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Der Sozialstaat gehört allen! - BAG Wohnungslosenhilfe eV

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<strong>Der</strong> <strong>Sozialstaat</strong> gehört <strong>allen</strong>!Menschen in Armut und Wohnungsnothaben ein Recht auf Wohnen, Arbeit, Gesundheit!Die Europäische Union hat das Jahr 2010 zum „Europäischen Jahr zurBekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung“ erklärt. Auch dieBundesregierung hat sich damit verpflichtet, „einen entscheidenden Beitragzur Beseitigung von Armut und sozialer Ausgrenzung“ zu leisten und das„Grundrecht der von Armut und sozialer Ausgrenzung Betroffenen auf einLeben in Würde und auf umfassende Teilhabe an der Gesellschaft“ anzuerkennen.(Beschluss der EU vom 22. 10. 2008)Die Bundesregierung lässt jedoch extreme Armut, Wohnungslosigkeit undWohnungsnot, die immer untragbareren Gesundheitskosten für Arme unddie Zunahme der Wohnungslosigkeit unter den jungen Bürgerinnen undBürgern unbeachtet. Stattdessen wird von Teilen der Bundesregierung inbeispielloser Weise gegen Arbeitslosengeld II-Beziehende Stimmung gemacht.Aber nicht nur Politiker, auch Feuilleton und Interessenverbände inWirtschaft und Wissenschaft polemisieren gegen Arme und Ausgegrenzte:Die SGB II-Regelsätze, die sog. HARTZ IV-Leistungen, seien zu üppig; ALG II-Beziehende sollten Sachleistungen für sich und ihre Kinder erhalten, weil siedas Geld nur für Alkohol, Tabak und Junk Food ausgäben, die Kosten für ihreWohnungen sollten pauschaliert werden, damit sie lernten sich zu bescheiden.Wir sind der Überzeugung, dass Wohnungslosigkeit, Wohnungsnotund soziale Ausgrenzung im „Europäischen Jahr zur Bekämpfungvon Armut und sozialer Ausgrenzung“ auf die Tagesordnung inDeutschland gehören.Wir rufen Bürgerinnen und Bürger, Politikerinnen und Politiker,gesellschaftliche Verbände und Organisationen auf, sich an derKampagne „<strong>Der</strong> <strong>Sozialstaat</strong> gehört <strong>allen</strong>!“ zu beteiligen.. . . und morgen ohne Wohnung?In Deutschland sind nach Schätzung der <strong>BAG</strong> <strong>Wohnungslosenhilfe</strong>e.V. ca. 223.000 Menschen wohnungslos, 20.000 von ihnen leben ganzohne Unterkunft auf der Straße. Im letzten Winter sind mindestens 17wohnungslose Männer auf der Straße, in Erdhöhlen, auf Parkbänken, inHauseingängen erfroren. Bisher hatte keine Bundesregierung ein Interessedaran, eine offizielle Statistik zur Erfassung der Wohnungslosigkeit einzuführen.Zu viele Menschen sind vom Wohnungsverlust unmittelbar bedroht: NachSchätzung der <strong>BAG</strong> W sind dies ca. 103.000 Menschen bzw. ca. 53.000Haushalte.<strong>Der</strong> Bestand an öffentlich gefördertem und damit preiswertem Wohnraumnimmt überall ab, da die Belegungsbindungen sukzessive auslaufen. DieseTendenz des knapper werdenden gebundenen Mietwohnungsbestandeswird befördert durch den Verkauf kommunaler und landeseigenerWohnungsbaubestände an private Investoren.In vielen Städten und Gemeinden fehlt somit Wohnraum zu angemessenenPreisen. Die Mietobergrenzen sind zu niedrig angesetzt, insb. mangelt es anpreiswerten Klein- und Großwohnungen.Mietkautionen müssen i. d. Regel sofort in Raten zurückgezahlt werden, dievom Regelsatz abgezogen werden. Diese rechtswidrige Praxis zusammenmit den nicht an den örtlichen Mietspiegeln angepassten Mietobergrenzenund der pauschalen Begrenzungen der Betriebs- und Heizkosten ist für vielearme Haushalte ein weiterer Schritt in die Verschuldungsspirale, die letztlichzu Mietrückständen und damit zu Wohnungsverlusten führen kann.Sollten die Kündigungsfristen – wie im Koalitionsvertrag derRegierungsfraktionen verankert – generell auf drei Monate gesenkt und dieKosten der Unterkunft sowie der Mietnebenkosten im Rahmen von HartzIV pauschaliert werden, ist ein Ansteigen der Zahl von Wohnungslosigkeitbedrohter Menschen bzw. wohnungsloser Menschen nicht auszuschließen.Man müsste noch mal 20 sein . . .!?Arbeitslose junge Erwachsene unter 25 Jahren erhalten Leistungen fürUnterkunft und Heizung in einer eigenen Wohnung nach dem SGB II nur,wenn der kommunale Träger diese vor Abschluss des Mietvertrages zugesicherthat. Bei vielen dieser jungen Leute ohne Job und ohne Ausbildungsind die Auszüge aber nicht geplant und gut vorbereitet; oft fliehen sie vorunhaltbaren häuslichen Verhältnissen oder werden von den Eltern vor dieTür gesetzt. Viele landen in außerordentlich prekären und nicht selten vonGewalt und Missbrauch geprägten Lebenssituationen. <strong>Der</strong> Anteil der jungenFrauen und Männer unter den Wohnungslosen ist in den letzten Jahrenkontinuierlich angestiegen.Darüber hinaus kommt es bei U-25-Jährigen häufig zu Sanktionen, sogar innicht wenigen Fällen zu 100%-Kürzungen. Die Sanktionsquote bei den U-25-Jährigen liegt bei 10 % und ist damit mehr als dreimal so hoch wie beiden über 25-Jährigen. Hauptursache für Sanktionen sind mit einem Anteilvon über 50% Meldeversäumnisse, d.h. Termine bei der Arbeitsvermittlungoder dem Ärztlichen Dienst wurden nicht eingehalten.„Ohne Arbeit, keine Wohnung - ohne Wohnung, keineArbeit“Dauerhaft hohe Arbeitslosenraten, insb. der Langzeitarbeitslosigkeit, dieschnelle Abnahme niedrig qualifizierter Arbeitsplätze, ohne dass gleichzeitigdie Chance für alle auf einen qualifizierten Arbeitsplatz besteht, die rapideZunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse – dieses sind Kennzeichendes Arbeitsmarktes. 