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Juristisches Repetitorium hemmer

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<strong>Juristisches</strong> <strong>Repetitorium</strong><br />

<strong>hemmer</strong><br />

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Übersicht zur Schuld und den Entschuldigungsgründen<br />

A. Einleitung<br />

Der Grundsatz „nulla poena sine culpa“ hat Verfassungsrang. Strafe setzt Schuld voraus. Schuld ist<br />

nach der normativen Schuldlehre die persönliche Vorwerfbarkeit der Willensbildung und Willensbetätigung.<br />

Die Schuld ist ein persönlicher Vorwurf an den Täter, dass er die rechtswidrige Handlung nicht<br />

unterlassen hat, obwohl er sie unterlassen konnte.<br />

B. Elemente der Schuld/Prüfungspunkte<br />

Anmerkung: Zu unterscheiden ist zwischen der hier zu erörternden Strafbegründungschuld („Ob“ der<br />

Strafe) und der Strafzumessungsschuld i.S.d. § 46 StGB („Wie“ der Strafe).<br />

����Schuldfähigkeit (§§ 19, 20, 21 StGB , § 3 JGG)<br />

����Spezielle Schuldmerkmale<br />

Besondere Schuldmerkmale bezeichnen eine bestimmte schuldrelevante Motivation des Täters. Sie charakterisieren<br />

die Gesinnung des Täters, z.B. „böswillig“ in § 225 und „rücksichtslos“ in § 315 c I StGB.<br />

����Schuldform<br />

- Vorsatzschuld als Träger des Gesinnungsunwertes beim ETBI (rechtsfolgenverw. Var. der SchuldT)<br />

- subj, Sorgfaltspflichtverletzungen bei Fahrlässigkeitsdelikten<br />

����Unrechtsbewusstsein<br />

Ausgeschlossen ist die Schuld, wenn dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht fehlt, Unrecht zu tun,<br />

und dieser Irrtum für den Täter unvermeidbar war, § 17 S. 1 StGB. Dies ist allerdings nur dann denkbar,<br />

wenn der Täter selbst bei Anspannung aller Gewissenskräfte den Irrtum nicht erkennen konnte.<br />

����Fehlen von Entschuldigungsgründen<br />

C. Die wichtigsten Problematiken<br />

I. Schuldfähigkeit, §§ 19, 20, 21 StGB<br />

§§ 20, 21 StGB enthalten zwei kumulative Element (biologisches und psychologisches) vorliegen. Liegt<br />

einer der enumerativ aufgezählten Defekte vor, so ist in einem zweiten Schritt zu klären, ob sich dieser<br />

auch auf die Einsichts- u. Steuerungsfähigkeit auswirkt. Bei Kindern unter 14 Jahren wird die Schuldunfähigkeit<br />

unwiderleglich vermutet (absolute S.),vgl. § 19 StGB. Bei Jugendlichen (14-18 Jahre, vgl. § 1 II<br />

JGG) ist immer nach § 3 JGG die Schuldfähigkeit positiv festzustellen. Der Jugendliche muss zur Tatzeit<br />

nach seiner geistigen u sittlichen Entwicklung reif genug gewesen sein, das Unrecht der Tat einzusehen.<br />

Anmerkung: In der Klausur tauchen §§ 20, 21 StGB typischerweise in Verbindung mit einer Alkoholisierung<br />

auf. Der Vollrausch lässt sich als „tiefgreifende Bewusstseinsstörung“ oder ebensogut als „krankhafte<br />

seelische Störung“ erfassen. Zu beachten sind dabei folgende Promillegrenzen: Der Anwendungsbereich<br />

des § 21 beginnt bei 2,0 ‰ (bei Tötungsdelikten 2,3). Schuldunfähigkeit ist ab 3,0 ‰ zu<br />

problematisieren (3,3 bei Tötungsdelikten). Dies ist allerdings nur eine Faustregel; vorzunehmen ist eine<br />

Gesamtwürdigung unter Einbeziehung aller äußeren und inneren Aspekte des Tatgeschehens und der<br />

Persönlichkeitsverfassung. Der BAK kommt dabei aber entscheidendes Gewicht zu.<br />

Mangels Schuld kann der Täter wegen der begangenen Tat nicht bestraft werden. Nicht ausgeschl. ist<br />

jedoch die Verhängung von Maßregeln der Besserung und Sicherung (§§ 63, 64, 69 StGB), da diese in<br />

die Zukunft gerichtet sind und auf die „Gefährlichkeit“ des Täters abstellen. Bei nicht verantwortlichen<br />

Jugendlichen i.S.d. § 3 JGG können gem. § 3 S.2 JGG Erziehungsmaßnahmen angeordnet werden.<br />

II. Die sog. actio libera in causa (alic) und § 323a StGB<br />

Gem. § 20 StGB muss die Schuld des Täters zum ZP der Tat vorliegen, damit er zur Verantwortung ge-<br />

2007 II RA Dr. Philipp Hammerich<br />

.


