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das alte schiffshebewerk niederfinow - Historische Wahrzeichen der ...

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Die Bundesingenieurkammerzeichnet seit 2007 historisch bedeutendeIngenieurbauwerke mit dem Titel„<strong>Historische</strong>s <strong>Wahrzeichen</strong> <strong>der</strong>Ingenieurbaukunst“ aus und würdigtdie herausragenden Leistungenvergangener Ingenieur-Generationen.Herausgeber:BundesingenieurkammerKonzept: Jost HähnelGestaltung: Thomas Mengel, BerlinProduktion:Runze & Casper Werbeagentur GmbH, BerlinBestellungen:Gegen eine Schutzgebühr von 14,80 Euro bei:BundesingenieurkammerKochstraße 2210969 BerlinTel: 030 - 2534 2901Fax: 030 - 2534 2903info@bingk.deCopyright 2007 by Bundesingenieurkammer1. Auflage November 2007ISBN 978-3-9807281-4-5


Karl Heinrich Schwinn6 Vorwort des HerausgebersEckhard Schinkel8 Kurze Anmerkungen und Stichworte – Zur langen Geschichte<strong>der</strong> Schiffshebewerke12 Schiffshebewerke um 1900 – Wettbewerb um die beste Lösung16 Das Schiffshebewerk Nie<strong>der</strong>finow – Die Geschichte einer Annäherung28 Technik – „Die ganz eigenartigen Bedürfnisse <strong>der</strong> Schiffshebewerke“30 Grundbau32 Stahlgerüst36 Antrieb und Sicherheit – Drehriegel D.R.P. 380377 (Loebell)38 Trog und Seile – Modellversuche44 Ausgewählte BetriebsanlagenKraftwerk, Seiltreidelanlage, Treidellokomotive46 Heben und Senken <strong>der</strong> Schiffe48 Hans Poelzig und sein gest<strong>alte</strong>rischer Gegenentwurf54 Herausragende Ingenieurbauwerke – Ausblick auf die neuen SchiffshebewerkeAnhang58 Technische Daten60 Bildnachweis, Archiv, ausgewählte Literatur62 Anmerkungen64 För<strong>der</strong>verein <strong>Historische</strong> <strong>Wahrzeichen</strong> <strong>der</strong> Ingenieurbaukunstin Deutschland66 Der wissenschaftliche Beirat


Das Schiffshebewerk Nie<strong>der</strong>finow –Die Geschichte einer AnnäherungSchiffshebewerk Nie<strong>der</strong>finow liegt an <strong>der</strong> Havel-O<strong>der</strong>-Wasserstraße nordöstlich von Berlin. Der Kanal-Daswar 1914 als „Hohenzollern-Kanal“ in Betrieb genommenworden. Die Namensgebung geht auf Kaiser Wilhelm II.zurück, <strong>der</strong> sich und seine Regentschaft damit in die Tradition<strong>der</strong> großen und erfolgreichen Wasserbauprojekte seiner Vorfahreneinreihte. Große Werke <strong>der</strong> Technik waren immer auchein Mittel <strong>der</strong> politischen Repräsentation.Die Havel-O<strong>der</strong>-Wasserstraße ersetzte den <strong>alte</strong>n Finowkanalvom Anfang des 17. Jahrhun<strong>der</strong>ts; geplant und neu gebautworden war er zwischen 1743 und 1746 unter dem preußischenKönig Friedrich II; später mehrfach erweitert. 5Der Kanal war <strong>das</strong> Bindeglied für die Wasserstraßenverbindungzwischen Berlin und dem Ostseehafen Stettin an <strong>der</strong>Mündung <strong>der</strong> O<strong>der</strong>. Der Abstieg von <strong>der</strong> Havel zur O<strong>der</strong> erfolgtePostkarte mitSchleusen-Treppe (1914)und Hebewerk (1934)1mithilfe von siebzehn Schleusen. Der große Transportbedarf<strong>der</strong> Eisen-, Ziegel- und Holzindustrie entlang des Finowkanalsführte gegen Ende des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts zur Überlastung <strong>der</strong>Wasserstraße und zur For<strong>der</strong>ung nach einem mo<strong>der</strong>nen Groß-


