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Dr. Martin Schaw

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Sommerakademie St. Bonifaz 2011<br />

„Das Ende der Bavaria Sancta:<br />

die Säkularisation von 1803 und ihre Folgen“<br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Martin</strong> <strong>Schaw</strong>e:<br />

Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und die Säkularisation<br />

St. Bonifaz, München, 3. August 2011<br />

Nachdem wir mehrere Vorträge gehört haben über die Voraussetzungen der Säkularisation in<br />

der Geschichte, über die Säkularisation aus europäischer Perspektive, über die vielen<br />

Säkularisierungen, die es weit vor 1800 bereits gegeben hat, nun also der Bericht aus der<br />

Praxis, aus der Sicht einer untergeordneten Behörde. Prof. Heim hat uns am 6. Juli mit dem<br />

amtlichen Prozedere der Säkularisation bekannt gemacht. Daran schließe ich an. Am Ende der<br />

Klosteraufhebung kamen die Expertenkommissionen. Dies war die Stunde der<br />

Zentralgemäldegaleriedirektion.<br />

Die Zentralgemäldegaleriedirektion – dieses Wortungetüm beschreibt die Einrichtung recht<br />

präzise. 1799 gegründet, „zentral“ deshalb, da aus der Vereinigung der pfälzischen<br />

Wittelsbacher-Galerien Mannheim, Zweibrücken und schließlich (ab 1806) Düsseldorf mit<br />

den altbayerischen Galerien München und Schleißheim entstanden, ferner zentrale<br />

Verwaltung und Leitung eines landesweiten Netzes von Filialgalerien. Beides, Säkularisation<br />

und Filialgalerien, Zentralisierung und Dezentralisierung – sind engstens miteinander<br />

verbunden, wie wir sehen werden. Heutiger Name der Einrichtung: Bayerische<br />

Staatsgemäldesammlungen, für die ich arbeite. Ich spreche hier also pro domo; die<br />

bewundernswerte Unparteilichkeit und Ausgewogenheit der vergangenen Vorträge dürfen Sie<br />

folglich von mir nicht erwarten.<br />

Die Akteure damals sind Galeriedirektor Johann Christian von Mannlich (1741–1822,<br />

amtierte 1799–1822), der als Hofmaler und Galeriedirektor schon auf Schloss Carlsberg für<br />

den Pfalz-Zweibrücker Zweig der Wittelsbacher tätig war, aus dem Ludwig I. hervorging, und<br />

Johann Georg Dillis (1759–1841, amtierte 1822–1841), seit 1790 Galerieinspektor an der<br />

Hofgartengalerie und 1808 geadelt.<br />

Wie kamen also die Altäre ins Museum? Dieser inhaltlich zugespitzten Frage möchte ich in<br />

den nächsten gut 50 Minuten nachgehen. Da es bei der Beantwortung ja in erster Linie um


den historischen Vorgang, nicht so sehr um die Kunstwerke selbst geht, fällt es mir leicht, auf<br />

Abbildungen zu verzichten. Ich spare mir dabei, nochmals auf die Voraussetzungen der<br />

Säkularisation einzugehen. Auch Mannlich und Dillis haben darauf kaum einen Gedanken<br />

verschwendet. Sie erhielten Anweisungen und taten ihre Pflicht – und in meinen Augen taten<br />

sie dies nicht als raffgierige Eiferer, sondern verantwortlich und mit konservatorischem<br />

Weitblick. Wohlgemerkt hoben nicht die Museumsleute die Klöster auf, sondern die Klöster<br />

waren aufgehoben. Den Kunstwerken drohte infolgedessen ein ungewisses Schicksal und<br />

unsachgemäße Behandlung. Sie waren gefährdet. Es galt also zu retten, was zu retten war.<br />

Dies möchte ich als vielleicht provokative Grundthese meines Vortrags formulieren.<br />

Der Vortrag besteht aus drei Teilen, die mit folgenden Fragen verbunden sind: 1. Wie ging die<br />

Inbesitznahme ehemaligen klösterlichen Eigentums vor sich? 2. Woher kamen die Gemälde?<br />

3. Und was aus ihnen wurde.<br />

Erlauben Sie mir zur Einstimmung ein längeres Zitat von Galeriedirektor Johann Christian<br />

von Mannlich, nach seiner „Histoire de ma vie“ zwischen 1813 und 1818 in Französisch<br />

geschrieben, die in einer vorzüglichen Edition von Karl-Heinz Bender und Hermann Kleber<br />

I.<br />

vorliegt. Ich zitiere zu meiner und Ihrer Bequemlichkeit nach der deutschen Übersetzung von<br />

Eugen Stollreiter. Es war eine grundsätzlich antikirchliche Zeit, über die wir hier sprechen –<br />

auch das wird aus dem Text deutlich werden:<br />

„Ich bereiste also die Klöster und Abteien in Bayern und heimste eine gute Ernte an<br />

Kunstwerken ein, die ich verpacken und nach München schaffen ließ. Allerorts stieß ich auf<br />

Kommissäre, die nicht nur das Gut und die Möbel der besagten Klöster an sich rissen, sondern<br />

auch noch mit Härte gegen sie verfuhren. Rache, Leidenschaft und Hass kamen bei ihrem<br />

Vorgehen zum Durchbruch und nur wenige Ausnahmen waren zu verzeichnen.<br />

Von dieser Reise zurückgekehrt, erstattete ich eingehenden Bericht über alles, was ich<br />

gefunden und gesehen hatte. Ich muss wohl meine Sache zu gut gemacht haben; denn man<br />

hielt unter verschiedenem Vorwand meine Abreise zum großen Streifzug durch Schwaben<br />

und Franken hintan. Inzwischen veräußerte, versteckte und schleppte man weg, soviel man<br />

nur konnte, und unermessliche Schätze entgingen dadurch dem Staate, nicht durch die<br />

Mönche und Äbte (man überwachte sie scharf), sondern durch andere. Als der Kurfürst eines<br />

Tages in der Zeitung von der Versteigerung der Gemälde des Bistums Kempten las, sandte er<br />

2


unverzüglich einen Kurier ab, der den Verkauf so lange verzögern sollte, bis ich die Auswahl<br />

für unsere Galerie getroffen hätte. […] Dann fuhr er, zu mir gewandt, fort: ‚Damit man Ihnen<br />

aber nicht neue Hindernisse in den Weg legen kann, reisen Sie gleich morgen ab! Hier haben<br />

Sie sechzig Louisdor; wegen weiterer Geldmittel werde ich Befehle ergehen lassen. Finden<br />

Sie etwas besonders Schönes, so benachrichtigen Sie mich direkt davon! Im übrigen, mein<br />

lieber Mannlich, brauche ich Ihnen nicht ans Herz zu legen, höflich und menschlich gegen die<br />

Äbte und Prälaten zu sein; ich kenne Sie ja. Denn diese Leute sind wegen des Verlustes, den<br />

sie erleiden, ohnhin schon unglücklich; es wäre schändlich, sie auch noch zu beschimpfen.‘<br />

Tags darauf fuhr ich also mit meiner Tochter Karoline, die ich wegen ihrer Jugend nicht allein<br />

zu Hause lassen konnte, und einem Galeriediener ab. Zuerst kam ich nach Kloster Irsee, wo<br />

ich nichts mehr vorfand. Alles war verschwunden. In Kempten traf ich nur noch die<br />

Überbleibsel an, in Lindau nichts und ebensowenig in verschiedenen anderen Abteien. In<br />

