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Weltenei“ von H. S. Panneke

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29.07.09Translation of the Russian language statement of the international observer mission ENEMO on theearly parliamentary elections in the Republic of Moldova.ENEMO, the international observation mission during the snap Parliamentary elections in theRepublic of Moldova, officially announced the mission refuses to internationally monitor theelections in the Republic of Moldova. The Mission states that the conditions that were set by theauthorities of the country, make it impossible to perform a full monitoring effort. In addition todiscouragement from the authorities, the observers from ENEMO were threatened by unknownpersons of a criminal appearance. In this situation the Mission could not guarantee the safety of itsobservers including the ones accredited and were forced to bring their work to an end.As a result of its efforts ENEMO notes:• The higher bodies of Moldova authorities (the Ministry of Interior, the CentralElection Commission, the immigration police) exceeded their authority, violatednational legislation, and international norms and standards for democratic elections.• The authorities of the Republic of Moldova purposefully created conditions to discreditthe electoral process and undermine public confidence in the election results.• In addition to discourage international observers, cases of unjustified refusal inaccreditation of observers from other organizations by the Moldovan CEC were alsonoted.• The pre-observation effort of ENEMO showed that the Republic of Moldova hasserious problems in conducting elections according to the national and internationallaws.• Despite the actions of the authorities to create a negative image of internationalobservers, the public opinion in Moldova supported the implementation of theinternational monitoring efforts of the electoral process. Moldovan society seeksfairness and transparency of the electoral process.On July 22, the Central Election Commission of Moldova took the decision to invite theinternational election observation mission ENEMO (European Network of Election MonitoringOrganizations). 140 activists from non-governmental organizations of 12 countries agreed toparticipate in the observation mission. In tight timeframes the Mission to Moldova was able to fullycomply with all deadlines according to the national law on submitting accreditation documents.However, the Central Election Commission formally, without justification and explanation refusedto accredit most of the ENEMO observers. Only 53 out of 140 observers received the official statusas international observers. The Head of the Mission Sergei Tkachenko was denied accreditation.


2bereits auf den ersten Blick den perfekten Gegensatz zu seinem Gegenüber.Es war ihm anzusehen, dass er die Zugfahrt in keiner Weise genoss und sichsein Ärger mit jedem Wippen <strong>von</strong> Elgins Fuß vermehrte.Entspann Dich, Pim.“ Elgin nahm die Kopfhörer aus den Ohren, ohne”den MP3-Player auszuschalten. Wir sind hier praktisch im Urlaub. Keine”Bücher, keine Studenten, keine Sprechstunde und keine Forschung. Was willman mehr?“Pims blasse Wangen färbten sich rötlich vor Ärger. Ich würde selbst den”dümmsten Studenten dieser Reise vorziehen. Und wenn ich Lars zum 35tenMal erklären muss...“Elgin verdrehte die Augen. Du solltest Dich freuen, mal wieder die Heimatzu besuchen.“”Pah.“ Pim wandte seinen Blick zum Fenster.”Elgin sah zur anderen Seite und zu der älteren Dame, die mit den beidenMännern im Abteil saß. Ich würde mich freuen, wenn ich einmal wieder”nach Hause kommen könnte.“Sie lächelte warm. Wo sind Sie denn her?“”Spanien“, antwortete er.”Pim kniff die Lippen unwillig zusammen. Elgin schüttelte über den anderenden Kopf. Er genoss es, wieder in der alten Welt zu sein, auch wenn erseinen Drachen in Weltenei hatte zurücklassen müssen. Ein Drache in einemRegionalexpress hätte sicherlich für einige Aufregung gesorgt. Wobei hier inDeutschland eher zu erwarten stand, dass Elgin mit einem Kontrolleur wegeneines Haustier-Fahrscheins hätte diskutieren müssen. Magie würde sich hierwohl der Bürokratie genauso beugen müssen wie alles andere.Ach, Spanien“, sagte die alte Dame neben Elgin, die sich einen Drachen”wohl genauso wenig vorstellen konnte wie den Ort, an welchem Elgin ihnzurückgelassen hatte. Mein Mann und ich waren früher oft im Urlaub in”Spanien.“ Sie seufzte in Gedanken und musterte Elgin kurz. Sind Sie hier”im Urlaub? Sie sagten zu Ihrem Begleiter so etwas...“Elgin schüttelte den Kopf. Mein Kollege und ich sind Dozenten an einemInternationalen Eliteinternat in Frankreich. Wir haben einen Termin”an einer Grundschüle, um mögliche Stipendiaten zu prüfen.“Oh.“ Die Frau wirkte beeindruckt.”Elgin musste unwillkürlich erneut schmunzeln. Vermutlich wäre sie nochmehr beeindruckt, hätte er ihr gesagt, dass diese Internationale Eliteschule inWirklichkeit auf den Namen Weltenei hörte, eine magische Universität warund nicht in dieser Welt lag. Allerdings verhinderte genau dieselbe Magie,


die sie dort erforschten und lehrten, dass Elgin in der alten Welt gegenübereinem Nicht-Eingeweihten da<strong>von</strong> sprechen konnte. Genauso wenig, wie erhätte sagen können, dass er und Pim keine Stipendiaten suchten, sondernangehende Magier für die neue Welt.Es gibt Menschen, die sagen, dass es die Schönheit <strong>von</strong> Weltenei ist, welchediejenigen, welche die Festung zum ersten Mal vom Meer her sehen, allesvergessen lässt. Andere sagen, es wären die Unmengen an Magie, welche dieMauern der Inselburg gespeichert haben. Wieder andere spekulieren, dass esein Zauber ist, der um die gesamte Insel verläuft und die Erinnerung an ihrLeben und ihre Herkunft aus den Köpfen all jener auslöscht, die noch nie dieQuelle der Welt gesehen haben, kein Seelentier besitzen und <strong>von</strong> der Magienicht mehr in sich tragen als einen noch nicht entzündeten Funken.Teese hatte später oft versucht, sich an ihre erste Überfahrt in den kleinenRuderbooten zu erinnern und den Zeitpunkt auszumachen, an welchem sichihr Leben geändert und sie vergessen hatte. Sie war sich sicher, dass sie nochan ihre Eltern und ihre Schwester gedacht hatte, als sie mit den anderenKindern in eines der Boote geklettert war. Da war sie noch ein ganz normaleskleines Mädchen <strong>von</strong> gerade einmal neun Jahren gewesen, das nicht verstand,warum es auf ein Eliteinternat im Ausland gehen musste.Dann hatten die Boote abgelegt und sie hatte nach vorne gesehen zu derInsel mit dem gewaltigen Turm, welcher in den Himmel ragte und dessengoldenes Dach mit einem Engel gekrönt war. Von den Booten aus war kaumgenau auszumachen, was er in der Hand hielt und der Sonne entgegenstreckte,so dass nur noch seine Zehenspitzen das Dach berührten.Teese hatte den Engel in seinem glänzenden Gold bewundert, welcherauf dem gewaltigen Turm ihrer neuen Schule thronte. Er schien über alleszu strahlen wie eine zweite Sonne und warf sein Licht auf die Mauern derumliegenden Gebäude aus ihrem grauem Stein.Der Turm bildete die Spitze eines Burgbergs, an dessen Hang sich reihumkleinere Häuser schmiegten, die nach oben größer und prächtiger wurden.Den Turm selbst umgaben Gebäude, die kleine Türmchen trugen und Erkeraufwiesen sowie große, hohe Fenster, deren Scheiben im Sonnenlicht schimmertenwie Silber.Das ist so schön“, sagte das kleine Mädchen, das neben Teese im Boot”saß und wie sie nach vorne saß. Wie aus einem Märchenbuch.“”Teese nickte eifrig. Die Gebäude auf der Insel vor ihr sahen wirklich auswie ein Märchenschloss. Und aus einem Märchen mussten auch die Pferde3


4stammen, die Teese nun in der Luft sehen konnte. Zwei schwarze Pferde mitweißen Flügeln flogen mit gleichmäßigen Flügelschlägen rechts vom Turmhinauf in den Himmel, drehten bei und flogen über die Köpfe der Kinder imBoot hinweg.” Waaahnsinn.“Das Mädchen neben Teese war aufgesprungen und streckte ihre Handaus, als wolle sie die fliegenden Pferde berühren. Das Ruderboot schaukelteunvermittelt heftig.Der Mann, welcher hinten im Boot saß und die Ruder führte, rümpfteverächtlich die Nase. Setz Dich hin, Mädel. Hab’ keine Lust, Dich hier aus”dem Meer zu fischen und Ärger mit den Magistern zu bekommen.“Was sind das für Pferde?“, wollte Teese wissen, welche den geflügelten”Rappen staunend nachsah. Auf ihnen hatten zwei Reiter in dunklen Umhängengesessen als wären die Pferde nicht in den Lüften geflogen, sondern über einenReitplatz getrabt.Flügelpferde“, knurrte der Mann am Ruder und zog die Riemen durch.”Und was sind Flügelpferde?“, wollte Teese wissen. Sie war sich sicher,”niemals derartige Tiere gesehen zu haben. Sie sah zu den übrigen Booten,in welchen andere Kinder in den Himmel zeigten und die Pferde am Himmelbewunderten. Doch die Ruderer in den restlichen Booten waren <strong>von</strong> denTieren genauso wenig beeindruckt wie der Mann in Teeses Boot.Pferde mit Flügeln“, sagte er nur und schwieg.”Das andere Mädchen setzte sich mit einem breiten Grinsen und wandteihren Kopf zu Teese. Pferde mit Flügeln“, wiederholte sie mit gespielt ernster”Mine, den Mann nachäffend. Dann kicherte sie.Teese grinste zurück. Das Mädchen war ein wenig kleiner als sie, rechtrundlich und hatte ein fröhliches Gesicht. Ihre Haut war hell mit einem bronzefarbenenEinschlag und ihre Augen waren mandelförmig, wie bei Asiatenüblich. Ihre schwarzen Haare waren zu zwei Schnecken auf dem Kopf zusammengestecktund mit blauen Seidenschleifen versehen. Teese entschied,dass das Mädchen sicherlich aus China stammen musste, auch wenn sie ihreSprache sprach.Teeses neugierig musternde Blicke waren dem anderen Mädchen nichtentgangen und es nestelte an einer ihrer Seidenschleifen. Wie heißt Du?“,”wollte sie <strong>von</strong> Teese wissen.Teese. Und Du?“”” Liina.“Die beiden Mädchen grinsten sich in stummen Einvernehmen an und der


