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Juristische Fakultät GRUNDLAGEN DER KLAUSURTECHNIK ...

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<strong>Juristische</strong> <strong>Fakultät</strong>Mentorenprogramm<strong>GRUNDLAGEN</strong> <strong>DER</strong> <strong>KLAUSURTECHNIK</strong>JANUAR 2012Alexander Roos & Christof Taube


VorwortEs ist noch kein Meister vom Himmel gefallen und dann ist aller Anfang auch nochschwer?! – Zwar helfen Ihnen solche floskelartigen Ausführungen in der Klausur nichtweiter, doch treffen sie den Kern des wichtigsten Meilensteins auf dem Weg zumlangfristigen Klausurerfolg: Übung! Wie auch im Sport gehört zum Erfolg in der Juristereineben (etwas) Talent auch jede Menge Training. Doch nützt hier wie da auchdas nichts, wenn gewisse Regeln und Techniken nicht beherrscht werden; oder garschlimmer, gänzlich unbekannt sind.Das vorliegende Skript richtet sich in erster Linie an Studienanfänger, die den Umgangmit Abschlussklausuren aus den drei Rechtsgebieten Zivilrecht, ÖffentlichesRecht und Strafrecht erproben und ihren Stil verbessern wollen. Es ist im Rahmen derVeranstaltung „Klausurtechnik-AG“ an der Ruhr-Universität Bochum entstanden undberücksichtigt unsere gesammelten Erfahrungen aus nunmehr fünf Semestern Kursleitung.Für Hinweise und Anregungen an mp-jura@rub.de sind wir Ihnen äußerst dankbar.Bochum, Januar 2012Alexander Roos & Christof TaubeSEITE II | II


<strong>Juristische</strong> <strong>Fakultät</strong>Roos/Taube: Grundlagen der KlausurtechnikI. FORMELLE <strong>GRUNDLAGEN</strong> 31. FORMALITÄTEN 3a) Deckblatt 3b) Gutachten 5aa) Verwendung des Schreibpapiers 5bb) Gliederung des Gutachtens 5cc) Zitieren im Gutachten 6dd) Sprachliches 6c) Sonstiges 82. SCHRITTWEISE FALLLÖSUNG 8a) Arbeit am Sachverhalt 8b) Erstellen der Lösungsskizze 9c) Erstellen der Reinschrift 10II. GUTACHTENSTIL 101. EINFÜHRUNG IN DEN GUTACHTENSTIL 102. BILDUNG DES OBERSATZES 113. HERLEITUNG <strong>DER</strong> DEFINITION 144. SUBSUMTION 155. ERGEBNISSATZ 16III. AUSLEGUNG 171. ANWENDUNGSFÄLLE 172. AUSLEGUNGSMETHODEN 17a) Grammatikalische Auslegung 17b) Systematische Auslegung 17c) Historische Auslegung 18d) Teleologische Auslegung 18IV. ANALOGIE, TELEOLOGISCHE REDUKTION UND SONSTIGE SCHLUSSFORMEN 211. ANALOGIESCHLUSS 21a) Bedeutung des Analogieschlusses 21b) Voraussetzungen des rechtswissenschaftlichen Analogieschlusses 21c) Fall: „Tragische Ofenlieferung“ (BGHZ 5, 62) 222. TELEOLOGISCHE REDUKTION 233. ARGUMENTUM A MAIORE AD MINUS 234. ARGUMENTUM E CONTRARIO 23V. RECHTSGEBIETSSPEZIFISCHE BESON<strong>DER</strong>HEITEN 241. ZIVILRECHT 24a) Klassische Fallfragen im Zivilrecht 24b) Aufbau des zivilrechtlichen Gutachtens 26c) Fall: „Bleistiftkauf“ 27d) Fall: „Autokauf“ 28e) Fall: „Grillkauf“ 32


2. STRAFRECHT 36a) Klassische Fallfragen im Strafrecht 36b) Aufbau des strafrechtlichen Gutachtens 37c) Fall: „Disko-Abend“ (BGH, JUS 2008, 273) 383. ÖFFENTLICHES RECHT 44a) Klassische Fallfragen im öffentlichen Recht 44b) Fall: „Notar auf Lebenszeit?“ (BVerfG, NJW 1993, 1575) 45VI. DARSTELLUNG VON MEINUNGSTREITIGKEITEN 521. URSPRUNG EINES MEINUNGSSTREITES 522. RICHTIGER UMGANG MIT MEINUNGSSTREITIGKEITEN 523. DARSTELLUNG VON MEINUNGSSTREITIGKEITEN 534. AUS DEM ÖFFENTLICHEN RECHT: DAS PRÜFUNGSRECHT DES BUNDESPRÄSIDENTEN 555. AUS DEM STRAFRECHT: ABGRENZUNG RAUB – RÄUBERISCHE ERPRESSUNG 566. AUS DEM ZIVILRECHT: „TRIERER WEINVERSTEIGERUNG“ 58SEITE 2 | 62


I. FORMELLE <strong>GRUNDLAGEN</strong>1. FORMALITÄTENa) DECKBLATT• Das Deckblatt hat reinen Informationscharakter und dient keinen „Werbezwecken“.• Es enthält eine schlichte Darstellung der relevanten Fakten (Name, Adresse,Matrikelnummer, Anzahl der Fachsemester, E-mail-Adresse [Vorname.Nachname@rub.de],Art der Klausur, Veranstaltung, Veranstaltungsleiter,laufendes Semester).• Idealerweise wird das Deckblatt am Computer verfasst und ausgedruckt zurKlausur mitgebracht.SEITE 3 | 62


Max MustermannStiepeler Str. 71a44799 BochumMax.Mustermann@rub.deMatrikelnummer1. FachsemesterAbschlussklausurzur Vorlesung Grundlehren des Bürgerlichen Rechts Ivon Prof. Dr. Klaus SchreiberWintersemester 2011/2012Bochum, den 01. Februar 2012SEITE 4 | 62


) GUTACHTENaa)Verwendung des Schreibpapiers• Es sollte nur sauberes, unbeschriebenes und unbedrucktes Papier in Größe DINA4 verwendet werden.• Die Blätter werden nur einseitig beschreiben.• Es ist ausreichend Korrekturrand zu lassen (mindestens 1/3 der Seite, vorzugsweisedes linken Teils).• Beschriebene Seiten werden mit Seitenzahlen versehen. Einschübe können sospäter problemlos zugeordnet werden, z.B. als Seite 2a, 2b usw.• Die Handschrift muss leserlich sein.• Aus Zeitgründen ist davon abzuraten, im eigenen Text Unterstreichungen oderMarkierungen vorzunehmen.• Abkürzungen sollten vermieden werden (Ausnahme: Gesetzesabkürzungen, z.B.GG, BGB, StGB).bb)Gliederung des Gutachtens• Überschriften sind zumindest für die Hauptgliederungspunkte zur übersichtlichenStrukturierung der Klausur anzulegen, also mindestens für jede Anspruchsgrundlage im Zivilrecht, jedes Verfahren im Öffentlichen Recht, jeden Straftatbestand im Strafrecht und jede einzelne Fallfrage.• Es sollten sachgerechte Absätze gebildet werden.SEITE 5 | 62


• Die Gliederung der rechtswissenschaftlichen Klausur folgt diesem Schema: A.• I.o 1. a)• aa)o (1) (aa), (aaa)cc)Zitieren im Gutachten• In der Klausur sollen in erster Linie eigene Gedanken entwickelt und begründetwerden. Sofern dabei Argumente eines Gerichts oder einer Literaturstelle aufgegriffenwerden, sind sie nicht eigens als solche kenntlich zu machen.• Auch der Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG, BGH o.ä. ersetzt nichtdie eigene Argumentation.• Hingegen muss stets der gesetzliche Anknüpfungspunkt, auf den Bezug genommenwird (Anspruchsgrundlage, Ermächtigungsgrundlage, Straftatbestand),zitiert werden und zwar so präzise wie möglich (z.B. § 433 I 1 BGB anstatt§ 433).dd)Sprachliches• <strong>Juristische</strong> Texte leben von ihrer guten Argumentation. Inhalt und Form wirkendabei stets zusammen.• Eine gute Arbeit braucht daher einen guten Inhalt und eine gute Form.• Zur guten Form gehört auch eine korrekte und angemessene Anwendung derdeutschen Sprache.• Die Sprache ist das Werkzeug des Juristen; das Werkzeug sollte äußerst sorgfältigeingesetzt werden.SEITE 6 | 62


OVG Münster (NWVBl. 1995, 229):„Zur Rechtsanwendung gehört auch die Fähigkeit, sich bei Falllösungen wie überhauptbei Rechtsausführungen grammatikalisch korrekt, in verständlicher Spracheund in einem sachangemessenen Stil in Wort und Schrift auszudrücken.“(Alte) Richtlinien des JPA Hamm:„Die Regeln der Grammatik und der Rechtschreibung sind sorgfältig zu beachten.“• Auf Rechtschreibung, Grammatik und Zeichensetzung ist zu achten.• Es gilt, prägnant zu formulieren; dazu gehören verständliche und vorzugsweisekurze Sätze.• <strong>Juristische</strong> Fachbegriffe sind präzise zu verwenden (z.B. ist der Tatbestand von§ 242 I StGB vollendet, wenn der Gewahrsamswechsel vollzogen ist, aber erstbeendet, wenn der Gewahrsam des Täters gesichert ist). 1• Auf Fremdwörter und Anglizismen wird verzichtet, soweit sie nicht üblich sind(§ 184 S. 1 GVG: „Die Gerichtssprache ist deutsch.“)• Achten Sie bei der Erstellung des Gutachtens stets auf die Logik des Geschriebenen,denn Widersprüche in der Argumentation wirken sich negativ auf die Bewertungder Klausur aus.• Floskelhafte und/oder verstärkenden Wendungen („Ganz gewiss liegt eine erheblicheVerletzung vor…“, „Total abwegig ist, dass…“) sollten Sie vermeiden.• Ebenso sollten Sie stereotype Einleitungssätze („Es ist zu prüfen, ob…“, „nun istzu überprüfen, ob…“) vermeiden.• Eine Erläuterung zur Gliederung des Gutachtens unterbleibt; die Gliederung ergibtsich aus einer sachgerechten Prüfung.• Verwenden Sie weder „Ich-Formulierungen“ noch sonstige persönliche Anmerkungen.• Kurzum: Der juristische Sprachstil ist knapp, einfach, klar, anschaulich und präzise.1Zur Unterscheidung vgl. Lackner/Kühl, 27. Aufl. 2011, § 242 Rn. 18.SEITE 7 | 62


c) SONSTIGES• Die Bearbeitung endet mit der eigenhändigen Unterschrift.• Die Seiten sollte entweder zusammengeheftet oder -getackert werden.• Unter Umständen ist der Sachverhaltstext mit abzugeben.2. SCHRITTWEISE FALLLÖSUNGa) ARBEIT AM SACHVERHALT• Der Sachverhalt sollte mindestens einmal durchgelesen werden, ohne Anmerkungenvorzunehmen (1. Schritt).• Die Fallfrage lesen und verinnerlichen: Was ist gefragt? Es geht ausschließlichdarum, die gestellte(n) Frage(n) zu beantworten. Beachten und befolgen Sie dieHinweise (z.B. „Eine Strafbarkeit nach dem 16. Abschnitt ist nicht zu prüfen“)!Häufig lassen diese wichtige Rückschlüsse zu („Alle notwendigen Strafanträgesind gestellt“ bedeutet, dass Sie v.a. nach Antragsdelikten Ausschau haltensollten) (2. Schritt).• Den Sachverhalt erneut mit Blick auf die Fallfrage intensiv lesen – flüchtigesLesen führt leicht zum Verlesen.• Bewahren Sie Ruhe, wenn Schlüsselwörter ein bestimmtes, möglicherweise unbekanntes,Rechtsgebiet suggerieren (z.B. „Erbe“ bedeutet nicht, dass die Klausurzwangsläufig dem Erbrecht entstammt, „X-GmbH“ weist nicht immer denWeg in das Gesellschaftsrecht). Auch die Rechtsansichten der Beteiligten müssennicht immer zutreffend sein.• Sachverhaltsangaben dürfen nicht abgeändert oder „verbogen“ werden.• Ohne weiteres dürfen Lücken im Sachverhalt nicht unterstellt werden.• Je nach Komplexität des Sachverhalts kann eine Zeichnung und/oder eine Zeitstrahlsinnvoll sein.• Spontane Gedanken sollten auf einem gesonderten Blatt sofort notiert werden.• Alle infrage kommenden Anspruchsgrundlagen, Straftatbestände oder Ermächtigungsgrundlagennotieren.• Den Sachverhalt genau prüfen: i.d.R. enthält er keine überflüssigen Angaben.Für die Lösung kann und sollte jede Information verwendet werden. Dies giltSEITE 8 | 62


