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Lunyü - Glowfish

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Kungfutse<strong>Lunyü</strong>Gespräche


EinführungNiemand, der sich mit China beschäftigen will, kannan der Persönlichkeit des Kung (der von den JesuitenKonfuzius genannt wurde, nach dem chinesischenKung Fu Dsï = Meister Kung, und diesen Namen inEuropa bis heute behalten hat) vorübergehen. Kungwar durch die Jahrtausende das Ideal der überwältigendenMehrheit des chinesischen Volkes, und niemandkann ein Volk richtig beurteilen, ohne dessenIdeale zu verstehen. Dennoch ist man in Europa weitdavon entfernt, zu einer eindeutigen Würdigung dieserPersönlichkeit durchgedrungen zu sein. Um dieGröße einer historischen Persönlichkeit objektiv festzustellen,muß man alle persönlichen Geschmacksrichtungenzunächst beiseite lassen und nur seine tatsächlicheWirkung in Betracht ziehen. Jede hervorragendePersönlichkeit hat eine ganz bestimmte Auffassungder metaphysischen Gründe des Weltgeschehens.Und dieser Auffassung entsprechend gestaltetsie ihr Leben. Wie in der Musik ein jeder Komponistseinen bestimmten Rhythmus hat, der alle seineWerke einheitlich durchdringt, so hat jeder großeMann eine besondere Rhythmik des Handelns und Erlebens,die sich mehr oder weniger von dem passivenGelebtwerden der großen Menge unterscheidet. Die


Größe einer Persönlichkeit hängt nun einerseits davonab, wie hoch sich diese Eigenart des Erlebens überdas Niveau ihrer Zeit erhebt, und andererseits davon,wie groß ihre Kraft ist, auch andere Menschen indiese neue Art des Lebens hineinzuziehen und so ihrLeben gestaltend zu bestimmen. Von diesem Gesichtspunktaus muß man Kung entschieden als einender ganz Großen der Menschheit bezeichnen; dennseine Wirkung auf die ganze ostasiatische Welt, zusammenwohl nahezu ein Drittel der Menschheit, hatsich bis heute erhalten, und ebenso ist das sittlicheIdeal, das er vertritt, ein solches, das wohl einen Vergleichaushält mit den übrigen Weltreligionen.Der Versuch einer Lösung des Problems der PersönlichkeitKungs als Faktors der Menschheitsentwicklungwird als notwendige Voraussetzung seinehistorische Eingliederung in den Zusammenhang desLebens der chinesischen Rasse haben. Wir fragendaher zunächst: Was fand er vor? – dann: Was hat ererstrebt? – und weiter: Was hat er erreicht? EineWürdigung dessen, was er an bleibenden Werten demgeistigen Besitz der Menschheit hinzugefügt hat,möge den Abschluß bilden!


Die geschichtlichen VoraussetzungenWas uns an Quellen für die chinesische Urzeit zurVerfügung steht, ist im wesentlichen alles durch dieRedaktion Kungs hindurchgegangen. Es sind die fünfkanonischen Schriften der »Urkunden«, »Lieder«,»Wandlungen«, »Annalen des Staates Lu« und der –erst später fixierten – »Riten«. Wir haben Anhaltspunktedarüber, daß Kung bei seiner Redaktionsarbeitziemlich radikal vorgegangen ist. Nicht darum war esihm zu tun, eine historische Darstellung der Vergangenheitzu geben, sondern er wollte die Geschichte alseinen Spiegel für die Zukunft überliefern. Er schriebdie Geschichte nur vom Standpunkt seiner Lehre aus,die er in ihr zusammengefaßt sieht. Ebenso ging erbei der Sammlung der Lieder und Bräuche durchauskritisch vor.Immerhin bewegen sich die redaktionellen ÄnderungenKungs in ganz bestimmten Bahnen. Er läßtmanches ihm unrichtig dünkende weg, rückt anderesin eine neue Beleuchtung; aber wir dürfen das Zutrauenzu ihm haben, daß er den wesentlichen Gehalt derihm vorliegenden Quellen unangetastet ließ. Als ungünstigesMoment kommt jedoch in Betracht, daßkeine der von ihm redigierten Schriften sich in ihrerursprünglichen Gestalt erhalten hat. Weit mehr als die


Bücherverbrennung des Tsin Schï Huang, die von denChinesen für den Zustand ihrer alten Literatur verantwortlichgemacht wird, sind die allgemeinen Unruhender auf Kung folgenden Jahrhunderte dafür verantwortlich.Die alte chinesische Welt fiel rettungslosdem Untergang anheim, und als sich aus den Trümmernspäter die Handynastie erhob und man begann,sich auf die Schätze alter Wissenschaft wieder zu besinnen,da war vieles schon sehr stark mitgenommenvom Sturm der Jahrhunderte. So ist uns denn dieganze alte Literatur nur so überliefert, wie sie ausdem Schutt der Zeiten hervorgezogen wurde.Soweit uns die vorhandenen Urkunden gestatten,uns ein Bild von den Zuständen der alten Zeit zu machen,scheinen die Verhältnisse recht einfach gewesenzu sein. Selbst der Herrscher, dessen Macht oft übrigensmehr nominell gewesen zu sein scheint, lebtenoch keineswegs luxuriös. Manche Schilderungen ausder alten Zeit, besonders in Beziehung auf Yü, gebenrecht primitive Bilder. Die Wirtschaftsform war agrarisch.Bedeutender als kriegerische Eroberung warfriedliche Durchdringung weiter, noch unkultivierterGebiete. Infolge davon ist die Gesellschaftsstrukturwesentlich von der westlichen verschieden. Im Okzidentbaute sich die Volksgemeinschaft fast durchwegauf dem Grund der kriegerischen Organisation derwehrfähigen Mannschaft auf. Darum war der Einzelne


aus dem Kreis der Krieger Träger selbständigenRechts innerhalb der Sippen. Der einzelne freie Mannbildete die Zelle der Gesellschaft, die sich je nach denVerhältnissen zur Demokratie oder Militärdespotieweiterentwickeln konnte. Auf alle Fälle waren damitdie Grundlagen für eine Entwicklung des Individuumsund somit auch für individuelle Religion und individuelleMoral gegeben. Ganz anders in China. Hiersteht nicht kriegerische Eroberung, sondern friedlicheDurchdringung am Anfang. Schon frühe hören wirvon der Einteilung des Landes in Felder, die den einzelnenFamilien zur Bebauung übergeben wurden.Die Feldbebauung setzt aber in der Familie ganz vonselbst eine kollektivistische Wirtschaftsform voraus.So ergibt sich als Grundzelle des chinesischen gesellschaftlichenOrganismus nicht das Individuum, sonderndie kommunistische Familie. Es verdient hierhervorgehoben zu werden, daß sich Spuren eines Zustandesder Mutterfolge noch nachweisen lassen, dochscheint die Familie unter der Herrschaft des Vatersschon ziemlich weit zurückzugehen, wenn auch in derfast religiösen Betonung der väterlichen Autoritätnoch der Einfluß der Umwandlung der Sippe in dieFamilie durchklingt. Da aber zur Sicherung und Regelungdes Lebens gemeinsame Unternehmungenunter einheitlicher Leitung, wie z.B. Flußregulationen,notwendig waren, so bildet sich das Familienpa-


triarchat zum gesellschaftlichen Patriarchat mit demFürsten an der Spitze weiter. Wir finden die ethischen,religiösen und naturwissenschaftlichen Verhältnissedes vorkonfuzianischen China durchaus inÜbereinstimmung mit den theoretischen Folgerungen,die sich aus diesen Zuständen ziehen lassen. Währendin der Ethik des Westens die kriegerische Tugend desMuts und die damit zusammenhängenden Tugendendes Forschungstriebes und Wahrheitssinnes dieKeimzelle für die ethische Entwicklung bilden, stehtin China die gewissenhafte Einordnung in den Familienorganismusund durch ihn in den Gesellschaftsorganismusobenan, eben weil das die Tugend war, die innerhalbder gegebenen sozialen Verhältnisse am nötigstenund wertvollsten sich erwies. Von hier auswird uns die Rolle, welche in China die Pietät spielt,ohne weiteres klar.Dieselben Folgerungen ergeben sich auf religiösemGebiet. Die Religion hat in China niemals die individuell-selbständigeEntwicklung gefunden wie im Westen.Das Altertum kennt Zauber und Divination alswesentliche Züge des Lebens. Namentlich scheintauch die Schrift, die die Bilder der Gegenstände festzuhaltenvermochte, als Zaubermittel hoch bewertetworden zu sein. Noch bis auf den heutigen Tag geltengeschriebene Zeichen für etwas einigermaßen Heiliges.Ebenso finden sich Spuren der Zaubermacht des


Namens, in dem man Gewalt über das zugehörigeDing besitzt. Aus einer späteren Schicht stammen dieOpfer, deren Vollzug als geheimnisvoll mit demWeltlauf in Zusammenhang stehend betrachtet wurde.Verehrt wird der Gott des Himmels, ferner die Erde,und zwar die Erde (di) als Mutter im Gegensatz zumHimmelsvater, aber auch der männlich gedachte Gottder Ackerkrume (Hou Tu); außerdem die wichtigstenNaturgottheiten, die dem höchsten Gott beim Opferbeigeordnet werden. Daß auch der Ahnenkult in ältereZeit zurückgeht, ist wohl selbstverständlich. Immerhindürfte die feste Ordnung des Ahnenkultes erst mitder Dschoudynastie ihren Anfang genommen haben.Die Begrenzung auf den Gebrauch der staatlich organisiertenmenschlichen Gesellschaft gibt der Wissenschaftder vorkonfuzianischen Periode ihren bestimmtenCharakter. Interesselose Forschung aus bloßerWißbegier kennt das chinesische Altertum so gutwie gar nicht. Auch das Wissen ist praktisch orientiert.Es ist für die Menschen, die Ackerbau treiben,ein unabweisbares Bedürfnis, daß sie den Verlaufihrer Tätigkeiten dem Naturverlauf und seinen Gesetzenanpassen, daß die menschlichen Ordnungen sicheinfügen in die Weltordnung.Die Welt ist durch göttliche Vernunft (das Tao) regiert,und diese Prinzipien gilt es zu erforschen, damitder Kreis der menschlichen Tätigkeiten entsprechend


gestaltet werden kann. So findet sich schon in ältestenZeiten eine verhältnismäßig hohe Stufe der astronomischenBeobachtung, um mit ihrer Hilfe den Gang derJahreszeiten und die entsprechenden Arbeiten des Akkerbausfestzulegen. Die Sorge für den Kalender wardenn auch zu allen Zeiten eine wichtige Pflicht derkaiserlichen Regierung; es gab ein kaiserliches Hofamt,dem es oblag, jährlich den Kalender herauszugeben,in dem die geeigneten Tage für alle möglichenUnternehmungen des Lebens angegeben wurden. Sosuchte man seit urältester Zeit den Naturkräften undihrer Ordnung durch eine an pythagoräische Lehre erinnerndeZahlensymbolik beizukommen. Der Dualismusder Urkräfte (Licht – Finsternis, männlich –weiblich usw., chinesisch yang yin) sowie die an dieFünfzahl sich anschließende Einteilung alles Bestehendenin Natur- und Menschenwelt (es gibt fünf Farben,fünf geographische Punkte – nämlich Mitte,Süden, Norden, Osten, Westen –, fünf Tugendenusw., die alle in einem geheimnisvollen Zusammenhangstehen) bilden einen Hauptbestandteil dieser primitivenNaturphilosophie.Die Kulturentwicklung hatte es im Wechsel derDynastien schon damals zur Folge gehabt, daß keineinheitliches Volksbewußtsein mehr existierte, sondernverschiedene Linien geistiger Strömungen sichherausgebildet hatten. Während die eine Linie, die


sich im späteren Taoismus fortsetzte, sich mehr an dieTraditionen der Schangdynastie hielt, deren bedeutendeMänner im Lauf der Jahrhunderte vom Taoismusfast alle deifiziert wurden, zeigen sich ums erste Jahrtausendzu Beginn der Dschoudynastie bereits gewisseAnfänge strafferer Organisation der Gesellschaftsordnung,die in Kung und seiner Lehre ihrenAbschluß und ihre Vollendung fanden.Mit der Dschoudynastie kommen wir auf Einflüsseaus dem Westen. Es ist sehr wahrscheinlich, daßdiese Dynastie, die Generationen lang mit großer Umsichtan der Befestigung und Ausbreitung ihrer Machtgearbeitet hat, nicht chinesischen Ursprungs ist, sondernvon außen her in China eindrang. Es muß eineArt Völkerwanderung gewesen sein, und die Art, wiedie eindringenden Barbaren allmählich sich Kulturund Macht in China verschafften, hat ihre Parallele inder Übernahme des Römischen Imperiums durch dieeinrückenden Germanen.Abgesehen von den früheren Häuptlingen dieserStämme, von denen einer geschildert wird, wie er zuPferd – von seiner Frau begleitet – die neuen Wohnsitzefür die Seinen aussucht, sind es hauptsächlichdrei Männer, die in der konfuzianischen Tradition dieSiebenzahl der berufenen Heiligen voll machen: derKönig Wen, der moralisch den Einfluß der Familie imReiche durchgesetzt hat, ohne den letzten Schritt der


Usurpation zu tun, der König Wu, sein Sohn, der inhohem Alter die kriegerische Aktion gegen den TyrannenSchou Sin unternommen, und dessen jüngererBruder Dan, der Fürst von Dschou, der für seinen unmündigenNeffen die Regierung führte und dessen Familiemit dem Heimatstaat des Kung, dem FürstentumLu, belehnt wurde.Durch König Wu und noch mehr durch seinen bedeutenderenBruder, den Fürsten Dschou, wurden nunneue Lebensordnungen für das ganze Reich geschaffen,die sich wohl den Überlieferungen der guten altenZeit im allgemeinen anschlossen, bei denen aber auchschon andere Linien in Erscheinung zu treten beginnen,die später durch Kung zum unveräußerlichen Bestandder chinesischen Geistesstruktur gemacht wurden,und zwar ist es vor allem die Familienidee, die inden Mittelpunkt gerückt wird. Die Familie findet ihreAusgestaltung nicht in der Einzelfamilie, sondern inder mehrere Generationen umfassenden Gesamtfamilie,die bis auf den heutigen Tag in China besteht.Aus der Dschoudynastie scheint die Einrichtung zustammen, die eine Heirat zwischen Gliedern derselbenSippe verbietet. Monogamie ist in der Weise durchgeführt,daß neben die eine legitime Hauptfrau derenDienerinnen als Nebenfrauen treten können. Die Einrichtungeines fürstlichen Harems ging hier voran, obwohlsie eigentlich den monogamisch ausgelegten


Verpflichtungen zwischen Mann und Frau widerspricht.Die Ausgestaltung dieser Familienidee in der Praxisführt zum Lehenswesen. Die Dschoudynastiemacht das Reich zum Lehensstaat, dessen einzelneLehen vorzugsweise an Familienglieder vergebenwurden; auch zeigt sich in der Art, wie der verewigteKönig Wen als Genosse des höchsten Gottes angerufenwird, ein Aufrücken des Ahnenkults neben dieGottesverehrung. Begräbnisbräuche, die bisher sehrzurückgetreten waren, wurden betont, und der Ahnenkultwurde für den Mann aus dem Volk, der als solchernicht mehr die Berechtigung hat, mit seinemOpfer vor den höchsten Gott zu treten, die religiöseBetätigung schlechthin. Damit hängt zusammen dieAufstellung des Pietätsprinzips als des moralischenGrundverhältnisses, aus dem die anderen Beziehungenerst abgeleitet werden. Eine reiche Ausgestaltungaller Lebensformen nach bestimmten Regeln (Li) ordnetealle Handlungen und schuf den äußeren Ausdruck,ohne den die innere Gesinnung nach antikerAuffassung nicht bestehen kann.Dieses soziale System, gegründet auf die natürlichstensozialen Triebe des Menschen, die Familiengefühle,ist ein wundervoll in sich abgeschlossenes Gebilde:der ganze Staat eine erweiterte Familie, dieFürsten oben und das Volk unten zusammengehalten


von einem starken Gefühl der Zusammengehörigkeit.Das ganze Leben und alle Beziehungen zu Menschenund Göttern geregelt durch feste sittliche Normen, diezugleich der ästhetischen Ausgestaltung nicht entbehren.Eine hochentwickelte Kunst, entsprechend derZeitrichtung vorzugsweise Musik, die von psychologisch-systematischenGrundsätzen ausgehend eineharmonische Stimmung des Seelenlebens direkt erstrebte:das ist die Schöpfung der Dschoudynastie.Eine solche höchste Blüte der Lebensgestaltung, soweitsie allein von den Herrschenden getragen wird,während das gewöhnliche Volk ohne individuelleAusbildung passiv das Glück genießt, ist aber auf dieDauer nur aufrechtzuerhalten, solange ein hochbedeutenderGenius an der Spitze steht. Gerade weil allesauf das freie Verhältnis persönlicher Autorität gestelltwar, so mußte der ganze Bau ins Wanken geraten, sobaldder Fürst keine Persönlichkeit mehr war, diedurch ihr Wesen Autorität ganz von selbst erzeugte.Dieser Verfall blieb denn auch nicht aus. Allmählichlockerten sich die Bande des Feudalsystems; die einzelnenTerritorialfürsten suchten sich so viel wiemöglich von der Zentralgewalt selbständig zu machen.Schließlich führten die Könige der Dschoudynastie,auf ein verhältnismäßig kleines Stammland beschränkt,nur eine Art Schattendasein, während dieLehensfürsten untereinander mit Ränken und im offe-


nen Krieg um die Hegemonie kämpften, die mit wechselndemErfolg bald dem einen, bald dem andern zufiel.Dieselbe Erscheinung setzte sich nach unten fort.Daß diese allgemeine Usurpation und Anarchie demoralisierendauf die gesamten öffentlichen Zuständeeinwirken mußte und infolge davon auch unter demVolk alle sittlichen Bande sich lösten, versteht sichvon selbst. Die Zustände waren zur Zeit von KungsGeburt so zerfahren, daß der Versuch einer Besserungder Verhältnisse aussichtslos erschien. Die staatsmännischenKreise beschränkten sich auf die Durchführungeiner opportunen Realpolitik. Die Grundsätzevon der Macht der Moral als Staatspolitik waren inVergessenheit geraten, der Einfluß der einzelnen Staatenberuhte auf ihrer Militärmacht, die durch vermehrtenSteuerdruck auf einen möglichst hohen Stand gebrachtwerden sollte. Alles in allem bekommt manvon den letzten Zeiten der Dschoudynastie den Eindruckdes tiefsten Verfalls. Es war eine Art Weltuntergangeiner großen Kultur, der sich langsam, abersicher vollzog. Eine tiefgreifende Fäulnis hatte alleKreise durchsetzt, und die alten Grundsätze der Kulturwaren in voller Auflösung begriffen. Wie es häufigin solchen Dekadenzzeiten zu sein pflegt, war eingewisser Schimmer intellektueller Regsamkeit überdas Ganze gebreitet. Frech und geistreich wurde anden Einrichtungen der Vergangenheit Kritik geübt.


Neue Gesellschaftstheorien wurden erdacht, so namentlichdie für Einfachheit und Natürlichkeit unterdem Namen Kommunismus in Europa bekannte desMo Di. Auf der andern Seite machte sich eine frivolePreisgabe aller Ideale zugunsten des bloßen Auslebensder animalischen Natur geltend, wie sie mit demNamen Yang Dschu verknüpft ist. Man muß dieSchilderungen des Buches Lië Dsï lesen,1 die ja ansich aus etwas späterer Zeit stammen, aber doch etwadie Zustände zeichnen, wie sie ihre Keime in der ZeitKung Dsïs hatten.Gegenüber dieser Not der Zeit hatten die geistigbedeutenden Männer, die die Traditionen des altenTaoismus fortführten und unter denen Laotse der berühmtesteist, keinen Rat als den, sich aus der Wirrsalder Welt zurückzuziehen und sie ihrem Gang zu überlassen.Bei Laotse war der Grundgedanke der, daßdurch das »Nichthandeln« der kranke Organismus derGesellschaft wieder zur Ruhe und Genesung kommenwerde, während andere, ihm verwandte Geisterschlechthin verzweifelten und unter Preisgabe derbösen Welt ihrer eigenen mystisch-magischen Vervollkommnunglebten. Vertreter solcher Richtungentreten uns besonders im XVIII. Buch der »Gespräche«entgegen. – Das waren die Verhältnisse, dieKung bei seinem Auftreten vorfand.


Fußnoten1 Lië Dsï, Das wahre Buch vom quellenden Urgrund(Eugen Diederichs Verlag)


Leben und Werk des KungfutseKung entstammt einer alten chinesischen Familie, dieihre Anfänge auf das königliche Geschlecht der Yindynastiezurückführte. Der späten Ehe eines altenMannes mit einem blutjungen Mädchen entsprossen,hat er in frühester Jugend den Vater verloren. Er gehörtaber nicht zu den Naturen, die durch äußere Familienverhältnissewesentlich bestimmt werden.Schon in früher Kindheit regte sich in ihm ein mächtigerZug zu den heiligen Bräuchen der Vorzeit. Seinliebstes Kinderspiel war es, mit kleinen Gefäßen dieOpferriten nachzuahmen, – ein kleiner Zug, der mancheVerwandtschaft mit den Jugendspielen andererGeistesheroen hat; man denke nur an Goethes Puppenspiel!Dieser Zug zum Altertum blieb ihm seinganzes Leben lang treu. Man kann wohl sagen, daß inihm das chinesische Lebensideal der alten Zeit Persongeworden ist. So finden wir ihn denn vom Erwachendes bewußten Lebens an damit beschäftigt, immer tiefereinzudringen in das Erbe der Vergangenheit. Mitfünfzehn Jahren, sagte er von sich, sei sein Ziel dasLernen gewesen, und im höchsten Alter seufzt er einmal:»Wenn mir noch ein paar Jahre vergönnt wären,um das Studium des heiligen Buches der Wandlungenzu vollenden, so wollte ich es wohl dahin bringen,


von großen Fehlern frei zu sein.« Dieses gewissenhafteEindringen in das Ideal des Altertums, dieses Lernen,ohne zu ermüden, dieser Fleiß im höchsten Sinneist es, was sein Genie ausmacht. Selbstverständlichhandelt es sich nicht um eine nur äußerliche Aneignungdes Wissensstoffs, sondern mit allen Fasern seinesWesens ist er dabei. Es wird von ihm erzählt,daß, wenn er seinen Blick senkte beim Essen, er inder Schüssel das Bild Yaus sah; und wenn er denBlick erhob, so erblickte er Schun an der Wand. Erselbst klagt einmal: »Ich bin sehr weit heruntergekommen,denn schon seit langer Zeit habe ich denFürsten von Dschou nicht mehr im Traum gesehen.«Diese innere Verwandtschaft mit den alten Idealengab ihm denn auch die Möglichkeit, das gesamteWissen seiner Zeit sich anzueignen. Was vor ihm getrennteGebiete waren, von Spezialisten gepflegt undin der Stille schulmäßig überliefert, das vereinigte erin sich zu einem einheitlichen Ganzen. So konnte esnicht fehlen, daß der Ruf seiner Gelehrsamkeit sichbald ausbreitete und daß sich bald Schüler aus allenKreisen um ihn sammelten, die er in freiem, persönlichemVerkehr einführte in die Weisheit des Altertums.Das war etwas absolut Neues im damaligenChina. Es gab wohl königliche Schulen zur Heranbildungder fürstlichen und adligen Söhne, aber eine privateVereinigung von Lernbegierigen um einen Lehrer


hat es vor Kung nicht gegeben. Er freute sich derFreunde, die von fernen Gegenden kamen, und gabihnen sein Bestes, anfangend mit den Riten und Prinzipiender Moral und vordringend – entsprechend derBegabung und dem Interesse der Zuhörer – zu den tieferenPrinzipien des Weltzusammenhangs, die ermehr esoterisch behandelte.Aber das war mehr ein Nebenerfolg seines Strebens.Nicht eine Philosophenschule wollte er gründen,sondern das heilige Erbe, das er überkommenhatte, wollte er zur Wahrheit machen in der Welt.Dazu brauchte er einen Fürsten, der auf ihn hörte undgeneigt war, seine Prinzipien praktisch durchzuführen.Daß diese Prinzipien imstande wären, die Weltzu erneuern, daran hat er keinen Augenblick gezweifelt.Aber entsprechend der gesamten Überlieferungkam ja das Heil von einem heiligen Fürsten. Ihmselbst war es vom Schicksal nicht vergönnt worden,einen Thron innezuhaben. Vielleicht aber durfte erhoffen, als Ratgeber wenigstens mit einem Herrn zusammendie beiden Seiten des Heiligen auf demThron zur Wahrheit zu machen. Hatte doch auch seininnig verehrtes Vorbild, der Fürst von Dschou, nichtselbst an der Spitze des Reiches gestanden, sondernnur als Berater seines Bruders, des Königs Wu, – under hatte doch als Vormund von dessen Sohn so Herrlichesvollbracht!


Diesem Interesse am Altertume kommt ein Erlebnisentgegen, das die große Wahrheit bestätigt, die unsGoethe mit plastischer Deutlichkeit offenbart: wiedem strebenden Menschen jederzeit vom Schicksaldas geboten wird, was seinem Wesen entspricht undwas er zu seiner Vervollkommnung braucht.Als Reisebegleiter eines Zöglings, den sein Vatersterbend an ihn verwiesen hatte, hat er seine ersteReise in die alte Reichshauptstadt Lo (im heutigenHonan) gemacht, von der so manche Sagen überliefertsind. Wenn auch die alte Herrlichkeit der Dschoudynastielängst geschwunden war, so fand er sich dochhier noch in der Umgebung der Überreste jener großenZeiten, deren Kenntnis er damals schon besaß wiekein Zweiter im Reich. Und so sehen wir ihn mit Eiferund Wißbegier alles in sich aufnehmen, was von derGegenwart jener Helden und Weisen zeugte, mitdenen er selbst in seinen Träumen verkehrte. Er wirdwohl ausgelacht wegen seiner Lernbegier, aber er läßtsich nicht irremachen; jeden kleinsten Zug, der ihmaus jenen Zeiten entgegenkommt, eignet er sich an. Esist einer jener denkwürdigen Augenblicke, da einMenschheitsgenius mit den Resten der Vergangenheitin unmittelbare Berührung kommt und Fühlung suchtmit dem, was gewesen ist, um seinem eigenen Werkden Platz in der großen Menschheitsentwicklung anzuweisen.In jene Zeit wird auch die bekannte Begeg-


nung mit Laotse verlegt, bei der er so wenig Lob vonseinem älteren Kollegen geerntet haben soll. Die Erzählungenüber das, was bei dieser Gelegenheit vonden beiden chinesischen Weisen eigentlich gesprochenwurde, sind aber wohl durchweg apokryph. Sietragen zu deutlich den Stempel taoistischer Erfindung,die dem Haupt der philosophischen Rivalenschulegerne etwas am Zeug flicken möchte, als daß sie fürhistorisch unanfechtbar gelten könnten. (Vgl. Leggea.a.O. pag. 65; E. Chavannes, Mémoires historiquesde Se-Ma Tsien, Paris 1905, Band V, pag. 300f.)Von der Hauptstadt des alten Reichs zurückgekehrt,widmete sich Kung aufs neue der Erziehungvon Jüngern, die in immer größerer Zahl durch seinenNamen angezogen wurden. Kurz darauf verwickeltensich aber die politischen Verhältnisse in seinem Heimatlande.Einer der Hausbeamten der herrschendenAdelsfamilie hatte die Regierung an sich gerissen,und der Fürst des Landes war genötigt, in einemNachbarstaate Zuflucht zu suchen. Um einer Anstellung,die vom Usurpator beabsichtigt war, zu entgehen,zog auch Kung es vor, seine Heimat zu verlassen.Sein Weg führte ihn nach Tsi, dem nordöstlichenNachbarstaate. Dort hörte er zum erstenmal die ausdem hohen Altertum überlieferte Schau-Musik. Erwurde von ihrer Kraft und Reinheit so hingenommen,daß er drei Monate lang den »Geschmack des Flei-


sches« vergaß. Diese Begeisterungsfähigkeit und Vorliebefür Musik, die er sein ganzes Leben hatte, istübrigens auch ein Beweis dafür, daß er keineswegsder pedantische Philister war, für den man ihn so häufighält.Kungs Name hatte in jener Zeit schon Klanggenug, um es dem dortigen Fürsten wünschenswerterscheinen zu lassen, seine nähere Bekanntschaft zumachen. Er hat verschiedene interessante Unterredungenüber Staatsangelegenheiten mit ihm geführt. Auchhatte er Lust, ihn in seinen Diensten zu verwenden.Die Sache scheiterte jedoch an den Gegenvorstellungendes Ministers Yën. Kung wollte auch die Politikauf ethische Grundlage gestellt wissen. Yën hielt dasfür Utopie; Tsi war damals die erste Militärmacht imLande. So erkaltete dann allmählich das Verhältnis.Der Fürst ließ verlauten, er sei zu alt und könne sichnicht mehr mit Reformplänen abgeben. Man wollteden Weisen aus Lu mit einem Ehrentitel und ausreichendemEinkommen abfinden. Kung war jedochnicht gewillt, eine solche Sinekure anzunehmen. Erverließ Tsi und kehrte um eine Erfahrung reicher inseine Heimat zurück.Dort wurde er von den herrschenden Adelsfamilienlebhaft umworben; aber er widerstand allen Versuchungen,in ihre Dienste zu treten, und wartete ruhig,bis seine Zeit gekommen war. Endlich kam es wieder


zu einigermaßen geordneten Verhältnissen. Der alteFürst war gestorben, das Haupt der mächtigstenLehnsfamilie war ihm im Tode nachgefolgt. Der neueFürst, der zur Regierung gekommen war, suchte dieDienste seines berühmten Untertanen, indem er ihmzunächst einen Kreis zur Verwaltung übergab. Kungwar damals 50 Jahre alt, und nun beginnt die kurze,aber glänzende Zeit, die wir als seine Meisterjahre bezeichnenkönnen, jene Jahre, da er Gelegenheit bekamzu zeigen, was seine Prinzipien auf dem praktischenGebiet der Staatsverwaltung zu leisten imstandewaren. Es war eine glänzende Rechtfertigung. Es sinduns einzelne Züge aus seiner öffentlichen Wirksamkeitüberliefert, die zeigen, mit welcher Umsicht undEnergie er in unglaublich kurzer Frist in den verrottetenVerhältnissen, die er antraf, Wandel zu schaffenvermochte. Selbstverständlich tragen diese Überlieferungenin ihren Details legendarische Züge. Sie sindaber als Symptome für den Eindruck zu werten, denseine Wirksamkeit auf das Volksleben gemacht hat.Als er sein Amt antrat, herrschte Lug und Trug inHandel und Wandel. Das Verhältnis der Geschlechterwar mehr als zweideutig, die Straßen waren unsicher.Nach drei Monaten war alles umgewandelt. DerMarktverkehr war musterhaft; all die kleinen Kniffe,womit man sonst die Waren täuschend herausgeputzthatte, waren abgeschafft, die Beziehungen der Ge-


Ein Schüler hat ihn einmal gefragt, worauf es in derVerwaltung eines Staates vorzüglich ankomme. Erantwortete: »Auf ein tüchtiges Heer, auf Wohlhabenheitdes Volks und darauf, daß das Volk Vertrauen zuseinem Herrscher hat.« Der Schüler fragte weiter:»Wenn aber nicht alles zu erreichen ist, worauf kannman am ehesten verzichten?« »Auf das Heer«, war dieAntwort. Als der Schüler noch weiter fragte, antworteteer: »Speise und Trank sind zum Leben notwendig,allein früher oder später muß doch jeder sterben;ohne Vertrauen aber ist es unmöglich, daß ein Staatauch nur einen Tag besteht.« Ein anderes Mal fragteein Schüler beim Anblick einer zahlreichen Bevölkerung,was für sie getan werden müsse, um sie emporzubringen.»Bereichere sie«, sprach der Meister.»Und dann?« »Belehre sie.« Nach diesen Grundsätzenhat er sein Leben gestaltet. Er hat umfassende Anordnungenüber die Ausnutzung des Ackerlandes getroffenund durch Versuche feststellen lassen, welchePflanzen für die verschiedenen Bodenarten am geeignetstenseien.Als Justizminister fängt er mit großer Energie an.Ein Vater verklagt seinen Sohn wegen Ungehorsams.Nun ist ja bekanntlich Pietät und Kindlichkeit dasGrundprinzip in der Lehre des Konfuzius, und manhätte denken sollen, er werde den pietätlosen Sohnstrenge bestrafen. Statt dessen nimmt er Vater und


Sohn in Haft, ohne sich mit dem Fall weiter zu beschäftigen.Darüber befragt, gibt er zur Auskunft, daßder Ungehorsam dieses Sohnes mindestens ebensosehrder Fehler des Vaters sei, der es an der nötigenBelehrung habe fehlen lassen. Und erst als der Vatervon seiner Klage absteht, läßt er beide frei. DiesesBeispiel erläutert, wenn es auch einem modernen Juristennoch so bedenklich erscheinen mag, die großzügigeArt seiner Justiz. Er behielt dabei fortwährendFühlung mit dem Rechtsbewußtsein des Volks undhat es durch diese pädagogische Handhabung der Gesetzesoweit gebracht, daß die schlechten Elementesich verzogen und die guten zur Ordnung und Besinnunggebracht wurden.Noch interessanter vielleicht ist die Art seiner diplomatischenTätigkeit. In der inneren Politik war dasgrößte Übel die Terrorisierung des Fürsten durch diedrei vornehmen Adelsgeschlechter. Deren Machtstützte sich vornehmlich auf die befestigten Städte,die sie inne hatten und an deren Mauern alle Wünschedes Fürsten sich brachen. Kung hat in der kurzen Zeitseiner Amtstätigkeit die politischen Verhältnisse soumsichtig auszunutzen gewußt, daß jene Geschlechtersich herbeiließen, ihre Mauern selbst zu schleifen,wodurch natürlich das Ansehen des Fürsten sehr gesteigertwurde.In ähnlicher Weise erprobt er sich in der äußeren


Politik: in der berühmten Zusammenkunft der Fürstenvon Lu und Tsi bei Gia Gu. Der Fürst von Tsi erschienumgeben von der barbarischen Leibwache derLeute aus Lai, um den Fürsten von Lu zu überrumpelnund unschädlich zu machen, da ja dessen Ratgeberein Gelehrter sei, der nichts vom Kriege verstehe.Kung hat die Erwartungen der Feinde bitter enttäuscht,indem er bei der Abreise von dem ganz modernenGrundsatz ausging, daß, wie man im Krieg dieWerke des Friedens vorbereiten müsse, so auch fürdie Erhaltung des Friedens der sicherste Weg sei,wenn man zum Krieg gerüstet ist. Auf seinen besonderenRat nimmt der Fürst eine militärische Bedekkungmit. Es ist uns eine interessante Schilderung desZusammentreffens erhalten. Der Empfang war frostig.Dreimal macht der Fürst von Tsi den Versuch, seinenGegner, den Fürsten von Lu, aus dem Wege zu räumen.Erst läßt er verkleidete Soldaten unter denTönen der wilden Lai-Musik heranrücken, dann versuchter es mit Schauspielern, endlich sucht er ihn zueinem Gastmahl zu gewinnen, um seine Absichten beidieser Gelegenheit zu verwirklichen. In allen drei Fällensieht er sich in seiner Absicht von Kung erkannt,der mit Energie und teilweise unter persönlicher Lebensgefahrseinen Fürsten rettet und mit vollendeterHöflichkeit alle jene hinterlistigen Versuche zurückweist.Das Ergebnis dieser Zusammenkunft ist, daß


der Fürst von Tsi dieser Überlegenheit gegenüber sichmoralisch geschlagen fühlt und einige strittige Grenzgebietean Lu herausgibt.Aber lange sollte diese glänzende Zeit steigenderErfolge nicht dauern. Den Fürsten von Tsi ließen dieErfolge des Nachbarstaates nicht schlafen. Da er erkennenmußte, daß er dem staatsmännischen Geschickdes Ministers nicht gewachsen war, so kam er aufeine andere Auskunft. Er sandte dem Fürsten von Lueine Truppe von Schauspielerinnen zum Geschenk.Das wirkte. Der Fürst und seine Großen konnten sichdiesen Genüssen nicht verschließen. Drei Tage wurdekein Hof gehalten, und alle Staatsgeschäfte ruhten,weil man dem Schauspiel zusah. Kung, der unbequemeWarner, wurde beiseite geschoben und auffälligvernachlässigt. Mit blutendem Herzen mußte er erkennen,daß seine Zeit vorüber sei. Er ging.Und nun beginnen die späten Wanderjahre desMeisters. 13 Jahre lang ist er umhergezogen alsFremdling in den verschiedenen Staaten des damaligenChina. Diese ganze Zeit lang suchte er nach Menschen,nach einem Menschen auf dem Thron, der Willensenergieund Beharrlichkeit genug besäße, gemeinsammit ihm die Ideale der alten Zeit ins Leben einzuführen.Er hat vergebens gesucht. Zwar war er einMann von Ruf. Die Fürsten der Staaten, durch die erkam, sandten ihm meist Geschenke und waren gern


egründen. Auch wirft er einmal hin, daß er ins Auslandwolle – da in China kein Boden für seine Lehrensei –, um unter den Barbarenstämmen des Nordensund Ostens eine neue Kultur zu gründen. Mehr alsflüchtige Gedanken sind diese Stimmungen nie beiihm geworden; dazu war er innerlich zu fest mit derchinesischen Gesamtkulturentwicklung verbunden, alsdaß er die Möglichkeit gehabt hätte, ein derartigesAbenteuer zu wagen. Leicht ist ihm die Resignationaber nicht geworden. Er sieht die Not der Zeit, erweiß in sich die Kraft, ihr abzuhelfen, und dennochfehlt ihm die Möglichkeit, diese Kraft zu entfalten. Dareift in ihm der große Verzicht. Was er während seinesLebens nicht erreichen konnte, das will er alsErbe der Zukunft überliefern. Deshalb steigt in ihmdie Sehnsucht auf nach seinen Jüngern. Zu ihnen willer wieder heim, um ihre guten Eigenschaften durchseine Anwesenheit zu vervollkommnen und so inihnen einen Stamm von Getreuen heranzuziehen, diegeeignet wären, seine Lehren dereinst auf die Nachweltzu bringen. In diesem Zusammenhange kannman auch das Wort verstehen, in dem er es als seinenBeruf ausspricht, zu beschreiben und nicht schöpferischtätig zu sein, treu zu sein und das Altertum zulieben. Endlich, nach langen Jahren in der Fremde, erreichtihn der ehrenvolle Ruf, in die Heimat zurückzukehren,nachdem ein neuer Fürst dort auf den Thron


gekommen war. Dort vollendete er das Werk, das erfrüher begonnen und an dem er auch auf seinen Wanderungenimmer gearbeitet hatte, die Festigung undAusbildung der Schüler, die sich um ihn gesammelt.Allmählich wurde es einsam um den alten Mann,seine Schüler traten in ihre Ämter ein, mehrere mußteer auch vor sich ins Grab sinken sehen, so den hoffnungsvollstenvon allen, den einzigen, der ihn ganzverstanden hatte, seinen Liebling Yën Hui. Das hatihm fast das Herz gebrochen und ging ihm näher alsselbst der Tod seines Sohnes. Sein Leben erlosch im72. Jahre nach viel Arbeit, viel Mühe und viel Enttäuschung,aber ohne daß er sich hätte verbittern oder anseinem Ziel irremachen lassen.In den letzten Jahren nach seiner Rückkehr in dieHeimat hat er dann noch das Werk zum Abschluß gebracht,das seinen Namen mit der chinesischen Kulturunauflöslich verbunden hat: die Herausgabe der heiligenSchriften. Um die Bedeutung dieser Arbeit zuverstehen, muß man sich klar machen, daß er wie keinanderer in den Geist der alten Kultur eingedrungenwar. Er war sozusagen im Besitz der Pläne dieseshohen und erhabenen Hauses. Er hatte sein Lebenlang versucht, die zerfallenen Trümmer an der Handdieser Pläne vor dem Untergang zu retten. Es ist ihmnicht gelungen. Niemand unter den Herrschenden hatseine Dienste hierfür begehrt. So mußte er den andern