schifffahrtsweg. Nach langen politischen Auseinan<strong>der</strong>setzungenging diese For<strong>der</strong>ung in <strong>das</strong> wegweisende preußischeWasserstraßengesetz vom 1. April 1905 ein. Maßgeblich an<strong>der</strong> zugrunde liegenden Politik des regionalen Interessenausgleichsbeteiligt war <strong>der</strong> Ministerialdirektor und Architekt desMittellandkanal-Projekts, Leo Sympher.Die größte technische Herausfor<strong>der</strong>ung im Verlauf <strong>der</strong>geplanten Wasserstraße war die Überwindung eines Geländesprungsvon 36 m Höhenunterschied (abhängig vom O<strong>der</strong>-Wasserstand bis zu 37,14 m) bei Nie<strong>der</strong>finow/Liepe, nordöstlichvon Berlin. Als Abstiegsanlage sollte entwe<strong>der</strong> eine Schleusentreppe,eine geneigte Ebene o<strong>der</strong> ein Schiffshebewerk fürSchiffe von 65 m Länge, 8 m Breite und 1,75 m Tiefgang und miteiner Tragfähigkeit von 600/650 t gebaut werden. 17


1906 schrieb <strong>das</strong> preußische Ministerium <strong>der</strong> öffentlichenArbeiten einen Wettbewerb aus. Zehn Entwürfe gingen ein,sechs davon sahen den Bau von Senkrecht-Hebewerken vor.Die preußische Akademie des Bauwesens entschied sich fürkeinen <strong>der</strong> Vorschläge, son<strong>der</strong>n empfahl im Oktober 1908, denBau einer Schleusentreppe vorzuziehen. Für den ebenfalls vorgesehenenBau eines zweiten, parallelen Abstiegs sollten weitereUntersuchungen angestellt werden. Empfohlen wurde dieWeiterentwicklung von Hebewerken auf folgenden Grundlagen:• einfache senkrechte Hebung mit Schraubenspindelführungund Gegengewichten o<strong>der</strong> sonstigem zweckmäßigenGewichtsausgleich,• schwingende Hebung durch Waagebalkenin sicherer Führung,• halbkreisförmige Hebung durch eine schwimmendeTrommel mit gesichertem Antrieb. 6Entscheidend war, <strong>das</strong>s we<strong>der</strong> die Vorschläge für geneigte Ebenenaus dem Jahr 1898 noch spätere Konzepte für dieses Systemwie<strong>der</strong> aufgenommen wurden.Das Hebewerk Nie<strong>der</strong>finow sollteein Senkrecht-Hebewerk werden.Als einziges „Studienobjekt in situ“hätte <strong>das</strong> Hebewerk An<strong>der</strong>ton inEngland dienen können; dessenUmrüstung von hydraulischem aufGegengewichtsbetrieb war 1906 abgeschlossenworden.1912, mit <strong>der</strong> Veröffentlichungvon zwei neuen Gutachten<strong>der</strong> Akademie, endete <strong>der</strong> zweite,beschränkte Wettbewerb inPreußen. Die Ergebnisse zeigten, <strong>das</strong>s den Empfehlungen <strong>der</strong>Akademie nur bedingt gefolgt worden war. Die UnternehmenBeuchelt, Gutehoffnungshütte und M.A.N. hatten, wie Ellerbeck7 Nutzung des Auftriebs:Vorschläge für ein SchiffshebewerkNie<strong>der</strong>finow(Ausschnitt aus: VDI-Zs. 1930, S. 252)Nach dem Umbau von hydraulischemauf Gegengewichtsbetrieb:<strong>das</strong> Hebewerk An<strong>der</strong>ton(1875/1906; Foto: 1908) 519