90 % der wohnungslosen Männer und Frauen sindarbeitslos, zumeist langzeitarbeitslos. Sie haben oft ein Einkommen, dasnoch unter den Eckregelsätzen des SGB II / XII liegt, viele verfügen übergar kein Einkommen. <strong>Der</strong> Teufelskreis „Ohne Arbeit, keine Wohnung -ohne Wohnung, keine Arbeit“ muss durchbrochen werden, denn das Zieleiner sozialen Arbeitsmarktpolitik muss es sein, den Lebensunterhalt überErwerbsarbeit zu sichern.. . . es geht doch auch ohne?! Gesundheitsversorgung– ein Luxus?Trotz eines Einkommens, das oft unter dem Existenzminimum liegt, müssenWohnungslose Praxisgebühren und Zuzahlungen zu Medikamenten,Heil- und Hilfsmitteln leisten. Ihr Gesundheitszustand ist entsprechend besondersschlecht.Arme PatientInnen sparen an der gesundheitlichen Versorgung und riskierendamit eine Verschleppung und Chronifizierung ihrer Krankheiten, dieletztlich zu steigenden Kosten im Gesundheitssystem führen können. Inden letzten Jahren hat sich die Zahl der Arztkontakte bei Menschen mitschlechtem Gesundheitszustand und geringem Einkommen reduziert. ImJahr 2006 gaben die bundesdeutschen Haushalte im Durchschnitt 83,00€ / Monat für Gesundheitspflege aus; Einpersonenhaushalte 67,00 €,Haushalte in der untersten Einkommensklasse (bis 1.300,- netto) 25,- €.In dem HARTZ IV-Regelsatz für einen Einpersonenhaushalt sind 14,- €monatlich für Gesundheitspflege vorgesehen.Die in extremer Armut lebenden wohnungslosen Männer und Frauen wärennahezu gänzlich von der gesundheitlichen Versorgung abgekoppelt, wennes nicht vor Ort medizinische Versorgungsangebote für Wohnungslosegebe oder die <strong>Wohnungslosenhilfe</strong> nicht für ihre Klientinnen und KlientenPraxisgebühren, die Kosten für Brillen und weitere Zuzahlungen übernehmen.Diese Grundversorgung ist aber in hohem Maße abhängig vonSpenden und freiwilligem Engagement.Wir fordern:• für alle Bürgerinnen und Bürger eine menschenwürdige, bedarfsgerechteund preiswerte Wohnraumversorgung: Bis 2015 soll niemandmehr auf der Straße schlafen müssen!• ein Verfassungsrecht auf Wohnen und eine feste Verankerung derWohnungspolitik auf der Ebene des Bundes• eine bedarfsgerechte Grundsicherung• für alle Bürgerinnen und Bürger eine bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung• einen Existenz sichernden MindestlohnDenn: „Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seinerFamilie Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung,Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige sozialeLeistungen, sowie das Recht auf Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit,Krankheit, Invalidität oder Verwitwung, im Alter sowie bei anderweitigemVerlust seiner Unterhaltsmittel durch unverschuldete Umstände.“ (Artikel 25der UN Menschenrechtscharta)Notwendig sind:• der konsequente Ausbau der Prävention von Wohnungsverlusten, u. a.durch die Förderung von Zentralen Fachstellen zur Vermeidung vonWohnungsverlusten und die Übernahme von Schulden für Unterkunftund Heizung auch als Beihilfe• der Erhalt der gesetzlichen Rahmenbedingungen des Mieterschutzes• ein SGB II – Regelsatz, der anhand eines aussagefähigen Statistikmodellsermittelt wird und die tatsächlichen Verbrauchskosten berücksichtigt• verbindliche Kriterien zur Festlegung der Mietobergrenzen - keinePauschalierung der Kosten der Unterkunft; eine sozialräumlicheDifferenzierung dieser Mietobergrenzen sowie Einzelfallprüfungen zurAngemessenheit der Miete• Abschaffung der Sanktionen bei den Kosten der Unterkunft• ein Ende des staatlich festgelegten Auszugsverbots für junge Frauenund Männer, die weder über gut situierte Eltern noch über einenArbeitsplatz verfügen• ein Rahmen für die soziale Integration von Langzeitarbeitslosen in denArbeitsmarkt; Wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohteMenschen müssen einen Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten• die Wiedereinführung der Befreiung von Zuzahlungen beiMedikamenten, Heil- und Hilfsmitteln sowie die Abschaffung derPraxisgebühren für Bezieher und Bezieherinnen von SGB II - und XII– Leistungen• Härtefallregelungen bei nicht verschreibungspflichtigen Medikamentenund Hilfsmitteln• eine reguläre Finanzierung der niedrigschwelligen medizinischenProjekte für Wohnungslose durch Krankenkassen, Kassenärztlich<strong>eV</strong>ereinigungen und KommunenEine Aktion der <strong>BAG</strong> <strong>Wohnungslosenhilfe</strong> im Europäischen Jahr gegen Armut und soziale AusgrenzungDiese Information wird Ihnen überreicht durch:<strong>BAG</strong> <strong>Wohnungslosenhilfe</strong> e.V.


Man müsste noch mal 20 sein...!?5Wohnungslose bauenWohnraum für WohnungsloseDie Initiative Bauen Wohnen Arbeiten e.V. ist aus dem Zusammenschluss verschiedener Vereine der Wohnungslosenselbsthilfe undPrivatpersonen im Jahr 1996 in Köln entstanden. Die Idee: „Wohnungslose bauen Wohnraum für Wohnungslose“.Durch den Abzug alliierter Truppen standen große Kasernenareale leer. Um diesen Raum wieder zu nutzen entstand unter anderem derPlan, neue Wohnquartiere zu errichten. Mit Unterstützung des Bauministeriums NRW, mit öffentlichen Mitteln für sozialen Wohnungsbauund einem Kredit der Bank für Sozialwirtschaft gelang es der Initiative 1998 ein Grundstück mit einem Kasernengebäude einer ehemaligenbelgischen Kaserne zu erwerben.Das Konzept war einfach: Auf demGelände wurden Bau- und Wohnwagenzu Wohnhilfezwecken für Wohnungslosezur Verfügung gestellt. In Zusammenarbeitmit regionalen Handwerkerbetrieben entstandenin den folgenden acht Jahren 46Wohnungen mit einer Gesamtfläche von2800 m². Das fehlende Eigenkapital wurdedurch Eigenleistung erbracht. Es ist einImmobilienwert von 4 Mio. € entstanden,von dem 1,5 Mio. € in Eigenleistung erbautwurden. Zur Eingliederung Wohnungsloserstehen weiterhin Bau- und Wohnwagen zurVerfügung und in den letzten Jahren sindfünf Gartenhäuschen entstanden mit insgesamtzehn Wohneinheiten.Als wir 1998 auf das Gelände gezogen sind,waren wir die Ersten. In den folgenden vierJahren entstand um uns herum ein neuesQuartier in dem mittlerweile 3000 Menschenleben. In unserem Projekt wohnen nebenWohnungslosen, Alleinerziehende, kinderreicheFamilien, Senioren, behinderteMenschen und Geringverdiener.Die Wagenburgen und die lange Bauzeitsorgten dafür, dass wir im neuen Quartierzunächst sehr abgegrenzt, isoliert lebten.Den Projektteilnehmern war es freigestellt,Bewohner im Projekt „Bauen - Wohnen - Arbeiten“in Gruppen und Wagenburgen oder auch etwasabseits alleine zu wohnen. So war esmöglich, Teilnehmer aus <strong>allen</strong> Wohnungslosengruppierungenaufzunehmen. Es gabdie Punkerecke, Alkoholiker bildeten eineGruppe und Drogenabhängige eine andere,aber auch für Einzelgänger war Platz. Durchtägliche „Arbeitsbesprechungen“ und einewöchentliche Bewohnerrunde gelang es,eine Gemeinschaft entstehen zu lassen, inder jeder seinen engeren Raum und seineKontakte selbst bestimmt gestalten, aberauch sich dem ganzen Projekt zugehörigfühlen konnte.Die Wohnungen wurden in fünf Etappenfertig gestellt. Mit der Fertigstellung dereinzelnen Etappen zogen immer mehrFamilien mit Kindern, alte