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Postmortale Organspende: Es spricht mehr für die Zustimmungslösung ...

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Focus_Transplantation Eliane Pfister a<strong>Postmortale</strong> <strong>Organspende</strong>: <strong>Es</strong> <strong>spricht</strong> <strong>mehr</strong> für <strong>die</strong>Zustimmungslösung als für <strong>die</strong> Widerspruchslösung_StandpunktaInstitut für Biomedizinische Ethik, Universität Zürich<strong>Postmortale</strong> <strong>Organspende</strong>: ZustimmungsmodelleDie Entnahme von Organen, Geweben und Zellen nach demTod kann rechtlich unterschiedlich geregelt werden. <strong>Es</strong> gibtgrundsätzlich zwei verschiedene Zustimmungsmodelle, <strong>die</strong>heute in vielen Ländern angewendet werden:1. Die Zustimmungslösung erfordert für eine Entnahmeprinzipiell das aktive Einverständnis der betroffenenPerson oder der Angehörigen und wird nochmals inzwei Modelle unterschieden [1]:1.1. Die enge Zustimmungslösung erlaubt <strong>die</strong> Entnahmevon Organen, Geweben und Zellennur dann, wenn <strong>die</strong> verstorbene Person <strong>die</strong>ser zuLebzeiten zugestimmt hat. Liegt keine Zustimmungzu einer Entnahme vor, so wird <strong>die</strong>s als Ablehnunggewertet.1.2. Die erweiterte Zustimmungslösung sieht in einerfehlenden Erklärung der verstorbenen Personlediglich eine Nichterklärung. In <strong>die</strong>sem Fall werdendeshalb <strong>die</strong> nächsten Angehörigen angefragt. Wenn<strong>die</strong> nächsten Angehörigen einer Entnahme zustimmen,so ist <strong>die</strong>se zulässig. Der Wille der verstorbenenPerson hat aber – falls er vorliegt – in jedem FallVorrang gegenüber demjenigen der Angehörigen.2. Die Widerspruchslösung wertet ein Schweigen alsEinverständnis und erfordert für <strong>die</strong> Nichtentnahmeeinen expliziten Widerspruch. Sie wird nochmalsin drei Modelle unterschieden [1]:2.1. Nach der engen Widerspruchslösung dürfenOrgane, Gewebe oder Zellen einer verstorbenenPerson entnommen werden, wenn sich <strong>die</strong>sezu Lebzeiten nicht gegen einen solchen Eingriffausgesprochen hat.2 .2. Die erweiterte Widerspruchslösung berücksichtigtauch <strong>die</strong> nächsten Angehörigen als Vertreter desWillens der verstorbenen Person, welche über eineEntnahme bestimmen können. In einigen Länderngibt es eine Widerspruchsfrist für <strong>die</strong> Angehörigen.2.3. Fehlt eine Willensäusserung der verstorbenenPerson, müssen gemäss der Informationslösung<strong>die</strong> nächsten Angehörigen über eine möglicheEntnahme innerhalb einer bestimmten Frist informiertund auf ein eventuelles Widerspruchsrechtaufmerksam gemacht werden. Widersprechen <strong>die</strong>seinnerhalb einer bestimmten Frist nicht, dürfenOrgane, Gewebe oder Zellen entnommen werden.Die Situation in der SchweizDie Entnahme von Organen, Geweben und Zellen ist in derSchweiz durch Artikel 8 des Bundesgesetzes vom 8. Oktober2004 über <strong>die</strong> Transplantation von Organen, Geweben und Zellenrechtlich geregelt und unterliegt demgemäss der erweitertenZustimmungslösung [2]. Seit einiger Zeit werden in derSchweiz einzelne Stimmen laut, <strong>die</strong> sich für einen Regimewechselvon der Zustimmungslösung zur Widerspruchslösung aussprechen[3]. Beispiele dafür sind <strong>die</strong> Stiftung Swisstransplant [4]und ein parlamentarisches Postulat [5], welches schliesslich vomBundesrat abgelehnt und vom Nationalrat abgeschriebenwurde. In seiner ablehnenden Antwort hielt der Bundesrat fest,dass das Thema im Jahr 2012 drängender werden könnte, wenn<strong>die</strong> Evaluation des Bundesgesetzes über <strong>die</strong> Transplantation abgeschlossenund veröffentlicht werden wird. <strong>Es</strong> scheint deshalbjetzt sinnvoll, einen genaueren Blick auf <strong>die</strong> Frage zu werfen, obdas Zustimmungsmodell tatsächlich zugunsten eines Widerspruchmodellsaufgegeben werden sollte.Widerspruchslösung: Mehr verfügbareSpenderorgane?Das Hauptargument der Befürworter einer Widerspruchslösungliegt in der Hoffnung auf eine grössere Anzahl verfügbarerSpenderorgane. In