Kaisersheim [Kaisheim], wo der Kommissär ein wackerer Mann war, [fand ich] manches<br />

Schönes; vor allem eine Folge von Gemälden Holbeins des Älteren, Darstellungen aus dem<br />

Leben unseres Herrn. In Ulm und bei den Kapuzinerinnen gab es nur noch wenig zu holen. In<br />

den sämtlichen reichen Abteien in der Umgebung Ulms war zu meiner Überraschung alles an<br />

den Mann gebracht worden. Als ich mein Erstaunen und meine Unzufriedenheit darüber<br />

äußerte, zeigten mir die Kommissäre von Montgelas gezeichnete Schreiben, die ihnen die<br />

Beschleunigung des Verkaufes befahlen.<br />

Nur in Wettenhausen fand ich noch einiges. Der Kommisär war gerade abwesend. Die<br />

Archive der Abtei waren mit dem Siegel belegt und der Abt, ein Greis mit silberweißem Haar<br />

und einem überaus schönen und anziehenden Gesichte, der mich mit zuvorkommender<br />

Herzlichkeit empfangen hatte, erzählte mir beim Abendessen, das er Gemälde gerettet hatte,<br />

welche seit mehr als einem Jahrhundert der freien Luft im Kreuzgang ausgesetzt waren. Diese<br />

Bilder seien ihm stets äußerst schön erschienen, und so habe er sie im Geheimarchive des<br />

Klosters zu Verschlägen verwendet. Er könne sie mir jedoch nicht zeigen, da sie unter Siegel<br />

seien. […] Nachdem ich [tags darauf] den ganzen Vormittag auf die Rückkehr des<br />

Kommisärs gewartet hatte, den man von meiner Ankunft in Wettenhausen verständigte,<br />

entfernte ich am Nachmittage im Beisein des Abtes und zweier Mönche sowie des<br />

kommissarischen Aktuars das Siegel zu den geheimen Archiven. Wie war ich aber überrascht,<br />

als ich vier große und sechs kleine Bilder von <strong>Martin</strong> Schoen [Schongauer] vorfand, von dem<br />

unsere Sammlungen aus Zweibrücken, München, Mannheim und Düssseldorf nichts<br />

aufzuweisen hatten. […] Da waren wir nun mit einem Schlage an Schöpfungen dieses<br />

3


Künstlers reich geworden. In meiner Freude teilte ich diesen glücklichen Fund unverzüglich<br />

dem Kurfürsten mit.<br />

Beim Weggehen setzte ich vor den gleichen Zeugen mein eigenes Siegel an Stelle des<br />

kurfürstlichen, nahm Abschied von dem guten Alten und setzte meine Fahrt fort.<br />

Wettenhausen tröstet mich dafür, dass ich in den reichen Abteien von Roggenburg, Ursberg,<br />

Elchingen u. a. nichts mehr fand, wo ebenfalls alles auf höheren Befehl ohne Wissen des<br />

Kurfürsten verkauft worden war.<br />

In Günzburg, Dillingen, Donauwörth, Nördlingen, ebenso in Ochsenfurt fand ich nur<br />

Altargemälde in den Kirchen vor, die dort bleiben sollten. […]<br />

Mit einer köstlichen Ausbeute an schönen Gemälden, entrissen der Barbarei und der<br />

Missgunst des Ministers [Montgelas], kam ich nach München zurück. Acht Tage später – und<br />

er hätte alles um wenige Gulden losgeschlagen gehabt, und ich hätte nichts mehr gefunden.“<br />

Eine beeindruckende Schilderung! Eine sehr subjektive Schilderung, hier und da etwas<br />

geschönt und den Autor ins rechte Licht rückend. Die Ereignisse lagen 15 Jahre zurück, als<br />

Mannlich sie aufschrieb. In den wesentlichen Fakten lassen sie sich jedoch durch<br />

Schriftstücke in den Akten untermauern. Wenn es allerdings so klingt, als hätte Mannlich<br />

alles allein gemacht, so ist das falsch; immerhin hatte er seinen Galerieinspektor Dillis an<br />

seiner Seite, mit dem er sich die Reise teilte.<br />

Fragwürdig auch der konstruierte Gegensatz – böser Minister/guter König – der vermutlich<br />

einer verklärenden Erinnerung des greisen Mannlich nach dem Sturz Montgelas geschuldet<br />

ist. Wir haben ja in den letzten Vorträgen gelernt, dass Max Joseph voll und ganz hinter den<br />

Zielen seines Ministers stand. Gleichwohl ist nicht ausgeschlossen, dass der König zu<br />

manchen Entscheidungen unter vier Augen eine eigene Meinung jenseits der Staatsräson<br />

äußerte.<br />

Wenn man also von der sentimentalen retrospektiven Note und einigen Irrtümern absieht,<br />

bleibt Bemerkenswertes und Lehrreiches, auch Überraschendes, das der Schilderung<br />

Mannlichs zu entnehmen ist:<br />

• Das Gegeneinander der Kunstbehörden und der Klosteraufhebungskommisare ist<br />

durchaus glaubhaft und liegt in der Natur der gegensätzlichen Aufgaben; jene waren<br />

am schnellen Gelderlös aus den Kunstverkäufen interessiert (das war ihre Aufgabe,<br />

wir erfuhren davon in den zurückliegenden Vorträgen), diese daran, gute Kunstwerke<br />

für die Galerie zu sichern (das heißt ja immer: für den Staat, also die Öffentlichkeit).<br />

4


Ob die „gefühlten“ oder tatsächlichen Repressalien, von denen Mannlich berichtet,<br />

damit in Zusammenhang stehen (Sache „zu gut gemacht“ das heißt wohl: im Sinne der<br />

Gemäldegalerie), auch, was wirklich dran ist an dem Verdacht, konnte ich nicht<br />

klären.<br />

• Belegbar ist, dass die Kunstsachverständigen in vielen Fällen einfach zu spät kamen,<br />

nachdem die Verkäufe und Versteigerungen – gleichsam an der Klosterpforte – bereits<br />

stattgefunden hatten.<br />

• Wir lernen auch, dass nicht alle Kunstwerke konfisziert wurden; Klosterkirchen, die<br />

Pfarreidienste versahen, waren ausgenommen (Günzburg, Dillingen, Donauwörth).<br />

• Wir erfahren, dass es 2 Streifzüge waren, einmal durch Bayern, einmal durch<br />

Schwaben und Franken.<br />

• Überraschen mag, dass anscheinend auch der Kurfürst nicht in allen Belangen<br />

vollumfänglich über die dezentral ablaufenden Säkularisationsgeschehnisse informiert<br />

war, wenn er von dem Verkauf der Gemälde aus dem „Hochfürstlichen Malerei-<br />

Kabinett in Kempten“ erst aus der Zeitung erfuhr.<br />

• Wir lernen schließlich, dass nicht mehr alle Kunstwerke im Kultus Verwendung<br />

fanden. Der Abt von Wettenhausen hatte die Altarflügel, die – man denke sich!<br />

hundert Jahre im Kreuzgang standen! – zu Verschlägen im Archiv verwendet (Gott sei<br />

Dank, muß man sagen, denn am offenen Kreuzgang waren sie noch weniger am<br />

rechten Platze). Es handelt sich übrigens um die vorzüglichen Flügel des<br />

Wettenhausener Altars aus dem Jahr 1523/24 von <strong>Martin</strong> Schaffner (also nicht <strong>Martin</strong><br />

