und demBlutfarbstoff Hämoglobin: Beide Bausteinesind fast identisch. Auch bei <strong>der</strong> Abwehrvon Krankheitskeimen zeigen sich Übereinstimmungen:Bei höheren Tieren besteht<strong>das</strong> Immunsystem aus zwei Komplexen,PATRICK MACALLISTERCORBISdem erworbenen und dem angeborenenImmunsystem. Pflanzen haben immerhinein angeborenes Immunsystem.EINE VERBLÜFFENDE Ähnlichkeit mitTieren zeigt sich auch bei den internen Signal-und Kommunikationswegen. Wennman ein brennendes Streichholz unter einMimosenblatt hält, dann schlagen selbstdie Blätter in zwanzig Zentimeter Entfernungnoch aus. Die elektrischen Signalleitungenführen zur blitzschnellen Reaktion,durchaus vergleichbar mit den Signalen inNervenfasern von Tieren. Sogar die Geschwindigkeit<strong>der</strong> Signalübertragung (biszu 20 Zentimeter pro Sekunde) ist vergleichbar:Schneller leiten auch die Nervennie<strong>der</strong>er Tiere nicht.Ob die Mimose wohl leidet, wenn mansie ansengt? »Das ist uns nicht bekannt«,sagt Forscher Volkmann. »Doch Pflanzenhaben Hormone und Proteine, die bei Menschenbeim Auslösen von Schmerzen eineRolle spielen.« Dürfen wir jetzt keinen Salatmehr essen, keine Bäume mehr fällen,keine Blumen mehr pflücken? »Alle Tierefressen Pflanzen, direkt o<strong>der</strong> indirekt. OhnePflanzen gäbe es we<strong>der</strong> Tiere noch Menschen«,sagt Biologe Boller. »Es könnte dieethische Aufgabe <strong>der</strong> Pflanze sein, gefressenzu werden.«Esoteriker glauben:Pflanzen wachsenbesser, wenn man siestreichelt. Jetztentdeckten Biologen»Berührungs-Gene«Dass die grünen Neuroforscher denPflanzen ähnliche Fähigkeiten zuschreibenwie den Tieren, treibt Vertreter <strong>der</strong> etabliertenWissenschaftsgemeinde auf die Palme.Zwar müssen auch traditionelle Biologeneinräumen, <strong>das</strong>s es Hinweise aufpflanzliche Substanzen gibt, die wie Neurotransmitterwirken. »Aber es gibt beiPflanzen keine mit Tieren vergleichbarenStrukturen auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Zellen, <strong>der</strong>Ge<strong>web</strong>e o<strong>der</strong> Organe«, wettern 30 Wissenschaftlerim Fachblatt »Trends in PlantBiology«. Sie fürchten, <strong>das</strong>s mit <strong>der</strong> Pflanzenneuro<strong>biologie</strong>die Wissenschaft <strong>der</strong> Biologieins Fahrwasser <strong>der</strong> Esoterik gerate.Fällt dann, woran laut Emnid-Umfragefast die Hälfte <strong>der</strong> Deutschen glaubt, auchunter Esoterik-Verdacht: <strong>das</strong>s Pflanzen besserwachsen, wenn man mit ihnen Gesprächeführt o<strong>der</strong> sie mit Barockmusik beschallt?Liebe statt Dünger? »Da muss manvorsichtig sein«, räumt auch <strong>der</strong> grüne NeurobiologeBaluska ein. An<strong>der</strong>erseits bestehtkein Zweifel daran, <strong>das</strong>s Pflanzen empfindlichauf jede Art mechanischer Reizereagieren: Unsere Sprache o<strong>der</strong> Musik sindstark genug, um Pflanzenmembranen zureizen. »Pflanzen nehmen die Frequenzen<strong>der</strong> Töne wahr, sie hören eine Bach-Sonatejedoch kaum als Musik«, sagt Baluska.»Gut möglich aber, <strong>das</strong>s solche FrequenzenEinfluss auf <strong>das</strong> Wachstum haben. Obwohl<strong>das</strong> viele Wissenschaftler nicht gern hören.«Für unwissenschaftlich wurde lange Zeitauch die Behauptung gehalten: Pflanzenwachsen besser, wenn man sie streichelt.»Heute weiß man, <strong>das</strong>s Berühungen Pflanzen-Geneaktvieren«, sagt Volkmann. »Sieheißen Touch-Genes, also Berührungsgene.«Sind sie erst einmal aktiviert, än<strong>der</strong>tsich <strong>das</strong> Wachstum <strong>der</strong> Pflanze: Die Stengelwerden dicker. Ganz ohne Esoterik.Die grundsätzliche Frage aber bleibt:Kann es Wahrnehmung ohne Sinnesorganegeben, Geist ohne komplexes Gehirn?Wenn die Pflanzenneurobiologen von»pflanzlichen Synapsen« und einem »Wurzelstock-Gehirn«reden, dann mögen etablierteWissenschaftler zu Recht fürchten,<strong>das</strong>s ein ganzes Fach in Misskredit gebrachtwird, weil Begriffe aus <strong>der</strong> Neuro<strong>biologie</strong><strong>der</strong> Tiere auf Pflanzen übertragen werden.Aber die alten Begriffe reichen einfach nichtmehr aus, um all die neuen Entdeckungenzu beschreiben. »Wir brauchen neue interdisziplinäreund ganzheitliche Forschungsansätze«,sagt Baluska. »Zell<strong>biologie</strong>, Elektrophysiologieund Ökologie müssen engerzusammenarbeiten.« Nur so besteht überhaupteine Chance, <strong>das</strong> Geheimnis pflanzlicherIntelligenz zu lüften, <strong>das</strong> schon vorzweieinhalbtausend Jahren den PhilosophenAristoteles umgetrieben hat. Erschrieb zwar eine durch bewusstes Erkenntnisvermögendefinierte Seelentätigkeitallein uns Menschen zu – aber auch inden Pflanzen sah er eine vegetative Seelewirken. »Wenn man die Seele als <strong>das</strong> bezeichnet,was dem Wesen seine lebendeForm verleiht, dann hatte Aristoteles vielleichtdoch die richtige Idee«, meint <strong>der</strong> PhilosophAndreas Weber. »Seele beginntgleichzeitig mit dem Leben.« Pflanzen sindlebendig. Mithin haben sie auch irgendeineArt von Bewusstsein, weil die Zellen, ausdenen sie bestehen, es haben.Unter den Pflanzen befinden sich die ältestenund größten Lebewesen <strong>der</strong> Erde.Und obwohl sie an ihren Standort gefesseltsind, haben sie es geschafft, sich weltweitauszubreiten. Pflanzen reagieren auf Einflüsseund Gefahren. Was aber nehmen sievon ihrer Umgebung wahr? Gibt eswomöglich ein pflanzliches »Weltbild«?Der Pflanzenforschung steht eine aufregendeZeit bevor – vielleicht sogar ein Paradigmenwechselin unserer Sicht auf die Natur.Und damit letztlich auf uns selbst. WEBWEISERInfos zu Neuro<strong>biologie</strong> <strong>der</strong> Pflanzen:http://ds9.botanik.uni-bonn.de/Infos zu Biosemiotik:http://www.biosemiotics2006.org/Fachbuch über Pflanzen-Neuro<strong>biologie</strong>:Communication in Plants. (Baluska,Mancuso, Volkmann) Springer-Verlag54 P.M. 10/200710/2007 P.M. 55

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