der Folge würden erstens weniger Menschenauf der Warteliste sterben und zweitens könnten möglicherweiseGesundheitskosten eingespart werden. Gemäss FranzImmler, Direktor von Swisstransplant, sind <strong>die</strong> Kosten für eineNierentransplantation mit einmaligen 75000 Franken deutlichtiefer als für eine Dialyse mit ungefähr 80000 Franken pro Jahr[4]. Zudem wird von den Befürwortern darauf aufmerksam gemacht,dass <strong>die</strong> Gespräche über <strong>die</strong> Möglichkeit der Spende mitAngehörigen von Verstorbenen erleichtert würden, wenn <strong>die</strong>Menschen prinzipiell als willige Spender angesehen würden.Eine Spende wäre unter <strong>die</strong>ser Voraussetzung der «gewöhnliche»Weg und es könnte in der Tat einfacher sein, zu <strong>die</strong>sem jazu sagen als nein, besonders wenn <strong>die</strong> kurze Entscheidungszeitmit in Betracht gezogen wird.Tatsächlich haben alle ausser der letzte der genanntenGründe für eine Widerspruchslösung nur Gewicht, wenn <strong>die</strong>Zahl der Spenderorgane durch <strong>die</strong>ses Modell tatsächlich erhöhtwerden könnte. Dies ist auch genau einer der Gründe,warum der Bundesrat das genannte Postulat zurückgewiesenhat. Gemäss seiner Antwort [5] gibt es bis jetzt keine wissenschaftlichenStu<strong>die</strong>n, <strong>die</strong> hätten zeigen können, ob und wie<strong>die</strong> verschiedenen Zustimmungsmodelle auf <strong>die</strong> tatsächlicheAnzahl Spenden Einfluss nehmen [3].Bioethica Forum / 2010 / Volume 3 / No. 2 68


Focus_TransplantationDie Rechtslage bezüglich der Zustimmung zur Organentnahmevariiert von Land zu Land [6]. Deutschland, Dänemark,Grossbritannien, Irland und Holland beispielsweisewenden wie <strong>die</strong> Schweiz <strong>die</strong> erweiterte Zustimmungslösungan; Italien, Norwegen, Österreich, Portugal und Spanien benutzen<strong>die</strong> enge oder erweiterte Widerspruchlösung undSchweden kennt <strong>die</strong> Informationslösung. In Spanien beispielsweise,wo zwar <strong>die</strong> Widerspruchslösung gesetzlich verankertist, faktisch aber <strong>die</strong> erweiterte Zustimmungslösung angewendetwird, gibt es pro Million Einwohner <strong>die</strong> weltweit meistenSpenderorgane. Auch in der Schweiz verfügte – vor dem Inkrafttretendes Bundesgesetzes über <strong>die</strong> Transplantation – einKanton (Tessin) mit der erweiterten Zustimmungslösung über<strong>die</strong> meisten Spenderorgane. Andererseits hat <strong>die</strong> Schweiz,etwa im Vergleich zu Österreich, eine ziemlich tiefe Spenderate.Obwohl ein Einfluss des Zustimmungsmodells auf <strong>die</strong>Spendebereitschaft und <strong>die</strong> tatsächliche Spenderzahl grundsätzlichmöglich ist, sind <strong>die</strong> Unterschiede in den Spenderatenwahrscheinlich in den unterschiedlichen Gesundheitssystemenund den variierenden sozialen, kulturellen und rechtlichenBedingungen eines Landes oder einer Region zu suchen.In der Schweiz liegt ein Grund für unterschiedliche Spenderatenzwischen Regionen vermutlich in der Art und Weise, wieSpitäler organisiert sind: Die Spitäler, welche <strong>die</strong> meistenSpender verzeichnen, sind jedes Jahr <strong>die</strong> gleichen [3].Eingriff in <strong>die</strong> persönlichen Rechte<strong>Es</strong> ist sicherlich wünschenswert, rechtliche, institutionelleund soziale Bedingungen zu hinterfragen, um das Ziel einermöglichst hohen Spenderate zu verfolgen. Ist es aber wirklichbesser, das Zustimmungsmodell durch das Widerspruchsmodellzu ersetzen, um – vielleicht – <strong>mehr</strong> Spenderorgane zurVerfügung zu haben? Auch wenn unter der Widerspruchslösung<strong>mehr</strong> Spenderorgane gewonnen werden könnten, gibt eseinen gewichtigen Grund, warum <strong>die</strong> Zustimmungslösungtrotzdem nicht ersetzt werden sollte. <strong>Es</strong> ist eine prinzipielleFrage, ob <strong>die</strong> Achtung der persönlichen Rechte der Verfügungüber den eigenen (toten) Körper geschützt oder untergrabenwerden soll. Ein Regimewechsel würde letzterem zu nahe kommen.