Schongauer, wie Mannlich glaubte). Sie sind heute im Erdgeschoss der Alten<br />

Pinakothek ausgestellt. Die problematische Verwendung im Wettenhauser Archiv hat<br />

keine Spuren hinterlassen, tangierte nicht die Malfläche. Die geschnitzten Reliefs der<br />

Flügelrückseiten befinden sich im Bayer. Nationalmuseum, der geschnitzte Schrein<br />

von Niklaus Weckmann hat sich noch bis heute in Wettenhausen erhalten: Er war<br />

1680/85 in ein neues barockes Altarensemble eingefügt worden. Diese Art<br />

Zweitverwendung besonders von auratischen mittelalterlichen Skulpturen ist gar nicht<br />

einmal so selten gewesen. Es wird sich zeigen, dass von den mittelalterlichen Altären<br />

aus barockisierten Kirchen (aus Tegernsee, Polling, Weihenstephan, Kaisheim und<br />

andernorts) kaum noch einer in seiner alten Funktion stand; manches war geradezu<br />

museal aufgestellt.<br />

5


Der Abt von Wettenhausen wurde übrigens aufgrund seiner fürsorglichen Haltung den<br />

Kunstwerken gegenüber des ganz besonderen Wohlgefallens des Königs versichert – wir<br />

können davon ausgehen, dass Mannlich dafür gesorgt hatte.<br />

Die Vorbereitungen zur Säkularisation liefen schon 1802 an. Zunächst traf es die Bettelorden,<br />

die der Verfügung des Landesherren unterstellt waren. Auf den Reichsdeputationshauptschluß<br />

wartete in Bayern niemand.<br />

Im Sommer erhielt die Galeriedirektion eine vollständige Liste der zuständigen Kommissare<br />

der Bettelordensklöster, die „entweder schon evakuiert waren, oder deren Räumung<br />

bevorstand“ (27.7.02). Somit hatte man einen Ansprechpartner vor Ort. Im August folgte ein<br />

Schreiben zur Eingrenzung des zu bereisenden Gebietes: „in Landstädtchen und Märkten“<br />

seien Gemälde von besonderem Wert wohl nicht zu erwarten.<br />

Einer der ersten Gemäldeeingänge datiert vom 21. Dezember 1802 und betrifft Gemälde aus<br />

der Residenz Freising, u. a. Albrecht Dürers „Madonna mit der Nelke“, die schon in der<br />

Kammergalerie Herzog Maximilians I. nachweisbar ist und vermutlich als fürstliches<br />

Geschenk nach Freising gekommen war. Gleich zu Anfang des neuen Jahres 1803 wurde der<br />

Kunstbesitz der Münchner Karmeliterkirche erfaßt (3.1.1803), darunter befand sich<br />

Grünewalds Verspottung Christi, heute ebenfalls in der Alten Pinakothek. Am 5.2.1803<br />

folgten die ersten Werke aus Kaisheim (das waren die 19 Gemälde von Hans Holbein, von<br />

denen Mannlich schreibt), am 21.2.1803 folgte eine Sendung aus dem<br />

Augustinerchorherrenstift zu den Wengen in Ulm. Mannlich berichtet ja von „wenigen<br />

Funden“ in der Region: das Wengenkloster war das einzige, in dem noch etwas<br />

Nennenswertes vorhanden war.<br />

Am 17. Februar 1803, also immer noch vor dem Reichsdeputationshauptschluss, erhielten<br />

Direktor Mannlich und Galerieinspektor Dillis, jeder für sich, den offiziellen Auftrag zur<br />

Untersuchung der Klöster. Instruktionen, beiden namentlich am 11. März zugestellt, regelten<br />

das Prozedere („Instruction für die zur Untersuchung der Malerey= Kupferstich= und andere<br />

Kunstsachen der ständischen Klöster benannten Kom[m]issarien.“). Die Inbesitznahme der<br />

klösterlichen Kunstwerke ging tatsächlich nach den hier beschriebenen Regeln vor sich.<br />

Wichtig für das Prozedere der Folgejahre ist die Unterscheidung zwischen klösterlichen<br />

Kunstsammlungen (dies betraf überwiegend die Sammlungen der geistlichen Fürstentümer,<br />

aber auch mancher reichen Abtei) und den Kunstwerken in Klosterkirchen (Pfarrkirchen<br />

waren ja sowieso nicht betroffen).<br />

6


Die Durchsuchung sollte mit „möglichster Beschleunigung“ vor sich gehen; Wertvolles war<br />

von Unbrauchbarem zu trennen und ersteres sogleich verpacken zu lassen. Ein doppeltes<br />

Verzeichnis war darüber vor dem Transport anzulegen. In München sollte dann die Auswahl<br />

getroffen werden<br />

• der Werke „vom ersten Kunstwerthe“ für die kurfürstliche Galerie,<br />

• der Werke „vom mindern Werthe“ für andere öffentliche Anstalten<br />

• und des übrigen, was dem öffentlichen Verkauf übergeben werden sollte.<br />

Altarblätter oder Statuen aus Klosterkirchen durften ebenfalls „weg genohmen werden“; sollte<br />

dies jedoch „zu viel Aufsehen bey dem gemeinen Volke“ erregen, und dafür auf der Stelle<br />

kein Ersatz hingestellt werden können – man staunt an dieser Stelle über die Ersatzstellung –,<br />

so seien solche Altarblätter zunächst nur aufzulisten, um sie seiner Zeit mit Copien<br />

auswechseln zu können. – Offenbar wurde also auf den Kultus durchaus Rücksicht<br />

genommen. Ob sich jeder Klosteraufhebungskommissar daran hielt, mag dahingestellt sein.<br />

Und schließlich sollten die Kunstkommissare den Reiseweg möglichst vorausschauend planen<br />

(„mit Beobachtung der geeignesten Bezirksbereisung“), „wobey sich selbe zur Ersparung der<br />

Kosten nach Thunlichkeit […] von einem Kloster zum andern der entbehrlichen<br />

Klosterpferde“ bedienen sollten.<br />

Am 20. März 1803 schreibt der offenbar nicht besonders motivierte Mannlich (seine<br />

Memoiren lassen allerdings davon nichts spüren), ob man nicht die Abreise auf die wärmere<br />

Jahreszeit verschieben könne, ihn graute vor den Tagen in den noch winterkalten<br />

Klostergängen und Kirchen. Nicht ganz uneigenützig bot er an, seinem Stellvertreter Johann<br />

Jakob Dorner (gen. d. Ä., 1741–1813, st. 1770 Galerieinspektor) den Vortritt lassen, der<br />

gewiss gekränkt sei, wenn er an einer derart wichtigen Mission nicht teilnehmen dürfe. Die<br />

GLD ließ sich in dieser Frage jedoch nicht erweichen (22.3.1803) und Mannlich mußte im<br />

April reisen.<br />

Am Tag darauf erhielten die Kunstexperten ein Verzeichnis der Münchner Klosterhäuser<br />

(21.3.1803), also der städtischen Niederlassungen der auf dem Land liegenden Klöster:<br />

Andechs, Altomünster, Beuerberg, Ettal und Kloster Rott, die städtische Niederlassung von<br />

Benediktbeuern lag in der Sendlingerstraße. Das machte Mannlich unverzüglich. Innerhalb<br />

eines Tages war die Untersuchung erledigt; knappe Listen entstanden mit zwei Dutzend<br />

Gemälden weitgehend ohne Wert; nur noch zwei davon sind heute im Bestand der<br />