20ausführte, die Grundgedanken erneut durchgearbeitet, „z.T. unterBenutzung ganz neuer Auffassungen und neuer Lösungen“.Parallel dazu erschienen weitere Vorschläge in <strong>der</strong> zeitgenössischenFachliteratur. Die Bereitschaft zu konstruktiver Fantasieund zur riskanten, d. h. nicht in jedem Detail durch Erfahrungabgesicherten Lösung war noch weitgehend ungebrochen.Als Gewinner aus dem Wettbewerb von 1912 ging <strong>der</strong>Entwurf <strong>der</strong> Beuchelt AG in Grünberg, Schlesien [heute: ZielonaGóra, Polen], hervor: „Schiffshebewerk mit gleicharmigenWaagebalken“. Dieser Vorschlag war eine Weiterentwicklungdes Wettbewerbsbeitragsaus dem Jahr 1906 für einHebewerk mit zweiarmigemHebel. Eingereicht hatte ihndamals <strong>das</strong> „TechnischeBüreau für IngenieurbautenBruno Schulz, Regierungsbaumeistera. D. und Privatdozent,Berlin-Halensee“ zusammenmit <strong>der</strong> BeucheltAG, „Fabrik für Brückenbauund Eisenconstructionen“,unter Mitwirkung des WasserbauinspektorsSchnapp. Die „Zeitschrift des Vereins <strong>der</strong> Ingenieure“stellte den überarbeiteten Entwurf <strong>der</strong> Beuchelt AGvor und würdigte beson<strong>der</strong>s die „große Einfachheit und vollkommeneBetriebssicherheit des ganzen Werkes“. 7 Auf Veranlassungdes Ministeriums <strong>der</strong> öffentlichen Arbeiten hatte die KöniglicheBauleitung Eberswalde bereits 1914 einen „Vorentwurf“für ein Schiffshebewerk Nie<strong>der</strong>finow mit Waagebalken fertiggestellt. 8 1918 sollte <strong>das</strong> Hebewerk den Betrieb aufnehmen.Der Erste Weltkrieg durchkreuzte diese Planungen.Nach dem Ende des Kaiserreichs und <strong>der</strong> Etablierung <strong>der</strong>Weimarer Republik ging die Verantwortung für die Wasserstraßenvon den Län<strong>der</strong>n auf <strong>das</strong> Deutsche Reich über. Doch schon1 Gewinner des Wettbewerbs 1912für ein Hebewerk Nie<strong>der</strong>finow:<strong>das</strong> Waagebalken-Hebewerk vonB. Schulz in Zusammenarbeit mitdem Unternehmen BeucheltWaagebalken-Hebewerk.Geprüfter Vorentwurf <strong>der</strong>Königlichen Bauleitung vom30. Januar 1914 3


im Oktober 1918, noch vor Kriegsende und lange vor diesersogenannten „Verreichlichung“ (1921), griff die Wasserstraßenverwaltungdie Planungen für ein Schiffshebewerk Nie<strong>der</strong>finowwie<strong>der</strong> auf. In einem ersten Schritt wurde <strong>der</strong> Regierungsentwurfvon 1914 noch einmal durchgearbeitet und kommentiert.Sodann wurden die Erläuterungsberichte und Skizzen zu denHebewerksentwürfen <strong>der</strong> Wettbewerbe von 1906 und 1912 zusammengestelltund untersucht, Weiterentwicklungen eingeschlossen.Das Ergebnis lag im September 1923 vor. 9 Alle Entwürfewurden verworfen. Kurt Plarre, <strong>der</strong> Leiter des Neubauamts,begründete die Abkehr mit einem Auffassungswandel: „Man 21


22verließ (...) den bisher verfolgten Grundsatz, die Sicherheit desBauwerks in <strong>der</strong> Anwendung von möglichst wenigen, daher aberstark belasteten, bewegten Bauteilen zu erblicken [gemeint warendie Konzepte für Hebewerke als Hubzylin<strong>der</strong>, auf Schwimmern,mit Schwinghebeln o<strong>der</strong> mit Waagebalken auf Wälzlagern;E. Sch.], und ging zurück auf den Gewichtsausgleich durchGegengewichte, die an Drahtseilen hängen. In <strong>der</strong> damit verbundenenAufteilung des großen Troggewichts auf eine große AnzahlDrahtseile, Seilscheiben, Lager und Gegengewichte erblickte maneine wesentliche Sicherheit, weil beim Versagen selbst mehrererdieser Bauteile noch keine Betriebsstörung o<strong>der</strong> gar Zerstörungdes Bauwerks einzutreten braucht.“ 10 Ein weiterer Grund für denSystemwechsel waren die neuen Anfor<strong>der</strong>ungen an <strong>das</strong> Hebewerk.Der Entwicklung in <strong>der</strong> Binnenschifffahrt zu größerenSchiffen folgend, sollten Schiffe bis 1000 t Tragfähigkeit <strong>das</strong>Hebewerk passieren können; die früheren Entwürfe waren fürein 600/650-t-Schiff ausgelegt. Im Vergleich <strong>der</strong> Hebewerkssystemeschien ein Gegengewichts-Hebewerk die wenigstenSchwierigkeiten zu bereiten. Der entsprechenden Empfehlung<strong>der</strong> Akademie des Bauwesens mögen ähnliche Überlegungenzugrunde gelegen haben. 11 Das prominente Kommissionsmitglied,Prof. Dr. O. Kammerer (Technische Hochschule Berlin),hatte schon 1912 für <strong>das</strong> System Gegengewichts-Hebewerk1 Montage einer von vier Mutterbackensäulenin <strong>der</strong> WerkstattFür <strong>das</strong> Foto freigestellt: <strong>der</strong> Drehriegelohne Mutterbackensäuleam Teilmodell 1:5 in Eberswalde 3


