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Strafgesetzbuch Kommentar

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StGB<br />

<strong>Strafgesetzbuch</strong><br />

<strong>Kommentar</strong><br />

Ergänzungsblätter<br />

Herausgegeben von<br />

Prof. Dr. Helmut Satzger<br />

Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München<br />

Prof. Dr. Bertram Schmitt<br />

Richter am Bundesgerichtshof<br />

Honorarprofessor an der Universität Würzburg<br />

Prof. Dr. Gunter Widmaier<br />

Rechtsanwalt<br />

Honorarprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität München<br />

Oktober 2009


Zitiervorschlag: SSW-StGB/Bearbeiter § Rn.<br />

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek<br />

Die Deutsche Nationalibliothek verzeichnet diese Publikation in der deutschen Nationalbibliografie;<br />

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.<br />

ISBN 978-3-452-26852-5<br />

www.wolterskluwer.de<br />

www.heymanns.com<br />

Alle Rechte vorbehalten.<br />

© 2009 by Wolters Kluwer Deutschland GmbH, Luxemburger Str. 449, 50939 Köln.<br />

Carl Heymanns – eine Marke von Wolters Kluwer Deutschland GmbH.<br />

Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung<br />

außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages<br />

unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen<br />

und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Verlag und<br />

Autor übernehmen keine Haftung für inhaltliche oder drucktechnische Fehler.


3. Titel. Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates § 89a<br />

Erster Abschnitt<br />

Friedensverrat, Hochverrat und Gefährdung des<br />

demokratischen Rechtsstaates<br />

Erster Titel<br />

Friedensverrat<br />

(...)<br />

§ 89a Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat<br />

(1) 1Wer eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet, wird mit Freiheitsstrafe von<br />

sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. 2Eine schwere staatsgefährdende Gewalttat ist<br />

eine Straftat gegen das Leben in den Fällen des § 211 oder des § 212 oder gegen die persönliche<br />

Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b, die nach den Umständen bestimmt<br />

und geeignet ist, den Bestand oder die Sicherheit eines Staates oder einer internationalen<br />

Organisation zu beeinträchtigen oder Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik Deutschland<br />

zu beseitigen, außer Geltung zu setzen oder zu untergraben.<br />

(2) 1Absatz 1 ist nur anzuwenden, wenn der Täter eine schwere staatsgefährdende Gewalttat<br />

vorbereitet, indem er<br />

1. eine andere Person unterweist oder sich unterweisen lässt in der Herstellung von oder im<br />

Umgang mit Schusswaffen, Sprengstoffen, Spreng- oder Brandvorrichtungen, Kernbrennoder<br />

sonstigen radioaktiven Stoffen, Stoffen, die Gift enthalten oder hervorbringen können,<br />

anderen gesundheitsschädlichen Stoffen, zur Ausführung der Tat erforderlichen besonderen<br />

Vorrichtungen oder in sonstigen Fertigkeiten, die der Begehung einer der in Absatz 1<br />

genannten Straftaten dienen,<br />

2. Waffen, Stoffe oder Vorrichtungen der in Nummer 1 bezeichneten Art herstellt, sich oder<br />

einem anderen verschafft, verwahrt oder einem anderen überlässt,<br />

3. Gegenstände oder Stoffe sich verschafft oder verwahrt, die für die Herstellung von Waffen,<br />

Stoffen oder Vorrichtungen der in Nummer 1 bezeichneten Art wesentlich sind, oder<br />

4. für deren Begehung nicht unerhebliche Vermögenswerte sammelt, entgegennimmt oder<br />

zur Verfügung stellt.<br />

(3) 1Absatz 1 gilt auch, wenn die Vorbereitung im Ausland begangen wird. 2Wird die Vorbereitung<br />

außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union begangen, gilt dies nur,<br />

wenn sie durch einen Deutschen oder einen Ausländer mit Lebensgrundlage im Inland<br />

begangen wird oder die vorbereitete schwere staatsgefährdende Gewalttat im Inland oder<br />

durch oder gegen einen Deutschen begangen werden soll.<br />

(4) 1In den Fällen des Absatzes 3 Satz 2 bedarf die Verfolgung der Ermächtigung durch das<br />

Bundesministerium der Justiz. 2Wird die Vorbereitung in einem anderen Mitgliedstaat der<br />

Europäischen Union begangen, bedarf die Verfolgung der Ermächtigung durch das Bundesministerium<br />

der Justiz, wenn die Vorbereitung weder durch einen Deutschen erfolgt noch<br />

die vorbereitete schwere staatsgefährdende Gewalttat im Inland noch durch oder gegen<br />

einen Deutschen begangen werden soll.<br />

(5) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf<br />

Jahren.<br />

(6) Das Gericht kann Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1); § 73d ist anzuwenden.<br />

(7) 1Das Gericht kann die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von einer<br />

Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn der Täter freiwillig die weitere Vorbereitung<br />

der schweren staatsgefährdenden Gewalttat aufgibt und eine von ihm verursachte und<br />

SSW-StGB 1. Aufl. – Ergänzungsblätter: 10/2009 Güntge 776-1


1<br />

§ 89a BT. 1. Abschnitt. Friedensrat, Hochverrat und Gefährdung des demokrat. Rechtsstaates<br />

erkannte Gefahr, dass andere diese Tat weiter vorbereiten oder sie ausführen, abwendet oder<br />

wesentlich mindert oder wenn er freiwillig die Vollendung dieser Tat verhindert. 2Wird ohne<br />

Zutun des Täters die bezeichnete Gefahr abgewendet oder wesentlich gemindert oder die<br />

