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Ich bin, weil wir sind.Partizipation im Alter alsLernaufgabeProf.Dr. Franz KollandUniversität WienGladbeck 7. Septe<strong>mb</strong>er 2010


DIE ALTERNDE GESELLSCHAFT2


Seit Ende des 19. Jahrhunderts• Steigende Lebenserwartung: Bessere Gesundheit immittleren und höheren Lebensalter• Ausbau der Alterssicherung• Strukturwandel der Wirtschaft/Produktionsweise• Frühe Pensionierung• Verlängerung der Ausbildungsphase• Folgen:• Ende der Arbeitsgesellschaft? (Arendt 1958; Dahrendorf 1986)• Kompression der Erwerbsarbeit• Sustainability Gap3


Forschungsstand zur Langlebigkeit(Olshansky/Carnes 2009)• Utopisten/Futuristen: physische Unsterblichkeitmöglich. Entscheidende Veränderungen im Lebensstil.Weiterentwicklung von Biomedizin undNanotechnologie.• Optimisten: Fortschreibung des demographischenWandels seit 150 Jahren. 2050 Lebenserwartung beiGeburt 100 Jahre.• Realisten: Moderate Senkung der Mortalitätsrate;Erwartete Lebenserwartung: 88 (Frauen), 82 (Männer).Risikofaktoren: Übergewichtigkeit, Diabetes, neueInfektionserkrankungen.4


Höchste Lebenserwartung von Frauen 1840-2000 (2040)JapanNorwegenSchwedenDie Langlebigkeits-OptimistenOeppen/Vaupel 20025


Aus alten Weibern …(1546)6


… macht der Jungbrunnen …7


… junge Schönheiten!8


Kompression der Morbidität (Fries 1980):Trotz steigender Lebenserwartung nimmt die Morbidität ab(Szenario II)GegenwärtigeMorbiditätSzenario IErhöhteMorbiditätSzenario IIKompressionder Morbidität9


„Ich fühle mich jünger als ich bin.“Altersgruppen%(n=1.000; 50 Jahre und älter, 2006, Österreich)Gesundheitszustand, Soziale Schicht, Lebensform, Alter: p


Die LanglebigkeitsdividendePotentiale für ErwerbsarbeitPotentiale für FreiwilligenarbeitPotentiale für PflegearbeitAber auch:Potential für eine Vita Activa, für selbstbestimmte undkreative Tätigkeiten – für ein bewusst gestaltetes Leben„Späte Freiheit“Entwürfe von neuen Lebensformen: Wohnen,Nachbarschaft, active citizenship11


PARTIZIPATION IM ALTER12


Partizipation heißt...• in einem modernen Verständnis: Soziale und politischePartizipation ist Bestandteil der aktiven Weiterentwicklung,Ausweitung und Intensivierung der repräsentativenDemokratie.• auf individuelle Ebene: Das Engagement des einzelnenzivilgesellschaftlichen Aktivbürgers.(Naegele 2008)13


Formen sozialer Partizipation (Bukov et al. 2002)• Kollektive soziale Partizipation: Gemeinsame Aktivitäten vonGruppenmitgliedern, welche auf die Gruppe selbst gerichtetist (z.B. Seniorenreisen, Gedächtnistraining)• Produktive soziale Partizipation: Vermittlung vonDienstleistungen an Dritte (Freiwilligenarbeit, Pflegearbeit)• Politische Partizipation: Handeln für andere soziale Gruppen 14


Partizipative Alterskultur• Meint eine Vielzahl von Prozessen der Kultivierung, die zuStrukturen selbstbestimmten Verhaltens führt und zu einerAnerkennung der älteren Generationen in der Gesellschaft.Selbstbestimmtes Verhalten ist abhängig:• von sozialen Definitionsprozessen(Altersbildern),• Ressourcen (Bildung),• individuellen Fähigkeiten (Kompetenz)• "Ripeness is all" (Shakespeare, King Lear)15


Partizipative Alterskultur:Seniorenorganisationen• AARP ist eine Non-Profit-Organisation in den USA, diedie Interessen der Generationen 50+ vertritt. DurchInformation und Bildung, durch Anwaltschaft undDienstleistungen soll die Lebensqualität der Älterenverbessert werden.• Gegründet 1958 hat die Organisation heute rund 40Millionen Mitglieder. Mehr als die Hälfte isterwerbstätig.http://www.aarp.org/


Partizipative Alterskultur:Universitäten des Dritten Lebensalters17


Aktives Altern (WHO 2002; EU 2012)• Das derzeit wichtigste Konzept von sozialer und politischerPartizipation, das auf die Potenzialnutzung ältererMenschen zielt, ist das des „Active Ageing“.• Die WHO („Add life to the years“) hat die Debatte umsoziale und politische Partizipation im Alter maßgeblichbeeinflusst.• Unter aktivem Altern versteht man den Prozess derOptimierung der Möglichkeiten von Menschen, imzunehmenden Alter ihre Gesundheit zu wahren, am Lebenihrer sozialen Umgebung teilzunehmen und ihre persönlicheSicherheit zu gewährleisten, und derart ihre Lebensqualitätzu verbessern.18