insb. im öffentlichen Recht. Dort bieten die „Ansichten“ der Beteiligten oftmalsdie Anhaltspunkte für die Verhältnismäßigkeits- und Ermessensprüfung. Zu jederwesentlichen Sachverhaltsangabe sollte es einen korrespondierenden Teil in derLösung geben.• Versetzten Sie sich in die Lage des Prüfers: Warum hat er diese Information inden Sachverhalt aufgenommen? An welcher Stelle muss ich sie verwerten? Wiebringt sie meine Lösung voran?• Erst wenn der Sachverhalt vollständig erfasst worden ist, gehen Sie zum nächstenSchritt über.b) ERSTELLEN <strong>DER</strong> LÖSUNGSSKIZZE• Die Lösungsskizze sollte vollständig sein, d.h. jeden Prüfungspunkt erfassen.Sie darf aber schon aus zeitlichen Gründen keine ausformulierten Teile enthalten.• Die Lösungsskizze sollte so gegliedert sein, wie das Gutachten in der Reinschrift.• Gesetzliche Anknüpfungspunkte sollten in der Lösungsskizze schon korrektzitiert sein.• Problematische Stellen und Meinungsstreitigkeiten sollten als solche markiertwerden. Ggf. können stichwortartig Argumente in die Skizze aufgenommen werden.• Der Verfasser sollte sich die Schwerpunkte des späteren Gutachtens bereits inder Lösungsskizze deutlich machen, denn Unstreitiges darf in der Reinschriftnicht zu Lasten der tatsächlichen Schwerpunkte breit ausformuliert werden.• Zwischenergebnisse und unproblematische Punkte werden mit (+)/(-) deutlichgemacht.• Überprüfen Sie Ihr Ergebnis anhand der aufgeworfenen Fallfrage. Findet sich jede Sachverhaltsinformation in der Lösungsskizzewieder (Äquivalenzprinzip)? Plausibilität des Ergebnisses: „Kann das so richtig sein?“ Daseigene Rechtsgefühl und der gesunde Menschenverstand bildeni.d.R. einen guten Maßstab.SEITE 9 | 62


c) ERSTELLEN <strong>DER</strong> REINSCHRIFT• Abgearbeitete Punkte aus der Lösungsskizze sollten Sie abhaken oder streichen.• Behalten Sie ständigen Kontakt zu Lösungsskizze, Sachverhalt und Fallfrage.• Überflüssige Ausführungen geben nicht nur keine zusätzlichen Punkte, sondernführen i.d.R. zu Punktabzügen.• Lassen Sie eine schlüssige Gedankenführung („roter Faden“) erkennen – einSchritt ergibt sich aus dem anderen. Nachgeschobene Ausführungen solltenvermieden werden.• Ergebnisse und Zwischenergebnisse werden nicht gesondert begründet.• In Abschlussklausuren sollten Sie ca. 2/3 der Zeit für Erstellung des Gutachtens(und 1/3 der Zeit ist für die Anfertigung der Lösungsskizze) einplanen.• Eine gute und vollständige Lösungsskizze in Kombination mit einer gewissenFormulierungsroutine vereinfacht das „Schreiben“ der Klausur.• Merke: Wird die Zeit knapp, sollte man sich möglichst kurz fassen, um die Bearbeitungzu beenden, d.h. Übergang in den erlaubten Urteilsstil („Die Geldbörsebefand sich im Eigentum des O, war demnach eine für T fremde Sache.“).• Kontrollieren Sie Ihre Lösung: Sollte die Zeit reichen, wird die Lösung auf Rechtschreib-,Komma- und Flüchtigkeitsfehler kontrolliert.II.GUTACHTENSTIL1. EINFÜHRUNG IN DEN GUTACHTENSTILGutachtenstilUrteilsstil1. Obersatz: Der Palandt könnte eineSache sein.Ergebnissatz: Der Palandt ist eine Sache.2. Definition: Eine Sache ist jeder körperlicheGegenstand.Definition: (Denn) Eine Sache ist jederkörperliche Gegenstand.3. Subsumtion: Der Palandt ist einBuch und damit ein körperlicher Gegenstand.Subsumtion: (Denn) der Palandt ist einBuch und damit ein körperlicher Gegenstand.4. Ergebnis: Demnach ist der Palandt ---SEITE 10 | 62


eine Sache.Antwort ist offen, Frage wird im O-bersatz aufgeworfenErgebnis steht schon fest und muss begründetwerdenDieser Aufbau wirft drei Fragen auf:• Wie bildet man einen ansprechenden Obersatz?• Wie bildet man eine treffende Definition?• Wie subsumiert man sachgemäß?2. BILDUNG DES OBERSATZES• Ziel: Frage aufwerfen, Prüfungsprogramm festlegen, Rechtsfolge nennen.• Beispiel: A könnte gegen B einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung aus § 433 IIBGB haben. Frage: Kann A von B Kaufpreiszahlung verlangen? Prüfungsprogramm: Anspruch aus § 433 II BGB Rechtsfolge: Zahlungsanspruch• Der erste Obersatz gibt konjunktivisch die aufgeworfene Fallfrage wieder undstellt Einleitung und Leitfaden des Gutachtens dar.• Der Obersatz muss immer „von der Rechtsfolge her“ gebildet werden.SEITE 11 | 62


Der sechsjährige M will dem K sein Mountainbike verkaufen. Ist seine auf den Abschlussdes Kaufvertrages gerichtete Willenserklärung wirksam?RichtigFalschDie Willenserklärung des M könnte wegenGeschäftsunfähigkeit gem. § 105BGB nichtig sein. (Rechtsfolge)M könnte geschäftsunfähigsein. (Was bedeutet das für denFall? Welchen Einfluss hat die Geschäftsunfähigkeitfür die Prüfung „Anspruchentstanden“?)V geht zum Trödelhändler T und kauft dort im Namen und im Auftrag des M ein altesModellauto für M. Das Auto nimmt er schon mal mit und erklärt, dass M später dasGeld vorbeibringen würde. Als dies nicht geschieht, fordert T von M gem. § 433 IIBGB den Kaufpreis. M behauptet, er habe keine Willenserklärung abgegeben. Stimmtdas?RichtigFalschDie WE des V wirkt gem. § 164 I 1BGB für und gegen M, wenn dieserdurch V wirksam vertreten wurde.V könnte Vertreter des M gewesensein. (Das Handeln als Vertreter ist nurVoraussetzung, also Tatbestand, fürdie Rechtsfolge des § 164 I 1 BGB.)V und K haben einen Kaufvertrag über einen VW Polo geschlossen. Der K verlangtnun gem. § 433 I 1 BGB von V die Übereignung des Fahrzeugs. V entgegnet, erschulde nicht die Übereignung des Fahrzeugs, da er sich beim Ausfüllen des Kaufvertragsformularsverschrieben und dies dem K auch schon erklärt habe. Besteht derAnspruch des K noch?SEITE 12 | 62


RichtigDer Anspruch könnte gem. § 142 Irückwirkend beseitigt worden sein.FalschV könnte seine WE gem. § 119 I angefochtenhaben. (§ 119 I enthält eineVoraussetzung, nicht aber die Rechtsfolgeder Anfechtung)Übung 1:Finden Sie die passenden Obersätzen zu den folgenden Fallfragen:Hat A einen Anspruch gegen B auf Abnahme der Kaufsache?A könnte einen Anspruch gegen B auf Abnahme der Kaufsache gem. § 433 IIBGB haben.Ist der mündlich geschlossene Grundstückskaufvertrag wirksam?Der mündlich geschlossene Grundstückskaufvertrag dürfte nach § 125 S. 1BGB nicht nichtig sein.Ist der Hund eine Sache?Der Hund könnte eine Sache sein.Ist ein Grundstück eine Sache?Das Grundstück könnte eine Sache sein.Ist ein Vertrag wirksam, indem sich jemand gegen Geld verpflichtet, einen anderenzu töten?Der Vertrag dürfte nicht nach § 134 BGB nichtig sein.Hat die Verfassungsbeschwerde des A Aussicht auf Erfolg?Die Verfassungsbeschwerde hat Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.Hat sich A wegen Körperverletzung strafbar gemacht?A könnte sich der Körperverletzung gem. § 223 I StGB strafbar gemacht haben.SEITE 13 | 62


3. HERLEITUNG <strong>DER</strong> DEFINITION• Die Definition ist eine abstrakte, allgemeingültige, möglichst präzise und eindeutigeBeschreibung der im Obersatz genannten Tatbestandsmerkmale oder dernotwendigen Voraussetzungen.• Definitionen sind entweder gesetzlich normiert (Legaldefinition) oder aber durchAuslegung des Begriffes zu ermitteln.• Bsp. für Legaldefinitionen: §§ 90, 276 II, 932 II BGB; § 12 I und II StGB• Unterschieden werden positive und negative Definitionen:Positive Definition: Es wird positiv festgestellt, was unter einem bestimmtenBegriff zu verstehen ist, z.B. eine körperliche Misshandlung(i.S.d. § 223 I StGB) ist jede üble und unangemessene Behandlung,durch die das körperliche Wohlbefinden nicht nur unerheblich beeinträchtigtwird.Negative Definition: Es wird beschrieben, was unter einem Begriff geradenicht zu verstehen ist, z.B. eine (strafrechtliche) Tathandlung istrechtswidrig, wenn die Handlung des Täters durch keinen Rechtfertigungsgrundgedeckt ist.• Je nach Komplexität des jeweiligen Tatbestandsmerkmals kann eine kompletteDefinition u.U. nicht in einem Satz untergebracht werden, vielmehr müssen einzelnePunkte näher erläutert und ausgelegt werden.• Teilweise enthält die Definition einer Voraussetzung einen Begriff, der wiederumdefiniert werden muss (Schachtelprüfung). Beispiel:I. A könnte gegen B einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung aus § 433 II BGBhaben.1. Dann müsste zwischen A und B zunächst ein Kaufvertrag nach § 433BGB geschlossen worden sein. Ein Kaufvertrag ist ein Rechtsgeschäft,das durch zwei inhaltlich miteinander korrespondierenden Willenserklärungen,Antrag und Annahme, §§ 145 ff. BGB, zustande kommt. (Definitiondes Kaufvertrages)SEITE 14 | 62


a) Ein Antrag ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung,durch die einer anderen Person ein Vertragsschluss in derWeise angetragen wird, dass der Abschluss des Vertrages nurnoch von deren Zustimmung abhängt. (Definition des Antrages)• Definitionen sind nichts anderes als das Ergebnis der Auslegung eines Begriffes.In der Klausur sollte man getrost Ruhe bewahren, wenn eine Definition nichtgleich aus dem Gedächtnis abgerufen werden kann. In einem solchen Fall sollteeine eigene Definition durch Auslegung gefunden werden. Dabei gelten die folgendenRegeln:Die Definition muss deutlicher sein als der zu bestimmende Begriff.Die Definition darf nichts Überflüssiges enthalten und nichts Wesentlichesweglassen.Die Definition muss umkehrbar sein: „Vollmacht ist die durch Rechtsgeschäfterteilte Vertretungsmacht.“• Die Subsumtion kann nur so gut sein wie die Definition, unter die subsumiertwird. Deshalb darf die Definitionsebene erst verlassen werden, wenn sämtlicheBegriffe vollständig geklärt sind.4. SUBSUMTION• Geprüft wird, ob der relevante Sachverhaltsausschnitt von der Definition erfasstwird.• Gegenstand der Subsumtion ist ausschließlich der Sachverhalt. Passt der jeweiligeAusschnitt nicht unter die abstrakten Merkmale der Definition, fehlt es an derErfüllung einer Voraussetzung (keine „Sachverhaltsquetsche“!).SEITE 15 | 62


• Wie erfolgt die Subsumtion bei unklarem Sachverhalt?Lebensnahe Auslegung„Prüferfreundliche“ Auslegung (nicht „abkürzen“, sodass offensichtlicheFolgeprobleme unbehandelt blieben)Im Zivilrecht sind Beweislastregeln (z.B. § 280 I 2, § 831 I 2, § 932 IIBGB) sowie gesetzliche Vermutungen (z.B. § 891, § 1006, § 1362 BGB)heranzuziehen.5. ERGEBNISSATZ• Ziel des Ergebnissatzes ist die Beantwortung der aufgeworfenen Frage.• Obersatz und Ergebnis müssen miteinander korrespondieren.• Lautet der Obersatz beispielsweise: „A könnte gegen B einen Anspruch auf Herausgabeder Uhr gem. § 985 BGB haben“ muss der Ergebnissatz diese Frageentweder bejahen oder verneinen. Der Ergebnissatz darf außer dieser Feststellungkeine weiteren Ausführungen enthalten.• Bsp.: A kauft von B sechs Kilo Äpfel. B begehrt daraufhin Kaufpreiszahlung nach§ 433 II BGB. A ficht den mit B geschlossenen Kaufvertrag wegen Irrtums nach§ 119 I BGB wirksam an. Der Ergebnissatz darf nur die Feststellung enthalten,dass ein Anspruch von B gegen A aus § 433 II BGB nicht besteht. Dass B möglicherweiseein Schadensersatzanspruch aus § 122 I BGB zusteht, ist gesondertzu prüfen, aber auch nur dann, wenn laut Fallfrage sämtliche in Betracht kommendenAnsprüche zu prüfen sind.Übung 2:Gehen Sie gutachterlich auf die nachfolgenden Fragen ein:Ist ein Hund ein Säugetier?Ist ein Kugelschreiber ein Stift?Ist eine Banane ein Gemüse?Ist ein Seat Arosa ein PKW?Ist ein Zelt ein Gebäude?SEITE 16 | 62