und jungeMenschen ein. Auch die ersten ehemaligenWohnungslosen zogen in ihre Wohnung.Andere sind bis heute in ihrem Bauwagenoder zogen in ein Gartenhäuschen.Anfängliche Berührungsängste wurdenbald überwunden, und es entstand ein buntesMiteinander. Wohnungslose lernten,dass abends keine laute Musik gemachtwerden darf, damit die Kinder am nächstenMorgen frisch für die Schule sind undMütter verloren ihre Angst vor Hunden.Mittlerweile wohnen 150 Menschen davon40 Kinder im Projekt. Zirka 50 Menschenmit Wohnungslosenhintergrund haben hierein Zuhause gefunden.Nachbarschaftliche Kontakte ins umliegendeQuartier entstanden nur langsam. Nebendem Verkauf von Gemüse und Produktenaus der Kleintierzucht, einem preisgünstigenMittagstisch in unserer Kantine sorgtenvor allem unsere Feste für den Abbau vonSchwellenängsten. Immer mehr Nachbarntrauten sich, zu uns zu kommen, nutzten dieMetallwerkstatt, um Fahrräder zu flicken,Großeltern besuchten mit ihren Enkeln dieHühner, brachten gebrauchte Möbel undKleidung. Die Öffnung war jedoch einseitig.Seit 2004 werden Mitarbeiter der Initiativebeim Institut Kutschera zum Resonanz-Coach, -Master und -Trainer ausgebildet.Die Ausbildung wurde durch die Stiftungdes Instituts vorfinanziert. Auch ehemaligeWohnungslose sind aufgrund ihrerFähigkeiten ins Leitungsteam aufgestiegenund haben diese Ausbildung erhalten.Andere haben durch die Ausbildungihre Fähigkeiten entdeckt und entwickeltund sind heute im Leitungsteam und imVorstand. In Einzel- und Gruppencoachingswerden Eigenverantwortung, Selbst- undSozialkompetenz gefördert. So konntenauch Angebote außerhalb des geschütztenRaumes verwirklicht werden. Hier einBeispiel:Wir haben eine Gruppe junger Punker,die seit Jahren ihre Aufgabe darin sehen,Bauholzabfälle zu verbrennen und ihreBauwagen mit Graffiti zu verschönern.Um sie aus ihrem Lagerfeuerambiente herauszulocken,haben wir ein Comicprojektgestartet. Mit diesem Projekt haben wiruns einem EU-Projekt „Kultur für Randgruppen“angeschlossen. Beteiligt warenin diesem EU-Projekt auch pensionierteGymnasiallehrerInnen aus Palermo,ein Institut zurFörderung langzeitarbeitsloserFrauen undBerufsrückkehrerinenin Aarlborg und einZentrum für langzeitarbeitsloseNordafrikanerin Avignon. Nachdemsich alle Einrichtungenkennengelernt hatten,gab es einen Workshopin Avignon, in dem alleBeteiligten voneinanderlernen sollten. UnserePunker gaben einenEinführungskurs inGraffiti und begeistertenvor allem Damen infortgeschrittenem Alter.Einer der beteiligtenehemaligen Punker hatinzwischen ein Studiumfür Grafik-Design abgeschlossen.Eine Webseitebei Myspace istentstanden. In regelmäßigenAbständen werdenüber diese SeiteComics aus der ganzenWelt zu einem bestimmtenThema von unbekanntenZeichnern gesammelt,als Comicheft zusammengestellt,gedruckt und weltweit von den Zeichnernauf der Straße verkauft. Sie stellen Beiträgean verschiedenen Ausstellungen in NRWaus, haben den Umgang mit Computern undSoftware gelernt und nebenbei verbrennensie natürlich noch immer Bauholzabfälle.Foto: Brigitte HartungBrigitte HartungHartz IV (SGB II)reformieren mitVerstandWie man den Unter-25-Jährigen tatsächlich hilftViele in der Politik, die in ihrem bisherigen Leben weder einen sozialen Brennpunktbetreten geschweige denn mit jungen ausgegrenzten Menschen unter 25 Jahren einlängeres Gespräch geführt haben, waren in den letzten Jahren und Monaten mitGesetzesvorschlägen für das Sozialgesetzbuch II ( Hartz IV) unterwegs. Entsprechend unbedarftsind die Gesetzesformulierungen ausgef<strong>allen</strong>: Man setzt einseitig auf Sanktionen,wenn ein Termin nicht eingehalten wird bis hin zur Möglichkeit – bei wiederholtenPflichtverletzungen – die Kostenübernahme für die Unterkunft bis auf Null zu kürzen.Dass dies zur Wohnungslosigkeit führen kann, wird in Kauf genommen. <strong>Der</strong> Schärfe dieserSanktionsmittel steht trotz anderslautender Bekundungen bis heute kein gleichwertigesFörder- und Angebotsinstrumentarium gegenüber. Das Sparprogramm der Bundesregierungwird zudem sehr wahrscheinlich zu weiteren Einschnitten bei der Arbeitsmarktförderungaller Langzeitarbeitslosen, auch der U-25-Jährigen führen.Anforderungen, auch konsequente Anforderungen an junge Menschen sind notwendig undsinnvoll. Aber sie müssen auch mit den Voraussetzungen, die diese junge Menschen mitbringen,in Einklang stehen, vor allem aber müssen sie wirksam sein.Keine Sanktion mit Wohnungsverlust<strong>Der</strong> Ausschluss des Arbeitslosengeldes II inklusive der Leistungen für Unterkunft imFalle von Pflichtverletzungen bei 15- bis 25-jährigen Menschen ist aus unserer Sicht einVerstoß gegen die Gleichbehandlung nach Art. 3 des Grundgesetzes. Darüber hinaus wirddas Misstrauen der jungen Generation in den Staat gefördert. Es besteht kein rechtlicherund materieller Grund eine Sonderregelung für Heranwachsende und junge Erwachseneeinzuführen.Die <strong>BAG</strong> <strong>Wohnungslosenhilfe</strong> fordert deshalb, dass die Kürzungen des ArbeitslosengeldesII bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen unter keinen Umständen auch die Kosten derUnterkunft und Heizung betreffen dürfen. Eine entsprechende Vorgehensweise verschärftbei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen das Risiko, wohnungslos zu werden. Diesgilt gerade für den Personenkreis der unter 25-jährigen Bedürftigen; ein Anwachsen derWohnungslosigkeit unter dieser Klientel infolge einer Sanktionierung ist empirisch nachweisbar.Sinnvolle Reform mit Augenmaß: Einzelfallbezogene Beurteilungder Frage der Vertretbarkeit und Angemessenheit einer SanktionLediglich eine Zusatznorm entschärft heute die Sanktionsproblematik etwas, indem dieseNorm eine Minderung der Kürzung auf 60 % der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigenmaßgebenden Regelleistung gestattet, „wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich nachträglichbereit erklärt, seinen Pflichten nachzukommen“. Entsprechend kann bei den U-25-Jährigen bei Erfüllung dieser Voraussetzungen wieder die Erbringung von Leistungenfür Unterkunft und Heizung erfolgen. Diese Novellierung ist ein gewisser Fortschritt,aber die <strong>BAG</strong> W geht davon aus, dass eine einzelfallbezogene Beurteilung der Frage derVertretbarkeit und Angemessenheit