Weg einschlagen: nachdem der alte Bau der chinesischenKultur nicht mehr zu retten war, mußte man ihndem Untergang überlassen. Was aber Kung vollbrachthat, das ist die Rettung der Baupläne dieseralten Kultur. Nach diesen Plänen konnte dann seinerzeitbeim Erstehen eines neuen Herrschers aus denRuinen des gesellschaftlichen Zusammenbruchs derBau der chinesischen Kultur aufs neue errichtet werden.Es ist ohne weiteres verständlich, daß es sich fürihn nicht darum handeln konnte, neue Lebensordnungenausfindig zu machen, vielmehr kam es ihm nurdarauf an, die vorhandenen auf spätere, bessere Zeitenzu retten. Wir dürfen daher erwarten, daß er nur dieLebensordnungen der Dschoudynastie mit neuemLeben erfüllte. Das trifft auch durchaus zu. In seinemeigenen Leben war er bestrebt, diesen Lehren nachzuleben.Er hat nichts gelehrt, das er nicht auch in seinemLeben zur Darstellung gebracht hat. Bis in diekleinsten Züge hinein ist sein Leben ein Kunstwerk;darin beruht die Macht seiner Ideen, daß sie nichtbloß Gedanken, sondern Wirklichkeit waren. DieGrundfrage für ihn war die Lösung des Problems:Was ist zu tun, damit das Zusammenleben der Menschenso gestaltet wird, daß es den großen Gesetzender Weltordnung entspricht und dadurch zum Glückder Gesamtheit führt? Um zwei Brennpunkte bewegt


sich dabei alles: die Kultur der Persönlichkeit und dieGesetze des sozialen Lebens. Um die Welt in Ordnungzu bringen, dazu braucht es durchgebildeter Persönlichkeitenan der maßgebenden Stelle. Nur dervornehme Charakter (gündsï, im Text mit: »der Edle«übersetzt) kann wirklich Menschen beherrschen. DasGrundgesetz dieses Charakters ist die Gewissenhaftigkeit(dschung), ein Begriff, den wir mit dem KantschenBegriff der autonomen Sittlichkeit gleichsetzendürfen, wenn auch zugegeben werden muß, daß dieForm des Ausdrucks einen gewissen Anachronismusenthält. Das Verhältnis zu den andern Menschen ist»die freie Anerkennung ihrer Persönlichkeit, als einesdem eigenen Ich gleichgeordneten Selbstzwecks«(schu, das gewöhnlich fälschlicherweise mit Gegenseitigkeitübersetzt wird.)Wie sehr Kung von allen eudämonistischen Begründungenentfernt war, geht aus der Stelle hervor,die sich in Lun Yü XV, 1 in Übereinstimmung mitSï-ma Tsiëns Biographie Kungs findet. Als einesTages auf der Wanderung infolge von Feindseligkeitenmächtiger Beamten die Lebensmittel so knappwurden, daß die Begleiter vor Hunger krank wurdenund nicht mehr imstande waren, sich zu erheben, dahielt sich Kung immer noch aufrecht, redete und las,spielte die Laute und sang, ohne sich niederschlagenzu lassen. Der Jünger Dsï Lu trat mit der Äußerung


lebhaften Mißfallens vor ihn und sprach: »Muß derWeise auch in solches Unglück kommen?« Kungdsïantwortete: »Der Weise erträgt es mit Festigkeit, imUnglück zu sein, aber wenn ein gemeiner Mensch insUnglück kommt, so kennt er keine Schranken mehr.«Dsï Lu errötete. Eine besonders charakteristische Parallelerzählung,die den zugrunde liegenden Gedankennoch deutlicher hervorhebt, findet sich bei dem PhilosophenSün dsï. Dsï Lu fragte, wie es möglich sei,daß der Meister in solches Unglück komme, vorausgesetzt,daß der Satz wahr sei, daß der Himmel denTugendhaften durch Verleihung von Glück belohneund den Schlechten durch Verhängung von Unglückbestrafe. Kung antwortete: »Erstens dringen die Weisennicht immer durch in der Welt. Die Geschichtehat das Andenken einer großen Zahl von Männern bewahrt,die durch ihre Tugend berühmt waren und dennochein tragisches Ende fanden. Das einzige, worüberder Mensch Meister ist, ist sein eigen Herz. Erfolgoder Mißerfolg hängt von den Umständen ab.Zweitens gibt es viele Fälle, in denen wir Menschen,die sich in verzweifelten Umständen befanden, späterhinzu der höchsten Bestimmung aufsteigen sehen.Man kann daher nicht sagen, daß äußeres Unglückimmer ein Übel ist. Es ist häufig nur eine Probe, ausder der Charakter gestählt hervorgeht. Endlich habendie Zeitumstände, unter denen man lebt, einen großen


Einfluß auf das Leben des Einzelnen. Wer untereinem weisen Herrscher zu den höchsten Ehren gelangtist, würde vielleicht zum Tode verurteilt sein,wenn er am Hof eines Tyrannen gelebt hätte. Glückund Unglück sind daher in keiner Weise ein Maßstabfür den inneren Wert eines Menschen.«Beruht nun die eine Seite der konfuzianischenEthik auf dem denkbar einfachsten Grundverhältnisder absoluten Verpflichtung des Sittengesetzes ohnealle Rücksicht auf äußere Belohnung oder Strafe, soist auch für das soziale Zusammenleben der Menschenauf ein möglichst einfaches Grundverhältnis zurückgegriffen– die Familie. Innerhalb der Familiehaben alle Beziehungen etwas Natürliches, da sieschon durch die Bande des Blutes gefestigt sind. DieFamilie bildet für Kung sozusagen die Zelle, auf dersich der gesamte Staatsorganismus aufbaut. Diemenschliche Gesellschaft setzt sich für Kung nicht zusammenaus einzelnen Individuen, die einander unterschiedslosgegenüberstehen und deren Beziehunghöchstens durch utopische Theorien geregelt werdenkönnte. Er dagegen sieht in der menschlichen Gesellschafteinen fest gegliederten Organismus, in demjedem Individuum seine bestimmte Stelle zugewiesenist. Das ist der Sinn der berühmten fünf Beziehungen,die das sittliche Verhalten der Menschen zueinanderregeln, der Beziehungen zwischen Vater und Sohn,


Mann und Frau, älterem und jüngerem Bruder, Fürstund Beamten, Freund und Freund. Dementsprechendist für die Ordnung des Zusammenlebens der Menschenin der Welt notwendig, daß zuerst die Familienin Ordnung kommen, auf Grund davon die Territorialstaatenund auf Grund davon endlich das Reich. Allesist patriarchalisch gedacht, indem der Kaiser derVater des Reiches ist, wie die Fürsten Landesvätersind und die einzelnen Bürger Familienväter. So rundetsich alles in wohldurchdachter Ordnung, und dieso geeinigte Menschheit bildet mit Himmel und Erdezusammen die große Dreiheit der Grundprinzipien.Jeder Geist braucht seinen Leib, ebenso brauchtjede Gesinnung ihren adäquaten Ausdruck. Die Gesinnungder Ehrfurcht und Liebe, die allen diesenmenschlichen Beziehungen zugrunde liegt, brauchtihre Form, durch die sie sich äußern kann. Diese rechteForm für die rechte Gesinnung, das chinesische»Li«, wird nicht in ihrer ganzen Tiefe erfaßt, wennman darin nur Anstandsregeln oder äußere Zeremoniensieht. Diese Formen sind vielmehr moralisch bindendund geben die ästhetische Abrundung undDurchbildung des gesamten Lebens, sie sind Ausdruckskulturim höchsten Sinne des Wortes. Hand inHand damit muß die Harmonie der gesamten Seelenstimmunggehen, denn nur ein tiefes und zugleichwohlgestimmtes Gemüt ist imstande, in all seinen Äu-


ßerungen Maß und Mitte zu treffen, ohne seine Grenzenzu überschreiten oder hinter dem Rechten zurückzubleiben.Diese Harmonie der Seelenstimmungenwird für Kung vorzugsweise erreicht durch die Pflegeder Musik, die daher als Abschluß des gesamten Systemseine besonders große Bedeutung hat.Sein Verhältnis zur Religion ist von dieser Betonungder ethischen Grundlagen des Menschenlebensaus zu verstehen. Er hat nicht die Absicht gehabt, anden überkommenen Religionsvorstellungen etwas zuändern; er ist weit entfernt davon, der Skeptiker oderAgnostiker zu sein, den man unter Heranziehung einigermißverstandener Stellen aus ihm hat machen wollen.Daß er mit Vorliebe statt des Ausdrucks Gott denAusdruck »tiën« (Himmel) anwendet, hat seinenGrund darin, daß in jener Zeit der Ausdruck Gott oderhöchster Herrscher in ziemlich weitgehendem Maßmißbraucht worden war. Er hat ein sehr starkes Bewußtseinseiner göttlichen Berufung gehabt, das inZeiten höchster Not verschiedene Male zum Ausdruckkam. Vgl. Lun Yü Buch IX, 5: Als der Meister einstin Kuang in Lebensgefahr war, sprach er: »Ist nichtnach dem Tod des Königs Wen seine Kulturaufgabemir zugefallen? Hätte der Himmel diese Kultur vernichtenwollen, so hätte nicht ich, ein Sterblicher spätererJahrhunderte, das Verständnis für diese Kulturerreicht. Wenn aber der Himmel diese Kultur nicht


verlorengehen lassen will, was können dann die Leutevon Kuang mir anhaben?« Zwar hat er nicht gerneüber diese höchsten Probleme geredet, aus Furcht vorProfanierung; nur ganz gelegentlich erfahren wir einWort, das uns über den mystischen Zug des innerstenWesens, den er mit allen wahrhaft Großen gemeinhat, Aufschluß gewährt. Vgl. Lun Yü XIV, 37: DerMeister sprach: »Ach es gibt niemand, der michkennt!« Dsï Gung erwiderte: »Was heißt das, daß niemandden Meister kennt?« Der Meister sprach: »Ichmurre nicht wider den Himmel und grolle den Menschennicht; ich strebe nach Erkenntnis hier unten,doch dringe ich empor zu dem, was droben ist. Einerist's, der mich kennt, der Himmel.« Wenn er so in einsamemStreben den Problemen der Gotteserkenntnisnachging, so ist klar, daß ihm der abergläubische Kultder Götter der Masse, geboren aus Furcht und Hoffnung,aufs tiefste zuwider sein mußte. Als ihm einmaljemand eine Frage in Beziehung auf Wirkung undRanghöhe von Laren und Penaten vorlegte, da schnitter die ganze Erörterung ab mit dem Wort: »Nichtalso, sondern wer gegen den Himmel sündigt, der hatniemand, zu dem er beten kann.« Vgl. hierzu auch dieStelle Lun Yü II, 24.Dennoch hat er den Ahnenkult, den er vorgefundenhat, nicht nur bestehen lassen, sondern zusammen mitden Begräbnisriten in den Bereich der höchsten


Pflichten der Pietät mit aufgenommen. Es brauchtaber kaum gesagt zu werden, daß dieser Ahnenkultvon allen niederen animistischen Vorstellungen vollständigfrei ist. Er hat es ausdrücklich abgelehnt, überdie Beziehungen des Opfernden zum Jenseits eine definitiveBehauptung aufzustellen, und hat einen Schüler,der ihn über das Schicksal der Verstorbenen fragte,aufs Leben zurückverwiesen, als das Gebiet, dasman zuerst kennen müsse, ehe man sich Gedankenüber das Jenseits zu machen brauche. Welchen Sinnhat nun aber der Ahnenkult im konfuzianischen System?Man kann im Zweifel sein, ob man ihn überhauptzur Religion stellen will, oder ob man ihn nichtbesser unter die ethischen Verpflichtungen einreiht.Wie wir gesehen haben, ist die kindliche Ehrfurchtgegenüber den Eltern eine in der menschlichen Naturbegründete absolute Verpflichtung. Deswegen mußsie einen adäquaten Ausdruck finden, unabhängig vonden zufälligen Verhältnissen des Objekts dieser Ehrfurcht.Ebenso wie ein Sohn auch unwürdigen Elterngegenüber zu dieser Ehrfurcht verpflichtet ist, in welchemFalle die Ehrfurcht sich zwar verschieden äußernwird, aber dennoch als Gesinnung dieselbebleibt, so ist der Ahnenkult das Mittel, dieser Ehrfurchteinen entsprechenden Ausdruck zu verschaffen,auch über den Tod der Eltern hinaus, und ein Band zubilden, das Vergangenheit und Gegenwart innerhalb


des Kulturkreises der Menschheit verbindet. Darumhat Kung auch immer wieder betont, daß nicht der äußerePrunk der Begräbnisriten und Ahnenopfer irgendwelchenWert habe, sondern daß alles von derrechten Gesinnung abhänge. Mit derselben Innerlichkeithat er auch das gesamte System der Riten und geheiligtengesellschaftlichen Beziehungen zu durchdringengesucht. Auf Schritt und Tritt begegnen wirÄußerungen, in denen aller Wert auf die rechte Gesinnunggelegt wird und die äußere Form nur als daszweite, weniger wichtige bezeichnet wird. Nichts istdarum verkehrter, als aus der Gewissenhaftigkeit, mitwelcher er auch die äußere Form beachtete, ihm denVorwurf des leeren Formalismus zu machen.Auf jeden Fall wird man anerkennen müssen, daßdie Religion für Kung sozusagen einen ganz andernOrt im Seelenleben des Einzelnen und der Gesamtheithat als im Christentum oder dem alttestamentlichenProphetismus. Eine persönliche Beziehung des Einzelnenzu Gott als höchstes Streben liegt ihm vollkommenfern. Er bindet den Einzelnen durchaus andie diesseitige menschliche Gesellschaft. Und fürdiese Bindung benutzt er die Seelenkräfte, die anderwärtsfür die Religion frei wurden. Darum kann manwohl sagen, er hat der Religion, als der persönlichenBeziehung der Menschen zu Gott, die Kräfte entzogenund diese Kräfte dazu benutzt, um den Menschen an


die Organisation der menschlichen Gesellschaft zubinden. An Stelle der Religion tritt für ihn die religiösbetonte Pietät.Aus dieser Stellung ergibt sich von selbst die wesentlichoptimistische Beurteilung des Wesens desMenschen. Wo der Mensch in Beziehung tritt zumUnendlichen, zu Gott, erwacht als Reflex das Bewußtseindes Unzureichenden, der Sünde. Wo dagegender Blick auf das Diesseits beschränkt bleibt,kann von »Sünde« im religiösen Sinn nicht die Redesein. So ist denn auch für Kung der Begriff der Sündeetwas Fremdes. Der Mensch ist von Natur gut, und esliegt in der Hand jedes Einzelnen, durch einfachenWillensentschluß die Anlagen seines Wesens zur Entfaltungzu bringen. Alles Nichtgute und Schlechte istnur ein Stehenbleiben der Entwicklung und kanndurch vermehrte Kraftanstrengung überwunden werden.Daher steht er auch der Vergangenheit durchauspositiv gegenüber. Alles, was die Menschheit brauchtzu einem Paradies auf Erden, ist in den Prinzipien derheiligen Könige des Altertums schon vorhanden;daher nirgends der Gedanke bei ihm, daß ein neuerAnfang, eine Weiterentwicklung und Überwindungdes Vergangenen notwendig sei. Alle Mißstände derZeit, die er in seinem eigenen Leben zur Genüge kennengelernthat, sind zu überwinden durch Reform.Auch in diesen Anschauungen liegt letzten Endes eine


große Wahrheit. Aber was sozusagen auf der höchstenStufe idealer Geschichtsbetrachtung seine Berechtigunghat, gewinnt doch ein ganz wesentlich anderesGesicht mitten im Kampf und Streit der Entwicklung.Wenn wir uns daher fragen: Was hat Kungerreicht? – so darf nicht verschwiegen werden, daßgerade diese optimistische Grundauffassung verschiedeneMißerfolge zu verzeichnen hat.Schon im Leben Kungs hat sich das deutlich gezeigt.Seine starke und reine Persönlichkeit hat allerdingsauf die ihm Nahestehenden einen bleibendenEindruck gemacht und ihm ein unauslöschlichesRecht verschafft in der Geschichte der Menschheit.Aber den Gang der Ereignisse im ganzen konnte ernicht aufhalten, es fand sich kein Platz für ihn, vonwo er seine Zeit hätte umgestalten können. Schritt fürSchritt mußte er zurückweichen in seinen Hoffnungen,und es läßt sich nicht leugnen, daß er schließlichin einer gewissen Schwermut gestorben ist. Auchnach seinem Tod gingen die Dinge ihren Gang unaufhaltsamweiter, es kam alles, wie es kommen mußte;noch jahrhundertelang dauerte der Verfall der alterndenDschoudynastie, und nicht Kung und seine Lehrenhaben China umgestaltet und die auseinanderfallendenEinzelgebiete wieder vereinigt, sondern einrücksichtsloser Real-Politiker von der Art Napoleons,der in allen Stücken ungefähr das Gegenteil war von


dem, was Kung sich unter einem idealen Fürstendachte: der berühmte Tsin Schï Huang Ti. Der hat mitmilitärischer Gewalt die Lehensfürsten beseitigt undaus China einen bureaukratischen Beamtenstaat mitabsoluter Monarchie gemacht. Und damit hat er – undnicht Kung – der äußeren Gestalt des chinesischenStaates bis in die neueste Zeit sein Siegel aufgedrückt.Das Staatsideal Kungs deckt sich durchaus mit demLehensstaat auf der Grundlage der Familienverwandtschaft,wie ihn die Dschoudynastie geschaffen hatte.Dieses Staatsideal ist nicht mehr zur Wirklichkeit geworden,die Geschichte schlug andere Bahnen ein,auch die späteren Dynastien haben daran nichts mehrgeändert. Auch eine Reihe seiner sonstigen Anregungen,namentlich auf ethisch-ästhetischem Gebiet, sindnicht durchgedrungen. So ist besonders die Musik,auf deren Einfluß zur Erziehung des harmonisch gestimmtenSeelengrundes er große Stücke hielt, in denStürmen und Umwälzungen der kommenden Jahrhunderteverlorengegangen.Fragen wir uns zum Schluß, was Kung Dauerndesgeschaffen hat, so ist wichtiger als alle kunstvoll verschlungenenLinien seines Gedankengebäudes daspersönliche Moment, das uns in ihm entgegentritt.Kurz gesagt: Es ist die Souveränität der sittlichen Persönlichkeit,die uns an ihm imponiert. Diese Unabhängigkeitvon allen äußeren Gesichtspunkten wie


Lohn und Strafe, die ruhige Klarheit, die sich vonallem Abergläubischen und Verzerrten besonnen zurückhält,diese Energie des Forschens, die unermüdlicheinzudringen sucht in die Wahrheiten des Lebens,diese abgerundete Einheit, die konsequent der innerenGesinnung in allen Äußerungen den rechten Ausdruckzu geben sucht – das alles sind Momente, die ihn überseine Zeit wie überhaupt jedes zeitlich beschränkteNiveau emporheben und seinem Beispiel Kraft verleihen.Kung ist eine Natur, die unserem Kant in vielenStücken wesensverwandt ist, soweit man einen praktischenPolitiker mit einem wissenschaftlichen Forscherüberhaupt vergleichen kann. Dieses Vorbild hat dennauch immer wieder in der chinesischen Geschichteseine Nachahmer gefunden, die charaktervoll und unentwegtim Strudel der Ereignisse dastanden und auchunter ungünstigen Verhältnissen den Mut zur energischenVertretung der Wahrheit und Gerechtigkeit fanden.Aber auch unter den Grundsätzen, die er für dasZusammenleben der Menschen aufgestellt hat, sindmanche, die bis auf den heutigen Tag noch nicht Allgemeingutgeworden sind, so der Grundsatz, daß sichMenschen dauernd nur beherrschen lassen durch dieMacht einer sittlich ausgebildeten Persönlichkeit,nicht durch äußeren Zwang der Gesetze. Dem zurSeite der andere Grundsatz, daß die gesamte staatlicheOrdnung auf natürlichen Grundtatsachen des


menschlichen Wesens beruhen muß. Die sittlicheGrundlage der gesamten Politik wird trotz allenSchwierigkeiten und der temporären Unmöglichkeitihrer Durchführung so lange als ein forderndes Idealvor der menschlichen Gesellschaft stehen, bis sie aufirgendwelche Weise ihren wahrheitsgemäßen Ausdruckgefunden hat.


Das Alter der Lun YüDie Gespräche des Kung Fu Dsï oder Lun Yü stammenin ihrer heutigen Gestalt – abgesehen von einigenspäteren Textvarianten – aus der Hand des DsongHüan, der von 127–200 n. Chr. lebte. Für seine Redaktiondes Textes lagen ihm drei Quellen vor. Dieeine stammte aus dem Staate Lu. Sie enthielt – ebensowie die heutige Ausgabe – zwanzig Bücher. LiuHiang, der im ersten Jahrhundert v. Chr. im Auftragdes Kaiserlichen Hofes die alten, neu ans Tageslichtgekommenen Bücher zu begutachten hatte, sagt überdiese Quelle, deren Überlieferer im ersten vorchristlichenJahrhundert er namentlich aufführt, daß sie lautergute Worte des Meisters Kung enthalte, die seineSchüler im Gedächtnis behalten haben. Die zweiteQuelle waren die Lun Yü aus dem Staate Tsi, fürderen Überlieferung ebenfalls eine Reihe von Namenangegeben werden. Sie enthielten zweiundzwanzigBücher und waren, wie es scheint, wesentlich ausführlicherals die Quelle von Lu. Sie scheinen jedoch einespätere Traditionsschicht darzustellen. Wir könnenuns eine ungefähre Vorstellung davon machen, wenndie Tradition richtig ist, daß das sechzehnte Buch imwesentlichen aus der Rezension von Tsi stammt. Dieeinzelnen Worte sind nicht eingeleitet mit dem Satz


»Der Meister sprach«, sondern mit »Meister Kungsprach«. Alle diese Abschnitte, die sich übrigensnicht nur im sechzehnten Buch finden, zeigen deutlichestilistische Verschiedenheiten. Wo es sich um Gesprächehandelt, ist die Situation mehr ausgemalt. DieWorte selbst sind sprachlich glatter. Mehrere Wortesind häufig zusammengefaßt und unter Zahlenreihensubsumiert. Es sind zu manchen dieser zusammengefaßtenÄußerungen die einzelnen Bestandteile nochgetrennt vorhanden. Alles in allem ist der Befund derTsi-Rezension so, daß man es nur billigen kann, daßsie bei der endgültigen Redaktion erst in untergeordneterLinie berücksichtigt worden ist. Nun gibt esnoch eine Quelle, die auf den ersten Blick das meisteZutrauen zu verdienen scheint: die sogenannten »altenLun Yü«. Als nämlich im Jahre 150 v. Chr. der damaligeFürst von Lu seinen Palast erweitern wollte,beabsichtigte er zu diesem Zweck das noch erhalteneWohnhaus Kungs abreißen zu lassen. Allein einewunderbare Musik ertönte, die ihn so erschreckte, daßer von dem Vorhaben abstand. In einer der Mauernaber fand sich ein Exemplar des Buchs der Urkunden(Schu Ging), der Gespräche (Lun Yü) und des Buchsvon der Ehrfurcht (Hiau Ging). Diese Werke waren inalten kaulquappenähnlichen Zeichen geschrieben, diekein Mensch lesen konnte, bis sie ein Nachkommedes Meisters, der Gelehrte Kung An Guo, entzifferte


und herausgab. Diese Ausgabe schloß sich im allgemeinenan die Rezension von Lu an.Merkwürdigerweise blieb diese Entdeckung gänzlichunbeachtet. Es dauerte Jahrhunderte, ehe sich einchinesischer Gelehrter darauf einließ. Erst Ma Ying,der Lehrer des Dsong Hüan, hat die alten Lun Yüwieder aufgenommen. Nun hat ja die Art der Auffindung,die sehr stark an den Fund des Deuteronomiumsin Jerusalem erinnert, etwas an sich, das einengewissen Verdacht nahelegt. Auch mit den »Kaulquappenzeichen«hat es eine eigene Bewandtnis. Diealte chinesische Schrift, wie sie uns auf Orakelknochen,Bronzen und den Steintrommeln in Peking zugänglichist, hat keineswegs die Form von Kaulquappen.Vielleicht ist die Bezeichnung Kaulquappenzeichenein Ausdruck, der ursprünglich überhaupt nichtchinesische Zeichen meinte, sondern Keilschriftzeichen,die auf irgendeine Weise nach China gekommensein mögen. Auch ist recht schwer glaublich, daß diealte Schrift, die bis zur Zeit Tsin Schï Huangs im Gebrauchwar, in der kurzen Spanne von einem halbenJahrhundert gänzlich unlesbar geworden sein sollte.Da es sich aber in den alten Lun Yü um eine Rezensionhandelt, die mit der Rezension von Lu ziemlichübereinstimmte, so können wir die Frage auf sich beruhenlassen, obwohl es natürlich sehr wertvoll wäre,wenn man eine bezeugte Spur des Vorhandenseins


einer schriftlichen Sammlung von der Tsindynastiebesäße, da die Bezeugung der Quelle von Lu nichtüber die Handynastie hinaufgeht.Was nun die Abfassung eines Werkes mit NamenLun Yü »Gespräche des Meisters« anlangt, so sindwir imstande, die Tradition, nach der das Werk vonden Schülern des Meisters nach dessen Tode niedergeschriebensei, positiv zu widerlegen. Nicht nur findetsich in unseren Lun Yü eine Stelle (Buch VIII, 3und 4), wo der Tod des Schülers Dsong Schen berichtetwird und ein Beamter (Mong Ging) mit seinemposthumen Namen genannt wird, der fünfzig Jahrenach Kungs Tod noch lebte, – das ganze Buch XIXenthält keinen einzigen Ausspruch von Kung, sondernführt unzweideutig in die Zustände der Schulen ein,die seine Jünger nach seinem Tode gegründet. Aberauch die Auskunft, daß die Schüler der Schüler dieLun Yü niedergeschrieben haben, ist unhaltbar.Man wird sich die Sache wohl so vorzustellenhaben, daß Worte des Meisters sich durch mündlicheTradition Generationen lang fortgepflanzt haben,ohne schriftlich gesammelt zu werden. Man machtsich von der Kraft und Treue mündlicher Traditionenim allgemeinen in Europa wenig Begriff, wogegen inChina sich das Auswendiglernen großer Texte bis indie neueste Zeit erhalten hat. Wir finden einzelne inden Lun Yü enthaltene Worte in der späteren Litera-


tur bis herab auf Mong Dsï zitiert. Aber die Art desZitierens läßt erkennen, daß kein geschlossenes Werkmit dem Titel Lun Yü vorlag. Die Worte werden alsWorte Kungs zitiert, ohne eine schriftliche Quelle zunennen. Ganz in derselben Weise werden andereWorte, die sich in Lun Yü nicht finden, als Worte desMeisters erwähnt. Auf der andern Seite wird in MongDsï ein Wort, das in Lun Yü als vom Meister gesprochensteht, dem Mong Dsï zugeschrieben. Kurz, mankann mit Sicherheit behaupten, daß zur Zeit desMong Dsï die Lun Yü noch nicht bestanden. Vielwahrscheinlicher ist es, daß sie erst im Anschluß andas Werk des Mong Dsi' entstanden sind. Nachdemdie Gespräche des Mong Dsï von seinen Schülernaufgezeichnet vorlagen, lag der Gedanke nah, aucheine ähnliche Sammlung der Gespräche Kungs herauszugeben.An Material teils mündlicher Tradition,teils in andern Werken vorhanden, fehlte es nicht. Ja,wir haben noch heute außer den Lun Yü so viele ÄußerungenKungs verzeichnet, daß daraus noch imneunzehnten Jahrhundert eine sehr interessanteSammlung konfuzianischer Gespräche unter dem Titel»Kung Dsï Dsï Yü«, die in einer Sammlung von philosophischenWerken erschien, sich hat zusammenstellenlassen.Daß die Lun Yü nicht zu den alten Werken chinesischerLiteratur gehören, beweist auch der Umstand,


daß sie nicht unter den fünf Klassikern (Ging) stehen,sondern unter den erst in neuerer Zeit als Schriftenzweiten Ranges rezipierten vier Schriften (Schu). Wirwerden daher bei aller Anerkennung dessen, daß siegutes, zuverlässiges Material enthalten, zu demSchluß kommen müssen, daß sie ihre heutige Gestalterst in der Handynastie erhalten haben.


Buch I1. Glück in der BeschränkungDer Meister sprach: »Lernen und fortwährend üben:Ist das denn nicht auch befriedigend? Freunde haben,die aus fernen Gegenden kommen: Ist das nicht auchfröhlich?Wenn die Menschen einen nicht erkennen, dochnicht murren: Ist das nicht auch edel?«Das Glück besteht in der Möglichkeit, seine Prinzipiendurchführen zu können. Aber das hängt nicht von uns ab.Es gibt aber auch ein Glück für den, dem das alles versagtist. Das Erbe der Vergangenheit sich anzueignen und esausübend zu besitzen: das gewährt auch Befriedigung.Wenn dann der wachsende Ruhm aus fernen GegendenJünger herbeiführt: das ist auch Freude. Von der Weltsich verkannt zu sehen, ohne sich verbittern zu lassen:das ist auch Seelengröße.


2. Ehrfurcht als Grundlage der staatlichenOrdnungMeister Yu1 sprach: »Daß jemand, der als Menschpietätvoll und gehorsam ist, doch es liebt, seinenOberen zu widerstreben, ist selten. Daß jemand, deres nicht liebt, seinen Oberen zu widerstreben, Aufruhrmacht, ist noch nie dagewesen. Der Edle pflegt dieWurzel; steht die Wurzel fest, so wächst der Weg.Pietät und Gehorsam: das sind die Wurzeln des Menschentums.«


3. Der Schein trügtDer Meister sprach: »Glatte Worte und einschmeichelndeMienen sind selten vereint mit Sittlichkeit.«


4. Tägliche SelbstprüfungMeister Dsong2 sprach: »Ich prüfe täglich dreifachmein Selbst: Ob ich, für andere sinnend, es etwa nichtaus innerstem Herzen getan; ob ich, mit Freunden verkehrend,etwa meinem Worte nicht treu war; ob ichmeine Lehren etwa nicht geübt habe.«


5. RegentenspiegelDer Meister sprach: »Bei der Leitung eines Staatesvon 1000 Kriegswagen muß man die Geschäfte achtenund wahr sein, sparsam verbrauchen und die Menschenlieben, das Volk benutzen entsprechend derZeit.«3


6. Moralische und ästhetische Bildung derJugendDer Meister sprach: »Ein Jüngling soll nach innenkindesliebend, nach außen bruderliebend sein, pünktlichund wahr, seine Liebe überfließen lassend aufalle und eng verbunden mit den Sittlichen. Wenn er sowandelt und übrige Kraft hat, so mag er sie anwendenzur Erlernung der Künste.«Die Jugenderziehung muß im engsten Familienkreise einsetzendurch Pflege der Ehrfurcht den Eltern gegenüber.Diese Ehrfurcht hat sich dann allmählich auszudehnenund zu erweitern in ein bescheidenes Betragen gegenübererfahrenen und älteren Persönlichkeiten. Die wichtigstenEigenschaften bei der Ausbildung des persönlichen Charakterssind Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. Im Verkehrmit anderen ist auf eine arglose, freie Sympathie mitallen Menschen Gewicht zu legen, während der intimeAnschluß auf Leute von moralischer Haltung sich zu beschränkenhat. Auf dieser Grundlage sittlicher Erziehungmag sich bei besonderer Begabung höhere wissenschaftlicheund ästhetische Bildung aufbauen.


7. Wer ist gebildet?Dsï Hia sprach: »Wer die Würdigen würdigt, so daßer sein Betragen ändert, wer Vater und Mutter dient,so daß er dabei seine ganze Kraft aufbietet, wer demFürsten dient, so daß er seine Person drangibt, wer imVerkehr mit Freunden so redet, daß er zu seinemWorte steht: Wenn es von einem solchen heißt, erhabe noch keine Bildung, so glaube ich doch fest, daßer Bildung hat.«


8. Kultur der PersönlichkeitDer Meister sprach: »Ist der Edle nicht gesetzt, soscheut man ihn nicht. Was das Lernen betrifft, so seinicht beschränkt. Halte dich eng an die Gewissenhaftenund Treuen. Mache Treu und Glauben zur Hauptsache.Habe keinen Freund, der dir nicht gleich ist.Hast du Fehler, scheue dich nicht, sie zu verbessern.«


9. Pflege der Vergangenheit alsRegierungsgrundsatzMeister Dsong sprach: »Gewissenhaftigkeit gegen dieVollendeten4 und Nachfolge der Dahingegangenen:so wendet sich des Volkes Art zur Hochherzigkeit.«


10. Die rechte Art, von anderen Aufschluß zuerlangenDsï Kin fragte den Dsï Gung und sprach: »Wenn derMeister in irgendein Land kommt, so erfährt er sicherseine Regierungsart: Bittet er oder wird es ihm entgegengebracht?«Dsï Gung sprach: »Der Meister istmilde, einfach, ehrerbietig, mäßig und nachgiebig: dadurcherreicht er es. Des Meisters Art zu bitten: ist sienicht verschieden von andrer Menschen Art zu bitten?«


11. Merkmale der PietätDer Meister sprach: »Ist der Vater am Leben, soschaue auf seinen Willen. Ist der Vater nicht mehr, soschaue auf seinen Wandel. Drei Jahre lang nicht änderndes Vaters Weg: das kann kindesliebend heißen.«


12. Freiheit und FormMeister Yu sprach: »Bei der Ausübung der Formenist die (innere) Harmonie die Hauptsache. Der altenKönige Pfad ist dadurch so schön, daß sie im Kleinenund Großen sich danach richteten. Dennoch gibt esPunkte, wo es nicht geht. Die Harmonie kennen, ohnedaß die Harmonie durch die Form geregelt wird: dasgeht auch nicht.«


13. Vorteil der ZurückhaltungMeister Yu sprach: »Abmachungen müssen sich andie Gerechtigkeit halten, dann kann man sein Versprechenerfüllen. Ehrenbezeugungen müssen sichnach den Regeln richten, dann bleibt Schande und Beschämungfern. Beim Anschluß an andre werfe manseine Zuneigung nicht weg, so kann man verbundenbleiben.«


14. Wonach der Philosoph trachtetDer Meister sprach: »Ein Edler, der beim Essen nichtnach Sättigung fragt, beim Wohnen nicht nach Bequemlichkeitfragt, eifrig im Tun und vorsichtig imReden, sich denen, die Grundsätze haben, naht, umsich zu bessern: der kann ein das Lernen Liebendergenannt werden.«


15. Fortschritt im Ertragen von Armut undReichtumDsï Gung sprach: »Arm ohne zu schmeicheln, reichohne hochmütig zu sein: wie ist das?«Der Meister sprach: »Es geht an, kommt aber nochnicht dem gleich: arm und doch fröhlich sein, reichund doch die Regeln lieben.«Dsï Gung sprach: »Ein Lied sagt:Erst geschnitten, dann gefeilt,Erst gehauen, dann geglättet.Damit ist wohl eben das gemeint?«Der Meister sprach: »Sï, anfangen kann man, mitihm über die Lieder zu reden. Sagt man die Folgerung,so kann er den Grund finden.«5


16. Verkanntsein und KennenDer Meister sprach: »Nicht kümmere ich mich, daßdie Menschen mich nicht kennen. Ich kümmere mich,daß ich die Menschen nicht kenne.«


Fußnoten1 Yu Jo, ein direkter Schüler und Landsmann Kungs.Nur von ihm und dem Schüler Dsong Schen wird inLun Yü als »Meister« gesprochen.2 Vgl. Anm. zu I, 2.3 Dem Kaiser des ganzen Reichs unterstanden zusammen10000 Kriegswagen. Je eine Stadt hatte einenKriegswagen zu stellen, ein Staat mit 1000 Kriegswagenhatte daher 1000 Städte und gehörte zu den größtenStaaten in der damaligen Welt des Ostens. DieUntertanen hatten Frondienste zu leisten für den Bauvon Wällen, Wegen usw. Dabei sollte der Einzelnenicht länger als drei Tage herangezogen werden, undzwar zu einer Zeit, da die Arbeiten des Landbausnicht beeinträchtigt wurden.4 Nach den chinesischen Kommentaren ist damit gemeintdie Sorge für die Beerdigungsbräuche, und mitder »Nachfolge« der Dahingegangenen der regelrechteVollzug der Ahnenopfer. Der zugrundeliegende Gedankeist, daß eine wirkliche Kultur nur dadurch bestehenkann, daß sie ihre Wurzel im Erbe der Väternicht preisgibt.5 Ein Kabinettstück aus dem Umgang Kungs mit sei-


nen Schülern. Das Wort des Dsï Gung bezieht sichauf sein eigenes Leben: er war arm gewesen, ohneschmeichlerisch zu sein, und war reich geworden,ohne hochmütig zu sein. Dafür will er sich vom Meistereine gute Zensur holen. Der aber durchschaut ihnund hält ihm sofort ein höheres Ideal vor für weiteresStreben. Dsï Gung aber zeigt sich darin als des Meisterswürdiger Schüler, daß er sofort auf dessen Gedankeneingeht und ihn mit einer Stelle aus der»Schrift« belegt. Darüber freut sich dann der Meister,und nun erteilt er ihm ein aufrichtiges Lob.


Buch II1. Der PolarsternDer Meister sprach: »Wer kraft seines Wesens1herrscht, gleicht dem Nordstern. Der verweilt an seinemOrt und alle Sterne umkreisen ihn.«


2. Keine unreinen GedankenDer Meister sprach: »Des Liederbuchs2 dreihundertStücke sind in dem einen Wort befaßt: Denke nichtArges!«


3. Gesetz und Geist bei der StaatsregierungDer Meister sprach: »Wenn man durch Erlasse leitetund durch Strafen ordnet, so weicht das Volk aus undhat kein Gewissen. Wenn man durch Kraft des Wesensleitet und durch Sitte ordnet, so hat das Volk Gewissenund erreicht (das Gute).«


4. Stufen der Entwicklung des MeistersDer Meister sprach: »Ich war fünfzehn, und meinWille stand aufs Lernen, mit dreißig stand ich fest,mit vierzig hatte ich keine Zweifel mehr, mit fünfzigwar mir das Gesetz des Himmels kund, mit sechzigwar mein Ohr aufgetan, mit siebzig konnte ich meinesHerzens Wünschen folgen, ohne das Maß zu übertreten.«


5. Über KindespflichtI: Nicht übertretenDer Freiherr Mong I fragte nach (dem Wesen) derKindespflicht. Der Meister sprach: »Nicht übertreten.«Als Fan Tschï hernach seinen Wagen lenkte, erzähltees ihm der Meister und sprach: »Freiherr MongJ befragte mich über die Kindespflicht und ich sprach:Nicht übertreten.« Fan Tschï sprach: »Was heißtdas?« Der Meister sprach: »Sind die Eltern am Leben,ihnen dienen, wie es sich ziemt, nach ihrem Tod siebeerdigen, wie es sich ziemt, und ihnen opfern, wie essich ziemt.«3


6. Über KindespflichtII: KrankheitDer Freiherr Mong Wu fragte nach (dem Wesen) derKindespflicht. Der Meister sprach: »Man soll den Elternaußer durch Erkrankung keinen Kummer machen.«


7. Über KindespflichtIII: Ehren, nicht bloß NährenDsï Yu fragte nach (dem Wesen) der Kindespflicht.Der Meister sprach: »Heutzutage kindesliebend sein,das heißt (seine Eltern) ernähren können. Aber Ernährungkönnen alle Wesen bis auf Hunde und Pferdeherunter haben. Ohne Ehrerbietung: was ist da für einUnterschied?«


8. Über KindespflichtIV: BetragenDsï Hia fragte nach (dem Wesen) der Kindespflicht.Der Meister sprach: »Der Gesichtsausdruck istschwierig. Wenn Arbeit da ist und die Jugend ihreMühen auf sich nimmt; wenn Essen und Trinken daist, den Älteren den Vortritt lassen: kann man denndas schon für kindesliebend halten?«Der Jünger Dsï Hia fragte nach dem Wesen der Kindespflicht.Der Meister antwortete: »Die Schwierigkeit beiihrer Erfüllung besteht in einem fortdauernd rücksichtsvollenund freundlichen Betragen, daß man es vermeidet,sich im Laufe der Jahre in seinen Manieren den Elterngegenüber gehen zu lassen. Was man sonst unter der Erfüllungder Kindespflicht versteht, daß die Kinder dieMühen der Arbeit für ihre Eltern auf sich nehmen, daßsie ihnen ihren Besitz zur Verfügung stellen und fürihren Lebensunterhalt sorgen: das alles sind nur dieselbstverständlichen Voraussetzungen.«


9. Merkmal des VerständnissesDer Meister sprach: »Ich redete mit Hui4 den ganzenTag; der erwiderte nichts, wie ein Tor. Er zog sich zurückund ich beobachtete ihn beim Alleinsein, da warer imstande, (meine Lehren) zu entwickeln. Hui, derist kein Tor.«


10. Menschenkenntnis:Worauf man sehen mußDer Meister sprach: »Sieh, was einer wirkt, schau,wovon er bestimmt wird, forsche, wo er Befriedigungfindet: wie kann ein Mensch da entwischen? Wiekann ein Mensch da entwischen?«


12. Der EdleI: SelbstzweckDer Meister sprach: »Der Edle ist kein Gerät.«Es ist unvereinbar mit der Würde des höheren Menschen,sich als bloßes Werkzeug für die Zwecke andrer gebrauchenzu lassen. Er ist Selbstzweck.