Ruderer verdrehte gequält die Augen. Kinder waren schlimm genug, aberMädchen kaum erträglich, vor allem Mädchen wie diese. Hätte er etwas zusagen, würden sie auf dem Festland bleiben und sich im Haus und auf demFeld nützlich machen, anstatt nach Weltenei berufen zu werden. Mädchengehörten nicht an eine Schule, das war seine Ansicht, aber die Magier sahendas wohl anders.Guck mal, da ist ein Drache“, stieß Liina Teese mit dem Ellenbogen”sacht in die Seite.” Wo?“Teese machte große Augen und wandte ihren Blick in die Richtung, inwelche Liina sah und gleich darauf auch mit der Hand deutete. Na, da.“ ”Die Ruderboote hielten auf eine Mole mit einer breiten Kaimauer zu, anderen Ende ein mächtiges, rotgeschupptes Wesen saß. Es war so groß, dassseine krallenbewehrten Füße Mühe hatten auf der für den Drachen schmalenKaimauer das Gleichgewicht zu halten. Sein Körper war massig und der Kopfgewaltig.So riesig“, hauchte Liina neben Teese. Die Chinesin klatschte begeistert”in die Hände. Wenn der kein Glück bringt, weiß ich auch nicht.“”Teese sah das gewaltige Wesen mit staunender Ehrfurcht an. Der Drachewar unglaublich groß. Sicherlich war er größer als eine Elefant. Wie riesig erwar, konnte man an dem schlaksigen, jungen Mann sehen, der neben ihmstand, <strong>von</strong> dem Drachen anscheinend vollkommen unbeeindruckt.Der junge Mann trug eine dunkle Robe und darüber eine schmale Schärpein strahlendem Blau quer über den Oberkörper. Die Schärpe verrutschteleicht, als der Mann die Hand hob und dem vordersten Boot winkte, rechts<strong>von</strong> ihm anzulegen.Alles in Ordnung, Wiedeland?“, rief seine Stimme über das Wasser zu”den Booten.Der Ruderer in Teeses und Liinas Boot zog die Ruder ein und formte mitseinen Händen einen Trichter vor dem Mund. Alles in Ordnung, Magister”Elgin.“Liina presste ihre Schulter gegen Teese, um an dem Mann am Rudervorbei sehen zu können. Ist das einer unserer Lehrer?“, wollte sie neugierig”wissen.Er ist ein Magister.“ Wiedeland griff wieder nach den Rudern. Die Boote”glitten über das Wasser zu der Kaimauer.Der rote Drache reckte seinen langen Hals über die Boote und musterteneugierig die Kinder, die zum Teil recht ehrfurchtsvoll neben dem gewaltigen5


6Tier die Insel betraten. Teese erhaschte kurz einen Blick aus orangefarbeneAugen, die wie Flammen loderten.Wo der Feuer hinspuckt, brennt alles nieder“, kommentierte ein dunkelhäutigerJunge, der hinter Teese auf die Kaimauer kam.”Bring ihn bloß nicht auf dumme Gedanken“, murmelte ein kleiner, schmächtiger”Junge, der mit ihm in einem Boot gewesen war.Ha, hast Du etwa Angst, Seth?“, wollte der dunkelhäutige Junge herausforderndwissen.”Seth zuckte mit seinen schmalen Schultern. Und wenn?“”” Quatsch“, mischte sich Liina ein. Drachen bringen Glück. Die brennen”gar nichts nieder.“Denkst Du“, hielt der dunkelhäutige Junge dagegen.”Seth schwieg und huschte an Teese vorbei zu dem Magister mit seinerblauen Schärpe, der die Schüler zu sich gerufen hatte. Teese folgte demschmächtigen Seth, während Liina mit dem dunkelhäutigen Jungen stritt,ob Drachen nun Glück brachten oder Seuchen und Zerstörung.Teese hoffte, dass niemand auf dieser Insel Drachen halten würde, dieFeuer spucken oder Menschen mit ihrem Atem vergiften konnten – und sievielleicht anschließend noch verspeisten. Sie sah mehrmals über ihre Schulterzu dem Drachen, der am Ende der Kaimauer saß und den Kopf schief gehaltendie Kinder betrachtete. Hungrig wirkte sein Blick jedoch kaum, eherneugierig.” Willkommen.“Teese wäre beinahe in Magister Elgin hinein gelaufen, weil sie zurück zudem Drachen gesehen hatte und nicht nach vorne. Sie blieb eilig stehen. DieKinder scharten sich um den Mann in der dunklen Robe.Willkommen auf Weltenei.“ Der schlaksige, junge Magister machte mit”seinen Armen eine weit ausholende Bewegung. Ich begrüße Euch alle als”zukünftige Studenten. Ich bin Magister Elgin und als jüngster unter denMagistern ist es meine Aufgabe, Euch in den ersten Tagen mit Rat und Tatzur Seite zu stehen.“Er überblickte die Schar der Kinder und schien sie stumm abzuzählen.Sein Blick glitt noch einmal zu den Booten und Teese bemerkte, dass Wiedeland,der Ruderer, in seine Richtung mit den Schultern zuckte. Fehlte jemand?” Nun“, beeilte sich Magister Elgin fortzufahren, als erstes werden wir”zum Pförtner gehen, wo Ihr Eure Sachen in Empfang nehmen werdet. Fürjeden <strong>von</strong> Euch gibt es Schulroben, so dass Ihr Kleidung, die Ihr eventuell


mitgebracht habt, hier nicht braucht. Alle Dinge, die Ihr nicht benötigt, bleibenbeim Pförtner hinterlegt, bis Ihr in den Ferien wieder nach Hause fahrt.Das gilt vor allem für Dinge, welche auf Weltenei verboten sind. Was erlaubtist, bekommt Ihr gleich ausgehändigt und könnt es mit in Eure Häusernehmen.“Die Gruppe setzte sich in Bewegung noch während der schlaksige, jungeMagister sprach. Liina beugte sich zu Teese. Was für Sachen sind denn”verboten?“, wollte sie wissen.Teese zuckte mit den Schultern. Sie hatte keine Ahnung. Sie wusste imMoment nicht einmal genau, was sie eingepackt hatte. Sie würde einfachsehen, was man ihr geben würde und später nachdenken, ob etwas fehlte.Die Gruppe folgte einem Weg aus Kopfsteinpflaster den Berg hinauf.Schon <strong>von</strong> weitem konnte man ein steinernes Tor sehen, hinter welchem sichunzählige Häuser rechts und links der Straße drängten. Vor dem Tor standein kleines, windschiefes Gebäude mit hellblauen Fensterläden. Die Tür standoffen und ein älterer Mann mit Glatze lehnte mit verschränkten Armen imTürrahmen. Er trug eine grüne Schärpe um den Körper, welche bis auf dieFarbe jener des Magisters glich.Ihm gegenüber lungerten einige ältere Kinder in dunklen Umhängen ander Mauer, welche die Inselburg umgab. Sie musterten die Neuankömmlingevollkommen ungeniert und waren anscheinend nur hierher gekommen, umeinen Blick auf sie zu erhaschen. Auch sie trugen Schärpen, einige weiß,einige rot und einer eine orangefarbene.Teese fiel der Junge aber nicht nur deswegen auf, sondern auch weil er vorden anderen stand, als wäre er eine Art Anführer. Er hatte lange, hellblondeHaare, die zu seinem Zopf gebunden waren und graublaue Augen, welche dieGruppe abschätzend musterte.Hier geht’s rein“, wies Magister Elgin da<strong>von</strong> unbeeindruckt seine Schar”zu dem Haus mit dem kahlen Mann. Morgen, Rehan.“”Morgen Magister“, erwiderte Rehan und machte den Kindern Platz.”” Dann mal rein mit Euch.“ Er blieb hinter der Tür stehen. Eure Sachen”sind schon angekommen. Sucht Euch einfach die Truhe mit Eurem Namen.“Uff, dann sucht mal“, entfuhr es dem dunkelhäutigen Jungen, der mit”Seth hinter Liina und Teese stehen geblieben war.Teese sah über die unzähligen Reihen an Truhen, welche im Raum standenund jeweils ein goldenes Schild besaßen, in welches der Name des Besitzerseingraviert worden war. Allerdings waren es weitaus mehr Truhen als sieKinder waren.7


8Wem gehören die alle?“, wollte Liina ungläubig wissen.”Sicher den älteren Schülern“, mutmaßte Teese.”Toll und welche sind unsere?“ Die kleine Chinesin wirkte nicht sonderlich”begeistert <strong>von</strong> der Vorstellung, die Reihen abzusuchen.Der dunkelhäutige Junge grinste breit. Wollen wir wetten, dass Seth und”ich unsere Truhen gefunden haben, bevor Ihr Eure habt?“Schon verloren“, ging Liina eifrig darauf ein und eilte auf die erste Truhe”zu.Teese schloss sich ihr notgedrungen an und auch die beiden Jungen machtensich auf die Suche nach ihren Truhen, so wie die anderen Kinder auch.Nach den ersten beiden Reihen verschwammen die Buchstaben auf den goldenenSchilchen an den Truhen bereits vor Teeses Augen. Die Namen klangenalle so fremd in ihren Ohren und die Buchstaben wirkten so ungewohnt, wiesie aneinander gesetzt waren: Ezzo, Nabi, Ro, Elgin...Elgin? Teese wandte den Blick zurück zu dem Magister mit der blauenSchärpe, der neben dem kahlköpfigen Rehan stand und ein Stück an ihrvorbei zu einigen Truhen sah, an welchen ein junger Inder vorbei ging unddabei jedes Schild genau studierte. Ob diese Truhe hier wohl dem Magistergehörte?Ich habe meine.“”Triumphierend deutete der dunkelhäutige Junge auf eine Truhe, die derkleine Inder gerade passiert hatte. Teese folgte ihm neugierig, um die in goldgravierte Namensplatte lesen zu können, bevor der Junge die Truhe öffnete.Fenn.Teeses Herz machte erfreut einen Satz, als sie ihren eigenen Namen aufder Truhe daneben lesen konnte. Ich meine auch“, strahlte sie erfreut.”Doch bevor sie dazu kam, ihre Truhe zu öffnen, kam Liina auf sie zugelaufen,einen Stapel Kleidung und einen Stoffbeutel an sich gedrückt. Ich ”habe sie gefunden und Du?“Ich auch.“”” Gewonnen.“Die beiden Mädchen kicherten und wandten sich Fenn zu, der vom Inhaltseiner Truhe aufsah und die Nase rümpfte. Seth, was ist mit Dir?“”Der schmächtige Junge stand ein wenig ratlos in der nächsten Reihe <strong>von</strong>Truhen und zuckte etwas hilflos mit den Schultern.Der wird seine Truhe nie finden“, mischte sich eine Stimme hinter Teeseund Liina ein, so dass die Mädchen überrascht herumfuhren. Der”Junge