Bayerischen Staatsgemäldesammlungen vorhanden.<br />

7


Die Reisen des Jahres 1803 waren gut geplant. Mit Erlaubnis der GLD durften sich Mannlich<br />

und Dillis gleichzeitig auf den Weg machen (22.3.1803), während Dorner in der Galerie die<br />

Stellung hielt. Im April ging es los. Mannlich bereiste zunächst bis Anfang Mai einige<br />

bayerische Klöster, um ab August zur großen Reise durch Schwaben und Franken<br />

aufzubrechen (so beschreibt er es auch in den Erinnerungen), während Georg Dillis<br />

anscheinend seine Tour durch Nieder- und Oberbayern und die Oberpfalz an einem Stück<br />

zwischen April und August absolvierte. Beide erhielten Reisekostenvorschüsse: Dillis 400 fl,<br />

keine geringe Summe (28.3.) und im Mai nochmals 200 fl.; Direktor Mannlich im Hinblick<br />

auf seine kürzere erste Reise Anfang April 150 fl.<br />

Eine hübsch gezeichnete Landkarte im Archiv der Staatsgemäldesammlungen zeigt die<br />

Reisewege Mannlichs und Dillis’ in unterschiedlichen Farben; anscheinend diente die Karte<br />

als Idealmodell für die interne Planung, von dem abgewichen werden konnte und abgewichen<br />

wurde. Sie diente wohl auch als Beleg für die geforderte Ökonomie der Routenplanung.<br />

Peinlichst waren Mannlich wie Dillis bemüht, sich an die Instruktionen zu halten. Man reiste,<br />

wie gefordert, mit Hilfe der Klosterpferde, mit denen man den Weg von Kloster Schäftlarn<br />

nach Benediktbeuern in 8 Stunden schaffte. Gab es keine, wurde Trinkgeld für den<br />

Pfarrkutscher fällig, gab es auch diesen nicht, wurde teuer gereist mit der Postkutsche. Für die<br />

beschriebene Fahrt nach Wettenhausen, Irrsee und Roggenburg nahm Mannlich einen<br />

Lohnkutscher, der ihn 6 fl 3 x am Tag kostete. Alles wurde später abgerechnet. Diese<br />

Abrechnungen sind für uns heute von hohem dokumentarischen Wert.<br />

Von Dillis haben wir das „Diarium Ueber das dem Gallerie Inspector Dillis von der Chfl.<br />

General-Direction übertragene Commissarium in Untersuchung, und zu treffende Auswahl<br />

der in den ständischen Klöstern vorfindlichen besten Gemaelde, Kupferstiche, und<br />

Kunstsachen verzeichnet in der Ordnung, wie selbe in Kisten gepackt und eingesendet worden<br />

sind samt einigen Bemerkungen“. Dies ist ein Verzeichnis, das neben dem Datum und Ort die<br />

Signaturen der Kisten, eine Kombination aus lfd. Nummer und Herkunftsort, enthielt sowie<br />

eine kurze Inhaltsangabe: (K. P. 5 = Kloster Polling Kiste Nr. 5): Jeder, der schon einmal<br />

umgezogen ist, weiß, wie wichtig das ist und wie es sich anfühlt, wenn man vor einem<br />

Dutzend unbeschrifteter vollgepackter Kisten steht.<br />

Am 12. April machte Dillis den Anfang in Kloster Fürstenfeld; am 9. August 1803 beendete<br />

er die Rundreise durch Ober- und Niederbayern und die Oberpfalz in Altomünster. 35<br />

Gemäldelisten waren das Ergebnis. Die Kunstwerke wurden nach den Instruktionen nicht an<br />

8


die Galerie, sondern an die GLD in München, genauer das „Conservatorium der ständischen<br />

Klöster“, gesendet. Das übernahm nach Vorgabe der Museumsleute der Lokalkommissar.<br />

Diese zentrale Sammelstelle für Kunstgut befand sich zunächst in der Salvatorkirche,<br />

schließlich im Theatinerkloster. Hier wurde entsprechend den Instruktionen die Auswahl der<br />

Kunstwerke getroffen in<br />

• galeriewürdig,<br />

• ausleihfähig (an öffentliche Einrichtungen – das gibt es heute auch noch)<br />

• und nur zum Verkauf tauglich.<br />

Was dann am Ende wirklich in die Galerie gelangte, stand auf einem anderen Blatt. Ich<br />

komme darauf zurück.<br />

Auch der öffentliche Verkauf in Form von Versteigerungen ging im „Conservatorium der<br />

ständischen Klöster“ vonstatten. Gelegentlich kaufte auf diesen Versteigerungen auch die<br />

Galerie selbst, Quittungen haben sich erhalten. Auch Pfarreien konnten hier günstig<br />

Altarblätter für ihre Kirchen erwerben; auch dies ist belegt.<br />

Im Mai war Mannlich schon wieder von seiner ersten Reise zurück; er hatte 10 bayerische<br />

Klöster untersucht (9. Mai 1803), u. a. in Tegernsee seine Liste angefertigt und zur<br />

Einsendung der Kunstwerke dem dortigen Lokalkommissar übergeben.<br />

Da Gerüchte auch in jener Zeit schneller waren als jedes Pferd, mußte er sich nach seiner<br />

Rückkehr sogleich rechtfertigen: Es war ruchbar geworden, dass er in den von ihm<br />

aufgesuchten Klöstern Gemälde zurückgelassen hatte (9. Mai 1803). Einem ähnlichen<br />

Vorwurf sah sich Georg Dillis ausgesetzt, der in Polling dem Abt Kupferstiche und Gemälde,<br />

die dieser als Eigentum reklamierte, gelassen hatte. Die GLD sah sich genötigt, „wiederholte<br />

Anweisung, auf Reklamationen keine Rücksicht zu nehmen“, ergehen zulassen (5.5.03) bzw.<br />

anzuordnen, „alle Gemälde und übrigen Kunstsachen von Werth ohne Unterschied und<br />

Rücksicht auf Reklamation auszuwählen und anher zu senden“; das zweite Schreiben mit<br />

dieser Formulierung sollte auch den Lokalkommissaren bei den nachfolgenden Reisen<br />

vorgelegt werden.<br />

Im Hinblick auf das weitere Prozedere, vor allem die zweite Reise Mannlichs durch<br />

Schwaben und Franken betreffend, traf am 13. Mai 1803 die Direktive ein, dass man sich bei<br />

der „Ankunft in besagten Landen für den Augenblick blos auf die Aufschreibung der<br />

Gemählde zu beschränken, und die, welche für die hiesige Gallerie brauchbar gefunden<br />

werden sollten, einstweilen zu notiren“ habe. Möglicherweise sollte damit der Ablauf<br />

9


eschleunigt werden, denn man sparte die Zeit für das Verpacken. Zeitgleich ging Dillis<br />

jedoch anscheinend noch anders vor. Doch für Mannlich verzögerte sich die „Abreise zum<br />

großen Streifzug durch Schwaben und Franken“, wie er in den Memoiren schreibt, weiterhin<br />

und erst kurz nach der Rückkehr von Dillis machte er sich am 21. August 1803 auf den Weg.<br />

Zunächst nach Kempten und Ottobeuren ins Allgäu, dann über Ulm (mit Abstecher mit dem<br />

Lohnkutscher u. a. nach Wettenhausen) und Donauwörth und Nördlingen nach Franken. Die<br />

hier ausgesuchten Gemälde aus fränkischen Klöstern und aus der Residenz Würzburg trafen<br />

erst im Frühjahr 1804 in der Galerie ein – und zwar auf direktem Wege, nicht über die GLD<br />

oder das Conservatorium der aufgehobenen Klöster.<br />

Es ist nicht ganz einfach, sich einen zuverlässigen Überblick über die<br />

Säkularisationserwerbungen der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen zu verschaffen.<br />