13. Der EdleII: Worte und TatenDsï Gung fragte nach dem (Wesen des) Edlen. DerMeister sprach: »Erst handeln und dann mit seinenWorten sich danach richten.«Als Dsï Gung den Meister fragte, welcher Zug am bezeichnendstenfür einen vornehmen Charakter sei, antwortetedieser: daß einer seine Prinzipien erst selbst praktischzur Ausführung bringt, bevor er sie lehrhaft entwikkelt.


14. Der EdleIII: UniversalitätDer Meister sprach: »Der Edle ist vollkommen undnicht engherzig. Der Gemeine ist engherzig und nichtvollkommen.«


15. Lernen und DenkenDer Meister sprach: »Lernen und nicht denken istnichtig. Denken und nicht lernen ist ermüdend.«5


16. IrrlehrenDer Meister sprach: »Irrlehren anzugreifen, das schadetnur.«


17. Das WissenDer Meister sprach: »Yu, soll ich dich das Wissenlehren? Was man weiß, als Wissen gelten lassen, wasman nicht weiß, als Nichtwissen gelten lassen: das istWissen.«


18. Wie man eine Lebensstellung erwirbtDsï Dschang wollte eine Lebensstellung erreichen.Der Meister sprach: »Viel hören, das Zweifelhaftebeiseite lassen, vorsichtig das Übrige aussprechen, somacht man wenig Fehler. Viel sehen, das Gefährlichebeiseite lassen, vorsichtig das Übrige tun, so hat manwenig zu bereuen. Im Reden wenig Fehler machen, imTun wenig zu bereuen haben: darin liegt eine Lebensstellung.«


19. Fügsame UntertanenFürst Ai fragte und sprach: »Was ist zu tun, damitdas Volk fügsam wird?« Meister Kung entgegneteund sprach: »Die Geraden erheben, daß sie auf dieVerdrehten drücken: so fügt sich das Volk. Die Verdrehtenerheben, daß sie auf die Geraden drücken: sofügt sich das Volk nicht.«


20. Das Beispiel der HerrschendenFreiherr Gi Kang fragte: »Das Volk zur Ehrfurcht undTreue zu bringen durch Ermahnungen: was ist davonzu halten?« Der Meister sprach: »Sich (zum Volk)herablassen mit Würde: dadurch bekommt (das Volk)Ehrfurcht; kindliche Ehrfurcht und Menschenliebe(zeigen): dadurch wird es treu. Die Guten erhöhenund die Unfähigen belehren: so wird das Volk ermahnt.«


21. Abweisung eines lästigen FragersEs redete jemand zu Meister Kung und sprach: »Weshalbbeteiligt sich der Meister nicht an der Leitung(des Staates)?« Der Meister sprach: »Wie steht im›Buch‹ von der Kindespflicht geschrieben? KindlicheEhrfurcht und Freundlichkeit gegen die Brüder, dasmuß man halten, um Leitung zu üben. Das heißt alsoauch Leitung ausüben. Warum soll denn nur das(amtliche Wirken) Leitung heißen?«


22. Unaufrichtigkeit macht unbrauchbarDer Meister sprach: »Ein Mensch ohne Glauben: ichweiß nicht, was mit einem solchen zu machen ist. Eingroßer Wagen ohne Joch, ein kleiner Wagen ohneKummet, wie kann man den voranbringen?«


23. Hundert Generationen zu kennenDsï Dschang fragte, ob man zehn Zeitalter wissenkönne. Der Meister sprach: »Die Yindynastie beruhtauf den Sitten der Hiadynastie; was sie davongenommenund dazugetan, kann man wissen. Die Dschoudynastieberuht auf den Sitten der Yindynastie. Was siedavongenommen und dazugetan, kann man wissen.Eine andere Dynastie mag die Dschoudynastie fortsetzen,aber ob es hundert Zeitalter wären, man kannwissen (wie es gehen wird).«


24. Religion und MoralDer Meister sprach: »Andern Geistern als den eigenen(Ahnen) zu dienen, ist Schmeichelei. Die Pflichtsehen und nicht tun, ist Mangel an Mut.«


Fußnoten1 Das chinesische Wort de, das in der Regel mit »Tugend«übersetzt wird, hat in Wirklichkeit eine weitumfassendere Bedeutung. Die chinesischen Kommentareerklären es: Was die Wesen erhalten, um zu entstehen,zu leben, heißt »de«. Es schließt das ganzeWesen der Persönlichkeit und die Macht, die voneiner Person ausgeht, mit ein.2 D.h. des »Schï Ging«.3 Auch hier ein Beispiel für die Methode Kungs. Ersucht durch seine Antwort immer den Fragenden zumDenken anzuregen. Bei dem vornehmen Mong J istihm das nicht gelungen. Der zog sich mit der halbverstandenenAntwort zurück, ohne weiter zu fragen. Somuß der Meister einen indirekten Weg gehen, indemer Frage und Antwort seinem Schüler Fan Tschï erzählt.Der geht auf seine Intention ein und fragt weiter,so daß der Meister seine Erklärung anbringenkann. Da Fan Tschï mit Mong J bekannt war, so wares sicher, daß die Antwort an ihre rechte Adressekam.4 Der Lieblingsjünger Kungs, der seine Ahnentafelim Konfuziustempel dem Meister zunächst hat.


5 Vgl. Kant: Erfahrung ohne Begriffe ist blind, Begriffeohne Erfahrung sind leer.


Buch III1. UsurpatorenbrauchI: Acht ReihenMeister Kung sagte von dem Freiherrn Gi, in dessenHaustempel acht Reihen (von Tempeldienern) die heiligenHandlungen ausführten: »Wenn man das hingehenlassen kann, was kann man dann nicht hingehenlassen?«Die Familie Gi, ein dem Fürstenhaus von Lu verwandtesGeschlecht, hatte bei den Ahnenopfern in ihrem Familientempelzur Ausführung der Zeremonien acht Reihenvon Tempeldienern in Gebrauch, eine Zahl, die nur demKaiser selbst zustand. Kung machte darauf aufmerksam,daß darin eine so starke Anmaßung liege, daß, wenn derFürst das hingehen lasse, er auch auf alle möglichen Konsequenzenauf politischem Gebiet gefaßt sein müsse.


2. UsurpatorenbrauchII: Yung-OdeDie drei Familien ließen unter den Klängen der Yung-Ode (die Opfergeräte) abräumen. Der Meister sprach:»›Die Vasallen dienen, der Sohn des Himmels schautwürdevoll darein.‹ Welchen Sinn haben diese Wortein der Halle der drei Familien?«Ebenso hatten die drei vornehmen Familien Gi, Mong,Schu Sun es eingeführt, daß unter den Klängen des Feiergesangs,mit dem der Begründer der Dschoudynastie,König Wu, seinem Vater König Wen opferte, bei ihrenAhnenopfern die Opfergeräte abgeräumt wurden. Kungmachte auf das Lächerliche dieser Anmaßung aufmerksam,da in diesem Feiergesang vom Himmelssohn undden Vasallen die Rede ist, die bei den Opfern der Beamteneines Kleinstaats natürlich leere Fiktion waren.


3. Religion und Kunst ohne SittlichkeitDer Meister sprach: »Ein Mensch ohne Menschenliebe,was hilft dem die Form? Ein Mensch ohne Menschenliebe,was hilft dem die Musik?«


4. Das Wesen der FormenLin Fang fragte nach der Wurzel der Formen. DerMeister sprach: »Ja, das ist eine wichtige Frage. Beiden Formen des Verkehrs ist wertvoller als Prunk dieEinfachheit. Bei Trauerfällen ist wertvoller als Leichtigkeitdie Trauer.«1


5. Die Barbaren und das ReichDer Meister sprach: »Der Zustand der Barbarenstaaten,die ihre Fürsten haben, ist nicht wie der Zustandunseres großen Reiches, das keine hat.«Die wilden Stämme im Osten und Norden gehorchenihren Häuptlingen und haben Sinn für Autorität; sie gleichenin diesem Stück nicht unserem herrlichen großenReich, in dem alle Autorität vernichtet ist.


6. Man kann die Gottheit nicht betrügenFreiherr Gi opferte dem Taischan, und der Meistersagte zu Jan Yu und sprach: »Kannst du ihn nichtdavor bewahren?« Er erwiderte: »Ich kann es nicht.«Der Meister sprach: »Ach, in eurem Reden vom Taischangleicht ihr nicht Lin Fang.«Der (obengenannte) Freiherr Gi kam einmal auch auf denGedanken, dem Geist des Berges Taischan ein prächtigesOpfer darzubringen. Kung sagte, als er davon hörte, zuseinem Schüler Jan Yu, der Hausbeamter im Dienst jenerFamilie war: »Kannst du ihn nicht vor dieser Geschmacklosigkeitbewahren?« Der Schüler verneinte es. Da sprachKung: »Ihr seid in euren Ansichten von dem Geist desTaischan noch nicht einmal so weit wie Lin Fang [dernach dem Sinn, der solchen Feierlichkeiten zugrundeliegt, mich gefragt hat].«


7. Der Gebildete im WettstreitDer Meister sprach: »Der Edle kennt keinen Streit.Oder ist es beim Bogenschießen vielleicht notwendig?Da läßt er mit einer Verbeugung dem andern den Vortrittbeim Hinaufsteigen. Er steigt wieder herab undläßt ihn trinken. Er bleibt auch im Streit ein Edler.«


8. Die Form das LetzteDsï Hia fragte und sprach: »Was bedeutet die Stelle:Ihres schelmischen Lächelns Grübchen,Ihrer schönen Augen BlinkenMacht schlichtes Weiß zur schönsten Zier?«Der Meister sprach: »Beim Malen setzt man zuletztdie weißen Stellen auf.« Der Schüler sprach: »Alsosind die Formen des Benehmens das letzte.« Dasprach der Meister: »Wer mir behilflich ist (meineGedanken herauszubringen), das ist Schang.2 Mitdem kann man anfangen, über die Lieder zu reden.«Der Jünger Dsï Hia fragte einst den Meister über denSinn der Stelle aus einem alten Lied, wo von einer fürstlichenBraut die Rede ist, die im einfachen Reisekleidihrem Bräutigam entgegenfährt, deren Schönheit aber solebhaft wirkt, daß sie in ihrem einfachen weißen Kleid sobezaubernd aussieht, wie andre in gestickten Festgewändern.Der Meister antwortete darauf: »Beim Bemalen derFestgewänder setzt man ja auch zuletzt die weißen Umrißlinienauf.« Der Schüler dachte einen Augenblick nachund sagte: »Das bedeutet also, aufs moralische Gebietübertragen, daß die äußere Form das letzte ist, das demCharakter den letzten, höchsten Schliff der Vollkommenheitgibt.« Da sprach der Meister erfreut: »Du gibst mir daeinen guten Gedanken, mein Freund, mit dir kann man


sich mit Gewinn über die Lieder unterhalten.«


9. Verfall der Kenntnis des AltertumsDer Meister sprach: »Die Riten der Hiadynastie könnteich beschreiben, aber die Gi sind nicht imstande,meine Worte zu bestätigen. Die Riten der Yindynastiekönnte ich beschreiben, aber die Sung sind nicht imstande,meine Worte zu bestätigen. Der Grund dafürist, daß ihre literarischen Urkunden und Gelehrtennicht mehr auf der Höhe sind. Wenn sie auf der Höhewären, so könnte ich mich auf sie berufen.«Kung schloß sich in seinen Anschauungen hauptsächlichan die staatlichen Einrichtungen der Dschoudynastie an,während er die beiden vorhergehenden Dynastien Hiaund Yin (Schang) nicht so sehr berücksichtigte. DenGrund für dieses Verhalten gab er an, indem er sprach:»Ich persönlich bin wohl imstande, mir eine Anschauungvon den staatlichen Einrichtungen der Hia- und Yindynastiezu bilden. Aber die Nachkommen der Hiadynastie,die heute noch in dem kleinen Fürstentum Gi sitzen, sindnicht imstande, wirkliche Beweise für meine Anschauungenzu liefern. Ebenso lassen sich die Einrichtungen derYindynastie nicht durch deren Nachkommen in Sung urkundlichbelegen. Der Grund für diesen Mangel an historischerDokumentation ist, daß die literarischen Urkundenund die Gelehrten nicht auf der Höhe sind. So bleibtalles subjektiven Vermutungen überlassen, während ichmeine Behauptungen belegen könnte, wenn die historischenMonumente in Ordnung wären.«


10. Das große Opfer in LuDer Meister sprach: »Beim großen Opfer (für denAhn der Dynastie) mag ich vom Ausgießen der Libationan nicht mehr zusehen.«


11. Die geheimnisvolle Bedeutung des großenOpfers für die RegierungEs fragte jemand nach der Bedeutung des großen Opfers(für den Ahn der Dynastie). Der Meister sprach:»Weiß nicht. Wer davon die Bedeutung wüßte, derwäre imstande, die Welt zu regieren, – so leicht wiehierher zu sehen!« Dabei deutete er auf seine flacheHand.


12. Ernst im Verkehr mit den ÜberirdischenEr opferte (den Ahnen) als in ihrer Gegenwart. Er opferteden Göttern als in ihrer Gegenwart. Der Meistersprach: »Wenn ich bei der Darbringung meines Opfersnicht anwesend bin, so ist es, als habe ich garnicht geopfert.«


13. Herdgott und HausgeistWang Sun Gia fragte und sprach: »Was ist der Sinndes Sprichworts: Man macht sich eher an den Herdgeistals an den Geist des inneren Hauses?« Der Meistersprach: »Nicht also; sondern wer gegen den Himmelsündigt, hat niemand, zu dem er beten kann.«3


14. KulturfortschrittDer Meister sprach: »Die Dschoudynastie sieht aufzwei Dynastien zurück. Ihre ganze Bildung ist daherverfeinert. Ich schließe mich der Dschoudynastie an.«


15. Geschicklichkeit in der ReligionAls der Meister das königliche Heiligtum betrat, erkundigteer sich nach jeder einzelnen Verrichtung. Dasprach jemand: »Wer will behaupten, daß der Sohndes Mannes von Dsou die Religion kennt, da er sichbeim Betreten des großen Tempels erst nach jeder einzelnenVerrichtung erkundigt?« Der Meister hörte esund sprach: »Das eben ist Religion.«


16. Geschicklichkeit nicht rohe KraftDer Meister sprach: »Beim Bogenschießen kommt esnicht darauf an, durch die Scheibe durchzuschießen,weil die Körperkraft der Menschen verschieden ist.So hielt man's wenigstens in alter Zeit.«


17. Das OpferschafDsï Gung wollte, daß das Opferschaf bei der Verkündigungdes neuen Mondes abgeschafft würde. DerMeister sprach: »Mein lieber Sï, dir ist es leid um dasSchaf, mir ist es leid um den Brauch.«


18. Verkannte Gewissenhaftigkeit imFürstendienstDer Meister sprach: »Wenn man heutzutage imDienst des Fürsten alle Gerechtigkeit erfüllt, so haltenes die Leute für Schmeichelei.«


19. Fürst und BeamteFürst Ding fragte, wie ein Fürst seine Beamten behandelnund wie die Beamten ihrem Fürsten dienen sollen.Meister Kung entgegnete und sprach: »Der Fürstbehandle den Beamten, wie es die Sitte verlangt, derBeamte diene dem Fürsten, wie es sein Gewissen verlangt.«


20. Maß im Ausdruck der EmpfindungDer Meister sprach: »Das Guan Dsü Lied ist fröhlich,ohne ausgelassen zu sein, ist sehnsuchtsvoll, ohne dasHerz zu verwunden.«


21. Noli TangereFürst Ai erkundigte sich bei Dsai Wo über (die altenBräuche in betreff des) Erdaltars. Dsai Wo erwiderteund sprach: »Die Herrscher aus dem Hause Hiapflanzten Föhren darum, die Leute der YindynastieZypressen, die Leute der Dschoudynastie aber Zitterpappeln,wohl um die Untertanen zittern zu machen.«Der Meister hörte es und sprach: »Über Taten, die geschehensind, ist es umsonst, zu sprechen. Bei Taten,die ihren Lauf genommen haben, ist es umsonst, zumahnen; wollen wir, was vorüber ist, nicht tadeln.«


22. Verschwendung und Anmaßung als Zeichenbeschränkten CharaktersDer Meister sprach: »Guan Dschung war doch imGrunde ein beschränkter Geist.« Jemand sprach:»War Guan Dschung zu einfach?« (Der Meister)sprach: »Guan hat sich den prächtigen San Gui Palastgebaut, und für jede einzelne Verrichtung hatte ereinen besonderen Angestellten. Wie kann man da behaupten,daß er einfach war?« »Aber dann verstandsich Guan Dschung wohl besonders gut auf die Etikette?«(Der Meister) sprach: »Die Landesfürstenhaben das Vorrecht, eine Schutzwand vor ihrem Palasttorzu errichten. Guan hatte dieselbe Schutzwandvor seinem Tor. Die Landesfürsten pflegen bei ihrenZusammenkünften besondere Kredenztische zu benutzen,Guan benutzte ebenfalls einen solchen Kredenztisch.Wenn Guan sich auf die Etikette verstand, werversteht sich dann nicht auf Etikette?«


23. Der rechte Vortrag der MusikDer Meister redete mit dem Musikmeister von Luüber Musik und sprach: »Man kann wissen, wie einMusikstück ausgeführt werden muß. Beim Beginnmuß es zusammenklingen. Bei der Durchführungmüssen in harmonischer Weise die einzelnen Themenherausgehoben werden in fließendem Zusammenhangbis zum Ende.«


24. Der GrenzwartDer Grenzwart von I4 bat (beim Meister) eingeführtzu werden, (indem) er sprach: »Wenn ein großerMann hier durchkommt, wurde es mir noch nie versagt,ihn zu sehen.« Darauf wurde er eingeführt. Alser herauskam, sprach er: »Meine Freunde, was seidihr traurig, als wäre alles aus? Die Welt war langeohne Wort Gottes; nun gebraucht der Himmel eurenMeister als Glocke.«


25. Klangschönheit und Formvollendung in derMusikDer Meister sprach von der Schau-Musik: »Sie erreichtdie höchste Klangschönheit und ist auch inihrem technischen Aufbau vollkommen.« Von derWu-Musik sagte er: »Sie steht an Klangschönheitebenso hoch, aber ist in ihrer Form nicht so vollkommen.«


26. Die rechte Gesinnung das WichtigsteDer Meister sprach: »Hervorragende Stellung ohneGroßartigkeit, Religionsübung ohne Ehrfurcht, Erledigungder Beerdigungsbräuche ohne Herzenstrauer:solche Zustände kann ich nicht mit ansehen.«


Fußnoten1 Die Antwort Kungs läßt erkennen, wie sehr er dieInnerlichkeit des Gefühlslebens wichtig nimmt, sogarauf Kosten der äußeren Form.2 Schang ist der Vorname des Dsï Hia.3 Der Geist des Hauses, der seinen Sitz in der Südwesteckedes Gebäudes hat, scheint eine Gottheit zusein, die in ältester Zeit verehrt wurde und dem römischenLar entspricht, dessen Verehrung aber offenbarschon zu Kunga Zeit wesentlich zurückgegangen war.Der Herdgeist oder Küchengott, dessen Verehrungvielleicht auf Einflüsse des persischen Feuerdiensteszurückzuführen ist, ist noch heute eine der populärstenGottheiten Chinas. Namentlich am 25. des letztenMonats, wenn er in den Himmel steigt und Berichterstattet über die Hausbewohner, wird ihm eifrig geopfertund Honig auf die Lippen gestrichen, damit ernur Freundliches aussage. Der Weise schneidet aberalle die Beziehungen, die der Frager im Sinne hat, abmit dem Hinweis auf die sittliche Verantwortung, dieder Mensch dem höchsten Wesen gegenüber hat, vorder alle solche Spitzfindigkeiten in nichts zusammensinken.Die Szene ist zugleich einer der Höhepunktein der Religionsgeschichte, wo die unmittelbaren For-


derungen des Gewissens mit elementarer Gewalt hervorbrechen,und tritt in dieser Beziehung würdig demAusspruch des alttestamentlichen Propheten zur Seite(Micha 6, Vers 8): »Er hat dir gesagt, Mensch, wasrecht ist! Und was fordert Jahwe von dir, außer rechttun, Liebe üben und demütig wandeln vor deinemGott?«4 I ist der Grenzplatz des Staates We, wohin sichKung begab, als er infolge der Intrigen, die den Herrschervon Lu umsponnen hatten, sich aus seiner amtlichenStellung zurückziehen mußte. Die Szene fällt inden Anfang der langen Wanderzeit Kungs.


Buch IV1. Gute NachbarschaftDer Meister sprach: »Gute Menschen machen dieSchönheit eines Platzes aus. Wer die Wahl hat undnicht unter guten Menschen wohnen bleibt, wie kannder wirklich weise (genannt) werden?«


2. SeelenfriedenDer Meister sprach: »Ohne Sittlichkeit kann mannicht dauernde Bedrängnis ertragen, noch kann manlangen Wohlstand ertragen. Der Sittliche findet in derSittlichkeit Frieden, der Weise achtet die Sittlichkeitfür Gewinn.«


3. Die Kunst des Liebens und HaßensDer Meister sprach: »Nur der Sittliche kann liebenund hassen.«


4. Ein guter Wille überwindet das BöseDer Meister sprach: »Wenn der Wille auf die Sittlichkeitgerichtet ist, so gibt es kein Böses.«


5. Das Ideal und das LebenDer Meister sprach: »Reichtum und Ehre sind es, wasdie Menschen wünschen; aber wenn sie einem unverdientzuteil werden, so soll man sie nicht festhalten.Armut und Niedrigkeit sind es, was die Menschenhassen; aber wenn sie einem unverdient zuteil werden,so soll man sie nicht loszuwerden suchen. Ein Edler,der von der Sittlichkeit läßt, entspricht nicht dem Begriff(des Edlen). Der Edle übertritt nicht während derDauer einer Mahlzeit die (Gesetze der) Sittlichkeit. InDrang und Hitze bleibt er unentwegt dabei, in Sturmund Gefahr bleibt er unentwegt dabei.«


6. Pflicht und NeigungDer Meister sprach: »Ich habe noch niemand gesehen,der das Sittliche liebt und das Unsittliche haßt. Werdas Sittliche liebt, dem geht nichts darüber. Wer dasUnsittliche haßt, dessen Sittlichkeit ist so stark, daßnichts Unsittliches seiner Person sich nahen kann.Wenn einer einen Tag lang seine ganze Kraft an dasSittliche setzen will: ich habe noch keinen gesehen,dessen Kraft dazu nicht ausreichte. Vielleicht gibt esauch solche, aber ich habe noch keinen gesehen.«


7. Psychologie der VerfehlungenDer Meister sprach: »Die Überschreitungen einesjeden Menschen entsprechen seiner Wesensart. Dadurchdaß man seine Überschreitungen sieht, kannman einen Menschen erkennen.«


8. Das Beste in der WeltDer Meister sprach: »In der Frühe die Wahrheit vernehmenund des Abends sterben: das ist nichtschlimm.«


9. Falsche SchamDer Meister sprach: »Der Gebildete richtet sein Strebenauf die Wahrheit; wenn einer aber sich schlechterKleider und schlechter Nahrung schämt, der ist nochnicht reif, um mitzureden.«


10. Sine ira et studioDer Meister sprach: »Der Edle hat für nichts auf derWelt eine unbedingte Voreingenommenheit oder eineunbedingte Abneigung. Das Rechte allein ist es, aufdessen Seite er steht.«


11. Edles und gemeines StrebenDer Meister sprach: »Der Edle liebt den innerenWert, der Gemeine liebt das Irdische; der Edle liebtdas Gesetz, der Gemeine sucht die Gunst.«


12. Nachteil der SelbstsuchtDer Meister sprach: »Wer bei seinen Handlungenimmer auf Vorteil aus ist, zieht sich viel Groll zu.«


13. Wesen und ScheinDer Meister sprach: »Wer durch Ausübung der Moralseinen Staat regiert, was (für Schwierigkeiten) könnteder haben? Wer aber nicht durch Ausübung der Moralden Staat regiert, was nützt dem die Moral?«


14. Grund zum KummerDer Meister sprach: »Nicht das soll einen bekümmern,daß man kein Amt hat, sondern das muß einenbekümmern, daß man dafür tauglich werde. Nicht dassoll einen bekümmern, daß man nicht bekannt ist,sondern danach muß man trachten, daß man würdigwerde, bekannt zu werden.«


15. Die Summe der LehreDer Meister sprach: »Nicht wahr, Schen, meine ganzeLehre ist in Einem befaßt.« Meister Dsong sprach:»Ja.« Als der Meister hinaus war, fragten seine Schülerund sprachen: »Was bedeutet das?« MeisterDsong sprach: »Unsres Meisters Lehre ist Treuegegen sich selbst und Gütigkeit gegen andre: darin istalles befaßt.«


16. Wes das Herz voll istDer Meister sprach: »Der Edle ist bewandert in derPflicht, der Gemeine ist bewandert im Gewinn.«


17. Anziehendes und warnendes BeispielDer Meister sprach: »Wenn du einen Würdigensiehst, so denke darauf, ihm gleich zu werden. Wenndu einen Unwürdigen siehst, so prüfe dich selbst indeinem Innern.«


18. KindespflichtI: VorhalteDer Meister sprach: »Den Eltern dienend darf manihnen in zarter Weise Vorstellungen machen. Wennman aber sieht, daß sie nicht gewillt sind, darauf zuhören, so soll man fortfahren, ehrerbietig sich zufügen, und auch die schwersten Anstrengungen ohneMurren tragen.«


19. KindespflichtII: ReisenDer Meister sprach: »Solange die Eltern leben, sollman nicht in die Ferne ziehen. Und wenn man nachauswärts geht, so soll man einen bestimmten Wohnortwählen.«


20. KindespflichtIII: PietätDer Meister sprach: »Wer drei Jahre lang nicht abweichtvon seines Vaters Wegen, kann kindesliebendgenannt werden.«


21. KindespflichtIV: Alter der ElternDer Meister sprach: »Die Jahre der Eltern darf mannie vergessen: erstens, um sich darüber zu freuen,zweitens, um sich darüber zu sorgen.«


22. Vom SchweigenDer Meister sprach: »Die Alten sparten ihre Worte;denn sie schämten sich, mit ihrem Betragen hinterihren Worten zurückzubleiben.«


23. Segen der BeschränkungDer Meister sprach: »Die durch Beschränkung verlorenhaben, sind selten.«


24. Langsam im RedenDer Meister sprach: »Der Edle liebt es, langsam imWort und rasch im Tun zu sein.«


25. GeistesgemeinschaftDer Meister sprach: »Innerer Wert bleibt nicht verlassen;er findet sicher Nachbarschaft.«


26. Wider die AufdringlichkeitDsï Yu sprach: »Im Dienst des Fürsten bringen lästigeVorwürfe Ungnade. Zwischen Freunden führen lästigeVorwürfe zu Entfremdung.«


Buch V1. VerheiratungenDer Meister sagte von Gung Ye Tschang: »Man kannihm eine Frau zur Ehe geben; obwohl er in Bandenliegt, ist es doch nicht seine Schuld.« So gab er ihmseine Tochter zur Frau. Der Meister sagte von NanYung: »Wenn das Land wohl geleitet ist, so wird ernicht beiseite gesetzt werden. Wenn das Landschlecht geleitet ist, so wird er wenigstens Bestrafungund Hinrichtung zu vermeiden wissen.« Und so gaber ihm die Tochter seines älteren Bruders zur Frau.1


2. Bildender UmgangDer Meister sagte von Dsï Dsiën: »Ein Edler in derTat ist dieser Mann! Wenn es in Lu keine Edlen gäbe,wie hätte dieser dieses erreicht?«


3. Bestrafte EitelkeitDsï Gung fragte und sprach: »Und wem ist Sïgleich?« Der Meister sprach: »Du? du bist ein Gerät.«Er sprach: »Was für in Gerät?« Er sprach: »Eine geschliffeneOpferschale.«Dsï Gung wollte die Gelegenheit wieder benutzen, umauch ein Lob für sich zu ernten (vgl. I, 15), und fragte,welche Stufe er erreicht habe. Der Meister erwiderte ihmlächelnd: »Du bist noch nicht so weit, um als selbständigePersönlichkeit in Betracht zu kommen, du kannst nuretwas leisten, wenn du von andern verwandt wirst (vgl.II, 12).« »Und wozu kann ich verwandt werden?« fragteder Schüler. »Zu großen Feierlichkeiten und Opferfesten;denn an guten Formen fehlt es dir nicht«, antwortete begütigendder Meister.


4. Güte und RedegewandtheitEs sprach jemand: »Yung ist sittlich, aber nicht redegewandt.«Der Meister sprach: »Wozu braucht's Redegewandtheit?Wer den Leuten immer mit seinerZungenfertigkeit entgegentritt, zieht sich stets nur Abneigungvon den Menschen zu. Ob er sittlich ist, weißich nicht, aber wozu braucht's der Redegewandtheit?«


5. Vorsicht bei Übernahme eines AmtesDer Meister wollte dem Tsi-Diau Kai ein Amt übertragen.Er erwiderte und sprach: »Ich kann dies2 hiernoch nicht glauben.« Der Meister war erfreut.


6. Das Floß der WahrheitDer Meister sprach: »Die Wahrheit hat keinen Erfolg.Ich muß wohl ein Floß besteigen und über die Seefahren. Wenn mich einer dabei begleitet, so ist eswohl Yu.« Dsï Lu hörte es und freute sich. Der Meistersprach: »Yu ist wohl mutiger als ich, aber es fehltihm die Überlegung, um das Material für das Floß zubeschaffen.«


7. Verschiedene BrauchbarkeitDer Freiherr Mong Wu fragte, ob Dsï Lu sittlich vollkommensei. Der Meister sprach: »Ich weiß es nicht.«Noch weiter befragt, antwortete der Meister: »Mankann den Yu brauchen zur Leitung des Militärwesensselbst in einem Staate mit 1000 Kriegswagen.3 Aberob er sittlich vollkommen ist, das weiß ich nicht.«»Und wie steht es mit Kiu?« Der Meister sprach:»Kiu? In einem Bezirk von 1000 Familien4 odereinem Haus mit 100 Kriegswagen kann man ihn zurLeitung der inneren Angelegenheiten brauchen. Aberob er sittlich vollkommen ist, weiß ich nicht.« »Undwie steht es mit Tschï?« Der Meister sprach: »Tschïist brauchbar, mit dem Gürtel gegürtet bei Hofe stehendden Verkehr mit Besuchern und Gästen zu führen.Aber ob er sittlich vollkommen ist, weiß ichnicht.«


8. Erziehung zur BescheidenheitDer Meister sagte zu Dsï Gung: »Du oder Hui, wervon euch beiden ist weiter?« Er erwiderte: »Wiekönnte ich wagen, auf Hui zu blicken! Hui, wenn derEines hört, so weiß er zehn. Wenn ich Eines höre, soweiß ich zwei.« Der Meister sprach: »Du kommst ihmnicht gleich. Ich und du, wir sind ihm darin nichtgleich.«5


9. TadelDsai Yü verweilte am hellen Tage in seinem Schlafzimmer.Der Meister sprach: »Faules Holz kann mannicht schnitzen. Eine Wand aus schlechtem Lehm läßtsich nicht streichen. Dieser Yü da! Was soll man ihmüberhaupt noch Vorwürfe machen!« Der Meistersprach: »Früher stand ich so zu den Menschen: Wennich ihre Worte hörte, so glaubte ich an ihre Taten.Jetzt stehe ich so zu den Menschen: Ich höre ihreWorte, und dann sehe ich nach ihren Taten. Durch Yükam ich dazu, diese Änderung vorzunehmen.«


10. Stärke und SinnlichkeitDer Meister sprach: »Ich habe noch keinen Menschenvon wirklicher Charakterstärke gesehen.« Es erwidertejemand: »Schen Tschang.« Der Meister sprach:»Tschang ist der Sinnlichkeit unterworfen. Wie könnteer stark sein?«


11. Ideal und WirklichkeitDsï Gung sprach: »Was ich nicht mag, daß die Leutemir zufügen, das mag ich auch ihnen nicht zufügen.«Der Meister sprach: »Mein Sï, diese Stufe hast dunoch nicht erreicht.«


12. Exoterisches und EsoterischesDsï Gung sprach: »Des Meisters Reden über Kulturund Kunst kann man zu hören bekommen. Aber dieWorte des Meisters über Natur und Weltordnungkann man nicht (leicht) zu hören bekommen.«6


13. GründlichkeitWenn Dsï Lu eine Lehre vernommen, die er nochnicht auszuführen vermochte, so fürchtete er sich nurdavor, noch andre Lehren zu vernehmen.


14. Bescheidenheit beim Erwerben vonKenntnissenDsï Gung fragte und sprach: »Weshalb ist Kung WenDsï der ›Weise‹ (Wen) genannt worden?« Der Meistersprach: »Er war rasch (von Begriff) und liebte zulernen; er schämte sich nicht, Niedrige zu fragen; dasist der Grund, warum er der ›Weise‹ genannt wird.«


15. Hervorragende CharakterseitenDer Meister sagte von Dsï Tschan, daß er vier Eigenschafteneines Edlen gehabt habe: in seinem persönlichenLeben war er ernst, im Dienst des Fürsten war erehrfurchtsvoll, in der Sorge für die Nahrung desVolks zeigte er Gnade, in der Verwendung des VolksGerechtigkeit.


16. Verkehr mit MenschenDer Meister sprach: »Yen Ping Dschung versteht es,mit Menschen umzugehen. Auch nach jahrelangemVerkehr genießt er noch die Hochachtung der Leute.«


17. Die SchildkröteDer Meister sprach: »Dsang, der ›Weise‹, bewahrteeine Schildkröte in einem Hause, dessen Säulen mitgeschnitzten Darstellungen von Bergen und dessenBalken mit Schilfgräsern geziert waren. Was ist denndabei für eine Weisheit?«


18. Die Sittlichkeit ist schwer zu erkennenDsï Dschang fragte und sprach: »Der Kanzler DsïWen wurde dreimal in das Amt des Kanzlers (vonTschu) berufen, ohne sich darüber erfreut zu zeigen.Er wurde dreimal abgesetzt, ohne sich darüber mißvergnügtzu zeigen. Außerdem machte er sich zurPflicht, seinen Nachfolger in das Amt einzuführen.Wie ist er zu beurteilen?« Der Meister sprach: »Erwar gewissenhaft.« Auf die Frage, ob er als sittlicherCharakter bezeichnet werden könnte, sagte er: »Ichweiß es nicht, ob er sittlich genannt werden kann.« –(Der Schüler fuhr fort:) »Als der General Tsui seinenHerrn, den Fürsten von Tsi, ermordete, da ließ deredle Tschen Wen, obwohl er 10 Viergespanne besaß,seine Habe im Stich und wanderte aus. Er kam in einanderes Land, da sprach er: ›Hier sind sie geradesowie unser General Tsui‹ und wanderte aus. Er kamnoch in ein Land und sprach abermals: ›Hier sind siegeradeso wie unser General Tsui‹ und wanderte aus.Wie ist er zu beurteilen?« Der Meister sprach: »Erwar rein.« Auf die Frage, ob er als sittlicher Charakterbezeichnet werden könne, sagte er: »Ich weiß es nicht,ob er sittlich genannt werden kann.«


19. ÜberlegungenVon Gi, dem »Weisen«, hieß es, daß er alles erst dreimalüberlege, ehe er sich zum Handeln entschließe.Der Meister hörte davon und sprach: »Wenn er auchnur zweimal sich die Sachen überlegt, so ist es schongut.«


20. Prüfstein der WeisheitDer Meister sprach: »Der Freiherr Ning Wu warweise, solange Ordnung im Lande herrschte. Als Unordnungim Lande aufkam, benahm er sich töricht. Inseiner Weisheit können andre ihn erreichen. In seinerTorheit aber ist er unerreichbar.« Es gelang ihm nämlich,durch seine scheinbare Torheit seinen Fürsten zuretten.