Vollendung der schweren staatsgefährdenden Gewalttat verhindert, genügt sein freiwilliges<br />

und ernsthaftes Bemühen, dieses Ziel zu erreichen.<br />

Übersicht Rdn. Rdn.<br />

A. Grundsätzliches und Regelungszweck . . . . . 1<br />

B. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2–9<br />

I. Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . 2–8<br />

1. Schwere staatsgefährdende<br />

Gewalttat. . . . . . . . . . . . . . . 2–3<br />

2. Vorbereiten. . . . . . . . . . . . . . 4–8<br />

II. Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . 9<br />

C. Tatbegehung . . . . . . . . . . . . . . . . . 10<br />

D. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . 11<br />

E. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . 12–13<br />

F. Strafprozessrechtliches . . . . . . . . . . . . 14<br />

A. Grundsätzliches und Regelungszweck<br />

Die Vorschrift ist durch das Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden<br />

Gewalttaten vom 30.7.2009 (BGBl. I S. 2437) eingeführt worden. Ihr gesetzgeberisches Ziel ist es,<br />

(staatsgefährdendes) Handeln mit terroristischem Hintergrund zu pönalisieren, das mangels Bestehens<br />

oder Nachweisbarkeit einer terroristischen Vereinigung nicht als Beteiligung an oder Unterstützung<br />

einer solchen gem. § 129a verfolgt werden kann. Auch sollen Einzeltäter, für die die Voraussetzungen<br />

des § 30 nicht greifen, erfasst werden (zw. an der Existenz der Figur des terroristischen Alleintäters<br />

allerdings Deckers/Heusel ZRP 2008, 169 [170]). § 89a richtet sich neben dem islamistischen Terrorismus<br />

auch gegen Täter mit rechtsextremistischem Hintergrund (BT-Drs. 16/12428, S. 2). Die Norm<br />

hat weniger repressiven als vielmehr präventiven Charakter. Sie bedient das Interesse der Sicherheitsbehörden,<br />

bei drohenden Anschlägen bereits im Vorfeld der Tatvollendung eingreifen und dabei im<br />

Einzelfall auch freiheitsentziehende Maßnahmen anwenden zu können (Bader NJW 2009, 2853).<br />

Dieser Umstand weckt Zweifel an der Legitimation der Norm (so zu Recht Mitsch NJW 2008, 2295<br />

[2298]). Präventiver Rechtsgüterschutz ist Aufgabe des Polizeirechts. Sieber (NStZ 2009, 353 [356 f.])<br />

vermeint eine Verankerung vorbeugenden Rechtsgüterschutzes im <strong>Strafgesetzbuch</strong> damit rechtfertigen<br />

zu können, dass die durch das Strafrecht ermöglichten Ermittlungsmaßnahmen aufgrund des politischen<br />

Klimas nicht Bestandteil von Polizeigesetzen werden könnten und schließlich der Gedanke der<br />

Prävention dem Strafrecht, wie etwa § 2 S. 2 StVollzG zeige, nicht fremd sei (vgl. auch Kauder ZRP<br />

2009, 20 ff. und Bader NJW 2009, 2853 [2854]). Mit § 89a will der Gesetzgeber zugleich seine Pflicht<br />

als erfüllt ansehen, das durch die Bundesrepublik Deutschland gezeichnete und am 1.6.2007 in Kraft<br />

getretene Übereinkommen des Europarats zur Verhütung des Terrorismus umzusetzen. Die Vorschrift<br />

unterfällt der Anzeigepflicht nach § 138. Sie ermöglicht vor einer Verletzung oder konkreten Gefährdung<br />

eines Rechtsgutes den Einsatz grundrechtsintensiver Ermittlungsmaßnahmen (vgl. unten Rdn. 14<br />

und Kauder ZRP 2009, 20 [22]).<br />

B. Tatbestand<br />

I. Objektiver Tatbestand<br />

1. Schwere staatsgefährdende Gewalttat<br />

2<br />

Im Zentrum der Vorschrift steht die schwere staatsgefährdende Gewalttat. Abs. 1 S. 2 ist eine Legaldefinition<br />

zu entnehmen. Danach ist eine schwere staatsgefährdende Gewalttat eine Straftat gegen das<br />

Leben in den Fällen des § 211 oder des § 212 oder gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des<br />

§ 239a oder des § 239b, die nach den Umständen bestimmt und geeignet ist, den Bestand oder die<br />

Sicherheit eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beeinträchtigen oder Verfassungsgrundsätze<br />

der Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen, außer Geltung zu setzen oder zu untergraben.<br />

Es handelt sich mithin um die dem terroristischen Kernbereich zuzurechnenden Straftaten (BT-<br />

Drs. 16/12428, S. 13). Die in der gesetzlichen Definition enthaltene »Staatsschutzklausel« ist im wesentlichen<br />

der Vorschrift des § 120 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 lit. a und b GVG nachgebildet. Die zu dieser<br />

Vorschrift existente höchstrichterliche Rechtsprechung (vgl. BGHSt 46, 238 ff.) will der Gesetzgeber<br />

ausdrücklich als Auslegungshilfe bei § 89a herangezogen wissen. Auch auf die Begriffsbestimmungen<br />

in § 92 soll Bezug genommen werden (BT-Drs. 16/12428, S. 14). Danach umfasst der Begriff der<br />

776-2 Güntge SSW-StGB 1. Aufl. – Ergänzungsblätter: 10/2009


3. Titel. Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates § 89a<br />

Sicherheit eines Staates dessen innere und äußere Sicherheit (§ 92 Abs. 3 Nr. 2). Innere Sicherheit ist<br />

ein Zustand relativer Ungefährdetheit von Bestand und Verfassung gegenüber gewaltsamen Aktionen<br />

innerstaatlicher Kräfte (vgl. § 92 Rdn. 4). Sie ist im Regelfall beeinträchtigt, wenn die vorbereitete Tat<br />

in ihrer vom Täter vorgestellten Form geeignet wäre, das innere Gefüge eines Staates zu beeinträchtigen.<br />