Abgesehen von zahlreichen unzutreffenden Künstlernamen und falschen Bildtiteln ist ja für<br />

den Kunsthistoriker von enormer Bedeutung, zuverlässig zu erfahren, woher die Gemälde<br />

kamen. Und mit der Zuverlässigkeit der Herkunftsorte ist das so eine Sache angesichts der<br />

vieltausend Bilderbewegungen jener Zeit. Die Forschung in unserem Haus steht hier zwar<br />

nicht gerade am Anfang, aber doch erst in der Mitte der Wegstrecke. Aus immer wieder<br />

aktuellem politischem Anlass ist Franken recht gut aufgearbeitet, für Schwaben gibt es gute<br />

II.<br />

historische Vorarbeiten durch meine Vorgängerin im Amt, Gisela Goldberg. Seltsamerweise<br />

wissen wir über die Erwerbungen aus Ober- und Niederbayern am wenigsten. Die seit 2002<br />

aufgebaute Datenbank in unserem Haus ist eine große Hilfe, gibt jedoch auch nur aus, was<br />

drin ist – der Mensch ist also weiterhin gefragt.<br />

Einen Überblick zu gewinnen ist in jenen Fällen einfach und zuverlässig zu bewerkstelligen,<br />

wo wir es mit direkten Lieferungen aus den Klöstern und Galerien an die<br />

Zentralgemäldegalerie zu tun haben. Dies ist der Fall bei Wettenhausen, Kaisheim, bei der<br />

Augustinerkirche München, Kempten, Würzburg, Ottobeuren, den fränkischen Klöstern und<br />

der Residenz Bamberg. Denn in diesen Fällen kam ein geschlossenes Konvolut einer<br />

Provenienz ins Haus und wurde hier geschlossen inventarisiert.<br />

Komplizierter und mit Unsicherheiten behaftet sind die Zugänge aus dem Konservatorium der<br />

ständischen Klöster im Theatinergebäude. Die meisten der von Dillis und Mannlich gelisteten<br />

Werke durchliefen hier das nun schon mehrfach genannte Auswahlverfahren in galeriewürdig,<br />

10


ausleihfähig (an öffentliche Einrichtungen) und nur zum Verkauf tauglich. Manche<br />

Herkunftsangabe mag dabei verlorengegangen sein. An die Galerie wurden diese Gemälde in<br />

mehreren Konvoluten und zum Teil erst nach vielen Monaten im Anschluss an die Auktionen<br />

überwiesen. In drei Tranchen gelangten 1804 etwa 360 Gemälde hierher, darunter Werke aus<br />

Benediktbeuern, Weyarn, Scheyern, Ettal, Steingaden, St. Nikola bei Passau, Attel,<br />

Hohenwart, Bernried, Raitenhaslach, Polling, Prüll, Dietramszell, Weihenstephan,<br />

Oberaltaich, Neustift in Freising und Rottenbuch (letzte Lieferung 20. August 1804).<br />

Die viel umfangreicheren Säkularisationslisten in den Archiven haben in der Vergangenheit<br />

immer wieder für Verwirrung gesorgt und die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen in die<br />

verzwickte Lage gebracht, beweisen zu müssen, dass man etwas NICHT besitzt. Nur ein<br />

Bruchteil der gelisteten Kunstwerke kam wirklich in die Galerie.<br />

Über das, was wirklich in die Galerie gelangte – auf beiden Wegen, dem direkten und<br />

indirekten über das Conservatorium – gibt zuverlässig Auskunft allein das Zugangsinventar<br />

der Zentralgemäldegalerie aus jener Zeit. Es wird Zweibrücker Nachtragsinventar genannt,<br />

weil man das von Mannlich geschriebene Inventar der Zweibrücker Galerie von Schloß<br />

Carlsberg einfach in der Nummerierung fortschrieb. Alle Zugänge aus den Klöstern und den<br />

Galerien der geistlichen Fürsten wurden hier eingetragen, aber auch die Übernahmen aus den<br />

Schlössern Neuburg und Dachau, die Schenkungen, die König Max Joseph der Galerie<br />

zukommen ließ, die regulären Ankäufe aus dem Kunsthandel und von Privat, die<br />

Erwerbungen des Kronprinzen in Italien, auch die gar nicht so seltenen Ankäufe aus<br />

Stiftungsvermögen in Augsburg und Aschaffenburg sind hierin verzeichnet. Die in<br />

Konvoluten vom Conservatorium der aufgehobenen Klöster überwiesenen Kunstwerke<br />

weisen im Zweibrücker Nachtragsinventar z. T. die Kürzel ihres Herkunftsorts und die im<br />

Conservatorium vergebene Nummer auf. Erst nach Abgleich mit den Säkularisationslisten<br />

könnte man von einer zuverlässigen Provenienzangabe sprechen. Fallstricke bieten die<br />

Dokumente der Forschung auch an dieser Stelle. So wurden für den Weg vom<br />

Conservatorium zur Galerie recht wahllos die Kisten genommen, die für die Transporte aus<br />

den Klöstern nach München gedient hatten und noch entsprechende Signaturen der<br />

Herkunftsorte trugen, nur, dass der Inhalt damit u. U. gar nichts zu tun hatte. Auch sind<br />

kleinere wie menschliche Irrtümer nicht ausgeschlossen, Lese- wie Schreibfehler: So wurde<br />

die wunderbare Darstellung der „Kreuzigung Christi“ von Lucas Cranach mit der<br />

Herkunftsangabe „kömmt aus dem Kloster Spierat“ in das Inventar eingetragen. Von alter<br />

Hand steht dort die Nummer „569 Attel“, ein irrtümlicher Zusatz, der sofort mit gleicher<br />

11


Feder und Tinte gestrichen wurde, da er sich eigentlich auf zwei darunterstehende<br />

Architekturstücke bezieht. Doch führt uns dieser Irrtum auf die richtige Spur. In der<br />

Lieferliste vom 20. August 1804 finden wir diese beiden Bilder mit der genannten Nummer<br />

wieder – und wenige Zeilen darunter einen Eintrag ohne Nummer mit dem Vermerk<br />

„Kreutzigung Christi, altdeutsch, v. Kl. separat eingesendet.“ Aus dem „vom Kloster separat“<br />

wurde, so muß man vermuten, das Kloster Spierat, das es gar nicht gibt. Die Herkunft von<br />

Cranachs Meisterwerk bleibt weiterhin im Dunkeln.<br />

Bis 1822 arbeitete man mit diesem Zweibrücker Nachtragsinventar; daneben gab es einzelne<br />

Gemäldeinventare für die Hofgartengalerie, für Schleißheim, für die Mannheimer Sammlung<br />

u.a. Erst 1822 war Schluß mit den Partikularinventaren, die den Gemäldebestand mittlerweile<br />

recht unübersichtlich machten und es entstand das erste Gesamtinventar der kgl. bayer.<br />

Central Gemäldegalerie, in dem alle Werke vollkommen neu nach damaligen Standorten<br />

erfaßt wurden. Über 7000 Gemälde waren es bereits zu jener Zeit.<br />

Zu den letzten Einträgen im Zweibrücker Nachtragsinventar, die das Thema Säkularisation<br />

betreffen, gehören die Zugänge aus Südtirol, das seit 1805 für einige Jahre zu Bayern gehörte<br />

