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Paulus - Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer Gemeinden in ...

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DIE BRÜCKETÄUFERISCH-MENNONITISCHE GEMEINDEZEITSCHRIFT · NR. 1/2011<strong>Paulus</strong>Januar / Februar Jahrgang 2011 5 Euro


2<strong>in</strong>haltThema4 Ich ermutige euch, Geschwister ...Anita He<strong>in</strong>-Horsch6 Wer war <strong>Paulus</strong> von Tarsus?Heiko Prasse8 Ausbrechen aus dem MachtgefügeCarmen Rossol10 Gegen die Diskrim<strong>in</strong>ierung des KörpersWilhelm Unger12 Der jüdisch-christliche <strong>Paulus</strong>Mart<strong>in</strong> Forster14 Die ersten ChristenJ. Jakob Fehr16 Neue Triebe am alten ÖlbaumOskar WedelRubriken3 Auf e<strong>in</strong> WortFilifjonka Brand17 Lyrik38 Personen42 Term<strong>in</strong>e47 Leserecho48 FriedensfotoUmschau18 Den Nächsten lieben und Geme<strong>in</strong>de bauenEdw<strong>in</strong> Boschmann19 IMO vor neuen HerausforderungenConny Wiebe-Franzen20 „Runder Tisch Mission“ <strong>in</strong> StraßburgElisabeth Baecher21 Kongress für WeltevangelisationByron Rempel-Burkholder22 Wege aus der VergeltungskulturKaren Rothenbusch24 Schultaschen für irakische K<strong>in</strong>derChristoph Landes26 Engagierte NachfolgemannschaftVeronika Elsner28 Mennoniten <strong>in</strong> MexikoWaltraud Schmutz29 Wem gehört das Land?Heike Lange30 Von Neuem anfangenHelga Lichtenberger-Driedger32 Heilende Er<strong>in</strong>nerung <strong>in</strong> der ÖkumeneJoel Driedger34 Entscheidungen, die alle mittragenErnst Christian DriedgerDIE BRÜCKETÄUFERISCH-MENNONITISCHE GEMEINDEZEITSCHRIFTGegründet 19861974 bis 1985 »Mennonitische Blätter«und »Geme<strong>in</strong>de Unterwegs«bis 1973 »Der Mennonit«Herausgeber<strong>in</strong>:<strong>Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft</strong><strong>Mennonitischer</strong> <strong>Geme<strong>in</strong>den</strong><strong>in</strong> Deutschland K.d.ö.R. (AMG)Vorsitzender: Frieder BollerBienenberg 86, CH-4410 LiestalTel.: 0041 (0) 61 9067825herausgeber.bruecke@mennoniten.deInternet:www.mennoniten.de/bruecke.html© AMG 2010, Nachdruck nur mitvorheriger Genehmigung der RedaktionRedaktion: Benji WiebeKastanienweg 19, 76297 StutenseeTel. 07249 / 516344 -0 Fax -9redaktion.bruecke@mennoniten.deBRÜCKE-Team: J. Jakob Fehr, VolkerHaury, Heiko Prasse, Karen Rothenbusch,Wilfried Scheuvens, Oskar WedelKorrektorat:Elke Foth, HamburgRedaktions- und Anzeigenschlussder nächsten Ausgabe: 01.02.2011Ersche<strong>in</strong>t Anfang März 2011Die Redaktion behält sich vor, Beiträgezu redigieren und gegebenenfalls zukürzen.Lyrik-Seite: Oskar WedelNeue Straße 14, 31559 HohnhorstFax: 0 5723 / 8 28 58Chronik: Irmtraud NeufeldWeichselgasse 10, 32339 Espelkampchronik.bruecke@mennoniten.deAnzeigen:Florian UngerGuard<strong>in</strong>istraße 67, 81375 MünchenTel. 089 / 12 50 66 23 + 01 74 / 2063463anzeigen.bruecke@mennoniten.deLayout:Benji Wiebe, Stutenseewww.mennox.deDruck:Art + Image GmbHDresdener Str. 432423 M<strong>in</strong>denVertrieb & Leserservice:Reg<strong>in</strong>a RugeWollgrasweg 3d, 22417 HamburgTelefon/Fax 0 40 / 5 20 53 25vertrieb.bruecke@mennoniten.deTitelbild & Seite 3:M. TrischlerAbonnement: DIE BRÜCKE ersche<strong>in</strong>tsechs Mal jährlich und kostet imAbonnement € 28,– (Förderabo € 39,–;ermäßigtes Abo € 15,–) e<strong>in</strong>schließlichVersandkosten und 7% Mehrwert steuer.Das Abonnement verlängert sich automatischum je e<strong>in</strong> weiteres Kalenderjahr,wenn es nicht bis zum Ende des Jahresgekündigt wird.Bei