Dafür soll nicht erforderlich sein, dass die Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Einrichtungen<br />

in Mitleidenschaft gezogen wird. Der Gesetzgeber sieht die innere Sicherheit bereits dann als<br />

betroffen an, wenn die Tat durch den ihr innewohnenden Verstoß gegen Verfassungsgrundsätze einen<br />

besonderen Charakter gewinnt. Unter dieser Prämisse sei schon der Verlust des Vertrauens der Bevölkerung,<br />

vor gewaltsamen Einwirkungen in ihrem Staat geschützt zu sein, eine tatbestandsmäßige Verletzung<br />

der inneren Sicherheit (zw.). Äußere Sicherheit ist der Zustand relativer Ungefährdetheit gegenüber<br />

gewaltsamen Einwirkungen von außen (vgl. § 92 Rdn. 4). Eine »erhebliche Schädigung« im<br />

Sinne des § 129a Abs. 2 (vgl. § 129a Rdn. 13) ist nicht erforderlich (BT-Drs. 16/12428, S. 14). Internationale<br />

Organisationen sind nur öffentliche, nicht aber privatwirtschaftliche juristische Personen. Zu<br />

den Verfassungsgrundsätzen der Bundesrepublik Deutschland vgl. die Kommentierung zu § 92<br />

Rdn. 3.<br />

Die schwere staatsgefährdende Gewalttat muss, um die Strafbarkeit auszulösen, noch nicht im Detail<br />

feststehen. Weder muss die genaue Art der Ausführung bestimmt, noch müssen Zeit und Ort<br />

sowie potentielle Opfer konkretisiert sein. Nach Vorstellung des Gesetzgebers soll es ausreichen, dass<br />

der Täter sich ein abstraktes Bild eines staatsgefährdenden Tötungs- oder Freiheitsdelikts macht.<br />

Bewusst sollen dadurch die Voraussetzungen, die § 30 an eine Strafbarkeit stellt, abgemildert werden<br />

(BT-Drs. 16/12428, S. 14).<br />

2. Vorbereiten<br />

Nicht jede Art der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat unterfällt dem Tatbestand. 4<br />

Die Vorbereitungshandlung muss eine bestimmte Qualität besitzen. Diese ergibt sich aus der Umschreibung<br />

strafbarer Vorbereitungshandlungen in Abs. 2. Danach ist strafbar das Unterweisen von<br />

Personen oder das Sichunterweisenlassen in der Herstellung von oder im Umgang mit Schusswaffen,<br />

Sprengstoffen, Spreng- oder Brandvorrichtungen, Kernbrenn- oder sonstigen radioaktiven Stoffen,<br />

Stoffen, die Gift enthalten oder hervorbringen können, anderen gesundheitsschädlichen Stoffen, zur<br />

Ausführung der Tat erforderlichen besonderen Vorrichtungen oder in sonstigen Fertigkeiten, die der<br />

Begehung einer der in Abs. 1 genannten Straftaten dienen (Abs. 1 Nr. 1). Der Gesetzgeber hatte hier<br />

die – nicht die Voraussetzungen des § 129a erfüllende – Ausbildung zukünftiger Terroristen in (ausländischen)<br />

Terrorcamps im Auge. Die Beschreibung der Ausbildungsinhalte knüpft u.a. an den Wortlaut<br />

von § 310 Abs. 1 an (vgl. dazu § 310 Rdn. 3 f.). Unterweisen und Sichunterweisenlassen sind das<br />

Vermitteln bzw. Erlernen der in Nr. 1 genannten Fähigkeiten und Fertigkeiten. Es ist nicht erforderlich,<br />

dass ein »unterwiesener Täter« sein erlerntes Wissen unmittelbar nach Abschluss der Ausbildung<br />

einsetzen will. Da die schwere staatsgefährdende Straftat in der Vorstellung des Täters nicht konkretisiert<br />

sein muss (vgl. oben Rdn. 3), ist es ausreichend, dass er die von ihm erworbenen Fertigkeiten zu<br />

einem noch nicht bestimmten Zeitpunkt einsetzen will (BT-Drs. 16/12428, S. 15). Der Begriff des<br />

gesundheitsschädlichen Stoffes ist wie in § 224 Abs. 1 zu verstehen. Gemeint sind insbesondere<br />

Krankheitserreger, die als biologischer Kampfstoff eingesetzt werden können. Erforderliche besondere<br />

Vorrichtungen sind vorrangig technische Apparaturen und Instrumente, Zünder und sonstiges technisches<br />

Zubehör für die Durchführung der Tat. Unter die sonstigen Fertigkeiten sollen u.a. logistische<br />

Befähigungen, wie das Auskundschaften eines Tatortes, die Beschaffung gefälschter Dokumente oder<br />

eines Fluchtfahrzeugs fallen (BT-Drs. 16/12428, S. 15). Es seien – so der Gesetzgeber – Fertigkeiten<br />

gemeint, die ein ähnliches Gefährdungspotential aufwiesen wie der Umgang mit Schusswaffen, Sprengstoff<br />

und Giften (BT-Drs. 16/13145, S. 7f.).<br />

Abs. 2 Nr. 2 stellt das Herstellen, das sich oder einem anderen Verschaffen, das Verwahren oder 5<br />

Überlassen von Waffen, Stoffen oder Vorrichtungen der in Abs. 1 Nr. 1 bezeichneten Art unter<br />