und gegen „eine Gesamtanordnung, die durch ihre Neuheitbesticht,“ Stellung bezogen. 12Was Kurt Plarre im Rückblick verschwieg und auch inallen späteren Darstellungen nicht mehr zum Thema gemachtwurde: Zu diesem Zeitpunkt bestanden innerhalb <strong>der</strong> Wasserstraßenverwaltungdeutliche Meinungsverschiedenheiten über<strong>das</strong> zu bauende Gegengewichts-Hebewerk. Dabei standensich die Ingenieure des Neubauamts Eberswalde und die Ingenieureaus dem neu geschaffenen Reichsverkehrsministerium,Abteilung Wasserstraßen, gegenüber. Offen zu Tage trat dieKontroverse, als <strong>das</strong> Ministerium im März 1923 <strong>das</strong> Neubauamtanwies, den Hebewerksentwurf des OberregierungsbauratsLoebell zu prüfen. Oberregierungsbaurat Alfred Loebell warneben den Ministerialräten Ellerbeck und Burkowitz einer <strong>der</strong>drei für den Neubau verantwortlichen Ingenieure im Ministerium.Seit 1921, wenn nicht schon früher, hatte Loebell an einemneuartigen Antriebs- und Sicherheitssystem gearbeitet. 13 Obseine engeren Kollegen in <strong>der</strong> Abteilung darüber informiertwaren? Loebell meldete seine Entwicklung am 11. Februar1922 zum Patent an. Ein Jahr danach legte er sein Konzept fürein Schiffshebewerk „mit nachgiebig gelagertem Ritzel“ vor. 14Sein Reichspatent D.R.P. 380 377 „Selbstsperren<strong>der</strong> Antriebfür Schiffshebewerke und schwere Aufzüge großer Hubhöhe“(AZ.: 1154919) wurde nach dem Ankauf 1924 auf <strong>das</strong> Reichsverkehrsministeriumumgeschrieben. Wie es dazu gekommenwar, wie sich Loebell mit seinem Entwurf gegenüber seinemKollegen Ellerbeck hatte durchsetzen können – er hatte sichmit einem eigenen Hebewerksentwurf 15 in den Findungsprozesseingesch<strong>alte</strong>t –, ist nicht bekannt.Zur selben Zeit erarbeitete <strong>das</strong> Neubauamt, <strong>der</strong> Empfehlung<strong>der</strong> Akademie des Bauwesens folgend, den Entwurf fürein Gegengewichts-Hebewerk mit 36 m langen Spindeln, wie es<strong>das</strong> Unternehmen Haniel&Lueg bereits in den Jahren 1895 und1900 vorgeschlagen hatte. Dabei wurde <strong>der</strong> mit Wasser gefüllteSchleusentrog beim Heben und Senken durch vier Schrauben- 23


24spindeln, welche sich in vier an dem Schleusentrog befestigtenMuttern drehen, in seiner waagrechten Lage erh<strong>alte</strong>n. 16 Manberief sich auf die Erfahrungen beim Henrichenburger Hebewerk.Die 24,60 m langen Spindeln für 14 m Hub hätten sich„vorzüglich bewährt“. 17 Ob <strong>das</strong> Neubauamt Eberswalde zu dieserZeit von <strong>der</strong> Parallelentwicklung im Reichsverkehrsministeriumwusste, ist ebenfalls nicht bekannt.Charakteristisch für den folgenden Austausch von Bedenkenund Annahmen zugunsten des einen und des an<strong>der</strong>enSystems, für Berechnungen und Prüfungen war, <strong>das</strong>s sowohlsystemimmanent, als auch, mit <strong>der</strong> Festlegung auf ein Gegenmodell,system<strong>alte</strong>rnativ argumentiert wurde: System Spindel(nach Jebens) gegen System Loebell. Beide Seiten führtenu. a. Herstellungsschwierigkeiten beim jeweils an<strong>der</strong>en Systemins Feld. Drehriegel und Mutterbackensäule seien mitherkömmlichen maschinenbaulichen Verfahren nicht zu fertigen.„Die Loebell’sche Vorrichtung ist ausführbar. Sie besitztjedoch gegenüber dem Vorschlag des Neubauamts technischeund wirtschaftliche Nachteile. (...) Große Anzahl hintereinan<strong>der</strong>gesch<strong>alte</strong>ter Getriebeteile, mithin große Bruchgefahr. (...)Sperrigere und verwickeltere Ausbildung des Antriebs, und<strong>der</strong> damit verbundenen Bauteile des Troges als beim Spindel-Hebewerksmodell des Reichsverkehrsministeriumsauf <strong>der</strong>Deutschen Verkehrsausstellung(München 1925)