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<strong>hemmer</strong><br />

zogen werden kann (Koinzidenzprinzip). Befindet sich der Täter zum Tat-ZP im Zustand des § 20 StGB<br />

kann er mangels Schuldfähigkeit nicht bestraft werden. Dies ist bedenklich, wenn der Täter sich bewusst<br />

in diesen Zustand versetzt, um dann eine Tat zu begehen, für die er mangels Schuld nicht bestraft werden<br />

kann. Der subsidiäre § 323a StGB, der die Rauschtat als obj. Bedingung der Strafbarkeit erfasst,<br />

wird wegen seiner Strafrahmenbegrenzung auf 5 Jahre dem Unrechtsgehalt der Tat häufig nicht gerecht.<br />

Um dieses missliche Ergebnis zu vermeiden, wurden mehrere stark heterogene Lösungsansätze entwickelt,<br />

um den Täter doch wegen der unmittelbar begangenen Tat betrafen zu können. Diese Lösungsansätze<br />

werden gemeinhin unter dem Oberbegriff der actio libera in causa diskutiert.<br />

Zu unterscheiden ist dabei zwischen vorsätzlicher und fahrlässiger alic.<br />

1. Die vorsätzliche actio libera in causa<br />

Die vorsätzl.alic setzt Vorsatz bzgl. des Berauschens und bzgl. der späteren Tat im ZP des Berauschens<br />

voraus (bspw. auch der Fall, wenn der Täter sich Mut antrinkt, da er meint, nüchtern die Tat nicht vollbringen<br />

zu können). In diesem Fall kann es zu einer Bestrafung wegen vorsätzlicher Tatbegehung kommen.<br />

Hierzu muss der Täter aber seinen Defektzustand vorsätzlich (mind. dol.ev.) herbeigeführt haben<br />

und sein Vorsatz bereits zu diesem ZP auf die Begehung einer (wenigstens ihrer Art nach) bestimmten<br />

Straftat gerichtet war, zu deren Verwirklichung es dann im Zustand der Schuldunfähigkeit gekommen ist<br />

(sog. Doppelvorsatz). Tatvorsatz und Tatablauf müssen sich dabei in ihren wesentl. Grundzügen decken.<br />

Weicht die Tat von den Planvorstellungen des Täters ab, ist nur für § 323a Platz. Eine wesentl. Abweichung<br />

liegt nach h.L. - entgegen BGHSt 21, S. 381, 384 - auch bei einem error in persona bei der Ausführung<br />

vor, da dem Täter der Irrtum erst nach Verlust der Schuldfähigkeit unterlaufe und damit die den<br />

Schuldvorwurf tragende Verbindung zw. Tatplan und Tatgestaltung beseitigt sei (�aberratio ictus).<br />

Lösungsansätze<br />

a) Ausnahmemodell<br />

� knüpft den Strafbarkeitsvorwurf an die im schuldunfähigen Zustand begangene Handlung an und<br />

postuliert eine echte ungeschriebene, gewohnheitsrechtlich begründete Ausnahme zu § 20 StGB. Dieser<br />

Auffassung ist vom BGH ausdrücklich verworfen worden (BGHSt 38, 235/241). Es gibt keine Ausnahmen<br />

vom Koinzidenzprinzip. § 20 StGB ist zwingendes Recht. Abweichungen verstoßen gg. Art. 103 II<br />

GG. Gewohnheitsrecht hat im StrafR weder strafbarkeitsbegründende noch -erweiternde Wirkung:<br />

b) Ausdehnungsmodell/Schuldvorverlagerungsmodell<br />

� Anknüpfungspunkt ist auch hier die im Zustand der Schuldunfähigkeit begangene Handlung an. Begriff<br />

der Tatbegehung i.S.v. § 20 StGB wird auf schuldfähiges Vorverhalten ausgedehnt. Das Gesamtgeschehen<br />

(hier Unterschied zur Tatbestandslösung) wird dem Täter zum Vorwurf gemacht.<br />