mit dem blonden Zopf und der orangefarbenen Schärpe stand dort mit verschränktenArmen, während seine Freunde sich ein Stück hinter ihm herumdrückten.Sicher kann er nicht einmal lesen, so wie er aussieht. Wenn man”schon Seth heißt, kann das doch nichts Ordentliches werden.“Ach ja?“, wollte Fenn herausfordernd wissen, während Seth betroffen”schwieg.Der blonde Junge kam näher und sah auf das Schild <strong>von</strong> Fenns Truhe.Na klar. Genausowenig wie bei Dir. Fenn. Bei dem Namen wir auch aus Dir”später Nichts, wenn Du überhaupt im nächsten Jahr wiederkommst.“Was hat denn der Name damit zu tun, was man kann und wie gut man”in der Schule ist?“, wollte Liina mit verkniffenem Gesicht wissen.Teese schüttelte energisch den Kopf. Gar nichts hat ein Name damit zu”tun“, sagte sie. Der blonde Junge ärgerte sie, so wie er vor allem auf Sethherumhakte, der doch ohnehin schon recht schüchtern und zurückhaltendwirkte. Teese hatte das Gefühl, ihn in Schutz nehmen zu müssen, wenn ersich schon nicht selbst gegen dieses grundlose Gestichel zur Wehr setzte.Sagt wer?“, wollte der blonde Junge wissen und sein Blick verriet, dass”er <strong>von</strong> Teese auf Anhieb nicht besser dachte als <strong>von</strong> Seth und Fenn. Du ”siehst so aus, als hättest Du hier noch nicht mal eine Truhe.“Doch, die habe ich.“ Teese begann sich wirklich ein wenig aufzuregen.”Wie konnte man nur so unverschähmt sein? Das da ist meine.“”” Genau“, kam ihr Liina zu Hilfe. Da steht ihr Name drauf. Teese.“”Unvermittelt war es still. Der blonde Junge schwieg. Und das Grinsenverschwand <strong>von</strong> den Gesichtern seiner eben noch hämisch wirkenden Freunde,die sich hinter ihm herumdrückten und bis eben sichtlich darüber amüsierthatten, wie er auf den beiden kleineren Jungen herumgehackt hatte.Gibt es ein Problem?“, brach die Stimme des kahlen Mannes mit der”grünen Schärpe die Stille. Rehan war zu der Gruppe gekommen und musterteTeese, Liina und Fenn kurz, um dann zu dem blonden Jungen zu sehen. Hast ”Du hier etwas zu erledigen, Timar?“Der Junge zog beinahe demonstrativ seine Schärper zurecht. Ich begleite”Faraas, der etwas aus seiner Truhe abholen will.“Rehan sah über Timars Kopf hinweg zu den Jungen, die sich hinter ihmherumdrückten. Hast Du gestern etwas vergessen?“”Einer der Jungen nickte. Ein Buch. Fiel mir erst vorhin auf.“”” So, ein Buch.“ Rehan wirkte nicht sehr überzeugt. Dann gehen wir doch”mal zu Deiner Truhe.“9


10Wohl oder übel folgten ihm die Jungen in eine der hinteren Reihe. Timarzögerte kurz und schloss sich ihnen dann an. Allerdings nicht, ohne sich nocheinmal zu Teese zurück zu wenden. Denk bloß nicht, dass mich Dein Name”irgendwie beeindruckt, Einsilber-Freundin.“Einsilber-Freundin?“, wiederholte Teese, während Timar sie stehen ließ.”Ein totaler Idiot“, entschied Liina laut genug, dass es der Junge noch”hören musste.Aber so was <strong>von</strong> ein totaler Idiot“, stimmte Fenn ihr zu. Er nahm sich”aus seiner Truhe seine Robe und einen Stoffbeutel, wie ihn auch Liina schonin der Hand hatte. Vergiss den Depp, Seth. Ich helfe Dir beim Suchen.“”Ich auch.“ Liina düste den Jungs hinterher.”Teese sah ihnen kurz nach und öffnete dann ihre Truhe. ’Einsilber’, dachtesie. ’Seth und Fenn. Beide Namen haben nur eine Silbe.’ Aber was für einenUnterschied sollte das machen? Das war doch absoluter Blödsinn.Teese verdrängte den Gedanken und sah in ihre Truhe. Die große Kistewar mit einer Trennwand in einen rechten und einen linken Teil aufgeteilt.Ein Zettel hing an der hinteren Wand in jedem der beiden Segmente. Linksstand ’Freigegeben’ und rechts stand ’Nicht zugelassen’. Im rechten Fachlag ein Stoffbeutel, dessen Inhalt man kaum erahnen konnte sowie TeesesKleidung, eine Cordhose und eine Jeans, ein paar Blusen und T-Shirts, einSommerkleid und drei Paar Schuhe.Im linken Fach lag eine Roben, die wohl die übliche Kleidung hier aufWeltenei war, sowie mehrere weiße Kleidungsstücke, zwei paar Schuhe, dreiBücher und ein weiterer Stoffbeutel. Teese warf einen kurzen Blick hinein,bevor sie ihre ’freigegebene’ Sachen herausnahm. Sie erhaschte einen Blick aufeinen Packen Buntstifte, einen Jojo und Dinge wie Zahnpasta, Haarbürsteund ähnliche Gebrauchsgegenstände.Das Mädchen balancierte den Stapel mit ihren Sachen konzentriert aufeiner Hand und schloss ihre Truhe wieder. Dann sah sie sich nach Liina undden beiden Jungen um. Sie entdeckte Seth, der mit einem Stapel Kleidungauf dem Arm eine Reihe entlang lief. Offensichtlich hatte auch er seine Truhegefunden, wenngleich er keinen Stoffbeutel mit persönlichen Dingen dabeihatte.” Oh, je“, sagte Teese mitfühlend, als er sie passierte. Sind Deine anderen”Sachen nicht freigegeben worden?“Seth sah nur kurz auf. Stimmt schon“, nuschelte er und beeilte sich”weiter zu kommen.Fenn, der ihm folgte, verzog sein Gesicht, als wäre ihm jemand auf den


Fuß getreten. Knapp daneben“, steckte er Teese, während er mit seinen”Sachen versuchte, zu Seth aufzuschließen.Teese sah fragend zu Liina, die in gemächlicherem Tempo folgte und einwenig besorgt aussah. In der Truhe waren sonst keine Sachen“, erklärte sie”Teese. Ich glaube, er hat so was wie ’andere Sachen’ gar nicht mitgebracht.“”Du meinst, er hatte nichts dabei?“”Liina zuckt mit den Schultern. Scheint so.“”Teese dachte darüber nach, als sie zurück zu den anderen gingen. Manging doch nicht auf eine neue Schule und schon gar nicht auf ein Internat,ohne irgendetwas mitzubringen. Sie musterte Seths Kleidung, die jetzt, dasie genauer hinsah, recht schäbig wirkte. Ein dünnes, karriertes Hemd undeine verwaschene, helle Jeans, deren Risse am Knie Teese auf den erstenBlick für einen modischen Gag gehalten hatte. Doch vermutlich waren dieRisse einfach dort, weil die Kleidung abgetragen war, denn auch die braunenSchuhe wirkten ziemlich abgewetzt.Alle anderen Kinder waren jedenfalls deutlich besser gekleidet. Sicherwar das auch ein Grund gewesen, warum der blonde Junge gleich auf Sethherumgehackt hatte. Sie konnte sich gut vorstellen dass er so einer <strong>von</strong> der’Ich bin besser als Du’-Sorte war.Habt Ihr alle Eure Truhen gefunden?“, erkundigte sich Magister Elgin,”als Teese und Liina als eine der letzten wieder eintrudelten. Dann sehen”wir mal zu, dass Ihr alle Eure neuen Häuser zugewiesen bekommt und Euchein wenig einrichten und natürlich umziehen könnt, bevor Ihr Eure Schärpenbekommt.“Der Magister ging den Kindern voran aus dem Haus des Pförtners undzurück auf die Straße. Teese konnte die Spitze eines roten Drachenschwanzessehen, die ein Stück weiter oben um eine Kurve des Kopfsteinpflastersverschwand.Die Gruppe folgte dem Drachen durch ein gemauertes Portal, das den Eingangzu dem Bereich der Wohnhäuser darstellte. Die Straße war erstaunlichbreit und gut gepflastert. In einigen Abständen waren eine handvoll breiterStufen angelegt, so dass sie Straße mit einer sanften Steigung spiralförmigauf den Inselberg hinauf führte, sicherlich bis ganz hinauf zu dem Turm mitdem goldenen Engel auf seiner Spitze, den Teese <strong>von</strong> ihrem Ruderboot ausbereits bewundert hatte.Die ersten Häuser hinter dem Portal waren Gasthäuser, eine Post undsteinerne Gebäude ohne Fenster, die Teese für Lager hielt. Dahinter begannendie Wohnhäuser, schmale Steinbauten mit hölzernen Fensterläden und11


12hellblauen Türen. Die meisten der Häuser waren sehr schmal und recht hoch.Nachdem sie einige dieser Häuser passiert hatten, blieb Magister Elginstehen und las sechs Namen vor. Er ließ die Kinder vortreten und erklärteihnen, dass sie hier während des Schuljahres wohnen würden. In Magister”Tyras Haus.“ Er klopfte an der Tür.Sie wird so etwas wie Eure Mutter sein, bis Ihr alt genug seid, um ein”Zimmer im Magieturm zu bekommen. Wenn Ihr Fragen habt, wendet Euchimmer vertrauensvoll an sie, geht ihr aber nicht auf die Nerven. MancheMagister haben nämlich immer viel zu tun und brauchen viel Ruhe für ihreStudien.“ Der schlaksige junge Mann schmunzelte, während sich die Türöffnete und eine Frau mit kurzen, braunen Haaren heraustrat.Ach, schon da?“, wollte sie zur Begrüßung wissen und strahlte fröhlich”in die Runde.Teese bedauerte, dass ihr Name nicht aufgerufen worden war, denn dieFrau wirkte auf sie sehr nett, wie sie die sechs Kinder in Empfang nahm.Beim nächsten Haus war sie allerdings recht froh, dass sie nicht hier wohnensollte, denn der Mann, welcher die Tür öffnete, wirkte alles andere alserfreut über die Kinder, die bei ihm einziehen sollten.Liina griff nach Teeses Hand. Wenn man mich bei so einem einquartiert,”schreie ich ganz laut“, flüsterte sie ihr ins Ohr.Teese nickte grimmig. Ob man wohl noch umziehen konnte, wenn manmit dem Magister, bei dem man wohnen sollte, nicht klar kam?Und wenn wir nicht in ein Haus kommen, schreie ich auf“, fügte Liina”ernst hinzu.Teese drückte ihre Hand und entschied, dass sie sich das auch überlegensollte. Sie kannte Liina erst seit der Überfahrt in den Booten, aber sie warfröhlich, nett und Teese mochte sie irgendwie. Mit jemandem wie Liina zusammenzu wohnen versprach lustig zu werden.Und tatsächlich hatten die Mädchen Glück, denn ihre Namen wurdenbeide beim dritten Haus aufgerufen. Ebenso die <strong>von</strong> Seth und Fenn, wasTeese auch irgendwie freute. Außerdem wurde noch ein blasser Junge mitkinnlangen dunkelblonden Haaren aufgerufen, den Teese bisher nicht wirklichzur Kenntnis genommen hatte. Sein Name war Rinnir und er trat schweigendund mit leicht verkniffenem Gesicht zu den anderen.Teese wandte den Blick nach vorne, als Magister Elgin an der Tür klopfteund diese geöffnet wurde. Im Türrahmen stand eine Frau in einer dunklenRobe mit umgehängter blauer Schärpe über den Oberkörper. Ihre Haut wardunkel und schimmerte ein wenig golden. Ihre Augen waren dunkelbraun und


