Das „Natura-2000-Gebiet“ Schäßburg – Große - HOG Schäßburg eV
Das „Natura-2000-Gebiet“ Schäßburg – Große - HOG Schäßburg eV
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welches durch fremde Arbeitskräfte bearbeitet worden war, somit<br />
eine für damalige Begriffe Ausbeuterin war. Dies hatte weiter keinen<br />
Einfluss auf mein Leben, ich wurde sogar gelobt, aufrichtig gewesen<br />
zu sein, dies anzugeben.<br />
Es kam das Jahr 1959. Ich war in der Zwischenzeit, mit besserer Entlohnungsmöglichkeit,<br />
aufgefordert worden, zum Maschinenbaubetrieb<br />
„Nicovala“ zu wechseln, immer als Abteilungsleiter. Eines Tages<br />
wurde in den Büros eine Ausgabe der Zeitschrift der Rumänischen<br />
Gesellschaft zur Festigung der Freundschaft mit der Sowjetunion<br />
„ARLUS“ verteilt, mit dem Hinweis, sie enthalte ein Kreuzworträtsel<br />
und man bei richtiger Lösung und Losgewinn an einer Reise teilnehmen<br />
könne. Der Verteiler hatte auch schon die Lösung, gab sie uns<br />
zum Abschreiben und leitete sie weiter. Ich machte mir keine weiteren<br />
Gedanken, bis ich Mitte April dieses Jahres, völlig unerwartet,<br />
die Nachricht bekam, ich sei einer der Gewinner des Wettbewerbs<br />
und solle mich an einem dazu genannten Tag und Stunde beim Sitz<br />
der ARLUS in Bukarest einfinden, um am „Ersten Zug der Freundschaft“<br />
in die Sowjetunion teilzunehmen. Aus dem ganzen Rayon/<br />
Bezirk Schäßburg waren nur ich und eine Frau Hilda Gutkowski,<br />
Sächsin aus Keisd, dabei.<br />
Der Zug setzte sich aus 200 Gewerkschaftsfunktionären und aus<br />
100 Gewinnern des Kreuzworträtsel-Wettbewerbs zusammen. Alsbald<br />
sollte sich klären, wie es dazu kam, dass wir, beide Sachsen bzw.<br />
Deutsche, für diese Reise „ausgelost“ worden waren: Auf größeren<br />
Bahnhöfen, wo wir durchfuhren, gab es große Empfänge mit Blasmusik,<br />
Menschenmengen und Ansprachen, wo unser Reiseleiter<br />
u.a. erwähnte, dass wir gekommen seien, Repräsentanten aller nationalen<br />
Minderheiten Rumäniens, um die Erfolge der Sowjetunion<br />
usw. usf. kennenzulernen. Somit war uns klar, dass es eine für das Regime<br />
charakteristische gezielte „Auslosung“ gegeben hatte. Da wohl<br />
keine anderen Sachsen, oder gar keine anderen, diese Rätsellösung<br />
eingeschickt hatten, waren wir beide die „glücklichen“ Gewinner des<br />
Wettbewerbs.<br />
Wir erlebten immerhin schöne Tage, in den Städten Kiew und<br />
Moskau wurde uns viel geboten, bis hin zur Teilnahme auf einer<br />
Ehren-Nebentribüne am Roten Platz an der 1.-Mai-Truppen- und<br />
Volksparade. Bei einem Besuch im Kreml wollte es der Zufall, es war<br />
etwa 16 Uhr, Arbeitsschluss, dass mir im Hof des Kreml, unter Begleitung<br />
eines Offiziers, der damalige Chef des Sowjetstaates, Nikita<br />
Chruschtschow, entgegenkam, ich ihn erkannte, den Hut grüßend<br />
vor ihm zog und dieser mit seinem breitkrempigen Hut das Gleiche<br />
tat. Er wollte sich wohl etwas bewegen, sich den Besuchern vielleicht<br />
auch zeigen, denn alsbald stieg er in eine Nobelkarosse ein.<br />
Zu Hause angekommen, hatte ich im Betrieb einen Bericht für die<br />
Wandzeitung zu schreiben, ansonsten nahm das Leben seinen gewohnten<br />
Lauf.<br />
Dann kam, nur nach einigen Monaten, der 5. Oktober 1959. Im Betrieb<br />
spürte man, dass sich etwas Besonderes in Vorbereitung befand.<br />
In Ermangelung eines großen Sitzungssaales wurde eine große<br />
Montagehalle ausgeräumt und mit improvisierten Sitzgelegenheiten<br />
versehen, gerechnet für die Belegschaft der Morgenschicht, der Mittagsschicht<br />
und für das Büropersonal. Die Sitzung begann um 14.15<br />
Uhr, es brodelte in der Halle, niemand wusste, worum es ging. Ich<br />
konnte noch nicht ahnen, dass ich dabei eine gewichtige Rolle spielen<br />
sollte.<br />
Ich muss vorausschicken, dass es im Sommer dieses Jahres eine Erhöhung<br />
der Löhne im ganzen Land gegeben hatte, zugleich aber<br />
auch eine Verteuerung der Lebensmittel, was von der Bevölkerung<br />