21. Sorge für die NachweltDer Meister sprach in Tschen: »Ich muß heim! Ichmuß heim! Meine jungen Freunde zu Hause sind enthusiastischund großartig. Sie sind bewandert inallen Künsten. Aber sie wissen noch nicht sich zu mäßigen.«


22. VergebenDer Meister sprach: »Be I und Schu Tsi7 gedachtennicht alter Fehler; darum blieben sie frei von Groll.«


23. Der entlehnte EssigDer Meister sprach: »Wer will behaupten, daß We-Schong Gau8 ehrlich sei? Als einst jemand ihn umEssig bat, da entlehnte er selber erst bei seinem Nachbar,um ihn hergeben zu können.«


24. Ohne falsch seinDer Meister sprach: »Glatte Worte, einschmeichelndeMienen, übertriebene Höflichkeit – solcher Dingeschämte sich Dso Kiu Ming, ich schäme mich ihrerauch. Seinen Ärger verhehlen und mit seinem Feindefreundlich tun – dessen schämte sich Dso Kiu Ming,ich schäme mich dessen auch.«


25. HerzenswünscheYen Yüan (Yen Hui) und Gi Lu (Dsï Lu) standen zudes Meisters Seite, da sprach er: »Nun sage mir einmaljeder seine Herzenswünsche.« Dsï Lu begann:»Ich möchte Pferd und Wagen und leichtes, kostbaresPelzwerk zum Anziehen. Ich wollte es mit meinenFreunden gemeinsam benützen, und wenn sie es mirverdürben, so wollte ich nicht böse werden.« YenYüan sprach: »Ich möchte mich nicht meines Gutenrühmen und möchte nicht andere für mich bemühen.«– Darauf sprach Dsï Lu: »Nun möchten wirauch gern des Meisters Wünsche hören.« Der Meistersprach: »Den Alten möchte ich Frieden geben, mitFreunden möchte ich in Treuen verkehren, die Kleinenmöchte ich herzen.«


26. Selbstanklage ist seltenDer Meister sprach: »Es ist alles aus! Ich habe nochkeinen gesehen, der seine eignen Fehler sehen und innerlichsich selbst verklagen könnte.«


27. Bescheidenheit des MeistersDer Meister sprach: »In einem Dorf von zehn Familiengibt es sicher Leute, die an Gewissenhaftigkeit undWahrhaftigkeit mir gleich sind; warum sollten sienicht auch in der Liebe zum Lernen mir gleich sein?«


Fußnoten1 Aus den beiden Verheiratungen geht gerade in ihrerZusammenstellung hervor, daß Kung weder auf besondereBegabung (beide Männer spielen keine hervorragendeRolle im konfuzianischen Schülerkreis)noch auf äußere Glücksumstände (Gung Ye Tschangwar im Gefängnis, Nan Yung in den besten Verhältnissen)entscheidenden Wert legte, sondern allein aufeinen einfachen, soliden Charakter.2 Nach einer in Gia Yü (Schulgespräche) überliefertenTradition war Tsi-Diau Kai eben mit der Lektüredes Schu Ging (Buch der Urkunden) beschäftigt, undseine Antwort bezog sich auf die darin enthaltenenLehren.3 Staat mit 1000 Kriegswagen ist ein Lehnsstaat ersterOrdnung (etwa Lu).4 Bezirk von 1000 Familien entspricht einer Leistungvon 100 Kriegswagen, eine größere Grafschaft innerhalbeines Lehnsstaats.5 Vgl. I, 15; V, 3, 11 usw. Auch hier ist die beabsichtigteLehre an den begabten, aber von Einbildungnicht freien Schüler klar. Durch Vergleiche mit dem»unerreichbaren« Jünger Yen Hui, »den der Meister


liebhatte«, soll Dsï Gung zum Bewußtsein seiner eignenUnzulänglichkeit kommen. Der Jünger besitztSelbsterkenntnis genug, dies anzuerkennen, und derMeister tröstet ihn, indem er sich ebenfalls an natürlicherAuffassungsgabe als hinter Yen Hui zurückstehendbekennt.6 Worüber der Meister oft sprach, das waren diepraktischen Berufsfragen. Die letzten Weltanschauungsproblemewaren Kung zu heilig, um viel darüberzu reden.7 Be I und Schu Tsi sind zwei Prinzen aus dem Endeder Yindynastie. Als der Vater dem Jüngeren dieNachfolge auf dem Thron zugesagt hatte, weigertesich dieser, seinen älteren Bruder zu verdrängen.Ebenso weigerte sich der ältere Bruder, das Recht desjüngeren zu verkürzen. Schließlich zogen sie sichbeide in die Verborgenheit zurück und ließen dasReich dahinten. Als später König Wu, der Gründerder Dschoudynastie, auftrat, wandten sie sich gegenihn, und als er Sieger blieb, verhungerten sie freiwilligauf dem Schouyangberg, um das Brot der neuenDynastie nicht essen zu müssen. Obwohl sie demnachauf der gegnerischen Seite der von Kung so hoch verehrtenDschoudynastie stehen, ist Kung über sie stetsdes Lobes voll.


8 Es ist hier wohl ein Scherzwort überliefert. Der Jemand,der den Essig entlehnte, war wohl Kung selbst,und der Vorwurf der Unehrlichkeh ist natürlich langenicht so ernst gemeint, wie humorlose Kommentatorenim Detail ausführen.


Buch VI1. FürstentugendDer Meister sprach: »Yung, den kann man brauchen,um mit südlich gewandtem Gesicht (einen Staat zubeherrschen).« Dschung Gung fragte in betreff vonDsï Sang Be Dsï. Der Meister sprach: »Er geht; er istgroßartig.« Dschung Gung sprach: »In seiner Gesinnungsorgfältig sein und in seiner Handlungsweisegroßartig beim Verkehr mit seinem Volk, das magwohl gehen. Aber in seiner Gesinnung großartig seinund in seiner Handlungsweise großartig sein: ist dasnicht zuviel Großartigkeit?« Der Meister sprach:»Yungs Worte sind richtig.«Der Meister erwähnte einst, daß der Jünger Jan Yung imstandewäre, als Fürst einen Staat zu regieren. Der betreffendeJünger, der sich offenbar durch die Andeutung geschmeicheltfühlte, fragte im Anschluß daran, wie sichsein Freund, (der sonst unbekannte) Dsï Sang Be Dsï,zum Fürsten eigne. Der Meister erwiderte, dieser habezum mindesten eine fürstliche Tugend, daß er nicht kleinlichsei, sondern etwas Freies, Großzügiges in seinemWesen habe. Der Jünger knüpfte daran eine theoretischeErörterung, offenbar halb im Vorgefühl seiner neuenWürde: daß die Großartigkeit der äußeren Handlungsweiseim Verkehr mit den Untertanen sehr löblich sei, wenn


eine gewissenhafte Sorgfalt die Grundlage der Gesinnungbilde. Wenn dagegen Gesinnung und Handlungsweiseaufs Großartige gerichtet seien, dann führe die Großartigkeitzu weit. Der Meister billigte liebevoll auch diesenAusspruch.


2. Zeichen des BildungsstrebensDer Fürst Ai fragte, wer unter den Jüngern das Lernenliebe. Meister Kung entgegnete und sprach: »Da warYen Hui: er liebte das Lernen. Er übertrug nie seinenÄrger, er machte keinen Fehler zum zweitenmal. ZumUnglück war seine Zeit kurz und er ist gestorben. Nunhabe ich keinen mehr (wie ihn). Ich habe von keinemmehr gehört, der so das Lernen liebte.«


3. BesoldungsfragenDsï Hua hatte einen Auftrag in Tsi zu besorgen. MeisterJan bat für dessen Mutter um Getreide. Der Meistersprach: »Gib ihr ein Fu.« Er bat um mehr. Dasprach er: »Gib ihr ein Yü.« Meister Jan gab ihr fünfBing. Der Meister sprach: »Als Tschï nach Tsi aufbrach,hatte er ein Gespann von fetten Pferden undwar gekleidet in leichtes Pelzwerk. Ich habe gehört:der Edle hilft dem Bedürftigen, aber fügt nicht demReichen noch mehr zu.«Yüan Sï ward angestellt als Stadthauptmann. (DerMeister) gab ihm 900 Maß Getreide. Er lehnte ab.Der Meister sprach: »Nicht also! Du magst sie ja verwenden,um sie in deiner Nachbarschaft und Umgebungzu verteilen.«Zur Zeit als Kung in seinem Heimatstaat Lu als Justizministerwar, wurde der Schüler Dsï Hua nach dem NachbarstaateTsi gesandt, um einen Auftrag zu erledigen.Sein Mitschüler Jan ergriff die Gelegenheit, den Meisterum Getreide für die in Lu zurückbleibende Mutter desAbgereisten zu bitten. Der Meister sprach: »Gib ihr 6½Scheffel.« Das schien dem Schüler Jan Dsï zu wenig, under verlangte mehr; da bewilligte der Meister 16 Scheffel.Der Schüler Jan Dsï wollte nun von sich aus den Meisterkorrigieren und ließ der Mutter auf eigne Verantwortung800 Scheffel aus den staatlichen Getreidespeichern


geben. Hatte der Meister schon eine ganz ausgesprocheneAbsicht gehabt, indem er die bewilligten Getreidebeträgeso niedrig bemessen hatte, so konnte er diese eigenwilligeIgnorierung seiner Intentionen nicht ungerügt hingehenlassen. Er sprach: »Der Schüler Dsï Hua hat bei seinerAbreise nach Tsi in seinem Gefährt sowohl als in seinerKleidung einen auffallenden Luxus zur Schau getragen,so daß eine außerordentliche Bewilligung einer Reiseentschädigungdurchaus unangebracht ist; denn soviel ichweiß, ist es wohl Pflicht eines anständigen Menschen,Bedürftige zu unterstützen, nicht aber den Luxus der Reichennoch zu mehren.«Daß dabei keine Knickerigkeit des Meisters im Spiel war,beweist die andre Geschichte, wohl ebenfalls aus der Zeitder öffentlichen Wirksamkeit des Meisters. Er hatte denSchüler Yüan Sï zum Stadthauptmann in seiner Heimatstadtgemacht und ihm das ordnungsmäßige Gehalt von900 Maß Getreide bewilligt. Als der Schüler ablehnenwollte, daß er Bezahlung erhalte, nahm der Meister dieseAblehnung nicht an, mit dem Hinweis, daß, wenn er dasGetreide nicht für seinen eignen Bedarf nötig habe, er eszu wohltätigen Zwecken in seiner Umgebung verwendenkönne.


4. Individueller WertDer Meister redete von Dschung Gung und sprach:»Wenn das Junge einer fleckigen Kuh rot und wohlgehörntist, ob einer auch es nicht zu brauchenwünscht, sollten es darum die Berge und Flüsse verschmähen?«Der Meister gebrauchte mit Beziehung auf den JüngerDschung Gung, der, weil er einen schlechten Vater hatte,viel Anfechtung zu erdulden hatte, ein Gleichnis undsprach: »Wenn das Junge einer fleckigen Kuh selbst rotund wohlgehörnt ist, so mögen vielleicht die MenschenBedenken tragen, es als Opfer darzubringen, doch werdendie Geister der Berge und Flüsse ein solches Opfernicht verschmähen.«


5. Nur der Anfang ist schwerDer Meister sprach: »Mein Hui, wessen Herz dreiMonate lang nicht von der Sittlichkeit abweicht, derwird dann in (seinem) übrigen (Leben) (alle) Monateund Tage sie zu erreichen vermögen.«


6. Brauchbarkeit im StaatsdienstDer Freiherr Gi Kang fragte in Beziehung aufDschung Yu, ob man ihn im Staatsdienst brauchenkönne. Der Meister sprach: »Yu ist entschieden. ImStaatsdienst tätig zu sein: was (für Schwierigkeiten)könnte das für ihn haben?« Er sprach: »Und Sï, kannman den im Staatsdienst brauchen?« Er antwortete:»Sï ist durchdringend. Im Staatsdienst tätig zu sein:was (für Schwierigkeiten) könnte das für ihn haben?«Er sprach: »Kiu, kann man den im Staatsdienst brauchen?«Er antwortete: »Kiu ist geschickt. Im Staatsdiensttätig zu sein: was (für Schwierigkeiten) könntedas für ihn haben?«


7. ZurückhaltungDer Älteste der Familie Gi wollte Min Dsï Kiën1 alsStadthauptmann von Bi (Fe) anstellen. Min Dsï Kiënerwiderte (dem Boten): »Lehne es auf höfliche Weisefür mich ab. Wenn nochmals einer kommen sollte, ummich zu bitten, so werde ich bis dahin sicher über denWenfluß sein.«


8. Hartes LosBe Niu war krank. Der Meister fragte nach ihm undergriff durch das Fenster seine Hand und sprach: »Ergeht uns verloren. Es ist Fügung. Solch ein Mann undhat solch eine Krankheit! Solch ein Mann und hatsolch eine Krankheit!«


9. Fröhlichkeit in ArmutDer Meister sprach: »Hui war doch wirklich ein guterMensch! Eine Holzschüssel voll Reis, eine Kürbisschalevoll Wasser, in einer elenden Gasse. AndreMenschen hätten es in einer so trostlosen Lage garnicht ausgehalten. Aber Hui ließ sich seine Fröhlichkeitnicht rauben. Hui war doch wirklich ein guterMensch!«


10. Vorzeitiger VerzichtJan Kiu sprach: »Nicht daß ich des Meisters Lehrenicht liebte, aber meine Kraft reicht nicht aus dafür.«Der Meister sprach: »Wem seine Kraft nicht ausreicht,der bleibt auf halbem Wege liegen, aber du beschränkstdich ja von vornherein selber.«


11. Zweck der WissenschaftDer Meister sagte zu Dsï Hia und sprach: »Sei du alsEdler ein Gelehrter und nicht als Gemeiner ein Gelehrter.«


12. Wie ein Beamter seine Leute kennenlerntDsï Yu war Stadthauptmann in Wu Tschong. DerMeister sprach: »Hast du Menschen gefunden –?« Ersprach: »Da ist Tan-Tai Mië-Ming; der wandelt nieauf Nebenwegen, und wenn es sich nicht um öffentlicheAngelegenheiten handelt, ist er noch nie in meinAmtshaus gekommen.«


13. Stolze BescheidenheitDer Meister sprach: »Mong Dschï Fan war fern vonPrahlerei. Als er (nach einer verlornen Schlacht) aufder Flucht zuhinterst war und im Begriff war, insStadttor einzureiten, da trieb er sein Pferd an undsprach: ›Es ist nicht mein Mut, daß ich zuhinterst bin;mein Pferd läuft nicht.‹«


14. Was einen Fürsten retten kannDer Meister sprach: »Wer nicht die Redegabe desPriesters To hat und hat die Schönheit Dschaus vonSung, der wird schwerlich der Welt von heute entgehen.«Der Meister sprach: »Ein Fürst kann sich durch dieSchwierigkeiten der gegenwärtigen Zeitläufte nur retten,wenn er einen Mann zur Seite hat von der Redegabe desPriesters To, nicht dadurch, daß er in seiner Umgebungnur Leute von äußerer Körperschönheit hat, wie sie PrinzDschau von Sung besaß. Die Welt von heute verlangt Talentein der Umgebung eines Fürsten, nicht äußereReize.«


15. Das Tor des LebensDer Meister sprach: »Wer kann hinausgehen, es seidenn durch die Tür; warum doch wandeln die Menschennicht auf diesem Pfade?«


16. Das Gleichgewicht zwischen Gehalt undFormDer Meister sprach: »Bei wem der Gehalt die Formüberwiegt, der ist ungeschlacht, bei wem die Formden Gehalt überwiegt, der ist ein Schreiber. Bei wemForm und Gehalt im Gleichgewicht sind, der erst istein Edler.«


17. Aufrichtigkeit als LebensprinzipDer Meister sprach: »Der Mensch lebt durch Geradheit.Ohne sie lebt er von glücklichen Zufällen undAusweichen.«


18. Stufen der intellektuellen BildungDer Meister sprach: »Der Wissende ist noch nicht soweit wie der Forschende, der Forschende ist nochnicht so weit wie der heiter (Erkennende).«


19. Esoterik der WissenschaftDer Meister sprach: »Wer über dem Durchschnittsteht, dem kann man die höchsten Dinge sagen. Werunter dem Durchschnitt steht, dem kann man nicht diehöchsten Dinge sagen.«


20. Weisheit und Sittlichkeit IFan Tschï fragte, was Weisheit sei. Der Meistersprach: »Seiner Pflicht gegen die Menschen sich weihen,Dämonen und Götter ehren und ihnen fern bleiben,das mag man Weisheit nennen.«Er fragte, was Sittlichkeit sei. Er sprach: »Der Sittlichesetzt die Schwierigkeit voran und den Lohn hintan:das mag man Sittlichkeit nennen.«


21. Weisheit und Sittlichkeit IIDer Meister sprach: »Der Wissende freut sich amWasser, der Fromme (›Sittliche‹) freut sich am Gebirge.Der Wissende ist bewegt, der Fromme ist ruhig;der Wissende hat viele Freuden, der Fromme hat langesLeben.«


22. Stufen des VerfallsDer Meister sprach: »Wenn Tsi reformiert würde, sokönnte es so weit kommen wie Lu. Wenn Lu reformiertwürde, so könnte es auf den rechten Weg kommen.«Der Meister sprach: »Der militärische Staat Tsi (der imNorden Schantungs lag) würde nach einer durchgreifendenStaatsreform auf den Standpunkt gebracht werdenkönnen, auf dem der Staat Lu (in Südschantung) jetztschon sich befindet (dank des fortdauernden historischenEinflusses des großen Fürsten Dschou). Wenn der StaatLu eine durchgreifende Reform durchmachen würde, sokönnte er das Ideal eines nach den Vorbildern des Altertumswohl regierten Staates erreichen.«


23. Falsche BenennungenDer Meister sprach: »Eine Eckenschale ohne Ecken:was ist das für eine Eckenschale, was ist das für eineEckenschale!«Der Meister hielt sich darüber auf, daß ein Opfergefäß,das früher eckig gewesen war, aber im Lauf der Zeit abgerundethergestellt zu werden pflegte, noch immer mitder alten Bezeichnung genannt wurde, die dem Wesennun gar nicht mehr entsprach: ein Gleichnis für die Zuständeder damaligen Zeit, die auch nichts mehr mit denEinrichtungen der guten alten Zeit gemein hatten als denbloßen Namen. Diese Begriffsverwirrungen waren nachKung einer der schlimmsten Übelstände, da ohne adäquateBegriffe der Mensch der Außenwelt hilflos und machtlosgegenübersteht.


24. Dumme GutmütigkeitDsai Wo fragte und sprach: »Wenn ein sittlich-guterMensch auch nur sagen hörte, es sei ein sittlicherMensch im Brunnen, so würde er wohl sofort nachspringen.«Der Meister sprach: »Wozu denn das? EinEdler würde hingehen, aber nicht hineinspringen.Man kann ihn belügen, aber nicht zum Narrenhaben.«


25. SelbsterziehungDer Meister sprach: »Ein Edler, der eine umfassendeKenntnis der Literatur besitzt und sich nach den Regelnder Moral richtet, mag es wohl erreichen, Fehltrittezu vermeiden.«


26. Verkehr mit einer verrufenen FürstinDer Meister besuchte die Nan Dsï. Dsï Lu war mißvergnügt.Der Meister verschwor sich und sprach:»Habe ich unrecht gehandelt, so möge der Himmelmich hassen, so möge der Himmel mich hassen.«


27. Maß und MitteDer Meister sprach: »Maß und Mitte sind der Höhepunktmenschlicher Naturanlage. Aber unter demVolk sind sie seit langem selten.«


28. Das Wesen der SittlichkeitDsï Gung sprach: »Wenn einer dem Volke reicheGnade spendete und es vermöchte, die gesamteMenschheit zu erlösen, was wäre ein solcher? Könnteman ihn sittlich nennen?« Der Meister sprach: »Nichtnur sittlich, sondern göttlich wäre der zu nennen.Selbst Yau und Schun waren sich mit Schmerzen (derSchwierigkeit davon) bewußt. Was den Sittlichen anlangt,so festigt er andere, da er selbst wünscht, gefestigtzu sein, und klärt andre auf, da er selbstwünscht, aufgeklärt zu sein. Das Nahe als Beispielnehmen können (nach sich selbst die anderen zu beurteilenverstehn), das kann als Mittel zur Sittlichkeitbezeichnet werden.«


Fußnoten1 Der Jünger Min Dsï Kiën spielt in den Lun Yü anverschiedenen Stellen eine sehr bedeutende Rolle,während sonst nicht viel von ihm bekannt ist. SeineZurückhaltung erklärt sich daraus, daß er mit derUsurpatorenfamilie Gi nichts zu tun haben wollte.Daher diese überaus bestimmte Absage mit der Drohung,falls man ihn nicht in Ruhe lasse, außer Landesnach Tsi (der Wenfluß ist nördlich von Lu im StaateTsi) zu gehen, um dem Einfluß der Familie Gi sich zuentziehen.


Buch VII1. ResignationDer Meister sprach: »Beschreiben und nicht machen,treu sein und das Altertum lieben: darin wage ichmich mit unserem alten Pong zu vergleichen.«1


2. Der Geist der WissenschaftDer Meister sprach: »Schweigen und so erkennen,forschen und nicht überdrüssig werden, die Menschenbelehren und nicht ermüden: was kann ich dazu tun?«


3. Betrübnis über die Unvollkommenheit desMenschenDer Meister sprach: »Daß Anlagen nicht gepflegtwerden, daß Gelerntes nicht besprochen wird, daßman seine Pflicht kennt und nicht davon angezogenwird, daß man Ungutes an sich hat und nicht imstandeist, es zu bessern: das sind Dinge, die mir Schmerzmachen.«


4. Der Meister im PrivatlebenWenn der Meister unbeschäftigt war, so war er heiterund leutselig.


5. Der TraumDer Meister sprach: »Es geht abwärts mit mir, seitlanger Zeit habe ich nicht mehr im Traum den FürstenDschou gesehen!«2


6. Vierfacher Weg der BildungDer Meister sprach: »Sich das Ziel setzen im Pfad,sich klammern an die guten Naturanlagen, sich stützenauf die Sittlichkeit, sich vertraut machen mit derKunst.«


7. Pädagogische GrundsätzeI: BezahlungDer Meister sprach: »Von denen an, die ein PäckchenDörrfleisch anbrachten, habe ich noch nie einen vonmeiner Belehrung ausgeschlossen.«Der Meister sprach: »Ich mache bei meinem Unterrichtkeinen Unterschied zwischen arm und reich. Wenn einerauch nur die allergeringste Gabe darbringt, um dadurchzu zeigen, daß es ihm um die Sache zu tun ist, so ist ermir willkommen.«


8. Pädagogische GrundsätzeII: Selbsttätigkeit des SchülersDer Meister sprach: »Wer nicht strebend sich bemüht,dem helfe ich nicht voran, wer nicht nach dem Ausdruckringt, dem eröffne ich ihn nicht. Wenn ich eineEcke zeige, und er kann es nicht auf die andern dreiübertragen, so wiederhole ich nicht.«


9. Weine mit den WeinendenDer Meister, wenn er an der Seite eines Mannes inTrauer aß, aß sich nicht satt. Wenn der Meister aneinem Tage geweint hatte, so sang er an demselbenTage nicht.


10. GelassenheitDer Meister sagte zu Yen Hui und sprach: »Wenn gebraucht,zu wirken, wenn entlassen, sich zu verbergen:nur ich und du verstehen das.«Dsï Lu sprach: »Wenn der Meister drei Heere zuführen hätte, wen würde er dann mit sich nehmen?«Der Meister sprach: »Wenn einer mit der bloßenFaust einem Tiger zu Leibe rückt, über den Fluß setztohne Boot und den Tod sucht ohne Besinnung: einensolchen würde ich nicht mit mir nehmen, sondern esmüßte einer sein, der, wenn er eine Sache unternimmt,besorgt ist, der gerne überlegt und etwas zustandebringt.«


11. Die Jagd nach dem GlückDer Meister sprach: »Wenn der Reichtum (vernünftigerweise)erjagt werden könnte, so würde ich es auchtun, und sollte ich mit der Peitsche in der Hand dienen;da man ihn aber nicht erjagen kann, so folge ichmeinen Neigungen.«


12. VorsichtDie Umstände, bei denen der Meister besondere Vorsichtübte, waren Fasten, Krieg und Krankheit.


13. Die Macht der MusikAls der Meister in Tsi sich mit der Schaumusik3 beschäftigte,da vergaß er drei Monate lang den Geschmackdes Fleisches. Er sprach: »Ich hätte nicht gedacht,daß die Musik eine solche Höhe erreichenkönne.«


14. Indirekte Frage 4Jan Yu sprach: »Ob der Meister für den Fürsten vonWe ist?« Dsï Gung sprach: »Gut, ich werde ihn fragen.«Darauf ging er hinein und sprach: »Was warenBe J und Schu Tsi für Menschen?« (Der Meister)sprach: »Es waren Würdige des Altertums.« (DerSchüler) fragte weiter: »(Waren sie mit ihrem Lose)unzufrieden?« (Der Meister) sprach: »Sie erstrebtenSittlichkeit und erlangten sie. Was (hätten sie) unzufrieden(sein sollen)?« Der Schüler ging hinaus undsprach: »Der Meister ist nicht für ihn.«


15. Das Glück eine ziehende WolkeDer Meister sprach: »Gewöhnliche Speise zur Nahrung,Wasser als Trank und den gebogenen Arm alsKissen: auch dabei kann man fröhlich sein; aber ungerechterReichtum und Ehren dazu sind für mich nurflüchtige Wolken.«


16. Das Buch des WandelsDer Meister sprach: »Wenn mir noch einige Jahrevergönnt wären, daß ich das Buch des Wandels5 fertigstudieren könnte, so möchte ich wohl wenigstensgrobe Verfehlungen zu vermeiden imstande sein.«


17. Themen der LehreWas der Meister mit besonderer Sorgfalt besprach,waren die Lieder, die Geschichte, das Halten derRiten. Das alles besprach er mit Sorgfalt.


18. Wer ist Kung?Der Fürst von Schê fragte den Dsï Lu über Kung Dsï.Dsï Lu gab ihm keine Antwort. Der Meister sagte(nachher): »Warum hast du nicht einfach gesagt: Erist ein Mensch, der in seinem Eifer (um die Wahrheit)das Essen vergißt und in seiner Freude (am Erkennen)alle Trauer vergißt und nicht merkt, wie das Alter herankommt.«


19. Die Quelle von des Meisters WissenDer Meister sprach: »Ich bin nicht geboren mit derKenntnis (der Wahrheit); ich liebe das Altertum undbin ernst im Streben (nach ihr).«


20. Schweigendes VorübergehenDer Meister sprach niemals über Zauberkräfte undwidernatürliche Dämonen.


21. Überall Lehrer zu findenDer Meister sprach: »Wenn ich selbdritt gehe, sohabe ich sicher einen Lehrer. Ich suche ihr Gutes herausund folge ihm, ihr Nichtgutes und verbessere es.«


22. GottvertrauenDer Meister sprach: »Gott hat den Geist in mir gezeugt,was kann Huan Tui mir tun?«Der Meister kam auf seiner Wanderung einmal durch denStaat Sung. Dort ruhte er mit seinen Schülern untereinem großen Baume und übte mit ihnen die heiligen Gebräucheein. Diese Gelegenheit ergriffen die Sendlingeeines dem Meister übelwollenden Beamten von Sung,Huan Tui, und suchten den Meister zu töten, indem sieden Baum fällten. Die Jünger, erschrocken, rieten zur eiligenFlucht; der Meister aber blieb gelassen. Er wußtesein Leben in einer höheren Hand; er war sich bewußt,daß, da er einen gottgewollten Beruf habe, ihm Menschennichts anhaben könnten.


23. OffenheitDer Meister sprach: »Meine Kinder, ihr denkt, ichhabe Geheimnisse? Ich habe keine Geheimnisse voreuch. Mein ganzer Wandel liegt offen für euch, meineKinder. So ist es meine Art.«


24. Unterricht in den ElementenDer Meister lehrte vier Gegenstände: die Kunst, denWandel, die Gewissenhaftigkeit, die Treue.


25. Auf der Suche nach MenschenDer Meister sprach: »Einen Gottmenschen zu sehen,ist mir nicht vergönnt; wenn es mir vergönnt wäre,einen Edlen zu sehen, dann wäre es schon gut. Einenguten Menschen zu sehen, ist mir nicht vergönnt;wenn es mir vergönnt wäre, einen Beharrlichen zusehen, wäre es schon gut. Aber nicht haben und tun,als habe man, leer sein und tun, als sei man voll, inVerlegenheit sein und tun, als lebe man herrlich undin Freuden: auf diese Weise ist es schwer, beharrlichzu sein.«


26. Fischfang und JagdDer Meister fing Fische mit der Angel, aber nie mitdem Netz; er schoß Vögel, aber nie, wenn sie imNeste saßen.


27. Erst wägen, dann wagenDer Meister sprach: »Es mag auch Menschen geben,die, ohne das Wissen zu besitzen, sich betätigen. Ichbin nicht von der Art. Vieles hören, das Gute davonauswählen und ihm folgen, vieles sehen und es sichmerken: das ist wenigstens die zweite Stufe der Weisheit.«


28. WeitherzigkeitDie Leute von Hu Hiang waren schwierig im Gespräch.Ein Knabe (aus jener Gegend) suchte denMeister auf. Die Jünger hatten Bedenken. Der Meistersprach: »Laßt ihn kommen, heißt ihn nicht gehen!Warum wollt ihr so genau sein? Wenn ein Menschsich selbst reinigt, um zu mir zu kommen, so billigeich seine Reinigung, ohne ihm seine früheren Tatenvorzurücken.«


29. Die Macht des Willens zur SittlichkeitDer Meister sprach: »Ist denn die Sittlichkeit gar sofern? Sobald ich die Sittlichkeit wünsche, so ist dieseSittlichkeit da.«


30. VersuchungDer Justizminister des Staates Tschen fragte, ob derFürst Dschau (von Lu) ein Mann sei, der die Regelndes Anstandes kenne. Meister Kung sprach: »Ja, erkennt die Regeln des Anstandes.« Als Meister Kungsich zurückgezogen hatte, machte der Minister eineVerbeugung vor dem Jünger Wu Ma Ki, daß er herankomme,und sprach: »Ich habe doch immer gehört,der Edle sei kein Schranz; aber es scheint, zuweilenist der Edle doch auch ein Schranz. Euer Fürst hateine Prinzessin aus dem Staate Wu geheiratet, die mitihm denselben Familiennamen6 trug, so daß er selbstfür nötig fand, sie einfach die Fürstin von Wu (unterWeglassung des Familiennamens Gi) zu nennen.Wenn dieser Fürst Anstand hat, dann weiß ich nicht,wer keinen hat.« – Der Jünger Wu Ma Ki hinterbrachtedie Sache dem Meister. Der Meister sprach:»Fürwahr, glücklich bin ich zu nennen: wenn ich Fehlermache, so bemerken die Menschen sie sicher.«


31. Gesang und BegleitungWenn der Meister mit einem Mann zusammen war,der sang und es gut machte, so ließ er ihn sicher wiederholenund sang das zweitemal selber mit.


32. Theorie und PraxisDer Meister sprach: »Was die literarische Ausbildunganlangt, kann ich es durch Anstrengung wohl anderngleichtun. Aber (die Stufe) eines Edlen, der in seinerPerson (seine Überzeugungen) in Handeln umsetzt,habe ich noch nicht erreicht.«


33. Genialität und FleißDer Meister sprach: »Was Genialität und Sittlichkeitanlangt: wie könnte ich wagen (darauf Anspruch zumachen); nur, daß ich ohne Überdruß danach strebeund andre lehre, ohne müde zu werden: das mag wohlvielleicht gesagt werden.« Gung Si Hua sprach:»Ganz recht; das eben können wir Jünger nicht lernen.«


34. Über das GebetDer Meister war schwer krank. Dsï Lu bat, für ihnbeten lassen zu dürfen. Der Meister sprach: »Gibt esso etwas?« Dsï Lu erwiderte und sprach: »Ja, es gibtdas. In den Lobgesängen heißt es: ›Wir beten zu euch,ihr Götter oben und ihr Erdgeister unten.‹« Der Meistersprach: »Ich habe lange schon gebetet.«7


35. Das kleinere ÜbelDer Meister sprach: »Verschwendung führt zu Unbotmäßigkeit.Sparsamkeit führt zu Ärmlichkeit. Aberimmer noch besser als Unbotmäßigkeit ist die Ärmlichkeit.«


36. Der Edle und der Gemeine:Seelenruhe und SorgenDer Meister sprach: »Der Edle ist ruhig und gelassen,der Gemeine ist immer in Sorgen und Aufregung.«


37. Des Meisters CharakterDer Meister war in seinem Wesen mild und dochwürdevoll. Er war Ehrfurcht gebietend und doch nichtheftig. Er war ehrerbietig und doch selbstbewußt.


Fußnoten1 Wer der »alte Pong« eigentlich ist, läßt sich nichtfeststellen. Die einen sehn darin Lau dsï, andere PongDsu, der 700–800 Jahre gelebt haben soll: der chinesischeMethusalah, wieder andre einen nicht näher bekanntenMann aus der Zeit der Yindynastie.2 Der Fürst Dschou, der Sohn des Königs Wen undBruder des Königs Wu, gehört zu den Begründern derDschoudynastie. Er wurde von seinem Bruder alsLehnsfürst des Staates Lu eingesetzt, daher die exemteStellung, die der an sich kleine Staat auch späterbewahrt hat. Er war für Kung das hochverehrte Vorbild,das ihm im Wachen und im Traum immer vorAugen stand. Vielleicht war gerade der Umstand, daßder Fürst Dschou, ohne selbst auf dem Thron zu sitzen,so großen Einfluß ausüben konnte, ein Grundmehr für Kung, sich ihm verwandt zu fühlen. ImAlter, als er seine Hoffnungen allmählich zerrinnensah, als er so resignierte Worte sprach wie das in LunYü VII, 1, da hörten auch die Träume vom FürstenDschou auf, daher hier diese Klage.3 Die Schaumusik war die zu Kungs Zeit in demStaate Tsi noch bekannte alte chinesische Musik. Siewird dem Kaiser Schun zugeschrieben. Der tiefe Ein-


druck, den Kung von ihr erhielt, zeigt uns deutlich,daß die Musik im chinesischen Altertum etwas ganzanderes war als im heutigen China, wo sie eine rechtuntergeordnete Rolle spielt. Die – heute vollständigverlorengegangene – alte chinesische Musik gab eineVermittlung des geistigen Wesens ihres Urhebers. Sobringt die Schaumusik das Wesen des alten HerrschersSchun dem Kung vor die Seele in unmittelbaremVerständnis. Der Abschnitt ist daher mit demTräumen von dem Fürsten von Dschou verwandt.4 Der Grund für diese indirekte Art zu fragen liegt indem Umstand, daß gerade zu jener Zeit der Meisterim Gebiet von We war. Eine direkte Kritik der Thronverhältnissehätte daher den Gesetzen des Dekorumswidersprochen. Daher mußte Dsï Gung eine Methodeanwenden, die es dem Meister möglich machte, an derHand eines historischen Vorfalls sein Urteil abzugeben.Was Be J und Schu Tsi angeht, so war ihr Verhaltengerade das Gegenteil von dem des Fürsten vonWe, und indem Kung es nicht nur billigte, sondernsogar bewunderte, sprach er sein Urteil über den Fürsten.5 Das »Buch des Wandels« I Ging ist wohl dasjenigechinesische Buch, das die ältesten Bestandteile enthält.Es ist eigentlich ein Buch der Wahrsagung. Dieder Wahrsagung zugrunde liegenden Prinzipien bezie-


hen sich auf die Einrichtung der Natur, den Zusammenhangund die Entwicklung der Angelegenheitendes Menschenlebens und das Verhältnis von Menschund Welt. Es ist überaus schwer verständlich, und dieChinesen finden jede Wahrheit hineingeheimnißt.Kungs esoterische Lehren beruhen hauptsächlich aufseinen Prinzipien. Er hat es in seinem Alter so oft gelesen,daß der Einband dreimal erneuert werdenmußte.6 Die regierende Familie von Wu war ebenso wie dievon Lu direkt mit dem königlichen Hause derDschoudynastie verwandt (vgl. VIII, 1 Anmerkung1); beide hatten den Familiennamen Gi. Währendman sonst bei der Ankunft der Braut den Familiennamenaußer dem Namen des Staates, von dem sie kam,zu nennen pflegte in der öffentlichen Bekanntgabe andas Volk, hatte es der Fürst Dschau in diesem Fall fürbesser gehalten, den Familiennamen der Braut ganzzu unterdrücken und sie einfach als Prinzessin zu bezeichnen,da es in China bis auf den heutigen Tag alsgrober Verstoß gegen den Anstand gilt, wenn maneine Frau desselben Familiennamens heiratet. DiesesVertuschungssystem des Fürsten hatte in den Nachbarstaatenwohl noch mehr Hohn herausgefordert.Daher der mephistophelische Spott, mit dem der Ministerden Kung vor seinem eignen Jünger zu treffensucht. Kung hatte die irreführende Antwort zunächst


gegeben, um sich seines Fürstenhauses anzunehmenund keinen Vorwurf auf den Fürsten Dschau kommenzu lassen. Schön ist der Zug, wie Kung den Vorwurfohne Gegenwehr auf sich sitzen läßt; damit deckt erden Fürsten vor Verunglimpfung.7 Das Wort Kungs in nicht ganz eindeutig. Jedenfallsist es so zu verstehen, daß Kung das Wortgeplapperder Gebetslitaneien ablehnt.


Buch VIII1. Verborgene VerdiensteDer Meister sprach: »Tai Be: von ihm kann mansagen, daß er die höchste Tugend erreicht hat. Dreimalverzichtete er auf das Reich, und das Volk kamnicht dazu, ihn darum zu loben.«


2. Unvollkommenheit guter Gesinnung ohneTaktDer Meister sprach: »Ehrerbietung ohne Form wirdKriecherei, Vorsicht ohne Form wird Furchtsamkeit,Mut ohne Form wird Auflehnung, Aufrichtigkeit ohneForm wird Grobheit.Wenn der Fürst seine Verwandten hochhält, sowird das Volk sich entwickeln zur Sittlichkeit; wenner seine alten Freunde nicht vernachlässigt, so wirddas Volk nicht niedriggesinnt.«


3. Vorsicht im LeibeslebenMeister Dsong war krank. Da rief er seine Schüler zusich und sprach: »Deckt meine Füße auf, deckt meineHände auf (und sehet, daß sie unverletzt sind). ImLiede heißt es: ›Wandelt mit Furcht und Zittern, alsstündet ihr vor einem tiefen Abgrund, als trätet ihr aufdünnes Eis.‹ Nun und immerdar ist es mir gelungen,meinen Leib unversehrt zu halten,1 o meine Kinder.«


4. Das SchwanenliedMeister Dsong war krank. Da kam der Freiherr MongGing und fragte (nach seinem Befinden). MeisterDsong redete und sprach also: »Wenn der Vogel amSterben ist, so ist sein Gesang klagend; wenn derMensch am Sterben ist, so sind seine Reden gut. DreiGrundsätze sind, die ein Fürst hochhalten muß: Inseinem Benehmen und allen Bewegungen halte er sichfern von Rohheit und Nachlässigkeit, er ordne seinenGesichtsausdruck, daß er Vertrauen einflößt, er bemühtsich, bei allen seinen Reden sich fernzuhaltenvon Gemeinheit und Unschicklichkeit. Was dagegendie Opfergefäße (und derartige spezielle Fachkenntnisse)anlangt, so gibt es dafür berufene Beamte.«


5. DemutMeister Dsong sprach: »Begabt sein und doch nochvon Unbegabten lernen; viel haben und doch nochvon solchen lernen, die wenig haben; haben als hätteman nicht, voll sein als wäre man leer; beleidigt werdenund nicht streiten: einst hatte ich einen Freund,der in allen Dingen so handelte.«


6. Treue eines fürstlichen VormundsMeister Dsong sprach: »Wem man einen jungen verwaisten(Fürsten) anvertrauen kann, und wem der Befehlüber einen Großstaat übergeben werden kann,und wer auch gegenüber von großen Dingen sichnichts rauben läßt: ist das ein edler Mensch? Das istein edler Mensch!«


7. Die schwere Last und der weite WegMeister Dsong sprach: »Ein Lernender kann nichtsein ohne großes Herz und starken Willen; denn seineLast ist schwer, sein Weg ist weit. Die Sittlichkeit,die ist seine Last: ist sie nicht schwer? Im Tode erstist er am Ziel: ist das nicht weit?«


8. Poesie, Formen, MusikDer Meister sprach: »Wecken durch die Lieder, festigendurch die Formen, vollenden durch die Musik.«


9. Über das VolkDer Meister sprach: »Das Volk kann man dazu bringen,(dem Rechten) zu folgen, aber man kann es nichtdazu bringen, es zu verstehen.«


10. Gründe des UmsturzesDer Meister sprach: »Wenn einer Mut liebt und dieArmut haßt, so macht er Aufruhr; wenn ein Menschnicht sittlich ist und man haßt ihn zu sehr, so macht erAufruhr.«


11. Talente ohne moralischen WertDer Meister sprach: »Wenn einer die Schönheit derTalente des Fürsten Dschou hat, aber bei ihrer Anwendunghochfahrend und knickerig ist, so ist das übrigekeines Blickes wert.«


12. Häufigkeit des BrotstudiumsDer Meister sprach: »Drei Jahre lernen, ohne nachBrot zu gehen, das ist nicht leicht zu erreichen.«


13. Charakterbildung und ihr Verhältnis zurWeltDer Meister sprach: »(1.) Aufrichtig und wahrhaft,bis zum Tode treu dem rechten Weg: (2.) ein gefährdetesLand nicht betreten, in einem aufständischenLand nicht bleiben: wenn auf Erden Ordnungherrscht, dann sichtbar werden, wenn Unordnungherrscht, verborgen sein. (3.) Wenn in einem LandeOrdnung herrscht, so ist Armut und Niedrigkeit eineSchande; wenn in einem Lande Unordnung herrscht,dann ist Reichtum und Ansehen eine Schande.«


14. Gegen KamarillawirtschaftDer Meister sprach: »Wer nicht das Amt dazu hat, derkümmere sich nicht um die Regierung.«


15. Der Kapellmeister Dschï und das Guan DsüLiedDer Meister sprach: »Als der Kapellmeister Dschïsein Amt antrat, da kamen die vollen Versschlüssedes Guan Dsï Liedes zu mächtiger Wirkung. Wiefüllten sie das Ohr!«


16. Schatten ohne LichtDer Meister sprach: »Zugreifend und doch nicht gradeaus,unwissend und doch nicht aufmerksam, einfältigund doch nicht gläubig: mit solchen Menschenweiß ich nichts anzufangen.«


17. Das Geheimnis des LernensDer Meister sprach: »Lerne, als hättest du's nicht erreicht,und dennoch fürchtend, es zu verlieren.«


18. Die heiligen Herrscher des AltertumsI: Schun und YüDer Meister sprach: »Erhaben war die Art, wie Schunund Yü den Erdkreis beherrschten, ohne daß sie etwasdazu taten.«


19. Die heiligen Herrscher des AltertumsII: YauDer Meister sprach: »Groß wahrlich ist die Art, wieYau Herrscher war. Erhaben: nur der Himmel istgroß, nur Yau entsprach ihm. Unendlich: das Volkkonnte keinen Namen finden. Erhaben war die Vollendungseiner Werke, strahlend waren seine Lebensordnungen.«Yau zeigte die wahre Herrschergröße. Er legte den Grundder Kultur für alle Zeiten; denn er richtete sich in seinenEinrichtungen nach den ewigen göttlichen Weltgesetzenund brachte so das Leben der Menschheit in Harmoniemit dem Weltganzen. So überragend war seine Größe,daß sie wie Gottes Größe die Begriffe der Menschenüberstieg und er scheinbar ganz in den Hintergrund trat.Auf diese Weise brachte er die wirtschaftliche Neuschöpfunghervor, indem er durch Yü die Wasserläufe regulierenließ und so erst die Möglichkeit eines gesicherten Lebensschuf. Yüs Name wurde dabei gepriesen, er selbstverschwand hinter seinem Werk. So vollendete er die moralischeund ästhetische Sozialordnung durch Lebensordnungenund Musik. Schuns Name ist mit diesen Schöpfungenverknüpft, die Yaus Genie ins Leben rief und diedas Licht der Kultur erst aufleuchten ließen, das leuchtetbis auf den heutigen Tag. Diese Art, Werke und Lebensordnungenvon ewiger Notwendigkeit zu schaffen, deren


Lebensfähigkeit sich gleichsam ganz von ihm loslösteund ihnen selbständiges Dasein verlieh, das ist die überragendeGröße des Schöpfers unsrer Kultur.