ihre Haare feuerrot, so dass Fenn überrascht nach Luft schnappte.Teese sah die Frau mit offenem Mund an. Sie trug mehrere goldene Ohrringein ihrem linken Ohrläppchen und sah unglaublich schön aus.Wow“, murmelte Liina, die ebenfalls nicht anders konnte, als die Magisteranzustarren.”” Aha“, sagte die Frau und sah auf die fünf Kinder herunter. Ihr seid das”also.“ Sie blickte kurz zu Elgin. Einer fehlt.“”Der Magister machte eine entschuldigende Geste. Ich weiß.“ ”Sie maß ihn einen Moment prüfend und zuckte dann mit den Schultern.Nun, dann hat einer <strong>von</strong> Euch Jungs ein Zimmer für sich“, entschied sie.”Also rein mit Euch. Ich war eben dabei, das Fohlen zu füttern und das mag”es gar nicht, wenn es warten muss.“Liina beugte sich zu Teese, während sie der Magister ins Haus folgten.Ich würde zu gerne wissen, wer das wohl ist, der fehlt und warum er nicht”gekommen ist.“Teese zuckte mit den Schultern. Vielleicht kommt er später nach?“”Vielleicht.“ Liina wirkte nicht überzeugt.”Während Magister Elgin mit den restlichen Kindern weiter ging, schlosssich hinter Teese und den anderen vier Kindern die Haustür.Die Zimmer sind oben.“ Während sie sprach durchquerte die Magister”den Raum, der Teese ein Esszimmer zu sein schien. Ein Tisch mit siebenStühlen stand in der Mitte. Links an der Wand gab es einen Herd und mehrereSchränke und Regale mit Geschirr. Daneben führte eine Treppe dorthin, wowohl die Zimmer lagen.Zwei Zimmer rechts, ein Zimmer links und dahinter das Bad“, fuhr die”Magister fort. Sie war zur Hintertür gegangen, die offenstand und einen Blickin einen Garten erlaubte und weit dahinter auf das Meer.Die Mädchen bekommen das Zimmer links, denke ich.“ Die Magister”war schon fast zur Tür heraus. Die Jungs teilen sich die Zimmer rechts.”Bringt Eure Sachen hoch, zieht Euch um und dann trinken wir noch einenTee, bevor Ihr in die Halle hinauf müsst.“ Sie betrat den Garten, schloss dieTür und ließ die fünf Kinder im Esszimmer stehen.O-kay“, sagte Liina gedehnt und sprach damit aus, was Teese auch dachte.Sie wusste noch nicht einmal, wie die dunkelhäutige Frau hieß und schon”war sie wieder verschwunden.Seth und ich nehmen das erste Zimmer rechts“, entschied Fenn und sah”dann zu dem dritten Jungen. Ist doch in Ordnung für Dich, oder?“”13


14Rinnir zuckte nur mit den Schultern. Passt schon“, sagte er. Ich habe” ”gerne ein Zimmer für mich.“Teese seufzte und ging als erste zur Treppe. Irgendwie fühlte sie sich einwenig desorientiert und Fehl am Platz, auch wenn das Haus hübsch aussahund der Garten mit dem Meer dahinter sicherlich ein Traum war.Liina huschte ihr hinterher und überholte sie auf der Treppe. Ich bin ”schon total neugierig“, keuchte sie und öffnete vor Teese die Tür zu demlinken Zimmer.Teese folgte der kleinen Chinesin in den Raum und war sofort begeistert.Das Zimmer war unglaublich groß mit zwei Fenstern zur Straße hin, durchdie helles Tageslicht fiel. Ein riesiger Teppich mit Fabelwesen darauf bedeckteden Boden. Drachen, Einhörner, Pferde mit Hinterflossen und seltsame Vögelmit Menschenköpfen waren mit einem goldenen Faden in den roten Teppichgestickt.Am Ende des Teppichs standen zwei Tische an den Fenstern und rechtsund linke <strong>von</strong> ihnen schwere Regale mit einer Unmenge an Büchern. ZweiBetten standen an je einer Seite des Zimmers. Sie waren groß, breit und miteinem goldenen Baldachin versehen.Ist das toll.“ Liina warf ihre Sachen auf das rechte Bett und sprang durch”den Raum. Sie kletterte auf den Tisch und öffnete das Fenster, um hinauszu sehen.Teese legte ihre Sachen auf dem linken Bett ab und ging zu dem Bücherregaldahinter. Die Bücher waren alle in Leder gebunden, einige mit goldenen Nummernauf ihrem Rücken. Titel ließen sich nicht ausmachen.Teese zog ein Buch heraus. Sympathetische Zauber. Eine Einführung“,”las sie und zog eine Augenbraue hoch.Sie stellte das Buch zurück und zog ein weiteres heraus. Enzyklopädie”der Tiere.“ Sie blätterte darin. Neben einem Walfisch, einer Reihe vertrautwirkender Fische und einer Unmenge an Muscheln, war eine Nixe abgebildetund die Pferde mit Fischschwanz, die auch auf dem Teppich zu finden waren.Liina rutschte vom Tisch und trat zu Teese. Cool.“ ”Sie griff ebenfalls nach einem Buch. Bannsprüche und Runenflüche“, las”sie.Teese kaute auf ihrer Unterlippe. Das ist das, was wir lernen werden?“,”wollte sie zögerlich wissen. Der Drache am Ufer und die fliegenden Pferde,die sie vom Boot aus gesehen hatten, hatte sie zwar nicht erwartet, aberirgendwie hatten sie die Tiere auch nicht allzu sehr verwundert. Aber jetzt,da sie diese Bücher sah, war sie ein wenig unschlüssig.


” Zauberbücher“, grinste Liina unbekümmert. Tolle Sache. Komm, wir”ziehen uns schnell um. Ich will mir unbedingt den Ort anschauen und diesenTurm. Ob es hier noch mehr Drachen gibt?“Während sie zurück zu ihrem Bett eilte, stellte Teese langsam das Buchzurück. Ihre Gedanken schwirrten. Für Liina schien all dies hier vollkommennormal zu sein, aber Teese hatte irgendwie das Gefühl, dass sie eher träumteals dass sie wirklich an diesem Ort war.Vorsichtig kniff sich das Mädchen in den Arm. Autsch“, murmelte sie”und rieb sich den Arm.Puh, wie man das wohl anziehen soll?“, lenkte Liina die Aufmerksamkeitdes Mädchens wieder auf sich. Die pummelige Chinesin hatte ihre Robe”aufgefaltet und sah sich mit einer Reihe <strong>von</strong> Bändern konfrontiert, welche<strong>von</strong> dem Kleidungsstück herab hingen.” Ich weiß nicht“, gestand Teese. Aber Magister Elgin hatte seine Robe”irgendwie vorne verknotet.“ Sie zuckte mit den Schultern. Vielleicht wie eine”Schürze?“, schlug sie vor. Zieh das erst mal über und dann schaue ich, ob”ich es hinbekomme, wie es bei dem Magister ausgesehen hat.“Liina grinste und streifte ihre Kleidung ab, um in die Robe zu schlüpfen.Teese setzte sich auf ihr Bett und musterte die verschiedenen Bänder nachdenklich.Sie war sich sicher, dass sie vor dem heutigen Tag niemanden getroffenhatte, der ein solch merkwürdiges Kleidungsstück getragen hatte.Allerdings gab es dabei ein kleines Problem, denn Teese fiel es schwer, sichzu erinnern, was die Leute um sie herum statt dessen getragen hatten, Leutewie ihre Eltern. Die Erinnerung an sie war ohnehin als Ganzes verschwommenund recht vage, als würden die Gedanken in Watte gepackt sein.Und?“, wollte Liina wissen.”Teese seufzte und ergriff zwei der Bänder. Halte mal still“, forderte sie”ihre neue Freundin auf.Langsam fuhr Teeses Hand um Liinas Taille, kreuzte zwei der Bänder undverknotete sie. Dann griff sie zwei weitere und band sie genau umgekehrt, sodass Liina ein wenig aussah wie ein hübsch verpacktes Geschenk aus dunklemPapier mit Geschenkband umwickelt, wenn auch ohne Schleife.” Ich glaube“, sagte Teese zögernd, so ist es richtig.“”Liina bewegtes sich probehalber ein wenig und nickte dann mit einemStrahlen. Ja, ich glaube auch. Jedenfalls hält es.“ Sie drehte sich einmal im”Kreis, so dass die offenen Enden der Bänder flatterten. Jetzt Du. Uhm, und”dann schaue ich mir mal das Badezimmer an, bevor wir Tee trinken.“Teese streifte kommentarlos ihr Shirt über den Kopf und zog die Hose15


16aus. Ihre Kleidung wirkte auf sie genauso seltsam und ungewohnt wie dieRobe, die sie nun überzog. Liina brauchte zwei Anläufe, bis sie die Bänderrichtig und fest genug um Teeses Hüfte gebunden hatte.Teese machte ein paar Schritte. Irgendwie fühlte sie sich steif in diesergebundenen Robe. Alles war recht eng und sicher nicht dafür gemacht, mitdieser Kleidung draußen herumzutoben. Andererseits waren sie hier auch aneiner Schule und dieser Effekt vermutlich gewünscht.Die beiden Mädchen verließen das Zimmer und Liina verschwand im Bad,welches sich hinter dem Zimmer der beiden befand. Teese ging die Treppehinunter und sah sich im Esszimmer um. Außer ihr war noch niemand hier.Die Jungs packten sicher noch aus und die Magister war wohl noch mitdiesem Fohlen beschäftigt, <strong>von</strong> dem sie gesprochen hatte.Teese trat an den kleinen Herd. Er wirkte seltsam altmodisch und warmehr ein Ofen mit einer gußeisernen Platte, auf welche man wohl einen oderzwei Töpfe stellen konnte. Probeweise streckte Teese ihre Hände dagegenaus, obwohl kaum zu erwarten stand, dass der Herd mitten im Hochsommergrundlos beheizt war. Und das war auch nicht der Fall. Dennoch zog Teeseeilig ihre Hände zurück, als habe sie sich verbrannt: Der Ofen war eiskalt undschien den ganzen Raum zu kühlen.Das Mädchen hielt kurz inne und griff dann nach dem Schürhaken. Vorsichtighob sie damit die kreisrunde Platte hoch, welche den Ofen nach obenverschloss und warf einen Blick in den Kessel, in welchem im Winter wohlein Feuer brennen musste. Teese konnte auch jetzt eine Flamme im Innerenerkennen, die allerdings fahlblau leuchtete und in der Mitte des Kesselsloderte, ganz ohne Holz oder irgendeinen anderen Brennstoff.Ein Klopfen an der Tür, ließ Teese zusammenzucken und beinahe wäreihr die Ofenplatte heruntergefallen. Sie atmete einmal kurz durch und schobdie Platte wieder auf den Ofen, um die blaue Flamme im Kessel wieder zuverschließen. Schnell legte sie den Schürhaken zurück, während es erneutklopfte.Teese zögerte einen Moment, ging dann aber zur Tür, um sie zu öffnen.Ein Junge, gut einen Kopf größer als sie und mit umgehängter orangefarbenerSchärpe, stand vor der Tür. Seine rotblonden Haare wetteiferten mit derFarbe der Schärpe. Ein wenig überrascht, machte er einen halben Schrittzurück. Oh. Hi. Ich wollte...Ist die Nabi da?“”Wer?“ Teese sah den Jungen verständnislos an. Er war sicherlich zwei”oder drei Jahre älter als sie und wirkte kräftig, beinahe massig. Teese entschied,dass es keine gute Idee wäre, sich mit jemandem wie ihm zu prügeln.