Zahlung per Dauerauftrag undRechnung bitte die neuen Preisebeachten!E<strong>in</strong>zelpreis: € 5E<strong>in</strong>zahlungen und Spenden an:Postbank HamburgKonto Nr. 541 622-209, BLZ 200 100 20IBAN: DE60 200 100 20 0541 622 209BIC: PBNKDEFFNur ausdrücklich als solche gekennzeichnete Beiträge geben die Me<strong>in</strong>ung von Herausgeber<strong>in</strong>oder Redaktion wieder. Ansonsten s<strong>in</strong>d die AutorInnen der Artikel bzw.die AuftraggeberInnen der Anzeigen für ihre Inhalte verantwortlich.DIE BRÜCKE 1 / 2011


editorial | auf e<strong>in</strong> wort3Liebe Leser<strong>in</strong>nen und Leser,Während ich diese Zeilen schreibe, fallen draußendicke Schneeflocken und <strong>in</strong> wenigen Tagen istWeihnachten – wenn Sie sie lesen, ist Weihnachtenschon vorbei und auch das neue Jahr hat begonnen. Ichwünsche Ihnen Gottes Segen und freue mich, dass Sie auch<strong>in</strong> diesem Jahr zu den BRÜCKE-Lesern und Leser<strong>in</strong>nengehören.Dankbar schaue ich zurück auf sechs BRÜCKE-Ausgaben<strong>in</strong> neuer, frischerer Gestaltung, mit vielfältigen Beiträgenverschiedenster Autor<strong>in</strong>nen und Autoren. Guten Mutesschaue ich nach vorne. Ich hoffe, dass sich die f<strong>in</strong>anzielleSituation der BRÜCKE durch Spenden und Förder-Abosweiter stabilisiert und freue mich über jeden kle<strong>in</strong>en Fortschritt<strong>in</strong> dieser Richtung.Die erste Ausgabe der BRÜCKE im neuen Jahr greiftdas Thema der vergangenen theologischen Studientageder AMG auf. Auf der Tagung <strong>in</strong> Hofgeismar im Oktoberg<strong>in</strong>g es um <strong>Paulus</strong>. Die Referent<strong>in</strong> nahm uns h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> <strong>in</strong> ihreArbeit an den <strong>Paulus</strong>briefen. Geme<strong>in</strong>sam suchten die Teilnehmendennach neuen Zugängen, lasen bekannte Texte<strong>in</strong> neuen Formulierungen, sahen Anspiele und setztensich mit paul<strong>in</strong>ischen Texten ause<strong>in</strong>ander. E<strong>in</strong>ige Artikelgeben E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die Tagung und den Nachhall, den siebei manchen Teilnehmenden hatten.Aber auch Themen wie Geme<strong>in</strong>debau, Mission und Weltevangelisation,Friedensarbeit und Dienst am Nächsten f<strong>in</strong>densich <strong>in</strong> dieser Ausgabe. Fehlt Ihnen e<strong>in</strong> Thema? Gibt esD<strong>in</strong>ge, über die Sie schon lange mal <strong>in</strong> der BRÜCKE etwaslesen wollten? Die geplanten Themen f<strong>in</strong>den Sie auf derSeite 47, aber auch darüber h<strong>in</strong>aus freuen wir uns immerüber Beiträge und Leserbriefe.Ich wünsche viel Freude, gute Gesprächsanregungenund Impulse beim Lesen der neuenBRÜCKEBenji WiebeDer e<strong>in</strong>e sagt: Ich gehöre zu <strong>Paulus</strong>, derandere aber: Ich zu Apollos. (1 Kor 3,4)<strong>Paulus</strong> hat Konkurrenz bekommen. In Kor<strong>in</strong>th ist e<strong>in</strong>weiterer Apostel aufgetaucht, der offensichtlich andersoder etwas anderes predigt. Was, das erfahren wir nicht.Vielleicht geht es auch nur darum, dass die e<strong>in</strong>en durch die Predigtdes <strong>Paulus</strong> zum Glauben gekommen s<strong>in</strong>d und die anderendurch die des Apollos. Jedenfalls steht die Geme<strong>in</strong>de <strong>in</strong> Kor<strong>in</strong>thkurz vor e<strong>in</strong>er Spaltung.Ich höre e<strong>in</strong>en me<strong>in</strong>er Schüler, mit denen ich im Religionsunterricht<strong>Paulus</strong> durchnehme, herzerfrischend fränkisch sagen: „Desis’ doch wurscht, Hauptsache sie s<strong>in</strong>d Christen.