Strafe (zu den Tatmodalitäten vgl. § 310 Rdn. 4).<br />

Abs. 2 Nr. 3 verbietet das Sichverschaffen oder Verwahren von Gegenständen oder Stoffen, die 6<br />

für die Herstellung von Waffen, Stoffen oder Vorrichtungen nach Abs. 2 Nr. 1 wesentlich sind. Das<br />

Merkmal wesentlich soll verhindern, dass bereits der Erwerb oder Besitz von Gegenständen mit<br />

einem alltäglichen Verwendungszweck – Wecker, Mobiltelefon – vom Tatbestand erfasst wird. Nur<br />

solche Stoffe sind in Bezug genommen, die im Falle ihrer Zusammenfügung oder technischen Manipulation<br />

ein taugliches Kampfmittel oder eine taugliche Vorrichtung im Sinne von Abs. 2 Nr. 2<br />

ergeben. Letztlich ist die Frage, ob ein Gegenstand wesentlich ist, eine Frage des Einzelfalls (vgl. BT-<br />

Drs. 16/12428, S. 15).<br />

Als Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat gilt auch das Sammeln, Entgegen- 7<br />

nehmen oder Zurverfügungstellen nicht unerheblicher Vermögenswerte zur Straftatenbegehung. Der<br />

SSW-StGB 1. Aufl. – Ergänzungsblätter: 10/2009 Güntge 776-3<br />

3


8<br />

§ 89a BT. 1. Abschnitt. Friedensrat, Hochverrat und Gefährdung des demokrat. Rechtsstaates<br />

Gesetzgeber hat sich mit dieser Formulierung an eine Regelung des Schweizerischen <strong>Strafgesetzbuch</strong>es<br />

(Artikel 260 quinquies) zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus angelehnt. Vermögenswert<br />

ist wie bei § 261 und 263 Abs. 3 zu verstehen. Der Begriff umfasst bewegliche und unbewegliche<br />

Sachen mit Vermögenswert sowie vermögenswerte Rechte inklusive Forderungen (vgl.<br />

§ 261 Rdn. 12). Mit der Formulierung »deren Begehung« soll sichergestellt werden, dass allgemeine<br />

finanzielle Aktivitäten ohne konkreten Bezug zu einer Tat nach Abs. 1 straflos bleiben. Nicht unerheblich<br />

können trotz an sich unbedeutenden Umfangs auch Vermögenswerte sein, die erst im Rahmen<br />

einer wertenden Gesamtschau einen gewichtigen Beitrag zur Vorbereitung der schweren staatsgefährdenden<br />

Gewalttat leisten (BT-Drs. 16/12428, S. 15). Sammeln ist das aktive Einwerben bzw.<br />

Sichverschaffen von Vermögenswerten von anderen Personen; Entgegennahme die passive Inobhutnahme<br />

solcher Werte. Zurverfügungstellen ist das Einräumen der Zugriffsmöglichkeit auf das Vermögen<br />

für den Täter einer Straftat nach Abs. 1.<br />

Die abschließende Aufzählung strafbarer Tathandlungen in Abs. 2 soll der Wahrung des Bestimmtheitsgrundsatzes<br />

aus Art. 103 Abs. 2 GG dienen (vgl. BT-Drs. 16/12428, S. 15). Jedenfalls in<br />

Teilbereichen hat der Gesetzgeber dieses Ziel verfehlt. Insbesondere der Begriff der besonderen<br />

Fertigkeiten lässt Umfang und Grenzen der Strafbarkeit nicht erkennen. Fertigkeiten im Sinne des<br />

Tatbestandes können nach dem Wortlaut des Begriffsmerkmals auch ein antrainiertes Auswendiglernen<br />

von Schriftstücken (Bahnstreckenplänen) oder das Reparieren von Kfz (Fluchtfahrzeugen bzw.<br />

Tatwerkzeugen) sein. Es verbietet sich aber, solche sozialadäquaten bzw. keinen objektiven Unrechtsgehalt<br />

aufweisenden Verhaltensweisen dem Tatbestand des § 89a unterfallen zu lassen. Die<br />

erhebliche Strafdrohung würde dann lediglich durch den Vorsatz des Täters getragen, seine Fähigkeiten<br />

für eine ggf. nicht einmal konkrete Tat nach §§ 212, 211, 239a und 239b einzusetzen. Hierin läge<br />

bloßes Gesinnungsstrafrecht (vgl. auch von der Aue BR-Prot. – 856. Sitzung –, S. 89). Die Legitimation<br />

für Strafrecht – objektiv feststellbares Unrecht – würde damit aufgegeben. Dasselbe Problem stellt<br />

sich bei den sozialadäquaten und objektiv neutralen Verhaltensweisen unter Abs. 2 Nr. 4 (Sieber<br />

NStZ 2009, 353 [362]; kritisch auch Deckers/Heusel ZRP 2009, 169 [171]).<br />

II. Subjektiver Tatbestand<br />

9 Der Tatbestand stellt keine besonderen Anforderungen an die subjektive Tatseite. Dolus eventualis<br />

reicht aus. Dies gilt auch für Abs. 2 Nr. 4. Der Täter muss es lediglich billigen und für möglich halten,<br />

dass seine finanzielle Unterstützung einen nicht unerheblichen Beitrag zu einer schweren staatsgefährdenden<br />

Gewalttat liefert (vgl. BT-Drs. 16/12428, S. 15).<br />

C. Tatbegehung<br />

10 Täter kann grundsätzlich jedermann sein. Über Abs. 3 macht sich auch ein Ausländer strafbar, der eine<br />

Vorbereitungshandlung zu einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat im Ausland begeht. Dabei ist<br />

es gleichgültig, ob die Vorbereitung im europäischen oder im außereuropäischen Ausland stattfindet.<br />

