55 <strong>KUNST</strong>Johannes M. Hedinger: Bitte? Entweder schaust dunicht richtig hin, oder du provozierst schon wieder.Ich bin nur neugierig. Wie sollte ich deiner Meinungnach denn fragen?Johannes M. Hedinger: Sei authentisch. Was interessiertdich wirklich an uns?Die Personen hinter Com&Com. War ja auch dasKonzept für dieses Interview.Marcus Gossolt: Ursprünglich. Nun, wo wir merken,dass das so wehtut, wollen wir es nicht mehr.Johannes M. Hedinger: Nun, wo wir merken, wie kompliziertdas ist …Was tut so weh, was ist so kompliziert?Marcus Gossolt: Nach C-Files etwa. Da haben mancheLeute gesagt, so, nun habt ihr’s gemacht. Was kommtjetzt noch? Eigentlich könnt ihr doch aufhören.Johannes M. Hedinger: Nach jeder Arbeit sagen sie das.Marcus Gossolt: Auch nach Side by side. Da sagten sie:Ah, das war jetzt eine Weiterschreibung von C-Files.Aber jetzt genügt es. Und immer so weiter. Dann kamirgendwann Mocmoc. Grosses Gezeter. Aber jetzt, sagtensie wieder, jetzt ist es endgültig gesagt. Jetzt hört ihraber auf. Und so weiter und so weiter. Und genau einesolche Zusammenfassung, etwas pointierter und etwasspannender, hast du vorhin auch gegeben. Oder? Dennaus heutiger Sicht sind wir an einem enorm verwundbarenPunkt. Und zwar wie jeder Mensch, der versucht,Dinge in die Welt zu bringen, die es genau so noch nichtgab. Wir stehen in der ersten Phase eines Experiments,eben der von uns definierten und für uns definiertenpostironischen Phase. Diese Definition ist sinnstiftendfür unseren weiteren Weg. Die ersten Werke entstehen.Authentisch. Wir schnitzen selbst, wir malen selbst, wirzeichnen selbst. In dieser verletzlichen Phase sind wirangreifbar. Wir können dir nicht sagen, wie es morgenoder übermorgen aussieht. Deshalb stimmt aus deinerPerspektive und deiner Sicht die Zusammenfassung. Siestimmt sogar für uns.Und dann kommt erschwerend hinzu, dass wir zwei individuelleMenschen sind. Mit zwei individuellen Lebensentwürfen.Seit vierzehn Jahren gibt es eine Schnittmenge,die wir gemeinsam bestreiten. Höchstwahrscheinlichaus unterschiedlichen, aber auch aus gemeinsamen Interessen.Wir hinterfragen uns permanent. Ich versuchemich zu hundert Prozent zu hinterfragen, alle nur möglichenAusgänge in Betracht zu ziehen. Das ist nicht unbedingtJohannes’ Haltung. Das ist nur mein ureigenesLebenselixier. Daher kann ich eher mit deinem Bye-byeCom&Com leben als Johannes.Wir beide kennen uns schon solange, dass ich auf viele Fragen fürJohannes antworten könnte. Umgekehrtüberrascht es mich trotzdemdauernd, für welche Dinge ersich faszinieren lässt und für welchenicht. Ich glaube, das ist ein Spannungsbogen,der bis heute stimmt.Ob es morgen Com&Com noch gibtoder nicht, ist unabhängig davon,ob es mich interessiert, mit ihm zuarbeiten.Johannes M. Hedinger: Ich kannalles unterschreiben, ich bin garnicht so weit weg von dem, was Marcusgesagt hat.Gemeinsam ist euch die Lust amHinterfragen.Johannes M. Hedinger: Nur wer sich ständig neudefiniert, bleibt unersetzlich.Ist das Hinterfragen nicht dem Stachel des Zweifelssehr ähnlich, den ihr in dem postironischen Manifestabschaffen wollt? Ständiges Hinterfragen würde imZeitalter der Harmonie, Schönheit und Liebe ebensostören wie der nagende Zweifel.Marcus Gossolt: Nein. Das verstehst du falsch. Es gibtverschiedene Qualitäten des Zweifelns. Früher haben wirdas Zweifeln und das Hinterfragen immer im Zusammenhangmit der Gesellschaft gesehen. Entscheidend istaber der persönliche Zweifel, die Hinterfragung von allem,was du sagst und was du tust. Das steht im Manifest.Johannes M. Hedinger: Der Zweifel ist der Motor. DerZweifel ist etwas Positives. Wir wollen nicht unsere Ruhehaben, quasi abhängen, nur noch Wellness machen undschöne Melodien