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Servus Magazin / Deutschland Dez. 2013 - Josefine Unterhauser

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Hier hingen mal Tabakblätterzum Trocknen, das alles warmal eine Scheune. Heute: einfaszinierendes Wohnhaus.Die Holzbalken von früher,Eisenträger, weite Blicke,weißes Sofaeck, heitereAtmosphäre.Esist nicht genug zu wissen, man musses auch wollen. Es ist nicht genug zu wollen,man muss es auch tun“. Was Dichterfürst JohannWolfgang von Goethe (1749 – 1832)sagte, könnte das Lebensmotto von Carolaund Florian Blümig sein.Sie, gelernte Dekorateurin, hat es demonstrativauf eine Fensterscheibe geschrieben.Von hier begrüßt das Zitat jedenGast und stellt gleich klar, wer hier wohnt:Menschen mit Träumen, mit Visionen – undmit Tatkraft.Dass sich Florian Blümig mit Häusernauskennt, ist klar, schließlich sind Häusersein Beruf, er ist Architekt. Er weiß, wieman neue Häuser baut und alte saniert. Inseinem eigenen Heim hat er beides verwirklicht,er hat eine 70 Jahre alte Tabakscheuneeinfach mit modernen Wohneinheitenversehen.Anfangs war nicht jeder von seinem Bauvorhabenüberzeugt. Wie oft er bei Behördenvorstellig war, kann er gar nicht mehrzählen. „Es waren verflixt viele Behördengänge“,sagt er. Aber so ist es eben. Wenn ersich mal was in den Kopf gesetzt hat, ziehter es auch durch, womit wir wieder bei Goethesind: Es ist eben nicht genug zu wissen.Man muss es auch wollen und tun.ZIGARRENDUFT, HÖHENLUFTEs ist ein kühler Wintertag, als uns der Architektund seine Frau vor der Tabakscheunebegrüßen. Schon von außen macht dasGebäude ordentlich was her: Es thront aufeiner kleinen Anhöhe und ist mit Ausmaßenvon 40 m Länge, 8 m Breite und vier Stockwerkensamt lang gezogener Dachreiter nurschwer zu übersehen. Allein steht das großeHolzgebäude zwischen Maifeldern undStreuobstwiesen und schaut hinunter aufs2000-Seelen-Dorf Neibsheim, unweit vonKarlsruhe.Durchs große, orangerote Schiebetorgehts ins Innenleben des Gebäudes. Augenblicklichsteht man in der Remise. Einer Remisequasi unterm Haus, mit einer gepflastertenDurchfahrt, durch die einst➻<strong>Servus</strong> 77


„Wo gibt es das sonst, dass manzuhause bis zu 40 Meter weitsehen kann“, sagt HausherrFlorian Blümig, 43, rechts mitseiner Frau Carola, 48. Zu ihrenFüßen Gildo, Deutscher Kurzhaar-Rüde.Der Blick geht durchFlur, Küche,Essbereich bis hinüber insWohnzimmer, alles ohneTrennwände.Buche prasselt, Flammen lodern,draußen stürmt der Winter heran,hier ist es behaglich. Glas stopptden Funkenflug, das erhöht die Sicherheit,auch für die Dekoration.


Sammlerstücke in der ehemaligen Scheune.Bilder, Spiegel, Truhen, die optisch nichts Bulliges,Schweres an sich haben. Das Kinderbett (o.) istvom Flohmarkt. Ausrangiertes hat hier ein zweitesLeben.mehr. Längst waren die Abrissarbeiten ausgeschrieben.Das Ende war besiegelt, fast.Der Architekt wusste, was zu tun war. Ermusste Behörden und Politiker mit seinenPlänen für die alte Scheune überzeugen,denn „die Entscheidungen einer Verwaltunglassen sich nur schwer rückgängig machen“,fürchtete er.So reichte der Architekt Antrag um Antragund Gutachten um Gutachten ein. Dasich niemand eine Wohnnutzung desZweckbaus von 1939 so recht vorstellenkonnte, baute er sogar von seinem Traumhausein Miniaturmodell. Schließlich fandFlorian Blümig, 43, doch noch einen Fürsprecher,der ganz begeistert war - und daswar immerhin der Bürgermeister.Nach einem Jahr konnten Florian undCarola Blümig endlich loslegen. Theoretischwar in dem 3.700 Kubikmeter dicken Bauchder Tabakscheune genug Platz für acht Reihenhäuser.Damit wäre der offene und weitläufigeCharakter des Hauses allerdingsfutsch gewesen. Genau das wollte ArchitektFlorian Blümig verhindern.So behielt er das luftige Prinzip des Speichersauch für den Wohnbereich bei undhängte zwei doppelgeschossige Penthäuserwie Wespennester rechts und links untermDach ein. Sie sind mit orangefarbenem Heraklith(Faserplatten) verkleidet und halteneinen Meter Abstand zu den Außenwänden.So kann die Luft weiterhin zirkulieren.Eines der beiden Lofts nutzen die Hausherrenprivat, das gegenüberliegende alsBüro- und Ferienapartment. Von untenführt eine Holztreppe – das Original vonfrüher – hinauf. Wer sie erklimmt, sollte keineHöhenangst haben. Carola und FlorianBlümig steigen voran, wir hinterher.DENKE GROSS, WAGE GROSSOben weisen die ????? den Weg: durch eineGlastür hinein in ihre Wohnhälfte. „Die Leute,die draußen vorübergehen, meinen, hierdrinnen müsste es dunkel sein. Dabeikommt durch die Lamellen überall das Lichtherein“, sagt Carola Blümig. Die Holzlamellen,die mit schädlichem Teeröl bearbeitetwaren, hat das Ehepaar selbst ausgebautund durch neue, unbedenkliche, ersetzt.„3660 waren es insgesamt“, sagt Carola Blümig.Übrigens kommt noch mehr Lichtdurch zwei Oberlichter.Die Hausherrin geht vier Schritte vorund steht gleichzeitig: im Flur, in der Küche,im Esszimmer, im Wohnzimmer.Bei Familie Blümig gibt es nämlich keineeinzelnen Zimmer. Alles ist ein großerRaum. Lediglich die zahlreichen Holzbalkenverleihen Struktur. Über eine freischwebendeTreppe gelangt man ins Schlaf-, Fernseh-und Bade-Zimmer. Auch hier ist allesoffen. Selbst die verglaste Dusche scheintmittendrin zu stehen.Carola Blümig gibt zu, dass es Momentegibt, da hätte sie „gerne Türen“ oder ein„abgeschlossenes Zimmer“, in das man sich„zurückziehen“ kann.80 <strong>Servus</strong>