Allerdings sah er nicht aus, als würde er auf Ärger aus sein. Vielmehrgrinste er belustigt über Teeses Worte, so dass es dem Mädchen verlegen dieRöte in die Wangen trieb.Die Magister?“, wollte sie schließlich wissen. Die Namen der anderen”kannte sie immerhin, Liina, Fenn, Seth und Rinnir. Nabi musste der Nameder Magister sein. Und tatsächlich nickte der Junge auch, ohne dass dasGrinsen <strong>von</strong> seinem Gesicht verschwand.” Das ist typisch Magister Nabi“, sagte er dann. Vollkommen verplant,”die Gute. Aber da ist sie schon, oder?“Ja. Aber sie kümmert sich um das Fohlen“, wiederholte Teese, was die”Magister ihnen gegenüber selbst gesagt hatte.Hm, das wird wohl nicht allzu lange dauern. Ich warte so lange.“ Er”sah Teese erwartungsvoll an. Lässt Du mich rein, oder soll ich hier draußen”stehen bleiben.“Teese beeilte sich, einen Schritt zurück zu machen und den Jungen hereinzu lassen. Es war ihr peinlich, dass er angenommen hatte, sie würde ihm dieTür vor der Nase zuschlagen.Ich bin übrigens Icus“, sagte er, während er zum Tisch ging und sich auf”einen der Stühle niederließ.” Teese.“Icus pfiff durch die Zähne. Ach, schau einer an. Du bist das also.“ Das”Grinsen, das kurzfristig <strong>von</strong> seinem Gesicht verschwunden war, tauchte wiederauf. Du bist schon das Gesprächsthema der ganzen Schule. Zielstrebig”mit Timar angelegt, nicht wahr? Der war so sauer, dass er auf dem Wegzum Magieturm jeden angekeift hat, der ihn auch nur annähernd komischangesehen hat.“Icus stützte die Ellenbogen auf den Tisch und musterte Teese. Das Mädchenschob ihre Hände in die Taschen der Robe und zuckte mit den Schultern.Du weißt nicht, wer er ist, oder?“”Teese schüttelte den Kopf.” Er ist ein Idiot.“ Liina kam die Treppe hinunter. Das ist uns auf alle”Fälle schon mal klar.“Icus lachte. Ja, das stimmt wohl.“ Ein spöttisches Lächeln lag auf seinen”Lippen. Hast Du ihm das so ins Gesicht gesagt?“”Ja, weil es stimmt.“”” Er ist der Sohn des Dekans“, erwiderte Icus. Nicht, dass mich das beeindruckenwürde, aber er hält sich für das Tollste, was Weltenei je hervor-”gebracht hat, als ob der Sohn eines Magiers etwas Besseres wäre als der Rest17


18<strong>von</strong> uns. Dabei ist es im Grunde doch genau umgekehrt und nur weil er...“Icus verstummte, als die Hintertür geöffnet wurde und die Magister hereinkam. Der Junge kam so schnell auf die Beine, dass der Stuhl, auf dem er biseben gesessen hatte, fast umgekippt wäre. Guten Tag, Magister Nabi.“”Die dunkelhäutige Frau mit den feuerroten Haaren sah den Jungen einenAugenblick ratlos an. Und Du bist...?“”” Icus“, sagte der Junge. Mein Tutor schickt mich mit ein paar Kräutern,”die Sie haben wollten.“” Kräuter?“” Koboldhut.“Ach...nun, damit hättest Du Dich nicht ein wenig beeilen können, oder?“”Magister Nabi durchquerte den Raum und blieb vor dem Jungen stehen.Das hätte ich gebraucht, bevor ich das Fohlen gefüttert habe. Ob es das danachfrisst...“ Sie machte eine wegwerfende Geste. Egal. Gib den Koboldhut””Seth.“Icus sah ratlos zu Teese, während die Magister ihn stehen ließ und zumOfen ging. Aus einem Regal an der Wand nahm sie sechs Gläser und füllteWasser hinein.Icus’ Blick glitt weiter zu Liina, welche mit dem Daumen in RichtungHintertür zeigte, wo Seth der Magister gefolgt war. In der schwarzen Robemit den verknoteten Bändern wirkte er erschreckend dürr und die zerzaustenHaare standen ein wenig ab, als wäre er durch einen Herbststurm gewandert.Das ist Seth.“”Icus griff in seine Robe und holte ein eingeschlagenes Tuch heraus. Hier, ”bitte.“Seth nahm das Tuch und warf einen Blick hinein. Allerdings schien ergenauso wenig zu wissen, was er damit sollte, wie Teese.Versuche, ob Du es dem Fohlen füttern kannst“, kam allerdings gleich”die Anweisung der Magister. Teese, Du gehst mit ihm und gehst ihm ein”wenig zur Hand.“” Okay.“Teese hatte zwar keine Ahnung, wie sie Seth dabei helfen konnte, einemFohlen ein paar Kräuter zu füttern, aber sie war neugierig auf das kleinePferd und den Garten hinter dem Haus.Und Du, Icus“, fuhr Magister Nabi fort, als Teese mit Seth bereits den”Raum halb verlassen hatte. Kannst jetzt gerne wieder gehen. Wir sind keine”Zoologische Abteilung und meine Kinder sind keine Attraktion, die es zubegaffen gilt.“


Die Tür schloss sich in Teeses Rücken, so dass sie Icus’ Antwort nichthören konnte. Das Mädchen folgte Seth durch den Garten, der sich hinterdem Haus erstreckte und erst an einer niedrigen Mauer endete, die weit indie Tiefe hinunter reichte, bis zu einem schmalen Strand, der <strong>von</strong> Wellenumspielt wurde. Der Blick aus dem Garten über das Meer reichte bis zumHorizont. Hier an einem schönen Sommerabend zu sitzen und zuzusehen, wiedie Sonne unterging, musste großartig sein.Ohne es selbst zu merken, war Teese stehen geblieben und atmete diefrische Meeresluft ein. Ein paar Möwen kreisten über den Wellen und eineleichte Brise wehte, die den warmen Vormittag angenehm erscheinen ließ.Nachdem Teese eine Weile einfach nur an der Mauer gestanden und aufsMeer gesehen hatte, fiel ihr ein, dass sie eigentlich mit Seth wegen des Fohlenshier war. Sie sah sich hektisch um, konnte den Jungen aber nirgends sehen.Ein Stück zu ihrer Rechten war allerdings ein Schuppen angebaut, dessen Türoffen stand. Eine Handvoll Vögel, die Teese im ersten Moment für Hühnergehalten hatte, standen vor der Tür in einem Halbkreis und zogen sich inden Garten zurück, als Teese herüber kam.Das Mädchen sah ihnen einen Moment irritiert nach, denn anstatt Hühnerköpfenmit Schnäbeln hatten sie eindeutig Köpfe wie Menschen, wenn auch viel kleiner.Die seltsamen Wesen verschwanden im Unterholz und Teese schielte inden Schuppen.Durch die Tür konnte sie in einen langen Gang sehen, der sich weit nachhinten erstreckte und an dessen rechten Seite mehrere Boxen waren. An einerder hinteren kniete Seth im Gang und hielt eine Hand in einen der abgetrenntenStälle. Teese ging an zwei Schweinen vorbei und einer Box, in welcher einLöwe und eine Ziege zusammen im Heu lagen.Als Teese daran vorbei ging, hörte sie ein Zischen und sah, dass eineSchlange sich neben dem Löwen aufrichtete. Teese blinzelte, aber sie täuschtesich nicht. Die Schlange war der Schwanz des Löwen. Und als dieser interessiertzu ihr sah, erkannte sie, dass er nicht neben einer Ziege lag, sonderLöwenkopf und Ziegenkopf zu einem einzigen Wesen gehörte.Teese stolperte gegen Seth, da sie den Blick nicht <strong>von</strong> dieser merkwürdigenKreatur hatte lassen können. ”Was ist das für ein Tier?“Seth wedelte aufmunternd mit ein paar grünen Blättern vor der Naseeines kleinen, weißen Fohlens, das in der nächsten Box auf wackeligen Beinenstand. ”Eine Chimäre“, sagte er. ”Sie hat Probleme mit ihrem Feuer.“Teese öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, war aber zu überrascht,um etwas Vernünftiges zu sagen und schloss ihn wieder. Seth wusste anschei-19


20nend recht gut Bescheid. Vielleicht war er mit diesen Tieren aufgewachsen.Für Teese allerdings waren sie eindeutig neu und unbekannt.Nur das kleine Fohlen, das zögerlich näher kam und an einem der Blätterin Seths Hand zupfte, wirkte vertraut, auch wenn es kein Pferd war. Ein nochrecht kleines, weißes Horn auf seiner Nase ließ Teese in dem jungen Pferd einEinhornfohlen erkennen. Sein linkes Bein war mit einem Verband umwickeltund es stand recht wackelig auf seinen Beinen.Was hat es?“, wollte Teese wissen.”Das Einhorn zuckte erschrocken zurück und Seth warf dem Mädchen überseine Schulter einen bösen Blick zu. Teese legte ihre Hand auf den Mund. Siehatte das kleine Einhorn nicht verschrecken wollen. Sie hatte gedacht, es wärerecht zahm, so wie es Seth die Kräuter aus der Hand fraß.Teese machte ein paar behutsame Schritt zurück, bis sie mit dem Rückendie Wand berührte. Das kleine Einhornfohlen maß sie misstrauisch und kamerst langsam näher, als Seth aufmunternd und beruhigend mit ihm sprach.Teese blickte verlegen zu Boden und ihr Blick streifte für einen Momentden einer Katze, welche links <strong>von</strong> ihr auf dem Boden saß und sich unbeteiligtgab. Teese sah lieber zweimal hin, doch schien diese Katze eine ganz normaleKatze zu sein und kein Mischwesen aus Katze, Ziege und Schlange oder Katzeund Huhn mit Menschenkopf. Anscheinend konnte man sich solcher Dingehier allerdings nicht allzu sicher sein.Die Katze sah zu Teese auf und sah sie kurz und offensichtlich belustigtaus gelben Augen an, um dann wie nebensächlich eine Pfote zu leckenund sich die Ohren zu putzen. Teese wagte kaum aufzusehen, um das kleineEinhorn nicht erneut zu stören. Doch als sich Seth erhob, schielte sie an ihmvorbei zu dem kleinen weißen Pferd, das gerade die letzten Reste der Kräuterkaute.Seth schob die Hände in die Taschen seiner Robe und schlenderte ohneviel Eile zur Tür. Teese beeilte sich, ihm zu folgen und die Katze schloss sichihr an.” Du kennst Dich toll aus mit“ – Teese zögerte. – Tieren.“ Sie warf im”Vorbeigehen einen kurzen Blick auf die Chimäre. Ob jeder Magister sichsolche Tiere hielt?Nein, nicht sehr“, murmelte Seth.”Aber Du weißt, wie man ein Einhornfohlen füttert und was eine Chimäre”ist“, widersprach Teese energisch.Die Magister hat mir vorhin ein wenig über Chimären erzählt“, antworteteSeth. Und das war das erste Einhorn, das ich je gesehen habe – denke””