Das in § 7 geregelte Erfordernis der Tatortstrafbarkeit (bzw. die Voraussetzung, dass der Tatort keiner<br />

Strafgewalt unterliegt) ist für § 89a außer Kraft gesetzt (BT-Drs. 16/12428, S. 16). Lediglich durch<br />

Abs. 3 S. 2 findet eine Einschränkung des Anwendungsbereichs der Vorschrift statt. Wird die im<br />

Tatbestand umschriebene Vorbereitungshandlung im außereuropäischen Ausland vorgenommen, ist<br />

sie nur dann strafbar, wenn sie durch einen Deutschen oder einen Ausländer mit Lebensgrundlage im<br />

Inland begangen wird oder die vorbereitete Gewalttat in Deutschland oder gegen einen Deutschen<br />

begangen werden soll. Unter inländischer Lebensgrundlage ist – entsprechend § 5 Nr. 8 lit. a – die<br />

Summe derjenigen Beziehungen zu verstehen, die den persönlichen und wirtschaftlichen Schwerpunkt<br />

im Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt ausmachen (vgl. BT-Drs. 16/12428, S. 16 und § 5<br />

Rdn. 11). Abs. 4 verlangt für die unter Abs. 3 S. 2 genannten Fälle eine Ermächtigung zur Strafverfolgung<br />

durch das Bundesministerium der Justiz. Das Ermächtigungserfordernis gilt auch für Vorbereitungshandlungen,<br />

die in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union begangen werden, wenn<br />

Täter kein Deutscher ist oder die vorbereitete Gewalttat nicht im Inland oder gegen einen Deutschen<br />

begangen werden soll. Zweck der Ermächtigungsregelung ist eine außenpolitische sinnvolle Handhabung<br />

und Begrenzung der Strafrechtspflege (BT-Drs. 16/12428, S. 16).<br />

D. Konkurrenzen<br />

11<br />

§ 89a verdrängt die Regelungen der §§ 89b und 91 (BT-Drs. 16/12428, S. 17, 18). Seinerseits muss die<br />

Vorschrift hinter einer begangenen Straftat nach §§ 212, 211, 239a und 239b mit staatsgefährdendem<br />

776-4 Güntge SSW-StGB 1. Aufl. – Ergänzungsblätter: 10/2009


3. Titel. Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates § 89b<br />

Hintergrund zurücktreten. Dies gilt auch, wenn die Gewalttat lediglich das Stadium des Versuchs<br />

erreicht oder nur der Versuch einer Beteiligung nach § 30 vorliegt.<br />

Die Beteiligung an bzw. die Unterstützung einer auf die Begehung von Terrorakten ausgerichteten<br />

Vereinigung nach § 129a verdrängt die Tat nach § 89a ebenfalls.<br />

E. Rechtsfolgen<br />

Abs. 5 enthält eine Regelung für minder schwere Fälle. Statt eines Strafrahmens von sechs Monaten bis 12<br />

zu zehn Jahren gilt für sie ein Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Abs. 6 erlaubt die<br />

Anordnung von Führungsaufsicht nach § 68 Abs. 1. Es gelten die Vorschriften über den erweiterten<br />

Verfall und die erweiterte Einziehung. Über § 92a kann neben einer Freiheitsstrafe von mindestens<br />

sechs Monaten auf den Verlust der Statusfolgen nach § 45 Abs. 2 und 5 (Verlust der Amtsfähigkeit,<br />

der Wählbarkeit und des Stimmrechts) erkannt werden. Über § 92b besteht die Möglichkeit der Einziehung<br />

von Beziehungsgegenständen, auf die §§ 74 ff. nicht Anwendung finden. In Bezug genommen<br />

sind hier hauptsächlich die mit terroristischer Zielsetzung gesammelten oder zur Verfügung gestellten<br />

Vermögenswerte (vgl. BT-Drs. 16/12428, S. 16).<br />

Abs. 7 enthält eine Vorschrift über die tätige Reue, die der Regelung in § 83a Abs. 2 und 3 nachge- 13<br />

bildet ist (vgl. dazu dort Rdn. 3 und 4).<br />

F. Strafprozessrechtliches<br />

Zuständig zur Verfolgung der Tat sind grundsätzlich die Staatsschutzkammern bei den Landgerichten, 14<br />

§ 74a Abs. 1 Nr. 2 GVG. Für den GBA besteht die Möglichkeit der Verfolgungsübernahme bei besonderer<br />

Bedeutung des Falles, § 74a Abs. 2 GVG. Bei Übernahme besteht die gerichtliche Zuständigkeit<br />

der OLG, § 120 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 GVG. Die Tat ist Katalogtat gem. §§ 100a Abs. 2 Nr. 1 lit. a<br />

und 100c Abs. 2 Nr. 1 lit. a StPO . Maßnahmen nach § 103 Abs. 1 S. 2 StPO und § 111 StPO sind<br />

möglich. Es besteht der Haftgrund der Wiederholungsgefahr, § 112a StPO. Bei Erhebung der öffentlichen<br />

Klage oder Erlass eines Haftbefehls kann Vermögensbeschlagnahme erfolgen, § 443 Abs. 1 S. 1<br />

Nr. 1 StPO.<br />

§ 89b Aufnahme von Beziehungen zur Begehung einer<br />

schweren staatsgefährdenden Gewalttat<br />

(1) Wer in der Absicht, sich in der Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat<br />

gemäß § 89a Abs. 2 Nr. 1 unterweisen zu lassen, zu einer Vereinigung im Sinne des § 129a,<br />

auch in Verbindung mit § 129b, Beziehungen aufnimmt oder unterhält, wird mit Freiheitsstrafe<br />

bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.<br />

(2) Absatz 1 gilt nicht, wenn die Handlung ausschließlich der Erfüllung rechtmäßiger beruflicher<br />

oder dienstlicher Pflichten dient.<br />

(3) 1Absatz 1 gilt auch, wenn das Aufnehmen oder Unterhalten von Beziehungen im Ausland<br />

erfolgt. 2Außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union gilt dies nur, wenn das<br />