einer Sanktion stets erforderlich ist. Es bedarf einerAufbrechung des Automatismus, dass ein Pflichtenverstoß sofort zu einer umfassendenSanktionierung führt, und der Institutionalisierung eines besonderen Prüfungsmechanismusauf gesetzlicher Grundlage. Wenn sich ein sanktionierter erwerbsfähiger Hilfebedürftiger,sei er nun über oder unter 25 Jahre alt, in der Weise verhält wie dies der Träger derGrundsicherung für Arbeitsuchende von ihm ursprünglich forderte, d.h. der Zweck derausgesprochenen Sanktion erreicht ist, muss die jeweilige Kürzung wieder aufgehobenwerden.Wenn das Gesetz einen entsprechend weitgehenden Eingriff in das soziokulturelleExistenzminimum eines Menschen gestattet, darf dies nicht in der Form einer imWesentlichen starren und wenig flexiblen Regelung geschehen. Es ist deshalb der Einbaueiner Öffnungsklausel, die der Verwaltung ein Ermessen darüber einräumt, ob überhaupteine entsprechend tief greifende Sanktion verhängt werden darf, erforderlich. Darüber hinausmuss eine Härtefallklausel eingeführt werden, über die es jederzeit möglich ist, dasseine Sanktion beendet werden kann, wenn die/der einzelne erwerbsfähige Hilfebedürftigeden ihr/ihm vorgeworfenen Pflichtenverstoß realisiert und ihr/sein Verhalten geändert hat.Forderungen• <strong>Der</strong> Unterkunftsbedarf soll gänzlich aus § 31, Abs. 2 SGB II herausgenommenund in jedem Fall dauerhaft gewährleistet werden.• Die Ausgabe von Lebensmittelgutscheinen soll gestrichen werden, sie stempelt dieBetroffenen nur ab.• Die Prüfung von Sanktionen ist durch die Einführung von Öffnungs- undHärteklauseln zu ergänzen.Thomas SpechtAuszugsverbot für jungeHartz IV-Bezieher abschaffenDas Auszugsverbot muss abgeschafft werdenBesonders schwierige Problemkonstellationen,mit z. T. direkten Auswirkungenauf den Zugang und die Sicherung vonWohnraum ergeben sich bei unter 25–Jährigen.Sie erhalten gemäß § 22 Abs. 2a SGB IILeistungen für Unterkunft und Heizungnur, wenn der kommunale Träger diese vorAbschluss des Mietvertrages zugesicherthat. Die <strong>BAG</strong> <strong>Wohnungslosenhilfe</strong> e.V. hatbereits 2006 darauf hingewiesen, dass „fürdie hier angesprochenen Gruppen von umzugswilligenjungen Erwachsensen / …./ imRegelfall die Situation gegeben [ist], dassdem Auszug aus der elterlichen Wohnungnicht eine mehr oder weniger langePlanungsphase vorausgeht, sondern er aufgrundeines spontanen Entschlusses unterdem Druck einer als unerträglich empfundenenund nicht mehr veränderbaren Situationerfolgt. In diesen Fällen haben die AuszügeFlucht- bzw. Vertreibungscharakter. Fürvorbereitende Planungen und Auseinandersetzungenmit Verwaltungen / … / bleibtkeine Zeit.“ In der Konsequenz sind vielejunge Erwachsene nach Verlassen derHerkunftsfamilie ganz ohne Unterkunftauf der Straße, leben in Provisorien wieGartenlauben oder Wohnwagen oder kommenbei Freunden und Bekannten unter.Dies sind häufig außerordentlich prekäreWohn- und Lebensverhältnisse, die nichtselten von Gewalt und Missbrauch begleitetwerden.Schaffen es junge ALG II–BezieherInneneinen Ausbildungsplatz zu bekommen,so enden die SGB II-Leistungen mitAusbildungsbeginn. Es besteht nun dieGefahr einer Lücke in der Finanzierung desLebensunterhaltes: Wenn die BetroffenenAnträge auf Berufsausbildungsbeihilfe nachdem SGB II (BAB) oder die Berufsausbildungsförderungnach dem BAföG beantragenmüssen, können Bearbeitungszeitendurch die entsprechenden Behörden vonmehreren Monaten anf<strong>allen</strong>. Damit ist eineGefährdung der Wohnung durch eine möglicheFinanzierungslücke bei den Kostenfür den Lebensunterhalt gegeben.Zur Verhinderung von Wohnungsverlustenund zur nachhaltigen Sicherung desZugangs zu Wohnraum für Unter-25-Jährige müssen nach Meinung der <strong>BAG</strong><strong>Wohnungslosenhilfe</strong> e.V. nachfolgendeEckpunkte gewährleistet sein:• Übernahme der Kosten für Unterkunftund Heizung bei U-25-Jährigen auchdann, wenn der kommunale Trägervor Umzug nicht zugestimmt hat unddie in §§ 22 Abs. 2a SGB II genanntenBedingungen gegeben sind• ALG II–Leistungen für U-25-Jährigebis über einen Berufsausbildungsförderungs-oder BAföG–Antrag entschiedenworden ist• keine Sanktionen bei den Kosten derUnterkunft<strong>BAG</strong> <strong>Wohnungslosenhilfe</strong> e.V.Foto: Peter Empl


6Arbeitsvermittler kritisierenzu scharfe Sanktionsregeln beijungen Hartz-IV-EmpfängernUnter 25-jährige Arbeitslosengeld-II-Empfänger, die gegen ihre Verpflichtungen verstoßen, werden besonders scharf sanktioniert. Dasschreibt das Sozialgesetzbuch II derzeit zwingend vor. Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) auf der Basis vonInterviews mit Vermittlern und Fallmanagern zeigt: Die meisten Befragten wünschen sich gestufte Sanktionen, statt gleich die Regelleistungkomplett streichen zu müssen.Fast alle interviewten Vermittler und Fallmanagerhalten Sanktionsmöglichkeiten grundsätzlichfür sinnvoll. Ihre Einschätzungenvariieren aber deutlich je nach Sanktion.Ein Teil der Interviewten sieht insgesamtkeinen größeren Änderungsbedarf. Anderebemängeln jedoch die Schärfe der Sanktion,wenn die Regelleistung vollständig gestrichenwird. Manche Arbeitsvermittler undFallmanager stellen auch in Frage, ob essinnvoll ist, junge Menschen in den nächstbestenJob zu drängen, statt auf nachhaltigeIntegration und Qualifizierung zu setzen.Hartz-IV-Empfänger unter 25 werden nichtnur besonders scharf, sondern auch vergleichsweisehäufig sanktioniert, geht ausder IAB-Studie hervor. Ihre Sanktionsquoteliegt bei zehn Prozent – und damit gutdreimal so hoch wie bei den 25- bis 64-Jährigen.Weigert sich ein Hartz-IV-Empfängerunter 25, eine zumutbare Arbeit oder einenEin-Euro-Job aufzunehmen, wird dieRegelleistung für maximal drei Monateganz gestrichen. Lebensmittelgutscheinekönnen beantragt, müssen aber nicht genehmigtwerden. Bei erneutem Verstoß werdenzusätzlich zur Streichung der Regelleistungauch die Kosten für Wohnung und Heizungnicht mehr erstattet.Die Ergebnisse der Intensivinterviews seienzwar nicht im statistischen Sinne repräsentativ,aber sie würden doch differenzierteEinblicke ins Sanktionsgeschehen gewähren,betonen die Forscher. Eine besondereBrisanz des Themas liege darin, dass densanktionierten Hartz-IV-Empfängern nichteinmal das Existenzminimum