Der BGH hält diese Konstruktion ebenso wenig wie das Ausnahmemodell für tragfähig: Es spreche<br />

nichts dafür, dass das StGB den in §§ 16 I, II, 17 S. 1 und 20 unterschiedslos verwendeten Begriff der<br />

Begehung der Tat in § 20 in einem weiteren Sinne verstanden wissen will (BGHSt 38, S. 235, 240).<br />

c) Tatbestandslösung (Vorverlagerungsmodell)<br />

Die Tatbestandslösung ist keine Ausnahme vom Koinzidenzprinzip. Der strafrechtliche Vorwurf knüpft<br />

nicht an die Rauschtat an, sondern an das Sich-Berauschen selbst, die sog. actio praecedens. Der Tat-<br />

ZP wird vorverlagert auf einen Zeitpunkt, in dem die Schuldfähigkeit noch vorlag. Dies führt allerdings zu<br />

einer sehr weiten Ausdehnung des jeweiligen TB. An diesem Aspekt knüpft auch die neuere Rspr. des<br />

BGH an, die sich zwar nur auf Verkehrsdelikte bezog (BGHSt 42, 235 f.), deren Aussage aber durchaus<br />

auf alle anderen Delikte übertragen werden kann. Der BGH stellt klar, dass im Rahmen der sog. alic die<br />

Tatbestandslösung die einzige tragfähige Konstruktion ist. Nur sie wahrt das Koinzidenzprinzip.<br />

Die Tatbestandslösung ist im Hinblick auf Art. 103 II GG aber nur bei den reinen Erfolgsdelikten zulässig.<br />

Hier ist gerade nicht umschrieben, wie der Taterfolg herbeigeführt werden muss. Insofern ist<br />

auch eine Herbeiführung durch das Sich-Berauschen als Tathandlung möglich. Unzulässig ist die TB-<br />

Lösung hingegen bei reinen Tätigkeitsdelikten (Bsp.: § 316 „führen“), bei denen die Tathandlung genau<br />

2007 II RA Dr. Philipp Hammerich


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umschrieben ist. Ein Gleichsetzen dieser Tathandlung mit dem Sich-Berauschen würde gegen Art. 103 II<br />

GG verstoßen. Bei den reinen Tätigkeitsdelikten kommt man jedoch über den Strafrahmen des § 323 a<br />

StGB bereits zu befriedigenden Lösungen, so dass kein wirkliches Bedürfnis für die alic besteht.<br />

Anmerkung: Nach ihrem Erscheinungsbild ist die Herbeiführung des Defektzustandes eine typische<br />

Vorbereitungshandlung. Die Vereinbarkeit dieser Lösung mit den Versuchsregeln muss daher kritisch<br />

beurteilt werden. Man müsste insofern fordern, dass die spätere Handlung mindestens das Stadium des<br />

Versuchs erreicht hat; Vorbereitungshandlungen genügen nicht (a.A.: Versuchsbeginn bei Beginn des<br />

Sich-Betrinkens; wiederum a.A.: bei Eintritt der Schuldunfähigkeit).<br />

d) Lösung über die Konstruktion der mittelbaren Täterschaft<br />

Hiernach macht sich der Täter durch das Berauschen zu seinem eigenen schuldunfähigen Werkzeug.<br />

Es reichen daher Schuld und Vorsatz im Zeitpunkt der Einwirkung auf das Werkzeug (Berauschen).<br />

Die Ansicht verkennt aber, dass die mittelbare Täterschaft zwingend zwei existente Personen voraussetzt.<br />

Durch das Sich-Berauschen wird der Täter kein „von sich selbst Verschiedener“ und mithin kein<br />

anderer i.S.d. § 25 I 2.Alt. StGB. Es wird zu keinem Zeitpunkt eine überlegene Tatherrschaft des Hintermannes<br />

begründet, da dessen Handlungs- und Steuerungsfähigkeit in gleichem Maße sinkt wie die des<br />

„Werkzeugs“. Außerdem versagt diese Lösung bei eigenhändigen Delikten.<br />

e) „Unvereinbarkeitstheorie“<br />

Jede der Theorien weist Schwächen auf, so dass es gut vertretbar erscheint, alle zuvor genannten Konstruktionen<br />

wegen Verstoßes gegen Art. 103 II GG gänzlich abzulehnen. Abhilfe kann dann nur der Ggeber<br />

schaffen, indem er § 20 StGB ergänzt. Bis dahin bliebe nur eine Bestrafung aus § 323 a StGB.<br />

