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Frag doch mal den Manig

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Freies Wort, Freitag 30. September 2011, Heike Hüchtemann<br />

<strong>Frag</strong> <strong>doch</strong> <strong>mal</strong> <strong>den</strong> <strong>Manig</strong><br />

Er ist Suhls lebendes Gedächtnis. Gerd <strong>Manig</strong> bewahrt alles auf, sammelt und<br />

recherchiert zu allem, was mit der Geschichte seiner Heimatstadt zu tun hat. Der<br />

Ur-Suhler wird heute 70 Jahre alt.<br />

Suhl - Wer eine <strong>Frag</strong>e zu Suhls Geschichte, zu namhaften Familien, zu alten<br />

Häusern, Plätzen und Straßen hat, wird bei Gerd <strong>Manig</strong> fündig. Meist reicht<br />

kurzes Überlegen oder ein Griff in die lange Reihe der Ordner, um Antwort geben<br />

zu können. Findet er sie hier nicht, vergräbt er sich ins Stadtarchiv. Hier ist er<br />

Stammgast. Aber auch der Steinweg ist eine regelrechte Informations-Meile –<br />

vor allem für Suhler, die etwas über ihre Vorfahren oder die Suhler Historie<br />

wissen wollen und <strong>den</strong> Tipp bekommen haben „<strong>Frag</strong>‘ <strong>doch</strong> <strong>den</strong> <strong>Manig</strong>“. So wächst<br />

sich das Vorhaben, <strong>mal</strong> eben schnell was in der Sparkasse erledigen zu wollen,<br />

für Gerd <strong>Manig</strong> schnell zu einem zweistündigen Ausflug aus. Und das nicht nur,<br />

weil Daten, Fakten und Vermutungen auszutauschen sind – nicht selten wer<strong>den</strong><br />

Episo<strong>den</strong> zum Besten gegeben. Solche zum Beispiel, die ältere Suhler über <strong>den</strong><br />

„Polizisten mit Pfiff“- Gerd <strong>Manig</strong>s Großvater Bruno – dem Hörensagen nach zu<br />

erzählen wissen.<br />

Der wurde 1913 von Sachsen nach Suhl delegiert und hatte sich auch um<br />

baupolizeiliche Dinge und um das Schankwesen zu kümmern. Was Wunder, dass<br />

Gerd <strong>Manig</strong> bei seinen Forschungen immer wieder auf <strong>den</strong> Großvater stößt und<br />

dass er eine gewisse Affinität zur Historie Suhler Kneipen hat, derer es bis zu 120<br />

Stück in der Stadt gab. Auch Vater Horst ist vielen Suhlern in Erinnerung – er<br />

war nach Kriegsende Kaufmann bei Möbel-Schott.<br />

Gerd <strong>Manig</strong> ist nicht in die Fußstapfen seines Großvaters getreten, ein bisschen<br />

aber in die des Vaters, <strong>den</strong>n er hat sich spontan und für da<strong>mal</strong>ige Verhältnisse<br />

auf spektakuläre Weise für eine Lehre als Bankkaufmann entschie<strong>den</strong>. Eigentlich<br />

sollte er einen richtigen, einen handwerklichen Beruf lernen. „Ich war auf der<br />

Oberschule und hatte irgendwann in der 10. Klasse die Nase voll. Als ich sah,<br />

dass die Sparkasse im Steinweg einen männlichen Lehrling sucht, habe ich mich<br />

beworben – und eigentlich bis heute keinen richtigen Schulabschluss.“ Trotzdem<br />

sollte er auf die Hochschule für Ökonomie. Er aber entschied sich für die<br />

Fachschule. „Die war in Gotha und ich konnte weiter Billard spielen.“ Das war der<br />