bleibe.Leistungsbezieher/-innen sollen – demSGB II entsprechend – durch Sanktionenoder deren Androhung bewogen werden,auch niedrig entlohnte Arbeit anzunehmen,um den Leistungsbezug zu beendenoder zu reduzieren. Manche Vermittler undFallmanager betrachten dies eher als unproblematisch(„Ohne Sanktionen wäre eineIntegration oft gar nicht möglich“), manchenachdenklich:Wenn er ein Gehalt in Höhe des ALGII bekommt, ist es schwer, das als gutesAngebot zu bezeichnen. Wenn ich vernünftigbezahlte Arbeit anbieten könnte,müsste ich ihn nicht sanktionieren.Wird von Arbeitsaufnahmen berichtet, sohandelt es sich ganz überwiegend um unqualifizierteZeitarbeit und Helfertätigkeit,instabil und schlecht entlohnt. Einige dervom IAB Interviewten problematisieren,inwieweit solche Arbeitsaufnahmenwünschenswert sind - gerade bei jungenMenschen:Sanktionen drängen manche dazu,sich schnell irgendeinen Job zu suchen,irgendwas. Was aber bei unter 25-Jährigen bedenklich ist, sollte es dochum Qualifizierung gehen, um nachhaltigeIntegration. Und 19-Jährige bei einerZeitarbeitsfirma, das geht nicht lange.Auch ziehe die Sanktion einen „Überlebenskampf“nach sich, der der angestrebtenIntegration ins Erwerbsleben widerspräche,„da sie nur noch damit beschäftigtsind, sich über Wasser zu halten“.Lebensmittelgutscheine würden oft nichtbeantragt, weil sie als entwürdigend undstigmatisierend erlebt würden:Die schämen sich mit diesem Lebensmittelgutscheinins Geschäft zu gehen, denAusweis vorzuzeigen und zu sagen: Ichmöchte damit bezahlen.Wiederholte größerePflichtverletzungSeit 2007 kann bei wiederholterPflichtverletzung zusätzlich dieKostenerstattung für Miete und Heizungeingestellt werden. Von den 26 Interviewtenhalten vier diese Regelung für richtig.Alle anderen betrachten sie als zu scharf.Die meist ablehnende Haltung speist sichaus sozialen Motiven, aber auch aus derWahrnehmung eines Widerspruchs zwischenTotalsanktion und übergeordnetemZiel der „Beendigung oder Verringerungder Hilfebedürftigkeit insbesondere durchEingliederung in Arbeit“ (§ 1 Abs. 2SGB II):Es ist zu hart, die fliegen aus der Wohnungund kommen keinen Schritt weiter. WelcheAuffangmöglichkeiten gibt es für solchejungen Leute? Wenn keine Miete mehrbezahlt wird, stehen sie auf der Straße -und dann? Ziel des SGB II ist Integrationin den Arbeitsmarkt. Leute obdachlos zumachen, geht am Ziel vorbei, finde ich.Fazit und offene FragenMit Ausnahme von Meldeversäumnissenwerden junge Hilfebedürftige schärfersanktioniert als ältere. Ein Blick in andereRechtsgebiete und Länder zeigt,dass größere Strenge gegen Jugendlichenicht unbedingt üblich ist. Während dasJugendstrafrecht – auch aus pädagogischenGründen – beansprucht, milder zu seinals das Erwachsenenstrafrecht, ist diesesWohnungslose nach Altersgruppen und Geschlechtbis 24 Jahre25 bis 29 Jahre30 bis 39 Jahre40 bis 49 Jahre50 bis 59 Jahre60 Jahre und älter Quelle: <strong>BAG</strong> W 2010Mit der stetigenZunnahme jungerMenschen in denH i l f e s y s t e m e msetzt sich ein Trendfort, der sich schonin den Jahren zuvorabzeichnete. <strong>Der</strong>deutlich niedrigereAltersdurchschnittbei Frauen ist einResultat des hohenAnteils von Frauenin der Gruppe derunter 25-Jährigen,der nahezu doppeltso hoch ist wie jenerder Männer.Man müsste noch mal 20 sein...!?Prinzip im SGB II umgedreht. Dabei scheintDeutschland eine Sonderstellung einzunehmen;Großbritannien und Frankreich etwakennen keine strikteren Sanktionen fürJüngere.Leistungskürzungen und -streichungenin der Grundsicherung bergen besondereBrisanz. Diese zeigt sich bei Jüngeren schärfer,besteht prinzipiell aber auch bei Älteren:Sanktionen bilden ein arbeitsmarktpolitischesInstrument, durch das Hilfebedürftigezeitlich begrenzt unter dem soziokulturellenExistenzminimum leben müssen. Darfaber Hilfebedürftigen die Grundsicherungdurch Sanktionen überhaupt entzogen werden– gleichgültig, ob teilweise oder ganz?Oder muss Arbeitsmarktpolitik das soziokulturelleExistenzminimum respektieren,auch bei regelwidrigem Verhalten vonLeistungsbezieher/-innen? Markiert diesesExistenzminimum also eine Grenze, die nichtunterschritten werden darf? 1 Diese Fragenstellen sich umso dringlicher, scheinen inder Sanktionspraxis doch immer wieder– gemessen an der bestehenden Rechtslage– Fehler aufzutreten. Darauf deutet derhohe Anteil erfolgreicher Einsprüche vonBetroffenen hin: Im Jahr 2008 wurde gegen10 Prozent der Sanktionen Widerspruch eingelegt.37 Prozent der Widersprüche wurdevoll, weiteren 4 Prozent teilweise stattgegeben.Hohe Erfolgsquoten zeigen sichauch bei den Klagen vor Sozialgerichten.Aber auch wenn Sanktionierte schließlichRecht bekommen, müssen sie zunächstmit der Kürzung oder Streichung ihrerGrundsicherung leben.Zusammenfassend ist festzuhalten: DieSanktionsregeln im SGB II, gerade bei größerenPflichtverletzungen von Jüngeren, sindfür die meisten Interviewten „ein zu scharfesSchwert“ (Aussage einer Vermittlerin).Letztlich darf aber bei der Diskussion umSanktionen viel Wichtigeres nicht aus demBlick geraten, nämlich bessere beruflichePerspektiven für (junge) Arbeitslose.Die kennen ja nur von <strong>allen</strong> SeitenSanktionen, du taugst nichts, du kannstnichts, du bist nichts, du bist der letzteDreck. Es müssten mehr Ausbildungsplätzegeschaffen werden. Damit Jugendlichedas Gefühl haben, ich kann mit meinenHänden und meinem Kopf selbst für meinLeben sorgen, ich habe eine Perspektive.Quelle: IAB-Kurzbericht. Aktuelle Analysen undKommentare aus dem Institut für ArbeitsmarktundBerufsforschung. 10/2010Die vollständige Studie steht im Internet unterhttp://doku.iab.de/kurzber/2010/kb1010.pdf1So wäre auch nach der Verfassungskonformität des §31 SGB II zu fragen. Bei ihrer juristischen Erörterungder Neufassung des § 31 zum 1. August 2006 kommenetwa Wunder/Diehm (2006) zum Schluss,dass sich diese „wohl gerade noch am Rande derVerfassungskonformität befindet“.