Ist ein Hubschrauber ein Flugzeug?Ist eine Eiche ein Baum?Ist die BRD ein Staat?III. AUSLEGUNG1. ANWENDUNGSFÄLLE• Zunächst liegt eine inhaltliche Undeutlichkeit von Regelungen in Gesetzen,Verordnungen, Satzungen, Vertragsklauseln und Willenserklärungen vor.• Neue oder (noch) nicht speziell gesetzlich geregelte Lebenssachverhalte sollenvon einer Norm erfasst werden.• Mithilfe der Auslegung eines Begriffes (einer Vorschrift, eines Vertrages, einerWillenserklärung) soll der Sinn und Inhalt (§ 133 BGB „wirklicher Wille“) ermitteltwerden. Der Begriff wird im weiteren Sinne interpretiert.2. AUSLEGUNGSMETHODENa) GRAMMATIKALISCHE AUSLEGUNG• Auszugehen ist vom Wortsinn in seinem natürlichen Sprachgebrauch (= Wieversteht der Duden das Wort?).• Innerhalb dieses Wortsinns kann, wenn er verschiedene Deutungen zulässt,nach Auslegung unter Einbeziehung der anderen Auslegungsmethoden einerestriktive (enge) oder extensive (weite) Auslegung des Wortes geboten sein.b) SYSTEMATISCHE AUSLEGUNG• In welchem Regelungszusammenhang steht die Vorschrift? Auf welcher Regelungsstufesteht sie? Wie lautet ihre amtliche Überschrift?• Ergibt sich ein spezifischer Begriffsinhalt aus anderen gesetzlichen Vorschriftenim selben Regelungsgefüge („davor oder danach“) im Gesetz?• Einheit der Rechtsordnung: Was die Rechtsordnung an einer Stelle erlaubt,kann an einer anderen Stelle nicht verboten sein.SEITE 17 | 62


Übung 3:Steht dem Arbeitnehmer, der an seinem Arbeitsplatz einen Aufhebungsvertrag (inkl.Abfindungsregelung) unterzeichnet, ein Widerrufsrecht nach § 312 I 1 BGB zu? 2c) HISTORISCHE AUSLEGUNG• Was hat den historischen Gesetzgeber dazu bewogen, die Regelung ins Gesetzaufzunehmen?• Mit zunehmender Dauer und Veränderungen der Lebensumstände ist das Ergebnisnachlassend ergiebig.• In der Klausur ist diese Auslegungsmethode mangels Verfügbarkeit derGesetzgebungsmaterialien oftmals nicht anwendbar.d) TELEOLOGISCHE AUSLEGUNG• Welchen Interessenkonflikt soll die Vorschrift regeln (gesetzgeberische Zweckvorstellung,also ratio legis)?• Welchen Sinn hat die Vorschrift? Was wäre, wenn es die Vorschrift nicht gäbe?Übung 4 (nach BGHSt 23, 313 ff.):Fahrer A fuhr auf einer Landstraße in einer Kurve über die Fahrbahnlinie hinaus. Erkonnte die Kurve überblicken und sah, dass ihm niemand entgegenkam. Hat er eineOrdnungswidrigkeit nach § 8 II 1 StVO begangen?§ 8 II 1 StVO i.d.F.v. 1956 lautet:„Soweit nicht besondere Umstände entgegenstehen, haben Führer von Fahrzeugenauf der rechten Seite der Fahrbahn rechts zu fahren; sie dürfen die linke Seite nurzum Überholen benutzen.“2Nach Staudinger-Richardi/Fischinger, BGB Neubearbeitung 2011, § 611 Rn. 24 m.w.N. könne die Frage, obder Arbeitnehmer Verbraucher i.S.d. § 13 BGB ist, offen bleiben, da Aufhebungs- und Abwicklungsverträge nichtunter die „besonderen Vertriebsformen“ fallen, die §§ 312 ff. BGB und der Untertitel 2 regeln.SEITE 18 | 62


Der BGH beantwortet die Frage schulmäßig aufbereitet wie folgt (Hervorhebungendurch Verfasser):„Der Senat stimmt der Rechtsansicht des vorlegenden OLG zu. Für ihre Richtigkeit sprichtschon der Wortlaut des § 8 Abs. 2 Satz 1 StVO und die Stellung der Vorschrift im Systemder StVO. Diese stellt neben der Grundregel des § 1 eine Reihe von festen, schlechthin verbindlichenVerkehrsregeln auf, zu denen auch das Rechtsfahrgebot gehört. Von diesen Regelndarf im Einzelfall nur aus besonders gewichtigen Gründen abgewichen werden. Nichtsanderes will auch der Abs. 2 Satz 1 des § 8 zum Ausdruck bringen. Das ergibt schon diewörtliche Auslegung des Bedingungssatzes „soweit nicht besondere Umstände entgegenstehen”;denn das Wort „entgegenstehen” läßt für bloße Zweckmäßigkeitserwägungen keinenRaum. (...). Stets aber muß eine Situation vorliegen, in der das Abweichen von der Regeldem Verkehrsbedürfnis eher dient als ihre Einhaltung. (...). Die linke Fahrbahnhälfte darf dagegennur befahren werden, wenn außergewöhnliche Umstände vorliegen, wie z.B. starkeVereisung (...), ungewöhnlich schlechte und gefährliche Beschaffenheit der Fahrbahn (...),besondere technische Eigenarten des Fahrzeugs (...), oder wenn es der Vermeidung einerGefahr dient (...). Bloße Unbequemlichkeit, etwa wegen schlechter Beschaffenheit der Fahrbahn,genügt dagegen nach einhelliger Rechtsprechung nicht (...). Diese Auslegung entsprichtallein dem Zweck der Rechtsfahrvorschrift. Der Straßenverkehr erfordert einfache undklare Regeln. Die Verkehrsordnung überläßt es im Interesse der Verkehrssicherheit bewußtnicht dem unsicheren Ermessen oder der Einsicht des einzelnen Verkehrsteilnehmers, dieRegeln zu beachten oder sie außer acht zu lassen, wenn ihm dies bloß zweckmäßig und vernünftigerscheint. Unbequemlichkeiten, die sich aus einem der Regel entsprechenden Verhaltenergeben, muß jeder Verkehrsteilnehmer im Interesse der Verkehrssicherheit in Kauf nehmen(...). Dieser Grundsatz verbietet es auch, für Linkskurven allgemein eine Ausnahme vomRechtsfahrgebot zuzulassen, nur weil es der Bequemlichkeit und dem schnelleren Vorwärtskommendienlich sein könnte, Vorteile, die übrigens weit überschätzt zu werden pflegen. (...).Auf der anderen Seite sind die Vorteile des Kurvenschneidens für den allgemeinen Verkehrunbedeutend. (...). Insgesamt überwiegen die Gefahren des Kurvenschneidens bei weitemseine Vorteile. (...).SEITE 19 | 62


Übung 5:A erteilt B unwiderruflich, mündlich die Vollmacht sein Grundstück zu verkaufen.Wirksamkeit? 3• Lassen sich zu einer Norm mehrere Auslegungsvarianten plausibel begründen,ist im Zweifel diejenige zu wählen, dieVerfassungskonform istEuroparechtskonform istÜbung 6:A stiehlt Bs Fahrrad. A will das Fahrrad vor der Uni abstellen, um ein Buch aus derBibliothek abzuholen. In dem Moment kommt C, nimmt das Fahrrad und fährt davon.Hat A gegen C einen Anspruch aus § 823 I BGB? 43Grds. ist nach § 167 Abs. 2 BGB die Erteilung einer Vollmacht formfrei möglich; sie ist also gerade nicht andie Form des beabsichtigten Erwerbs- oder Veräußerungsgeschäfts gebunden. Die unwiderrufliche Vollmacht führtjedoch auf Seiten des Vertretenen zu einer tatsächlichen Bindungswirkung, sodass in diesem Fall ausnahmsweiseder Formzwangs gilt, um den Funktionen (Warn-, Schutz-, Beweis- und Gewährungsfunktion) der Formvorschrift(des § 311b BGB) zu genügen. Vgl. dazu Jauernig/Stadler, 14. Aufl. 2011, § 311b Rn. 27 m.w.N.4Die Besitzschutzansprüche aus §§ 858 ff. BGB unterscheiden grds. nicht, wie der Anspruchsteller den Besitzerlangt hat (sei es deliktisch oder nicht). Hingegen ist nach h.M. nur der berechtigte Besitz ein sonstiges Rechti.S.d. § 823 I BGB. Demnach hat hier der deliktische Besitzer A keinen Anspruch gegen C aus § 823 I BGB.Vgl. dazu MüKo-BGB/Wagner, 5. Aufl. 2009, § 823 Rn. 157 m.w.N.SEITE 20 | 62


IV. ANALOGIE, TELEOLOGISCHE REDUKTION UND SONSTIGESCHLUSSFORMEN1. ANALOGIESCHLUSSa) BEDEUTUNG DES ANALOGIESCHLUSSES• Aus einer ähnlichen Verhaltensweise wird auf gleiche Ursachen geschlossen. Sokönnte man meinen, dass Delfine, Wale und Haie gleichsam zur selben biologischenKlasse zählen, da sie einen gemeinsamen Lebensraum teilen. Haie gehörenzur Klasse der Knorpelfische, sodass demnach Wale und Delphine ebenfallsdazugehören müssten. Dass dieser „Analogieschluss“ aufgrund evolutionärerVeränderungen falsch ist, weiß ein jeder Grundschüler; ebenso, dass Wale undDelfine zur Klasse der Säugetiere zählen.• Für die Analogie in der Rechtswissenschaft gilt nichts anderes: Der Analogieschlussbedeutet die Erstreckung der Rechtsfolge eines Rechtssatzes auf einenüberhaupt nicht oder hinsichtlich der problematischen Rechtsfolge nicht geregeltenSachverhalt.b) VORAUSSETZUNGEN DES RECHTSWISSENSCHAFTLICHEN ANA-LOGIESCHLUSSES1. Unmittelbare Anwendung der Norm scheitert, obgleich Anwendung gebotenerscheint.2. Kein Analogieverbot (vgl. Art 103 II GG).3. Planwidrige Regelungslücke. Gesetzgeber hat unbewusst einen Sachverhalt nicht geregelt, obwohl man einegesetzliche Regelung erwartet hätte („Gesetzgeber hat etwas vergessen“).4. Vergleichbare Interessenslage. Welche Interessenslage liegt gesetzlicher Vorschrift zu Grunde? Welche Interessen sind im zu beurteilenden Fall zu berücksichtigen? Ist die Interessenslage vergleichbar?5. Analoge Anwendung der Norm.SEITE 21 | 62


c) FALL: „TRAGISCHE OFENLIEFERUNG“ (BGHZ 5, 62)Der Lieferant L schuldet Lieferung und Installation eines Ofens in einem Neubau desBestellers B. Bei der Installation des Ofens erleidet L auf einer nicht verkehrssicherenTreppe des Neubaus einen tödlichen Unfall. Seine Hinterbliebenen nehmen B ausVertrag auf Zahlung einer Rente in Anspruch. Zu Recht?Lösungsvorschlag:1. Anspruchsgrundlage: § 280 I BGB?(-) Angehörige sind keine Vertragspartner2. Anspruchsgrundlage: § 618 III i.V.m. § 844 II BGB(-) Zwischen L und B bestand kein Dienst-, sondern ein Kaufvertrag mit werkvertraglichenElementen3. Anspruchsgrundlage: § 618 III i.V.m. § 844 II BGB analog?a) Planwidrige Regelungslücke: (+), eine Rentenzahlung an die Hinterbliebenendes Werkunternehmers im Falle der Tötung desselben ist im Gesetznicht geregelt.b) Vergleichbare Interessenslage: § 618 III BGB liegt der Rechtsgedanke zu Grunde, dass derDienstverpflichtete zuweilen zur Erfüllung seiner Vertragspflicht inRäumen oder mit Vorrichtungen des Dienstherrn arbeiten muss,die Gefahren für Leib und Leben mit sich bringen. Der Dienstherrhat daher die Pflicht, diese Räume gefahrlos zu stellen. Auch der werkvertraglich verpflichtete Unternehmer muss unterUmständen in Räumen oder mit Vorrichtungen des Bestellers arbeiten,die Gefahren für Leib und Leben mit sich bringen. Die Interessenslageim Falle einer werkvertraglichen Beziehung kanndaher mit der eines Dienstvertrages vergleichbar sein.c) Ergebnis: Analoge Anwendung (+), a.A. vertretbar.SEITE 22 | 62


2. TELEOLOGISCHE REDUKTION• Es besteht eine verdeckte planwidrige Regelungs-„lücke“ im Gesetz.• Der Gesetzgeber hat unbewusst versäumt, eine Rechtsvorschrift ihrem Sinn undZweck nach entsprechend einzuschränken („Gesetzgeber hat zu viel geregelt“).• Beispiel § 181 BGB: Die Norm will lediglich Konfliktlagen, die bei der Möglichkeitdes gleichzeitigen Handelns im eigenen sowie im fremden Namen auftretenkönnen, zum Schutz des Vertretenen vermeiden. Eine durch einen solchen Interessenkonfliktentstehende Gefahr liegt aber dann nicht vor, wenn das Rechtsgeschäftfür den Vertretenen lediglich rechtlich vorteilhaft ist, also z. B. bei einerSchenkung. 53. ARGUMENTUM A MAIORE AD MINUS• Wörtliche Übersetzung: „Vom Größeren auf das Kleinere“ schließen.• Nach §§ 48, 49 VwVfG ist es im Ermessen der Behörde, ob sie den Verwaltungsakt(in Gänze) zurücknimmt oder widerruft, sodass sie im Rahmen derselbenErmächtigungsgrundlage den Verwaltungsakt auch nur teilweise zurücknehmenbzw. widerrufen kann.4. ARGUMENTUM E CONTRARIO• Das argumentum e contrario (Umkehrschluss) besagt, dass sofern der Gesetzgebereinen speziellen Fall geregelt hat, für andere vergleichbare (ungeregelte)Fälle aber bewusst nicht dieselbe Rechtsfolge (des geregelten Falls) angewandtwerden darf.5Vgl. dazu auch MüKo-BGB/Schramm, 6. Aufl. 2012, § 181 Rn. 43.SEITE 23 | 62