Aufnehmen oder Unterhalten von Beziehungen durch einen Deutschen oder einen Ausländer<br />

mit Lebensgrundlage im Inland begangen wird.<br />

(4) Die Verfolgung bedarf der Ermächtigung durch das Bundesministerium der Justiz<br />

1. in den Fällen des Absatzes 3 Satz 2 oder<br />

2. wenn das Aufnehmen oder Unterhalten von Beziehungen in einem anderen Mitgliedstaat<br />

der Europäischen Union nicht durch einen Deutschen begangen wird.<br />

(5) Ist die Schuld gering, so kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift<br />

absehen.<br />

A. Grundsätzliches und Regelungszweck<br />

Die durch das Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten 1<br />

vom 30.7.2009 (BGBl. I S. 2437) eingeführte Vorschrift soll dem Umstand Rechnung tragen, dass<br />

bislang die Kontaktaufnahme zu einer terroristischen Vereinigung mit dem Ziel, sich etwa im Ausland<br />

SSW-StGB 1. Aufl. – Ergänzungsblätter: 10/2009 Güntge 776-5


§ 89b BT. 1. Abschnitt. Friedensrat, Hochverrat und Gefährdung des demokrat. Rechtsstaates<br />

in einem »Terrorcamp« in der Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat ausbilden zu<br />

lassen, nicht strafrechtlich verfolgt werden konnte, obwohl die potentielle Gefährlichkeit eines solchen<br />

Verhaltens hierfür ein Bedürfnis schaffen soll. Der Gesetzgeber sieht bereits in der Aufnahme oder<br />

dem Unterhalten einer Beziehung zu einer terroristischen Vereinigung in der Absicht, sich zur Begehung<br />

einer Tat nach § 89a Abs. 1 und 2 ausbilden zu lassen, eine abstrakte Gefahr für Leib und Leben<br />

möglicher Opfer (vgl. BT-Drs. 16/12428, S. 16). Der präventive Charakter der Vorschrift geht damit<br />

noch weit über den des § 89a hinaus, was erhebliche Bedenken an seiner Verankerung im vom Schuldgedanken<br />

geprägten Strafrecht weckt. Im Ergebnis wird die Vorbereitung einer Vorbereitungshandlung<br />

(nämlich zu einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat) unter Strafe gestellt (Sieber NStZ 2009, 353<br />

[362]).<br />

B. Tatbestand (Abs. 1)<br />

2 Tatbestandsmäßiges Verhalten bei § 89b ist das Aufnehmen oder Unterhalten von Beziehungen zu<br />

einem Rädelsführer, Mitglied oder Unterstützer einer terroristischen Vereinigung im Sinne des § 129a,<br />

auch in Verbindung mit § 129b. Beziehung ist als Kontakt des Täters mit der Vereinigung zu definieren.<br />

Wie bei § 100 kann das Aufnehmen von Beziehungen durch jedes Kommunikationsmedium<br />

erfolgen, ohne dass der Täter von vornherein selbst aktiv werden muss. Jede Tätigkeit, die die Fortsetzung<br />

der Beziehung bezweckt, ist als Unterhalten im Sinne des Tatbestandes zu verstehen. Vom Tatbestand<br />

erfasst werden damit Verhaltensweisen, die noch nicht als Unterstützung einer terroristischen<br />

Vereinigung gewertet werden können. Die Unrechtsqualität der Tathandlung erreicht damit nicht den<br />

Schuldgehalt einer psychischen Unterstützung einer Terrorgruppierung. Sie liegt auch unterhalb der<br />

eines tatbestandsmäßigen Verhaltens nach § 89a, da noch keine hinreichend enge Beziehung zu einer<br />

schweren staatsgefährdenden Gewalttat besteht (vgl. BT-Drs. 16/12428, S. 17).<br />

3 Subjektiv setzt der Tatbestand neben mindestens bedingtem Vorsatz bezüglich der objektiven Tatbestandsmerkmale<br />

die Absicht des Täters voraus, sich in der Begehung einer schweren staatsgefährdenden<br />

Gewalttat gemäß § 89a Abs. 2 Nr. 1 unterweisen zu lassen. Absicht dürfte hier als dolus<br />

directus 1. Grades zu verstehen sein.<br />

4 In Abs. 2 enthält die Norm einen gesetzlichen Tatbestandsausschluss. Die Aufnahme und das Unterhalten<br />

der Beziehungen zu einer terroristischen Vereinigung im Sinne des Abs. 1 ist nicht strafbar,<br />

wenn die Handlung ausschließlich der Erfüllung rechtmäßiger beruflicher oder dienstlicher Pflichten<br />

dient. Zu denken ist hierbei an die Kontaktaufnahme oder –pflege zu geheimdienstlichen Zwecken.<br />

C. Tatbegehung<br />

5 Die Kontaktaufnahme bzw. das Unterhalten von Beziehungen muss nicht zwangsläufig durch die<br />

Person erfolgen, die sich in der Begehung der schweren staatsgefährdenden Gewalttat schulen lassen<br />

will. Die Einschaltung dritter Personen ist möglich. Der Tatbestand ist nicht als eigenhändiges Delikt<br />

konzipiert. Abs. 3 stellt klar, dass auch Ausländer Täter sein können. S. 1 normiert eine generelle Strafbarkeit<br />

auch für im Ausland begangene Taten. Eine Einschränkung enthält S. 2. Erfolgt der Kontakt<br />

außerhalb des Staatsgebiets der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist die entsprechende Handlung<br />

nur dann strafbar, wenn sie durch einen Deutschen oder einen Ausländer mit Lebensgrundlage im<br />