Anmerkung: Auch dies ist nicht unproblematisch, da die Verfassungsmäßigkeit des § 323 a StGB auf<br />

tönernen Füßen steht. Anknüpfungspunkt für den strafrechtlichen Vorwurf ist bei § 323 a StGB das Berauschen.<br />

Es handelt sich mithin um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Das Berauschen ist aber rechtlich<br />

u sozial gar nicht tabuisiert.. Es leuchtet nicht ein, wenn durch den Eintritt eines schuldindifferenten<br />

Erfolges (nur objektive Bedingung der Strafbarkeit!) diese Handlung zu schuldhaftem Unrecht werden<br />

soll. Mithin erscheint die Vereinbarkeit des § 323 a StGB mit dem Schuldprinzip zumindest fraglich.<br />

Aufbau in der Klausur<br />

In der Klausur sollte man der Tatbestandslösung folgen. Der Aufbau soll anhand eines kurzen Beispielsfalls<br />

verdeutlicht werden. Bsp.: T versetzt sich vorsätzlich in einem Rausch-Zustand, um dann im schuldunfähigen<br />

Zustand den O zu erschießen. Mit einem BAK von 3,5 ‰ tötet er dann den O durch einen<br />

Schuss mit seinem Gewehr. Strafbarkeit des T?<br />

A. § 212 StGB durch Erschiessen<br />

I. TB (+)<br />

II. RW (+)<br />

III. Schuld?<br />

� zum Tatzeitpunkt schuldunfähig<br />

� Problem der alic mit den vertreten Ansätzen darstellen<br />

� insb. Ausnahme- und Ausdehnungsmodell/SchuldvorverlagerungsT ablehnen<br />

���� Tatbestandslösung folgen ����RF: § 212 StGB durch Erschiessen (-)<br />

B. § 212 StGB durch das Sich-Berauschen<br />

I. TB � nach der Tatbestandslösung (+), da § 212 StGB reines Erfolgsdelikt<br />

II. RW (+)<br />

III. Schuld � zu diesem Zeitpunkt unproblematisch (+)<br />

2. Die fahrlässige actio libera in causa<br />

Obige Erörterung ist nur vorzunehmen, wenn tatsächlich doppelter Vorsatz (bzgl. des Berauschens und<br />

der Deliktsbegehung im schuldunfähigen Zustand) vorliegt. Alle anderen Fälle (1. Vorsatz bzgl. Berau-<br />

2007 II RA Dr. Philipp Hammerich


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schen, aber fahrlässige Tat, 2. Fahrlässigkeit bzgl. des Berauschens und vorsätzliche Tat, 3. Fahrlässigkeit<br />

sowohl bzgl. Berauschen als auch hinsichtlich der späteren Tat) sind nicht nach den Grundsätzen<br />

der fahrlässigen alic zu behandeln. Es kommt dann nur eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit in Betracht, für<br />

die es nach h.M. der oben genannten Konstruktionen nicht bedarf, da dort der Einheitstäterbegriff gilt.<br />

Soweit das Fahrlässigkeitsdelikt aber ein bestimmtes Verhalten erfordert, hilft auch der Einheitstäterbegriff<br />

nicht mehr weiter. Eine Strafbarkeit kommt dann nur aus § 323 a in Betracht.<br />

III. Fehlende Schuld aufgrund von Irrtümern<br />

Hier ist nach der hM der ETBI relevant (rechtsfolgenverweisende eingeschränkte Theorie), sowie der<br />

Erlaubnis- bzw. Verbotsirrtum, § 17 StGB. Vergleiche hierzu ausführlich die Übersicht zu den Irrtümern.<br />

IV. Entschuldigungsgründe<br />

Entschuldigungsgründe führen zu einer so starken Herabsetzung des Unrechts- u Schuldgehaltes der<br />

Tat, dass die Schwelle der Strafbarkeit nicht mehr erreicht wird und der Ggeber aufgrund der außergewöhnl.<br />

Motivationslage auf die Erhebung eines Schuldvorwurfes verzichtet. Das vom Täter begangene<br />

Unrecht (TB und RW) bleibt jedoch erhalten, so dass weiterhin eine teilnahmefähige Haupttat vorliegt.<br />