20. Die heiligen Herrscher des AltertumsIII: Yau, Schun, Wu, WenSchun hatte an Beamten fünf Männer, und der Erdkreiswar in Ordnung. König Wu sprach: »Ich habean tüchtigen Beamten zehn Menschen.« Meister Kungsprach: »Genies sind schwer zu finden: ist das nichtein wahres Wort? Die Zeit des Zusammentreffens vonYau (Tang) und Schun (Yü) ist dadurch so blühend.«Doch war eine Frau darunter, so daß es im ganzen nurneun Männer waren.»Von den drei Teilen des Erdkreises zwei zu besitzenund dennoch dem Hause Yin treu zu bleiben: daswar die Tugend des Gründers des Hauses Dschou.Von ihm kann man sagen, daß er die höchste Tugenderreicht hat.«


21. Die heiligen Herrscher des AltertumsIV: YüDer Meister sprach: »An Yü kann ich keinen Makelentdecken. Er war sparsam in Trank und Speise, aberer war fromm vor Gott. Er trug selbst nur schlichteKleidung, aber (beim Gottesdienst) war er in Purpurund Krone zugegen. Er wohnte in einer geringenHütte, aber er verwandte alle Mittel auf die Regulierungder Gewässer. An Yü kann ich keinen Makelentdecken.«2


Fußnoten1 Der Leib, der von den Eltern unversehrt überkommenist, soll gewissenhaft geschont werden, damit erkeinen Schaden nimmt. Das ist auch eine Forderungder Pietät. Der zugrunde liegende Gedanke ist dasVerantwortlichkeitsgefühl dem Leib als einem anvertrautenGut gegenüber.2 Dieser Abschnitt verteidigt die große EinfachheitYüs, der vom Pflug zum Thron aufgestiegen war. Eswird von ihm erzählt, daß er unter dem Essen sich oftzehnmal von Bittstellern unterbrechen ließ und daß erbeim Waschen des Morgens dreimal sein Haar provisorischaufstecken mußte, um Geschäfte zu erledigen.Ihm wird die Flußregulierung in der nordchinesischenEbene zugeschrieben. Er zuerst hat dem Gelben Flußein festes Bett gegeben, zurzeit als er sintflutartigalles überschwemmte. Während dieser Zeit kam er imLaufe von vielen Jahren dreimal an seinem Haus vorbei,ohne zum Hineingehen Zeit zu finden. – Der Sinnunsres Abschnitts ist nun, daß Yü bei aller persönlichenSparsamkeit es nicht an der Sorge für andre undfür das öffentliche Wohl habe fehlen lassen.


Buch IX1. EsoterischesWorüber der Meister selten sprach, war: der Lohn,der Wille Gottes, die Sittlichkeit.


2. Genie und TalenteI: Der Mann aus Da HiangEin Mann aus der Gegend von Da Hiang sprach:»Meister Kung ist gewiß ein großer Mann und hatausgebreitete Kenntnisse, aber er hat nichts Besonderesgetan, das seinen Namen berühmt machen würde.«Der Meister hörte das und sprach zu seinen Jüngernalso: »Was könnte ich denn (für einen Beruf) ergreifen?Soll ich das Wagenlenken ergreifen oder sollich das Bogenschießen ergreifen? Ich denke, ich mußwohl das Wagenlenken ergreifen.«1


3. Mode und SinnDer Meister sprach: »Ein leinener Hut ist eigentlichdem Ritual entsprechend. Heutzutage benutzt manseidene. Es ist sparsam, so richte ich mich nach derAllgemeinheit. Unten (an den Stufen der Halle) sichzu beugen, ist eigentlich dem Ritual entsprechend.Heutzutage macht man die Verbeugung oben. Dochdas ist anmaßend, deshalb – ob ich auch von der Allgemeinheitabweiche, ich richte mich nach (dem Ritualder Verbeugung) unten.«


4. Negative TugendenDer Meister war frei von vier Dingen: er hatte keineMeinungen, keine Voreingenommenheit, keinen Starrsinn,keine Selbstsucht.


5. GottvertrauenAls der Meister in Kuang gefährdet war, sprach er:»Da König Wen nicht mehr ist, ist doch die Kulturmir anvertraut? Wenn der Himmel diese Kultur vernichtenwollte, so hätte ein spätgeborner Sterblichersie nicht überkommen. Wenn aber der Himmel dieseKultur nicht vernichten will: was können dann dieLeute von Kuang mir anhaben?«


6. Genie und TalenteII: Der MinisterEin Minister fragte den Dsï Gung und sprach: »Isteuer Meister nicht ein Genie? Wie zahlreich sindseine Talente!« Dsï Gung sprach: »In der Tat, wennihm der Himmel Gelegenheit gibt, wird er sich alsGenie beweisen; außerdem hat er viele Talente.«Der Meister hörte es und sprach: »Woher kenntmich denn der Minister? Ich hatte eine harte Jugenddurchzumachen, deshalb erwarb ich mir mancherleiTalente. Aber das sind Nebensachen. Kommt es denndarauf an, daß der Edle in vielen Dingen Bescheidweiß? Nein, es kommt gar nicht auf das Vielerlei an.«Lau sprach: »Der Meister pflegte zu sagen: ›Ichhabe kein Amt; deshalb kann ich mich mit der Kunstbeschäftigen.‹«


7. Der Meister und sein WissenDer Meister sprach: »Ich hätte (geheimes) Wissen?Ich habe kein (geheimes) Wissen. Wenn ein ganz gewöhnlicherMensch mich fragt, ganz wie leer, so legeich es von einem Ende zum andern dar und erschöpfees.«


8. Kein ZeichenDer Meister sprach: »Der Vogel Fong kommt nicht,aus dem Fluß kommt kein Zeichen: Es ist aus mitmir!«Der Meister sprach: »Aus alten Zeiten ist uns die Kundeüberliefert, daß heilige Phönixvögel kamen und ihren Rufertönen ließen, daß geheime Zeichen ans Licht kamen aufdem Rücken der heiligen Schildkröte des Gelben Flusses.Das waren Zeichen, daß ein heiliger Herrscher auf Erdenweilte, der die Welt mit machtvoller Hand regierte. DieseZeiten sind vorüber. Kein Zeichen vom Himmel deutetauf das Erscheinen eines solchen Herrschers. So gibt esdenn für mich keinen Platz auf Erden, wo ich wirkenkönnte. Ich muß meine Hoffnung begraben.«


9. Ehrfurcht vor Rang und UnglückWenn der Meister jemand in Trauer sah, jemand imHofgewand oder einen Blinden: so stand er bei ihremAnblick auf, auch wenn sie jünger waren; mußte er anihnen vorbei, so tat er es mit raschen Schritten.


10. Das Ideal und der SchülerYen Yüan seufzte und sprach: »Ich sehe empor, undes wird immer höher, ich bohre mich hinein, und eswird immer undurchdringlicher. Ich schaue es vormir, und plötzlich ist es wieder hinter mir. Der Meisterlockt freundlich Schritt für Schritt die Menschen.Er erweitert unser Wesen durch (Kenntnis der) Kultur,er beschränkt es durch (die Gesetze des) Geziemenden.Wollte ich ablassen, ich könnte es nichtmehr. Wenn ich aber alle meine Kräfte erschöpft habeund glaube es schon erreicht, so steht es wieder klarund fern. Und wenn ich noch so sehr ihm folgenmöchte, es ist kein Weg dahin!«


11. Der Meister im SterbenDer Meister war auf den Tod krank. Dsï Lu traf Veranstaltungen,daß die Jünger (beim Todesfall undbeim Begräbnis) als Minister funktionieren sollten.Als die Krankheit etwas nachließ, sprach (der Meister):»Immer macht der Yu unaufrichtige Geschichten!Keine Minister zu haben, und tun, als hätte ichwelche: wen wollen wir denn damit betrügen? Wollenwir etwa den Himmel betrügen? Und (meint ihr denn,ich möchte) in den Händen von Ministern sterben undnicht vielmehr in den Armen meiner getreuen Jünger?Und wenn ich auch kein fürstliches Begräbnis bekomme,so sterbe ich ja doch auch nicht auf der Landstraße.«


12. Der EdelsteinDsï Gung2 sprach: »Wenn ich hier einen schönen Nephrithabe, soll ich ihn in einen Kasten stecken undverbergen oder soll ich einen guten Kaufmann suchenund ihn verkaufen?«Der Meister sprach: »Verkaufe ihn ja! Verkaufe ihnja! Aber ich würde warten auf den Kaufmann.«


13. Die BarbarenDer Meister äußerte den Wunsch, unter den neun Barbarenstämmendes Ostens zu wohnen.3 Jemandsprach: »Sie sind doch so roh; wie wäre so etwasmöglich!« Der Meister sprach: »Wo ein Gebildeterweilt, kann keine Roheit aufkommen.«


14. Reform der MusikDer Meister sprach: »Nachdem ich von We nach Luzurückgekehrt4 war, da wurde die Musik in Ordnunggebracht. Die Festlieder und Opfergesänge kamen allean ihren rechten Platz.«


15. Der Geist der LebenskunstDer Meister sprach: »Nach außen dem Fürsten undVorgesetzten dienen, nach innen dem Vater und älterenBruder dienen, bei Trauerfällen gewissenhaft alleGerechtigkeit erfüllen, (bei Festen) sich vom Weinnicht überkommen lassen: was kann ich dazu tun?«Die wahre Lebenskunst hat nur der erreicht, der in allenSituationen Takt besitzt und auf diese Weise ganz vonselbst sich richtig benimmt. Dieser Takt wird ihn leiten inder Öffentlichkeit bei seinem amtlichen Verkehr mit Fürstenund Vorgesetzten. Dieser feine Takt ist aber ebensonötig im häuslichen Kreise im Verkehr mit Eltern undBrüdern. Dieser selbe Takt gibt den Ernst der Gesinnung,der in Trauerfällen den Heimgegangenen die letzten Liebespflichtengewissenhaft widmet. Durch diesen Takt,der die Schranken des Geziemenden kennt, wird man bewahrt,sich vom Rausch der Festfreude und des Weinsüberwältigen zu lassen. Aber wie gesagt: dieser Takt istetwas, das im Menschen selber leben muß. Er kann ihmnicht mechanisch von außen beigebracht werden.


16. Der FlußDer Meister stand an einem Fluß und sprach: »Sofließt alles dahin, wie dieser Fluß, ohne AufhaltenTag und Nacht!«


17. Himmlische und irdische LiebeDer Meister sprach: »Ich habe noch keinen gesehen,der moralischen Wert liebt ebenso, wie er die Frauenschönheitliebt.«


18. Stillstand und FortschrittDer Meister sprach: »Nehmt zum Vergleich einenHügel, der fertig ist bis auf einen Korb Erde; bleibt esdabei, so bedeutet es für mich einen Stillstand. Nehmtzum Vergleich den ebenen Grund, es mag erst einKorb Erde aufgeworfen sein; geht es weiter, so bedeutetes für mich einen Fortschritt.«


19. BeharrlichkeitDer Meister sprach: »Wenn man mit ihm sprach, niemalszu erlahmen: das war Huis Art!«


20. Beständiger FortschrittDer Meister sagte in Beziehung auf Yen Yüan: »Ach,ich habe ihn (immer) fortschreiten sehen, ich habe ihnnie stillstehen sehen!«


21. Blüten und FrüchteDer Meister sprach: »Daß manches keimt, das nichtzum Blühen kommt, ach, das kommt vor! Daß manchesblüht, das nicht zum Reifen kommt, ach, daskommt vor!«


22. Ehrfurcht vor dem kommenden GeschlechtDer Meister sprach: »Vor dem spätergeborenen Geschlechtmuß man heilige Scheu haben. Wer weiß, obdie Zukunft es nicht der Gegenwart gleichtun wird?Wenn einer aber vierzig, fünfzig Jahre alt gewordenist, und man hat noch nichts von ihm gehört, dannfreilich braucht man ihn nicht mehr mit Scheu zu betrachten.«


23. Zustimmung und TatDer Meister sprach: »Worte ernsten Zuredens: werwird denen nicht zustimmen? Aber worauf es ankommt,das ist Besserung (des Lebens). Worte zarterAndeutung: wer wird die nicht freundlich anhören?Aber worauf es ankommt, das ist ihre Anwendung(auf die Praxis). Freundliches Anhören ohne Anwendung,Zustimmung ohne Besserung: was kann ichdamit anfangen?«


24. Treu und GlaubenDer Meister sprach: »Mache Treu und Glauben zurHauptsache, habe keinen Freund, der dir nicht gleichist. Hast du Fehler, scheue dich nicht, sie zu verbessern.«


25. Die Macht des KleinstenDer Meister sprach: »Einem Heer von drei Armeenkann man seinen Führer nehmen; dem geringstenMann aus dem Volk kann man nicht seinen Willennehmen.«


26. Dsï Lus Lob und TadelDer Meister sprach: »Mit einem ärmlichen hänfenenRock bekleidet zu sein und an der Seite von andern zustehen, die kostbares Pelzwerk tragen, ohne sich zuschämen: das bringt Yu fertig.Der keinem schadet, nichts begehrt,Wie tät' er nicht, was gut und recht?«Dsï Lu sang darauf die Strophe dauernd vor sich hin.Der Meister sprach: »Dieser Weg allein führt abernoch nicht bis zur Vollkommenheit.«


27. Im WinterDer Meister sprach: »Wenn das Jahr kalt wird, dannerst merkt man, daß Föhren und Lebensbäume immergrünsind.«


28. Der dreifache SiegDer Meister sprach: »Weisheit macht frei von Zweifeln,Sittlichkeit macht frei von Leid, Entschlossenheitmacht frei von Furcht.«


29. Gefährten auf dem LebenswegDer Meister sprach: »Manche können mit uns gemeinsamlernen, aber nicht gemeinsam mit uns dieWahrheit erreichen. Manche können mit uns gemeinsamdie Wahrheit erreichen, aber nicht gemeinsammit uns sich festigen. Manche können gemeinsam mituns sich festigen, aber nicht gemeinsam mit uns (dieEreignisse) abwägen.«


30. Fernes Gedenken»Die roten KirschenblütenSchließen der Kelche Rand.Wie wollt' ich dein nicht gedenkenFern, ach, im Heimatland!«Der Meister sprach: »Das ist noch kein wirklichesGedenken. Was könnte dem die Ferne tun?«


Fußnoten1 Das Scherzwort Kungs anläßlich der Äußerung desUnbekannten, der bei aller Größe Kungs spezielleTaten und Talente vermißt, die sich statistisch nachweisenlassen, zeigt den Gegensatz der Standpunkteunter den Menschen, den auch Schiller im Auge hat indem bekannten Wort, daß edle Naturen mit dem bezahlen,was sie sind, Gemeine mit dem, was sie tun.2 Dsï Gung konnte es nicht mit ansehen, daß der Meisterohne Amt blieb, statt sich bei einem Fürsten derZeit einen einflußreichen Posten zu besorgen und soseinen Lehren Erfolg zu verschaffen. Das legt er ihmim Gleichnis nahe. Der Meister antwortet im Gleichnisund erklärt seine Zurückhaltung.3 Der Ausspruch Kungs ist einer jener Ausbrüche derVerzweiflung, daß er zur Tatenlosigkeit und Erfolglosigkeitin China verurteilt sei. Die kulturstolze Bemerkungdes Ungenannten, daß mit China die Weltdes möglichen Wohnens aufhöre, weist er mit weitemBlick für das Menschenwesen zurück. Die Menschennaturist allenthalben so, daß sie dem Edlen sichbeugt und ihm entsprechend sich umgestaltet.4 Kung kehrte im 11. Jahr des Fürsten Ai von seinenWanderungen nach Lu zurück. Es war in seinem 69.


Lebensjahre, fünf Jahre vor seinem Tode.


Buch X1. Kungs Redeweise zu Haus und bei HofeMeister Kung war in seinem Heimatorte in seinemWesen voll anspruchsloser Einfachheit, als könnte ernicht reden. Im Tempel und bei Hofe dagegen spracher fließend, aber mit Überlegung.


2. Verkehr mit Beamten und FürstenBei Hofe sprach er mit den (ihm gleichgeordneten)Ministern zweiten Rangs frei und ungezwungen, mitden Ministern ersten Grades präzis und sachlich.Wenn der Fürst eintrat, war er in seinem Benehmenehrfurchtsvoll, doch gefaßt.


3. Bei StaatsbesuchenWenn ihn der Fürst zum Empfang eines Gastes befahl,so wurde seine Miene ernst, und seine Schrittewaren geschwind. Bei den Verbeugungen vor den nebenstehendenBeamten wandte er die zum Gruß erhobenenHände nach links und rechts. Seine Kleidungblieb dabei vorn und hinten in Ordnung. (Beim Geleitender Gäste) eilte er voran und (seine Arme waren)in leichter Schwingung. Nachdem der Gast sich zurückgezogen,machte er stets die Meldung: »Der Gastsieht sich nicht mehr um.«1


4. Während der AudienzWenn er durch das Palasttor trat, so beugte er sich,gleich als ob er kaum hindurch käme. Beim Stehenvermied er den Platz gegenüber von der Mitte desTors, beim Durchschreiten (des Tors) trat er nicht aufdie Schwelle. Wenn er am (leeren, äußeren) Thronvorbeikam, so wurde seine Miene ernst, und seineSchritte waren geschwind, er redete im Flüsterton. Erhielt sorgfältig den Saum seines Kleides empor, wenner zur Audienzhalle hinaufstieg. Er beugte sich undhielt den Atem an, gleich als wagte er nicht Luft zuschöpfen. Wenn er (von der Audienzhalle wieder herauskamund) die erste Stufe herabgestiegen war, solöste sich die Spannung in seinen Zügen, und er hatteeinen heiteren Ausdruck. Unten an den Stufen angekommen,eilte er vorwärts (und seine Arme waren) inleichter Schwingung. So kehrte er an seinen Platz zurückmit ehrfurchtsvollem Gesichtsausdruck.


5. Benehmen bei diplomatischen MissionenWenn er das Zepter (seines Fürsten) zu tragen hatte,so beugte er sich, gleich als sei er nicht fähig (es zutragen). Er hob es nicht höher, als man die Hand zumGruß erhebt (in Augenhöhe), und senkte es nicht tiefer,als man die Hand beim Überreichen einer Gabeausstreckt (in Brusthöhe). Seine Miene war ernst unddevot, seine Schritte waren langsam und gemessen.Beim Überreichen der Geschenke hatte er ein mildesWesen. Bei der Privataudienz war er freundlich undheiter.


6. KleiderregelnDer Edle nahm kein Blaurot oder Schwarzrot zumKleiderausputz. Gelbrot und violett nahm er nicht(einmal) für seine Hauskleider. In der heißen Zeit truger ungefütterte, gazeartige linnene Gewebe, aber beimAusgehen zog er immer noch ein Kleidungsstück darüberan. Dunkelbraune Kleidung trug er zusammenmit schwarzem Lammpelz, ungefärbte Kleidung mitRehpelz, gelbe Kleidung mit Fuchspelz. Zu Hausetrug er lange Pelzkleider, woran der rechte Ärmel kurzwar. Er trug immer Nachthemden, die anderthalbKörperlängen hatten. Beim Aufenthalt zu Hause gebrauchteer dicke Fuchs- oder Dachspelze. Außer beiTrauerfällen trug er sämtliche Nephritschmuckstücke.Außer bei den ungenähten Opfergewändern hatte erimmer nach der Figur genähte Kleider. SchwarzenLammpelz und dunkle Kopfbedeckung trug er nicht,wenn er Trauerbesuche machte. Zum Monatsanfangzog er Galakleidung an und stellte sich bei Hofe vor.


7. Das FastenBeim Fasten hatte er immer reine Kleider von Linnen.Beim Fasten änderte er immer die Speise und verließseinen (gewöhnlichen) Aufenthaltsplatz.


8. Das EssenBeim Essen verschmähte er es nicht, auf Reinigung(des Reises zu halten), beim Hackfleisch verschmähteer es nicht, auf Feinheit (zu halten). Reis, der verdorbenwar und schlecht, Fisch, der alt, und Fleisch, dasnicht mehr frisch war, aß er nicht. Was eine schlechteFarbe hatte, aß er nicht. Was einen schlechten Geruchhatte, aß er nicht. Was nicht richtig gekocht war, aßer nicht. Was nicht der Zeit entsprach, aß er nicht.Was nicht richtig geschlachtet war oder nicht die richtigeSauce hatte, aß er nicht. Wenn das Fleisch auchviel war, ließ er es nicht den Geschmack des Reisesverdecken. Nur im Weintrinken legte er sich keineBeschränkung auf, doch ließ er sich nicht von ihmverwirren. Gekauften Wein und Dörrfleisch vomMarkt genoß er nicht. Er hatte stets Ingwer beimEssen. Er aß nicht viel. Wenn er beim fürstlichenOpfer anwesend war, behielt er (den ihm zugewiesenenAnteil an) Fleisch nicht über Nacht. Opferfleischließ er nicht länger als drei Tage liegen. Was überdrei Tage alt war, das wurde nicht gegessen. BeimEssen diskutierte er nicht. Im Bett redete er nicht.Wenn er auch nur einfachen Reis und Gemüsesuppeund Gurken hatte, so brachte er doch ehrfurchtsvollein Speiseopfer dar.


9. Keine UnordnungWar die Matte nicht gerade, so setzte er sich nicht.


10. Ehrung alter SittenWenn die Dorfgenossen zusammen tranken und dieAlten aufbrachen, so brach er auf.Wenn die Dorfgenossen den Reinigungsumzughielten, so kleidete er sich in Hoftracht und stellte sichauf die östliche Treppe seines Hauses.


11. HöflichkeitWenn er jemand mit Grüßen in einen Nachbarstaatsandte, so verneigte er sich zweimal vor ihm und geleiteteihn.Freiherr Kang sandte ihm Medizin. Er empfing siemit einer Verbeugung und sprach: »Ich kenne ihreWirkung nicht, deshalb wage ich nicht, sie zu kosten.«2


12. Der StallbrandEinst brannte sein Stall. Der Meister kam von Hofezurück und fragte: »Ist auch nicht etwa ein Menschverletzt?« Er fragte nicht nach (dem Verlust an) Pferden.


13. Ehrung durch den FürstenWenn der Fürst ihm eine Speise sandte, so rückte erdie Matte gerade und kostete sie zuerst. Wenn derFürst ungekochtes Fleisch sandte, so ließ er es kochenund brachte es (seinen Ahnen) dar. Wenn der Fürstein lebendes Tier sandte, so hielt er es lebend. Wenner vom Fürsten zum Essen befohlen war und der Fürstdie Dankspende dargebracht hatte, kostete er alleSpeisen zuerst.Wenn er krank war und der Fürst ihn besuchte, solegte er sich mit dem Kopf nach Osten, legte die Hofkleidungüber sich und zog den Gürtel darüber. Wennihn der Fürst (zu Hof) befahl, so wartete er nicht, bisangespannt war, sondern ging zu Fuß voran.


14. Im königlichen HeiligtumWenn er das königliche Heiligtum betrat, erkundigteer sich nach jeder einzelnen Verrichtung.


15. Verhältnis zu FreundenWenn ein Freund gestorben war, der keine Angehörigenhatte, so sprach er: »Überlaßt es mir, ihn zu begraben.«Wenn ein Freund ihm etwas schenkte, und warenes selbst Pferde und Wagen: wenn es nicht Opferfleischwar, so machte er keine Verbeugung.


16. Das äußere BenehmenIm Bett lag er nicht (steif wie) ein Leichnam. Im täglichenLeben war er nicht formell.Wenn er jemand in Trauer sah, so änderte er (seinenGesichtsausdruck), auch wenn er ein guter Bekannterwar. Wenn er einen in Hofkopfbedeckungoder einen Blinden sah, so benahm er sich höflich,auch wenn er ihnen oft begegnete.Einen Leichenzug grüßte er (wenn er selbst imWagen fuhr) durch (Verbeugung bis zur) Querstütze.Ebenso begrüßte er die (Leute, welche die) Volkszählungslistentrugen.Wenn er bei einem reichen Mahl (zu Gaste) war, soänderte er seinen Ausdruck und erhob sich.Bei einem plötzlichen Donnerschlag oder einemheftigen Sturm änderte er stets (seinen Gesichtsausdruck).3


17. Im WagenWenn er den Wagen bestieg, stand er gerade und hieltdas Handseil. Im Wagen sah er nicht nach innen,sprach nicht hastig und deutete nicht mit dem Finger.


18. Die Fasanenhenne»Ein Anblick, und es steigt empor,Es fliegt umher und läßt sich wieder nieder.«Er sprach: »Auf der Bergbrücke eine Fasanenhenne.Zu ihrer Zeit! Zu ihrer Zeit!«Dsï Lu brachte sie dar. Er roch dreimal und erhobsich.4


Fußnoten1 Bei den Staatsbesuchen der Fürsten wurde in Chinagroßes Zeremoniell beobachtet. Kam der Gast an, sohatte er 90 Schritte westlich vor dem Palasttore vomWagen zu steigen und durch einen Kordon von Beamtensich mit dem ihn am Tor der Ahnenhalle erwartendenWirt zu verständigen. Auf beiden Seiten wurdenhierzu drei Stufen von Beamten ausgesucht, die, inbestimmten Abständen voneinander stehend, unterVerbeugungen nach rechts und links (beim Empfangund Weitergeben der Nachricht) die Verständigungder Fürsten vermittelten. Kung hätte seinem Amt entsprechendeigentlich nur den zweiten Rang der Gastempfängereinnehmen sollen. Er scheint jedoch wegenseiner Erfahrung auf diesem Gebiet zum wichtigen erstenRang, der eigentlich den höchsten Adelsgeschlechternzustand, berufen worden zu sein. Nachdemder Zweck des Besuchs auf diese Weise kundwar, kam der eigentliche Empfang. Beim Abschiedhatte der Wirt so lange am Tor zu warten, bis derGast sich nicht mehr umsah.2 Es war sonst für Beamte nicht üblich, mit dem Auslandzu verkehren. Kung machte eine Ausnahme.Seine Höflichkeit gegen den Boten war eine Ehrungfür den, dem die Botschaft galt. Freiherr Kang ist der


auch sonst genannte Minister Gi Kang von Lu. Eswar nicht Sitte, Medizin als Geschenk zu schicken, dadie Geschenke aus Höflichkeit beim Empfang gekostetwerden mußten und die Medizinen häufig giftigwaren. Kung nimmt das Geschenk an und gibt die Erklärung,warum er es nicht kostet, so daß er nicht alsunhöflich erscheint.3 In dem Donner und Sturmwind hörte man »dieStimme des Herrn«, daher geziemte sich Ehrfurcht.4 Die Fasanenhenne ist das Kreuz aller Erklärer undÜbersetzer. Die chinesischen Kommentare nehmenKorruption des Textes an, und man wird sich dabeiberuhigen müssen. Der rätselhafte Paragraph ist einwürdiger Schluß des rätselhaften Buches, das im ganzenund einzelnen dem Kritiker so manche ungelösteFrage darbietet.


Buch XI1. Alte und neue ZeitDer Meister sprach: »Die früheren Geschlechterwaren in Kultur und Musik rohe Menschen, die späterenGeschlechter sind in Kultur und Musik gebildet.Wenn ich (diese Dinge) auszuüben habe, so folge ichden früheren Geschlechtern.«


2. Die Jünger der WanderzeitDer Meister sprach: »Von denen, die mir folgten inTschen und Tsai, kommt keiner mehr zu meiner Tür.«Ethisch hochstehend waren: Yen Yüan, Min DsïKiën, Jan Be Niu, Dschung Gung; rhetorisch begabtwaren Dsai Wo und Dsï Gung; politisch tätig waren:Jan Yu und Gi Lu; ästhetisch und literarisch begabtwaren: Dsï Yu und Dsï Hia.Der Meister sprach: »Die Zeiten wechseln und die Menschen.Einst auf meinen Wanderungen war ich auch inden schlimmsten Tagen von Getreuen umgeben, die dieGefahren mit mir teilten. Wo sind sie hin? Teils gestorben,teils im Amt, teils in ihrer Heimat, aber keiner istmehr um mich.«


3. Yen Huis AuffassungsgabeDer Meister sprach: »Hui hilft mir nicht. Mit allem,was ich sage, ist er einverstanden (so daß sich nieeine Diskussion entspinnen kann).«


4. Min Dsï Kiäns PietätDer Meister sprach: »›Gehorsam wahrhaftig ist MinDsï Kiën!‹ Damit sagen die Leute nichts anderes alsseine eigenen Eltern und Brüder.«


5. Nan Yungs Besonnenheit und ihr LohnNan Yung wiederholte häufig das Lied vom weißenZepterstein. Meister Kung gab ihm die Tochter seinesälteren Bruders zur Frau.1


6. Welcher ist der größte unter den Jüngern?Der Freiherr Gi Kang fragte, wer unter den Jüngerndas Lernen liebe. Meister Kung entgegnete undsprach: »Da war Yen Hui, der liebte das Lernen. ZumUnglück war seine Zeit kurz, und er ist gestorben.Jetzt gibt es keinen mehr.«


7. Rücksicht auf die LebendenAls Yen Yüan gestorben war, bat Yen Lu um desMeisters Wagen, um dafür einen Sarkophag zu beschaffen.Der Meister sprach: »Begabt oder unbegabt:jedem steht doch sein Sohn am nächsten. Als (meinSohn) Li starb, hatte er einen Sarg, aber keinen Sarkophag;ich kann nicht zu Fuß gehen, um einen Sarkophagzu kaufen. Nachdem ich ein Öffentliches Amtbekleidet habe, geht es nicht an, daß ich zu Fußgehe.«2


8. GottverlassenheitAls Yen Yüan starb, sprach der Meister: »Wehe, Gottverläßt mich, Gott verläßt mich.«


9. Des Meisters Tränen um Yen HuiAls Yen Hui starb, brach der Meister in heftiges Weinenaus. (Die Schüler in) seiner Umgebung sagten:»Der Meister ist zu heftig.« Der Meister sprach:»Klage ich zu heftig? Wenn ich um diesen Mannnicht bitterlich weine, um wen sollte ich es danntun?«


10. Yen Huis BeerdigungAls Yen Yüan gestorben war, wollten die Jünger ihnprächtig beerdigen. Der Meister sagte, sie sollten esnicht tun. Aber die Jünger beerdigten ihn prächtig.Der Meister sprach: »Hui hat mich immer wie einenVater behandelt; mir war es nicht vergönnt, ihn wiemeinen Sohn zu behandeln. Aber nicht an mir lag es,sondern an euch, ihr meine Jünger.«


11. Tod und LebenGi Lu fragte über das Wesen des Dienstes der Geister.Der Meister sprach: »Wenn man noch nicht denMenschen dienen kann, wie sollte man den Geisterndienen können!«(Dsï Lu fuhr fort): »Darf ich wagen, nach dem(Wesen) des Todes zu fragen?« (Der Meister) sprach:»Wenn man noch nicht das Leben kennt, wie sollteman den Tod kennen?«


12. Im Kreise der seinenMeister Min stand zu seiner Seite mit ruhigem, gesetztemGesichtsausdruck, Dsï Lu blickte mutig drein,Jan Yu und Dsï Gung offen und frei.Der Meister freute sich. (Doch sprach er:) »DieserYu (Dsï Lu) wird einmal nicht eines natürlichenTodes sterben.«


13. Urteile über die JüngerI: Min Dsï KiënDie Leute von Lu bauten das lange Schatzhaus (neu).Min Dsï Kiën sprach: »Wie wäre es, wenn man dasalte erhalten würde? Warum muß man durchaus einandres bauen?« Der Meister sprach: »Dieser Mannredet selten, aber wenn er redet, trifft er (das Rechte).«


14. Urteile über die JüngerII: Dsï Lus LautenspielDer Meister sprach: »Die Laute Yus, was hat sie inmeinem Tor zu tun?« Da achteten die Jünger den DsïLu gering. Der Meister sprach: »Yu ist immerhin zurHalle emporgestiegen, wenn er auch die inneren Gemächernoch nicht betreten hat.«3


15. Urteile über die JüngerIII: Dsï Dschang und Dsï HiaDsï Gung fragte: »Schï oder Schang, wer ist besser?«Der Meister sprach: »Schï geht zu weit, Schang bleibtzurück.« (Dsï Gung) sprach: »Dann ist also wohlSchï der Überlegene.« Der Meister sprach: »Zu vielist grade so (falsch) wie zu wenig.«


16. Urteile über die JüngerIV: Jan Kiu im Dienst»Der Freiherr Gi ist reicher als die Fürsten Dschous,und Kiu sammelt für ihn die Steuern ein und vermehrtseine Habe«, sprach der Meister, »das ist kein Jüngervon mir. Meine Kinder, ihr möget die Trommel schlagenund ihn angreifen.«4


17. Urteile über die JüngerV: Dsï Gau, Dsong Schen, Dsï Dschang, Dsï LuTschai ist töricht, Schen ist beschränkt, Schï ist eitel,Yu ist roh.5


18. Urteile über die JüngerVI: Yen Hui und Dsï GungDer Meister sprach: »Hui, der wird es vielleicht (erreichen).Er ist stets leer. Sï hat nicht die Bestimmungempfangen, und seine Güter mehren sich. Wenn eretwas plant, so (gelingt es ihm) stets zu treffen.«


19. Talent und GenieDsï Dschang fragte über den Pfad des »guten Menschen«.Der Meister sprach: »Er wandelt nicht in denSpuren anderer, hat auch nicht die inneren Gemächerbetreten.«Dsï Dschang fragte nach dem Wesen des Talentes imUnterschied vom Genie. Der Meister sprach: »Wer Talenthat, kann selbst etwas produzieren. Aber trotz dieser überden Durchschnitt hervorragenden Begabung trennt ihndoch noch ein weiter Abstand von dem Kreise der innerenBerufenen, die intuitiv die Wahrheit erkennen wie dieheiligen Könige des Altertums, da ihm der Zusammenhangmit der Tradition und der Kulturüberlieferungfehlt.«


20. Gehalt der RedeDer Meister sprach: »Worte: sind sie ehrlich undwahr? Ist, der sie spricht, ein Edler? Oder ist er (nur)äußerlich anständig?«


21. Individuelle BehandlungDsï Lu fragte, ob er (die Lehren), die er gehört, sofortin die Tat umsetzen solle. Der Meister sprach: »Duhast doch noch Vater und Bruder (auf die du Rücksichtnehmen mußt). Wie kannst du da alles Gehörtesofort ausführen?«Jan Yu fragte (ebenfalls), ob er (die Lehren), die ergehört, sofort in die Tat umsetzen solle. Der Meistersprach: »Ja, hast du etwas gehört, so handle auch danach.«Gung Si Hua (hatte beides mit angehört und)sprach: »Yu fragte, ob er das Gehörte sofort ausführensolle. Da sprach der Meister: ›Du hast dochnoch Vater und Bruder.‹ Kiu fragt, ob er das Gehörtesofort ausführen solle. Da sprach der Meister: ›Hastdu etwas gehört, so handle auch danach.‹ Ich bin deshalbim unklaren und erlaube mir, um Aufschluß zubitten.« Der Meister sprach: »Kiu ist zögernd, deshalbmuß man ihn antreiben; Yu hat einen Überschußan Tatendrang, deshalb muß man ihn zurückhalten.«


22. BescheidenheitAls der Meister in Kuang in Gefahr war, blieb YenYüan zurück. Der Meister sprach: »Ich dachte schon,du seiest umgekommen.« Da sprach er: »Solange derMeister am Leben ist, wie könnte ich da wagen zusterben?«


23. Strenges UrteilGi Dsï Jan fragte über Dschung Yu (Dsï Lu) und JanKiu (Jan Yu), ob man sie als bedeutende Staatsmännerbezeichnen könne. Der Meister sprach: »Ich dachte,der Herr würde etwas Außerordentliches zu fragenhaben; nun ist es nur die Frage nach Yu und Kiu. Werden Namen eines bedeutenden Staatsmannes verdient,der dient seinem Fürsten gemäß der Wahrheit; wenndas nicht geht, so tritt er zurück. Was nun Yu undKiu anlangt, das sind einfache Angestellte.« Dasprach jener: »Dann folgen sie also (in allen Stükken)?«Der Meister sprach: »Bei einem Vatermordoder Fürstenmord werden sie doch nicht folgen.«


24. Notwendigkeit geistiger ReifeDsï Lu stellte den Dsï Gau als Beamten des KreisesBi (Fe) an. Der Meister sprach: »Du verdirbst dasMenschenkind.« Dsï Lu sprach: »Da hat er eine Bevölkerung(zu regieren) und den Göttern des Landesund des Korns zu opfern – warum muß man denn nurimmer hinter Büchern sitzen, um sich zu bilden?« DerMeister sprach: »(Diese Menschen haben doch immereine Ausrede!) Das ist's, warum ich diese zungenfertigeArt nicht leiden kann.«