(31 Gemälde, 1812 eingetr.). Vor allem die Gemälde Michael Pachers sind darin<br />

nennenswert. Am 17. September 1807 hatte König Max I. Joseph die Aufhebung der dortigen<br />

Klöster verfügt und im Juli des folgenden Jahres – eher beiläufig – seinen Galerieinspektor<br />

Johann Georg von Dillis angewiesen, auf einer seiner Reisen nach Italien, die dortigen<br />

Kunstschätze zu sichten. Am 29. Juli 1808 erstellte Dillis in Kloster Neustift sein Verzeichnis<br />

mit dem Vermerk: „Sämtliche Gemälde auf Holz aus der altdeutschen Schule sind zur<br />

Gemälde Sammlung … in Schleissheim geeignet.“<br />

Im April des folgenden Jahres, wurden die Gemälde verpackt und verschickt – aber nicht nach<br />

München oder Schleißheim, sondern nach Innsbruck. Es bestand der Plan, hier – wie in allen<br />

neuen Territorien – eine Filialgalerie aufzubauen. Doch angesichts der unsicheren politischen<br />

Situation erhielt Dillis schon am 17. Oktober 1811 Order, die Gemälde nach München zu<br />

holen; im Januar 1812 meldete er den Vollzug. Südtirol war bereits dem Königreich Italien<br />

zugefallen (1810), Tirol als Ganzes ging 1814 an Österreich.<br />

Den Abschluss der Säkularisationszugänge im Inventar machen die Erwerbungen aus<br />

Salzburg, ebenfalls 1810 bis 1816 zu Bayern gehörig (27 Gemälde, 1816 eingetr.) und die<br />

eigentlich schon seit 1806/7 in Staatsbesitz befindlichen 93 Gemälde aus Augsburger Kirchen<br />

und Klöstern.<br />

12


2060 Einträge umfasst dieses Zweibrücker Nachtragsinventar insgesamt, davon betreffen<br />

etwa 1080 Einträge zwischen 1802 und 1816 Säkularisationsgut. Doch wir sprechen immer<br />

von 1500 Säkularisationserwerbungen (ich denke sogar, 1700 wäre richtiger). Wie erklärt sich<br />

die Differenz?<br />

Diese Differenz erklärt sich dadurch, dass besonders die Gemälde aus den ehemals<br />

fürstbischöflichen Residenzen Würzburg und Bamberg oder auch aus der ehemaligen<br />

kurmainzischen Galerie in Aschaffenburg am Ort verblieben und nicht nach München<br />

gelangten. Das gerne gepflegte Vorurteil „alles nach München“ ist somit falsch und trifft<br />

allenfalls auf eine Auswahl jeweils unterschiedlichen Umfangs zu (freilich sollte nicht das<br />

Schlechteste dabei sein).<br />

In der Residenz Würzburg verblieben 97 Gemälde, in Bamberg etwa 180 (nur 14 Gemälde<br />

gingen nach München), aus der ehemals kurmainzischen Galerie Aschaffenburg kam in den<br />

ersten 22 Jahren der Zugehörigkeit zu Bayern ab 1814 gar nichts nach München; dies änderte<br />

sich erst mit der Eröffnung der Alten Pinakothek 1836 (ich nenne hier die Erasmus-Mauritius-<br />

Tafel von Grünewald); 352 Gemälde blieben am Ort. Insgesamt waren es mehr als ein <strong>Dr</strong>ittel<br />

der Erwerbungen jener Zeit, die noch für mindestens 100 Jahre an ihren alten Orten<br />

verblieben. Sie wurden dort 1822 in dem ersten Gesamtinventar und 1856 in dem zweiten,<br />

noch heute gültigen Inventar der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen erfaßt. Die<br />

Inbesitznahme war an diesen Orten zum Teil ein unspektakulärer Verwaltungsakt: Eintrag in<br />

das Inventar, Siegel mit der Inventarnummer auf die Gemälderückseite. Fertig. Das<br />

Samenkorn der noch heute bestehenden Dezentralisation unserer Bestände wurde auf diese<br />

Weise gelegt. Ich komme darauf im nun folgenden und letzten Teil zurück.<br />

III.<br />

Bislang sind etwa 1000 Gemälde als Säkularisationsgut identifiziert und in unserer Datenbank<br />

erfaßt; Gemälde des Barock sind in der deutlichen Mehrzahl, ein <strong>Dr</strong>ittel betreffen Werke des<br />

Spätmittelalters. Noch ist das Projekt „Säkularisationszeit“ ein „work in progress“ – der<br />

Abschluss ist noch nicht absehbar. Etwa die Hälfte dieser Werke ist aus unterschiedlichen<br />

Gründen deponiert – Spitzenwerke sind darunter nicht zu erwarten.<br />

Im ausgestellten Bestand der Alten Pinakothek spielt die Kunst aus den aufgehobenen<br />

Klöstern und Stiften heute zwar eine sichtbare Rolle mit einzelnen Spitzenwerken, aber keine<br />

beherrschende. Im Piano nobile, dem Obergeschoss der Alten Pinakothek sind es gerade<br />

13


einmal 24 Gemälde von knapp 548, das sind 4 %, die aus Klöstern oder Sammlungen<br />

geistlicher Fürstentümer stammen. Das ist nicht besonders viel. An der Spitze der<br />

Herkunftsorte steht die Residenz Würzburg mit sieben Werken (überwiegend kleinformatige<br />

holländische Gemälde sind dies, Werke von Lorenzo Lotto und Carlo Saraceni), Freising folgt<br />

mit 4 Gemälden (u. a. dem „Apokalyptischen Weib“ von Rubens), Kloster Hohenwart mit 3,<br />

je eines stammt aus Kloster Raitenhaslach, Kempten, Münsterschwarzach (Tiepolo) und aus<br />

der Dominikanerkirche Augsburg (Tintoretto) und eines ist unbekannter Herkunft (Cranachs<br />

Kreuzigung Christi). Aus der Münchner Karmeliterkiche stammt Grünewalds ergreifende<br />

Verspottung Christi, die erst spät in die Alte Pinakothek gelangte. Wenn wir sekundäres<br />

Säkularisierungsgut einbeziehen, also generell zu unterschiedlichen Zeiten freigesetztes<br />

Kirchen- und Klostergut, das zunächst in private Hände und dann erst in öffentliche<br />

Sammlungen kam – ich nenne nicht nur die ehemaligen Sammlungen Boisserée oder<br />

Oettingen-Wallerstein, sondern auch die italienischen und flämischen kirchlichen Kunstwerke<br />

der Alten Pinakothek –, wenn wir also dies alles einbezögen, was jemals für Kirchen<br />

geschaffen wurde, kämen wir selbstverständlich in ganz andere Größenordnungen. Doch ist<br />

dies nicht mein Thema.<br />

Anders verhält es sich mit den Erdgeschossräumen der Alten Pinakothek. In den Sälen der<br />

großen Altäre liegen die Säkularisationserwerbungen bei etwa einem <strong>Dr</strong>ittel. Hier finden wir<br />

die Flügel der schon im Barock demontierten großen Altäre aus Wettenhausen, Kaisheim,<br />

Tegernsee, Weihenstephan, Benediktbeuern und Polling und die Gemälde aus Südtirol, von<br />

Michael Pacher und seinem Werkstattnachfolger Marx Reichlich. Der Kirchenväteraltar<br />