<strong>Es</strong> ist paradox, wenn jede Person, <strong>die</strong> ihre Organe nichtspenden will, sich in ein Register eintragen lassen muss, damitihr nach dem Tod etwas Ureigenes nicht weggenommen wird. 1Wie wäre es, als Beispiel für eine ähnliche Situation, wenn wirohne informierte Zustimmung einer Person ihren toten Körperfür <strong>die</strong> medizinische Lehre und Forschung benutzen würden?Für <strong>die</strong> Gesellschaft wäre wahrscheinlich ein zusätzlicherNutzen da, wenn tote Körper plötzlich in grösserer Zahl verfügbarwären. Wäre es aber angemessen, zu Lebzeiten explizitnein sagen zu müssen, wenn man seinen Körper nach dem Todnicht zu <strong>die</strong>sem Zweck verfügbar machen will? Ein toter Körperund ein Organ als dessen Bestandteil sind nichts, worübereine staatliche oder private Institution ohne aktive Zustimmungverfügen kann. Auch wenn – bei Anwendung der erwei-1 Eigentum meint hier das persönliche Recht bzw. das Recht derAngehörigen im Rahmen des Persönlichkeitsrechts, über den totenKörper zu verfügen.terten Widerspruchslösung – <strong>die</strong> Angehörigen oder vertrautePersonen über <strong>die</strong> Organentnahme befragt würden, darf <strong>die</strong>Entscheidung über <strong>die</strong> <strong>Organspende</strong> nicht per Gesetz an Drittedelegiert werden, sondern sie muss kategorisch <strong>die</strong> persönlicheund freiwillige einer jeden einzelnen Person sein. Die Annahme,dass jede Person, <strong>die</strong> sich zu Lebzeiten nicht zur eigenen<strong>Organspende</strong> geäussert hat, eine willige Spenderin oderein williger Spender ist, untergräbt <strong>die</strong>se persönliche Entscheidung.Zum Schluss sollen noch zwei mögliche Einwände angesprochenwerden, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Zustimmungslösung zu entkräften versuchen.Erstens wird von den Befürwortern einer Widerspruchslösungimmer wieder hervorgebracht, dass <strong>die</strong> Mehrheit derBürgerinnen und Bürger in der Schweiz eigentlich bereit wärenihre Organe zu spenden, sich zu Lebzeiten aber nie dazu geäusserthaben. Diese sind unter der Zustimmungslösung in der Tatso etwas wie «verlorene» Organe. <strong>Es</strong> ist aber genauso wahrscheinlich,dass es Menschen gibt, <strong>die</strong> sich zu einer <strong>Organspende</strong>nie geäussert haben, <strong>die</strong>ser aber nicht zustimmen würden,wenn sie gefragt würden. Wären <strong>die</strong>se aber wiederum, imFalle ihrer Entnahme unter der Widerspruchslösung, nichtunrechtmässig zu Eigen gemachte, um nicht zu sagen, gestohleneOrgane? Zudem darf <strong>die</strong> postulierte Meinung der Mehrheitnicht als Rechtfertigung für <strong>die</strong> Missachtung der Rechte einerMinderheit benutzt werden. Zweitens gibt es <strong>die</strong> Auffassung,dass wir sowieso alle moralisch verpflichtet seien, unsere Organezu spenden. Hätten wir <strong>die</strong>se Verpflichtung aber nichtnur, wenn es gleichzeitig das Recht auf ein Spenderorgan gäbe?Wir haben aber weder ein gesetzliches, noch ein moralischesRecht auf ein Spenderorgan. Schweigen darf aus den genanntenGründen nicht als Zustimmung gewertet werden. Die Aussichtauf eine höhere Zahl an Spenderorganen vermag den Einsatzfür einen Regimewechsel nicht zu rechtfertigen.KorrespondenzEliane Pfister, lic. phil.Institut für Biomedizinische EthikUniversität ZürichPestalozzistrasse 24CH-8032 Züriche-mail: pfister@ethik.uzh.chReferenzen1. http://www.bag.admin.ch/transplantation/06518/06519/index.html?lang=de (aufgerufen am 19.8.2010)2. http://www.admin.ch/ch/d/sr/810_21/a8.html (aufgerufen am 19.8.2010)3. Vgl. Neue Zürcher Zeitung. Für Regimewechsel bei der <strong>Organspende</strong>.11.09.2009 und Neue Zürcher Zeitung. Widerspruch stattZustimmung. 23.9.2009.4. Berner Zeitung, Interview mit Franz Immler, Direktor Swisstransplant:Sparpotenzial von einer Milliarde. 17.08.2009.5. http://www.parlament.ch/d/suche/seiten/geschaefte.aspx?gesch_id=20083158 (aufgerufen am 19.8.2010).6. Die aufgeführten Daten stammen vom Bundesamt für Gesundheit,vgl. http://www.bag.admin.ch/transplantation/00694/00727/index.html?lang=de (aufgerufen am 19.8.2010).Bioethica Forum / 2010 / Volume 3 / No. 2 69

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