25. HerzenswünscheDsï Lu, Dsong Si, Jan Yu und Gung Si Hua saßen(mit dem Meister) zusammen. Da sprach der Meister:»Obwohl ich ein paar Tage älter bin als ihr, so nehmetmich nicht so. Ihr sagt immer: ›Man kennt unsnicht.‹ Wenn euch nun ein (Herrscher) kennen würde(und verwenden wollte), was würdet ihr dann tun?«Dsï Lu fuhr sogleich heraus: »Wenn es ein Reichvon tausend Streitwagen gäbe, das eingeklemmt wärezwischen mächtigen (Nachbar-)Staaten, das außerdemvon großen Heeren bedrängt wäre und überdies unterMangel an Brot und Gemüsen litte: wenn ich es zu regierenhätte, so wollte ich es in drei Jahren so weit gebrachthaben, daß (das Volk) Mut hat und seinePflicht kennt.« Der Meister lächelte. »Und Kiu, wassagst du?« (Jan Kiu) antwortete: »Ein Gebiet von 60bis 70 Meilen im Geviert, oder sagen wir 50–60 Geviertmeilen:wenn ich das zu regieren hätte, so getrauteich mir wenigstens, es in drei Jahren so weit zubringen, daß das Volk genug zu leben hat. Was diePflege der Kultur und Kunst betrifft, die muß icheinem besseren Manne nach mir überlassen.«»Und Tschï, was sagst du?« (Gung Si Hua) antwortete:»Ich sage nicht, daß ich es schon kann, aberlernen möchte ich es: im kaiserlichen Ahnentempel


und bei kaiserlichen Audienzen im Festgewand undBarett wenigstens als niedriger Gehilfe zu dienen, dasist mein Wunsch.«»Diën, was sagst du?« Dsong Si verlangsamte seinLautenspiel, ließ die Laute verklingen und legte siebeiseite. Dann stand er auf und sprach: »Ach (meineWünsche) sind verschieden von den Plänen dieserdrei Freunde.« Der Meister sprach: »Was schadet es?Ein jeder soll seines Herzens Wünsche aussprechen.«Da sagte er: »Ich möchte im Spätfrühling, wenn wirdie leichteren Frühlingskleider tragen, mit fünf odersechs erwachsenen Freunden und ein paar Knaben imFlusse baden und im heiligen Hain des LufthauchsKühlung genießen. Dann würden wir ein Lied zusammensingen und heimwärts ziehen.« Der Meisterseufzte und sprach: »Ich halte es mit Diën.«Die drei andern Jünger gingen hinaus, nur DsongSi blieb zurück. Dsong Si sprach: »Was bedeuten dieWorte der drei Jünger?« Der Meister sprach: »Essprach eben jeder seines Herzens Wünsche aus, nichtsweiter.« – »Und warum lächelte der Meister über DsïLu?« – »Um ein Reich zu regieren, braucht es Takt.Seine Worte aber waren nicht bescheiden, darum lächelteich über ihn.« – »Dann hat also Jan Kiu nichtvon der Regierung eines Staates gesprochen?« –»Gewiß; denn wo gäbe es ein Gebiet von 60–70 oder50–60 Meilen im Geviert, das nicht ein Staat


wäre?« – »Und hat Gung Si Hua nicht auch voneinem Staat gesprochen?« – »Gewiß; denn im kaiserlichenAhnentempel und bei kaiserlichen Audienzen –wer hat außer den Landesfürsten dabei etwas zu tun?(Er sagte zwar bescheidener Weise nur, daß er alsniedriger Gehilfe dabei dienen wolle, aber) wenn einMann wie Tschï niedriger Gehilfe ist, wer sollte dannder Leiter sein?«


Fußnoten1 Das Lied vom weißen Zepterstein steht Schï GingIII; 3; 2, 5. Die Zeilen heißen: »Ein Flecken in einemweißen Nephritzepter kann weggeschliffen werden;Einen Flecken in der Rede kann man nicht beseitigen.«Die Beherzigung dieser Worte ist ein Zeichenfür die vorsichtige Zurückhaltung Nan Yungs.2 Yen Lu ist der Vater von Yen Hui (Yen Yüan) undwar ebenfalls Kungs Schüler. Da die Familie zu armwar, um einen Doppelsarg, wie er zu einem Begräbnisersten Rangs gehörte, kaufen zu können, stellt er dasobige Ansinnen an Kung. Kung war prinzipiell gegenjeden Beerdigungsluxus (vgl. IX, 11 und XI, 10), deshalbauch diese Ablehnung.3 Nach den Gia Yü war das Lautenspiel Dsï Lus mitkriegerischem Geist erfüllt, es offenbarte eine Lust zutöten, die Kung verletzte. Den alten Berichten nachmuß die alte chinesische Musik sehr genau die Seelenzuständeausgedrückt haben, und Kung hatte einbesonderes Verständnis für ihre Deutung. – Als dieandern Jünger den Dsï Lu aber diesen Tadel empfindenließen, nimmt sich Kung seiner an und erkenntseine überragende Begabung und seine Kenntnisse,denen nur die letzte harmonische Vollendung fehle,


an.4 Die Bemerkung war nicht so schlimm gemeint. Wares doch Jan Kiu gewesen, der Kungs Rückberufungnach Lu durchgesetzt hatte. Die Lektion galt weitmehr dem Freiherrn Gi als seinen Beamten.5 Diese Aussprudle über die Jünger klingen sehr hart,fast mehr wie lieblose Äußerungen der Mitschüleroder deren Nachfolger als wie Urteile des Meisters.Bezeichnenderweise fehlt auch das: »Der Meistersprach.«


Buch XII1. SittlichkeitI: SchönheitYen Yüan fragte nach (dem Wesen) der Sittlichkeit.Der Meister sprach: »Sich selbst überwinden und sichden Gesetzen der Schönheit zuwenden: dadurch bewirktman Sittlichkeit. Einen Tag sich selbst überwindenund sich den Gesetzen der Schönheit zuwenden:so würde die ganze Welt sich zur Sittlichkeit kehren.Sittlichkeit zu bewirken, das hängt von uns selbst ab;oder hängt es etwa von den Menschen ab?«Yen Yüan sprach: »Darf ich um Einzelheitendavon bitten?«Der Meister sprach: »Was nicht dem Gesetz derSchönheit entspricht, darauf schaue nicht; was nichtdem Gesetz der Schönheit entspricht, darauf hörenicht; was nicht dem Schönheitsideal entspricht,davon rede nicht; was nicht dem Schönheitsideal entspricht,das tue nicht.« Yen Yüan sprach: »Obwohlmeine Kraft nur schwach ist, will ich mich doch bemühen,nach diesem Wort zu handeln.«


2. SittlichkeitII: Ehrfurcht und NächstenliebeDschung Gung fragte nach (dem Wesen) der Sittlichkeit.Der Meister sprach: »Trittst du zur Tür hinaus,so sei wie beim Empfang eines geehrten Gastes. Gebrauchstdu das Volk, so sei wie beim Darbringeneines großen Opfers. Was du selbst nicht wünschest,das tue nicht den Menschen an. So wird es in demLand keinen Groll (gegen dich) geben, so wird es imHause keinen Groll (gegen dich) geben.«Dschung Gung sprach: »Obwohl meine Kraft nurschwach ist, will ich mich doch bemühen, nach diesemWort zu handeln.«


3. SittlichkeitIII: GründlichkeitSï Ma Niu fragte nach (dem Wesen) der Sittlichkeit.Der Meister sprach: »Der Sittliche ist langsam in seinenWorten.« Er antwortete: »Langsam in seinenWorten sein: das heißt Sittlichkeit?« – Der Meisterantwortete: »Wer beim Handeln die Schwierigkeitensieht: kann der in seinen Worten anders als langsamsein?«


4. Der Edle ist frei von Schwermut und AngstSï Ma Niu fragte nach dem (Wesen des) Edlen. DerMeister sprach: »Der Edle ist ohne Trauer und ohneFurcht.« Er sprach: »Ohne Trauer und ohne Furchtsein: das heißt ein Edler sein?« – Der Meister sprach:»Wenn einer sich innerlich prüft, und kein Übles daist, was sollte er da traurig sein, was sollte er fürchten?«


5. TrostSï Ma Niu war betrübt und sprach: »Alle Menschenhaben Brüder, nur ich habe keinen.« Dsï Hia sprach:»Ich habe gehört: Tod und Leben haben ihre Bestimmung,Reichtum und Ansehen kommen vom Himmel.Der Edle ist sorgfältig und ohne Fehl: im Verkehr mitden Menschen ist er ehrerbietig und taktvoll: so sindinnerhalb der vier Meere alle seine Brüder. Warumsollte der Edle sich bekümmern, daß er keine Brüderhat?«


6. Klarheit des GeistesDsï Dschang fragte nach (dem Wesen) der Klarheit.Der Meister sprach: »Auf wen langsam durchsikkerndeVerleumdungen und durch die Haut dringendeKlagen nicht wirken, den kann man als klar bezeichnen.Auf wen langsam durchsickernde Verleumdungenund durch die Haut dringende Klagen nicht wirken,ja, den kann man als weit (blickend) bezeichnen.«


7. StaatsregierungI: VertrauenDsï Gung fragte nach (der rechten Art) der Regierung.Der Meister sprach: »Für genügende Nahrung, für genügendeWehrmacht und für das Vertrauen des Volkes(zu seinem Herrscher) sorgen.« Dsï Gung sprach:»Wenn man aber keine Wahl hätte, als etwas davonaufzugeben: auf welches von den drei Dingen könnteman am ehesten verzichten?« (Der Meister) sprach:»Auf die Wehrmacht.« Dsï Gung sprach: »Wenn manaber keine Wahl hätte, als auch davon eines aufzugeben:auf welches der beiden Dinge könnte man amehesten verzichten?« (Der Meister) sprach: »Auf dieNahrung. Von alters her müssen alle sterben; wennaber das Volk keinen Glauben hat, so läßt sich keine(Regierung) aufrichten.«


8. Kern und SchaleGi Dsï Tschong sprach: »Dem Edlen kommt es aufdas Wesen an und sonst nichts. Was braucht er sichum die Form zu kümmern?« Dsï Gung sprach: »Bedauerlichist die Rede des Herren über den Edlen. EinViergespann holt die Zunge nicht ein. Die Form istWesen, das Wesen ist Form. Das von Haaren entblößteFell eines Tigers und Leoparden ist wie dasvon Haaren entblößte Fell eines Hundes oder Schafs.«


9. Volkswohlstand und StaatswohlstandFürst Ai fragte den Yu Jo und sprach: »Dies Jahr istTeuerung, die Bedürfnisse lassen sich nicht decken.Was ist zu tun?« Yu Jo entgegnete und sprach:»Warum nicht den allgemeinen Zehnten durchführen?«(Der Fürst) sprach: »Mit zwei Zehnten habe ichnoch immer nicht genug. Was soll man da mit demeinfachen Zehnten anfangen?« Er entgegnete undsprach: »Wenn die Untertanen genug haben, von wembekäme der Fürst nicht genug? Wenn die Untertanennicht genug haben, von wem bekäme der Fürstgenug?«


10. Innere UnklarheitenDsï Dschang fragte, wie man sein Wesen erhöhen undUnklarheiten unterscheiden könne. Der Meistersprach: »Treu und Glauben zur Hauptsache machen,der Pflicht folgen: dadurch erhöht man sein Wesen.Einen lieben und wünschen, daß er lebe; einen hassenund wünschen, daß er sterbe: also wünschen, daßeiner lebe, und wieder wünschen, daß einer sterbe,das ist Unklarheit.« ›Wahrlich nicht um ihres Reichtumswillen. Einzig nur um ihrer Besonderheit willen.‹(Die beiden letzten Zeilen sind ein Zitat aus SchïGing II, 4, 4, 3, das keinen Sinn im Zusammenhanggibt und nach Tschongs Kommentar, dem die meistenandern folgen, zu XVI, 12 gehört, wo ein Zitat ausgefallenist.)Der Jünger Dsï Dschang fragte, auf welche Weise manseinen Charakter entwickeln und die Unklarheiten des eigenenWesens aufhellen könne. Der Meister sprach: »DieEntwicklung und Erhöhung des Charakters wird erreichtdurch unbedingte Gewissenhaftigkeit und Wahrheit undfreie Unterwerfung unter das, was Pflicht ist. Die innerenUnklarheiten und Dunkelheiten des eigenen Wesens verschwindenvon selbst, sowie man sie nur einfach insAuge faßt. Das Gemütsleben der meisten Menschen wirdbeherrscht von blinden Sympathien und Antipathien. Jenach der Sympathie oder Antipathie, die uns beherrscht,


wünschen wir andern Leben oder Tod. Aber man darfsich nur einmal überlegen, was das heißt: Leben zu fördernsuchen und auf der andern Seite wieder Leben zuvernichten trachten, um zu erkennen, daß ein solcher Gemütszustandin dumpfer Unklarheit befangen ist. Ein klarerStandpunkt läßt sich also nur erreichen, wenn mansich durch Vernunft frei macht von der Beeinflussungdes niederen Trieblebens.«


11. StaatsregierungII: Soziale Ordnung als Grundlage des StaatswesensDer Fürst Ging von Tsi fragte den Meister Kung überdie Regierung. Meister Kung sprach: »Der Fürst seiFürst, der Diener sei Diener; der Vater sei Vater, derSohn sei Sohn.« Der Fürst sprach: »Gut fürwahr!Denn wahrlich, wenn der Fürst nicht Fürst ist und derDiener nicht Diener; der Vater nicht Vater und derSohn nicht Sohn: obwohl ich mein Einkommen habe,kann ich dessen dann genießen?«


12. Dsï Lus LobDer Meister sprach: »Nach einem einzelnen Worteinen Prozeß entscheiden, das konnte Yu.«Dsï Lu schlief nie über einem (gegebenen) Versprechen.


13. Prozesse entscheiden und Prozesse verhütenDer Meister sprach: »Im Anhören von Klagesachenbin ich nicht besser als irgend ein anderer. Woran miraber alles liegt, das ist, zu bewirken, daß gar keineKlagesachen entstehen.«


14. StaatsregierungIII: Unermüdliche GewissenhaftigkeitDsï Dschang fragte nach (dem Wesen) der Staatsregierung.Der Meister sprach: »Unermüdlich dabeisein und gewissenhaft handeln.«


15. SelbsterziehungDer Meister sprach: »Wer eine umfassende Kenntnisder Literatur besitzt und sich nach den Regeln derMoral richtet, der mag es wohl erreichen, Fehltritte zuvermeiden.«


16. Einfluß auf AndereDer Meister sprach: »Der Edle befördert das Schöneder Menschen und befördert nicht das Unschöne derMenschen. Der Gemeine macht es umgekehrt.«


17. StaatsregierungIV: Die Person des HerrschendenFreiherr Gi Kang fragte den Meister Kung nach (demWesen) der Regierung. Meister Kung sprach: »Regierenheißt recht machen. Wenn Eure Hoheit die Führungübernimmt im Rechtsein, wer sollte es wagen,nicht recht zu sein?«


18. Das Volk richtet sich nach der Person, nichtnach den WortenFreiherr Gi Kang war in Sorge wegen des Räuberunwesensund fragte den Meister Kung. Meister Kungentgegnete: »Wenn Eure Hoheit es nicht wünscht, sowird, ob selbst Belohnung darauf gesetzt würde, niemandrauben.«


19. StaatsregierungV: Wind und GrasFreiherr Gi Kang fragte den Meister Kung nach (demWesen) der Regierung und sprach: »Wenn man dieÜbertreter tötet, um denen, die auf rechtem Wegewandeln, zu helfen: wie wäre das?« Meister Kungentgegnete und sprach: »Wenn Eure Hoheit die Regierungausübt, was bedarf es dazu des Tötens? WennEure Hoheit das Gute wünscht, so wird das Volk gut.Das Wesen des Herrschers ist der Wind, das Wesender Geringen ist das Gras. Das Gras, wenn der Winddarüber hinfährt, muß sich beugen.«


20. Bedeutung und BerühmtheitDsï Dschang fragte: »Wie muß ein Gebildeter sein,um durchdringend zu heißen?« Der Meister sprach:»Was verstehst du denn unter durchdringend?« DsïDschang erwiderte: »In der Öffentlichkeit berühmtsein und zu Hause berühmt sein.« Der Meistersprach: »Das ist Berühmtheit, nicht Durchdringen.Ein bedeutender Mann ist seinem Wesen nach geradeund liebt Gerechtigkeit. Er prüft die Worte und durchschautdie Mienen. Er ist ängstlich darauf aus, sich zudemütigen vor den Menschen. Ein solcher ist in derÖffentlichkeit durchdringend und zu Hause durchdringend.Ein berühmter Mann aber hält sich im Äußerenan die Sittlichkeit, aber übertritt sie in seinem Handeln.Er verharrt (in seinem Selbstbewußtsein) ohneBedenken. Ein solcher ist in der Öffentlichkeit berühmtund zu Hause berühmt.«


21. Überwindung innerer UnklarheitenFan Tschï wandelte (mit dem Meister) unter dem Regenaltar;er sprach: »Darf ich fragen, wie man seinWesen erhöhen, seine geheimen Fehler bessern undUnklarheiten unterscheiden kann?« Der Meistersprach: »Das ist eine gute Frage! Erst die Arbeit,dann der Genuß: wird dadurch nicht das Wesen erhöht?Seine eignen Sünden bekämpfen und nicht dieSünden der andern bekämpfen: werden nicht dadurchdie geheimen Fehler gebessert? Um des Zorns einesMorgens willen seine eigne Person vergessen undseine Angehörigen in Verwicklungen bringen, ist dasnicht Unklarheit?«


22. Sittlichkeit und WeisheitFan Tschï fragte nach (dem Wesen) der Sittlichkeit(Menschlichkeit). Der Meister sprach: »Menschenliebe.«Er fragte nach (dem Wesen) der Weisheit. DerMeister sprach: »Menschenkenntnis.« Fan Tschï begriffnoch nicht; da sprach der Meister: »Dadurch,daß man die Geraden erhebt, daß sie auf die Verdrehtendrücken, kann man die Verdrehten gerade machen.«Fan Tschï zog sich zurück. Er sah Dsï Hia undsprach: »Vor kurzem war ich bei dem Meister undfragte nach (dem Wesen) der Weisheit. Der Meistersprach: ›Dadurch, daß man die Geraden erhebt, daßsie auf die Verdrehten drücken, kann man die Verdrehtengerade machen.‹ Was bedeutet das?« Dsï Hiasprach: »Das ist ein reiches Wort! Schun hatte dasReich, er wählte unter allen und erhob Gau Yau, daverschwanden die Unsittlichen. Tang hatte das Reich,er wählte unter allen und erhob J Yin, da verschwandendie Unsittlichen.«


23. FreundschaftDsï Gung fragte nach (dem Wesen) der Freundschaft.Der Meister sprach: »Man soll sich gewissenhaft ermahnenund geschickt (zum Guten) führen. Wenn esnicht geht, so halte man inne. Man muß sich nichtselbst der Beschämung aussetzen.«Dsï Gung fragte, wie man mit Freunden verkehren solle.Der Meister sprach: »Das Wesen der Freundschaft beruhtauf unbedingter Aufrichtigkeit. Sieht man an seinemFreund einen Fehler, so hat man die Pflicht, ihn gewissenhaftdarauf aufmerksam zu machen. Die Freundschaftsoll dazu dienen, daß man sich gegenseitig auf liebevolleWeise im Guten fördert. Aber man darf nicht zum pedantischenMoralprediger werden. Sieht man, daß unsere Anregungenauf Widerstand stoßen, so halte man sich taktvollzurück und überlasse es dem gesunden Verstandedes andern, selbst zur Besinnung zu kommen. Sonst setztman sich nur Beschämungen aus, und die Freundschaftgeht in die Brüche.«


24. Zweck der FreundschaftMeister Dsong sprach: »Der Edle begegnet seinenFreunden durch die Kunst und fördert durch seineFreunde seine Sittlichkeit.«


Buch XIII1. StaatsregierungI: Der Regent als erster im DienenDsï Lu fragte nach (dem Wesen) der Regierung. DerMeister sprach: »(Dem Volk) vorangehen und es ermutigen.«Er bat um weiteres. (Der Meister) sprach:»Nicht müde werden.«


2. StaatsregierungII: Wider das persönliche RegimentDschung Gung war Hausbeamter der Familie Gi undfragte nach (dem Wesen) der Regierung. Der Meistersprach: »Habe an erster Stelle die zuständigen Beamten,verzeih kleine Fehler, wähle Leute von Charakterund Talent.« Er sprach: »Wie weiß ich, welche(Leute) Charakter und Talent haben, daß ich siewähle?« (Der Meister) sprach: »Wähle die, so duweißt. Die, so du nicht weißt: werden die Menschenauf sie verzichten?«Dschung Gung fragte den Meister um Rat in Beziehungauf die Grundsätze der Regierung, zur Zeit als er ein Amtim Dienst der Familie Gi innehatte. Der Meister sprach:»Die größte Gefahr ist, alles selber machen zu wollen;vielmehr soll der Regent in allen Detailfragen den zuständigenInstanzen die Initiative lassen. Kleine menschlicheSchwächen muß man übersehen, aber um so strengerdarauf halten, daß die Leute, die man an der Hand hat,zuverlässig und ihrer Aufgabe gewachsen sind.« Als derSchüler danach fragte, wie man solche Leute ausfindigmachen könne, erwiderte der Meister, daß man nur einmaleinen Anfang zu machen brauche mit den tüchtigenMenschen, die man kenne. Dann werden schon ganz vonselber auch solche tüchtige Menschen, die man nochnicht kannte, von den andern empfohlen werden.


3. StaatsregierungIII: Richtigstellung der BegriffeDsï Lu sprach: »Der Fürst von We wartet auf denMeister, um die Regierung auszuüben. Was würdeder Meister zuerst in Angriff nehmen?« Der Meistersprach: »Sicherlich die Richtigstellung der Begriffe.«Dsï Lu sprach: »Darum sollte es sich handeln? Dahat der Meister weit gefehlt! Warum denn deren Richtigstellung?«Der Meister sprach: »Wie roh du bist,Yu! Der Edle läßt das, was er nicht versteht, sozusagenbeiseite. Wenn die Begriffe nicht richtig sind, sostimmen die Worte nicht; stimmen die Worte nicht, sokommen die Werke nicht zustande; kommen dieWerke nicht zustande, so gedeiht Moral und Kunstnicht; gedeiht Moral und Kunst nicht, so treffen dieStrafen nicht; treffen die Strafen nicht, so weiß dasVolk nicht, wohin Hand und Fuß setzen. Darum sorgeder Edle, daß er seine Begriffe unter allen Umständenzu Worte bringen kann und seine Worte unter allenUmständen zu Taten machen kann. Der Edle duldetnicht, daß in seinen Worten irgend etwas in Unordnungist. Das ist es, worauf alles ankommt.«


4. StaatsregierungIV: Keine technischen Spezialkenntnisse erforderlichFan Tschï bat um Belehrung über den Ackerbau. DerMeister sprach: »(In diesem Stück) bin ich nicht so(bewandert) wie ein alter Bauer.« Darauf bat er umBelehrung über den Gartenbau. (Der Meister) sprach:»Darin bin ich nicht so bewandert wie ein alter Gärtner.«Fan Tschï ging hinaus. Da sprach der Meister:»Ein beschränkter Mensch ist er doch, dieser Fan Sü.Wenn die Oberen die Ordnung hochhalten, so wirddas Volk nie wagen, unehrerbietig zu sein. Wenn dieOberen die Gerechtigkeit hochhalten, so wird dasVolk nie wagen, widerspenstig zu sein. Wenn dieOberen die Wahrhaftigkeit hochhalten, so wird dasVolk nie wagen, unaufrichtig zu sein. Wenn es aberso steht, so werden die Leute aus allen vier Himmelsrichtungenmit ihren Kindern auf dem Rücken herbeikommen.Was braucht man dazu die Lehre vom Akkerbau!«


5. Theorie und PraxisDer Meister sprach: »Wenn einer alle dreihundertStücke des Liederbuches auswendig hersagen kann,und er versteht es nicht, mit der Regierung beauftragt,(seinen Posten) auszufüllen oder kann nicht selbständigantworten, wenn er als Gesandter ins Ausland geschicktwird: wozu ist (einem solchen Menschen) alleseine viele (Gelehrsamkeit nütze)?«


6. Die Person des HerrschendenDer Meister sprach: »Wer selbst recht ist, brauchtnicht zu befehlen: und es geht. Wer selbst nicht rechtist, der mag befehlen: doch wird nicht gehorcht.«


7. Urteil über zwei zeitgenössische Staaten 1Der Meister sprach: »Die Herrscher von Lu und Wesind Brüder.«


8. Anpassung an die UmständeDer Meister sagte von dem Prinzen Ging von We,daß er gut hauszuhalten verstehe: »Als er anfingetwas zu haben, sprach er: ›Wenn ich's nur beisammenhalte!‹ Als er etwas mehr hatte, sprach er:›Wenn es nur für alles reicht.‹ Als er reichlich hatte,sprach er: ›Wenn es nur schön verwandt wird!‹«


9. StaatsregierungV: Zeitfolge der ZieleDer Meister fuhr durch We. Jan Yu lenkte (denWagen). Der Meister sprach: »Wie zahlreich ist (dasVolk)!« Jan Yu sprach: »Wenn es so zahlreich ist,was könnte man noch hinzufügen?« (Der Meister)sprach: »Es wohlhabend machen.« (Jan Yu) sprach:»Und wenn es wohlhabend ist, was kann man nochhinzufügen?« (Der Meister) sprach: »Es bilden.«


10. SelbstbeurteilungDer Meister sprach: »Wenn nur jemand wäre, dermich verwendete! Nach Ablauf von zwölf Mondensollte es schon angehen, und nach drei Jahren solltealles in Ordnung sein.«


11. Erfolg des TalentesDer Meister sprach: »(Es gibt ein Wort): ›Wenntüchtige Menschen hundert Jahre ein Land leiten würden,so könnte man mit den Verbrechen fertig werdenohne Todesstrafe.‹ Das ist ein wahres Wort.«2


12. Erfolg des berufenen GeniusDer Meister sprach: »Wenn ein König käme, so wärenach einem Menschenalter die Sittlichkeit erreicht.«Dem stellte der Meister ein anderes Wort gegenüber:»Wenn aber ein gottgesandter Genius als Herrscherkäme, der würde es schon nach einem Menschenalterdahin gebracht haben, die Herzen der Menschen zumGuten zu bekehren.«


13. Selbstbeherrschung die Grundlage derRegierungDer Meister sprach: »Wer sich selbst regiert, wassollte der (für Schwierigkeiten) haben, bei der Regierungtätig zu sein? Wer sich selbst nicht regierenkann, was geht den das Regieren von andern an?«


14. NebenregierungMeister Jan kam vom Hofe zurück. Der Meistersprach: »Warum so spät?« Er erwiderte: »Es gab Regierungsarbeit.«Der Meister sprach: »Es wurdenwohl Geschäfte (gemacht). Wenn es Regierungsarbeitgab, so hätte ich, obwohl nicht im Dienst, doch sicherdavon gehört.«


15. Das Geheimnis der Blüte und desUntergangs der StaatenFürst Ding fragte: »Mit einem Wort des Staates Blütebefassen: kann man das?« Meister Kung erwiderte:»Ein Wort kann so weit nicht reichen. Doch gibt esein Wort der Leute: ›Herrscher sein ist schwer, Kanzlersein nicht leicht.‹ Wenn man die Schwierigkeit desHerrscherberufs kennt, ist dann nicht ein Wort nahedaran, des Staates Blüte zu befassen?«(Fürst Ding) sprach: »Mit einem Wort des StaatesUntergang befassen: kann man das?« Meister Kungerwiderte: »Ein Wort kann so weit nicht reichen.Doch gibt es ein Wort der Leute: ›Es freut mich nicht,ein Fürst zu sein, außer wenn in seinen Worten mirniemand widerspricht.‹ Wenn er tüchtig ist und niemandihm widerspricht: dann ist es ja auch ganz gut;wenn er (aber) nicht tüchtig ist, und niemand ihm widerspricht:ist dann nicht ein Wort nahe daran, desStaates Untergang zu befassen?«


16. StaatsregierungVI: Nach ihren FrüchtenDer Fürst von Schê fragte nach dem Wesen der Regierung.Der Meister sprach: »Wenn die Nahen erfreutwerden und die Fernen herankommen.«


17. StaatsregierungVII: Dauernder ErfolgDsï Hia war Beamter von Gü Fu und fragte nach der(rechten Art der) Regierung. Der Meister sprach:»Man darf keine raschen (Erfolge) wünschen und darfnicht auf kleine Vorteile sehen. Wenn man rasche Erfolgewünscht, so (erreicht man) nichts Gründliches;wenn man auf kleine Vorteile aus ist, so bringt mankein großes Werk zustande.«


18. Aufrichtigkeit und PietätDer Fürst von Schê redete mit Meister Kung undsprach: »Bei uns zulande gibt es ehrliche Menschen.Wenn jemandes Vater ein Schaf entwendet hat, solegt der Sohn Zeugnis ab (gegen ihn).« Meister Kungsprach: »Bei uns zulande sind die Ehrlichen verschiedendavon. Der Vater deckt den Sohn und der Sohndeckt den Vater. Darin liegt auch Ehrlichkeit.«


19. Sittlichkeit:Ehrfurcht und GewissenhaftigkeitFan Tschï fragte nach (dem Wesen) der Sittlichkeit.Der Meister sprach: »Wenn du (allein) weilst, seiernst, wenn du Geschäfte besorgst, sei ehrfürchtig,wenn du mit andern verkehrst, sei gewissenhaft.Selbst wenn du zu den Barbaren des Ostens oder Nordenskommst, darfst du dieses (Betragen) nicht verlassen.«


20. Verschiedene Stufen von GebildetenDsï Gung fragte und sprach: »Wie muß einer sein, umihn einen Gebildeten nennen zu können?« Der Meistersprach: »Wer in seinem persönlichen BenehmenEhrgefühl hat, und wer, entsandt in die vier Himmelsrichtungen,dem Auftrag seines Fürsten keine Schandemacht, den kann man einen Gebildeten nennen.« (DsïGung) sprach: »Darf ich fragen, was die nächste Stufeist?« (Der Meister) sprach: »Wen seine Verwandtengehorsam nennen, und wen seine Landsleute brüderlichnennen.« (Dsï Gung) sprach: »Darf ich fragen,was die nächste Stufe ist?« (Der Meister) sprach:»Wer sein Wort unter allen Umständen hält, wer seineArbeiten unter allen Umständen fertig macht; solcheLeute mögen hartköpfige Pedanten sein, dennoch stehensie vielleicht auf der nächsten Stufe.« (Dsï Gung)sprach: »Und zu welcher (Klasse) gehören die Regierendenvon heute?« Der Meister sprach: »Ach, Männerdes Scheffels und des Eimers, wie wären sie eswert, mitgezählt zu werden!«


21. Wer ist zum Jünger geschickt?Der Meister sprach: »Wenn ich keine (Leute) finde,die in der Mitte wandeln, um mit ihnen zu sein, sowill ich wenigstens (Leute) von Enthusiasmus undEntschiedenheit. Die Enthusiasten schreiten fort undsind aufnahmefähig. Die Entschiedenen haben Grenzen,die sie nicht überschreiten.«


22. Fluch der UnbeständigkeitDer Meister sprach: »Die Leute im Süden haben einSprichwort, das heißt: ›Ein Mensch, der nicht beständigist, der ist nicht geeignet, um Zauber oder Heilkunstzu betreiben.‹ Das ist ein wahres (Wort)!«(Im Buch der Wandlungen steht:) »Wer nicht beständigmacht seinen Geist, der wird Beschämungempfangen.«Der Meister sprach: »Man beschäftigt sich nichtmit der Prophezeiung, das ist es.«


23. Der Edle und der Gemeine im Umgang mitandernDer Meister sprach: »Der Edle ist friedfertig, abermacht sich nicht gemein. Der Unedle macht sich gemein,aber ist nicht friedfertig.«


24. Die Liebe und der Haß der andernDsï Gung fragte und sprach: »Wen seine Landsleutelieben, wie ist der?« Der Meister sprach: »Das sagtnoch nichts.« »Wen seine Landsleute alle hassen, wieist der?« Der Meister sprach: »Auch das sagt nochnichts. Besser ist's, wenn einen die Guten unter denLandsleuten lieben und die Nichtguten hassen.«


25. Dienst und GunstDer Meister sprach: »Der Edle ist leicht zu bedienen,aber schwer zu erfreuen. (Sucht man) ihn zu erfreuen,aber nicht auf dem (rechten) Weg, so freut er sichnicht, aber in seiner Verwendung der Leute berücksichtigter ihre Fähigkeiten. Der Gemeine ist schwerzu bedienen, aber leicht zu erfreuen. (Sucht man) ihnzu erfreuen, wenn auch nicht auf dem (rechten) Weg,so freut er sich, aber in seiner Verwendung der Leutesucht er Vollkommenheit.«


26. Stolz und HochmutDer Meister sprach: »Der Edle ist stolz, aber nichthochmütig. Der Gemeine ist hochmütig, aber nichtstolz.«


27. Günstige NaturveranlagungDer Meister sprach: »Feste Entschlossenheit, verbundenmit einfacher Wortkargheit, steht der Sittlichkeitnahe.«


28. Eigenschaften des Gemüts, die demGebildeten wesentlich sindDsï Lu fragte und sprach: »Wie muß einer sein, umihn einen Gebildeten nennen zu können?« Der Meistersprach: »Einer, der solide, gründlich und freundlichist, den kann man einen Gebildeten nennen. AlsFreund solide und gründlich, als Bruder freundlich.«


29. Volkserziehung und kriegerische TüchtigkeitDer Meister sprach: »Wenn ein tüchtiger Mann einVolk sieben Jahre lang erzieht, so mag er es auch benutzen,um die Waffen zu führen.«


30. Mangel der Volkserziehung rächt sich imKriegDer Meister sprach: »Ein Volk ohne Erziehung in denKrieg führen, das heißt, es dem Untergang weihen.«


Fußnoten1 Der Begründer des Staates Lu war der bekannteDschou Gung, der Bruder des ersten Königs derDschoudynastie, Wu. Das Fürstentum We wurdeeinem andern Bruder, Kang Schu, übertragen. Diesesbrüderliche Verhältnis der Fürsten ist für Kung einBild für die Übereinstimmung in ursprünglicher Blüteund späterem Verfall, der sich in beiden Staaten zeigte.2 Abschnitt 11 und 12 behandeln wieder den Unterschiedin der Wirksamkeit eines Talents, das – außerhalbder Tradition und ohne Fühlung mit den göttlichenOrdnungen der Vergangenheit – immerhin einigeäußere Erfolge zu erreichen vermag, und dem berufenenGenius, der wirklich erlösend wirken kann.


Buch XIV1. SchandeHiën fragte, (was) Schande (sei). Der Meister sprach:»Ist ein Land auf rechter Bahn, (so habe man sein)Einkommen. Ist ein Land nicht auf rechter Bahn, (undman genießt dennoch ein amtliches) Einkommen: dasist Schande.«


2. Das Schwierige ist darum noch nicht sittlich»Herrschsucht, Prahlerei, Groll, Begierde nicht gehenlassen: das kann für sittlich gelten.« Der Meistersprach: »Das kann für schwierig gelten, ob sittlich:das weiß ich nicht.«Es hatte irgend jemand die Theorie aufgestellt, daß dieSittlichkeit darin bestehe, jede Äußerung egoistischerTriebe zu unterlassen. Der Meister urteilte darüber, daßeine solche Handlungsweise zwar schwer sei, daß sieaber noch nicht genüge, um die Sittlichkeit eines Menschendaraus zu erkennen; denn für die ethische Beurteilungkommen überhaupt keine bloßen Äußerlichkeiten,am wenigsten rein negative Unterlassungen in Betracht,sondern die innere Gesinnung.


3. Nicht hinter dem Ofen sitzenDer Meister sprach: »Ein Gebildeter, der es liebt, (zuHause) zu bleiben, ist nicht wert, für einen Gebildetenzu gelten.«


4. LebensklugheitDer Meister sprach: »Wenn das Land auf rechterBahn ist, (mag man) kühn in seinen Worten sein undkühn in seinen Taten. Wenn das Land nicht auf rechterBahn ist, (soll man) kühn in seinen Taten sein,aber vorsichtig in seinen Worten.«


5. Ausdruck und InnerlichkeitDer Meister sprach: »Wer Geist hat, hat sicher auchdas (rechte) Wort, aber wer Worte hat, hat darumnoch nicht notwendig Geist. Der Sittliche hat sicherauch Mut, aber der Mutige hat noch nicht notwendigSittlichkeit.«


6. Nicht Macht, sondern Geist ererbt dasErdreichNan Gung Go fragte den Meister Kung und sprach: »Jwar tüchtig im Bogenschießen, Au konnte ein Schiffziehen. Alle beide fanden nicht ihren (natürlichen)Tod. Yü und Dsï bestellten eigenhändig das Feld, unddoch bekamen sie das Reich.« Der Meister antwortetenicht. Nan Gung Go ging hinaus. Der Meister sprach:»Ein Edler wahrlich ist dieser Mann, die Kraft desGeistes schätzt wahrlich dieser Mann.«


7. Geistige Bedeutung und SittlichkeitDer Meister sprach: »Edle, die doch nicht sittlichsind, ja, das gibt es; nicht gibt es (aber) Gemeine, diedoch sittlich wären.«


8. Die rechte LiebeDer Meister sprach: »Wenn man einen liebt, ist esdann möglich, daß man nicht für ihn besorgt ist?Wenn einer gewissenhaft ist, wie wäre es dann möglich,(seinen Fürsten) nicht zu belehren?«


9. Sorgfalt bei der Herstellung amtlicherSchriftstückeDer Meister sprach: »Bei amtlichen Schriftstückenmachte Bi Schen den ungefähren Entwurf; Schï Schuverbesserte und erwog; der Minister des Auswärtigen,Dsï Yü, ordnete den Stil; Dsï Tschan von Dung Li(Ostdorf) gab dem Ganzen den letzten Schliff.«


10. Urteile über ZeitgenossenI: Dsï Tschan, Dsï Si, Guan DschungEs fragte jemand, (was von) Dsï Tschan (zu haltensei). Der Meister sprach: »Er ist ein gütiger Mann.«(Der Betreffende) fragte, (was von) Dsï Si (zu haltensei. Der Meister) sprach: »Wahrlich der, wahrlichder!« (Der Betreffende) fragte, (was von) GuanDschung (zu halten sei. Der Meister) sprach: »Das istein Mann. Als er der Familie Be die Stadt Biën mitdreihundert (Familien) weggenommen hatte, (so daßder frühere Besitzer nur noch) gewöhnlichen Reis zuessen hatte, bis er keine Zähne mehr hatte, (äußertedieser) kein Wort des Grolls (gegen ihn).«


11. Würdiges Ertragen der ArmutDer Meister sprach: »Arm sein, ohne zu murren, istschwer. Reich sein, ohne hochmütig zu werden, istleicht.«


12. Urteile über ZeitgenossenII: Mong Gung TschoDer Meister sprach: »Mong Gung Tscho wäre alsHausbeamter der Familien Dschau oder We vorzüglich,aber er könnte nicht Minister sein in Tong oderSië.«Der Meister sprach von dem Haupt der Familie Mong inLu, namens Gung Tscho, daß er sich als Hausbeamterauch der mächtigsten Familien vorzüglich eignen würde,daß er aber als verantwortlicher Ratgeber auch eines vielkleineren, aber selbständigen Fürstentums nicht geeignetwäre.