Bildung und aktives Altern• Steigende Bildungsniveaus werden den Alternsprozessverändern.• Mehr Bildung führt dazu, dass das Alter aktiver,anregbarer und selbstsicherer gelebt wird (Thomae 1983).• Weiterbildung führt zu einer Ausweitung nicht-familialerAktivitäten, d.h. der sozialen Netzwerke (Schuller 2007).• Lernen verändert das Zeiterleben und dasSelbstwertgefühl. Wenn ich etwas kann, dann will ich esauch nutzen• Lernen in Institutionen schafft „Bürokratiekompetenz“19


Herausforderungen an die Partizipation• Werden ältere Menschen als KonsumentInnengesehen, dann sehen sich diese selbst als passiv undeben als KonsumentInnen.• Die älteren Generationen werden als „Merchants ofthe Doom“ (Binstock 2005) gesehen.Vermutung: Im Verteilungskonflikt beiabnehmenden Ressourcen werden die Älterenaufgrund ihrer höheren Zahl ihre Macht einsetzen.• Die älteren Generationen setzen ihre eigenenInteressen durch.20


ProzentWahlverhalten der US-Bevölkerung im Vergleich zurGruppe 60+.Votum für republikanische Kandidaten 1980-200851%47%JahrQuelle: Connelly, M. (2008) How Americans voted: A political portrait.21


Wahlverhalten und Alter• Betrachten wir die Wahlentscheidungen auf derLebenszeitachse, dann sind keine• Alterseffekte festzustellen.• Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass Personenaufgrund eines zunehmenden Konservatismus imhöheren Lebensalter eher die konservativen ParteienCDU und CSU wählen.(Becker/Mays 2003)22


Weil die Zahl älterer Wähler/innen steigt, werden politischeEntscheidungen weniger auf die Bedürfnisse der JüngerenRücksicht nehmen. (Eurobarometer 2009)In Portugal, Slowenien, Griechenland, Zypern größte Zustimmung,in der Niederlande, Malta, Großbritannien, Estlandgeringste Zustimmung23


Weil die Zahl älterer Wähler/innen steigt, werden politischeEntscheidungen weniger auf die Bedürfnisse der JüngerenRücksicht nehmen. (Nach Altersgruppen und Geschlecht)24


Sind die älteren Menschen eine Last für dieGesellschaft?• Es sind eher die älteren Menschen selbst, die sich als Lastsehen!25


BEDINGUNGEN PARTIZIPATIVENHANDELNS26


Schlüsseldimensionen sozialer Wohlfahrt(Amartya Sen)Was braucht der Mensch für ein gutes, gelingendes Leben?1. Güter und Ressourcen, die eine Person zur Verfügung hatsind wichtige Mittel aber kein Selbstzweck.Denn: Menschen müssen in der Lage sein, ihre Ressourcenin reale Wahl- und Handlungsfreiheiten zu konvertieren.Beispiel:Wenn eine Person ein Fahrrad besitzt, aber nicht weiß, wieman fährt oder dies aufgrund eines Mangels anFahrradwegen nicht tun kann, dann ist keineHandlungsfreiheit gegeben.27


Schlüsseldimensionen sozialer Wohlfahrt(Amartya Sen)Was braucht der Mensch für ein gutes, gelingendes Leben?2. Das Capability Set, d.s. die Verwirklichungschancen. Es gehtum Befähigungen, über die ein Mensch verfügen muss,damit er sein Leben erfolgreich gestalten kann.Eine Gesellschaft ist umso gerechter, über je mehrCapabilities (Verwirklichungschancen) ihre Mitgliederverfügen.Beispiel:Bildung bietet eine intelligente Wahl zwischen unterschiedlichenFormen der Lebensführung. Sie hat eine zentraleBedeutung für die Handlungsbefähigung.28


Verwirklichungschancen und Partizipation• Um festzulegen, welche Verwirklichungschancen in einerGesellschaft als wertvoll angesehen werden und denWohlstand ausmachen, bedarf es partizipativer sozialerEntscheidungen aufgrund eines demokratischen Diskurses.• Reale Freiheit fordert aktive Bürger/innen, die ihre Chancendurch Teilnahme wahrnehmen.• Durch die Teilnahme kommt es zu Vergesellschaftung undeiner stetigen Erneuerung der Gesellschaft.• The question is no longer „to make people fit for democracy,but to make them fit through democracy“ (Sen 2001)29


Ziele partizipativen Handelns• Active Citizenship:Es geht um zivilgesellschaftliches Engagement ältererMenschen im unmittelbaren Lebensraum• Empowerment:Es geht um Ermächtigung und Befähigung zureigenverantwortlichen Teilnahme• Generation Mainstreaming:Es geht um die Darstellung der produktiven Leistungälterer Menschen im Beziehungsgefüge derGenerationen30