Links: Hier ist die alteKonstruktion mitStufen und Stützenbesonders deutlich zusehen. Darunter:Großzügig und dochganz nah, vom Schlafraumsieht man nachlinks ins Bad. Mitte:eine neue Feuertreppe.Gleich daneben dieDurchfahrt durchsHaus. Rechts: Abenddämmerung,auchdurch die Lamellen flutetLicht, das wirktgeheimnisvoll.Advent. Teelichter flackern, matt-silberne undmatt-rote Kugeln schimmern, kunstvolles Federviehbelebt die Szene. Carola Blümig istDekorateurin.Das ist ja die ewige Frage der Architektur.Wie weit muss sich der Einzelne in einerFamilie zurückziehen können, in „seinReich“? Oder ist es besser, wenn man sichnicht abkapseln kann, gar in einem anderenStockwerk? Mutter in der Küche, Papa imLesesessel, die Kinder vorm Rechner untermDach, jeder für sich, wie gut tut das?Architekt Florian Blümig jedenfalls liebtdas unbegrenzte Wohnkonzept, und seineFrau Carola prinzipiell auch. Er: „Wo kannman schon 40 Meter weit von einem Endedes Hauses bis zum anderen Ende sehen?“Heisst es nicht: In großen Räumen wachsengroße Gedanken, große Ideen?Die Inneneinrichtung der alten Tabakscheunemit ihren Penthäusern ist das Metierder Hausherrin, Carola Blümig, 48, istgelernte Dekorateurin. Sie spielt mit Farben,arrangiert Vasen, mischt alte mit neuenMöbeln. „Wir haben alles ganz bewusstin Weiß gehalten, das gibt einen schönenKontrast zu den Holzpfeilern.“Selbst den antiken Schrank hat sie mitweißer Lasur versehen. Rosa gestricheneGeweihe, himmelblaue Kissenbezüge undrotkarierte Decken setzen heitere Akzente.„Schlicht, gleichzeitig verspielt, mit einemHauch Romantik“, so beschreibt sie den Stil,mit dem die das Haus eingerichtet hat.ES KNARZT, ÄCHZT, LEBTWer in einer ehemaligen Scheune aus Holzwohnt, hört es irgendwann nicht mehr, dasKnarzen, Ächzen, Raunen. „So ein Haus istständig in Bewegung“, sagt Florian Blümig,„es lebt halt.“Rund 420 Quadratmeter Angriffsflächebietet das Haus bei Sturm. Alle Lamellensind gesichert, auf der Wetterseite bietetPlexiglas zusätzlichen Schutz, dennochkann ein Orkan furchterregend an der Fassaderütteln. Einmal war es so schlimm, dahat Carola Blümig „vorsichtshalber den Koffergepackt“. Aber dann zog der Orkan weiter.Mittlerweile hat sich das Ehepaar darangewöhnt, mitten in der Natur zu leben. Vorherwohnten sie in einer schicken Stadtwohnung,jetzt grasen Rehe unter ihrem Balkon,Hasen hoppeln über die Wiesen. Im Sommergenießt Familie Blümig den Gartenrund ums Haus. „Ein perfekter Ort, um runterzukommen“,sagt er.Lieblingsplatz ist der Freisitz zwischenden beiden Lofts. Die ehemalige Arbeitsbühnenutzen sie wie eine Loggia, hier sindsie gern zu jeder Tageszeit, zu jeder Jahreszeit.Am liebsten mit ganz vielen Freunden.Jetzt im Winter sitzen Carola und FlorianBlümig hier in dicke Decken gehüllt, oftspinnen sie neue Ideen für ihr Haus. Vielleichteinen kleinen Einrichtungsladen?Oder doch lieber ein hübsches Café?Am Firmament geht goldgelb der Mondauf, frech spitzt er durch die Holzlamellen,über Florian Blümig und seine Frau kommtwohlige Ruhe. Schließlich machen auchMacher manchmal nichts, ein kleiner köstlicherLuxus. 3<strong>Servus</strong> 81

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