13. Der vollkommene MenschDsï Lu fragte, (wer ein) vollkommener Mensch (seiund) (Der Meister) sprach: »Wenn jemand das Wissenvon Dsang Wu Dschung, die Selbstlosigkeit vonGung Tscho, den Mut des Herren Dschuang vonBiën, die Geschicklichkeit von Jan Kiu besäße, unddas alles gestaltet durch die Gesetze der Moral undMusik, der könnte doch sicher wohl für einen vollkommenenMenschen gelten.«Der Meister sprach: »Ein vollkommener Menschvon heute, was braucht der all das? Wer angesichtsdes Gewinns auf Pflicht denkt, wer angesichts der Gefahrsein Leben opfert, bei alten Abmachungen dieWorte seiner Jugend nicht vergißt, der kann auch füreinen vollkommenen Menschen gelten.«


14. Urteile über ZeitgenossenIII: Gung Schu Wen DsïDer Meister befragte den Gung Ming Gia über GungSchu Wen Dsï und sprach: »Ist es wahr, daß euerMeister nicht redet, nicht lacht, nichts nimmt?« GungMing Gia erwiderte und sprach: »Das ist durch dieErzähler übertrieben. Mein Meister redet, wenn esZeit ist, darum werden die Menschen seiner Redenicht überdrüssig. Er lacht, wenn er fröhlich ist,darum werden die Menschen seines Lachens nichtüberdrüssig. Er nimmt, wenn es sich mit der Billigkeitverträgt, darum werden die Menschen seinesNehmens nicht überdrüssig.« Der Meister sprach:»So ist er? Wie kann er so sein!«


15. Urteile über ZeitgenossenIV: Dsang Wu Dschung1Der Meister sprach: »Dsang Wu Dschung stützte sichauf Fang und bat so (den Fürsten von) Lu, einenNachfolger (für ihn) zu bestellen. Obwohl man sagt,er habe keinen Druck auf den Fürsten ausgeübt, soglaube, ich es nicht.«


16. Urteile über ZeitgenossenV: Wen von Dsin und Huan von TsiDer Meister sprach: »Fürst Wen von Dsin war hinterlistigund nicht aufrichtig. Fürst Huan von Tsi waraufrichtig und nicht hinterlistig.«


17. Urteile über ZeitgenossenVI: Guan DschungDsï Lu sprach: »Der Fürst Huan tötete den FürstensohnGiu (seinen Bruder). Da starb auch Schau Humit ihm. Guan Dschung tötete sich nicht, (kann daman nicht) sagen, daß er nicht auf der (Höhe der) Sittlichkeitstand?« Der Meister sprach: »Daß der FürstHuan die Lehnsfürsten versammeln (konnte), und dasnicht mit Waffen und Wagen: das war der EinflußGuan Dschungs. Wie (hoch steht) seine Sittlichkeit!Wie (hoch steht) seine Sittlichkeit!«


18. Urteile über ZeitgenossenVII: Guan DschungDsï Gung sprach: »Guan Dschung ist doch wohl nichtsittlich vollkommen. Als der Fürst Huan den FürstensohnGiu tötete, da konnte er (es) nicht (über sichbringen, mit diesem zu) sterben, ja er wurde dazuhinsein (Huans) Kanzler.« Der Meister sprach: »WeilGuan Dschung der Kanzler des Fürsten Huan wurde,konnte dieser die Leitung über die Lehnsfürsten übernehmenund das Reich einigen und in Ordnung bringen.Das Volk genießt noch bis auf den heutigen Tagseine Gaben. Ohne Guan Dschung würden wir dieHaare ungebunden tragen und die Kleider nach linksknöpfen.2 Was soll da die kleine Treue eines gewöhnlichenLiebhabers und seiner Geliebten, die sichselbst töten im Bach oder Graben, ohne daß manetwas von ihnen weiß!«


19. Urteile über ZeitgenossenVIII: Gung Schu Wen DsïDer Beamte des Gung Schu Wen Dsï, der (spätere)Minister Dschuan, stieg gemeinsam mit Wen Dsï (dieStufen) zum (Palast des) Fürsten hinauf. Der Meisterhörte es und sprach: »Das kann für ›Wen‹ (vollendet,weise) gelten.«Gung Schu mit dem Beinamen »der Weise« hatte einentüchtigen Hausbeamten, namens Dschuan. Als er zur Audienzbei Hofe ging, nahm er ihn mit sich und bezeugteihm die Ehren, die man einem Gleichgestellten erweist.Dadurch erreichte er, daß dieser Mann eine seiner Tüchtigkeitangemessene Stellung im Staate erhielt.Als der Meister davon hörte, sprach er: »Schon dieserkleine Zug rechtfertigt den Beinamen ›der Weise‹.«


20. Urteile über ZeitgenossenIX: Fürst Ling von WeDer Meister sprach über den zuchtlosen Wandel desFürsten Ling von We. Freiherr (Gi) Kang sprach:»Da das der Fall ist, was verliert er dann nicht (seinReich)?« Meister Kung sprach: »Er hat DschungSchu Yü zur Besorgung des (diplomatischen Verkehrsmit) Gesandten und Fremden, er hat den PriesterTo zur Besorgung des (fürstlichen) Ahnentempels,er hat Wang Sun Gia zur Besorgung des Heerwesens.Da das der Fall ist, was sollte er (sein Reich)verlieren?«


21. Worte und Taten IDer Meister sprach: »Wenn jemand etwas redet ohneSchamgefühl, so wird er schwerlich es auch tun.«Wenn man einen Menschen zu beobachten Gelegenheithat, der in seinen Worten ohne jedes feine Schamgefühl,das allen gediegenen Menschen eigen ist, sich gehen läßt,von dem kann man ziemlich sicher sein, daß er bei derAusführung seiner Worte unzuverlässig ist.


22. Fürstenmord 3Freiherr Tschen Tschong hatte (seinen) Fürsten Giën(von Tsi) ermordet. Meister Kung badete sich undging zu Hofe. Er zeigte es dem Fürsten Ai an undsprach: »Tschen Hong hat seinen Herren gemordet;ich bitte es zu ahnden.« Der Fürst (Ai) sprach:»Zeige es den drei Freiherren an.« Meister Kungsprach: »Nachdem ich ein öffentliches Amt bekleidethabe, wagte ich es nicht, keine Anzeige zu erstatten.Und da spricht der Herr: ›Zeige es den drei Freiherrenan.‹« Er ging zu den drei Freiherren und machte Anzeige.Es half aber nichts. Meister Kung sprach:»Nachdem ich ein öffentliches Amt bekleidet habe,wagte ich es nicht, keine Anzeige zu erstatten.«


23. FürstendienstDsï Lu fragte, wie man dem Fürsten diene. Der Meistersprach: »Ihn nicht betrügen und ihm widerstehen.«


24. Der Edle und der GemeineI: ErfahrungDer Meister sprach: »Der Edle ist erfahren in hohen(Dingen), der Gemeine ist erfahren in niedrigen (Dingen).«


25. Verschiedener Zweck der KenntnisseDer Meister sprach: »Die Lernenden des Altertumstaten es um ihrer selbst willen, die Lernenden vonheute um der Menschen willen.«


26. Ein guter BoteGü Be Yü sandte einen Mann zu Meister Kung. MeisterKung lud ihn ein zu sitzen und fragte ihn aus undsprach: »Was macht (dein) Meister?« (Jener) erwiderteund sprach: »Mein Meister wünscht seine Fehlerzu verringern, aber er bringt es noch nicht fertig.«Der Bote ging weg, da sprach der Meister: »Das istein Bote! Das ist ein Bote!«


27. Gegen KamarillawirtschaftDer Meister sprach: »Wer nicht das Amt dazu hat,der kümmere sich nicht um die Regierung.«


28. BescheidenheitMeister Dsong sprach: »Der Edle geht in seinemDenken nicht über seine Stellung hinaus.«


29. Worte und Taten IIDer Meister sprach: »Der Edle schämt sich davor,daß seine Worte seine Taten übertreffen.«


30. Der dreifache Weg des EdlenDer Meister sprach: »Zum Pfad des Edlen gehörendrei Stücke, die ich nicht kann: Sittlichkeit macht ihnfrei von Leid, Weisheit macht ihn frei von Zweifeln,Entschlossenheit macht ihn frei von Furcht.«Dsï Gung sprach: »Das hat der Meister selbst gesagt.«


31. Richtet nichtDsï Gung (pflegte) die Menschen (untereinander) zuvergleichen. Der Meister sprach: »Sï4 muß ja wahrlichsehr würdig sein! Ich habe zu so etwas keineZeit.«


32. Grund zum KummerDer Meister sprach: »Nicht kümmere ich mich darüber,daß die Menschen mich selbst nicht kennen,sondern darüber, daß sie nicht fähig sind (das Reichzu reformieren).«


33. Argloses WissenDer Meister sprach: »Nicht begegnen dem Betrug undnicht sich rüsten auf Unglauben und dennoch sie auchvorausfühlen. Wer das (kann), der dürfte ein Würdigersein.«


34. SelbstverteidigungWe-Schong Mou redete zu Meister Kung und sprach:»Kiu, warum (treibst du dich immer) so aufgeregt(umher)? Du willst dich wohl im Wortemachen(üben)?« Meister Kung sprach: »Ich wage es nicht,bloße Worte zu machen, aber ich hasse beschränkteHartnäckigkeit.«


35. Das RoßDer Meister sprach: »An einem Roß schätzt mannicht die Stärke, sondern die Rasse.«


36. VergeltungEs sprach jemand: »Durch Güte Unrecht zu vergelten,wie ist das?« Der Meister sprach: »Womit soll mandann Güte vergelten? Durch Geradheit vergelte manUnrecht, durch Güte vergelte man Güte.«


37. Ergebung in das SchicksalI: VerkennungDer Meister sprach: »Es gibt keinen, der mich kennt!«Dsï Gung sprach: »Was heißt das, daß niemand denMeister kenne?« Der Meister sprach: »Ich murre nichtwider Gott und grolle nicht den Menschen. Ich forschehier unten, aber ich dringe durch nach oben. Wermich kennt, das ist Gott.«


38. Ergebung in das SchicksalII: VerleumdungGung Be Liau hatte Dsï Lu bei dem Freiherrn Gi verleumdet.Der Graf Dsï-Fu Ging zeigte es (dem Meister)an und sprach: »Unser Herr ist allerdings in seinerMeinung irregeleitet worden, aber was den GungBe Liau anlangt, so reicht meine Macht aus, es dahinzu bringen, daß (sein Leichnam) bei Hofe oder aufdem Markt ausgestellt wird.« Der Meister sprach:»Wenn die Wahrheit sich ausbreiten soll, so ist das(Gottes) Wille; wenn die Wahrheit untergehen soll, soist das Gottes Wille. Was kann der Gung Be Liaugegen den Willen Gottes?«


39. WeltfluchtDer Meister sprach: »Die Würdigsten ziehen sich vonder Welt zurück. Die Nächstfolgenden ziehen sich voneinem bestimmten Ort zurück. Die Nächstfolgendenziehen sich vor (unfreundlichen) Mienen zurück. DieNächstfolgenden ziehen sich vor Worten zurück.«Es gibt verschiedene Gründe der Weltflucht. Die Würdigstenhaben überhaupt der Welt prinzipiell abgesagt. Anderegibt es, die ziehen sich in die Einsamkeit zurück, umder Ungerechtigkeit eines bestimmten Landes zu entgehen.Wieder andere ziehen sich zurück, wenn sie beiihrem Herrscher auf unfreundliche Mienen und abweisendesBetragen stoßen. Die letzten endlich ziehen sichzurück, wenn sie geradezu dazu aufgefordert wordensind.


40. Kulturschöpfer 5Der Meister sprach: »Sieben Männer gibt es, die geschaffenhaben.«


41. Am SteintorDsï Lu übernachtete am Steintor. Der Türmer sprach:»Woher?« Dsï Lu sprach: »Von einem namensKung.« Da sprach (jener): »Ist das nicht der (Mann),der weiß, daß es nicht geht, und dennoch fortmacht?«


42. Des Meisters Musik und der EremitDer Meister spielte im (Staate) We auf dem Musikstein.Da ging ein Mann mit einem Strohkorb auf derSchulter an der Tür Kungs vorüber und sprach:»Wahrlich, er hat es im Herzen, der (da) den Musiksteinspielt!« Nach einer Weile da sprach er: »Wahrlichverächtlich ist dieses hartnäckige Gebimmel.Wenn einen niemand kennt, so läßt man es sein, unddamit fertig. ›Durch tiefes, tiefes Wasser muß manmit den Kleidern durch, durch seichtes Wasser kannman mit aufgeschürzten Kleidern waten.‹« Der Meistersprach: »Wahrlich, das ist Entschiedenheit,(aber) dabei ist keine Schwierigkeit.«Im Staate We spielte einst der Meister auf einem Instrumentaus klingenden Steinen, um seiner Stimmung Ausdruckzu geben. Da begab es sich, daß ein taoistischerEremit, der sich von der Welt zurückgezogen hatte, miteinem Strohkorb auf der Schulter vor Kungs Hause vorüberging.Als er die Musik hörte, blieb er stehen undhorchte, dann sprach er: »Dem geht's zu Herzen, das Leidder Welt, der da drin Musik macht.« Nach aber einerWeile fügte er hinzu: »Und doch, wie beschränkt ist dieHartnäckigkeit, die aus seinem Gebimmel spricht. Wennman nichts von uns wissen will, so gibt man es einfachauf, und damit ist's gut, wie es im Buch der Lieder heißt(I, III, 9):


›Geht das Wasser zum Gürtel, dann einfach durch.Geht's nur zum Knie, dann mag man sich schürzen.‹«Der Meister sprach, als er das hörte: »Der hat leichtreden, seine Art von Konsequenz ist nicht schwer.«


43. HoftrauerDsï Dschang sprach: »Im ›Buch‹ steht: ›Gau Dsungweilte im Trauerzelt und sprach drei Jahre lang keinWort.‹ Was bedeutet das?« Der Meister sprach:»Warum (nennst du) gerade Gau Dsung? Die Altenmachten es alle so. Wenn der Fürst verschieden war,so besorgten die hundert Beamten das Ihrige, indemsie auf den Kanzler hörten drei Jahre lang.«


44. Macht der KulturDer Meister sprach: »Wenn die Oberen Kultur lieben,so ist das Volk leicht zu verwenden.«


45. Der Edle:Ausbildung der PersönlichkeitDsï Lu fragte nach dem (Wesen des) Edlen. Der Meistersprach: »Er bildet sich selbst aus (sittlichem)Ernst.« (Dsï Lu) sprach: »Ist es damit schon fertig?«(Der Meister) sprach: »Er bildet sich selbst, um andernFrieden zu geben.« (Dsï Lu) sprach: »Ist esdamit schon fertig?« (Der Meister) sprach: »Er bildetsich selbst, um den hundert Namen Frieden zu geben.Sich selbst bilden, um den hundert Namen Frieden zugeben: selbst Yau und Schun machte das nochSchwierigkeiten.«


46. Der alte Yüan(Yüan Jang blieb auf dem Boden) hocken, als er (aufden Meister) wartete. Der Meister sprach: »In der Jugendwar er nicht folgsam und bescheiden, erwachsenhat er nichts (Bemerkenswertes) geleistet, jetzt ist eralt und stirbt nicht einmal: das ist ein (Tag-)dieb.«Damit nahm er seinen Stab und schlug ihm auf denSchenkel.


47. Der Junge aus KüoEin Junge aus der Gegend von Küo war (bei demMeister) angestellt, um Gäste zu melden. Es fragte jemandüber ihn und sprach: »Macht er Fortschritte?«Der Meister sprach: »Ich sehe, daß er sich immer aufden Platz (eines Erwachsenen) setzt, ich sehe, daß erälteren Personen nicht den Vortritt läßt: er strebt nichtdanach, Fortschritte zu machen, er will es rasch zuetwas bringen.«


Fußnoten1 Dsang Wu Dschung hatte, da er mit der FamilieMong in Feindschaft lebte, den Staat Lu und sein dortigesLehen, die Stadt Fang, verlassen müssen undwar in den Staat Dschu geflohen. Da er jedoch Familienhauptwar und ohne ihn die Ahnenopfer unterblieben,so kehrte er zurück, besetzte seine Stadt Fangund sandte an den Fürsten die Bitte, einen Nachfolgerfür ihn einzusetzen. »Dann werde er nicht wagen, gewaltsamden Platz festzuhalten, sondern gutwilliggehen.« Kung hat wohl recht über ihn.2 Das Haar ungebunden, in Zöpfe geflochten zu tragen,war nach Li Gi III, III, 14 die Sitte der östlichenJ-Barbaren und der westlichen Jung-Barbaren, welchletztere damals das Reich bedrohten, ebenso wie dielinks zugeknöpfte Kleidung.3 Der Vorfall fiel ins Jahr 481, zwei Jahre vor KungsTod. Kungs Meinung war, daß man nicht duldendürfe, daß im Nachbarstaat eine solche Untat vorkomme,um nicht die öffentliche Moral zu gefährden.Darum remonstriert er auf solenne Weise (Baden undFasten war vor heiligen Handlungen üblich). DerFürst Ai aber, machtlos in den Händen der 3 Adelsgeschlechter(Gi, Mong und Schu), wagt nicht einzu-


greifen und verweist ihn an diese. Überaus taktvoll istKungs Mißbilligung darüber ausgedrüdtt. Daß er beiden Adelsgeschlechtern, die dieselben Tendenzen hattenwie der Fürstenmörder im Nachbarstaat, keinGehör finden werde, war ihm von Anfang an klar.Dennoch geht er hin.4 Sï ist der Rufname Dsï Gungs.5 Die sieben Kulturschöpfer sind wohl 1. Yau, 2.Schun, 3. Yü, 4. Tang, 5. König Wen, 6. König Wu,7. Dschou Gung.


Buch XV1. Der Meister in We und TschenDer Fürst Ling von We fragte den Meister Kung nach(dem Wesen) der Schlachtordnung. Meister Kung erwiderteund sprach: »Was Opferplatten- und Opferschalenangelegenheitenbetrifft, so habe ich davon gehört.Heeres- und Truppenangelegenheit habe ichnoch nicht gelernt.« Daraufhin reiste er am folgendenTage ab.In Tschen gingen die Lebensmittel aus. Die Nachfolgerwurden so schwach, daß sie nicht aufstehenkonnten. Dsï Lu erschien murrend (bei dem Meister)und sprach: »Gibt es für den Edlen auch (Zeiten der)Not?« Der Meister sprach: »Der Edle bleibt fest inder Not. Wenn der Gemeine in Not kommt, so wird ertrotzig.«


2. Die Summe des WissensDer Meister sprach: »Sï, du hältst mich wohl füreinen, der vieles gelernt hat und es auswendig kann?«Er erwiderte und sprach: »Ja, ist es nicht so?« (DerMeister) sprach: »Es ist nicht so; ich habe Eines, um(alles) zu durchdringen.«


3. Die Macht des GeistesDer Meister sprach: »Yu, wenige sind ihrer, die dieMacht des Geistes kennen.«


4. Vom Nicht-tunDer Meister sprach: »Wer ohne etwas zu tun (dasReich in) Ordnung hielt, das war Schun. Denn wahrlich:was tat er? Er wachte ehrfürchtig über sich selbstund wandte ernst das Gesicht nach Süden, nichts weiter!«1


5. Geheimnis des ErfolgsDsï Dschang fragte nach (den Bedingungen des) Vorwärtskommens.Der Meister sprach: »Im Reden gewissenhaftund wahr sein, im Handeln zuverlässigund sorgfältig sein: ob man auch unter den Barbarendes Südens oder Nordens weilt, damit wird man vorwärtskommen.Wenn man aber im Reden nicht gewissenhaftund wahr ist und im Handeln nicht zuverlässigund sorgfältig: ob man auch in der nächsten Nachbarschaftbleibt: kann man damit überhaupt vorwärtskommen?Wenn man steht2, so sehe man diese Dingewie das Zweigespann vor sich, wenn man im Wagensitzt, so sehe man sie wie die Seitenwände neben sich.Auf diese Weise wird man vorwärtskommen.« DsïDschang schrieb es sich auf seinen Gürtel.


6. Urteil über ZeitgenossenI: Dsï Yü und Gü Be Yü von WeDer Meister sprach: »Gerade wahrlich war der GeschichtsschreiberYü! Wenn das Land in Ordnungwar, so war er wie ein Pfeil; wenn das Land ohneOrdnung war, so war er wie ein Pfeil.«»Ein Edler ist wahrlich Gü Be Yü! Wenn das Landin Ordnung ist, so ist er im Amt; wenn das Land ohneOrdnung ist, so kann er (sein Wissen) zusammenrollenund es im Busen verbergen.«


7. Worte und MenschenDer Meister sprach: »Trifft man einen, mit dem zureden es sich verlohnte, und redet nicht mit ihm, sohat man einen Menschen verloren. Trifft man einen,mit dem zu reden sich nicht verlohnt, und redet dochmit ihm, so hat man seine Worte verloren. Der Weiseverliert weder einen Menschen noch seine Worte.«


8. Das Leben ist der Güter höchstes nichtDer Meister sprach: »Ein willensstarker Mann vonsittlichen Grundsätzen strebt nicht nach Leben aufKosten seiner Sittlichkeit. Ja es gab solche, die ihrenLeib in den Tod gaben, um ihre Sittlichkeit zu vollenden.«


9. Der Weg zur SittlichkeitDsï Gung fragte, (was man tun müsse) um sittlichvollkommen zu werden. Der Meister sprach: »Ein Arbeiter,der seine Arbeit recht machen will, muß erstseine Werkzeuge schleifen. Wenn du in einem Landewohnst, so diene dem Würdigsten unter seinen Großenund mache dir die Besten unter seinen Gelehrtenzu Freunden.«


10. RegierungsgrundsätzeYen Yüan fragte nach (den Grundsätzen für die) Regierungeines Landes. Der Meister sprach: »In derZeiteinteilung der Hiadynastie folgen, im Staatswagender Yindynastie fahren, die Kopfbedeckung derDschoudynastie tragen. Was die Musik anlangt, sonehme man die Schaumusik mit ihren rhythmischenBewegungen. Den Klang der Dschong(musik) verbietenund beredte Menschen fernhalten; denn der Klangder Dschong(musik) ist ausschweifend, und beredteMenschen sind gefährlich.«Der Lieblingsjünger Yen Yüan (Hui) fragte nach denGrundsätzen der Landesregierung. Der Meister antwortete:»Was für den Herrscher vor allem notwendig ist, dasist, daß der Verlauf des menschlichen Lebens mit denewigen Ordnungen der Welt übereinstimmt; das geschiehtdurch die Ordnung der Zeit. Bei dieser Ordnungder Zeit schließe man sich an die Ordnung der Hiadynastiean, die das Jahr mit dem Frühling beginnen läßt: aufdiese Weise steht die menschliche Tätigkeit am schönstenim Einklang mit dem Naturlauf. Die zweite notwendigeHandlung des Herrschers besteht in der Ordnung der Gebrauchsgegenständedes täglichen Lebens. Für diese Gebrauchsgegenständeist der wichtigste Grundsatz einfacheund solide Sachlichkeit, wie das zur Zeit der Yindynastieüblich war. Die dritte Kultureinrichtung ist die Religionund der Ausdruck der moralischen Gesinnung, wie er in


den festlichen Zeremonien zutage tritt. Hier kann mansich der Pracht und Feinheit der Dschoudynastie anschließen,weil diese Pracht die ganze Lebenshaltunghebt. Die Kunst der Musik nehme die klassische Tonkunstdes Altertums zum Vorbild, die Reinheit der Stimmungund Vollendung des Ausdrucks verbindet.Diese Ordnungen müssen als eine objektive Macht gleichNaturgesetzen das ganze Leben regeln. Daher muß manalles fernhalten, was ihre Wirkung beeinträchtigen könnte.Das sind in erster Linie die nervös anreizende moderneMusik, die der Stimmung zu viel Spielraum gibt, unddie eindrucksvollen Redner, die durch ihre spitzfindigeSubjektivität alle Schranken der Wahrheit überspringenund gerade durch den Einfluß ihrer Subjektivität eine Gefahrfür das Gemeinwesen bedeuten.«


11. VorbedachtDer Meister sprach: »Wer nicht das Ferne bedenkt,dem ist Betrübnis nahe.«


12. Himmlische und irdische LiebeDer Meister sprach: »Es ist alles aus! Ich habe nochkeinen gesehen, der moralischen Wert liebt ebenso,wie er die Frauenschönheit liebt.«


13. Urteile über ZeitgenossenII: Dsang Wen DschungDer Meister sprach: »Dsang Wen Dschung, das isteiner, der seinen Platz gestohlen hat. Er kannte dieWürdigkeit des Hui von Liu Hia und hat ihm dochkeine Stellung verschafft.«


14. Vermeidung von GrollDer Meister sprach: »Wenn man selbst (lieber) zuviel tut und wenig von andern erwartet, so bleibt manfern vom Groll.«


15. Wichtigkeit des eignen DenkensDer Meister sprach: »Wer nicht spricht: Wie kann ichdas machen? Wie kann ich das machen? – mit demkann ich nichts machen.«


16. TrivialitätDer Meister sprach: »Herdenweise zusammensitzenden ganzen Tag, ohne daß die Rede die Pflicht berührt;es lieben, kleine Schlauheiten auszuführen:wahrlich (mit denen hat man es) schwer.«


17. Der EdleI: HandlungsweiseDer Meister sprach: »Die Pflicht als Grundlage,Anmut beim Handeln, Bescheidenheit in den Äußerungen,Treue in der Durchführung: wahrlich so istein Edler!«


18. Der EdleII: Grund zum KummerDer Meister sprach: »Der Edle leidet darunter, daß erkeine Fähigkeiten hat, er leidet nicht darunter, daß dieMenschen ihn nicht kennen.«


19. Der EdleIII: UnsterblichkeitDer Meister sprach: »Der Edle haßt (den Gedanken),die Welt zu verlassen, ohne daß sein Name genanntwird.«


20. Der EdleIV: AnsprücheDer Meister sprach: »Der Edle stellt Anforderungenan sich selbst, der Gemeine stellt Anforderungen andie (andern) Menschen.«


21. Der EdleV: Soziale BeziehungenDer Meister sprach: »Der Edle ist selbstbewußt, abernicht streitsüchtig, umgänglich, aber macht sich nichtgemein.«


22. Der EdleVI: Urteil über Menschen und WorteDer Meister sprach: »Der Edle wählt nicht nach ihrenWorten die Menschen und verwirft nicht nach denMenschen ihre Worte.«


23. Praktischer ImperativDsï Gung fragte und sprach: »Gibt es Ein Wort, nachdem man das ganze Leben hindurch handeln kann?«Der Meister sprach: »Die Nächstenliebe. Was duselbst nicht wünschest, tu nicht an andern.«


24. Gerechte BeurteilungDer Meister sprach: »In meinem Verhältnis zu andern:Wen habe ich verleumdet, wen habe ich überschätzt?Wird einer (von mir) hochgeschätzt, so ist ererprobt. Diese (Behandlung der) Untertanen ist diegerechte Ordnung, die die drei Dynastien angewandthaben.«


25. Einst und jetztDer Meister sprach: »Ich habe noch erreicht (erlebt)eines Geschichtschreibers – Lücke im Text –. Wer einPferd hatte, lieh es andern zum Reiten. Heute gibt esdas nicht mehr.«


26. Schlauheit und Unverträglichkeit alsHindernisseDer Meister sprach: »Geschickte Worte stören geistigenWert. Ist man im Kleinen nicht nachsichtig, sostört man große Pläne.«


27. Der Parteien Gunst und HaßDer Meister sprach: »Wo alle hassen, da muß manprüfen; wo alle lieben, da muß man prüfen.«


28. Die Wahrheit und ihre VertreterDer Meister sprach: »Die Menschen können dieWahrheit verherrlichen, nicht verherrlicht die Wahrheitdie Menschen.«


29. Fehler ohne BesserungDer Meister sprach: »Einen Fehler machen und sichnicht bessern: das erst heißt fehlen.«


30. Nachdenken und LernenDer Meister sprach: »Ich habe oft den ganzen Tagnicht gegessen und die ganze Nacht nicht geschlafen,um nachzudenken. Es nützt nichts; besser ist es, zulernen.«


31. Der EdleVII: Die vornehmste SorgeDer Meister sprach: »Der Edle trachtet nach derWahrheit, er trachtet nicht nach Speise. Beim Pflügenkann man in Not kommen; beim Lernen kann man zuBrot kommen. Der Edle trauert um der Wahrheit willen,er trauert nicht um der Armut willen.«


32. Was ein Regent brauchtDer Meister sprach: »(Wenn einer) durch sein Wissen(ein Amt) erreicht hat, aber es nicht durch seine Sittlichkeitbewahren kann, so wird er es, obwohl er eserlangt hat, verlieren. Wenn einer durch sein Wissenes erreicht hat, durch seine Sittlichkeit es bewahrenkann, aber bei seiner Ausübung keine Würde zeigt, sowird das Volk ihn nicht ehren. Wenn einer durch seinWissen es erreicht hat, durch seine Sittlichkeit es bewahrenkann, bei seiner Ausübung Würde zeigt, aberes nicht entsprechend dem Gesetz der schönen Formbewegt, so ist er noch nicht tüchtig.«Um eine leitende Stellung unter den Menschen zu bekommen,dazu bedarf es vor allem des überlegenen Wissens.Zur Festhaltung einer solchen Position ist aber Sittlichkeitvonnöten. Ohne die Sittlichkeit wird sich aucheine schon errungene Stellung nicht dauernd festhaltenlassen. Diese materialen Qualitäten bedürfen in ihrer Erscheinungnoch der Vollendung durch die rechte Form:die Würde muß herrschen, die die Achtung der Untergebenenerzeugt, und als Regel für alle Handlungen dieAnmut, die den Stempel der Vollendung auf alles drückt.


33. Der Edle und der GemeineVIII: Verschiedene VerwendbarkeitDer Meister sprach: »Den Edlen kann man nicht anKleinigkeiten erkennen, aber er kann Großes übernehmen.Der kleine Mann kann nicht Großes übernehmen,aber man kann ihn in Kleinigkeiten erkennen.«


34. Sittlichkeit als LebenselementDer Meister sprach: »Sittlichkeit ist noch mehr für dieMenschen als Wasser und Feuer. Ins Feuer und Wasserhabe ich schon Menschen treten sehen und daransterben. Noch nie habe ich einen gesehen, der in dieSittlichkeit trat und daran starb.«


35. Keinen VortrittDer Meister sprach: »Die Sittlichkeit ist jedes MenschenPflicht. Hier darf man (sogar) dem Lehrer nichtden Vortritt lassen.«


36. Der EdleIX: FestigkeitDer Meister sprach: »Der Edle ist beharrlich, abernicht hartnäckig.«


37. Gewissenhafter FürstendienstDer Meister sprach: »Im Dienst des Fürsten soll mansein Werk wichtig nehmen und sein Einkommen hintansetzen.«


38. Jenseits der StandesunterschiedeDer Meister sprach: »Beim Lehren gibt es keine Standesunterschiede.«


39. Prinzipielle Übereinstimmung als Grundlagefür gemeinsame ArbeitDer Meister sprach: »Wenn man in den Grundsätzennicht übereinstimmt, kann man einander keine Ratschlägegeben.«


40. Deutlichkeit des StilsDer Meister sprach: »Wenn man sich durch seineRede verständlich macht, so ist der Zweck erreicht.«


41. Der Meister und der blinde MusikerDer Musikmeister Miën machte einen Besuch. Als ervor die Stufen kam, sprach der Meister: »Hier sindStufen.« Bei der Matte angelangt, sprach der Meister:»Hier ist die Matte.« Als alle saßen, teilte es (ihm)der Meister mit und sprach: »Der und der ist hier, derund der ist da.«Als der Musikmeister Miën hinausgegangen war,fragte Dsï Dschang und sprach: »Ist das die Art, wieman mit einem Musikmeister zu reden hat?« Der Meistersprach: »Ja, sicherlich muß man einem Musikmeisterso behilflich sein.«3


Fußnoten1 Dieses Nicht-tun (Wu We) spielt auch in der taoistischenPhilosophie eine große Rolle. Der Sinn istder, daß, wie der Himmel ohne irgend eine sinnfälligeÄußerung die ganze Welt in ihrem regelmäßigenGang erhält nur durch die stille Wirksamkeit des ewigenGesetzes der Vernunft (Tao), so auch derMensch, der zum Herrscher berufen ist, nur durch diegeistige Schwerkraft seines Wesens alles in Ordnunghalte. Kung stimmt in diesem Punkt vollkommen mitLao Dsï überein.2 Das Gleichnis ist von einem Wagen genommen, wieaus der zweiten Hälfte unzweifelhaft hervorgeht.3 Die Musiker waren zu jener Zeit alle Blinde, daherdie rücksichtsvolle Art, mit der Kung ihm alles mitteilt,um ihm jede Verlegenheit zu ersparen.


Buch XVI1. Ungerechter FeldzugDas (Haupt des) Geschlechts Gi war im Begriff, einenStrafzug gegen (die kleine Herrschaft) Dschuan Yü zuunternehmen. Jan Yu und Gi Lu erschienen vor MeisterKung und sprachen: »Das (Haupt des) GeschlechtesGi wird eine Unternehmung gegen DschuanYü ausführen.« Meister Kung sprach: »Kiu, bistnicht du es, der diesen Fehler macht? Dieses DschuanYü ist vor alters von den früheren Königen als Herr(der Opfer für den) Mongberg im Osten ernannt, esgehört also zu den Lehnsgebieten und hat priesterlicheFunktionen; was habt ihr damit zu tun, es zu bestrafen?«Jan Yu sprach: »Unser Herr wünscht es!Wir zwei, die wir (seine) Diener sind, wünschen esbeide nicht.« Meister Kung sprach: »Kiu, es gibt einWort von Dschou Jen, das heißt: ›Wenn man seineKraft entfalten kann, so trete man in die Reihen; wennman es nicht kann, so halte man ein.‹ Wer den Gefährdetennicht stützen kann und dem Gefallenennicht aufhelfen: wie kann man den als Führer brauchen?Also sind deine Worte falsch. Wenn ein Tigeroder ein Nashorn aus dem Käfig bricht, wenn eineSchildkrötenschale oder ein Nephrit in dem Schrein


eschädigt wird: wessen Fehler ist das?« Jan Yusprach: »Nun ist aber Dschuan Yü stark und nahe beiBi; wenn man es heute nicht nimmt, so wird es inkünftigen Zeiten sicher den Söhnen und EnkelnSchmerzen bereiten.« Meister Kung sprach: »Kiu, derEdle haßt das, wenn man unterläßt zu sagen: ›ichwünsche das‹ und durchaus andere Worte gebraucht.Ich habe gehört, wer ein Reich oder ein Haus hat,braucht nicht besorgt zu sein, wenn es menschenleerist, sondern er muß besorgt sein, wenn es nicht inOrdnung ist. Er braucht nicht besorgt zu sein, wennes arm ist, sondern er muß besorgt sein, wenn es nichtin Ruhe ist. Denn wo Ordnung ist, da ist keine Armut,wo Eintracht ist, da ist keine Menschenleere, wo Ruheist, da ist kein Umsturz. Da nun dies so ist, so mußman, wenn die Menschen aus fernen Gegenden nichtgefügig sind, Kunst und Moral pflegen, um sie zumKommen zu bewegen. Wenn man sie zum Kommenbewogen hat, so muß man ihnen Ruhe geben. Nun,Yu und Kiu, unterstützt ihr euren Herrn, aber dieMenschen aus fernen Gegenden sind nicht gefügig,und er kann sie nicht zum Kommen bewegen. Im (eigenen)Land herrscht Zwiespalt, Ruin, Entfremdungund Unfrieden, und er kann es nicht bewahren. Dazuhinplant er, Schild und Speer zu erheben innerhalbdes Staates. Ich fürchte, die Schmerzen der Enkel Giswerden nicht in Dschuan Yü sein, sondern in seinen


eignen Mauern.«


2. Der Niedergang des ReichsMeister Kung sprach: »Wenn der Erdkreis in Ordnungist, so gehen Kultur und Kunst, Kriege undStrafzüge vom Himmelssohn aus. Ist der Erdkreisnicht in Ordnung, so gehen Kultur und Kunst, Kriegeund Strafzüge von den Lehnsfürsten aus. Wenn sievon den Lehnsfürsten ausgehen, so dauert es seltenlänger als zehn Geschlechter, ehe sie (die Macht) verlorenhaben. Wenn sie von den Adelsgeschlechternausgehen, so dauert es selten länger als fünf Geschlechter,ehe sie (die Macht) verloren haben. Wenndie Dienstmannen die Herrschaft im Reich an sich reißen,so dauert es selten länger als drei Generationen,ehe sie sie verloren haben.Wenn der Erdkreis in Ordnung ist, so ist die Leitungnicht in den Händen der Adelsgeschlechter.Wenn der Erdkreis in Ordnung ist, so gibt es unterden Massen des Volks kein Gerede.«


3. Strafe der UsurpationMeister Kung sprach: »Das Recht der Beamtenernennungwurde von dem Fürstenhaus genommen seit fünfGeschlechtern. Die Regierung ist auf die Adelsgeschlechtergekommen seit vier Geschlechtern. Deshalbsind der Nachkommen der drei Huan-Geschlechterso wenige.«


4. Drei nützliche und drei schädliche FreundeMeister Kung sprach: »Es gibt dreierlei Freunde, dievon Nutzen sind, und dreierlei Freunde, die vom Übelsind. Freundschaft mit Aufrichtigen, Freundschaft mitBeständigen, Freundschaft mit Erfahrenen ist vonNutzen. Freundschaft mit Speichelleckern, Freundschaftmit Duckmäusern, Freundschaft mit Schwätzernist vom Übel.«


5. Drei nützliche und drei schädliche FreudenMeister Kung sprach: »Es gibt dreierlei Freuden, dievon Nutzen sind, und dreierlei Freuden, die vom Übelsind: Freude an der Selbstbeherrschung durch Kulturund Kunst, Freude am Reden über andrer Tüchtigkeit,Freude an vielen würdigen Freunden: das ist von Nutzen.Freude an Luxus, Freude am Umherstreichen,Freude an Schwelgerei: das ist vom Übel.«


6. Drei Fehler im Verkehr mit ÄlterenMeister Kung sprach: »Im Zusammensein mit einem(älteren) Herren gibt es drei Vergehen: wenn er dasWort noch nicht an einen gerichtet hat, zu reden: dasist vorlaut; wenn er das Wort an einen gerichtet hat,nicht zu reden: das ist versteckt; ehe man seine Mienebeobachtet hat, zu reden: das ist blind.«


7. Dreierlei VorsichtMeister Kung sprach: »Der Edle hütet sich vor dreierlei.In der Jugend, wenn die Lebenskräfte noch nichtgefestigt sind, hütet er sich vor der Sinnlichkeit.Wenn er das Mannesalter erreicht, wo die Lebenskräftein voller Stärke sind, hütet er sich vor der Streitsucht.Wenn er das Greisenalter erreicht, wo die Lebenskräfteschwinden, hütet er sich vor dem Geiz.«


8. Dreierlei EhrfurchtMeister Kung sprach: »Der Edle hat eine (heilige)Scheu vor dreierlei: er steht in Scheu vor dem WillenGottes, er steht in Scheu vor großen Männern, er stehtin Scheu vor den Worten der Heiligen (der Vorzeit).Der Gemeine kennt den Willen Gottes nicht undscheut sich nicht vor ihm, er ist frech gegen großeMänner und verspottet die Worte der Heiligen.«


9. Vier Klassen des WissensMeister Kung sprach: »Bei der Geburt schon Wissenzu haben, das ist die höchste Stufe. Durch LernenWissen zu erwerben, das ist die nächste Stufe.Schwierigkeiten haben und doch zu lernen, das ist dieübernächste Stufe. Schwierigkeiten haben und nichtlernen: das ist die unterste Stufe des gemeinenVolks.«


10. Neunerlei GedankenMeister Kung sprach: »Der Edle hat neun Dinge,worauf er denkt: beim Sehen denkt er auf Klarheit,beim Hören denkt er auf Deutlichkeit, in seinen Mienendenkt er auf Milde, in seinem Benehmen denkt erauf Würde, in seinen Worten denkt er auf Wahrheit,in seinen Geschäften denkt er auf Gewissenhaftigkeit,in seinen Zweifeln denkt er an das Fragen, im Zorndenkt er an die Schwierigkeit (der Folgen), angesichtsdes Empfangens denkt er auf Pflicht.«


11. Prinzipien mit und ohne VertreterMeister Kung sprach: »›Das Tüchtige ansehen, alskönnte man es nicht erreichen, das Untüchtige ansehen,als tauche man (die Hand) in heißes Wasser‹: ichhabe Leute dieser Art gesehen, ich habe Reden dieserArt gehört. ›Im Verborgenen bleiben, um sich auf seinZiel vorzubereiten, uneigennützig handeln, um seineGrundsätze zu verbreiten‹: ich habe Reden dieser Artgehört, aber ich habe noch nicht Leute dieser Art gesehen.«


12. Urteil über historische Persönlichkeiten:Ging von Tsi und Be J und Schu TsiFürst Ging von Tsi hatte an Pferden tausend Viergespanne,aber am Tag seines Todes pries ihn das Volknicht um einer einzigen guten Eigenschaft willen. BeJ und Schu Tsi starben Hungers am Fuß des SchouYang Berges, aber das Volk preist sie noch bis aufden heutigen Tag.Das ist gerade wie es heißt: ...(Hierher gehört vermutlich der Schluß von XII, 10:»Wahrlich nicht um ihres Reichtums willen,Einzig nur um ihrer Besonderheit willen.«)


13. Des Meisters Verhältnis zu seinem SohnTschen Kang fragte den Be Yü und sprach: »Hast duals Sohn (des Meisters) auch noch Außergewöhnliches(von ihm) zu hören bekommen?« Er entgegneteund sprach: »Noch nie. Einmal stand er allein da, alsich (ehrerbietig) mit kleinen Schritten an der Hallevorübereilte. Da sprach er: ›Hast du die Lieder gelernt?‹Ich erwiderte und sprach: ›Noch nicht.‹ (Dasprach er:) ›Wenn man die Lieder nicht lernt, so hatman nichts zu reden.‹ Da zog ich mich zurück undlernte die Lieder. An einem andern Tag stand er wiederallein da, als ich mit kleinen Schritten an derHalle vorübereilte. Da sprach er: ›Hast du die Ritengelernt?‹ Ich erwiderte und sprach: ›Noch nicht.‹ (Dasprach er:) ›Wenn man die Riten nicht lernt, hat mannichts zur (inneren) Festigung.‹ Da zog ich mich zurückund lernte die Riten. Was ich gehört habe, sinddiese beiden (Belehrungen).« Tschen Kang zog sichzurück und sprach erfreut: »Ich habe nach Einem gefragtund habe dreierlei bekommen. Ich habe über dieLieder etwas gehört, ich habe über die Riten etwasgehört; außerdem habe ich gehört, daß der Edle seinenSohn in (ehrerbietiger) Entfernung hält.«


14. Bezeichnung der Landesfürstin 1Die Gattin eines Landesfürsten nennt der Fürst:»Gattin«. Sie selbst nennt sich: »Kleines Mädchen«.Die Leute des Landes nennen sie: »Gattin des Fürsten«,gegenüber von anderen Ländern nennen sie sie:»Unsere verlassene kleine Fürstin«. Die Leute andererLänder nennen sie auch: »Gattin des Fürsten«.