“ Stimmt, möchteich denken, aber leider ist der Text aktueller denn je.„Denn wenn der e<strong>in</strong>e sagt: ich gehöre zu <strong>Paulus</strong>, der andere aber:ich gehöre zu Apollos“ – ich ergänze s<strong>in</strong>ngemäß ich gehöre zumPapst, ich gehöre zu Luther, ich gehöre zu Calv<strong>in</strong>, ich gehöre zuMenno Simons – „ist das nicht nach Menschenweise geredet?“ Ja,ist es. Aber wir s<strong>in</strong>d nun mal Menschen und wir leben <strong>in</strong> der Welt,<strong>in</strong> der es seit Jahrhunderten verschiedene Konfessionen gibt – undich f<strong>in</strong>de, das ist gut so. Jede Konfession setzt im Glauben an dene<strong>in</strong>en Herrn unterschiedliche Schwerpunkte.Vor e<strong>in</strong>igen Jahren ist me<strong>in</strong>e beste Freund<strong>in</strong> von der evangelischenzur katholischen Kirche konvertiert und ich habe sie dazuermutigt und auf dem Weg dorth<strong>in</strong> begleitet. Sie hat es sich nichtleicht gemacht. Lange Zeit hatte sie das Gefühl, damit e<strong>in</strong>en Verratan der Ökumene zu begehen. Das hat nicht nur ihr, sondern auchmir e<strong>in</strong>ige Anfragen e<strong>in</strong>gebracht. Nicht der jeweilige Katechismusstehen im Mittelpunkt unseres Glaubens und unserer Freundschaft,sondern Jesus Christus. Ich b<strong>in</strong> der Überzeugung, dass Menschene<strong>in</strong>e geistliche Heimat brauchen. Das kann und soll e<strong>in</strong>e konkreteGeme<strong>in</strong>de se<strong>in</strong> aber eben auch im größeren Zusammenhange<strong>in</strong>e Konfession. Ich habe für mich neu festgestellt, dass ich gerneLutheraner<strong>in</strong> b<strong>in</strong>, weil das eben zu mir passt. Die gelegentlichenDiskussionen zwischen me<strong>in</strong>er Freund<strong>in</strong> und mir s<strong>in</strong>d gelassenergeworden. Wer se<strong>in</strong> Zuhause gefunden hat und sich dar<strong>in</strong> sicherund geborgen fühlt, kann andere e<strong>in</strong>laden, kann ihre Andersartigkeitschätzen und davon lernen. Wer nicht immer das Gefühl hat,se<strong>in</strong>en eigenen Glaubensstandpunkt verteidigen zu müssen, kannsich wieder auf das Wesentliche konzentrieren.Dass es nur e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heitliche christliche Kirche auf der Weltgibt, halte ich für nicht realistisch und nicht notwendig. Dass nichtalle Christen geme<strong>in</strong>sam das Abendmahl feiern dürfen, schmerztmich h<strong>in</strong>gegen sehr. Mal sehen, ob ich alt genug werde, das nochzu erleben. Ich f<strong>in</strong>de es gut, dass es verschiedene Konfessionen gibt,solange dabei das Wesentliche gewahrt bleibt: Wir glauben nicht an<strong>Paulus</strong>, an Luther, an Menno Simons, sondern an Jesus Christus.Filifjonka BrandLehrer<strong>in</strong>, NürnbergDIE BRÜCKE 1 / 2011


4paulusIch ermutige euch, Geschwister ...„<strong>Paulus</strong> – Heilserfahrungen im gesellschaftlichen Kontext“ war das Thema der AMG-Studientage im Oktober. Anita He<strong>in</strong>-Horsch über die Tagung und die Referent<strong>in</strong>.Der Apostel <strong>Paulus</strong> wurde mirgegenüber so oft <strong>in</strong> mahnender,e<strong>in</strong>schränkender Formzitiert, dass me<strong>in</strong>e Sympathiewertefür ihn und se<strong>in</strong>e Schriften deutlichh<strong>in</strong>ter denen der Evangelien lagen. Dasim Studium gelehrte Pflichtgriechischbefreit leider nur wenige zum unabhängigenSelbstlesen und Verstehender griechischen <strong>Paulus</strong>briefe. Aberdas Verstehen e<strong>in</strong>er Übersetzung oderÜbertragung bei alltäglicher Bibelnutzunghängt wesentlich vom Verstehenbeider Sprachwelten und der Übersetzerpersönlichkeitab.