1. Entschuldigender Notstand, § 35 StGB<br />

Prüfungsschema<br />

a) Notstandslage<br />

ggw Gefahr, aber nur für Leib, Leben u Freiheit des Täters, e.Angehörigen oder e. nahestehenden Pers.<br />

b) Notstandshandlung<br />

Gefahr darf nicht anders abwendbar sein. Es darf kein gleich geeignetes, milderes Mittel vorhanden sein.<br />

Eine Güterabwägung ist grundsätzlich nicht erforderlich. Es darf daher sogar „Leben gegen Leben“ gestellt<br />

werden! Auch Angemessenheit ist nicht erforderlich. Gleichwohl wird als ungeschriebene Voraussetzung<br />

des § 35 I S.1 angenommen, dass keine Unverhältnismäßigkeit bestehen darf.<br />

c) keine Ausnahme i.S.d. § 35 I 2 StGB ( Zumutbarkeit )<br />

Täter darf die Gefahr nicht selbst verursacht haben und nicht rechtlich zur Hinnahme verpflichtet sein.<br />

Dies gilt z.B. für Polizisten, Feuerwehrmänner oder bei § 81 a StPO. Die Aufzählung in § 35 I S.2 ist<br />

nicht abschließend („namentlich“).<br />

d) Rettungswille als subj. Entschuldigungselement Handeln in Kenntnis und aufgr.der Notstandslage<br />

(P) Nötigungsnotstand<br />

Nach h.M. erfasst § 35 I StGB auch den sog. Nötigungsnotstand. In diesen Fällen wird eine Person<br />

durch Nötigung in eine Notstandslage versetzt, um dadurch gezielt einen Eingriff in fremde Rechtsgüter<br />

zu verursachen, welcher der Abwehr der Nötigung dient. Liegen die Voraussetzungen des § 35 I StGB<br />

vor, so ist der Genötigte entschuldigt; der Nötigende handelt in einer solchen Konstellation als mittelbarer<br />

Täter in Bezug auf den Nötigungserfolg. Scheidet § 35 I StGB für den Genötigten aus, insb. weil kein<br />

Rechtsgut i.S.d. § 35 StGB beeinträchtigt ist, kommt für den Nötigenden nur Anstiftung in Betracht.<br />

Nach a.A. komme bei Nötigungsnotstand jedoch zunächst eine Rechtfertigung in Betracht, da bei einer<br />

Nötigung in jedem Falle eine Notstandslage iSd. § 34 StGB vorliege. Ob die konkrete abgenötigte Handlung<br />

gerechtfertigt ist, könne allein von der Güterabwägung im Rahmen des § 34 StGB abhängen.<br />

Gegen diese Lsg. wendet die hM ein, dass dann dem Opfer Abwehrrechte gg den Genötigten vollständig<br />

versagt blieben u es auf seine (zumeist wenig effektive) Verteidigungsbefugnis ggü dem Nötiger verwiesen<br />

würde. Dies erscheint unbillig, da der Genötigte „bewusst auf die Seite des Unrechts getreten“ sei.<br />

Dafür, § 34 StGB nicht von vornherein auszuschließen, spricht jedoch, dass dieser aufgrund seines Abwägungserfordernisses<br />

(„wesentliches Überwiegen“) nur solche Fälle erfasst, in denen es sich um den<br />

Schutz hochwertiger Güter durch einen Eingriff in geringwertige Güter handelt; eine Versagung des Notwehrrechts<br />

sei in diesen Fällen nicht unbillig.<br />

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<strong>hemmer</strong><br />

Für die hM lässt sich aber anführen, dass die bewusst in Rechtsgüter eines Unbeteiligten eingreifende<br />

Tat des Genötigten nicht als „angemessenes Mittel“ iSd § 34 StGB zur Lösung der Situation erscheint.<br />

Anmerkung: In der Klausur ist mit der Prüfung des § 34 StGB zu beginnen: (1): Notstandslage (+), (2.)<br />

Notstandshandlung: wesentl. Überwiegen? Wenn (+): Streit darstellen. Wenn (-), reicht es, kurz auf die<br />

Entbehrlichkeit des Streites hinzuweisen. Sofern man der hM folgt, ist dann eine „normale“ Prüfung des<br />

§ 35 StGB vorzunehmen (dabei insb. an die von Abs.1 erfasste Dauergefahr denken, sofern bedrohliche<br />

Lage für den Genötigten nicht akut ist).<br />

2. Notwehrexzess, § 33 StGB<br />

§ 33 StGB erfasst nach h.M. nur den intensiven, nicht den extensiven Notwehrexzess. Er greift ein, wenn<br />

der Täter iRd Notwehr die Grenze der Erforderlichkeit überschreitet. Gem. § 33 StGB ist der Täter zumindest<br />

entschuldigt (nicht gerechtfertigt !), wenn er „aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken“ handelte.<br />