<strong>Der</strong> Fall Sandra M.,18 Jahre:Sandra M. lebt mit ihrer Mutter, dem älteremBruder sowie ihren l0- und 14-jährigenSchwestern in einer Bedarfsgemeinschaft.Zum Haushalt gehört auch der Freund derMutter. Die leiblichen Eltern trennten sich,als Sandra 3 Jahre alt war.Im Alter von 9 Jahren erster Kontaktmit dem Jugendamt und dreimonatigerAufenthalt in der Kinderpsychiatrie. Sandraweiß nicht warum, es folgt ein einjährigerHeimaufenthalt. Vor drei Jahren Einzug desneuen Lebensgefährten der Mutter. Dieserakzeptiert Sandra überhaupt nicht, sie wirdausgegrenzt, darf nicht an den gemeinsamenMahlzeiten teilnehmen, erfährt keinerleiUnterstützung durch die Mutter. <strong>Der</strong>ältere Bruder beschimpft sie und wird auchhäufig gewalttätig.Sandra geht es zunehmend schlechter,sie fühlt sich sehr isoliert und leidet unterDepressionen. Sie macht im Gespräch einendeutlich entwicklungsverzögerten Eindruck,hat kaum Kontakte zu Gleichaltrigen undbezeichnet die 14-jährige Schwester alsihre beste Freundin. Sie möchte über di<strong>eV</strong>erhältnisse in der Familie auch nicht gernemit Außenstehenden reden.Foto: Peter EmplSie wendet sich im Dezember 2009 an dasJugendamt mit der Bitte um Unterstützungund wird abgewiesen: Mit 18 Jahren seisie zu alt für Jugendhilfemaßnahmen, dakönne man leider gar nichts mehr tun. Siebekommt ein Schreiben für das JobCenter,dass eigener Wohnraum unterstützenswertsei.Im JobCenter wird ihr geraten, „die Füßestill zu halten“. Da Sandra ein sehr stillerTyp ist, konfliktscheu und mit wenig ausgeprägtemAggressionspotential, verlässt siedas JobCenter unverrichteter Dinge. Sandrahat den erweiterten Hauptschulabschlussund macht zurzeit eine Maßnahme über dasJobCenter (Bewerbungstraining). Ihre beruflicheSituation ist völlig unklar, sie interessiertsich für verschiedene Berufe, würdeaber alles nehmen.Zu Hause eskaliert die Situation, die Mutterwirft sie aus der Wohnung, sie zieht zu einemFreund. Dieser lebt in einer Ein-ZimmerWohnung und leidet als Alkoholiker unterstarken Stimmungsschwankungen. Nach einemMonat wirft auch er im volltrunkenenZustand Sandra aus der Wohnung. Sandraschlüpft bei einer Freundin unter, bei dersie aber auf gar keinen Fall bleiben kann.Die Mutter hat inzwischen Sandra aus derBedarfsgemeinschaft beim JobCenter abgemeldet,so dass sie völlig mittellos undwohnungslos dasteht.Sie stellt erneut einen Antrag aufJugendhilfe, dieser wird abgelehnt, da keinBedarf erkenntlich ist. Sie kommt in einerKriseneinrichtung unter, es wird ein Antragbeim Sozialamt gestellt. Das Sozialamtsieht eindeutigen Jugendhilfebedarf undlehnt die Kostenübernahme ab. Nach einigemHin und Her übernimmt das Sozialamtdie Kosten, obwohl die Sozialarbeiterin dorteine Unterbringung über die Jugendhilfesinnvoller fände. Sandra lebt seit wenigenTagen in einer Wohngemeinschaft. Siestrebt ihre Verselbstständigung in eigenenWohnraum an, dies ist im Moment jedochnoch nicht möglich. Sandra ist sehr unsicher,in einer äußerst belasteten psychischenVerfassung, leidet unter Depressionenund Einsamkeitsgefühlen. Sie kann sichnicht gut mitteilen, verfügt über wenigeKonfliktbewältigungsstrategien und ist miteiner eigenständigen Wohnungsführunghoffnungslos überfordert. Sie möchte mit„den Ämtern“ keine Konflikte und vondaher auch keinen Widerspruch gegen dieJugendamtsentscheidung einlegen.Ulrike SchillerLebenslagen jungerVolljährigerAm häufigsten wird der Auszugswunsch bei den 17- bis 19-Jährigen thematisiert, gefolgtvon den 22- und 23-JährigenVor eineinhalb Jahren wirkte es zunächstso, als ob die jungen Volljährigen dasAuszugsverbot scheinbar schnell akzeptiertund resigniert zur Kenntnis genommenhaben, dass sie nach der gesetzlichenNeuregelung noch einige weitere Jahrebei ihrer Familie wohnen bleiben müssen.„Scheinbar“ deshalb, weil nicht wenige,wenn es offiziell nicht ging, dann eben nachschnellen anderen Lösungen suchten. Vielewaren frustriert, wenn sie erfuhren, dass einAuszug nur unter bestimmten Bedingungenmöglich war. Und häufig fehlte ihnen derlange Atem, um diese Prozedur durchzuhalten,viele gaben bereits bei der erstenAblehnung durch das Jugendamt oder dasJobcenter auf.Eine von vielen gewählte Lösung war undist der Ausweg ins „prekäre Mitwohnen“,das heißt, bei Bekannten „unterzuschlüpfen“.Selten sind solche sozialen Netze sostabil, dass hieraus eine dauerhafte Hilfe erwächst.Meistens bedeutet es, mal hier undmal da zu nächtigen, ständig mit der Suchenach einem Bett beschäftigt zu sein, auchmal in Rohbauten oder S-Bahn-Waggonszu nächtigen. Diese belastende Situationhat häufig Ausbildungs-, Schul-, oderMaßnahmeabbrüche zur Folge und nichtselten sind diese Wohnverhältnissevon Gewalterfahrungen und sexuellemMissbrauch (verstärkt durch dieAbhängigkeiten im Mitwohnen) begleitet.Zur Personengruppe derer, die ins „prekäreMitwohnen“ flüchten, zählen auch diejenigen,die von ihren Eltern vor die Türgesetzt werden und es nicht schaffen, sichin den jeweiligen Institutionen durchzusetzen.Es passiert immer wieder, dass z.B. umfangreiche Stellungnahmen der jungenVolljährigen von Mitarbeiterinnen derJobCenter eingefordert werden oder dass solange um die Zuständigkeit gekämpft wird,wodurch der/die junge Volljährige zwischenzeitlichaufgibt.Ähnlich verhält es sich mit denjenigen,die von ihren Eltern quasi zurückgelassenwerden. Wenn die gesamte Familie umzieht,wird von den JobCentern manchmalverlangt, dass die jungen Volljährigen mitumziehen. Dazu besteht allerdings kein<strong>eV</strong>erpflichtung.Eine Gruppe, die größer zu werdenscheint, sind junge Frauen, die sehr frühheiraten oder eine Schwangerschaft alsdie Auflösung vieler Übel ansehen. DieFolgen sind ihnen in der Regel nicht bewusstund können von ihnen auch nichtübersehen werden. Es ist schwer, in denBeratungsgesprächen zu erfassen, ob einejunge Frau tatsächlich deshalb schwangergeworden ist, damit sie aus dem Elternhausendlich ausziehen kann - sicherlich führtmeistens ein Zusammenwirken verschiedenerGründe dazu, eine Schwangerschaft alseinen praktikablen Ausweg zu sehen. Es istallerdings auffällig, dass zunehmend sehrjunge Schwangere Beratung aufsuchen.Schwierig stellt sich der Auszug auch fürdiejenigen dar, die über ein sehr geringesEinkommen verfügen und nicht auf die finanzielleUnterstützung ihrer Eltern bauenkönnen und/oder deren Eltern nicht zumRechtskreis des SG B II gehören. Besondersbetroffen sind Auszubildende mit geringemEinkommen (Ausbildungsvergütung,BAB), junge Volljährige, die Minijobs odergeringfügig entlohnten Beschäftigungennachgehen, oder auch diejenigen, die übergar kein eigenes Einkommen verfügen. Hierkommt es selbst beim Übergang von derJugendhilfe zum JobCenter oft zu großenFinanzierungslücken, die die Betroffenenhäufig nicht aushalten können.Ulrike Schiller