„Ich ermahne euch, liebe Brüder“ist vertraute paul<strong>in</strong>ische Briefrede.Claudia Janssen, die Referent<strong>in</strong> derdiesjährigen Theologischen Studientage,übersetzt ihn mit „ich ermutigeeuch,“ oder auch „ich befähige euch“.E<strong>in</strong> ermutigender oder gar befähigender<strong>Paulus</strong> lässt mich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>erSituation mehr aufhorchen als e<strong>in</strong>ständig mahnender. Und das auch,wenn die Ermahnungen im Luthertext<strong>in</strong> der Mehrzahl den lieben Brüderngilt und nicht den Schwestern, wasJanssen auf die Ermangelung e<strong>in</strong>esgriechischen Wortes für „Geschwister“zurück führt.Als überzeugte Teamarbeiter<strong>in</strong> magich das paul<strong>in</strong>ische Bild des Körpersmit se<strong>in</strong>en Organen und deren unterschiedlichenlebenserhaltendenFunktionen. So höre ich gerne, dass<strong>Paulus</strong> nicht alle<strong>in</strong> schreibt, sondernvon e<strong>in</strong>em Autorenkollektiv gestütztwurde. Er verständigt sich sogar mite<strong>in</strong>em ganzen Netzwerk von Hausge-me<strong>in</strong>den, darunter e<strong>in</strong>e ansehnlicheAnzahl geme<strong>in</strong>dlich schwerarbeitenderFrauen, wie <strong>in</strong> Röm 16 betontwird. Auch Junia ist genannt, e<strong>in</strong> <strong>in</strong>alten Schriften mehrfach erwähnterFrauenname, aus dem Luther „Junias“machte, e<strong>in</strong> damals unbekannterMännername.Gut se<strong>in</strong> aber nicht tunDer erste Vortrag von Frau Janssensollte die Themen Sünde und Rechtfertigungbeleuchten und Heilserfahrungenim gesellschaftlichen Kontextbeschreiben. Gespannt erwartete ich,was es wohl Neues auf diesem Sektorgeben könnte,nachdem dieChristenheit sichgerne aufteilt <strong>in</strong>eher untätige undeher werkgerechteGläubige. Die e<strong>in</strong>en bedienen siche<strong>in</strong>es laxen Verständnisses, nach demder Glaube an Christus das Gesetzablöst und Christen vom Gesetz undvon Werken befreit s<strong>in</strong>d und Sündee<strong>in</strong> <strong>in</strong>dividueller, leider nicht besiegbarermenschlicher Wesenszug ist. Dieanderen erheben sich ansche<strong>in</strong>endheiliger, werkgerecht und fromm überdie e<strong>in</strong>en.Prof. Dr. Claudia Janssen lud zu e<strong>in</strong>emheilversprechenden Paradigmenwechsele<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>em für mich attraktivenVerständnis, nach dem durch denMessias Jesus allen Völkern Zugangzum Heil Israels und zu den Weisungen,der Tora Gottes möglich ist. “Jüdischeund christliche Gottesbeziehung<strong>Paulus</strong> ermutigt zumherrschaftsüberw<strong>in</strong>dendenMite<strong>in</strong>ander.drückt sich <strong>in</strong> der Treue zur Tora aus.Sünde geschieht <strong>in</strong> der Missachtungder Weisung Gottes <strong>in</strong> der konkretenLebenspraxis. Sünde wird erfahrenals Verstricktse<strong>in</strong> <strong>in</strong> Todesstrukturen“Löste nach alter Auffassung derGlaube an Christus das Gesetz ab,nachdem Werke den sündigen Menschenerlösten, so malte Claudia Janssenhier e<strong>in</strong> Bild vom damaligen gesellschaftlichenKontext, der Relevanzund Belebung <strong>in</strong> unser abgeblendetesSündenverständnis fließen lässt. Ichempfand den Begriff der „strukturellenSünde“ hilfreich.Danach, so verstand ich