ich.“ Er sah über seine Schulter zu Teese und seine Augen glänzten begeistert.Aber ich mag es sehr. Tiere sind viel leichter zu verstehen als Menschen.“”Uhm, wenn Du meinst“, brachte Teese hervor.”In Tiere kann man ganz einfach hineinhören“, sagte Seth. Sein Blick glitt”kurz zu den Schweinen in der ersten Box. Menschen sind irgendwie...verschlossen.“”Teese war sich nicht sicher, ob sie Seth richtig verstand. Aber Menschen”können sprechen und Dir sagen, was sie fühlen und wie es ihnen geht.“Seth schnaubte fast ein wenig angewidert. Aber meist lügen sie und”zeigen nicht, was sie wirklich denken. Tiere lügen nie. Und wenn man in siehineinhört, merkt man auch, wenn etwas nicht in Ordnung ist.“Der Junge verließ den Stall und Teese folgte ihm ins Freie. Die Katzetappte den Kindern hinterher, ohne sich sonderlich zu beeilen. Sie folgte denbeiden auch ins Haus, wo sie sich ein Stück hinter der Tür auf den Bodensetzte und sich wieder zu putzen begann.Teese ging zum Tisch, an dem Liina ihr einen Platz neben sich freigehaltenhatte. Fenn und Rinnir waren ebenfalls herunter gekommen und saßen nebender Magister, jeder mit einem Glas Eistee vor sich.Ich dachte mir schon, dass es genau die richtige Aufgabe für Dich ist“, begrüßtedie dunkelhäutige Frau mit den roten Haaren Teese und Seth zurück.”Wobei ihre Worte wohl in erster Linie dem Jungen galten, den sie mit einemwarmen Lächeln ansah.Teese setzte sich neben Liina und nippte schweigend an dem eisgekühltenTee, der süß und nach Zitrone zugleich schmeckte. Sie beneidete Seth einwenig für sein offensichtliches Gespür für Tiere. Sie hätte auch gerne einEinhorn gefüttert.Dann trinkt mal Euren Tee“, fuhr Magister Nabi fort und ruht Euch”noch ein wenig aus. Wie ich den Dekan kenne, wird man Euch den Rest des”Tages bis zum Abendessen einmal quer durch Weltenei scheuchen. Vielleichtmachen sie heute sogar schon die ersten Vorprüfungen. Ezzo ist besessen <strong>von</strong>einer straffen Wissensvermittlung. Einfach keine Geduld mit der Jugend, derMann.“Vorprüfung?“, wollte Fenn wissen und er wirkte genauso unglücklich wie”Seth, der neben ihm Platz genommen hatte.Nun, als erstes werden sie Euch wohl die Schärpen geben“, überging die”Magister die Frage. Weiß für die Kandidaten. Die schnellen Lerner unter”Euch könnten sie schon im nächsten Schuljahr gegen die Roten tauschen.Aber man sollte sich nicht unnötig unter Druck setzen. Das sage ich immerwieder.“21


22Teese sah fragen zu Liina, doch die zuckte nur mit den Schultern, grinstedann und die beiden Mädchen kicherten. Magister Nabi zog irritiert eineAugenbraue hoch. Habe ich etwas Komisches gesagt?“”Nein, nein, nicht wirklich“, prustete Liina.”Teese war irgendwie erleichtert, dass sie wohl nicht die einzige war, für diealles das neu war. Natürlich war sie hier, um auf die Schule zu gehen. IhreEltern hatten sie auf dieses Internat geschickt, aber <strong>von</strong> weißen Schärpen,Kandidaten und Vorprüfungen hatte sie nicht die geringste Ahnung, genausowenig wie <strong>von</strong> Chimären und Einhörnern.Ihr Blick glitt zu Seth, der nervös mit seinem Teeglas spielte. Magister,diese Vorprüfungen“, griff er dann zaghaft Fenns Frage auf. Was für ””Prüfungen sind das?“Sind sie schwer?“, fiel Fenn in seine Worte ein.”Was passiert, wenn man sie nicht besteht?“, wollte Liina neugierig wissen.Darüber, dass ihr genau das passieren konnte, schien sie nicht besorgt”zu sein.Teese hingegen war sich nicht so sicher, ob sie irgendwelche Vorprüfungenbestehen würde. Sie war an ihrer alten Schule immer recht gut gewesen, auchwenn sie sich nur vage an Zeugnisse oder ihre Noten erinnern konnte. Aberwenn hier magische Dinge abgefragt wurden, würde sie sicherlich eine glatteSechs bekommen.Sie sah zu Rinnir, der neben Seth saß und schweigend die Unterhaltungverfolgte. Das Glas des Jungen war noch randvoll und er sah eher finsterdrein. Als er Teeses Blick bemerkte sah er sie kurz an und dann eilig zu derKatze, als würde er ihr dabei zusehen, wie sie sich putzte.Ach, über die Vorprüfungen macht Euch mal keine Gedanken“, wiegeltedie Magister ab und machte eine wegwischende Handbewegung. Viele ””hervorragende Magier sind im ersten Jahr durch eine ganze Menge <strong>von</strong> ihnengefallen. Man muss nicht alles im Leben schon können, wenn man nachWeltenei kommt. Wichtig ist, was Ihr <strong>von</strong> heute an lernen werdet.“Sie trank ihr Glas leer und erhob sich. Stellt die Gläser zurück ins Regal,”wenn Ihr fertig seid“, sagte sie. Und seht zu, dass Ihr heute Abend nicht”lange herumtrödelt sondern nach dem Essen zügig nach Hause kommt.“Damit verließ sie das Zimmer durch die Hintertür in den Garten. DieKatze zögerte einen Moment und folgte ihr dann. Die fünf Kinder sahen derMagister und ihrem Haustier ein wenig ratlos nach.So, und nun?“, wollte Fenn schließlich wissen.”


Nun trinken wir den Eistee aus und gehen zu dieser Schärpenübergabe“,”entschied Liina.Fein, weißt Du auch, wo die ist?“, hielt Fenn dagegen.”Teese stütze die Arme auf den Tisch. Es war <strong>von</strong> einer Halle die Rede,”in die wir sollen.“Und die ist wo?“ Fenn wirkte ein wenig entnervt.”” Bestimmt oben irgendwo“, meinte Teese. Hier sind alles Wohnhäuser”oder Lager. Vielleicht ist die Halle in einem der Gebäude um den Turm.“ Dergoldene Engel, welcher sich auf den Zehenspitzen in den Himmel aufrichteteund die höchste Spitze des Turms bildete, hatte sie sehr beeindruckt.” Und selbst wenn nicht“, unterstützte Liina sie, so schadet es nichts,”wenn wir uns das alles schon einmal ansehen, oder? Ich bin neugierig, was eshier alles zu entdecken gibt.“ Die kleine Chinesin rieb sich freudig die Hände.Was ist mit Dir, Rinnir?“, wollte Fenn wissen und sah zu dem blassen”Jungen mit den kinnlangen, dunkelblonden Haaren.Er schrak auf. W-was soll mit mir sein?“”” Du bist so still“, antwortete Liina an Fenns Stelle. Ist Dir nicht gut?”Hast Du Heimweh?“” Nein.“ Entschieden wedelte Rinnir mit den Händen. Nein, das ist es”nicht. Ich bin nur...ein wenig müde. Ich bin gestern spät ins Bett gekommen.“Das erklärt auf alle Fälle, warum Du so blass bist“, nickte Liina.”Blass? Bin ich blass?“”Teese stand auf und brachte ihr Glas hinüber zu dem Regal an der Wand.Einen Augenblick sah sie sich nach einer Spüle um, da sie das Glas kaumbenutzt zurück ins Regal stellen konnte. Doch <strong>von</strong> einer Spüle oder einemWaschbecken fehlte jede Spur. Teese überlegte noch, ob sie nach oben insBad gehen sollte, um ihr Glas auszuwaschen, als ihr Blick auf das Glas inihrer Hand fiel.Obwohl sie es gerade benutzt hatte und es noch vor wenigen Minuten mitEistee gefüllt war, war das Glas eindeutig sauber und sah wie eben aus demRegal genommen aus.” Seltsam.“Teese drehte das Glas nachdenklich in ihrer Hand, während sie mit einemOhr die Unterhaltung der anderen am Tisch verfolgte. Langsam stellte siedas Glas zu den übrigen Gläsern ins Regal.Praktisch.“ Liina war neben sie getreten und stellte ihr leeres Glas neben”das <strong>von</strong> Teese. Bestimmt ist das irgendein Zauber.“”23


24Wenigstens entfällt damit der Küchendienst.“ Fenns grinsendes Gesicht”strahlte höchste Zufriedenheit aus. Ich kann Küchendienst nämlich nicht”ausstehen.“Die fünf Kinder verließen das Haus und machten sich auf den Weg, dieStraße entlang, den Inselberg hinauf. Die Sonne zeichnete die Dächer derschmalen Häuser auf das schwarze Pflaster. Außer ihnen waren nur wenigeLeute unterwegs.Die meisten Passanten waren ältere Kinder, Erwachsene waren kaum unterihnen. Teese bemerkte, dass alle, denen sie begegneten, die dunkle Robetrugen, die auch sie und die anderen übergezogen hatten. Darüber warenSchärpen in verschiedenen Farben gestreift. Ein paar jüngere Kinder trugenweiße Schärpen oder rote, die älteren <strong>von</strong> ihnen orangefarbene oder leuchtendgelbe. Die Erwachsenen trugen fast ausnahmsweise grüne oder blaueSchärpen.Die blauen – entschied Teese – waren die Schärpen für die Magister.Magister Elgin hatte eine solche getragen, ebenso wie Magister Nabi unddie Magister in den Häusern, in welchen die ersten Kinder aus ihrer Gruppeuntergebracht worden war.Sag mal, Teese“, griff Liina die Unterhaltung auf, während sie die Straße”hinauf gingen. Bist Du irgendwie eine berühmte Magierin oder so was?“”Die Jungen waren schon etwas vorausgegangen und Teese konnte Fennlachen hören, während er Seth und Rinnir etwas <strong>von</strong> einer Nixe erzählte, dieer bei der Überfahrt gesehen hatte.” Ich – Nein...“ Teese schüttelte den Kopf. Wie kommst Du darauf?“”Liina spielte mit einem ihrer blauen Seidenbänder, welches ihre Haare zuSchnecken gesteckt zusammenhielt. Ach, nur weil der Idiot im Pförtnerhaus”gemeint hat, dass er sich nicht <strong>von</strong> Deinem Namen beeindrucken lassenwürde. Und dann hat die Magister zu Icus so eine komische Andeutung gemacht.“Sie sah Teese <strong>von</strong> der Seite an. Dass man Dich in Ruhe lassen solle”und sie keine Lust hätte, dass wegen Dir ständig Gaffer ins Haus kommenwürden.“Teese schluckte. Damit hatte sie nicht gerechnet. A-also ich wüsste jedenfallsnicht, warum ich irgendwas Besonderes sein sollte.“ ”Liina zog ihre Nase kraus. Teese war das irgendwie unangenehm. So warsie ganz froh, als Fenn das Thema fürs erste beendete, indem er sich zu denMädchen umdrehte und posaunte, Beeilt Euch mal ein wenig. Seth hat die”fliegenden Pferde gefunden.“Was, wo?“ Liina sauste sofort los und Teese heftete sich an ihre Fersen.”