Wohnungslose Patienten könnensich Gesundheit nicht leistenGesundheitszustand Wohnungsloser besonders schlechtIn 2007 hatten ca. 44 % der KlientInnen der<strong>Wohnungslosenhilfe</strong> in den sechs Monatenvor Hilfebeginn keinen Hausarzt aufgesucht,aber trotzdem leiden ca. 75 % derKlientInnen an erkennbaren oder bekanntengesundheitlichen Störungen.Eine nicht unerhebliche Zahl der Wohnungslosenhat ein Einkommen, das nochunter den Eckregelsätzen des SGB II /XII liegt, viele verfügen über gar keinEinkommen.Bei Inkrafttreten der Gesundheitsreform2004 wurde jedoch vorausgesetzt, dass einerseitsalle Menschen über ausreichendGeld für die notwendigen Zahlungen verfügenund dass sie außerdem gesundheitlichwichtige Maßnahmen nicht unterlassen(Eigenverantwortung). WohnungsloseMenschen haben häufig einen schlechtenGesundheitszustand, ebenso häufig einschlechtes Gesundheitsverhalten und lebenin Situationen, die wenig gesundheitsförderndsind. Ziel der <strong>Wohnungslosenhilfe</strong>war und ist die niedrigschwellige medizinischeHilfe, um Behandlungsbarrieren zuüberwinden oder abzubauen. Das wird unterlaufendurch die Zuzahlungen. Es gibt nurin wenigen Kommunen Sonderregelungen,die eine Behandlung von Wohnungslosenin Praxen ermöglichen ohne Zahlung derGebühr.Das Sammeln von Quittungen für geleisteteZuzahlungen ist ein großes Problem in einerLebenssituation, in der auch wichtigereDokumente verloren gehen.Um eine Erkrankung durch die Krankenkasseals chronisch anerkannt zu bekommen,muss der Patient regelmäßig zumArzt gehen. Bei einer Vielzahl der krankenWohnungslosen kommt es zu Behandlungsunterbrechungenoder Arztwechseln, diediesen Teil der Bedingungen unmöglichmachen. Dennoch leiden die Menschenunter einer (zuzahlungsintensiven) chronischenErkrankung, müssen aber 2% ihresJahreseinkommens leisten. Ebenso verhältes sich bei Patienten mit neu diagnostiziertenchronischen Krankheiten.Das Erlangen eines Befreiungsausweisesfür Zuzahlungen ist ein erheblicherVerwaltungsaufwand. Die Krankenkassenhaben keinen Bargeldverkehr. Damitkommt es für Wohnungslose, die keinKonto haben, zu unnötigen Kosten, wennsie die Gesamtsumme der Zuzahlungenim Vorwege leisten möchten, um keineQuittungen sammeln zu müssen. Belegt einPatient anhand der Quittungen, dass er mehrgezahlt hat als notwendig, erhält er über dieSumme einen Barscheck.Liegt ein Patient beispielsweise 20 Tage imKrankenhaus, erhält er eine Rechnung über200 Euro. Ist er noch nicht befreit, musser die Summe an das Krankenhaus zahlen,kann dann die Quittung bei der Kasseeinreichen und erhält das zu viel gezahlteGeld von dort zurück. Es ist Kulanz derKlinik, wenn sie die Rechnung zurückstellt,bis der Patient möglichst umgehend seineZuzahlungen freiwillig leistet und befreitwird.Erschweren schon die Zuzahlungen dieInanspruchnahme medizinischer Leistungen,so ist die von Händlern häufig verlangteAufzahlung für Hilfsmittel für Wohnungslosekaum zu finanzieren und führt dazu,dass sie nicht gekauft werden. Ähnlichverhält es sich mit Zahnersatz, den vieleZahnärzte nicht zum Festpreis anbieten.Die Verkürzung der Verweildauern imKrankenhaus als Folge der Fallpauschalenführt dazu, dass vermehrt Patienten mitnicht abgeschlossenem oder nicht weit vorangeschrittenem Heilungsverlauf entlassenwerden. Das setzt mehrere Dinge voraus,damit es nicht zu einer Verschlechterungdes Gesundheitszustandes kommt: Zunächstbedarf es einer optimalen Verzahnung desstationären und ambulanten Systems, sowohlim ärztlichen als auch im pflegerischenBereich. Am Tag der Entlassungmuss die weitere haus- und / oder fachärztlich<strong>eV</strong>ersorgung, evtl. durch Hausbesuche,organisiert sein. Medikamente müssen vorhandensein. Bei notwendiger pflegerischerVersorgung muss der Pflegedienst informiertsein, für die Behandlungspflege wirdeine Verordnung des ambulanten Arztes benötigt,für Grundpflege das Vorliegen einerEinstufung nach SGB XI (Pflegestufe).Des Weiteren bedarf es eines sozialenUmfeldes, das den Teil der Versorgungübernimmt, den weder Arzt nochPflegedienst abdecken können, vor allem,wenn keine Pflegebedürftigkeit nach SGBXI besteht. Hier geht es um Hilfestellungenin der Bewältigung des Alltags (Einkaufen,Botengänge, Hilfe beim Toilettengangetc.).Bundesärztekammer:Gesundheitsversorgung – ein Luxus!Jeder hat das Rechtauf medizinisch<strong>eV</strong>ersorgung„Ich brauche keine Augentropfen, nichtauf der Straße“ – sagt Heinz. Ihm wurdeim Rahmen der ärztlichen Sprechstundefür kranke Wohnungslose dringend zu einerBehandlung seines hoch entzündetenAuges geraten. „Ich habe kein Geld fürMedikamente. Geben Sie mir lieber einenfrischen Schlafsack“, fügt er an.Heinz lebt seit Jahren auf der Straße. DiesesLeben hat ihn gezeichnet wie viele, dieHilfen einer niedrigschwelligen medizinischenVersorgung in den GroßstädtenDeutschlands in Anspruch nehmen. Sie sinddie „Symptomträger“ einer Gesellschaft,die sich zunehmend entsolidarisiert mit denen,die nicht mehr „leistungsfähig“, fit undattraktiv sind. Ihre „Symptome“ finden sichnicht in den Schulbüchern der Medizin undKrankheitslehre. Aber all jene, die tagein,tagaus Menschen wie Heinz nachgehen,oder für sie den Weg zurück in die medizinischeRegelversorgung bahnen wollenkennen diese Symptome.Ja, Heinz sieht älter aus als er ist. SeinLachen „verrät“ seine schlechten Zähne.Seine Brille ist stark zerkratzt. SeinKörper trägt die Spuren einer jahrelangenAlkoholsucht. Und ein Blick auf seine abgelaufenenSchuhe verrät, dass Heinz sichnicht alles leisten kann, was er braucht.7Diese „Symptome“ lassen auch den Ungeübtenahnen, Heinz lebt am Rande derGesellschaft!Hingegen ist schwerer einzuschätzen, wie esdenn mit dem „Recht auf Gesundheit“ für jenekranken wohnungslosen Menschen steht,die aufgrund psychischer Erkrankungenweder den Weg in eine Ambulanz finden,noch gebotene Hilfen annehmen können?Ihre fehlende Krankheitseinsicht kann zuextremer Verwahrlosung und in den kaltenWintermonaten zu lebensbedrohlichenSituationen (Erfrierungen oder garKältetod) führen. - Es gibt nur wenig mobilePsychiater und Psychiaterinnen, diediesen Menschen nachgehen! So werdenStreetworker und Sozialarbeiterinnen in ihrerSorge um