Antrieb.“ 18 36 Meter lange Spindeln, so die Gegenseite, müsstenin drei Teilen hergestellt werden; <strong>das</strong> könnte zu Schwachstellenund zu unvorhersehbarem Verh<strong>alte</strong>n etwa bei geologischenVerwerfungen führen.Zweifellos war <strong>das</strong> Schiffshebewerk Nie<strong>der</strong>finow ein Prestigeprojekt.Ein Modell wurde schon 1925 auf <strong>der</strong> DeutschenVerkehrsausstellung in München gezeigt. Damit kamen Ehrgeiz,Ambitionen und Emotionen einzelner Ingenieure genausoins Spiel wie Erfahrungen von institutioneller Macht undOhnmacht in <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung zwischen vorgesetzterBehörde und nachgeordneter Dienststelle. Gelegentlich ist eingereizter Ton in den Rand- und in den Prüfungsbemerkungen<strong>der</strong> ausgetauschten Dokumente unüberhörbar. Noch zehn Jahrespäter kommentierte ein Mitarbeiter des Neubauamts einekritische Äußerung aus dem an<strong>der</strong>en „Lager“ über Problememit 36 m langen Spindeln knapp mit: „Stimmt nicht“.Mit dem Erlass vom 25. März 1924 beendete <strong>das</strong> Reichsverkehrsministeriumals neuer o<strong>der</strong> absehbarer Inhaber desPatents Loebell die Kontroverse: „Ich ersuche (…) unverzüglichfür die Ausführung des Troggerüstes in Eisenfachwerk untergenauer Beachtung <strong>der</strong> Prüfungsbemerkungen und <strong>der</strong> zugehörigenneuen Zeichnungen einen neuen Entwurf aufstellen zu lassen.Das nächste Ziel (…) ist die Schaffung eines Gesamtentwurfesfür <strong>das</strong> Hebewerk nach einer, durch die Ihnen zu übermittelndenZeichnungen hinreichend gekennzeichneten Ausführungsart. Dabeisind die Hauptabmessungen auf Grund sorgfältiger Durcharbeitung,aller Stabquerschnitte usw. aufgrund überschlägigerStandsicherheitsberechnungen festzulegen. Dieser Gesamtentwurfsoll folgenden Zwecken dienen und muß dazu geeignet sein:1) Als Grundlage zur Herstellung von zwei Modellen –<strong>das</strong> eine für die Gesamtanordnung, <strong>das</strong> an<strong>der</strong>e für denAntrieb nebst Zubehör. Das letztere muß betriebsfähig sein.2) Zusammen mit diesen Modellen zur Vorlage bei<strong>der</strong> Akademie des Bauwesens zur Begutachtung. 25


3) Nach Anbringung <strong>der</strong> etwadurch <strong>das</strong> Gutachten <strong>der</strong>Akademie des Bauwesensveranlaßten Än<strong>der</strong>ungenals Unterlage für eine Ausschreibung,bei <strong>der</strong> dieAufstellung von Son<strong>der</strong>entwürfenfür die Ausführungden Firmen überlassen bleibt. Abweichungen von demseitens <strong>der</strong> Verwaltung aufgestellten Entwurf sollenaber nur in beschränktem Umfange zugelassen werden.“ 19Seitenansicht einer <strong>der</strong> vier Trogwindenmit Überdrucksicherung(am linken Bildrand)26Außerdem sollte nach Möglichkeiten zur Kostensenkunggesucht werden.Als sich <strong>das</strong> Regierungspräsidium doch noch einmal einerseitsvermittelnd, an<strong>der</strong>erseits mit einem weiteren Berichtund einem technischen Vorschlag einsch<strong>alte</strong>te, reagierte <strong>das</strong>Ministerium unmissverständlich: „Um angesichts des schonentstandenen Zeitverlustes und <strong>der</strong> Eilbedürftigkeit weitereVerzögerungen zu vermeiden, wird hier nicht <strong>der</strong> Eingang weitererPrüfungsbemerkungen abgewartet. (…). Die am Schluß desBerichtes vom 27. März ausgesprochene Bitte auf baldige Erledigungsteht wenig im Einklang mit dem Umstande, daß dort für dieAufstellung <strong>der</strong> immerhin nur knappen Prüfungsbemerkungeneine Frist von mehreren Monaten benötigt ist. Um so wenigerals die den Prüfungsbemerkungen beigefügte Untersuchung inihrem letzten Absatze nicht mit einem positiven Vorschlage abschließt,son<strong>der</strong>n mit einer – übrigens nicht neuen – programmatischenFor<strong>der</strong>ung, die – wenn man <strong>das</strong> Ergebnis jahrzehntelangerArbeit mit dem Hebewerksproblem als beweiskräftigansieht – unerfüllbar erscheinen muß. Sie aufs Neue zu stellen,würde bedeuten, einen großen Teil <strong>der</strong> seit Jahrzehnten für denHebewerksentwurf geleisteten Arbeiten aufs Neue beginnen und<strong>das</strong> fast ohne Aussicht auf Erfolg. Mit <strong>der</strong> Absicht einer baldigenInangriffnahme des Baues wäre <strong>das</strong> nicht vereinbar.“ 20