Die Straße führte durch einen gemauerten Torbogen und weitete sichdahinter zu einer breiten Plattform, die kreisrund war. Gerade landeten zweiFlügelpferde darauf und ihre Reiter saßen ab, um die Tiere zu einem Gebäudemit großen, offenstehenden Türen zu führen. Im Halbdunkel konnte TeeseStallungen erkennen. Jemand hatte ein weiteres fliegendes Pferd herausgeholtund legte ihm einen Sattel auf. Seth stand daneben und hielt das Pferd amHalfter.Seth kann echt gut mit Tieren umgehen“, stellte Liina außer Atem das”Offensichtliche fest.Ja, irgendwie hat er einen richtigen Draht zu denen“, stimmte Fenn zu.”Der dunkelhäutige Junge grinste. Er wusste schon, dass hier die Pferde sind,”bevor wir sie sehen konnten.“Teese wandte den Blick und sah zu, wie ein weiteres Flügelpferd in einemgeschwungenen Bogen auf die Insel zuhielt und langsam an Höhe verlor.Als es den Rand der Plattform erreichte, schlug es mit seinen aufgestelltenFlügeln und bremste seinen Flug ab, wie ein Vogel, der auf einer Fensterbankzu landen versuchte. Zuerst berührten die hinteren Hufen des Flügelpferdesden Boden, dann die vorderen.Sein Reiter saß ab. He, Ihr. Steht hier mal nicht so im Weg herum.“”Teese beeilte sich weiter zu gehen. Sie standen wirklich mitten auf demLandeplatz der fliegenden Pferde und sicherlich wirklich im Weg.Seth, wir wollen weiter“, rief Fenn nach hinten, während sich die vier”Kinder wieder in Bewegung setzten.Ich glaube, hier sind wir richtig“, stellte Teese mit einem Blick die Straße”entlang fest.” Ach?“ Fenn sah irritiert zu ihr. Und warum?“”Weil dort vorne andere Kinder sind, die mit uns mit den Booten hierher”gekommen sind.“Liina grinste. Und sicherlich haben die einen Magister erwischt, der ihnen”genau gesagt hat, wo sie hin müssen.“Seth schloss zu den anderen auf. Ich mag Magister Nabi“, stellte er ein”wenig steif fest.” Klar, ich finde sie auch nett.“ Liina wirkte unbekümmert. Aber sie ist”ein wenig...“” ...verplant“, half Teese aus. So hat Icus es ausgedrückt.“”Die fünf Kinder erreichten das Ende der Straße und fanden sich auf derSpitze des Inselberges wieder. Teese drehte sich um und sah über die Häuser,die sich an den Berg schmiegten. Die Dächer waren dunkel mit einem leichten25


26Blauton, welcher den Himmel zu spiegeln schien. Man konnte das Meer vorder Insel sehen und dahinter das Festland, ein Streifen Küste in sandfarbenemFahlgelb mit hellgrünem Gras und in der Ferne das dunkle Grün <strong>von</strong>Wäldern.Zwei Flügelpferde flogen <strong>von</strong> der Landefläche hinter ihnen in den Himmel.Teese konnte einen kleinen, geflügelten Drachen mit hektischen Flatterbewegungenein Stück neben ihnen in der Luft sehen. Seine Schuppen glänzten ineinem metallischen Grün.Er sieht ganz anders aus als der rote Drache an der Mole“, stellte Teese”fest und wandte ihren Blick. Doch neben ihr stand nur noch Rinnir. Dieanderen drei waren bereits auf dem Weg zu der Halle, welche seitlich vordem großen Turmkomplex lag. Große, goldene Türen waren einladend weitgeöffnet.Kennst Du Dich aus mit Drachen?“, wollte Rinnir wissen und folgte”Teeses Blick gegen den Himmel.Teese schüttelte den Kopf. Nein, eher nicht.“”Aber Du hast schon einmal welche gesehen, oder?“, bohrte Rinnir nach.”Teese zuckte mit den Schultern. Ehrlich gesagt...ich glaube nicht.“”Rinnir nickte langsam, als würde er über irgendetwas nachdenken. FindestDu das nicht merkwürdig?“”Teese wählte ihre Worte abwägend. Die anderen scheinen es nicht seltsam”zu finden. Für sie scheint alles hier normal zu sein.“Rinnir nickte erneut. Das habe ich auch bemerkt. Aber Du findest es”merkwürdig, nicht wahr?“” Ja.“Rinnir nickte als würde er Teeses Ansicht teilen und kaute auf seiner Unterlippe.Beide Kinder sahen nachdenklich zu den fliegenden Pferden, welchender grünschimmernde Drache mit schnell vibrierendem Flügelschlag auswich.Te-ese. Komm schnell, es geht los“, hallte Liinas Stimme zu ihnen herüber”und ließ Rinnir förmlich zusammenzucken.Teese fuhr herum und sah, wie die anderen Kinder durch die Tür mitihren goldenen Flügeln gingen. Beeilen wir uns besser“, sagte sie zu Rinnir.”Der Junge nickte stumm und eilte mit Teese zu dem Langbau und durchdie offenstehenden Goldtüren in die Kühle des Gebäudes.Im Inneren der Großen Halle war es taghell als würde es das Dach überihren Köpfen und die fensterlosen Mauern zu ihren Seiten nicht geben. Zahlreichemassive Säulen stützten die Decke aus schlichtem goldgelben Stein.


Einzelne Quader waren aufeinander gesetzt, um die Wände zu bilden. Nirgendswaren Verzierungen zu sehen, keine verschnörkelten Kapitelen an denSäulen, kein kostbarer Wandbehang. Alles war einfach behauener Stein unddoch wirkte der Raum nicht schlicht.Der goldgelbe Stein leuchtete wie sanftes, morgendliches Sonnenlicht, dasin ein Zimmer fiel. Nicht grell, sondern golden leuchteten Wände, Decke undjede einzelne Säule den Raum aus. Es schien, als wäre der Stein selbst eineKerzenflamme und jede Säule eine entzündete Laterne.An der gegenüberliegenden Wand waren zwei weitere goldene Türen, zuwelchen einige Stufen hinauf führten. Die Türen waren verschlossen und zeigtenin ihnen eingraviert den goldenen Engel, den Teese auf der Spitze desTurmes bereits gesehen hatte.Er stand auf den Zehenspitzen und reckte sich in die Höhe. Die Flügelwaren weit ausgebreitet und die Hände in den Himmel gehoben. Teese versuchteauszumachen, was es war, das er in die Höhe hielt, musste aber auchdieses Mal passen. Zudem verstellte ihr ein Mann die Sicht auf den Engel.Er stand auf der obersten Stufe und blickte über die sich neugierig umschauendenKinder in der Halle ein Stück unter ihm. Teese war sich unvermitteltsicher, dass dieser Mann der Dekan sein musste, <strong>von</strong> welchem Icusgesprochen hatte. Der fahlblonde, arrogante Junge, der Seth und Fenn imPförtnerhaus beleidigt hatte, Timar, war der Sohn des Dekans und der Mannauf den Stufen sah ihm unglaublich ähnlich, wenngleich er viel älter war undauf Teese beeindruckend wirkte.Ähnlich wie bei seinem Sohn waren die gelbweißen Haare, die offen überseine Schultern fielen. Das Gesicht wirkte kantig und zeigte einen selbstsicherenAusdruck. Die braunen Augen streiften kurz Teeses Blick, wirkten abernicht kühl oder abweisend, sondern eher interessiert und abschätzend.Gekleidet war der Dekan in eine schwarze Robe, wie jeder sie hier trug.Doch war seine am Oberkörper mit mehr Bändern verknotet und umschlossden Körper eng, so dass sich der athletisch Körperbau mit den kräftigenArmen deutlich abzeichneten. An den Hüften fiel die Robe gerade geschnittenbis zum Boden und ließ den Dekan wie einen Block <strong>von</strong> einem Mann wirken.Teese hätte es nicht gewundert, wenn er ein berühmter Schwertkämpferwäre. Er sah aus wie ein Sagenheld oder ein König, auf alle Fälle nicht wie einGelehrter. Und die violette Schärpe, die er umgehängt trug, könnte auch derTragegurt eines Köchers für einen Bogenschützen sein und nicht das Zeichenseines Ranges, als welche Teese die Bänder ansah. Die violette musste wohldem Dekan vorbehalten sein, denn er war der erste, den Teese zu Gesicht27


28bekam, der eine Schärpe mit dieser Farbe trug.Der Mann auf der Treppe hob die Arme und erbat sich Ruhe <strong>von</strong> den aufgeregttuschelnden Kindern. Seine Stimme klang fest und hatte den Tonfalleines Mannes, der gewohnt war, dass seinen Worten Folge geleistet wurde.Willkommen auf Weltenei“, fuhr er fort, als Ruhe eingekehrt war und”schenkte den versammelten neuen Schülern ein freundliches Lächeln. Willkommenan der Quelle der Welten, der Heimat <strong>von</strong> Magie und Wissen. Ich ”begrüße Euch als neue Studenten an diesem Ort. Ich bin Dekan Ezzo, derHüter <strong>von</strong> Weltenei und der Bewahrer der Quelle der Welten.“Eine kurze Pause folgte seinen Worte als wolle er ihnen mehr Gewichtverschaffen und sie in der lichtdurchfluteten Halle nachklingen lassen.Es ist mir vorbehalten, jeden einzelnen <strong>von</strong> Euch als Kandidaten zu”begrüßen und Euch die Schärpe Eures neuen Ranges zu überreichen.“ DerDekan machte einen Schritt zur Seite und sah über seine Schulter. Magister ”Elgin, wenn Sie so freundlich wären...“Ein Flügel der goldenen Engelstür öffnete sich und erlaubte einen kurzenBlick in den Raum hinter der Großen Halle, welcher nicht weniger großwar. Teese konnte riesige Fenster sehen, die bis zur Decke reichten und eineReihe Tische, an welchen mehrere ältere Schüler saßen und über Bücher undSchreibarbeit vertieft waren. Einige sahen interessiert auf, als sich die Türöffnete, während sich andere nicht weiter <strong>von</strong> dem beeindruckt zeigten, wasin der Halle vor sich ging.Magister Elgin trat durch die Tür und in die Große Halle neben denDekan. Um seinen linken Arm hatte er mehrere weiße Schärpen gehängt,die er dem Dekan reichte. Wen ich aufrufe, der möge nach vorne kommen“,”sagte er an die Kinder gewandt und entrollte ein Stück Pergament, welchesmit einem violetten Band zusammengehalten war.Devin“, las Magister Elgin den ersten Namen vor und ein kleiner Junge,”den Teese für einen Eskimo hielt, trat nach vorne, um als erster <strong>von</strong> demDekan seine weiße Schärpe umgehängt zu bekommen. Dekan Ezzo schüttelteDevin die Hand und damit war der Junge wieder entlassen. Magister Elginlas den nächsten Namen.Liina war eine der nächsten, die nach vorne traten und dann Fenn. EineWeile später war die Reihe an Rinnir und Seth und dann wurde Teeseaufgerufen.Das Mädchen ging nach vorne und beugte sich leicht vor, als der Dekanihr die Schärpe umlegte. Viel Erfolg, Kandidatin Teese“, sagte der Dekan”und reichte dem Mädchen die Hand.