Michael Pachers, um 1480 gemalt, gehört zu den Spitzenwerken der Alten Pinakothek. Wie<br />

die meisten spätmittelalterlichen Altäre wurde auch er nicht aus dem Kultus herausgerissen:<br />

Schon 1735 hatte er bei der Barockisierung der Klosterkirche seine ursprüngliche Funktion<br />

verloren und war beiseitegestellt worden.<br />

Säkularisationsgut findet man in viel größerer Dichte in den zahlreichen Filialgalerien der<br />

Bayerischen Staatsgemäldesammlungen in ganz Bayern. Dies erklärt sich besonders durch<br />

den nach dem Zweiten Weltkrieg zunehmend wichtig gewordenen Regionalbezug, den man<br />

der Neustrukturierung der Zweiggalerien zugrunde legte. Die Idee der Filialgalerie ist, wie<br />

angedeutet, direkt mit dem Gebietszuwachs der Jahre nach 1800 und der Säkularisation<br />

verbunden; Vorbild war hierin das napoleonische Frankreich. Die Zentralisierung der<br />

Besitzverhältnisse und Dezentralisierung der Gemäldebestände wurden oft ein Vorgang.<br />

14


Gemälde von Altären aus den Klöstern Tegernsee, Bernried, Attel, Rottenbuch, Raitenhaslach<br />

und Scheyern, auch von Stift Wilten sind im stimmungsvollen Ambiente der mittelalterlichen<br />

Burg Georgs des Reichen von Bayern-Landshut, in der Staatsgalerie Burghausen, ausgestellt,<br />

die man als Spezialgalerie für bayerische Malerei des Spätmittelalters bezeichnen könnte. Neu<br />

konzipiert wurde sie 1974. Aber wie in der Alten Pinakothek sind es Fragmente, Einzeltafeln<br />

größerer Altarensembles, die hier zu sehen sind.<br />

Die Staatsgalerie im Hohen Schloss Füssen prunkt mit Kunstwerken aus dem dortigen<br />

Benediktinerkloster St. Mang. Unter anderem befinden sich hier die Tafeln des 1619<br />

abgebrochenen Hochaltars der Kirche sowie Gemälde aus dem Benediktinerinnenkloster<br />

Urspring, aus dem Klarissenkloster Söflingen bei Ulm, aus dem Augustinerchorherrenstift zu<br />

den Wengen in Ulm und andere Gemälde Schwabens.<br />

Paradebeispiel für die herkunftsnahe Aufstellung von Gemäldebeständen ist jedoch die<br />

Staatsgalerie in der Katharinenkirche in Augsburg. Unter dem Gewölbe der 1517 von<br />

Veronika Welser erbauten Kirche, die zwischen 1832 und 1835 zum Museum umgebaut<br />

wurde, finden wir eine großartige Sammlung aus Augsburger Klosterkirchen mit<br />

Hauptwerken der deutschen Malerei der Frührenaissance von Holbein, Burgkmair, Apt und<br />

Breu. Das beeindruckende Ensemble lebt von der Aura des Gewachsenen, Verwurzelten –<br />

und prunkt mit Qualität auf europäischem Niveau. Gebäudehülle und Inhalt sind ein<br />

Gesamtkunstwerk. Von 98 ausgestellten Werken stammen zwei <strong>Dr</strong>ittel aus aufgehobenen<br />

Klöstern und Stiften Schwabens, die Hälfte aus den Kirchen Augsburgs, 33 aus dem<br />

Katharinenkloster selbst, allen voran der berühmte Gemäldezyklus der Sieben römischen<br />

Hauptkirchen von Holbein und Burgkmair. Die meisten dieser Bilder haben Augsburg – außer<br />

zur Bergung in Kriegs- und Gebäudesanierungszeiten – nie verlassen.<br />

Die Staatsgalerie im Schloss Johannisburg in Aschaffenburg ist mit 368 Gemälden die größte<br />

Zweiggalerie der BStGS. Aufgrund der hohen bereits erwähnten Qualität und der<br />

konzeptionellen Geschlossenheit der ehemals kurmainzischen Sammlung war es von Anfang<br />

an möglich, die alte Schlossgalerie am Ort zu belassen. Die Hauptattraktion bildet (neben der<br />

internationalen Barockgalerie) der Cranach-Bestand aus dem Neuen Stift in Halle, den<br />

Kardinal Albrecht von Brandenburg zur Reformationszeit in sein Kurfürstentum Mainz<br />

brachte. Verstärkt wird dieser Bestand heute durch Säkularisationserwerbungen von Cranach-<br />

Werken aus Passau, Benediktbeuern und Tegernsee sowie Erwerbungen anderer Herkunft.<br />

Die recht kleine Staatsgalerie in der Benediktiner-Abtei Ottobeuren umfasst 45 Gemälde, die<br />

bis auf wenige Ausnahmen aus dem Kloster selbst stammen. Einen Schwerpunkt bildet die<br />

15


schwäbische und Ulmer Malerei des Spätmittelalters, die sich um die hochberühmte, um 1460<br />

entstandene Darstellung der „Verteidigung der Lehre von der unberührten Jungfräulichkeit<br />

der Gottesmutter“ gruppiert, die dem anonymen Meister der Ottobeurer Marientafel<br />

zugeschrieben wird. Gemälde von Barockkünstlern, die für das Kloster gearbeitet haben,<br />

kommen hinzu.<br />

Für die Staatsgalerie in der Residenz in Würzburg kam nur eine völlige Neukonzeption mit<br />

venezianischen Gemälden des 16. bis 18. Jahrhunderts in Frage, die die Brücke schlagen zum<br />

nahen grandiosen Treppenhausfresko von Giambattista Tiepolo. 71 Gemälde waren 1803/04<br />

nach München geschickt worden; der größere Teil der Galerie der Würzburger Residenz<br />

blieb, wie bereits gesagt, am Ort, war allerdings von durchschnittlicher Qualität. Ein neues<br />

Highlight konnte der heute etwa 40 Werke umfassenden Galerie hinzugefügt werden, als es<br />

dem Freistaat 2006 gelang, die „Steinigung des Stephanus“ vom Tiepolo-Sohn<br />

Giandomenico, eines jener verschwundenen Altarbilder aus Münsterschwarzach, die Christian<br />

von Mannlich dort auf seiner Reise 1804 beklagt, mit Staatsmitteln auf dem Kunstmarkt zu<br />

erwerben.<br />

Auch für die Zweiggalerie in der Residenz Bamberg bot sich aufgrund der mediokren Qualität<br />

der fürstbischöflichen Gemäldegalerie – Mannlich schickte 1803/04 lediglich 14 Gemälde<br />

nach München – nur eine grundlegende Neuordnung an, die 1968 stattfand. Der Schwerpunkt<br />

der altdeutschen Abteilung auf dem Gebiet der fränkischen Malerei ist nur mit Hilfe jener<br />

zahlreichen Leihgaben aufrechtzuerhalten, die die Stadt Bamberg den Stiftungen der<br />

ehemaligen Privatsammlungen des Geistlichen Rats Schellenberger, des Domkapitulars Betz,<br />

des Domkapitulars Hemmerlein, des k. Schullehrer-Seminar-Inspektors Heunisch verdankt –<br />

es ist mehr als nur Vermutung, dass dies genau jene Gemälde aus dem säkularisierten<br />

Bamberger Klostergut sind, die Christian von Mannlich auf seiner Reise entgangen waren.<br />