diese Kranken vom medizinischenRegelsystem meist allein gelassen.An Menschen wie Heinz wird deutlich:die aktuelle Gesundheitspolitik und bestehendeRegelungen (Zuzahlungen beiMedikamenten, Hilfs- und Heilmitteln,Brillen und Zahnersatz), Krankenhaustagegeldund Praxisgebühren verhindern inder Regel, dass arme Menschen sich imKrankheitsfall rechtzeitig in Behandlungbegeben. Nicht selten kommt es durchdiese „Verzögerungen“ zu drastischenKrankheitsverläufen und notfallmäßigenKrankenhauseinweisungen. Durch einekontinuierliche medizinischeBehandlungund vorbeugende Maßnahmenwäre dies teilweisezu verhindern.Schließlich bleibtnoch eine brennendeSorge der <strong>Wohnungslosenhilfe</strong>:Das„Recht auf Gesundheitfür alle“ stößt aktuellan eine schmerzlicheGrenze, wenn es umdie angemessene medizinisch<strong>eV</strong>ersorgungNichtversicherter undder wachsendenGrup-pe ausländischerWohnungslosergeht. Dies bedeutet:Exklusion, Ausschluss,wenn z. B. krebskrankenMenschen, insulinpflichtigenDiabetikernoder schwangerenFrauen aufgrund ihrerNationalität und ihrerWohnungslosigkeitnicht die medizinischeHilfe gewährt werdenkann, die erforderlichund heilsam wäre!Dr. Maria GoetzensMedizinische Versorgung Wohnungsloser vereinfachenAufsuchende Hilfen weiter ausbauenWohnungslose sind in hohem Maße gesundheitlichenRisiken ausgesetzt. DieLebensbedingungen auf der Straße, derfehlende Schutz eigener vier Wände, mangelndeMöglichkeiten der Körperhygiene,psychische Belastungen, erhöhterSuchtmittelkonsum und ein erhöhtesGewaltpotenzial, bedingen Verletzungen,Haut- und Atemwegserkrankungen,Erkrankungen des Stütz- undBewegungsapparates sowie des Herz-Kreislaufsystems, Stoffwechselerkrankungen,Infektionen und nicht zuletzt auch psychischeErkrankungen.Formal hat zwar jeder Wohnungsloseauf der Grundlage von §264(2) SGB V(Krankenbehandlung für nichtVersicherungspflichtige) und §48 SGB XII(Krankenhilfe) Anspruch auf eineGesundheitsversorgung entsprechenddem Leistungskatalog der gesetzlichenKrankenversicherung.In der Realität stehen der gesundheitlichenVersorgung jedoch vielfältige Hindernisseentgegen: Dazu gehören neben subjektivenHemmungen, als Wohnungslosereine Arztpraxis aufzusuchen, oder eineunter den Lebensbedingungen veränderteSchmerz- und Symptomwahrnehmung, vorallem Probleme, die für eine Behandlungerforderlichen Unterlagen zu organisierenund zu verwahren, Termine zu vereinbarenund zu halten sowie das notwendigeGeld für Praxisgebühren und erforderlicheZuzahlungen aufzubringen.Um diese Barrieren zu verringern undWohnungslosen den Zugang zur gesundheitlichenVersorgung zu erleichtern,sind in den letzten Jahren in vielenStädten medizinische Teams entstanden,die die Wohnungslosen an ihren SchlafundAufenthaltsorten aufsuchen, einemedizinische Erstversorgung sicherstellenund sie bei Bedarf in weitergehend<strong>eV</strong>ersorgungseinrichtungen vermitteln. SoSchließlich ist es unerlässlich, eine häuslicheUmgebung zu haben, in dem dieGenesung voranschreiten kann (Wärme,Bett etc.).Diese Bedingungen sind in der Wohnungslosigkeitnicht erfüllt. Die Klinikenbewegen sie sich in dem Dilemma, entwederden Menschen in der stationärenBehandlung zu behalten und unwirtschaftlichzu sein oder ihn mit nicht abgeschlossenemHeilungsprozess in nicht gesichert<strong>eV</strong>ersorgung zu entlassen.Die <strong>BAG</strong> <strong>Wohnungslosenhilfe</strong> e.V. fordertdeswegen:- die Wiedereinführung der Befreiung vonZuzahlungen bei Medikamenten, HeilundHilfsmitteln sowie die Abschaffungder Praxisgebühren für Bezieher undBezieherinnen von SGB II - und XII– Leistungen- Härtefallregelungen bei nicht verschreibungspflichtigenMedikamenten undHilfsmitteln- eine reguläre Finanzierung der niedrigschwelligenmedizinischen Projekte fürWohnungslose durch Krankenkassen,Kassenärztliche Vereinigungen undKommunenDr. Frauke Ishorst-Witteist es den Kassenärztlichen Vereinigungen,den Krankenkassen sowie den Kommunenund Landkreisen in Nordrhein-Westfalenauf Initiative und mit Unterstützung derdortigen Ärztekammern gelungen, einFinanzierungsmodell für die aufsuchendenmedizinischen Hilfen zu vereinbaren, dasdiesen Versorgungsbereichauf eine gesicherte und dauerhafteGrundlage stellt. Seit2006 konnten dadurch in6 Großstädten Nordrhein-Westfalens bislang bereits mehr als 5.000Wohnungslose medizinisch versorgt werden.Oberstes Ziel der aufsuchenden Arbeitist jedoch eine Reintegration wohnungsloserPatienten in die medizinischeRegelversorgung. Allerdings stehen dieservor allem die mit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz 2004 geschaffenenPraxisgebühren und Zuzahlungen entgegen.Für Wohnungslose sollensämtliche Zuzahlungenwie auch die Praxisgebührgestrichen werden.Daher hat sich der 108. DeutscheÄrztetag 2005 intensiv mit dem Thema„Krankheit und Armut“ befasst. Er hat dabeifestgestellt, dass die Lebenserwartungin Deutschland weiterhin im starken Maßevon den sozialen Lebensbedingungen abhängtund sich deshalb dafür ausgesprochen,durch neue Versorgungs- undKooperationsformen insbesonderedie Gesundheitsversorgungsozial Benachteiligterzu verbessern – diesauch durch den Ausbau aufsuchenderVersorgungsstrukturen für Wohnungslose.Er ist darüber hinaus der Auffassung, dassdie ärztliche Tätigkeit in sozial benachteiligtenStadtgebieten sowie die aufsuchendeBetreuung durch Zuschläge undBonuszahlungen besonders zu honorierenist. Für Wohnungslose sollen sämtlicheZuzahlungen wie auch die Praxisgebührgestrichen werden. Darüber hinaus forderteder Ärztetag, auch für solche Menschendie medizinische Behandlung zu gewährleisten,die in Deutschland ohne legalenAufenthaltsstatus leben. Die Behandlungvon Menschen ohne Papiere soll durch entsprechendeKostenregelungen erleichtertwerden. Die nachfolgenden Ärztetage habendie aufgeführten Forderungen wiederholtbestätigt und unterstrichen.Die Vielzahl aufsuchender ärztlicher Hilfenin den größeren Städten des Landes verdeutlicht,dass die Ärzteschaft bereit ist,sich der Behandlung besonders bedürftigerPatientengruppen anzunehmen. DieBundesärztekammer fordert daher diePolitik auf, Rahmenbedingungen zu schaffen,die Wohnungslosen eine ihren gesundheitlichenProblemen entsprechende medizinisch<strong>eV</strong>ersorgung ermöglicht.

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