Sport, dem seine ganze Lei<strong>den</strong>schaft gehörte, nachdem seine Knochen nicht<br />

mehr mitmachten, um als Leichtathlet ganz vorn mitmischen zu können. 1972<br />

stand gar zur Debatte, dass Billard olympische Disziplin wer<strong>den</strong> könnte, was es<br />

aber nicht wurde. Für Gerd <strong>Manig</strong> war das dann auch der Punkt, um aufzuhören<br />

und sich ganz seinem Beruf zu widmen, seinen Lei<strong>den</strong>schaften – der Fotografie<br />

und dem Sammeln historischer Zeugnisse und Dokumente – und seiner Familie.<br />

Wie sich Kreise schließen<br />

Mit seiner Frau Ingrid, geborene Nottelmann, wird er in zwei Jahren Gol<strong>den</strong>e<br />

Hochzeit feiern. Ihr erster Sohn Thomas wurde mit dem Down-Syndrom geboren.<br />

Er ist heute 46 Jahre alt, arbeitet in der Werkstatt des Rehazentrums<br />

Schleusingen und lebt bei seinen Eltern. Für Thomas‘ Entwicklung war es enorm<br />

wichtig, dass er mit seinem jüngeren Bruder Michael immer gleichbehandelt, im<br />

gleichen Maße gefordert und gefördert wurde. Der Zufall wollte es, dass Michael<br />

<strong>Manig</strong> und später auch dessen Sohn die gleiche Schule in Kolkwitz durchlief, in


der einst Gerd <strong>Manig</strong>s Großvater zum Polizisten ausgebildet wurde. Heute wird<br />

hier gelehrt, <strong>den</strong> Luftraum zu überwachen. Wie sich Kreise <strong>doch</strong> manch<strong>mal</strong><br />

schließen…<br />

Das stellt Gerd <strong>Manig</strong> immer wieder fest. Das Gespräch über die Jugend, <strong>den</strong><br />

Sport und das Leben kommt an <strong>den</strong> Punkt, als Gerd <strong>Manig</strong> <strong>den</strong> ersten Artikel für<br />

Freies Wort schrieb. Das war 1961. Und es ging um Billard. Damit müsste er<br />

dienstältester Autor von Freies Wort sein, <strong>den</strong>n auch heute steuert er viel<br />

Interessantes beispielsweise für die Heimatgeschichtsseiten bei. Er schrieb über<br />

<strong>den</strong> Sport, fotografierte die Veränderungen in der Stadt, die Neubauten, die<br />

Abrisse… Besonders tief sitzt bei ihm der Stachel, <strong>den</strong> der Abriss der Staatsbank,<br />

in der er viele Jahre gearbeitet hatte, gesetzt hat. „Was ist mit der Fassade, wo<br />

sind die Sandsteinfiguren?“, fragt er, um im gleichen Atemzug darauf zu<br />

verweisen, wie viele Bauherren historische Häuser wunderbar saniert hätten.<br />

Warum das für die alte Staatsbank nicht möglich war, wird sich ihm nie<br />

erschließen.<br />

Mittlerweile zählt seine Sammlung 35.000 Fotos und Dokumente und mehr als<br />

10.000 Postkarten. Kurz nach der Wende gründete er die Zeitung „Die Neue“ mit.<br />

Als die pleite war, ging er wieder zur Sparkasse – bis 1998, als er wie etliche<br />

ältere Kollegen auch, entlassen wurde. „Für mich war es das Ende eines<br />

Arbeitslebens und zugleich der Beginn eines neuen.“ Gerd <strong>Manig</strong> hat wieder<br />

geschrieben. Bücher wie „Suhler Alltagsimpressionen“, „475 Jahre Suhl“ oder<br />

„Suhler Sportgeschichte“. Daneben gestaltet er für Vereine und Jubiläen<br />

Broschüren mit und freut sich, wenn da irgendwo seine Mitarbeit mit „Archiv<br />

<strong>Manig</strong>“ vermerkt wird.<br />

Als Breitband-Chronist kann er aus einem unglaublichen Fundus schöpfen – nicht<br />

unbedingt zur Freude seiner Frau, die ihn manch<strong>mal</strong> ausbremsen muss.<br />

Beispielsweise, wenn er alte Maschinen anschleppt und in ihrem Haus an der<br />

Kunigunde zu verstecken versucht. Er sammelt alles, wo Suhl drauf steht –<br />

Fahrkarten, Eintrittskarten, alte Speisekarten, Zeitungsausschnitte sowieso,<br />