Heben und Senken <strong>der</strong> SchiffeHöhenunterschied von 36 Metern zwischen <strong>der</strong>unteren, <strong>der</strong> O<strong>der</strong>haltung und <strong>der</strong> Scheitelhaltung,-Derdem am höchsten gelegenen Teilstück des O<strong>der</strong>-Havel-Kanals, wird in nur 5 Minuten überwunden. Das entsprichteiner durchschnittlichen Fahrgeschwindigkeit von 12 cm/s,welche nach etwa 1 Meter Trogfahrt bzw. nach 20 Sekundenerreicht wird. Mit den Ein- und Ausfahrtmanövern benötigt einEinzelschiff ca. 20 Minuten für die Durchfahrt.Sehen wir uns jetzt einmal den Vorgang <strong>der</strong> Hebung einesSchiffes an, <strong>das</strong> von <strong>der</strong> O<strong>der</strong> kommend in Richtung Berlinfahren will. Dabei laufen nacheinan<strong>der</strong> folgende Vorgänge ab:46• Ausgangsposition: Der Trog befindet sich in untererBetriebsstellung, fest mit <strong>der</strong> Kanalhaltung verbunden.Er ist quasi selbst zu einem Stück Kanal geworden.Trogtor und Haltungstor Ost sind in geöffneter Stellung,<strong>das</strong> Schiff liegt am Startplatz.• Der Schiffsführer, <strong>der</strong> bereits vorher über Funkdarüber verständigt wurde, <strong>das</strong>s sein Schiff als nächstesgehoben wird, erhält <strong>das</strong> grüne Einfahrtsignal.Er legt am Startplatz ab, fährt in den Trog ein und machtan den Pollern fest.• Durch die Bewegung des einfahrenden Schiffes unddurch an<strong>der</strong>e Schiffsbewegungen im Vorhafen könnenWasserspiegelschwankungen entstehen. Sind dieseabgeklungen, schließt <strong>der</strong> Trogfahrer per Knopfdruck<strong>das</strong> Trog- und <strong>das</strong> Haltungstor.• Das Spaltwasser zwischen Trog- und Haltungstor wirdabgelassen.• Der Andichtrahmen, <strong>der</strong> die wasserdichteVerbindung zwischen Kanal und Hebewerkstrog ermöglicht,wird in seine landseitige Stellung zurückgefahren.• Die mechanische Verriegelung zwischen Trog undLandanschluss wird gelöst. Der Trog hängt jetzt freian den Seilen und ist fahrbereit.


• Der Umformer wird angelassenund hochgefahren, bis er die zumBetrieb notwendige Gleichstromspannungliefert.• Nach Ertönen eines Signalssetzt sich <strong>der</strong> Trog nach obenin Bewegung.Die Fahrt dauert ca. 5 Minuten.Während dieser Zeit begibt sich<strong>der</strong> Trogfahrer vom östlichenan den westlichen Steuerstand.• Der Trog stoppt nach Erreichen<strong>der</strong> oberen Haltung mithilfeeines Pegel-Ausgleichsystemsautomatisch ab.• Der Trog wird mit dem oberen Kanalanschluss mechanischverriegelt, so <strong>das</strong>s er nicht mehr pendeln kann.• Der obere Andichtrahmen wird herangefahren und legtsich gegen den Trog.• Der Spalt zwischen oberem Haltungstor und TrogtorWest wird mit Wasser gefüllt.• Beide Tore werden hochgefahren, <strong>der</strong> Trog ist jetzt Teil<strong>der</strong> Scheitelhaltung geworden.• Das Schiff erhält „Grün“, die Leinen werden gelöst,<strong>das</strong> Schiff fährt aus, <strong>der</strong> Vorgang ist beendet.Beim Abwärtsschleusen wie<strong>der</strong>holen sich die Vorgänge in umgekehrterReihenfolge. Beim Durchschleusen eines Schubverbandes,<strong>der</strong> länger ist als <strong>der</strong> Trog, treten noch verschiedeneBeson<strong>der</strong>heiten auf. So muss in diesem Fall <strong>der</strong> Verband entkoppeltwerden, <strong>das</strong> Schubboot verlässt den Trog rückwärtsfahrend.Oben angekommen, müssen die antriebslosen Schubbehältervon einem Treidelhaken übernommen und maschinellaus dem Trog gezogen werden. 28 47