Inland begangen wird (vgl. hierzu § 89a Rdn. 10). Für diese Fälle setzt die Strafverfolgung allerdings<br />

eine Ermächtigung durch das Bundesministerium der Justiz voraus (Abs. 4 Nr. 1). Ein Ermächtigungserfordernis<br />

besteht auch, wenn das Aufnehmen oder Unterhalten von Beziehungen zwar innerhalb<br />

eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, aber nicht durch einen Deutschen begangen wird.<br />

6<br />

D. Konkurrenzen<br />

Vgl. hierzu § 89a Rdn. 11<br />

E. Rechtsfolgen<br />

7<br />

Der Tatbestand sieht Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vor. Es besteht die Möglichkeit<br />

für das Gericht, von einer Bestrafung bei geringer Schuld abzusehen, Abs. 5.<br />

776-6 Güntge SSW-StGB 1. Aufl. – Ergänzungsblätter: 10/2009


3. Titel Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates § 91<br />

F. Strafprozessrechtliches<br />

Zuständiges Gericht ist die Staatsschutzkammer, § 74a Abs. 1 Nr. 2 GVG. Es besteht die Möglichkeit 8<br />

der Verfolgungsübernahme durch den GBA, § 74a Abs. 2 GVG. In diesem Fall zuständiges Gericht ist<br />

das OLG, § 120 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 GVG.<br />

(...)<br />

§ 91 Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden<br />

Gewalttat<br />

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer<br />

1. eine Schrift (§ 11 Abs. 3), die nach ihrem Inhalt geeignet ist, als Anleitung zu einer schweren<br />

staatsgefährdenden Gewalttat (§ 89a Abs. 1) zu dienen, anpreist oder einer anderen Person zugänglich<br />

macht, wenn die Umstände ihrer Verbreitung geeignet sind, die Bereitschaft anderer<br />

zu fördern oder zu wecken, eine schwere staatsgefährdende Gewalttat zu begehen,<br />

2. sich eine Schrift der in Nr. 1 bezeichneten Art verschafft, um eine schwere staatsgefährdende<br />

Gewalttat zu begehen.<br />

(2) Absatz 1 Nr. 1 ist nicht anzuwenden, wenn<br />

1. die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen,<br />

der Kunst und Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über<br />

Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient oder<br />

2. die Handlung ausschließlich der Erfüllung rechtmäßiger beruflicher oder dienstlicher Pflichten<br />

dient.<br />

(3) Ist die Schuld gering, so kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen.<br />

A. Grundsätzliches und Regelungszweck<br />

Auch diese Vorschrift ist durch das Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsge- 1<br />

fährdenden Gewalttaten vom 30.7.2009 (BGBl. I S. 2437) eingeführt worden. Der Gesetzgeber sieht<br />

sie als erforderlich an, da in der Vergangenheit zu beobachten gewesen sei, dass vor allem durch islamistische<br />

Kreise detaillierte Anleitungen u.a. zur Herstellung von Sprengsätzen und anderen Vorrichtungen<br />

im Internet verbreitet wurden, deren alleiniger Zweck darin bestanden habe, für strafbare<br />

Handlungen genutzt zu werden (vgl. auch Kauder ZRP 2009, 20 [21]). Ziel dieser Veröffentlichungen<br />

sei das Hervorrufen oder Steigern der Bereitschaft anderer Personen zur Begehung von Straftaten mit<br />

terroristischem Hintergrund. Das Waffengesetz erfasse trotz seiner Ergänzung im März 2008 (BGBl I<br />

S. 426) diese Fallkonstellationen nicht. Dort sei lediglich die Anleitung oder Aufforderung zur Herstellung<br />

von bestimmten Gegenständen (Molotow-Cocktails, unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen)<br />

pönalisiert, §§ 52 Abs. 1 Nr. 4, 40 Abs. 1 WaffG i.V.m. Anlage 2 Abschn. 1 Nr. 1.3.4 zum<br />

WaffG (BT-Drs. 16/12428, S. 17). Auch andere Vorschriften des Kernstrafrechts seien nicht geeignet,<br />

dem Zugänglichmachen und Verbreiten von Anleitungen zur Begehung terroristischer Straftaten<br />

entgegenzuwirken. So setzte § 111 zur Tatbestandsverwirklichung die konkrete Aufforderung zur<br />

Begehung einer rechtswidrigen Tat voraus, wobei umstritten sei, welchen Grad an Konkretisierung die<br />

erwartete Tat haben müsse (zum Meinungsstand s. § 111 Rdn. 3). § 130a fordere wiederum, dass eine<br />

Schrift ihrem Inhalt nach bestimmt sei, die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, eine der in<br />

Abs. 1 genannten Katalogtaten zu begehen (Abs. 1), oder dass die als Anleitung zu einer Katalogtat<br />

geeignete Schrift verbreitet etc. werde, um die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, eine<br />

solche Tat zu begehen (Abs. 2 Nr. 1). Für neutral gehaltene Schriften (etwa wissenschaftlich gehaltene<br />