Denn wenige Tage, bevor Mannlich am 20. September 1803 hier eintraf, am 16. September,<br />

hatte in Bamberg eine Versteigerung der Klosterbilder stattgefunden (Gisela Goldberg hat<br />

darüber im Katalog „Bamberg wird bayerisch“ berichtet). Infolgedessen ist originär<br />

oberfränkische Malerei des Spätmittelalters im Bestand der Bayerischen Staatsgemäldesamm-<br />

lungen heute dünn gesät.<br />

Erweitert wurde der ausgestellte Bestand der Bamberger Staatsgalerie durch kostbare<br />

Gemälde der Sammlung Boisserée, die König Ludwig I. von Bayern 1827 für die Alte<br />

Pinakothek erwarb. Im Mittelpunkt stehen die Tafeln des Altars aus der Zisterzienserabtei<br />

Heisterbach im Siebengebirge, die dem Umkreis Stefan Lochners zuzuordnen sind – ein<br />

16


weiteres Beispiel für säkularisiertes Klostergut, das ebenfalls in private Hände geriet und erst<br />

im Nachhinein für die Öffentlichkeit gesichert werden konnte.<br />

Zu guter Letzt ist auch das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg zu nennen, das unter<br />

den Dauerleihgaben der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen auch zwei Dutzend<br />

Säkularisationserwerbungen fränkischer und schwäbischer, auch bayerischer Malerei<br />

ausstellt.<br />

Das führt mich zum Ende dieses Vortrags und gleichzeitig zum Ausgangspunkt, in die Jahre<br />

um 1803/04 zurück. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich mit einer<br />

Situationsbeschreibung aus den Erinnerungen des Zeitzeugen und Kunstsammlers Sulpiz<br />

Boisserée schließen. Sie ist hilfreich, um das Kunstverständnis der Zeit zu beleuchten. Sie<br />

hilft ferner, die Leistung der Museen, aber auch der verständigen privaten Sammler in dieser<br />

Zeit als Bewahrer wertvollen Kulturgutes, das zu verschwinden drohte, einzuschätzen. Die<br />

Wertschätzung, die wir heute besonders den Kunstwerken des Mittelalters, aber auch des<br />

Barock entgegenbringen, war jener Zeit weitgehend fremd. Sulpiz Boisserée berichtet, wie<br />

recht lange noch dem Sammeln mittelalterlicher Kunst das Stigma des Verschrobenen und<br />

Skurrilen anhaftete: „unter dem Spott und Gelächter“ der Mitbürger hätten sie die Kunstwerke<br />

„aus Staub und Nässe, aus Speichern und Kellern, geradezu vorm Verderben gerettet“.<br />

„Während unserer Abwesenheit zu Anfang des Winters [1803/04] waren die aufgehobenen<br />

Klöster und Kirchen geräumt worden, und was die ausgestoßenen Bewohner nicht<br />

mitgenommen, die Regierungsbevollmächtigten nicht mit Beschlag belegt hatten, war in<br />

schnödester Hast an Händler und Trödler verkauft worden [..].“. Es „war vorgekommen, dass<br />

man den Käufern von Glocken und altem Eisen zur Bedingung gemacht hatte, größere<br />

Gemälde, auf die wegen ihrer Schwere niemand hatte bieten wollen […] in […] Kauf zu<br />

nehmen.“ Manches Tafelbild war so zu einem „Fensterladen, Taubenschlag, Tischblatt oder<br />

Schirmdach“ geworden: „[…] alles was wir von Kunstwerken sahen und hörten, erinnerte an<br />

den ungeheuern Schiffbruch, aus dem die einzelnen Schätze geborgen worden [waren]. In der<br />

Stimmung, welche dieser Zustand erregte, musste der Wunsch, zu retten was noch zu retten<br />

war, gleich […] zur Tat werden.“ Zu retten, was zu retten war, wenn die Situation nun mal so<br />

war, wie sie war – was wir den privaten Sammlern gerne zubilligen wollen, sollte man den<br />

öffentlichen Museen nicht versagen.<br />

Wie sehr der klassische Zeitgeschmack der Wertschätzung des Mittelalters im Wege stand,<br />

zeigt ein Brief der jungen Schweinfurter Malerin Margarethe Geiger an ihren Vater, als sie<br />

1807 unter Mannlichs Aufsicht im Schleißheimer Schloß Gemälde kopierte. Sie schreibt:<br />

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„Geschmack konnte ich noch nie an altdeutschen Bildern finden und ich bin überzeugt, dass<br />

Bilder in Schleißheim mit vielen Mühen und Kosten ausgebessert werden, die Sie nicht eine<br />

halbe Viertelstunde ansehen könnten. An denen ist nichts als das Alter zu ehren, und alle<br />

bekommen prächtige, goldene Rahmen!“<br />

Ganz schwierig war die Situation für Skulpturen des Spätmittelalters. Die wollte überhaupt<br />

niemand, auch der Staat nicht. Kulturhistorische Museen, die sie aufnahmen, entstanden erst<br />

ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Verluste in dieser Gattung sind kaum zu schätzen.<br />

Nur zehn Jahre später hatte sich das Blatt bereits gewendet. Die Romantik entdeckte die<br />

eigene nationale Vergangenheit, deren Zeugnisse an Wert gewannen. Der Kunstmarkt<br />

erwachte. Preise und Wertschätzung stiegen. Für die Boisserée war dies das Signal, an den<br />

Verkauf der 216 Gemälde umfassenden Sammlung zu denken. Konnten Sie ihr erstes Bild<br />

1804 aus einer Karre mit Gerümpel herausziehen, so war ab 1815 an weitere Ankäufe gar<br />

nicht mehr zu denken: Sie waren zu teuer geworden.<br />

Die Museen haben damals nicht nur Spitzenwerke aufgenommen und für die Nachwelt<br />

bewahrt, sondern auch jene, die nicht dem geschmacklichen Mainstream entsprachen. Und da<br />

sich auch Qualitätskriterien ändern können, haben auch die vielen heute in den Depots<br />

verwahrten Werke ihren Sinn. Depots der Museen sind nicht in erster Linie „Schatzhäuser“<br />

(das vielleicht auch), sondern (und das ganz gewiss) Schutzräume vor der Unbill der<br />

Geschmacksentwicklung, Ruheräume, in denen die Zeit nicht nach Jahren, sondern nach<br />

Jahrzehnten und Jahrhunderten rechnet.<br />

Freilich haben die Museen auch gesündigt und mehr als einmal gegen die eigenen Grundsätze<br />

des Bewahrens verstoßen. Nicht sprechen will ich an dieser Stelle von den Bilderverkäufen<br />

1811 oder 1852, als 1000 bzw. 1500 Gemälde verscherbelt wurden, darunter (nicht nur, aber<br />

auch) etliche Klostergemälde. Das wäre ein eigenes Thema, meine Kollegin Gisela Goldberg<br />

arbeitet daran. Durch den Abgang von Dürers damals falsch eingeschätzter „Anna Selbdritt“<br />

(heute Metropolitan Museum of Art in New York) wurden wir dafür bitter bestraft.<br />

Nicht sprechen konnte ich schließlich auch über den fachlichen Nutzen der im 19. Jahrhundert<br />

in den Museen zusammengeführten Gemälde, über die sprunghaft gewachsenen Kenntnisse<br />

zur Entwicklung gerade der deutschen Malerei, der Beflügelung der Kunstgeschichte und<br />

letztlich auch der Kunst selbst – die Museen haben entscheidend dazu beigetragen. Auch das<br />

wäre ein eigenes Thema.<br />

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