TrogbrückeGesamtgewicht: ca. 4 000 tTroggewicht: ca. 900 tGewichtsausgleich 192 Betongegengewichte (je 21 t)Seilejedes Seil: 56,70 m langDurchmesser: je 52 mmTrog und Beton-Gegengewichte sind mit 192 Seilen verbunden sind.Die restlichen 64 Seile sind an die Führungsrahmen <strong>der</strong> Gegengewichteangeschlossen und haben eine Traglast von je 4 t.Seilscheibe3,50 m Durchmesser (auf beiden Seiten 64 Stück)Trogantrieb4 Fahrmotoren je 55 kW (Gleichstrom-Nebenschlussmotoren)mit Leonard-Umformer,Trogtor12,50 m breit3,50 m hochGewicht eines Trogtors: ca. 23 t.KanalbrückeLänge: 157 mWasserspiegelbreite: 28 m (Gesamtbreite 34 m)Wassertiefe: 3,00 mDie Kanalbrücke verbindet <strong>das</strong> Schiffshebewerk mit <strong>der</strong> oberenKanalhaltung. Gründung auf PendelstützenOberhafenLänge: 1200 mWasserspiegelbreite: 66 mSohlenbreite: 35,60 mDieses Maß reicht aus, um vier Schiffen nebeneinan<strong>der</strong> Liegeplatzund Raum zum Vorbeifahren zu gewähren.UnterhafenWasserspiegelbreite: 68,80 mSohlenbreite: 41m59


BildnachweisAußer den nachfolgend aufgeführten stammen alleVorlagen für die Abbildungen aus dem LWL-Industriemuseum,Dortmund (M. Holtappels, A. Hudemann)• Alexan<strong>der</strong> Calvelli, Köln: S. 65re.,Umschlag Rücks. li.• Jost Hähnel, Berli: S. 65u• Deutsches Technikmuseum Berlin: S. 24• Richard Kliche, Cottbus: S. 4• Wasser- und Schifffahrtsamt Eberswalde:S. 4, 21, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 39, 41, 42o, 54,56, 58, 61, 63• Gutachten <strong>der</strong> Akademie des Bauwesensbetreffend <strong>das</strong> Schiffshebewerk Nie<strong>der</strong>finow(vom 11. Mai 1927).• Zur Betriebseröffnung des SchiffshebewerksNie<strong>der</strong>finow. Von Ministerialrat Dr.-Ing. Ellerbeck• Das Schiffshebewerk Nie<strong>der</strong>finow.Die Entwicklung <strong>der</strong> Havel-O<strong>der</strong>-Wasserstraße.Von Oberregierungs- und -baurat Ostmann• Entwurfsarbeiten für <strong>das</strong> Schiffshebewerk beiNie<strong>der</strong>finow. Von Ministerialrat Dr.-Ing. EllerbeckArchiv• Mechanik des Hebewerks Nie<strong>der</strong>finow.Von Ministerialrat BurkowitzDie archivarische Überlieferung zum SchiffshebewerkNie<strong>der</strong>finow wird vom Wasser- und SchifffahrtsamtEberswalde aufbewahrt.Ein beson<strong>der</strong>er Dank für ihre umsichtige Unterstützungmeiner Recherchen gilt seinem Leiter,den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.Die Datierung zum Patent Loebell erfolgte mitfreundlicher Mitteilung aus dem Deutschen PatentundMarkenamt.Ausgewählte LiteraturBundesingenieurkammer (Hg.): Straßenbrücken.Ingenieur Bau Kunst. Berlin 2004.Bundesingenieurkammer (Hg.): Ingenieurbaukunstin Deutschland. Hamburg 2005.• Die Vorhäfen des Schiffshebewerks Nie<strong>der</strong>finow.Von Regierungsbaurat Plarre und RegierungsbauratDetig• Der Grundbau des Schiffshebewerks Nie<strong>der</strong>finow.Von Regierungsbaurat Platte und RegierungsbauratStarker• Son<strong>der</strong>entwürfe für die Gestaltung des SchiffshebewerksNie<strong>der</strong>finow. Von RegierungsbauratPlarre und Regierungsbaurat Contag• Die Stahlbauten des Schiffshebewerks Nie<strong>der</strong>finow.Von Oberregierungs- und -baurat Plarre• Die Tore am Schiffshebewerk Nie<strong>der</strong>finow.Von Oberregierungs- und -baurat Plarre undRegierungsbaurat KochKrell, O.: Seilaufzug für ein Schiffshebewerk.In: Die Bautechnik, 5. Jg., Heft 44, 1927, S. 631–638;und Heft 48, 1927, S. 704–708.• Die maschinellen Anlagen des SchiffshebewerksNie<strong>der</strong>finow. Von Regierungs- und -baurat Kochund Maschinen-Ingenieur Krüger60Das Schiffshebewerk Nie<strong>der</strong>finow. Berlin 1935.Rede des Herrn ReichsverkehrsministersFreiherr v. Eltz-Rübenach bei <strong>der</strong> Eröffnung desSchiffshebewerks Nie<strong>der</strong>finow am 21. März 1934• Die elektrischen Anlagen des SchiffshebewerksNie<strong>der</strong>finow. Von Regierungs- und -baurat Kochund Maschinen-Ingenieur Krüger