Publikationen zur Herstellung von Sprengsätzen), bei denen erst weitere Umstände auf ihre Eignung<br />

schließen ließen, die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, eine Katalogtat nach § 130a zu<br />

begehen (z.B. Verteilung an einen tatgeneigten Personenkreis), ergäben sich Strafbarkeitslücken. Ein<br />

weiteres Manko des § 130a – so der Gesetzgeber – liege in dem Umstand begründet, dass es oftmals<br />

schwierig sei, die nach § 130a Abs. 2 Nr. 1 erforderliche Absicht im engeren Sinne (vgl. § 130a<br />

Rdn. 21) nachzuweisen (vgl. BT-Drs. 16/12428).<br />

SSW-StGB 1. Aufl. – Ergänzungsblätter: 10/2009 Güntge 776-7


§ 91 BT. 1. Abschnitt. Friedensrat, Hochverrat und Gefährdung des demokrat. Rechtsstaates<br />

B. Tatbestand<br />

I. Objektiver Tatbestand<br />

2 Der objektive Tatbestand setzt zunächst voraus, dass die Schrift (§ 11 Abs. 3) ihrem Inhalt nach geeignet<br />

ist, als Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat zu dienen. Zudem<br />

muss sie nach den Umständen ihrer Verbreitung dazu geeignet sein, die Bereitschaft anderer zu fördern<br />

oder zu wecken, eine solche Tat durchzuführen. Umstände der Verbreitung sind solche, aus<br />

denen sich die Zielrichtung des Täterhandelns ergibt (Verbreitung über eine Homepage mit radikalem<br />

islamistischen Inhalt oder Einstellung in ein rechtsextremistisches Internetforum im Zusammenhang<br />

mit Gewaltaufrufen mit Blick auf ein bevorstehendes politisches Großereignis; vgl. BT-Drs. 16/12428,<br />

S. 18). Die zweifache Verwendung einer Eignungsklausel im Tatbestand weckt Bedenken an der Bestimmtheit<br />

der Norm gem. Art. 103 Abs. 2 GG (a.A. Bader NJW 2009, 2853 [2855]). Beispielsweise<br />

bleibt offen, ob die Einstellung einer Schrift in ein kritisches Diskussionsforum zu Fragen des Terrorismus<br />

den Tatbestand erfüllt. Hier wird in nicht unerheblicher Weise die durch Art. 5 GG geschützte<br />

Meinungsfreiheit tangiert (vgl. Sieber NStZ 2009, 353 [363] mit weiteren Beispielen). Wecken und<br />

Fördern der Tatbereitschaft ist wie bei § 130a Abs. 1 zu verstehen (vgl. dort Rdn. 15). Erfasst wird also<br />

neben dem Steigern oder Verfestigen einer bereits vorhandenen Tatbereitschaft auch deren Hervorrufen<br />

durch die Setzung eines Nachahmungsanreizes. Unter Anpreisen und Zugänglichmachen sind ein<br />

plakativ förderndes Werben bzw. jedes, einen Zugriff auf die Schrift ermöglichende Verhalten des<br />

Täters zu verstehen. Die Tathandlung des Sichverschaffens setzt einen nicht nur flüchtigen, vorübergehenden<br />

Zugriff auf die Schrift voraus. Ein nur temporärer Zugriff auf Daten im Internet (Anzeige<br />

der Anleitung in einem Webbrowserprogramm; technisch bedingte Zwischenspeicherungen) reicht<br />

somit – anders als bei § 184b – nicht aus (vgl. BT-Drs. 16/12428, S. 18). Das Sichverschaffen setzt<br />

andererseits keine physische Herrschaft über die Schrift voraus. Ausreichend ist es, wenn auf Daten<br />

über angemietete oder sonst wirksam genutzte externe Speicherplätze zugegriffen wird.<br />

II. Subjektiver Tatbestand<br />

3 In subjektiver Hinsicht ist Vorsatz erforderlich. In Abgrenzung zu § 130a hat der Gesetzgeber bewusst<br />

auf die Normierung einer Absicht, einen anderen zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden<br />

Gewalttat zu verleiten, verzichtet. Dolus eventualis reicht daher aus. Dies gilt auch hinsichtlich der<br />

Vorstellung über die Eignung, die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, eine Tat nach § 89a<br />

Abs. 1 zu begehen. In der Tatbestandsvariante des Abs. 1 Nr. 2 muss sich der Vorsatz des Täters auf<br />

die Begründung des Besitzes an der Schrift beziehen. So fehlt es an einer Strafbarkeit etwa bei unverlangt<br />

zugesandten E-Mails (vgl. BT-Drs. 16/12428, S. 18).<br />

III. Sozialadäquanzklausel<br />

4 Abs. 2 übernimmt in Nr. 1 die den Tatbestand begrenzende (BT-Drucks. 16/12428, S. 18) Sozialadäquanzklausel<br />

des § 86 Abs. 3 (vgl. dort Rdn. 17 ff.). Wegen des Tatbestandsausschlusses bei Erfüllung<br />

rechtmäßiger beruflicher oder dienstlicher Pflichten vgl. § 89b Rdn. 4.<br />

5<br />

6<br />

C. Tatbegehung<br />

Es gelten die allgemeinen Regeln.<br />

D. Konkurrenzen<br />

Hinter § 89a tritt bei Identität der Tathandlungen § 91 zurück.<br />

E. Rechtsfolgen<br />

7 Die Tat wird mit Geldstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft. Bei geringer Schuld<br />

besteht die Möglichkeit eines Absehens von einer Bestrafung, Abs. 3. Gem. § 92b S. 1 Nr. 2 können<br />

Gegenstände, auf die sich eine Tat nach § 91 bezieht, eingezogen werden.<br />

F. Strafprozessrechtliches<br />

8<br />

Eine Zuständigkeit der Staatsschutzkammer ist nicht begründet.<br />

776-8 Güntge SSW-StGB 1. Aufl. – Ergänzungsblätter: 10/2009

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