Teese sah auf und spürte, wie sie erstarrte. Sein Blick ruhte mit einersolchen Intensität auf ihr, dass sie schlucken musste - als könne er mit seinenAugen direkt in ihre Seele blicken und das Lächeln auf seinem Gesicht wolltedazu nicht so recht passen.Danke, Dekan“, brachte Teese mühsam hervor.”Er ließ ihre Hand los und nickte ihr kurz zu. Dann richtete er sich auf undMagister Elgin las den nächsten Namen vor. Teese hatte es unvermittelt rechteilig zu den anderen Schülern zu kommen. Ein wenig außer Atem gesellte siesich zu Liina.” Hast Du es bemerkt?“, wollte die kleine Chinesin flüsternd wissen. ” Erriecht nach Zitronengras.“ Sie grinste. Toll, jetzt habe ich Hunger...“”Zitronengras? Teese war nichts dergleichen aufgefallen. Dabei kannte sieden Geruch durchaus, auch wenn es ein sehr exotischer war. Sie hatten zuHause ein Duschgel mit Zitronengras in der Dusche stehen. Es gehörte...ihrer...Teese versuchte, den Gedanken festzuhalten. Doch so schnell er gekommenwar, verflog er wieder.Die restlichen Schärpen waren schnell vergeben. Teese war überraschtdarüber, wie schnell die Zeremonie vorüber war. Dekan Ezzo erklärte, dasser ihnen viel Glück für die bevorstehenden Vorprüfungen wünschte und dasser sie alle in einem halben Jahr zum ersten Examen wiedersehen würde.Ein Seitenblick auf Seth und Fenn verriet Teese, wie erfreut die beidenJungen beim Gedanken an diese Prüfungen waren. Rinnirs Gesicht hingegenwirkte vollkommen unbeeindruckt und fast steif. Liina war damit beschäftigt,ihre neue weiße Schärpe ordentlich zu richten und hatten vielleicht nichteinmal zugehört.Magister Elgin wird im nächsten halben Jahr Euer Ansprechpartner für”alle Fragen sein, die mit Weltenei zu tun haben, sowie den Kursen, welche ihrbelegt.“ Der Dekan sah noch einmal in die Runde. Macht uns keine Schande”und lernt fleißig.“Er wandte sich an den Magister und wechselte ein paar Worte mit gesenkterStimme mit dem jungen Mann, um sich wenig später durch die goldeneFlügeltür in die Halle mit den großen Fenstern zurückzuziehen.Magister Elgin nahm seinen Platz in der Mitte der Stufen ein und verkündeteden weiteren Ablauf des Tages. Teese überlegte, dass er im Vergleich zudem Dekan kaum mehr war als ein dürrer, zerbrechlich wirkender Strich inder Landschaft. Magister Elgin war hochaufgeschossen und wirkte schlaksig,während Dekan Ezzo wie eine mächtige Eiche wirkte, der kein Sturm etwasanhaben konnte.29


30Teese zupfte nachdenklich an ihrer weißen Schärpe, welche die kräftigenArme des Dekans ihr umgehängt hatten. Sie fragte sich, welche Aufgaben erals ’Hüter <strong>von</strong> Weltenei’ und ’Bewahrer der Quelle der Welten’ zu erfüllenhatte. Was war überhaupt diese Quelle der Welten?Diese Fragen würde sie nicht so schnell beantwortet bekommen. Wo sichdie Quelle der Welten befand, wusste Teese hingegen bereits wenige Minutenspäter. Magister Elgin hatte es übernommen, die neuen Schüler durch dasriesige Hauptgebäude und den Turm zu führen, der sich auf Weltenei erhob.Der Magieturm, wie das Bauwerk genannt wurde, besaß eine gewaltigeEingangshalle. An ihrer Außenwand führten vier Treppen nach oben in dennächsten Stock. In der Decke war ein großer, goldener Metallkreis eingelassen,welcher die Erde als Scheibe zeigte.Die Goldscheibe in der Decke war so weit über den Köpfen der Schüler befestigt,dass Teese kaum mehr erkennen konnte, als dass verschiedene Länderauf der Erdscheibe eingraviert waren. Sie glaubte, die beiden Teile <strong>von</strong> Amerikaerkennen zu können und Afrika und Europa auf der gegenüberliegendenSeite. Dadurch, dass alles auf einer kreisrunden Scheibe dargestellt war, wirktedie Anordnung der Kontinente allerdings ungewohnt und die Schriftzügeauf der gravierten Goldkarte konnte Teese nicht entziffern.Einfacher war dies bei dem Gegenstück der goldenen Weltkarte auf demBoden. Auch diese Scheibe war kreisrund und in den Stein eingelassen. Vorihr führten zwei Treppen in einem Halbrund in ein tieferes Stockwerk. Eineverschlossene Tür verhinderte den Blick auf das, was sich unter der Goldscheibebefand.Das hier“, erklärte Magister Elgin, bevor einer der Kinder die Frage”stellen musste, ist der Eingang zur Quelle der Welten. Dies ist der Ort, an”welchem Ihr am Ende des Halbjahres die letzte Prüfung absolvieren müsstund dort zeigt sich auch wie stark Euer magisches Talent ist.“Teese konnte sehen, dass Seth bei den Worten leicht schauderte. Allerdingsging sie da<strong>von</strong> aus, dass er sich darüber keine Sorgen machen musste.So wie er mit magischen Tieren umgehen konnte, musste das eine magischesTalent sein und sicher war es stark. Magister Nabi schien jedenfalls mit ihmsehr zufrieden gewesen, nachdem er das Einhorn gefüttert hatte.Der Zutritt zu der Quelle“, rissen Magister Elgins Worte Teese aus ihren”Gedanken, ist den Rest des Jahres für Kandidaten verboten, ebenso wie für”höhere Studenten und die Magister. Nur der Dekan hat Zugang zu der Quelleder Welten, wann immer es ihm beliebt. Er entscheidet, wer den Quellraumbetreten darf und wer nicht.“ Magister Elgin sah in die Runde der versam-


melten Kinder. Also kommt nicht auf dumme Gedanken“, fügte er hinzu”und wohl nicht ganz zu Unrecht.Fenns Blick lag mit großer Neugier auf der schlichten Holztür, welche denRaum unter der goldenen Weltscheibe verschloss. Und sogar Rinnir schienTeese die Tür abschätzend zu mustern, als würde er nur zu gerne einmaleinen Blick hinter sie werfen.Gehen wir nun hinauf in die Stockwerke der Bibliothek“, wies Magister”Elgin die frischgebackenen Kandidaten an.Die Gruppe folgte dem Magister zu einer der Treppen, welche an derrunden Turmwand hinauf führte. Teese konnte bei einem Blick in die Höhefeststellen, dass sie eine Art äußeres Treppenhaus betraten, welches unendlichin die Höhe zu reichen schien.Alle vier Treppen führen in den Turm hinauf“, sagte Magister Elgin,”während die Kinder ihm nach oben folgten. Dies hier ist die Nordtreppe”und sie führt zur Bibliothek. Gegenüber liegt die Südtreppe, welche zu denSchreibstuben, den Werkstätten und den Übungsräumen führt. Die Osttreppebringt Euch zu den Studienzimmern der Magister und die Westtreppe zuden Arbeitszimmern der älteren Schüler.“Fenn war am Geländer stehen geblieben und sah wie Teese nach oben.Ziemlich hoch“, stellte er fest.”Teese nickte. Ob die Treppe bis in die Spitze des Turmes führen würde,bis zu dem goldenen Engel auf dem Dach?Magister Elgin hielt eine große Tür auf, kaum dass sie den ersten Treppenabsatzerreicht hatten, und die Kinder betraten die Bibliothek.So viele Bücher“, staunte Liina, welche neugierig als eine der ersten in”die Bibliothek gegangen war.Fenn schob sich vor Teese durch die Tür. Ich hoffe, wir müssen die nicht”alle lesen“, sagte er. Der dunkelhäutige Junge teilte Liinas Begeisterung nichtwirklich.Teese beeindruckten die unzähligen Büchersregale über mehrere Etagenund Galerien zutiefst. Kein Leben ist lang genug, um sie alle zu lesen“,”entschied sie, ohne lange darüber nachdenken zu müssen.Die Bibliothek war sieben Stockwerke hoch und Regale standen dicht gedrängtin jedem Stockwerk an der kreisrunden Turmwand. Treppen verbandendie Galerien miteinander, während der Innenraum eines jeden Stockwerksfrei gelassen war und den Blick bis hinauf zur hohen Decke ermöglichte.Teese konnte eine weitere goldene Scheibe dort oben sehen und ein Blickauf den Boden verriet ihr, dass auch hier eine Weltscheibe eingelassen worden31


32war. Vielleicht war es sogar dieselbe, die sie in der Decke der Eingangshallegesehen hatten.Die Bibliothek steht allen Studenten offen.“ Magister Elgin hatte die”Stimme gesenkt, um die an Tischen über ihre Bücher gebeugten Schülernicht zu stören. Beachtet aber, dass die verschiedenen Bereich nur Magiern”einer bestimmten Stufe vorbehalten sind. Ihr als Kandidaten und Träger derweißen Schärpe habt Zugang zu allen Büchern in diesem Stockwerk. Fürdas darüber müsst Ihr Euch die rote Schärpe erwerben, für die dritte eineorangefarbene und für die vierte eine gelbe. Wenn Ihr Magisteranwärter seidund eine grüne Schärpe tragt, könnt Ihr die Bücher im fünften Stockwerkeinsehen. Wir Magister und Träger der blauen Schärpe haben Zugang zumsechsten Stockwerk. Die siebte Etage ist dem Träger der violetten Schärpevorbehalten, dem Weisesten <strong>von</strong> uns allen, Dekan Ezzo.Was für Bücher stehen dort?“, wollte Fenn neugierig wissen.”Magister Elgin wiegte nachdenklich den Kopf. Ich habe keine Ahnung.”Das müsstest Du den Dekan fragen.“Sie hat außer ihm wirklich niemand bisher gesehen?“ Fenn machte große”Augen.Doch, seine Vorgängerin natürlich und deren Vorgänger.“ Der Magister”machte eine vage Handbewegung. Sofern sie die violette Schärpe getragen”haben. Es gab Fälle in der Geschichte <strong>von</strong> Weltenei, in welcher dies nicht derDekan war. In der Regel ist der Weiseste <strong>von</strong> uns aber immer auch Hüter<strong>von</strong> Weltenei.“Teese hatte den Kopf in den Nacken gelegt und sah die sieben Stockwerkeder Galerien mit ihren schmalen Geländern hinauf. Der oberste Stock übteeinen merkwürdigen Reiz auf sie aus. Sie würde zu gerne einmal eines dieserBücher in den Händen halten, die dem besten der Magier vorbehalten waren.Was wohl in ihnen stand?Ich denke aber, das würde jetzt zu weit führen“, fuhr Magister Elgin”fort und als Teese ihren Blick zu ihm wandte, bemerkte sie, dass er sie beiseinen Worten angesehen hatte. Ihr werdet in den nächsten Wochen im”Unterricht mehr als genug <strong>von</strong> solchen Dingen erfahren. Gehen wir jetztweiter in die Wandelhalle und den Kreuzgang. Außerdem wollte ich Euchnoch das Hospital, das Skriptorium und das Auditorium Maximum zeigenund dann müssen wir wohl schon in die Taberna Akademika...“ Seine Worteverhallten, während er die Bibliothek verließ.Die Gruppe der jungen Kandidaten folgte dem Magister zurück ins Treppenhaus.Als sie sich umwandte, bemerkte Teese zwischen zwei Regalen ein


londer Haarschopf. Dort stand der Sohn des Dekans, Timar, ein Buch imArm und sah zu dem Mädchen, als sie die Bibliothek verließ. In seinen Augenspiegelte sich stummer Hass, der Teese schaudern und sie beeilen ließ, denanderen zu folgen.33

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