es, s<strong>in</strong>dMenschen Funktionsträger,sog.Rädchen im strukturellenGetriebe.Damals war dierömische Weltherrschaftmit se<strong>in</strong>en uns bis heutebee<strong>in</strong>druckenden Bauwerken auf derMöglichkeit von Sklavenarbeit errichtetworden. In Gal 3,28 „Da istnicht Jude noch Grieche, da ist nichtSklave noch Freier, da ist nicht Mannund Frau … denn ihr alle seid e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>Christus Jesus“ ermutigt <strong>Paulus</strong> zumherrschaftsüberw<strong>in</strong>denden Mite<strong>in</strong>ander.Das bezieht sich auf das Verhältnisder Geschlechter zue<strong>in</strong>ander, dasVerhältnis von Armut und Reichtumsowie das zwischen Sklaven und Freien.<strong>Paulus</strong> ermutigt zum gegenseitigenVertrauen. Er spricht von Treue unddem Beg<strong>in</strong>n des Lebens, wenn wir denZugang Christi zum Gesetz nutzenund die Gerechtigkeit tun.Wo bei Luther steht „sie s<strong>in</strong>d allesamtSünder“ (Röm 3,23), übersetztClaudia Janssen <strong>in</strong> der Bibel <strong>in</strong> gerechterSprache „alle haben ja Unrechtbegangen“. Dieses Handeln oderUnterlassen bewertet <strong>Paulus</strong> im S<strong>in</strong>nevon Schulnoten. Nicht „wir s<strong>in</strong>d mangelhaft“,sondern wir „haben mangelhaft“.Das ist unsere Zeugnisnote. Wirs<strong>in</strong>d aber, als auf Christus vertrauende,gerechtfertigt und bekommendie Gerechtigkeit als Geschenk zugesprochen.Wir s<strong>in</strong>d Teilhabende ander Geme<strong>in</strong>schaft mit Gott aufgrundDIE BRÜCKE 1 / 2011


6paulusWer war <strong>Paulus</strong> von Tarsus?E<strong>in</strong>ige Eckpunkte aus der Biographie des <strong>Paulus</strong>.Zur E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> das Themader diesjährigen Studientagekonnten wir e<strong>in</strong> gespieltes Fernseh-Interviewmit dem Apostel <strong>Paulus</strong>erleben. Das war nicht nur unterhaltsamund anregend, es tat auch gut,dem Menschen h<strong>in</strong>ter all den Textenetwas näher zu kommen, bevor mansich mit se<strong>in</strong>en komplizierten Sätzenherumschlägt, über e<strong>in</strong>e besondersunliebsame se<strong>in</strong>er Aussagen ärgertoder sich überraschen lässt, dass ervielleicht diese oder jene Kernaussageganz anders geme<strong>in</strong>t haben könnte,als man sie bisher gelesen hatte. Dennwerden nicht Worte umso erträglicherund verständlicher, je besser man denMenschen, der dah<strong>in</strong>ter steckt, kennengelernt hat?Se<strong>in</strong>e HerkunftDie D<strong>in</strong>ge, die wir von <strong>Paulus</strong> wissen,der eigentlich Saulus heißt, f<strong>in</strong>densich versteckt undverstreut <strong>in</strong> derApostelgeschichteund <strong>in</strong> se<strong>in</strong>enBriefen, vor allemim Galaterbrief.Er ist e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d jüdischer Eltern, gebürtigaus Tarsos <strong>in</strong> Kilikien, e<strong>in</strong>eraltehrwürdigen Prov<strong>in</strong>zhauptstadt,die heute im Süden der Türkei liegt. Erhatte das Bürgerrecht dieser Stadt undwar außerdem römischer Bürger, wasmehrfach bei Verhaftungen e<strong>in</strong>e Rollespielen sollte. Se<strong>in</strong>e Eltern benanntenihn nach Saul, dem ersten König vonIsrael, der wie sie dem Stamm Benjam<strong>in</strong>angehört hatte. Als römischerBürger trug er von Geburt an auche<strong>in</strong>en römischen Be<strong>in</strong>amen: <strong>Paulus</strong>.Die schon sprichwörtliche Wandlung„vom Saulus zum <strong>Paulus</strong>“ fand niekonkret statt – Lukas wechselt <strong>in</strong> derApostelgeschichte vom e<strong>in</strong>en Namenauf den anderen erst Jahre, nachdemsich Saulus den Christen angeschlossenhat. (Apg 13,9)Wie se<strong>in</strong>e Familie <strong>in</strong> den Genussdes römischen Bürgerrechtes gekommenwar, verrät uns weder Lukas noch<strong>Paulus</strong> selbst. Höchstwahrsche<strong>in</strong>lichwar se<strong>in</strong> Vater aus der Sklaverei freigelassenworden und hatte damit dasBürgerrecht von se<strong>in</strong>em vorherigenHerrn „geerbt“. E<strong>in</strong>e solche Familiengeschichtegibt doch Sätzen wie Galater5,1 e<strong>in</strong>en ganz neuen Klang: „ZurFreiheit hat Christus uns befreit! Bleibtdaher standhaft und lasst euch nichtwieder unter das Joch der Sklavereizw<strong>in</strong>gen!“Jugend und AusbildungDie Wandlung „vomSaulus zum <strong>Paulus</strong>“ fandnie konkret statt.Der junge Saulus hat <strong>in</strong> der griechischgeprägten Stadt Tarsos e<strong>in</strong>e gute Ausbildunggenossen, sowohl <strong>in</strong> Sprache,Wissenschaft und Philosophie, alsauch im Handwerk des Zeltmachers.In der Synagoge lernte er jüdische Kultur,Tradition und Theologie kennen.Die Heiligen Schriften las er dabeiaber wohl meist auch auf Griechisch.Vertieft hat er se<strong>in</strong>e Kenntnisse derjüdischen Theologie pharisäischerAusrichtung dann <strong>in</strong> Jerusalem. Diesehatte er so wohl nur dort erhalten können,wo er auch beidem bedeutendenRabb<strong>in</strong>er Gamalielgelernt haben soll,der sich <strong>in</strong> Apostelgeschichte5 für dieFreilassung von Petrus und Johannese<strong>in</strong>setzte.Er selbst zeigte sich nicht so nachsichtiggegenüber der neuen Bewegungund bekämpfte sie erbittert, bisihm vor Damaskus der Auferstandeneerschien und ihn beauftragte, se<strong>in</strong>eBotschaft zu verbreiten. Ob man diesesEreignis nun mit e<strong>in</strong>em vorgeprägtenBegriff „Bekehrung“ nennen will odernicht – Saulus’ Haltung gegenüber demChristentum veränderte sich radikal.Beg<strong>in</strong>n se<strong>in</strong>er MissionZunächst verkündete er Jesus imH<strong>in</strong>terland von Damaskus, ohne irgendwelcheuns bekannten Resultate.Nachdem er <strong>in</strong> Jerusalem mit Petrusund Jakobus, dem leiblichen BruderJesu, zusammengetroffen war, kehrteer <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Heimat nach Tarsos zurückund wirkte dort, bis Barnabas – derihn auch <strong>in</strong> Jerusalem kennengelernthatte – ihn zur Unterstützung <strong>in</strong> dieflorierende Geme<strong>in</strong>de nach Antiochiaholte. Dort – und auch zu Beg<strong>in</strong>n derDer Apostel <strong>Paulus</strong>, wie Albrecht Dürerihn darstellteersten Missionsreise – tritt Saulus alsAssistent und Begleiter von Barnabasauf, doch sollte er im Laufe dieser Reisedurch Zypern und Kle<strong>in</strong>asien die Führungübernehmen und se<strong>in</strong> bisherigerMentor zu se<strong>in</strong>em Begleiter werden.Von nun an blieb er an ke<strong>in</strong>em Ortlänger als zwei Jahre, bereiste die Metropolendes nordöstlichen Mittelmeerraumes,gründete <strong>Geme<strong>in</strong>den</strong> oderunterstützte die, die er vorfand, undstand mit ihnen im Briefkontakt. Se<strong>in</strong>DIE BRÜCKE 1 / 2011