Fußnoten1 Der Abschnitt ist gänzlich außerhalb der Sphäreder Lun Yü. Er findet sich in Li Gi I, II, II, 19 undist vermutlich durch irgend ein Versehen hier in denText eingedrungen, obwohl er sich auch in den altenManuskripten findet.


Buch XVII1. Begegnung mit dem Usurpator Yang Ho 1Yang Ho wünschte den Meister Kung (bei sich) zusehen. Meister Kung ging nicht, ihn zu sehen. Dasandte er dem Meister Kung ein Schwein. MeisterKung benutzte eine Zeit, da er ausgegangen war, umseinen Dankbesuch zu machen. Er begegnete ihm(aber) auf der Straße. Da redete er zu Meister Kungund sprach: »Komm, ich will mit dir sprechen«, undsprach: »Wer seinen Schatz im Busen birgt und seinLand (dadurch) in Verwirrung bringt: kann man densittlich nennen?« (Meister Kung) sprach: »Man kannes nicht.« – »Wer bedacht ist auf öffentliche Anstellungund doch immer die Gelegenheit versäumt, kannman den weise nennen?« (Meister Kung) sprach:»Man kann es nicht.« – »Tage und Monde eilen, dieJahre warten nicht auf uns.« – Meister Kung sprach:»Gut, ich werde ein Amt antreten.«


2. Natur und KulturDer Meister sprach: »Von Natur stehen (die Menschen)einander nahe, durch Übung entfernen sie sichvoneinander.«


3. Unveränderlichkeit des WesensDer Meister sprach: »Nur die höchststehenden Weisenund die tiefststehenden Narren sind unveränderlich.«


4. Kleine Zwecke, große MittelDer Meister kam zur Stadt Wu und hörte die Klängevon Saitenspiel und Gesang. Der Meister war belustigtund sprach lächelnd: »Um ein Huhn zu töten,braucht es da ein Ochsenmesser?« Dsï Yu erwiderteund sprach: »Ich habe einst den Meister sagen hören:›Der Edle, wenn er Bildung erwirbt, bekommt Liebezu den Menschen; der Geringe, wenn er Bildung erwirbt,läßt sich leicht beherrschen.‹« Der Meistersprach: »Meine Kinder, Yens Worte sind richtig,meine vorigen Worte waren nur im Scherz gesprochen.«


5. Möglichkeit des Wirkens IGung-Schan Fu-Jau hatte (die Stadt) Bi besetzt undberief (den Meister). Der Meister war geneigt zugehen. Dsï Lu war (darüber) unwillig und sprach:»Wenn man kein Unterkommen findet, so stehe man(von der öffentlichen Wirksamkeit) ab, aber warumdenn zu diesem Gung Schan gehen!« Der Meistersprach: »Daß er grade mich beruft, wie sollte das zufälligsein? Wenn jemand mich braucht, kann ichdann nicht ein östliches Dschoureich gründen?«


6. Die fünf Vorbedingungen der SittlichkeitDsï Dschang fragte den Meister Kung nach (demWesen) der Sittlichkeit. Meister Kung sprach: »Aufdem ganzen Erdkreis fünf Dinge durchzuführen, dasist Sittlichkeit.« (Dsï Dschang sprach:) »Darf ich danachfragen?« (Meister Kung) sprach: »Würde, Weitherzigkeit,Wahrhaftigkeit, Eifer und Gütigkeit. Zeigtman Würde, so wird man nicht mißachtet; Weitherzigkeit:so gewinnt man die Menge; Wahrhaftigkeit:so vertrauen einem die Menschen; Eifer: so hat manErfolg; Gütigkeit: so ist man fähig, die Menschen zuverwenden.«


7. Möglichkeit des Wirkens IIBi Hi berief (den Meister). Der Meister war geneigt,hinzugehen. Dsï Lu sprach: »Einst habe ich vomMeister gehört: ›Wer in seinem persönlichen Betragennicht gut ist, mit dem läßt sich der Edle nichtein.‹ Bi Hi hat Dschung Mou im Aufruhr besetzt;wenn (nun) der Meister hingeht: was soll das?« DerMeister sprach: »Ja, ich habe das gesagt; aber heißtes nicht auch: ›Was wirklich fest ist, mag geriebenwerden, ohne daß es abgenutzt wird‹? Heißt es nicht:›Was wirklich weiß ist, kann auch in eine dunkleFlüssigkeit getaucht werden, ohne daß es schwarzwird‹? Wahrlich, bin ich denn ein Kürbis, den mannur aufhängen kann, aber nicht essen?«


8. Die sechs Worte und sechs VerdunkelungenDer Meister sprach: »Yu, hast du die sechs Worteund die sechs Verdunkelungen gehört?« (Dsï Lu) erwiderteund sprach: »Noch nicht.« (Der Meistersprach:) »Setze dich, ich werde sie dir sagen: Sittlichkeitlieben, ohne das Lernen zu lieben: diese Verdunkelungführt zur Torheit; Weisheit lieben, ohne dasLernen zu lieben: diese Verdunkelung führt zu Ziellosigkeit;Wahrhaftigkeit lieben, ohne das Lernen zulieben: diese Verdunkelung führt zu Beschädigung2;die Geradheit lieben, ohne das Lernen zu lieben: dieseVerdunkelung führt zu Grobheit; den Mut lieben,ohne das Lernen zu lieben: diese Verdunkelung führtzu Unordnung; die Festigkeit lieben, ohne das Lernenzu lieben: diese Verdunkelung führt zu Sonderlichkeit.«


9. Der Nutzen des LiederbuchsDer Meister sprach: »Meine Kinder, warum lernt ihrnicht die Lieder? Die Lieder sind geeignet, um anzuregen;geeignet, um zu beobachten; geeignet, um zuvereinigen; geeignet, um den Groll zu wecken; in derNähe dem Vater zu dienen, in der Ferne dem Fürstenzu dienen; man lernt (außerdem) viele Namen vonVögeln und Tieren, Kräutern und Bäumen kennen.«Der Meister sprach: »Meine jungen Freunde, warum beschäftigtihr euch nicht mit der Poesie? Die Poesie ist geeignet,die Phantasie anzuregen, sie hält uns das Leben ineinem Spiegel zur Betrachtung vor und reinigt dadurchdie Gefühle; sie erweckt soziale Gesinnungen, sie entfachtden Groll gegen Ungerechtigkeit und Falschheit, sieläßt gute Vorsätze zu sittlichem Handeln in Familie undStaat entstehen. Und außerdem erweitert sie unsereKenntnis der ganzen organisierten Welt.«


10. Der Meister im Gespräch mit seinem Sohnüber die PoesieDer Meister redete zu Be Yü und sprach: »Hast duschon (die Lieder im) Dschou Nan und Schau Nan betrieben?Ein Mensch, der nicht das Dschou Nan undSchau Nan treibt, ist der nicht, gleich als stünde ermit dem Gesicht gerade vor der Wand?«


11. ScheinkulturDer Meister sprach: »›Riten‹ heißt es, ›Riten‹ heißtes: wahrlich, heißt das denn Edelsteine und Seide?›Musik‹ heißt es, ›Musik‹ heißt es: wahrlich, heißtdas denn Glocken und Pauken?«


12. Wider die HochtrabendenDer Meister sprach: »Im Äußeren streng und innerlichschwach, (so einen kann man) vergleichen mit denniedrigen Menschen. Ist er nicht wie ein Dieb, der(durch die Wand) gräbt oder einsteigt?«


13. Wider die HeuchlerDer Meister sprach: »Jene ehrbaren Leute im Landesind Räuber der Tugend.«Es gibt eine Sorte von Frommen, die in der ganzen Gegendim Ruf von Guten und Gerechten stehen: dieseSorte ist es, welche jeden geistigen Wert im Keim erstickt.


14. Wider die SchwätzerDer Meister sprach: »Auf der Straße hören und aufdem Wege reden ist die Preisgabe des Geistes.«


15. Wider die StreberDer Meister sprach: »Jene Niederträchtigen! Wahrlich,kann man denn mit ihnen zusammen dem Fürstendienen? Wenn sie es noch nicht erreicht haben,so leiden sie darunter, es zu erreichen; wenn sie esdann erreicht haben, so leiden sie darunter, es zu verlieren;wenn sie aber darunter leiden, daß sie es verlierenkönnten, so gibt es nichts, zu was sie nicht fortschreitenwürden.«


16. Der Wechsel der Fehler im Lauf der ZeitenDer Meister sprach: »Bei den Alten hatten die Leutedrei Schwächen, die so heute wohl nicht mehr vorkommen:in alter Zeit waren die Schwärmer rücksichtslos,heute sind sie zügellos; in alter Zeit warendie Harten verschlossen, heute sind sie zänkisch undrechthaberisch; in alter Zeit waren die Toren gerade,heute sind sie verschlagen.«


17. Der Schein trügtDer Meister sprach: »Glatte Worte und einschmeichelndeMienen sind selten vereint mit Sittlichkeit.«


18. Das Glänzende und das EchteDer Meister sprach: »Ich hasse es, wie das Violettden Scharlach beeinträchtigt; ich hasse es, wie dieKlänge von Dschong die Festlieder verwirren; ichhasse es, wie die scharfen Mäuler Staat und Familienumstürzen.«Der Meister sprach: »Mir ist die Art zuwider, wie dasgrelle Violett das tiefe und satte Scharlachrot totschlägt.Mir ist die Art zuwider, wie die auf die Nerven wirkendemoderne Musik den strengen Geist der alten und reinenTonkunst stört. Ebenso ist mir die Art zuwider, wie zungenfertigeSchwätzer mit ihren subjektiven Ansichten diefesten und geheiligten Grundlagen von Staat und Gesellschaftuntergraben.«


19. Wirken ohne WorteDer Meister sprach: »Ich möchte lieber nichts reden.«Dsï Gung sprach: »Wenn der Meister nicht redet, washaben dann wir Schüler aufzuzeichnen?« Der Meistersprach: »Wahrlich, redet etwa der Himmel? Die vierZeiten gehen (ihren Gang), alle Dinge werden erzeugt.Wahrlich, redet etwa der Himmel?«


20. Abweisung eines BesuchersJü Be wünschte den Meister Kung zu sehen. MeisterKung lehnte es ab, weil er krank sei. Während aberder Bote zur Tür hinausging, nahm er die Laute undsang, damit er es hören sollte.


21. Über die TrauerzeitDsai Wo fragte über die dreijährige Trauerzeit (undsprach): »Ein Jahr ist schon genug. Wenn der Edledrei Jahre lang keine Riten befolgt, so verderben dieRiten sicher. Wenn er drei Jahre lang keine Musikausübt, so geht die Musik sicher zugrunde. Wenn dasalte Korn zu Ende ist und das neue Korn sproßt, wennman beim Feueranmachen die Holzarten wechselt,dann mag es genug sein.« Der Meister sprach:»(Dann) wieder Reis zu essen und in Seide dich zukleiden: könntest du dich dabei beruhigen?« (Jener)sprach: »Ja.« – »Nun, wenn du dich dabei beruhigenkannst, so magst du es tun. Was aber den Edlen anlangt,so ist er, während er in Trauer ist, nicht imstande,gutes Essen zu genießen; wenn er Musik hört, soerfreut sie ihn nicht; wenn er in Bequemlichkeit weilt,so fühlt er sich nicht wohl. Darum tut er solche Dingenicht. Nun aber, kannst du dich dabei beruhigen, somagst du es tun.« Als Dsai Wo hinausgegangen war,sprach der Meister: »Yü ist doch lieblos! Ein Kindwird drei Jahre alt, ehe es die Arme von Vater undMutter entbehren kann. Was die dreijährige Trauerzeitanlangt, so ist sie auf dem ganzen Erdkreis diedurchgehende Trauerzeit. Hat denn Yü nicht jene dreiJahre lang die Liebe seiner Eltern erfahren?«


22. Wider das NichtstunDer Meister sprach: »Sich satt essen den ganzen Tag,ohne den Geist mit irgend etwas zu beschäftigen,wahrlich, das ist ein schwieriger Fall. Gibt es dennnicht wenigstens Schach und Dambrett? Das zu treibenist doch immer noch besser.«


23. Mut und PflichtgefühlDsï Lu sprach: »Der Edle schätzt doch wohl den Mutam höchsten.« Der Meister sprach: »Der Edle setztdie Pflicht obenan. Wenn ein Vornehmer Mut besitztohne Pflichtgefühl, so wird er aufrührerisch. Wennein Geringer Mut besitzt ohne Pflichtgefühl, so wirder ein Räuber.«


24. Was der Edle haßtDsï Gung sprach: »Hat der Edle auch (gegen jemandeinen) Haß?« Der Meister sprach: »Er hat Haß. Erhaßt die, welche der Leute Übles verbreiten; er haßtdie, welche in untergeordneter Stellung weilen und dieOberen verleumden; er haßt die Mutigen ohne Formender Bildung; er haßt die, welche fest und waghalsig,aber beschränkt sind.« Er sprach: »Sï, hast du auch(Leute, die du) hassest?« (Dsï Gung sprach:) »Ichhasse die, welche spionieren und es für Weisheit ausgeben.Ich hasse die Unbescheidenen, die sich fürmutig ausgeben, ich hasse die, welche (Geheimes)ausplaudern und es für Geradheit ausgeben.«


25. Frauen und KnechteDer Meister sprach: »Mit Weibern und Knechten istdoch am schwersten auszukommen! Tritt man ihnennahe, so werden sie unbescheiden. Hält man sich fern,so werden sie unzufrieden.«


26. Grenze der MöglichkeitenDer Meister sprach: »Wer mit 40 Jahren (unter seinenNebenmenschen) verhaßt ist, der bleibt so bis zuEnde.«


Fußnoten1 Yang Ho war der oberste Hausbeamte der FamilieGi, der die Herrschaft an sich gerissen hatte und durchAnstellung Kungs sein Ansehen stärken wollte. AlsKung auf seine Aufforderung, ihn zu besuchen, nichteinging, machte er ihm ein Geschenk, das nach denRegeln der Höflichkeit von seiten Kungs einen Dankesbesucherforderte. Kung sucht auch hierbei der Begegnungauszuweichen. Unglücklicherweise begegneter dem Usurpator auf dem Weg. Seine Weisheit bestehtnun darin, daß er widerspruchslos die Tiradendes Usurpators über sich ergehen läßt und nur miteinem: »Zu Befehl« antwortet, ohne natürlich in seineDienste einzutreten. Ein anderes Benehmen wäre fürihn eine Lebensgefahr gewesen.2 Gemeint ist rücksichtslose Konsequenz, die daseigne und andrer Leben schädigt.


Buch XVIII1. Die drei sittlichen Heroen der YindynastieDer Herr von We zog sich (vom Hofe) zurück, derHerr von Gi wurde Sklave, Bi Gan machte (demKönig Dschou Sin) Vorwürfe und wurde getötet.Meister Kung sprach: »Die Yindynastie hatte drei(Männer von wahrer) Sittlichkeit.«


2. VaterlandsliebeHui von Liu Hia war Oberrichter und wurde dreimalentlassen. Da sprach jemand zu ihm: »Meister, ist esnoch nicht so weit, daß Ihr Euch besser zurückzöget?«Er sprach: »Wenn ich auf gradem Weg denMenschen dienen will, wohin sollte ich gehen, ohnedreimal entlassen zu werden? Wollte ich aber aufkrummen Wegen den Menschen dienen, warum sollteich es nötig haben, mein Vaterland zu verlassen?«


3. Im Staate TsiDer Fürst Ging von Tsi (überlegte) die Behandlungsweisedes Meisters Kung und sprach: »Ihn so behandelnwie das Haupt des Geschlechtes Gi kann ichnicht. Ich will ihm eine Stellung geben zwischen derdes Hauptes der Gi und der des Hauptes der Mongfamilie.«Später aber sprach er: »Ich bin zu alt, ichkann mich seiner nicht mehr bedienen.« Meister Kungging.


4. Des Meisters Rücktritt aus dem Amt in LuDie Leute von Tsi sandten (dem Fürsten von Lu alsGeschenk eine Truppe von) weiblichen Musikanten.Freiherr Gi Huan nahm sie an. Drei Tage wurde keinHof gehalten. Meister Kung ging.


5. Der Narr von TschuDer Sonderling von Tschu, Dsië Yü, sang ein Liedund ging bei Meister Kung vorbei und sprach:»O Vogel Fong, o Vogel Fong,Wie sehr dein Glanz verblich!Doch was gescheh'n ist, ist gescheh'n,Nur künftig hüte dich!Gib auf, gib auf dein eitles Müh'n!Wer heut' dem Staate dienen will,Der stürzt nur in Gefahren sich!«Meister Kung stieg herab und wünschte mit ihm zureden, aber jener eilte fort und wich ihm aus. Es gelangihm nicht, mit ihm zu reden.


6. Die FurtTschang Dsü und Gië Ni waren miteinander mit Feldarbeitbeschäftigt. Meister Kung kam bei ihnen vorüberund ließ durch Dsï Lu fragen, (wo) die Furt (sei).Tschang Dsü sprach: »Wer ist der, der dort im Wagendie Zügel hält?« Dsï Lu sprach: »Das ist Kung Kiu.«Da sprach jener: »Ist das der Kung Kiu aus Lu?« (DsïLu) sprach: »Ja, der ist es.« (Darauf) sprach (jener):»Der weiß (ja wohl) die Furt.« Darauf fragte er denGië Ni. Gië Ni sprach: »Wer ist der Herr?« Ersprach: »Dschung Yu.« Darauf jener: »Bist du einSchüler des Kung Kiu aus Lu?« Er erwiderte: »Ja.«(Dann) sprach (Gië Ni): »Eine ungeheure Überschwemmung:so sieht es auf dem Erdkreis aus, undwer (ist da), es zu ändern? Und dabei einem Lehrer zufolgen, der sich nur von (einem) Fürsten (zum andern)zurückzieht! Wäre es nicht besser, einem Lehrer zufolgen, der sich von der Welt (überhaupt) zurückzieht?Darauf hackte er weiter, ohne (nochmals) innezuhalten.Dsï Lu ging, um es (dem Meister) anzusagen.Sein Meister seufzte tief und sprach: Mit denVögeln und Tieren des Feldes kann man (doch) nichtzusammen hausen; wenn ich nicht mit diesem Geschlechtvon Menschen zusammensein will, mit wemsoll ich (dann) zusammensein? Wenn der Erdkreis in


Ordnung wäre, so wäre ich nicht nötig, ihn zu ändern.«


7. Dsï Lu und der AlteDsï Lu folgte (dem Meister Kung) und blieb (auf demWeg) zurück. Da begegnete er einem alten Manne,der an einem Stab einen Unkrautkorb über der Schultertrug. Dsï Lu fragte ihn und sprach: »Hat der Herrmeinen Meister gesehen?« Der Alte sprach: »Deinevier Glieder sind nicht (zur Arbeit) beweglich, diefünf Kornarten kannst du nicht unterscheiden: wer istdein Meister?« Er steckte seinen Stab in die Erde undjätete. Dsï Lu faltete die Hände (zum Gruß) und bliebaufrecht stehen. Da behielt er Dsï Lu über Nacht,schlachtete ein Huhn, machte einen Hirsebrei und gabes ihm zu essen. Auch stellte er ihm seine zwei Söhnevor. Am andern Tag ging Dsï Lu, um es (dem Meister)anzusagen. Der Meister sprach: »Das ist ein verborgener(Weiser).« Er sandte Dsï Lu, um ihn nochmalszu sehen. Als er hinkam, war (aber jener) weggegangen.Dsï Lu sprach: »Sich von jedem Amte fernzu halten, ist wider die Pflicht. Die Schranken zwischenAlt und Jung darf man nicht verfallen lassen;nun erst die Pflichten zwischen Fürst und Diener: wiekann man die verfallen lassen? Wer (nur darauf) bedachtist, sein eignes Leben rein zu halten, der bringtdie großen menschlichen Beziehungen in Unordnung.Damit, daß der Edle ein Amt übernimmt, tut er seine


Pflicht. Daß die Wahrheit (heutzutage) nicht durchdringt:das weiß er wohl.«


8. Die sich vor der Welt VerbargenDie sich unter das Volk zurückgezogen haben, waren:Be J, Schu Tsi, Yü Dschung, J Yi, Dschu Dschang,Hui von Liu Hia, Schau Liën.Der Meister sprach: »Die ihr Ziel nicht erniedrigtenund ihre Person vor Schande bewahrten: das warenBe J und Schu Tsi. Man (kann) sagen von Hui vonLiu Hia und von Schau Liën, daß sie ihre Ziele erniedrigtenund ihre Person in Schande brachten. Dochtrafen sie in ihren Worten das Vernünftige, in ihremWandel trafen sie das Wohlerwogene; so waren sie,nichts mehr! Von Yü Dschung und J Yi (kann man)sagen, daß sie in der Verborgenheit lebten und ihrenWorten Lauf ließen; in ihrem persönlichen (Wandel)trafen sie die Reinheit, in ihrem Rückzug trafen siedas den Umständen Entsprechende. Ich nun bin verschiedendavon, (für mich gibt es) nichts (das unterallen Umständen) möglich, und nichts (das unter allenUmständen) unmöglich wäre.«


9. Der Rückzug der Musiker von Lu 1Der Kapellmeister Dschï ging nach Tsi; der (Leiterder Musik beim) zweiten Mahl, Gan, ging nachTschu; der beim dritten Mahl, Liau, ging nach Tsai;der beim vierten Mahl, Küo, ging nach Tsin; der PaukenmeisterFang Schu ging über den Gelben Fluß;der Meister der Handpauke, Wu, ging über den Hanfluß;der Unterkapellmeister Yang und der Meisterdes Musiksteins, Siang, gingen über das Meer.


10. Der Rat des Fürsten Dschou an den Fürstenvon LuDer Fürst Dschou redete zu dem Fürsten von Lu undsprach: »Der Edle vernachlässigt nicht seine Nächsten;er gibt seinen Dienern keinen Anlaß zum Grolldarüber, daß er sie nicht gebraucht; alte Vertrauteverwirft er nicht ohne schwerwiegenden Grund; erverlangt nicht Vollkommenes von einem Menschen.«


11. Die vier Zwillingspaare derDschoudynastie 2Dschou hatte acht Beamte: Be Da, Be Go, DschungDu, Dschung Hu, Schu Ye, Schu Hia, Gi Sui, GiGua.


Fußnoten1 Der Abschnitt ist ein Bericht, wie nach KungsWeggang die Musiker, die unter ihm mit der rechtenArt, Musik zu machen, bekannt geworden waren (III,23), das Land verließen, um nicht Zeugen des Verfallsder Kultur sein zu müssen.2 Was dieser Satz hier zu tun hat, ist unklar.


Buch XIX1. Das Ideal des GebildetenDsï Dschang sprach: »Der Gebildete, der angesichtsder Gefahr sein Leben opfert, angesichts des Empfangensauf Pflicht denkt, beim Opfern auf Ehrerbietungdenkt, bei den Totenbräuchen auf Trauer denkt: dermag wohl recht sein!«


2. Mangelnder FortschrittDsï Dschang sprach: »Sein geistiges Wesen festhalten,ohne es zu erweitern, die Wahrheit glauben, ohnezuverlässig zu sein: kann ein solcher als einer gelten,der (die Wahrheit) hat, oder kann er als ein solchergelten, der sie nicht hat?«Wer sein Pfund vergräbt, ohne damit zu wuchern, werder Wahrheit zwar in seinem Intellekt zustimmt, aberohne daß sie eine Macht in seinem Leben wird, ein solcherist weder kalt noch warm.


3. Dsï Hias Jünger bei Dsï DschangJünger Dsï Hias befragten den Dsï Dschang über denUmgang (mit Menschen). Dsï Dschang sprach: »Wassagt Dsï Hia darüber?« Sie erwiderten: »Dsï Hiasprach: ›Mit denen, die es wert sind, Gemeinschafthaben, die, die es nicht wert sind, fernhalten‹.« DsïDschang sprach: »Verschieden davon ist, was ich gehört.Der Edle ehrt die Würdigen und erträgt alle; errühmt die Tüchtigen und bemitleidet die Unfähigen.Bin ich ein würdiger Charakter, was sollte ich die andernMenschen nicht ertragen können; bin ich ein unwürdigerCharakter, so werden mich die andern vonsich fernhalten. Was soll da das Fernhalten der andern?«


4. Gefahr des DilettantismusDsï Hia sprach: »Auch die kleinen Liebhaberkünstehaben sicher etwas, das sich sehen läßt. Aber wennman sie zu weit treibt, ist Verwirrung zu befürchten.Darum betreibt sie der Edle nicht.«


5. Der rechte PhilosophDsï Hia sprach: »Wer täglich weiß, was ihm nochfehlt, und monatlich nicht vergißt, was er kann, derkann ein das Lernen Liebender genannt werden.«


6. Bildung und SittlichkeitDsï Hia sprach: »Ausgebreitete Kenntnisse erwerbenund fest aufs Ziel gerichtet sein, ernstlich fragen undvom Nahen aus denken: Sittlichkeit liegt darin.«


7. Das Gleichnis von den HandwerkernDsï Hia sprach: »Die hundert Handwerker bleiben inihren Werkstätten, um ihre Arbeit zu vollenden; derEdle lernt, um seine Wahrheit zu erreichen.«


8. Die Fehler der GemeinenDsï Hia sprach: »Die Fehler der Gemeinen habensicher eine Verzierung.«Ein niedrig denkender Mensch wird es stets verstehen,seine Fehler zu bemänteln.


9. Die drei Verwandlungen des EdlenDsï Hia sprach: »Dreimal verschieden erscheint derEdle. (Aus der Ferne) gesehen (erscheint er) streng.Naht man ihm, so ist er milde. Hört man seine Worte,so ist er unbeugsam.«


10. Der Wert des VertrauensDsï Hia sprach: »Der Edle (erwirbt sich) das Vertrauen,dann erst bemüht er seine Untertanen; wenn sienoch kein Vertrauen haben, so halten sie das für Härtegegen sich. Er (erwirbt sich) das Vertrauen (seinesFürsten), dann erst macht er Vorhaltungen; wenn ernoch nicht das Vertrauen (seines Fürsten) hat, so hältjener es für Beschuldigungen gegen sich.«


11. Die Großen und die KleinenDsï Hia sprach: »Die Menschen von großer Tugendübertreten nie die Grenzen. Leute von kleinerer Tugendmögen wohl einmal aus- und eingehen.«


12. Dsï Yus Kritik und Dsï Hias ReplikDsï Yu sprach: »Die Schüler Dsï Hias sind (wie) kleineKinder: im Besprengen (des Fußbodens), Kehren,Gehorchen und Antworten, Eintreten und Hinausgehen:da sind sie zu brauchen. Aber wenn über den Nebensachendie Hauptsache vernachlässigt wird, wassoll das heißen?«Dsï Hia hörte es und sprach: »Ei, Yen Yu ist imIrrtum! An der Lehre des Edlen: was ist da wichtig,daß es gelehrt werden muß, und was ist unwichtig,daß es vernachlässigt werden kann? Sie mag verglichenwerden mit den Gräsern und Bäumen, die jenach ihrer Art verschieden behandelt werden müssen.Die Lehre des Edlen: wie dürfte man die verwirren!Wer Anfang und Ende zugleich besitzt, das ist nur derHeilige!«


13. Amt und StudiumDsï Hia sprach: »Der Beamte, der Zeit übrig hat,möge lernen. Der Lernende, der Zeit übrig hat, mögeein Amt antreten.«


14. Die TrauerDsï Yu sprach: »Bei den Totenbräuchen gehe mannicht weiter als bis zu wirklicher Herzenstrauer.«


15. Dsï Jus Kritik an Dsï DschangDsï Yu sprach: »Mein Freund (Dsï) Dschang kann(alle möglichen) schwierigen Dinge fertigbringen,aber sittlich (vollkommen) ist er noch nicht.«


16. Dsong Schens Kritik an Dsï DschangMeister Dsong sprach: »Großartig in seinem Auftretenist (Dsï) Dschang, aber es ist schwer, in seinerGesellschaft Sittlichkeit zu erstreben.«


17. Die Entfaltung des Wesens in der TrauerzeitMeister Dsong sprach: »Ich habe vom Meister gehört,wenn ein Mensch sein eignes Selbst noch nicht entfaltethabe, daß das sicher in der Trauerzeit geschehenwerde.«


18. Vorbildliche PietätMeister Dsong sprach: »Ich habe vom Meister gehört:Die kindliche Gesinnung des Herren Mong Dschuangmag man in andern Dingen (zu erreichen) fähig sein.Aber daß er die Beamten seines Vaters und die Regierungsweiseseines Vaters (nach dessen Tod) nicht veränderte,darin ist es schwerlich möglich (ihn) zu erreichen.«


19. Menschlichkeit gegen die SchuldigenDas Oberhaupt des Geschlechts Mong hatte den YangFu zum Oberrichter gemacht. (Dieser) befragte denMeister Dsong. Meister Dsong sprach: »Daß die Oberenihren Weg verloren und das Volk in der Irre geht,das dauert nun schon lange. Wenn du daher den Tatbestand(eines Verbrechens) erlangt hast, so sei traurigund mitleidsvoll und freue dich nicht darüber.«


20. Die Gefahr der falschen StellungDsï Gung sprach: »Die Schlechtigkeit Dschou (Sins)war nicht so gar schlimm (wie man gewöhnlich vonihm denkt). Darum haßt es der Edle, in den Tiefen zuverweilen; denn alle Schlechtigkeiten des ganzen Erdkreisesfallen sonst auf ihn.«


21. Die Fehler des EdlenDsï Gung sprach: »Die Fehler des Edlen sind wie dieVerfinsterungen der Sonne oder des Mondes. Machter einen Fehler, so sehen es die Menschen alle. Besserter ihn, so sehen die Menschen alle wieder zu ihmempor.«


22. Die Quellen von Kungs BildungGung Sun Tschau von We befragte den Dsï Gung undsprach: »Wie kam Dschung Ni (Kungs Gelehrtennahme)zu seiner Bildung?« Dsï Gung sprach: »Der Pfadder Könige Wen und Wu ist noch nicht auf den Grundgesunken. Er ist noch vorhanden unter den Menschen.Bedeutende Männer wissen noch die Hauptsachendavon, unbedeutende Männer wissen noch die Nebensachendavon. Es gibt keinen Ort, wo der Pfad vonWen und Wu nicht mehr wäre. Wie hätte der Meisterihn da nicht kennenlernen sollen, und was brauchte erdazu einen einzelnen, bestimmten Lehrer?«


23. Die HofmauerWu Schu von dem Geschlechte Schu redete bei Hofezu den Ministern und sprach: »Dsï Gung ist bedeutenderals Dschung Ni.« Dsï-Fu Ging-Be sagte es DsïGung an. Dsï Gung sprach: »Es ist wie bei einem Gebäudeund seiner Mauer. Meine Mauer reicht nur biszur Schulterhöhe: man kann leicht darüber wegsehenund das Schöne des Hauses (erkennen). Des MeistersMauer ist viele Klafter hoch. Wer nicht die Tür davonerreicht und hineingeht, der sieht nicht die Schönheitendes Ahnentempels und den Reichtum der hundertBeamten. Die aber seine Tür erreichen, das sind wohlwenige. Ist es darum nicht ganz in Ordnung, daß jenerHerr so redet?«


24. Die Hügel und Sonne und MondWu Schu von dem Geschlechte Schu schmälteDschung Ni. Dsï Gung sprach: »Damit erreicht mannichts. Dschung Ni kann nicht geschmält werden.Andrer Menschen Bedeutung ist wie ein Hügel oderwie eine Anhöhe: man kann sie übersteigen. DschungNi ist wie Sonne und Mond: es wird nicht gelingen,über ihn hinwegzukommen. Wenn einer auch sichselbst von ihnen scheiden will: was schadet das Sonneund Mond? Man sieht daraus nur, daß er seine Fähigkeitennicht kennt.«


25. Der HimmelsfürstTschen Dsï Kin redete zu Dsï Gung und sprach: »Ihrseid zu gewissenhaft; wie sollte Dschung Ni bedeutendersein als Ihr?« Dsï Gung sprach: »Unter Edlengenügt ein Wort, um als weise zu erscheinen, einWort, um als unweise zu erscheinen. Darum darf manin seinen Worten nicht unvorsichtig sein. Die Unerreichbarkeitdes Meisters ist wie die Unmöglichkeit,auf Stufen zum Himmel emporzusteigen. Wenn derMeister ein Land (als Erbe) bekommen hätte (so wärees eingetroffen): ›Was er festsetzt, wird Gesetz, waser befiehlt, das geschieht; er gibt ihnen Frieden, undsie kommen herbei; was er bewegt, das ist im Einklang.Sein Leben ist herrlich, sein Tod schafft Trauer.‹Wie wäre es möglich, ihn zu erreichen?«


Buch XX1. Die heiligen Fürsten der VorzeitYau sprach: »Du, o Schun! Des Himmels Bestimmungder Zeiten kommt an deine Person. Halte treulichdiese Mitte. Wenn die (Menschen innerhalb der)vier Meere in Bedrängnis und Mangel kommen, sowird des Himmels Lohn für ewig zu Ende sein.«Schun gebrauchte auch (diese Worte), um Yü zubetrauen. – ...1 sprach: »Ich, dein Sohn Li, wage es,ein dunkelfarbenes Rind zu opfern; ich wage es, dirzu unterbreiten, o erhabener, erhabener HerrscherGott, daß ich dem Sünder nicht wagte zu verzeihen;deine Knechte, o Gott, will ich nicht verdunkeln, ihrePrüfung geschehe nach deinem Herzen, o Gott. Wennich selbst Sünde habe, so rechne sie nicht den zehntausendGegenden zu; wenn die zehntausend GegendenSünde haben, so bleibe die Sünde auf meinemLeib.«»Dschou hat großen Lohn:Tüchtige Männer sind dieser Reichtum.Obwohl Dschou Verwandte hat,(Stehen sie ihm) nicht so (hoch) wie gute Menschen.Wenn das Volk Fehler hat,


So mögen sie auf mich allein kommen.«...2 Sie achteten sorgsam auf Wage und Maß, prüftenGesetze und Rechte, setzten entlassene Beamte wiederein, und die Regierung der vier Himmelsgegendennahm ihren Lauf. Sie brachten erloschene Staatenwieder zur Blüte, sie gaben abgebrochenen GeschlechternFortsetzung, sie zogen Leute ans Licht,die sich in Verborgenheit zurückgezogen hatten. Undalles Volk unter dem Himmel wandte (ihnen) seinHerz zu. Was sie besonders wichtig nahmen, war dieNahrung des Volks, Totenbräuche und Opfer. Siewaren weitherzig, so gewannen sie die Massen; siewaren treu, so vertraute ihnen das Volk; sie waren eifrig,so hatten sie Erfolg; sie waren gerecht, so waren(alle) befriedigt.


2. Der rechte HerrscherDsï Dschang befragte den Meister Kung und sprach:»Wie muß man handeln, damit man imstande sei,(gut) zu regieren?« Der Meister sprach: »Achte diefünf schönen (Eigenschaften) hoch und beseitige dievier üblen, dann bist du imstande, (gut) zu regieren.«Dsï Dschang fragte: »Welche (Eigenschaften) heißendie fünf schönen?« Der Meister sprach: »Der Herrscherist gnädig, ohne Aufwand zu machen; er bemüht(das Volk), ohne daß es murrt; er begehrt, ohne gierigzu sein; er ist erhaben, ohne hochmütig zu sein; er istehrfurchtgebietend, ohne heftig zu sein.«Dsï Dschang fragte: »Was heißt das, gnädig sein,ohne Aufwand zu machen?« Der Meister sprach:»Wenn man die (natürlichen Quellen) des Reichtumsder Untertanen benützt, um sie zu bereichern: ist dasdenn nicht Gnade ohne Aufwand? Wenn man vorsichtigauswählt, (womit man das Volk gerechterweise)bemühen darf, und es dann (entsprechend) bemüht:wer wird da murren? Wenn man Sittlichkeit begehrtund Sittlichkeit erreicht, wie wäre das gierig?Wenn der Herrscher ohne Rücksicht, ob (er es mit)vielen oder wenigen, ohne Rücksicht, (ob er es mit)Großen oder Kleinen (zu tun hat), nicht wagt, (dieMenschen) geringschätzig zu behandeln: ist das denn


nicht erhaben, ohne hochmütig zu sein? Wenn derHerrscher seine Kleidung und Kopfbedeckung ordnet,auf seine Mienen und Blicke achtet, daß er eine Hoheit(zeigt), so daß die Menschen, die ihn sehen, sichscheuen: ist das denn nicht ehrfurchtgebietend, ohneheftig zu sein?«Dsï Dschang sprach: »Welche (Eigenschaften) heißendie vier üblen?« Der Meister sprach: »Ohne (vorherige)Belehrung zu töten: das heißt Grausamkeit;ohne (vorherige) Warnung (die auferlegten Arbeiten)fertig sehen (zu wollen): das heißt Gewalttätigkeit;nachlässige Befehle erteilen und (doch) auf Einhaltungder Zeit (bei der Ausführung dringen): das heißtUnrecht; und schließlich: wenn man (Belohnungen)an (verdiente) Leute gewährt, bei ihrer Verteilung zugeizen: das heißt Kleinlichkeit.«


3. Die Summe der LehreDer Meister sprach: »Wer nicht den Willen Gotteskennt, der kann kein Edler sein. Wer die Formen derSitte nicht kennt, der kann nicht gefestigt sein. Werdie Rede nicht kennt, der kann nicht die Menschenkennen.«


Fußnoten1 Hier fehlt die Bezeichnung. Unzweifelhaft ist Tanggemeint, wie aus dem Vornamen Li hervorgeht.2 Auch hier fehlt die Einleitung.

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