Erwartungen• Recht zur Partizipation:Eigenverantwortung, bezogen einmal auf die vom einzelnenälteren Menschen selbst wahrgenommene und aktivausgeübte Verantwortung für sich selbst und für sein Leben• Pflicht zur Partizipation:Mitverantwortung, bezogen auf Verantwortungsübernahmefür das Leben anderer wie für allgemeine gesellschaftlicheAnliegen gleichermaßen.Aber: Nach A. Sen ist es auch möglich, auch nichtteilzunehmen, aber es braucht „passives Empowerment“31


Thesen• Ältere Menschen haben eine Pflicht zur politischen undsozialen Teilhabe aufgrund ihrer Verantwortung in einerinsgesamt alternden Gesellschaft.Stichworte: Lebenslanges Lernen, Employability,Freiwilligenarbeit• Es besteht eine Pflicht zur sozialen Partizipation, um denZusammenhalt der Generationen zu sichern undÜberforderungen der nachrückenden Kohorten zuverringern.Stichworte: Pflege-/Betreuungsarbeit32


PARTIZIPATIVES LERNEN33


DisengagementEs gibt keine Begründung, denn Bildung ist für das Individuumnicht länger relevant.34


Aktivitätstheorie• Bildung und Lernen führen dazu, dass ältere Menschen aktivund sozial eingebunden bleiben. Bildung bedeutet sozialesEngagement.• Bildung verzögert und moderiert demenzielle Erkrankungen.• Bildung verhindert vorzeitige Institutionalisierung undsoziale Isolation.35


Partizipatives Lernen• Partizipation als Zieldimension der Bildung im Alter.Um partizipieren zu können braucht es Wissen undUrteilsfähigkeit.• Die älteren Menschen werden in den Mittelpunktgerückt und ihre Sichtweisen und Bewertungen dersozialen Realität wahrgenommen.• Offene – informelle – Lernsituationen sind günstigEs braucht eine Stärkung „wissenslatenterLernumgebungen“ gegenüber „wissensbasiertenDienstleistungen“.36


Partizipatives Lernen• Partizipation bedeutet dialogische Kommunikation.Über diese werden die Lernenden zu handelndenAkteuren und greifen verändernd in soziale Prozesseein. (Stichwort Geragogik)• Die Entwicklung individueller Kompetenzen geht übereinen Dreischritt: Information, Beteiligung undReflexion.37


Selbstbestimmtes Lernen• Neben der Selbständigkeit im Alter gilt dieSelbstbestimmung als wesentlich für das späteLeben.• Die Bildung zum autonomen Bürger wurzelt inKants Forderung nach dem „Ausgang des Menschenaus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“.• Autonomie ist ein „Zustand, in dem der alteMensch sich in der Lage sieht, seine Lebenszieledurch den Gebrauch eigenerVerhaltenskompetenzen und Ressourcen zuerreichen.38


Partizipation und Lernen im hohen Alter• Unter Bedingungen von Gebrechlichkeit geht es vor allemum ein „passives Empowerment“.• Die Umwelt muss so geändert werden, dass auchgebrechliche Ältere gut leben können und nicht völligabhängig werden.• In Amtsstrukturen ist die Beteiligung der Älteren oftmalsnicht erwünscht.• Ist schließlich das Aushandeln von Interventionen nichtmehr möglich, dann braucht es Solidarität. Damit dieseSolidaritätsbereitschaft gelingt, muss der Staat günstigeRahmenbedingungen schaffen.39


Ausblick: Neue Leitbilder des Alters• Partizipatives Altern: Das Ziel des partizipativen Ansatzes istes, Rollen, Verhalten und soziale Beziehungen im Alter zuändern, und zwar in Richtung eines• produktiven Alterns: Alte Menschen erbringengesellschaftlich wertvolle Leistungen. Sozialpolitisch heißtdas etwa Aufwertung der Freiwilligenarbeit.• bewussten und selbstgestalteten Alterns: LebenslangeEntwicklung und Selbstverwirklichung in einer sich ständigwandelnden Gesellschaft. Sozialpolitisch richtet es sichgegen negative Altersbilder.• solidarischen Alterns: Gerechtigkeit und Generationensolidaritätzwischen Jung und Alt. Neue Kultur der Pflege.40


„Es ist schlimm genug, rief Eduard, dass man jetztnichts mehr für sein ganzes Leben lernen kann. UnsreVorfahren hielten sich an den Unterricht, den sie inihrer Jugend empfingen; wir aber müssen jetzt alle fünfJahre umlernen, wenn wir nicht ganz aus der Modekommen wollen.“Goethe (1808)VIELEN DANK FÜR IHRE AUFMERKSAMKEIT!

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