paulus7Gesucht wird: <strong>Paulus</strong>Das LKA NRW erstellte e<strong>in</strong> Phantombild.Ziel dabei war es immer, nach Rom zugelangen, und von dort aus dann nachSpanien zu reisen – bis ans westlicheEnde der Welt, die man damals kannte.Er verstand sich als Heidenmissionarberufen, also als derjenige, derdas Evangelium im besonderen unterNichtjuden verkündigen sollte. Dasbedeutete aber nicht, dass der Jude<strong>Paulus</strong> ke<strong>in</strong>e Kontakte zur jüdischenBevölkerung vor Ort herstellte; zum<strong>in</strong>destteilweise konnte er sie auch immerwieder für den neuen Weg gew<strong>in</strong>nen.Als e<strong>in</strong> Jude, der <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em griechischenUmfeld aufgewachsen war, aber auch<strong>in</strong> Jerusalem gelebt und gelernt hatte,kannte er die unterschiedlichen Weltenbeider Gruppen gut. So f<strong>in</strong>det sichals se<strong>in</strong> vielleicht zentralstes Thema– quer durch se<strong>in</strong>e Briefe – die Beschäftigungmit der Frage, wie Judenund Nichtjuden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samenchristlichen Geme<strong>in</strong>schaft gut zusammenlebenkönnen.Die Wege führen nach RomMehrfach wurde er verhaftet, undschließlich nach Rom gebracht – wieLukas es uns schildert, geschah dasgeradezu absichtlich: Er reiste nachJerusalem, obwohl er dort mit e<strong>in</strong>erVerhaftung rechnete, und berief sichals römischer Bürger auf das Urteildes Kaisers. Somit reiste er als Gefangenerauf Staatskosten endlich nachRom. Dort wirkte er weiter für dasEvangelium, während er auf se<strong>in</strong>enProzess wartete.Ob er im Anschluss an die zwei Jahre<strong>in</strong> Rom starb, von denen Lukas imletzten Satz der Apostelgeschichte berichtet,oder noch e<strong>in</strong>mal frei kam undweitere Reisen, auch nach Spanien,unternahm, ist e<strong>in</strong> umstrittenes Thema.E<strong>in</strong>ig ist man sich aber dar<strong>in</strong>:<strong>Paulus</strong> wurde letzen Endes wegen se<strong>in</strong>erVerkündigung zum Tode verurteiltund <strong>in</strong> Rom h<strong>in</strong>gerichtet.Heiko PrasseHasselbachE<strong>in</strong> Mitarbeiter aus dem Bereich „Visuelle Fahndungshilfen“des Landeskrim<strong>in</strong>alamtes NRW (LKA NRW)erstellte e<strong>in</strong> ganz besonderes Phantombild, mit dem ausnahmsweisemal nicht nach der abgebildeten Person gefahndetwird.Die dargestellt Person wurde etwa zwischen 7 und 10 n.Chr. <strong>in</strong> Tarsus geboren und etwa 64 – 67 n. Chr. <strong>in</strong> Romh<strong>in</strong>gerichtet. Es handelt sich um den Apostel <strong>Paulus</strong> vonTarsus, so wie er nach historischer Quellenlage ausgesehenhaben könnte.Wie kam es zu diesem besonderen Phantombild? Anfang2008 wandte sich der Buchautor und Historiker MichaelHesemann aus Düsseldorf an das LKA NRW und bat um„Amtshilfe“ der besonderen Art.Er ersuchte die Experten der „Visuelle Fahndungshilfen“um erneute Unterstützung für e<strong>in</strong> neues Buchprojekt,nämlich die Erstellung e<strong>in</strong>es Phantombildes des Apostels<strong>Paulus</strong> von Tarsus. Bereits 2003 hatte e<strong>in</strong> LKA-Expertedem Autor Michael Hesemann mit der Anfertigung e<strong>in</strong>esPhantombildes des Apostels Petrus geholfen. Dieses Bildist <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Buch „Der erste Papst, Archäologen auf derSpur des historischen Petrus“ abgedruckt.Im Februar 2008 wurde nun anlässlich e<strong>in</strong>es Besuchesvon Michael Hesemann im LKA NRW nach se<strong>in</strong>en Angabendas fiktive Bild des <strong>Paulus</strong> von Tarsus angefertigt. Vorlagenwaren Zeichnungen, Beschreibungen und Bilder, die diehistorische Person des <strong>Paulus</strong> von Tarsus darstellten.Das Buch „<strong>Paulus</strong> von Tarsus. Archäologen auf denSpuren des Völkerapostels“ ist Anfang April 2008 zum<strong>Paulus</strong>-Jahr (28. Juni 2008 – 29. Juni 2009) erschienen.(LKA NRW)DIE BRÜCKE 1 / 2011