• Beispiel: Darf jedes Gericht ein Gesetz als verfassungswidrig verwerfen?Art. 100 I GG regelt ausdrücklich, dass die Sache dem BVerfG vorzulegenund dessen Entscheidung einzuholen ist.Daraus folgt im Umkehrschluss, dass andere Gerichte nicht berechtigtsind über die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes zu entscheiden(sog. Verwerfungsmonopol des BVerfG).Letztlich besagt ein solcher Umkehrschluss, dass keine (planwidrige)Regelungslücke vorliegt und daher eine Analogie ausgeschlossen ist.• Umkehrschluss und Analogie schließen sich kategorisch aus: Liegt eine (plan-widrige) Regelungslücke vor, können die Voraussetzungen des Umkehrschlussesnicht gegeben sein und anders herum!V. RECHTSGEBIETSSPEZIFISCHE BESON<strong>DER</strong>HEITEN1. ZIVILRECHTa) KLASSISCHE FALLFRAGEN IM ZIVILRECHTIn zivilrechtlichen Klausuren geht es i.d.R. darum, wer was von wem woraus begehrt.Die Fallfrage kann bereits Antworten vorgeben.• Kann A von B Herausgabe verlangen?Eingeschränkte Fragestellung: Zu prüfen sind ausschließlich auf Herausgabeeiner Sache gerichtete Ansprüche im Verhältnis A-B, z.B.§ 433 I, § 985, § 812 BGB.Durch die Fallfrage wird wer, das was und das von wem vorgegeben.Aufzufinden sind daher lediglich die passenden Anspruchsgrundlagen.SEITE 24 | 62


• Kann A von B den Schadensersatz verlangen?Eingeschränkte Fragestellung: Zu prüfen sind ausschließlich Schadensersatzansprücheim Verhältnis A-B, z.B. aus §§ 280 ff., §§ 823 ff. BGB.Durch die Fallfrage wird das wer, das was und das von wem vorgegeben.Zudem ist das woraus eingeschränkt, da lediglich Schadensersatzansprüchezu prüfen sind.• Kann A von B Zahlung verlangen?Eingeschränkte Fragestellung: Zu prüfen sind sämtliche Ansprüche, dieauf Zahlung eines Geldbetrages gerichtet sind, z.B. § 433 II, § 535 II,§ 631 I, 280 ff. BGB (Primär- und Sekundäransprüche).Durch die Fallfrage wird das wer, das was und das von wem vorgegeben.• Welche Ansprüche hat A gegen B?Teilweise offene Fragestellung: Zu prüfen sind sämtliche in Betrachtkommenden Ansprüche im Verhältnis A-B.Durch die Fragestellung wird lediglich das wer und das von wem vorgegeben.• Wie ist die Rechtslage?Offene Fragestellung: Zu prüfen sind sämtliche Ansprüche aller imSachverhalt genannten Personen.Hierbei erfolgen keine Einschränkungen; zur vollständigen Bearbeitungder Fallfrage sind sämtliche in Betracht kommende Ansprüche zu prüfen.SEITE 25 | 62


) AUFBAU DES ZIVILRECHTLICHEN GUTACHTENSPrüfungsreihenfolge:1. Vertragliche Ansprüche (z.B. §§ 433, 535, 631 BGB)2. Quasi-vertragliche Ansprüche (z.B. GoA §§ 677 ff., 179 BGB)3. Sachenrechtliche Ansprüche (z.B. §§ 985 ff. BGB)4. Deliktische Ansprüche (z.B. §§ 823 ff. BGB)5. Bereicherungsrechtliche Ansprüche (§§ 812 ff. BGB) Viel Qualität (Quatsch?) schreibt der Bearbeiter!Anspruchsaufbau I:1. Anspruch entstanden rechtsgeschäftlicher/gesetzlicher Entstehungstatbestand, rechts(entstehungs-)hindernde Einwendungen (z.B. Anfechtung, gesetzliches Verbot)2. Anspruch nicht erloschen rechtsvernichtende Einwendungen (z.B. Erfüllung, Kündigung, Rücktritt, Aufrechnung,Erlassvertrag)3. Anspruch durchsetzbar rechtshemmende Einreden (z.B. Verjährung, Zurückbehaltungsrechte, Einrededer Vorausklage)Anspruchsaufbau II (Schadensersatzansprüche außerhalb des Vertragsrechts):1. Haftungsbegründender Tatbestand Voraussetzungen der Haftungsnorm: Rechtsgutverletzung, haftungsbegründendesVerhalten, Kausalität, Rechtswidrigkeit, evtl. Verschulden2. Haftungsausfüllender Tatbestand Schaden Schadensausgleich MitverschuldenSEITE 26 | 62


Anspruchsaufbau III (Sekundäransprüche):1. Voraussetzungen2. Rechtsfolgec) FALL: „BLEISTIFTKAUF“A ist Einkaufsleiter im Schreibwarengeschäft des B. Er ist bevollmächtigt, alle Artenvon Schreibwaren einzukaufen. A kauft 1.000 Bleistifte bei C, die B aber nicht gefallenund die er nicht haben möchte. Muss er sie C dennoch abnehmen?Lösungsvorschlag:C könnte gegen B einen Anspruch auf Abnahme der 1.000 Bleistifte aus § 433 II BGBhaben.Das setzt voraus, dass zwischen C und B ein Kaufvertrag zu Stande gekommen ist.Hierfür müssten zwei inhaltlich korrespondierende Willenserklärungen, Angebot undAnnahme §§ 145 ff., vorliegen. B hat sich jedoch nicht zu dem Kauf geäußert, alleinsein Mitarbeiter A hat eine Willenserklärung abgegeben. Diese könnte für und gegenden B wirken, wenn A dessen Vertreter war, § 164 I 1 BGB. Voraussetzung hierfür ist,dass A eine eigene Willenserklärung im Namen des B im Rahmen der ihm zustehendenVertretungsmacht abgegeben hat, § 164 I 1 BGB.1. Eine eigene Willenserklärung liegt vor, wenn der Vertreter einen gewissenHandlungs- und Entscheidungsspielraum hat und nicht bloß die Willenserklärungeines anderen überbringt. A ist Einkaufsleiter und kann alssolcher eigenständig Entscheidungen über die Produktauswahl treffen,was er beim Bleistiftkauf auch getan hat. Insofern hat er eine eigene Willenserklärungabgegeben.SEITE 27 | 62


2. Diese müsste auch (offenkundig) im Namen des Vertretenen abgegebenworden sein, § 164 I 1 BGB. Zwar hat A nicht ausdrücklich erklärt, dasser im Namen des B handelte. Der Offenkundigkeit ist allerdings genügegetan, sofern sich das Handeln für einen anderen aus den Umständenergibt, § 164 I 2 BGB. A kaufte die Stifte in seiner Funktion als Einkaufsleiter.Bei einer Anzahl von 1.000 Bleibstiften ergibt sich aus den Umständen,dass diese nicht für seinen Privatgebrauch angeschafft werden.Demnach hat A auch offenkundig im fremden Namen gehandelt.3. Letztlich müsste der Kauf auch von der Vertretungsmacht gedeckt sein.Vorliegend ist der A durch B bevollmächtigt, alle Arten von Schreibwareneinzukaufen. Hierzu gehören auch Bleistifte. Also handelte A im Rahmenseiner Vertretungsmacht.Somit wurde B wirksam von A vertreten. Die Erklärung des A wirkt daher für und gegenB, § 164 I 1 BGB. Also ist ein Kaufvertrag zwischen B und C zustande gekommen.Der Anspruch auf Abnahme der Bleistifte aus § 433 II ist somit entstanden.C hat gegen B einen Anspruch auf Abnahme der 1.000 Bleistifte aus § 433 II BGB.d) FALL: „AUTOKAUF“V verkauft an K einen Pkw im Wert von 4.000 € zu einem Preis von 5.000 €. NachBezahlung des Kaufpreises, aber noch vor der Übergabe findet V einen anderenKaufinteressenten D, der für den Pkw 6.000 € zu zahlen bereit ist. Kurzerhand verkauftund übereignet der V den Pkw an D, der die Summe bar zahlt.Welche Ansprüche hat K gegen V?SEITE 28 | 62


Lösungsvorschlag:I. Anspruch des K gegen V auf Verschaffung des Eigentums am Pkw aus§ 433 I 1 BGBK könnte gegen V einen Anspruch auf Übergabe und Übereignung des Pkwsaus § 433 I 1 BGB haben.1. Anspruch entstandenDann müsste ein wirksamer Kaufvertrag zwischen ihnen geschlossenworden sein.K und V haben einen Vertrag geschlossen, in dem sich V gegen Zahlungvon 5.000 € verpflichtete, dem K den Pkw zu übergeben und zu übereignen,so dass zwischen den Parteien ein Kaufvertrag zustande gekommenist.2. Anspruch nicht erloschenDiese Pflicht könnte gem. § 275 I BGB erloschen sein. Dann müsste dieErfüllung der Leistungspflicht dem Schuldner V oder jedermann unmöglichsein.Vorliegend hat V den Pkw an D übergeben und übereignet. Damit kann erseiner Leistungspflicht gegenüber K nicht mehr nachkommen, die Erfüllungist ihm subjektiv unmöglich.Das hat gem. § 275 I BGB das Erlöschen der Leistungspflicht zur Folge.Der Anspruch des K ist damit erloschen.K hat gegen V keinen Anspruch auf Übergabe und Übereignung des Pkws aus§ 433 I 1 BGB.SEITE 29 | 62


II. Anspruch des K gegen V auf Schadensersatz statt der Leistung aus §§ 280I, III, 283 S. 1 BGBK könnte gegen V jedoch Sekundäransprüche geltend machen. In Betrachtkommt ein Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung aus §§ 280 I, III, 283S. 1 BGB.1. SchuldverhältnisDas setzt voraus, dass zwischen K und V ein Schuldverhältnis besteht.Hier ist zwischen K und V ein Kaufvertrag zustande gekommen (s.o.), einSchuldverhältnis besteht damit.2. PflichtverletzungWeiterhin müsste V eine Pflicht aus diesem Schuldverhältnis verletzt haben.Das ist grds. der Fall, wenn er mit seiner Leistung hinter dem Pflichtenprogrammdes Schuldverhältnisses zurückbleibt, also zu spät, schlechtoder gar nicht leistet. V ist nicht imstande, die geschuldete Leistung zuerbringen. Eine Pflichtverletzung liegt damit vor.3. VertretenmüssenDiese Pflichtverletzung müsste V zu vertreten haben, § 280 I 2 BGB.Grds. hat der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Hierhandelte V mit Wissen und Wollen im Bewusstsein der Rechtswidrigkeit,mithin vorsätzlich. Er hat die Pflichtverletzung zu vertreten.4. Folge: Schadensersatz statt der LeistungK muss so gestellt werden, wie er stünde, wenn V ordnungsgemäß erfüllthätte (Ersatz des positiven Interesses). Wenn V seiner Verpflichtung ausdem Kaufvertrag pflichtgemäß nachgekommen wäre, hätte K Eigentumund Besitz an einem Pkw im Wert von 4.000 € erlangt. K hat gegen V dahereinen Anspruch auf Zahlung von 4.000 €.SEITE 30 | 62


III.Anspruch des K gegen V auf Zahlung von 6.000 € aus § 285 I BGB (stellvertretendescommodum)K könnte gegen V auch einen Anspruch auf Zahlung von 6.000 € aus § 285 IBGB haben.1. Ausschluss der Leistungspflicht nach § 275 BGBDer Anspruch nach § 285 I BGB setzt zunächst voraus, dass die Leistungspflichtdes Schuldners gem. § 275 BGB erloschen ist. Dies ist vorliegendder Fall (s.o.).2. Rechtsfolge: Herausgabe des ErlangtenDer Schuldner ist verpflichtet, dasjenige, was er aufgrund des Leistungshindernissesals Ersatz für den geschuldeten Gegenstand bekommen hat,herauszugeben. Erfasst sind hiervon auch rechtsgeschäftliche Surrogate,sofern diese gerade für den geschuldeten Gegenstand erlangt wurden.Hier hat V 6.000 € für die an sich geschuldete Übergabe und Übereignungdes Pkw erhalten, die K nunmehr herausverlangen kann.IV.Anspruch des K gegen V auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von5.000 € aus § 326 I 1, 1. Hs., IV, 346 II 1 Nr. 1 BGBK könnte gegen V weiterhin einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreisesaus §§ 326 I 1, 1. Hs., IV, 346 II 1 Nr. 1 BGB haben.1. Gegenseitiger VertragDann müsste es sich beim Kaufvertrag um einen gegenseitigen Vertraghandeln. Beim Kaufvertrag stehen die Pflicht des Verkäufers zur Übereignungund Übergabe der Sache und die Pflicht des Käufers zur Zahlungdes vereinbarten Kaufpreises im Gegenseitigkeitsverhältnis. Der Kaufvertragist daher ein gegenseitiger Vertrag.SEITE 31 | 62