sehr kritisch beurteilt wurde. In unserem Betrieb hatten die Gießer,<br />
voran mit Parteimitgliedern, aus Protest für einige Stunden die Arbeit<br />
niedergelegt, eine völlig inakzeptable Situation für jene Zeiten.<br />
Ähnliches soll auch anderwärts vorgekommen sein, was die oberste<br />
Führung des Landes veranlasste, dass in großangelegten Sitzungen<br />
in dafür ausgewählten Betrieben die ganze Belegschaft einzuberufen<br />
sei, um wie ersichtlich parteilose Angestellte des Beamtenpersonals<br />
wegen Kritik der Maßnahmen des Staates durch Abstimmung aus<br />
dem Betrieb auszuschließen. In unserem Fall je einer der drei bedeutenderen<br />
Nationalitäten der Stadt, damit es sich in allen Kreisen herumspricht,<br />
was einem geschehen kann, wenn man die Verfügungen<br />
der Regierung und der Partei kritisiert. Auf sächsischer Seite war ich<br />
das Opfer, auf rumänischer Seite der Juriskonsult des Betriebes und<br />
von ungarischer Seite, mangels eines höheren parteilosen Angestellten,<br />
ein kleiner Lagerleiter. Durch ein vorbereitetes Referat wurde mir<br />
Folgendes vorgeworfen: „Verbreiter von Lügen und Gerüchten in der<br />
Masse der Arbeiter, erbitterter Feind der Interessen des arbeitenden<br />
Volkes, korruptes Element, feindliche Tätigkeit und Werkzeug der<br />
imperialistischen Reaktion“. Ich wies alle Vorwürfe als unwahr zurück,<br />
bittend um Überprüfung, wurde aber schnellstens vom anwesenden<br />
Zweiten Sekretär des Bezirksvorstandes der Partei mit den<br />
Worten unterbrochen: „Die Angaben, erhalten vom Staatssicherheitsdienst,<br />
entsprechen zweifelsfrei der Wahrheit.“ Sodann erhielten<br />
dafür bestellte Arbeiter und Angestellte das Wort. Da wollte einer<br />
u.a. wissen, dass, wenn ich die Möglichkeit hätte, nach Deutschland<br />
zu ziehen, sofort in die deutsche Armee (armata germană) eintreten<br />
würde. Ein anderer: „Diese korrupten, arbeiterfeindlichen Elemente<br />
müssen den Organen der Staatssicherheit zur Umerziehung übergeben<br />
werden.“ Man kann sich vorstellen, auf was ich gefasst sein<br />
musste. Ein Angestellter, guter Bürokollege, äußerte sich sehr zurückhaltend,<br />
er wundere sich, wie die Beschuldiger solche Dinge verbreiten<br />
konnten. Es folgte die Abstimmung über unseren Ausschluss<br />
aus dem Betrieb, was erwartungsgemäß einstimmig erfolgte. Eine<br />
Bürokollegin, Kränzchenfreundin zugleich, also Sächsin, die auch<br />
heute noch lebt, saß so, dass ich zufällig ihr Abstimmungsverhalten<br />
sehen konnte, und ohne den Arm zu heben wie alle andern hob sie,<br />
bei herunterhängenden Armen, nur ganz zaghaft einen Finger. Die<br />
Arme – in welche Situation sie geraten war!<br />
Wie Geächtete verließen wir Beschuldigten die Sitzung, ohne dass<br />
sich jemand uns näherte, zugleich froh, dass uns kein Wagen erwartete,<br />
um uns sogleich zur „Umerziehung“ abzuschleppen. Eingegebene<br />
Widersprüche blieben ohne Beantwortung, und, beim<br />
Syndikatsvorsitzenden des Bezirks/Rayons vorstellig geworden, wurde<br />
mir auch nicht erlaubt, mich bei einem anderen Betrieb um eine<br />
Anstellung zu bemühen.<br />
Nach 6 Wochen war es dann so weit, wir alle drei durften uns um<br />
einen Arbeitsplatz umsehen, da es ja dazumal in Rumänien keine Arbeitslosen<br />
geben durfte. Der Direktor der neuen Fayence- und Glasfabrik,<br />
der mich von früher kannte und schätzte, stellte mich an, und<br />
alsbald erhielt ich als „Prinzipal-Ökonom“ einen adäquaten Posten,<br />
aber nie wieder als Abteilungsleiter.<br />
So war das also mit dem Wechselbad, von heute auf morgen vom<br />
gekürten Sowjetunionfahrenden zum geächteten Feind des Volkes.<br />
In der Folgezeit müssen alle Verantwortlichen verschiedener Institutionen<br />
erkannt haben, wie unschuldig ich im Jahre 1959 durch eine<br />
gezielte Aktion behandelt worden war und verhielten sich mir gegenüber<br />
sehr behutsam.<br />
Julius Henning, Pforzheim<br />
Schäßburger Nachrichten 41