Hieraus folgen die weiteren Vor. des § 33 StGB. Es muss ein innerer Zus.hang zw. Überschreitung und<br />

Affekt vorliegen, wobei es sich um einen sog. asthenischen Affekt handeln muss. Solche Affekte sind<br />

Ausdruck eines Gefühls der Bedrohtheit, das durch die unrechtsmindernde Notwehrlage hervorgerufen<br />

wird. Aus diesem Grunde entfällt gerade der Schuldvorwurf. Dies erklärt auch, warum der extensive Exzess<br />

nicht erfasst wird. Hier liegt in zeitl. Hinsicht keine unrechtsmindernde Notwehrlage mehr vor.<br />

Liegen auch sthenische, aggressive Affekte (Wut, Zorn) vor, so entfällt § 33 StGB bei einem solchen<br />

Affektbündel erst dann, wenn die asthenischen Affekte völlig verdrängt werden. Dies begründet sich insbesondere<br />

dadurch, dass solche inneren Vorgänge einem Beweis nur schwer zugänglich sind.<br />

3. Übergesetzlicher Notstand (entschuldigende Pflichtenkollision )<br />

Rspr. und Literatur haben diesen Entschuldigungsgrund in Anlehnung an § 35 I StGB entwickelt. Er<br />

schließt eine Lücke, die sich ergibt, wenn § 34 StGB bei einer Abwägung „Leben gegen Leben“ ausscheidet,<br />

und § 35 StGB mangels betroffenen Personenkreises gleichfalls nicht greift.<br />

Typische Fälle: KZ-Ärztefall (Euthanasie), Weichenstellerfall � Voraussetzungen:<br />

� ggw Lebensgefahr, die nicht anders abgewehrt werden und auch nicht hingenommen werden kann.<br />

� Das vom Täter angerichtete Übel muss bei einer ethischen Gesamtbetrachtung gegenüber dem<br />

durch die Tat verhinderten Unheil das wesentlich geringere Übel sein.<br />

� Täter muss alle Umstände kennen und aus einer Gewissensnot heraus mit Gefahrabwendungs- bzw.<br />

Übelverringerungswillen handeln. Rspr. fordert dabei eine gewissenhafte Prüfung der Notstandslage.<br />

Anmerkung: Diese Konstellation muss unbedingt von der rechtfertigenden Pflichtenkollision unterschieden<br />

werden, bei der mehrere Handlungspflichten bestehen, also Unterlassungs-Strafb.keit droht.<br />

4. Weitere diskutierte Entschuldigungsgründe<br />

In der Literatur werden Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens und Glaubens- und Gewissensfreiheit<br />

gem. Art. 4 I, II GG als Entschuldigungsgründe diskutiert. Nach hM sind diese Gründe wegen ihrer unbestimmten<br />

Voraussetzungen und der mit ihnen verbundenen Subjektivierung abzulehnen. Es obliegt<br />

dem Gesetzgeber ausdrücklich festzuschreiben, wann ein rechtswidriges Verhalten entschuldigt ist.<br />

Jedoch ist die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens bei unechten Unterlassungs- und Fahrlässigkeitsdelikte<br />

als Entschuldigungsgrund anerkannt ist. Die Einordnung des gebotenen Verhaltens als unzumutbar<br />

erfolgt im Rahmen einer Abwägung, in die einerseits die billigenswerten Interessen des Täters,<br />

andererseits die Schwere der drohenden Gefahr für fremde Rechtsgüter einzustellen sind.<br />

Ebenfalls als Entschuldigungsgrund diskutiert wird das Handeln von Amtsträgern/Soldaten auf dienstl.<br />

Weisung. Ist die Weisung verbindlich, so hat sie (bereits) rechtfertigende Wirkung. Verbindlich ist eine<br />

Weisung, die rm ist (u.U. kann auch rw Weisung verbindl. Sein, etwa im Soldatenrecht) Unverbindlich ist<br />

eine Weisung v.a. dann, wenn durch die Ausführung ein Verbrechen oder Vergehen begangen, die<br />

Menschenwürde verletzt oder gegen allgemein anerkannte Regeln des Völkerrechts verstoßen wird.<br />

2007 II RA Dr. Philipp Hammerich

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