2. Nichtleistung wegen UnmöglichkeitDie Leistungspflicht müsste aufgrund Unmöglichkeit entfallen sein, § 326 I1, 1. Hs. BGB. Dies ist vorliegend der Fall (s.o.).3. Rechtsfolge: WertersatzGem. §§ 326 IV, 346 II 1 Nr. 1 BGB muss V Wertersatz leisten. K hat gegenV einen Anspruch auf Wertersatz i.H.d. bereits gezahlten Kaufpreisesaus §§ 326 I 1, 1. Hs., IV, 346 II 1 Nr. 1 BGB.V. GesamtergebnisK hat gegen V einen Schadensersatzanspruch statt der Leistung und auf Herausgabedes Surrogats. Gem. § 285 II BGB kann er zwischen beiden Ansprüchenden für ihn vorteilhafteren wählen. Einen Anspruch auf Rückzahlung desbereits gezahlten Kaufpreises hat K aus §§ 326 I 1, 1. Hs., IV, 346 II 1 Nr. 1BGB.e) FALL: „GRILLKAUF“Imbissbesitzer I kauft am 01.06. beim Gastronomieausstatter G für 1.000 € einen Dönergrill.Dabei wird Anlieferung durch G vereinbart. Bei dem Grill handelt es sich umein Sonderangebot im tatsächlichen Wert von 1.200 €. Als G nicht liefert, setzt I ihmam 15.06. eine Lieferfrist bis zum 22.06., die ereignislos verstreicht. Am 29.06. bestelltI bei einem anderen Händler einen Grill desselben Typs zum Preis von 1.200 €.Noch am selben Tag verlangt I von G Schadensersatz für die Mehrkosten des Ersatzgerätesi.H.v. 200 € sowie Ersatz des aus dem Verkauf von Döner entgangenenGewinns für die gesamte Zeit bis zur Lieferung des Ersatzgeräts, die erst am 12.07.erfolgen kann.Zu Recht?SEITE 32 | 62


Lösungsvorschlag:I. I gegen G auf Schadensersatz statt der Leistung aus §§ 280 I, III, 281 I 1BGBI könnte gegen G einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung aus§§ 280 I, III, 281 I 1 BGB haben.1. SchuldverhältnisMit Abschluss des Kaufvertrages ist ein Schuldverhältnis zwischen I und Gbegründet worden.2. PflichtverletzungG müsste eine Pflicht aus diesem Schuldverhältnis verletzt haben. Grds.verletzt der Schuldner eine Pflicht, wenn er mit seiner Leistung hinter demPflichtenprogramm des Schuldverhältnisses zurückbleibt, also insb.schlecht, gar nicht oder zu spät leistet. Hier könnte G seinerseits zu spät gelieferthaben. Allerdings finden sich keine Informationen zu einem Liefertermin.Daher gilt der Grundsatz des § 271 I BGB, wonach zur Rechtzeitigkeitder Leistung im Zweifel „sofort“ geleistet werden muss. G hat nicht rechtzeitiggeliefert, sodass er eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt hat.3. Erfolglose NachfristZudem müsste I dem G eine Aufforderung mit angemessener Frist zur Vornahmeder Leistung gesetzt haben, vgl. § 281 I 1 BGB. Eine solche Frist istgrds. angemessen, wenn der Schuldner genügend Zeit hat, die Leistungnachzuholen. Am 15.06. setzte I eine Frist, die zum 22.06. ohne eine Lieferungzu erhalten fruchtlos ablief. Eine erfolglose Nachfristsetzung seitens Iliegt also vor.4. Vertretenmüssen, § 280 I 2Das Ausbleiben der Lieferung müsste G auch zu vertreten haben. Grds. hatder Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten, § 276. Hier fehlenSEITE 33 | 62


dem Sachverhalt Informationen dazu. Doch die Wertung des § 280 I 2 BGBbestimmt, dass der Schuldner sich zu exkulpieren hat, wenn er nicht aufZahlung von Schadensersatz in Anspruch genommen werden will. Die Regelungstechnikdes Gesetzes geht also von einer widerlegbaren Vermutungaus. Diese hat G nicht widerlegt, sodass er die Nichtleistung trotz Fälligkeitauch zu vertreten hat.5. Schaden, § 249 I BGBI hat einen Anspruch auf den Ersatz aller Schäden, die sich aus dem endgültigenAusbleiben der Leistung ergeben. Entscheidend hierfür ist der Zeitpunktder Geltendmachung des Anspruches, vgl. § 281 IV BGB:Nach der Differenzhypothese steht I jede Position zu, die nach dem Vergleichdes tatsächlichen Vermögens mit dem hypothetischen Vermögensstand,der ohne das schädigende Ereignis vorliegen würde. Für den Fall hätteI den Dönergrill für 200 € weniger erhalten, sodass ihm in der Höhe einSchaden entstanden ist.Ferner hätte I vom 29.06.-12.07. Döner verkaufen können, sodass er fürdiesen Zeitraum ein Gewinn entgangen ist, § 252 S. 1 BGB. Diesen kann erebenfalls im Rahmen des Schadens geltend machen.6. ErgebnisI hat gegen G einen Anspruch aus Schadensersatz statt der Leistung i.H.v.200 € und eines konkret zu ermittelnden entgangenen Gewinns im Zeitraumvom 29.06.-12.07. aus §§ 280 I, III, 281 I 1 BGB.II.I gegen G auf Ersatz des Verzugschadens aus §§ 280 I, II, 286 I BGBI könnte weiterhin einen Anspruch auf Ersatz des Verzögerungsschadens aus§§ 280 I, II, 286 BGB haben.1. SchuldverhältnisZwischen I und G besteht ein Schuldverhältnis (s.o.)2. Nichtleistung trotz FälligkeitSEITE 34 | 62


G hat trotz Möglichkeit und Fälligkeit nicht geleistet, sodass eine Pflichtverletzungvorliegt.3. Mahnung, § 286 I 1 BGBZudem müsste I den G gemahnt haben. Die Mahnung ist alsrechtsgeschäftsähnliche Handlung die bestimmte und eindeutigeAufforderung an den Schuldner, der Leistung nachzukommen. Eine solcheAufforderung hat I dem G mit der Lieferfrist bis zum 22.06. gesetzt.4. Vertretenmüssen, § 280 I 2 BGBG hat die Verzögerung der Leistung zu vertreten.5. Schaden / ErgebnisFolglich kann I den Ersatz des Verzögerungsschadens gegen G geltendmachen, also den Schaden, der für die Zeit eintrat, in der G im Verzug war.G befand sich vom 15.06.-29.06. in Verzug.Ab der Geltendmachung des Schadensersatzanspruches statt der Leistungerlischt der Anspruch auf die Leistung gem. § 281 IV. Der danach eingetreteneVerdienstausfall kann daher nicht mehr als Verzögerungsschaden geltendgemacht werden.SEITE 35 | 62


2. STRAFRECHTa) KLASSISCHE FALLFRAGEN IM STRAFRECHTIn strafrechtlichen Klausuren geht es darum, wonach sich die im Sachverhalt genanntenPersonen strafbar gemacht haben. Die Fallfrage kann einzelne Personenund/oder einzelne Delikte von der Prüfung ausnehmen.• „Strafbarkeit der Beteiligten?“ Der Klassiker im Strafrecht. Zu prüfen ist, wonach sich die Beteiligten strafbargemacht haben. Dabei gilt der Grundsatz, dass alle Personen getrennt zu prüfensind. Nur ausnahmsweise können Personen dann zusammen geprüft werden,wenn sie alle Tathandlungen gemeinsam ausgeführt haben.• „Hat sich A gem. § 223 StGB strafbar gemacht?“ In diesem Fall ist ausschließlich die Strafbarkeit des A gem. § 223 StGB zuprüfen.• Häufig findet sich in strafrechtlichen Klausuren im Bearbeitervermerk der Hinweis,dass bestimmte Delikte nicht zu prüfen sind. Dabei können konkrete Delikte(„§ 123 StGB ist nicht zu prüfen.“) oder sämtliche sog. Nebenstraftatbeständevon der Prüfung ausgenommen werden („Strafbarkeit des A nach demStGB?“). Diese Hinweise sind streng zu beachten. Prüfungen entgegen der o.g. Bearbeitervermerkeund Einschränkungen sind überflüssig und bringen keinePunkte. Im Gegenteil, das Risiko, Fehler zu verursachen, steigt.SEITE 36 | 62


B) AUFBAU DES STRAFRECHTLICHEN GUTACHTENSVorbereitende Arbeiten:• Strafbar sind nur Handlungen, nicht aber Gedanken, Ansichten oder Motive.• Handlungen werden durch Verben beschrieben.• Jedes im Sachverhalt verwendete Verb kann Anknüpfungspunkt für eine Strafbarkeitsein.• Es bietet sich daher an, alle Verben des Sachverhaltes kenntlich zu machen,um sicherzustellen, dass keine Strafbarkeit ausgelassen wird.• Hierbei sollte der Sachverhalt bereits in Tatkomplexe unterteilt werden.• Sodann sind zunächst alle in Betracht kommenden Straftatbestände je Personund Tatkomplex zu sammeln.• Darauf folgt ein systematisches „Durchblättern“ des StGB: Jeder auch nur entfernteinschlägige Straftatbestand sollte notiert werden.Prüfungsreihenfolge:• Die schwersten Delikte innerhalb eines Tatkomplexes sind grds. voranzustellen(Totschlag vor Körperverletzung, Raub vor Diebstahl).• Vorsatz vor Fahrlässigkeit• Täterschaft vor Teilnahme• Bei Mittäterschaft wird mit dem Tatnächsten begonnen.PrüfungsaufbauDas vollendete vorsätzliche ErfolgsdeliktI. Tatbestand1. Objektiver Tatbestand2. Subjektiver TatbestandII. RechtswidrigkeitSEITE 37 | 62


III. SchuldIV. Strafausschließungs-/aufhebungsgründeV. Strafverfolgsungsvoraussetzungenc) FALL: „DISKO-ABEND“ (BGH, JUS 2008, 273)A hielt sich in der Tatnacht gemeinsam mit seinen Bekannten F und N in einer Diskothekauf. Als A mit der N tanzte, kam R mehrfach hinzu, um selbst mit der N zu tanzen.Jedes Mal forderte A den R auf, sich zu entfernen. Später traf R im Eingangsbereichwiederum auf die Gruppe A, F und N. R sprach die N erneut an, worauf diesesich abwandte. Nun sprach R den F an, welcher sich belästigt fühlte und R einenStoß vor die Brust versetzte, der diesen taumeln und zu Boden stürzen ließ. Daraufhintrat A eingedenk der vorhergehenden Auseinandersetzungen mit der Spitze seinesCowboy-Stiefels kräftig gegen den Oberkörper des R. Hierbei achtete er darauf,nicht den Kopf zu treffen, da er um die Gefährlichkeit solcher Tritte wusste. Er traf Runmittelbar unterhalb des Rippenwinkels und löste über das sog. Sonnengeflecht (Solarplexus)eine Reaktion des zehnten Hirnnervs aus, welche zum Herzstillstand führte.Bei diesem Reflextod handelt es sich nach den Angaben eines Sachverständigenum eine – so wörtlich – „medizinische Rarität“. Strafbarkeit des A?Hinweis: Fahrlässigkeitsdelikte sind nicht prüfen.Lösungsvorschlag:I. Strafbarkeit des A gem. § 212 I StGBA könnte sich gem. § 212 I StGB strafbar gemacht haben, indem er R trat und dieserverstarb.1. Objektiver TatbestandDer objektive Tatbestand des § 212 I StGB setzt voraus, dass A den Toddes R zurechenbar verursacht hat.SEITE 38 | 62


a) Der Tritt mit der Fußspitze war kausal für den Tod des R, denn der Trittkann nicht hinweggedacht ohne dass der Tod des R entfiele (erlaubter Urteilstil).b) Über de Kausalität hinaus müsste der Tod des R dem A auch objektivzurechenbar sein. Objektiv zurechenbar ist ein Erfolg dann, wenn durch dieHandlung eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen wurde, die sich imkonkreten Erfolg verwirklicht hat. Dass hier eine medizinische Rarität vorliegt,ändert nichts daran, dass der Todeserfolg nicht dem A zuzurechnenist. Insbesondere liegt es nicht außerhalb jeglicher Wahrscheinlichkeit, dassdurch den Tritt gegen den Brustkorb der Tod eintreten kann. Indem A denR trat, schuf er eine rechtlich missbilligte Gefahr, die zum Tod von R geführthat. Somit ist der Tod des R dem A objektiv zurechenbar. Der objektiveTatbestand ist erfüllt.2. Subjektiver TatbestandA müsste auch den subjektiven Tatbestand erfüllt haben. Der subjektiveTatbestand ist erfüllt, wenn A vorsätzlich gehandelt hat. Aus dem Umkehrschlussvon § 16 I 1 StGB ergibt sich, dass vorsätzlich handelt, wer Kenntnisvon der Verwirklichung der wesentlichen Tatumstände hat und die Verwirklichungzumindest billigend in Kauf nimmt. Die Feststellung dessen erfolgtinsbesondere durch Rückschluss der äußeren Tatumstände. Geradebeim Tötungsvorsatz kann von der Gefährlichkeit der Handlung allein nochnicht auf einen vorhandenen Tötungsvorsatz geschlossen werden, da beiTötungsdelikten davon ausgegangen wird, dass die Hemmschwelle, einenanderen Menschen zu töten besonders hoch ist. Vermeidet der Täter zudembewusst eine äußerlich gefährliche Verletzungshandlung, so kannhieraus geschlossen werden, dass die Tötung nicht billigend in Kauf genommenwurde. A handelte daher nicht vorsätzlich.Da der subjektive Tatbestand nicht erfüllt ist, handelte A nicht tatbestandsmäßig.Mithin hat er sich nicht gem. § 212 I StGB strafbar gemacht, indem er den R trat unddieser starb.SEITE 39 | 62