König, Wolfgang: Künstler und Strichezieher.Konstruktions- und Technikkulturen im deutschen,britischen, amerikanischen und französischenMaschinenbau zwischen 1850 und 1930.Frankfurt 1999.• Bodendruckversuche mit einer pneumatischenMeßdose beim Bau des SchiffshebewerksNie<strong>der</strong>finow. Von Regierungsbaurat Detig• Die Zwischenpfeiler <strong>der</strong> Kanalbrücke desSchiffshebewerks Nie<strong>der</strong>finow.Von Regierungsbaurat Detig• Die Stahlbauten <strong>der</strong> Kanalbrücke Nie<strong>der</strong>finow.Von Regierungs-und -baurat Kaumanns undRegierungsbaurat Wiggers• Erfahrungen beim Anstrich des SchiffshebewerksNie<strong>der</strong>finow. Von Regierungsbaurat Wiggers• Rückblick.Von Ministerialdirektor Dr.-Ing. eh. Gährs• Verzeichnis <strong>der</strong> herangezogenen deutschenZeitschriftenaufsätze, ergänzt durch weiterehierher gehörige VeröffentlichungenFirmengemeinschaft für den Bau des SchiffshebewerksNie<strong>der</strong>finow: Schiffshebewerk Nie<strong>der</strong>finow.O.O. o.J.Lorenz, Werner: Von Geschichten zur Geschichte,von Geschichte zu Geschichten:Was kann Bautechnikgeschichte?In: Meyer, Torsten, Marcus Popplow (Hg.): Technik,Arbeit und Umwelt in <strong>der</strong> Geschichte. Günter Bayerlzum 60. Geburtstag. Münster, New York, München,Berlin 2006, S. 221–237.Riedler, Alois: Zur Entwicklung <strong>der</strong> Schiffshebewerke.In: Zeitschrift für Binnenschiffahrt, Heft 11,1897, S. 339 f. (anlässlich des geplanten Donau-Moldau-Elbe-Kanals)Riedler, Alois: Neuere Schiffshebewerke. Berlin 1897.Schinkel, Eckhard: Schiffslift. Die Schiffs-Hebewerke<strong>der</strong> Welt. Menschen – Technik – Geschichte.Essen 2001.Schinkel, Eckhard: Schiffs-Hebewerke in Deutschland.Ship lifts in Germany. Essen 2007.Wasser- und Schifffahrtsamt, Eberswalde:Das Schiffshebewerk Nie<strong>der</strong>finow. [Veröffentlichungim Internet: www.wsa-eberswalde.de]Kahlow, Andreas, Karl-Eugen Kurrer: Kontroverse,Kommunikation und Theorie in den technischenWissenschaften. In: Bautechnik 70, Nr. 3, März 1993,S. 184 –185.Kahlow, Andreas: Bridge building and IndustrialRevolution. In: Huerta, Santiago: Proceedings of theFirst International Congress on Construction History(3 Volumes): Madrid 20th.– 24th. January 2003.61

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