DIE BRÜCKE | Wollgrasweg 3d | 22417 HamburgC 13593 E | PostvertriebsstückEntgelt bezahlt | Deutsche Post AGFrieden ist VergebungFrieden ist VergebungfriedensfotoFoto: privatAnlässlich e<strong>in</strong>er Besuchsreise imOktober diesen Jahres mit e<strong>in</strong>erkle<strong>in</strong>en Delegation von Church andPeace <strong>in</strong> Serbien, im Kosovo und <strong>in</strong>Kroatien hatten wir e<strong>in</strong>e Verabredungmit Jeton, dem jungen albanischenPrediger e<strong>in</strong>er christlichen Geme<strong>in</strong>de<strong>in</strong> Djakova im Westen des Kosovo. Wirtrafen uns <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Café im Stadtpark.Wir wussten wenig von Jeton.Die Begegnung mit ihm war uns vone<strong>in</strong>er langjährigen Freund<strong>in</strong> aus demKosovo empfohlen worden, die vonunserem Wunsch wusste, Kontaktemit Friedensarbeitern ihres Landeszu knüpfen. Wir ahnten nicht, welchhohen Stellenwert diese Verabredungfür Jeton hatte. Nachdem wir Getränkebestellt hatten, lernten wir e<strong>in</strong>anderkennen. Bald vertraute er uns an, dassdie Begegnung mit uns und vor allemmit Branka aus Novi Sad für ihn e<strong>in</strong>eGebetserhörung war.Er war noch jugendlich, als 1999 achtMitglieder se<strong>in</strong>er Familie, darunterse<strong>in</strong> Vater, bei den Gräueltaten gegendie kosovo-albanische Bevölkerung vorund vor allem nach dem Angriff derNATO gegen Serbien getötet wurden.Er er<strong>in</strong>nert sich daran, wie er kurz vorse<strong>in</strong>er Flucht nach Albanien zusehenmusste, wie das Haus se<strong>in</strong>er Familiezerstört wurde. Nach der Rückkehr<strong>in</strong> den Kosovo erhielt se<strong>in</strong>e Familiebei der Wiedererrichtung des HausesUnterstützung von e<strong>in</strong>er evangelischenHilfsorganisation, und Jeton entdecktedie Bibel und den Glauben an JesusChristus.Doch se<strong>in</strong> Hass auf die Serben, diese<strong>in</strong>e Familie und vor allem se<strong>in</strong>enVater getötet hatten, fraß ihn auf. „Ichkonnte es nicht ertragen, ihre Sprachezu hören, nicht e<strong>in</strong>mal ihre Musik...“,er<strong>in</strong>nert er sich. Im Bewusstse<strong>in</strong> desWiderspruchs zwischen se<strong>in</strong>em Glaubenund se<strong>in</strong>em tiefen Groll führteer e<strong>in</strong>en langen <strong>in</strong>neren Kampf undschließlich gelang es ihm, zu vergeben.Seitdem wünschte er sich sehnlichst,Serben zu begegnen. Als er auf unswartete, wusste er nicht, dass se<strong>in</strong>Wunsch an diesem Morgen <strong>in</strong> Erfüllunggehen würde. Und Branka, bereitserschüttert von allem, das sie seitunserer Ankunft im Kosovo erfahrenhatte, war genauso wenig auf diesenAugenblick vorbereitet.Es gibt Tage, an denen es sche<strong>in</strong>t, alskönne man Geschichte anfassen. Nichtweil man Zeuge von spektakulärenEreignissen wird, die zu Schlagzeilenwerden. Eher weil etwas Unvorhergesehenesund Tiefgründiges vor unserenAugen geschieht, e<strong>in</strong>e unwahrsche<strong>in</strong>licheBegegnung, e<strong>in</strong> Knoten, der sichlöst, e<strong>in</strong>e neue Sichtweise auf etwas, dasman für wahr hielt, e<strong>in</strong> Wort, das denWeg zum verme<strong>in</strong>tlich Unmöglichenund Unverhofften öffnet. Es war e<strong>in</strong>solcher Augenblick, kostbarer als alleanderen, den wir an jenem Morgenerlebten.Marie-Noëlle von der ReckeSchöffengrundDIE BRÜCKE 1 / 2011

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