II.Strafbarkeit gem. § 223 I StGBA könnte sich gem. § 223 I StGB strafbar gemacht haben, indem er R trat.1. Objektiver TatbestandDer objektive Tatbestand wäre verwirklicht, wenn A den R an der Gesundheitgeschädigt oder körperlich misshandelt hat. Eine körperliche Misshandlungist jede üble und unangemessene Behandlung, die das körperlicheWohlbefinden nicht nur unerheblich beeinträchtigt. Eine Gesundheitsbeschädigungist jedes Hervorrufen oder Steigern eines pathologischen Zustands.A hat R so getreten, dass dieser tödlich getroffen wurde. Ein Tritt isteine üble und unangemessene Behandlung. Das körperliche Wohlbefindendes R wurde durch den Tritt ebenfalls beeinträchtigt. R verstarb, sodass dieGesundheitsbeschädigung auch einen behandlungsbedürftigen Zustanddarstellte. Damit hat er den objektiven Tatbestand erfüllt.2. Subjektiver TatbestandA handelte in Kenntnis und mit Willen zur Tatbestandsverwirklichung, mithinvorsätzlich, sodass er den subjektiven Tatbestand erfüllt.3. Rechtswidrigkeit und SchuldA handelte rechtswidrig und schuldhaft.Mithin hat A rechtswidrig und schuldhaft den Tatbestand des § 223 I StGBverwirklicht, indem er den R trat.III. Strafbarkeit gem. § 224 I Nr. 2, 4, 5 StGBA könnte sich gem. § 224 I Nr. 2, 4, 5 StGB strafbar gemacht haben, indem er R mitbeschuhtem Fuß trat, nachdem F den R gestoßen hatte.1. Objektiver TatbestandDer objektive Tatbestand einer einfachen Körperverletzung liegt vor (s.o.).a) § 224 I Nr. 2SEITE 40 | 62


Indem A mit dem beschuhten Fuß zutrat, könnte er die Körperverletzungmittels gefährlichen Werkzeugs begangen haben. Dazu müssteder beschuhte Fuß ein gefährliches Werkzeug sein. Ein solches istjeder Gegenstand, durch dessen Einwirkung auf den Körper eineVerletzung zugeführt werden kann und der von seiner objektiven Beschaffenheitund nach der Art seiner (konkreten) Benutzung im Einzelfallgeeignet ist, erhebliche Körperverletzungen zuzufügen. DerSchuh ist ein Gegenstand. Nach seiner konkreten Verwendung hatder Tritt mit dem beschuhten Fuß hier den Tod des R verursacht.Mithin war er geeignet, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen.Demnach handelt es sich bei dem Schuh um ein gefährlichesWerkzeug.b) § 224 I Nr. 4Indem A, nachdem F den R zu Boden gestoßen hatte, den R trat,könnte er den Tatbestand § 224 I Nr. 4 erfüllt haben. Dies setzt voraus,dass A die Tat mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlichbegangen hat. Beteiligte können Täter, Anstifter und Gehilfen sein. Fmüsste mithin zumindest Gehilfe des A sein. Gehilfe ist gem. § 27StGB jeder der die Tat des Täters unterstützt.aa) ObjektivIndem F den R zu Boden stieß, unterstützte er objektiv die Tatdes A.bb) SubjektivFraglich ist indes, ob er mit dem erforderlichen „doppelten Gehilfenvorsatz“handelte. Dies ist dann der Fall, wenn er Vorsatzin Bezug auf seine Beteiligungshandlung hatte und Vorsatz inBezug auf die Haupttat des A. F handelte vorsätzlich in Bezugauf den Stoß. F wusste jedoch nicht, dass der A den R daraufhintreten würde und nahm dies auch nicht billigend in Kauf.Mithin fehlt es am doppelten Gehilfenvorsatz. Demnach ist Fnicht Gehilfe des A, sodass letzterer die Tat nicht mit einem anderenBeteiligten gemeinschaftlich begangen hat. Nr. 4 ist demnachnicht erfüllt.SEITE 41 | 62


c) § 224 I Nr. 5Indem A den R trat und dieser in Folge des Trittes verstarb, hat Aden R einer sogar konkreten Todesgefahr ausgesetzt, sodass dasVerhalten des A eine lebensgefährdende Behandlung des R darstellt.2. Subjektiver TatbestandA war sich bewusst, dass er mit einem beschuhten Fuß zutrat und handeltesomit in Bezug auf die Verwendung eines gefährlichen Werkzeuges vorsätzlich.Darüber hinaus war ihm die Gefährlichkeit seines Verhaltens bewusst,sodass er auch den notwendigen Gefährdungsvorsatz besaß.3. Rechtswidrigkeit und SchuldA handelte rechtswidrig und schuldhaft.A hat rechtswidrig und schuldhaft den Tatbestand des § 224 I Nr. 2, 5 StGBverwirklicht, indem er den R mit beschuhtem Fuß trat.IV. Strafbarkeit gem. § 227 I StGBA könnte sich gem. § 227 I StGB strafbar gemacht haben, indem er R trat und dieserverstarb.1. A hat den objektiven und subjektiven Tatbestand einer Körperverletzungverwirklicht (s.o.)2. Der in § 227 I vorausgesetzte Todeserfolg ist eingetreten.3. Die Körperverletzung müsste für den Tod kausal im Sinne der conditiosine-qua-non-Formelgewesen sein. Danach ist jede Handlung kausal,die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seinerkonkreten Gestalt entfiele. Ohne den Tritt wäre er nicht verstorben. Somitwar das Treten kausal.4. Nach dem Wortlaut des § 227 I StGB muss der Täter durch die Körperverletzungden Tod verursacht haben. Danach müsste ein spezifischerSEITE 42 | 62


Gefahrzusammenhang vorliegen. Der Wortlaut allein gibt jedoch nichteindeutig her, ob der Zusammenhang zwischen der Verletzungshandlungund dem Todeserfolg oder zwischen Verletzungserfolg und Todeserfolgbestehen muss. Die Entscheidung darüber kann jedoch dahinstehen, dasowohl dem Tritt gegen den Oberkörper als auch der in Folge des Tritteseingetreten Verletzung die typische Gefahr des Todes innewohnt.5. Entsprechend § 18 StGB müsste A fahrlässig in Bezug auf die schwereFolge gehandelt haben. Unter Fahrlässigkeit ist die objektive Sorgfaltspflichtverletzungbei objektiver Vorhersehbarkeit des Erfolgs und des zuihm hinführenden Kausalverlaufs in seinen wesentlichen Zügen zu verstehen.A hat den R körperlich misshandelt und an der Gesundheit geschädigtund damit objektiv die ihm obliegende Sorgfalt verletzt. Dass Rin Folge des Tritts versterben könnte, war objektiv vorhersehbar.6. A handelte rechtswidrig und schuldhaft.Mithin hat sich A gem. § 227 I StGB strafbar gemacht haben, in dem er R trat unddieser verstarb.V. KonkurrenzenDie einfache Körperverletzung nach § 223 I StGB tritt im Wege der Gesetzeskonkurrenz(Spezialität) hinter der gefährlichen Körperverletzung (§ 224 StGB) und der Körperverletzungmit Todesfolge zurück (§ 227 StGB).SEITE 43 | 62


3. ÖFFENTLICHES RECHTa) KLASSISCHE FALLFRAGEN IM ÖFFENTLICHEN RECHT• „Beurteilen Sie die Erfolgsaussichten der von A erhobenen Verfassungsbeschwerde“(oder entsprechend eines anderen Verfahrens).Der Klassiker schlechthin. Zu prüfen sind Zulässigkeit und Begründetheit.• „Prüfen Sie, ob A durch das Urteil des BVerwG in seinen Grundrechten verletztwird.“Hier müssen Sie Schutzbereich, Eingriff und Rechtfertigung prüfen.Hingegen ist es bei einer derartigen Fragestellung falsch, die Zulässigkeiteiner Verfassungsbeschwerde (oder eines anderen Verfahrens) zu prüfen.• „Wie wird das Bundesverfassungsgericht entscheiden?“Ähnlich wie bei der Frage nach den Erfolgsaussichten oben prüft das Gerichtimmer Zulässigkeit und Begründetheit. Das gilt dann auch für denUmfang der Klausurbearbeitung.• „A hält die Entscheidung des BGH für verfassungswidrig. Was kann er tun?“Hier wird verlangt, ein zur Verfügung stehendes Verfahren zu finden unddessen Zulässigkeit und Begründetheit zu prüfen.• „A ist der Auffassung, die Entscheidung des BVerwG verletze ihn in seinenGrundrechten. Überprüfen Sie in einem Gutachten, ob diese Ansicht zutrifft.“Hier ist nur die Grundrechtsverletzung und damit nur die materielleRechtslage zu prüfen.SEITE 44 | 62


Solche Fragestellungen werden gerne mit einer Zusatzfrage kombiniert inder Art „Wie kann A seine Rechte geltend machen?“.Sinn dahinter: Der Schwerpunkt der Falllösung sollte immer auf den materiellenFragen, d.h. der Grundrechtsverletzung, liegen. Indem dieser Teilvorgezogen wird, soll sichergestellt werden, dass der Prüfling nicht zu vielZeit auf die Zulässigkeitsprüfung verwendet. Die Faustregel lautet: Die Zulässigkeitsollte nicht mehr als 1/3 der Bearbeitung ausmachen.b) FALL: „NOTAR AUF LEBENSZEIT?“ (BVERFG, NJW 1993, 1575)R ist Rechtsanwalt und seit ca. 20 Jahren auch Notar in seiner eigenen Kanzlei. Anlässlichder Feierlichkeiten zu seinem 65. Geburtstag klopft ihm sein 30-jähriger Juniorpartnerauf die Schulter und sagt: „Von jetzt an nur noch fünf Jahre, dann übernehmeich auch endlich das Notariat.“ Aufgrund der Worte und nicht wegen des Schulterklopfersbleibt R sein Lachs-Kanapee im Halse stecken. Er verlässt sofort die Feier inRichtung seines Büros und liest eifrig die Bundesnotarordnung (BNotO) durch. Dortfindet er die §§ 47 Nr. 1, 48a BNotO, deren Regelung es zur Zeit seiner Bestellungnicht gab und die er nach Erlass auch im Laufe seiner Notartätigkeit nie zur Kenntnisgenommen hat. Er muss aber feststellen, dass seine Notartätigkeit laut der o.g. Vorschriftenautomatisch in dem Monat endet, in dem er das siebzigste Lebensjahr vollendet.Hat die fristgerecht erhobene Verfassungsbeschwerde des R gegen diese RegelungAussicht auf Erfolg?Hinweis: Etwaige Rückwirkungsproblematiken sind nicht zu erörtern.SEITE 45 | 62


Vorüberlegungen:• Art. 12 GG, Art. 14, Art. 2 I GG?• Verfassungsbeschwerde• Gesetz? Verwaltungshandeln?• Gesetz nicht abgedruckt? Was bedeutet das?Lösungsvorschlag:Die Verfassungsbeschwerde des R gegen die Vorschriften §§ 47 Nr. 1, 48 BNotO hatErfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.A. Zulässigkeit (Art. 93 I Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG)Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, wenn die Sachentscheidungsvoraussetzungenvorliegen.I. Zuständigkeit des BVerfGDie Zuständigkeit des BVerfG für Verfassungsbeschwerden folgt aus Art. 93I Nr. 4 a GG, § 13 Nr. 8 a BVerfGG.II. BeschwerdegegenstandBei den zuvor genannten Vorschriften aus der BNotO müsste es sich um einentauglichen Beschwerdegegenstand handeln. Nach Art. 93 I Nr. 4a GG,§ 90 I BVerfGG kann Beschwerdegegenstand jeder Akt der öffentlichen Gewaltsein. Die BNotO ist ein Akt der Legislative, mithin ein Akt der öffentlichenGewalt. Ein tauglicher Beschwerdegegenstand liegt damit vor.III.BeschwerdefähigkeitR müsste beschwerdefähig sein. Nach Art. 93 I Nr. 4 a GG, § 90 I BVerfGGist jedermann beschwerdefähig, der Träger von Grundrechten oder grundrechtsgleichenRechten sein kann. R ist als natürliche Person Grundrechtsträgerund ist somit beschwerdefähig.SEITE 46 | 62


IV.BeschwerdebefugnisR müsste ferner beschwerdebefugt sein. Danach muss eine eigene, unmittelbareund gegenwärtige Beschwer seitens des Klägers vorliegen und eineGrundrechtsverletzung zumindest möglich erscheinen.R könnte hier u.a. in seinem Grundrecht aus Art. 12 GG verletzt sein, wenner mit Vollendung des siebzigsten Lebensjahres das Amt des Notars nichtmehr ausüben kann. Diese Beschwer erscheint zumindest möglich. R istTräger des Grundrechts aus Art. 12 GG und damit selbst betroffen; eine eigeneBeschwer liegt damit vor.Zudem müsste er gegenwärtig und unmittelbar betroffen sein. Die gegenwärtigeBetroffenheit ist gerade dann nicht gegeben, wenn die Regelung irgendwannin der Zukunft für den Kläger einschlägig ist. R bleiben noch weiterefünf Jahre Zeit, um sich auf die Regelung einzustellen und Dispositionenzu treffen, sodass er nicht unmittelbar betroffen wäre. Davon ist allerdingsdann eine Ausnahme zu machen, wenn bereits zum Zeitpunkt derKlage der Normadressat zu später nicht mehr korrigierbaren Entscheidungengezwungen wird oder der Adressatenkreis der Norm bereits feststehtund deutlich abzusehen ist, in welcher Weise der Kläger betroffen wird. DieAmtstellung des Notars ist neben einem üppigen finanziellen (Zu)Verdienstzugleich mit Reputation und Prestige für den Amtsträger und somit auch fürseine Kanzlei verbunden. R wird sich zumindest in seiner Funktion alsPartner seiner Kanzlei schon jetzt mit einer Nachfolge beschäftigen müssen,wenn seine Kanzlei weiterhin ein Notariat anbieten soll. Der Zeitpunktliegt auch nicht zu weit in der Zukunft, denn der erfolgreichen Prüfung zumNotar gehen umfangreiche theoretische und praktische Prüfungen voraus,deren Ergebnis ungewiss ist. Zudem kann R die Folgen der Regelung bereitsdeutlich absehen und gehört zu ihrem Adressatenkreis.Schließlich müsste er unmittelbar betroffen sein, also durch den legislativenAkt selbst, ohne dass auf diesen erst weitere Zwischenakte ergehen müssten,die ihn in seinen Grundrechten verletzen. Bei der Norm handelt es sichum eine sog. selbstvollziehende Norm, sodass es keiner weiteren Zwischenaktebedarf, damit die Regelungswirkung der Norm eintritt. Folglich istR beschwerdebefugt (a.A. dann aber im Hilfsgutachten weiter).SEITE 47 | 62