Visitenkarten… „Aber nirgends habe ich eine Konsumtüte von Suhl auftreiben<br />

können“, ärgert er sich ein bisschen. Wer hat auch schon solch eine olle<br />

Papiertüte aufgehoben… Allein die Reihe mit <strong>den</strong> orangefarbenen Mappen ist<br />

länger als einen Meter. Da ist so viel über Suhls Gaststätten drin, dass es vor ein<br />

paar Jahren für eine historische Kneipentour durch über 100 Lokalitäten reichte,<br />

die auf große Resonanz stieß. Die Reihe mit <strong>den</strong> grünen Mappen ist mit<br />

historischen Kostbarkeiten über Denkmäler gefüllt, die dunkelroten bewahren die<br />

Historie von Vereinen, die hellblauen die der öffentlichen und städtischen<br />

Einrichtungen auf. In <strong>den</strong> dunkelblauen Mappen schlummern Daten zu Künstlern<br />

und anderen Persönlichkeiten, in <strong>den</strong> schwarzen versammeln sich Fakten zu<br />

Firmen, in <strong>den</strong> hellroten zu Suhler Straßen und Wohngebieten.<br />

Doch nicht nur das Sammeln begeistert <strong>den</strong> agilen 70-Jährigen, sondern auch die<br />

Querverbindungen, die sich aus Anfragen aus aller Herren Länder ergeben. Oft<br />

ist es die Neugier auf familiäre Hintergründe, die Suchende auf die Spur zu Gerd<br />

<strong>Manig</strong> führt. Und für alles nutzt er <strong>den</strong> guten alten Postweg per Brief. „Das hat<br />

bislang immer funktioniert, warum soll ich jetzt E-Mails schreiben?“ Mit dem<br />

Internet hat er nichts am Hut, <strong>den</strong>n „da findest du nichts über Heimatgeschichte“.<br />

Überhaupt schwört er auf Papier. „Wer weiß <strong>den</strong>n, wie lange beispielsweise CD’s<br />

halten und ob die in hundert Jahren noch abgespielt wer<strong>den</strong> können?“


Schätze in guten Hän<strong>den</strong><br />

Mit Gerd <strong>Manig</strong> kann man stun<strong>den</strong>lang re<strong>den</strong> - seine Kenntnisse, seine<br />

Erlebnisse, sein feiner Humor lassen die Zeit vergessen. Was soll nur wer<strong>den</strong>,<br />

wenn Gerd <strong>Manig</strong> <strong>mal</strong> nicht mehr das Gedächtnis der Stadt sein kann? Dann<br />

möchte er seine Schätze in gute und sichere Hände geben, die sie für die<br />

Nachwelt erhalten. Eine Stiftung zu grün<strong>den</strong>, die vom Förderverein des<br />

Stadtarchivs geleitet würde, wäre ihm der liebste Gedanke. „Was mit diesem<br />

Kapital eingespielt würde, sollte zum einen an die Reha-Stiftung in Schleusingen<br />

gehen, um die Arbeit mit behinderten Menschen unterstützen zu können. Zum<br />

anderen sollte damit das Stadtarchiv und dessen Förderverein unterstützt<br />

wer<strong>den</strong>“, hat Gerd <strong>Manig</strong> klare Vorstellungen, die offensichtlich schwer zu<br />

realisieren sind.<br />

Sein Blick geht zum obersten Regal-Teil, in dem reichlich Karl May-Bände stehen.<br />

„Die wollte ich alle lesen, wenn ich Rentner bin.“ Doch wann er wirklich in <strong>den</strong><br />

Ruhestand geht, ist nicht abzusehen. „Es gibt noch so viel zu tun. Und wenn ich<br />

einen Wunsch frei hätte, dann ist das Ordnung, in all die Dinge zu bekommen,<br />

die noch geordnet wer<strong>den</strong> müssen.“ Und die häufen sich zusehends, <strong>den</strong>n Gerd<br />

<strong>Manig</strong> ist in Sachen Stadthistorie längst kein Geheimtipp mehr.

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