hören.Für den gesellschaftlichen Zweifel wollt Ihr euch nichtlänger einspannen lassen, den persönlichen Zweifelseht Ihr als Motor eurer Weiterentwicklung.Marcus Gossolt: Genau. Denn der gesellschaftlicheZweifel ist eine Erwartung, die an die Kunst herangetragenwird. Die Kunst soll das Leben, die Gesellschaft, denPlaneten, was weiss ich, hinterfragen. Auf das, auf alles,was von aussen von der Kunst erwartet wird, wollen wirkeine Rücksicht mehr nehmen.Johannes M. Hedinger: Unzufriedenheit und Zweifelim Sinne von «ich kann es noch besser machen» ist einermeiner Motoren, jeden Tag aufs Neue aufzustehen.Ihr ruft mit dem postironischen Manifest dazu auf, dieFunktionszuschreibungen der Gesellschaft hinter sichzu lassen. Ihr lehnt es ab, dass die Kunst allgemeinund eure Kunst im Speziellen einen gesellschaftlichenAuftrag zu erfüllen habe und dem Betrachter denberühmten anderen Blick ermöglichen solle, der inden Ausstellungskritiken so oft hervorgehoben wird.Johannes M. Hedinger: Wir hatten von Anfang an diesenAnspruch. Auf unserem allerersten Poster stand derSlogan: Protecting the earth from the scum of contemporaryart.Marcus Gossolt: Wir haben der Kunst ans Bein gepisst.Denn es hat uns nicht genügt, nur der Gesellschaft denSpiegel vorzuhalten. Wir haben stattdessen die Kunst indie Gesellschaft eingeschlossen und das hinterfragt. Wirdachten, genau dies sei per se die Aufgabe eines Künstlers.Und nun wollt ihr pure, auf sich selbst bezogeneKunst machen, ohne viel zu reden und ohne viel zudiskutieren?Marcus Gossolt: Vielleicht muss es gar keine Kunst sein.Johannes M. Hedinger: Das ist jetzt wieder etwas garschwarz-weiss.Marcus Gossolt: Sagen wir mal, Hauptsache, es machtSpass.Johannes M. Hedinger: Immer noch schwarz-weiss. Dumeinst, jetzt pissen wir nicht mehr, jetzt strahlen wir nurnoch. Ich will aber immer noch pissen dürfen, wenn ichLust habe und es angebracht finde. Das kann manchmalauch Spass machen.Marcus Gossolt: Dieses Bye-bye Com&Com, wie dudas, Suzann, interpretiert hast, ist richtig und stimmig.Da wollen wir ja eigentlich hin. Irgendein ganz gescheiterKünstler hat mal gesagt: Kunst muss totgeschlagen werden.Genau an dem Punkt sind wir.Johannes M. Hedinger: Aber trotzdem wollen wir weiterCom&Com heissen.[…]
<strong>KUNST</strong> 56Fondation Toms Pauli (Hrsg.)La Collection Toms – Tapisseries du XVI e au XIX e siècleThe Toms Collection – Tapestries 16 th to 19 th centuriesEine bedeutende Sammlung von Tapisserien präsentiertsich erstmals der ÖffentlichkeitDie Sammlung Toms ist eine der grössten Sammlungenalter Tapisserien. Sie umfasst über hundert Wandteppiche,die zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert in Tapisserie-Manufakturenin Flandern, Frankreich, Italien undEngland entstanden. Die Kollektion beeindruckt nichtnur durch ihre geografische, zeitliche und thematischeVielfalt, sondern auch durch den hervorragenden Konservierungszustandihrer Werke.1993 wurde die Sammlung von Mary Toms, der Witwevon Reginald Toms, dem Schweizer Kanton Waadt vermacht.Die vorliegende Publikation dokumentiert sämtlicheStücke der Sammlung Toms und bietet dem Leser begleitendekunsthistorische Analysen. Die Autoren GuyDelmarcel, Nicole de Reyniès und Wendy Hefford sindAutoritäten auf ihrem jeweiligen Fachgebiet: der flämischen,französischen und englischen Tapisserie. Die inden Sechzigerjahren auf dem Kunstmarkt erworbenenTapisserien waren fast ein halbes Jahrhundert lang wederder Öffentlichkeit noch der Wissenschaft zugänglich.Erstmals bietet dieser Katalog Einblick in ein breitesSpektrum von Werken einer der grossen europäischenKunsttraditionen.Das reich illustrierte Werk richtet sich sowohl an Spezialistenals auch an ein nicht fachkundiges Publikum.