V. Rechtswegerschöpfung und SubsidiaritätFerner müsste der Rechtsweg erschöpft und dem Grundsatz der Subsidiaritätder Verfassungsbeschwerde genügt worden sein. Bei einer Verfassungsbeschwerdegegen ein Gesetz wird verlangt, dass sie sich gegen ein formellesGesetz richtet; ein Rechtsweg ist dabei gerade nicht eröffnet. Entgegenihrer Bezeichnung als „Ordnung“ ist die BNotO ein formelles Bundesgesetz.Zudem dürfte R kein zumutbarer und effektiver Rechtsschutz vor den Fachgerichtenzur Verfügung stehen. Nach dem Grundsatz der Subsidiarität solldie Entscheidung der Fachgerichte eingeholt werden, die in einem Verfahrendie streitige Norm auf ihre Verfassungsgemäßheit prüfen und evtl. demBVerfG im Wege der konkreten Normenkontrolle vorzulegen hätten. Hier hatR die Fachgerichte nicht angerufen, sodass der Subsidiarität nicht genügtwäre. Jedoch ist zu beachten, dass dieser Weg nur unter folgender Bedingungeinschlägig wäre. R müsste über das siebzigste Lebensjahr hinaus alsNotar die Aufgaben eines solchen vornehmen, also insb. beurkunden. DieFolge wäre, dass diese Beurkundungen nichtig wären und das Vertrauender Rechtssuchenden enttäuschen. Zudem würde Rs Verhalten zumindestberufsständische Konsequenzen nachsichziehen, sodass es ihm nicht zumutbarist, vorher die Fachgerichte anzurufen und deren Entscheidung abzuwarten.R hat daher mit der Klage die allgemeine Subsidiarität der Verfassungsbeschwerdegewahrt (a.A. vertretbar dann aber im Hilfsgutachten weiter).VI. Form- und FristRs Verfassungsbeschwerde ist gem. § 23 I BVerfGG fristgerecht; von derWahrung weiterer Formanforderung, der schriftlichen Begründung, ist auszugehen,§§ 92; 93 BVerfGG.VII. Zwischenergebnis:Somit ist die Verfassungsbeschwerde des R zulässig.B. Begründetheit der VerfassungsbeschwerdeDie Verfassungsbeschwerde müsste begründet sein, die Vorschriften müsstenalso in den Schutzbereich eines Grundrechts oder grundrechtsgleichen RechtsSEITE 48 | 62


eingreifen und dieser Eingriff dürfte nicht durch einen Rechtssatz wiederum verfassungsrechtlichgerechtfertigt sein.I. Schutzbereich des Art. 12 GG (Berufsfreiheit)Der Schutzbereich des Art. 12 GG müsste zunächst eröffnet sein.1. Personeller SchutzbereichIn persönlicher Hinsicht setzt dies voraus, dass R Deutscher im Sinnedes Art. 116 GG ist, wovon hier nicht zuletzt wegen § 5 BNotO auszugehenist.2. Sachlicher SchutzbereichIn sachlicher Hinsicht setzt Art. 12 GG voraus, dass die Berufsfreiheit(Auswahl- oder Ausübungsfreiheit) betroffen ist. Ein Beruf ist jede nichtnur vorübergehende Tätigkeit, die zum Zwecke der Schaffung und Erhaltungeiner Erwerbsgrundlage ausgeübt wird. Indem R nicht weiterals Notar bestellt wird, kann er diesen Beruf nicht weiter ausüben. Mithinist der sachliche Schutzbereich der Berufsauswahlfreiheit eröffnet.II. EingriffIn den Schutzbereich müsste durch die getroffene Altersregelung eingegriffenworden sein. Ein Eingriff ist jedes staatliche Handeln, das dem Einzelnenein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts oder grundrechtsgleichenRechts fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht. Durch dielegislative Regelung kann R als Notar nicht weiter arbeiten. Mithin liegt einEingriff vor.III. Rechtmäßigkeit des EingriffsDer Eingriff könnte jedoch gerechtfertigt sein. Als Rechtfertigungsgrundkommt §§ 47 Nr. 1, 48a BNotO in Betracht, mithin ein Gesetz, das den Anforderungeneines einfachen Gesetzesvorbehalt nach Art. 12 I 2 GG genügenwürde.SEITE 49 | 62


1. Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen EingriffsgrundlageDies setzt voraus dass die Vorschriften formell und materiell rechtmäßigist.a) FormellVon der formellen Rechtmäßigkeit ist mangels entgegenstehenderAnhaltspunkte auszugehen.b) MateriellFraglich ist, ob die Vorschrift materiellrechtlich der Verhältnismäßigkeitsprüfungstandhält. Im Rahmen des Art. 12 GG ist diesenach der sog. Drei-Stufen-Theorie besonders ausgestaltet. Danachunterscheidet das BVerfG zwischen objektiven und subjektiven Zulassungsvoraussetzungensowie der Berufsausübung. Berufsausübungsregelnsind zulässig, wenn vernünftige Erwägungen desAllgemeinwohls sie zweckmäßig erscheinen lassen. Subjektive Zulassungsvoraussetzungensind gerechtfertigt, wenn der Schutz besonderswichtiger Gemeinschaftsgüter sie zwingend erfordert undobjektive Zulassungsvoraussetzungen der Berufswahl sind nur zulässig,soweit sie zur Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicherschwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgutzwingend erforderlich sind. In der Abbestellungaufgrund des Alters liegt ein individueller, dem Kläger innewohnenderUmstand zugrunde. Demnach handelt es sich um eine subjektiveBerufzulassungsregelung.Der legitime Zweck müsste folglich der Schutz besonders wichtigerGemeinschaftsgüter sein. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Vorschriftdie Funktion der Rechtspflege und in dieser eine geordneteAltersstruktur wahren. Die Funktionsfähigkeit der vorsorgendenRechtspflege durch eine geregelte Altersstruktur ist ein besonderswichtiges Gemeinschaftsgut.SEITE 50 | 62


Die Vorschrift ist auch geeignet den Zweck zu erreichen. Ein milderesMittel ist nicht ersichtlich; insb. eine Höchstaltersgrenze für(junge) Neu-Notare oder Regelungen, die an die Leistungsfähigkeitdes Notars im Alter anknüpfen, schaffen nicht die zuvor geforderteAltersstruktur. Mithin ist die Regelung auch erforderlich.Fraglich ist, ob sie verhältnismäßig im engeren Sinne ist. Neu-Notare können sich auf die Regelung einstellen und ihre Planungdaran ausrichten. Schwieriger fällt dies den bereits bestellten Notaren,die im Vertrauen auf die Regelung etwaige Dispositionen getroffenhaben. Diesem individuellen Belang steht jedoch der obengenannte besonders wichtige Gemeinwohlbelang einer geordnetenAltersstruktur innerhalb der Rechtspflege entgegen. Einem Rechtssuchendensollen Notare verschienen Alters zur Verfügung stehen;hingegen würde es zu einer Überalterung des Notarberufs führen,wenn eine solche Regelung fehlt. Nicht nur würden Notare ihr Amtnoch im hohen Lebensalter ausüben, auch Neu-Notare würden imfortgeschrittenen Lebensalter stehen und hätten bis zum Ende ihresBerufes geringer Chancen, ihre Tätigkeit zu erproben und Erfahrungenzu sammeln. Die Vorschrift ist daher auch verhältnismäßigim engeren Sinne (+/-).3. ErgebnisDie Vorschriften §§ 47 Nr. 1, 48a BNotO sind demnach formell und materiellverfassungsgemäß; sie konnten den Eingriff in Art. 12 GG rechtfertigen.IV. Verletzung weiterer GrundrechteDie in §§ 47 Nr. 1, 48a BNotO getroffene Regelung richtet sich auf dieEinführung einer Altersgrenze und nicht auf bereits erworbene Eigentumsrechteoder den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb im Sinne des Art. 14GG. Das Grundrecht aus Art. 14 GG ist nicht einschlägig. Gleiches gilt für Art. 2 IGG, der aus dem Gedanken der Subsidiarität wegen der Eröffnung des Schutzbereichsdes spezielleren Freiheitsrecht von Art. 12 GG nicht eröffnet ist.SEITE 51 | 62


Schließlich ist auch Art. 33 V GG aus demselben Grund – Subsidiaritätsprinzip –als Gleichheitsrecht dem bereits einschlägigen Freiheitsrecht nachrangig. DieVerfassungsbeschwerde des R ist damit unbegründet.V. ErgebnisDie Verfassungsbeschwerde des R ist zwar zulässig, aber unbegründet. Sie hatmithin keinen Erfolg.VI.DARSTELLUNG VON MEINUNGSTREITIGKEITEN1. URSPRUNG EINES MEINUNGSSTREITES• In der Regel muss der Gesetzgeber eine Norm sehr abstrakt formulieren, ummöglichst viele Fälle zu erfassen.• Je weiter und unbestimmter eine Formulierung, desto problematischer kann essein, was genau der Gesetzgeber im Einzelfall gemeint hat.• In diesen Fällen greifen zunächst die bekannten (vier) Auslegungsregeln.• Nach der Auslegung kann es aber nicht immer zu einem eindeutigen Auslegungsergebniskommen; die Auslegung lässt mehrere Ergebnisse zu.• So entsteht ein Meinungsstreit.2. RICHTIGER UMGANG MIT MEINUNGSSTREITIGKEITEN• Niemand erwartet, dass man alle Meinungsstreitigkeiten kennt und dazu nochin der Klausur abrufen kann. Das ist auch nicht gewollt.• Streitigkeiten dürfen aber niemals zusammenhangslos im Fall angeführt werden,sondern knüpfen immer an ein gesetzliches Merkmal an, das gerade Gegenstandder Prüfung ist.SEITE 52 | 62


RichtigFraglich ist, wie das Tatbestandsmerkmalgefährliches Werkzeug i. S. d. § 224FalschUmstritten ist der Begriff gefährlichesWerkzeug (es fehlt der Fallbezug).StGB auszulegen ist.3. DARSTELLUNG VON MEINUNGSSTREITIGKEITEN• Zunächst wird die Streitigkeit eingeleitet, etwa: „Eine Ansicht 6 versteht den Begriff… /meint ...“.• „Dies begründet sie mit …“ (höchstens 1-2 Argumente nennen).• Danach ist direkt unter die Ansicht zu subsumieren.• „Danach ist hier das Merkmal XY im konkreten Fall erfüllt/nicht erfüllt.“• Dann ist die a.A. darzustellen.• „Nach a.A. umfasst der Begriff XY auch …“• „Begründet wird dies mit …“• „Danach ist hier das Merkmal XY hier erfüllt/nicht erfüllt.“• Werden mehr als zwei Meinungen vertreten, so ist mit den weiteren Meinungenebenso zu verfahren.• Zum Schluss ist festzustellen, ob die Meinungen im konkreten Fall zu unterschiedlichenErgebnissen kommen oder nicht.6Zu beachten ist, dass immer die streitige Bedeutung eines gesetzlichen Merkmals der Anknüpfungspunktfür einen Meinungsstreit ist.SEITE 53 | 62


• Kommen alle Ansichten im konkreten Fall zu demselben Ergebnis, ist ein Meinungsstreitentbehrlich und darf auch nicht erfolgen (kein Wissen „abladen“, esgilt, den konkreten Fall zu lösen).• Nur, wenn die verschiedenen Ansichten zu unterschiedlichen Ergebnissenkommen, ist ein Meinungsstreitentscheid erforderlich.• Aufbautipp: Erst gegen die Meinung argumentieren, die man ablehnt und dannim zweiten Schritt sagen, was für die Meinung spricht, der man folgen will. Alternativkann auch nach dem „Sanduhrprinzip“ verfahren werden: Die stärkstenArgumente der Meinung, die man ablehnt, werden an der (absteigenden) Gewichtungorientiert nacheinander genannt und auf den Fall angewandt. Dasschwächste Argument ist also das letzte in der Darstellung dieser Meinung.Nun beginnt man mit den Ausführungen zur Gegenmeinung, der man sich anschließt.Hier wird nun das schwächste Argument zuerst verwendet und dasstärkste zum Schluss angeführt.• Welche Meinung ist die „richtige“?Ob eine Ansicht von der Rspr. oder der Lit. vertreten wird, ist kein Argumentfür die Richtigkeit oder Stichhaltigkeit einer Meinung. Dieser Umstandhat keine Bedeutung für die Klausurlösung.Ein richtig oder falsch gibt es nicht, jede Meinung, die in Schrifttum oderRechtsprechung genannt wird, ist in der Klausur ebenfalls (mit entsprechenderBegründung) vertretbar.Aber: Klausurtaktische Überlegungen dürfen nicht außer Acht gelassenwerden, sonst laufen Sie Gefahr, unnötig Punkte zu verschenken:Wenn man große Teile des Sachverhalts nicht mehr verwertenkann, wenn man Meinung A vertritt, sollte man sich für Meinung Bentscheiden, um noch mehr Wissen zu zeigen.SEITE 54 | 62


Wenn im Fall angelegte Probleme andernfalls nicht mehr bearbeitetwerden können.• Statt von „e.A.“, „a.A.“ zu sprechen, kann man einen Streit auch entwickeln,indem man formuliert: „Das Tatbestandsmerkmal XY kann man so verstehen,dass….“, „Bedenkt man aber z.B. Sinn und Zweck erscheint auch möglich, dassder Gesetzgeber das Merkmal XY so gemeint hat, dass auch...“.4. AUS DEM ÖFFENTLICHEN RECHT: DAS PRÜFUNGSRECHT DESBUNDESPRÄSIDENTENDer Bundespräsident verweigert seine Unterschrift unter die Ausfertigung des Atomaustiegsgesetzes,weil er dieses inhaltlich für verfassungswidrig hält. Zu Recht?Der Bundespräsident könnte zu Recht seine Unterschrift verweigert haben, wenn ergem. Art. 82 I S. 1 GG ein materielles Prüfungsrecht hat.• Eine Ansicht lehnt ein materielles Prüfungsrecht ab. Als Argument wird der Wortlautdes Art. 82 GG angeführt. Zudem habe der Bundespräsident eine rein repräsentativeStellung im GG, er ist – im Gegensatz zur Weimarer Reichsverfassung– kein Hüter der Republik mehr. Zudem ist das BVerfG die Kontrollinstanzfür die Verfassungsmäßigkeit einer Norm und hat insofern ein Verwerfungsmonopol.Danach durfte der Bundespräsident seine Unterschrift nicht verweigern.• Nach a.A. steht dem Bundespräsidenten ein materielles Prüfungsrecht zu. ZurBegründung heißt es, dass der Amtseid, aus Art. 56 GG, den der Bundespräsidentschwört, ein solches Recht gebiete, wenn er „das Grundgesetz und die Gesetzedes Bundes wahren und verteidigen (...) werde“ anführt. Der Wortlaut desArt. 70 WRV stimme mit Art. 82 GG fast wörtlich überein, so dass wie zu Zeitender Weimarer Reichsverfassung ein materielles Prüfungsrecht anzuerkennenSEITE 55 | 62


sei. Schließlich ist der Bundespräsident auch ein Organ des Staates und als solchesan Recht und Gesetz i.S.d. Art. 20 III GG gebunden.Danach durfte hier der Bundespräsident seine Unterschrift verweigern.• Die Meinungen kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, so dass ein Streitentscheiderforderlich ist.• Gegen die Ablehnung eines materiellen Prüfungsrechts spricht, dass der Bundespräsidentzwar eine schwächere Stellung hat als der Reichspräsident, jedochwie andere Staatsorgane an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden ist.Auch wenn man den Bundespräsidenten als bloßen Staatsnotar sieht, so ist zubeachten, dass nach § 14 II BNotO auch der Notar eine Beurkundung bei Zweifelnverweigern darf. Für ein materielles Prüfungsrecht spricht zudem, dass einverfassungswidriges Gesetz zur Wahrung von Rechtssicherheit und Demokratiegestoppt werden muss, zumindest ein evidenter Rechtsverstoß nicht von der Unterschriftdes Bundespräsidenten getragen werden muss.5. AUS DEM STRAFRECHT: ABGRENZUNG RAUB – RÄUBERISCHEERPRESSUNGA hält mit seinem Auto an der Ampel. In diesem Moment kommt B, reißt die Tür auf,zielt mit der Pistole auf den Kopf des A und fordert ihn auf, das Auto zu verlassen. Averlässt das Auto. B steigt ein und fährt davon. Hat sich B gem. § 249 I StGB strafbargemacht?Obersatz: B könnte sich gem. § 249 I StGB strafbar gemacht, indem er A mit der Pistolebedrohte und mit dem Auto davon fuhr.Definition: Dies setzt voraus, dass B eine fremde bewegliche Sache unter Drohungmit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben weggenommen hat.• Fremde bewegliche SacheSEITE 56 | 62


Definition: Eine Sache ist ein körperlicher Gegenstand. Diese ist fremd, wenn sie imZeitpunkt der Wegnahme nicht im Alleineigentum des Täters steht und eigentumsfähigist. Beweglich ist jeder Gegenstand, der fortgeschafft werden kann.Subsumtion: Das Auto ist ein körperlicher Gegenstand und damit eine Sache. Esstand im Alleineigentum des A und war daher für B fremd. Das Auto konnte fortgeschafftwerden, war also beweglich.• WegnahmeObersatz: Der B müsste das Auto weggenommen haben.Definition: Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendigerweisetätereigenen Gewahrsams. Die Wegnahme ist von der Weggabe zuunterscheiden, sodass Raub und räuberische Erpressung von einander abzugrenzensind. Auf welche Weise diese Abgrenzung vorgenommen wird, ist umstritten:Eine Auffassung stellt auf das äußere Erscheinungsbild des Tathergangs ab.Danach liegt keine Wegnahme vor, wenn das Opfer die Sache herausgibt; aufdie innere Willensrichtung des Opfers soll es nicht ankommen.Subsumtion: Nach dem äußeren Erscheinungsbild hat A das Auto verlassenund es damit B preisgegeben. Somit fehlt es an der Wegnahme.Eine andere Auffassung stellt auf die Parallele der räuberischen Erpressung zumBetrug ab. Beides seien Selbstschädigungsdelikte (systematisches Argument).Die erzwungene Duldung kann Raub sein, wenn ein bloßes Gewährenlassen derWegnahme vorliegt, da darin keine Vermögensverfügung liege. Umgekehrt istdie Weggabe regelmäßig willentliche Aufgabe und damit Vermögensverfügung.Subsumtion: Hier duldet A nur die Wegnahme und räumt das Auto aufgrunddes Zwangs. Mithin liegt auch nach dieser Auffassung keine Wegnahmevor.SEITE 57 | 62


Einer Streitentscheidung bedarf es nicht, da nach beiden Auffassungen keine Wegnahme,sondern eine Weggabe vorliegt.6. AUS DEM ZIVILRECHT: „TRIERER WEINVERSTEIGERUNG“S besucht die Weinanbaugebiete entlang der Mosel und nimmt an einer Weinversteigerungteil. Als er hinter dem Auktionator zufällig seinen Freund A stehen sieht, hebter freudig die Hand, um auf sich aufmerksam zu machen. Daraufhin erteilt ihm derAuktionator W den Zuschlag, da – was S nicht bekannt war, obwohl ein deutlicherHinweis dazu am Eingang des Lokals aushing – bei der Trierer WeinversteigerungGebote durch Handheben abgegeben werden (nach RGZ 26, 322ff. –Trierer Weinversteigerung).Muss S den Wein abnehmen?Lösungsvorschlag:W könnte gegen S einen Anspruch auf Abnahme des Weines aus Kaufvertrag gem.§ 433 II BGB haben.I. Wirksamer VertragsschlussDazu müssten W und S einen Kaufvertrag über den Wein geschlossen haben. EinKaufvertrag ist ein Rechtsgeschäft, das durch zwei inhaltlich korrespondierendeWillenserklärungen, Antrag und Annahme, §§ 145 ff. BGB, zustande kommt.1. Antrag durch Sa) Objektiver ErklärungstatbestandS könnte durch das Handzeichen einen Antrag auf Abschluss desKaufvertrages abgegeben haben. Der Antrag ist dabei eine einseitigeempfangsbedürftige Willenserklärung, die auf die Herbeiführung einerRechtsfolge gerichtet ist. Als empfangsbedürftige Willenserklärung istSEITE 58 | 62


das Angebot der Auslegung aus der Sicht eines verständigen Empfängersgem. §§ 133, 157 BGB fähig. Aus den Umständen der Versteigerungergibt sicht, dass allein das Handheben genügt, um eine Erklärungderart abzugeben, die aufgerufene Sache zum nächst höherenPreis kaufen zu wollen. Eine objektive Erklärungshandlung liegt mithinvor.b) Subjektiver Erklärungstatbestandaa) HandlungswilleS hob die Hand bewusst zum Gruß, ein Handlungswille, d.h. willensgesteuertesTätigwerden, liegt demnach vor.bb) ErklärungsbewusstseinS müsste jedoch auch Erklärungsbewusstsein gehabt haben. Erklärungsbewusstseinist das Bewusstsein, in irgendeiner Weiserechtserheblich zu handeln. S wollte aber durch das Handhebennicht irgendeine Rechtsfolge hervorrufen, er wollte schlicht seinenalten Schulfreund grüßen. Ihm fehlt es mithin an Erklärungsbewusstsein.(1) Folgen fehlenden ErklärungsbewusstseinsFraglich ist, wie sich dies auf den Bestand der Willenserklärungauswirkt. Eine genaue gesetzliche Regelung hierzu istnicht ersichtlich, insoweit ist das BGB lückenhaft. Es gibt hingegenRegelungen für den Fall, dass der Geschäftswille fehlt(§ 119 I 1. Var. BGB) oder dass der nach außen gesetzte objektiveErklärungstatbestand innerlich nicht ernst gemeint istund diese fehlende Ernstlichkeit nach Ansicht des Erklärendenoffenkundig ist (§ 118 BGB). Beide Sachverhalte regelnim weiteren Sinne ähnliche Umstände und sind daher potentiellfür eine Analogie geeignet.SEITE 59 | 62


(2) Analogie zu § 118 BGBEine (planwidrige) Lücke liegt vor (s.o.). § 118 BGB lässt eineWillenserklärung schon dann nichtig sein, wenn der Erklärendeerwartet, dass der Mangel der Ernstlichkeit nicht verkanntwerden könne. Daraus folgt aber auch, dass es nicht schadet,dass der Erklärende die Möglichkeit der Falschaufnahmedurch den Empfänger zumindest in Betracht zieht. § 118 BGBist daher einschlägig, selbst wenn der Erklärende immerhindie Möglichkeit erkennt, rechtserheblich zu handeln. Damitmuss § 118 BGB erst recht anwendbar sein, wenn der Erklärendedies nicht erkennt, namentlich, wenn ihm das Erklärungsbewusstseinfehlt (arg. a minore ad maius). Eine vergleichbareInteressenlage zu § 118 BGB ist mithin gegeben.Nach dieser Ansicht ist der Antrag des S mithin analog§ 118 BGB nichtig.(3) Analogie zu § 119 I 1. Var. BGBEine (planwidrige) Lücke liegt vor (s.o.). § 119 I 1. Var. BGBgeht davon aus, dass eine Willenserklärung, auch wenn derInhalt anders gewollt war, zunächst wirksam ist. Wenn derGeschäftswille nicht gegeben ist, soll die Erklärung nicht nichtig,sondern nur anfechtbar sein. Die Situation eines fehlendenErklärungsbewusstseins ist hiermit nicht stets vergleichbar.Insbesondere, wenn dem Erklärenden nicht bekannt warund dies auch nicht bekannt sein konnte, dass er rechtserheblichhandelt, mangelt es an einer Vergleichbarkeit der Situationen.Hätte er hingegen erkennen müssen, dass sein Verhaltenals Erklärungstatbestand aufgefasst wird, kann man ihmden gleichen Vorwurf machen, wie demjenigen, der zwar bewusstrechtsgeschäftlich handelte, dessen tatsächliche Erklärungjedoch von seinem innerlichen Willen abweicht (fehlenderGeschäftswille). Der fehlende Wille, rechtsgeschäftlich zuhandeln, ist im Vergleich dazu eine noch größere Abweichung.Für den vergleichbaren Fall der fahrlässig verkanntenSEITE 60 | 62


Erklärungshandlung muss daher gelten, dass eine solche Erklärungerst recht angefochten werden können muss. S hatdie im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen, alser auf der Versteigerung freudig die Hand hob, um seinenFreund zu begrüßen. Er hätte erkennen können, dass dasHandheben ein Zeichen für ein Gebot darstellt. Damit ist derAntrag nach dieser Ansicht wirksam, jedoch analog§ 119 I 1. Var. BGB anfechtbar.(4) StellungnahmeDa beide Ansichten zu unterschiedlichen Ergebnissen führen,kann ein Streitentscheid nicht dahinstehen.Für die zweite Ansicht spricht, dass sie dem Verkehrsschutzbesser dient. Das Risiko, eine Erklärungshandlung vorzunehmen,die vom Rechtsverkehr als Willenserklärung verstandenwird, muss beim Handelnden liegen und nicht beimpotentiellen Empfänger. Sie bietet auch genügend Flexibilitätfür den Erklärenden selbst: Er kann wählen, ob er an demGeschäft festhält (wenn es für ihn günstig ist) oder ob er dessenrechtliche Wirkungen durch Anfechtung (§ 142 I BGB)beseitigt. Letzteres allerdings mit der Folge des § 122 BGB.Ein ausreichender Schutz für den Erklärenden kann zusätzlichdadurch erzielt werden, dass ein Schutzbedürfnis des Empfängerszu verlangen ist, das z.B. fehlt, wenn dieser denMangel erkennt.Mithin kann der äußere Erklärungstatbestand dem Erklärendenzugerechnet werden, wenn der Erklärende fahrlässig verkannthat, dass seine Handlung von einem objektiven Drittennach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitteals rechtsgeschäftliche Erklärung verstanden werden kannund der Empfänger schutzwürdig ist. Der zweiten Ansicht istzu folgen.SEITE 61 | 62


S’ Erklärungshandlung ist ihm mithin zuzurechnen. Der Antrag ist wirksam.2. Annahme durch WW hat den Antrag durch den Zuschlag auch angenommen, § 156 S. 1 BGB.II.ErgebnisSomit hat W gegen S einen Anspruch auf Abnahme des Weines aus dem Kaufvertraggem. § 433 II BGB.SEITE 62 | 62

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