Das Altonaer Rathaus in der NS-Zeit - Gegen Vergessen – Für ...
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In Altona wurde Ende 1935 e<strong>in</strong>e Kartei über die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt lebenden Juden angelegt. 81<br />
Diese akribische Erfassung war möglich, da durch die Unterteilung <strong>der</strong> <strong>NS</strong>DAP <strong>in</strong><br />
Ortsgruppen, Zellen und Blöcke e<strong>in</strong>e umfassende Kontrolle <strong>der</strong> E<strong>in</strong>wohner möglich<br />
war. Neben Wohnorten wurden noch bestehende Geschäfte von Juden erfasst.<br />
Durch diese Maßnahmen wurden die <strong>in</strong> Altona lebenden Juden vom öffentlichen<br />
Leben ausgeschlossen und zunehmend gettoisiert. 82 Im Oktober 1938 fand die erste<br />
Deportation von Juden statt, 800 Menschen wurden vom Bahnhof Altona aus nach<br />
Polen verfrachtet. Viele von ihnen überlebten nicht. Die noch <strong>in</strong> Altona lebenden<br />
Juden wurden ab 1939 aus <strong>der</strong> staatlichen <strong>Für</strong>sorge ausgeschlossen, 1941 wurden<br />
auch die Vergünstigungen für jüdische Schwerkriegsbeschädigte gestrichen. 83<br />
Mitarbeiter <strong>der</strong> Sozialfürsorge entschieden darüber mit, ob e<strong>in</strong> Leben lebenswert<br />
war o<strong>der</strong> nicht o<strong>der</strong> ob jemand als asozial e<strong>in</strong>gestuft wurde. Ihre E<strong>in</strong>schätzungen<br />
hatten weitreichende Folgen: von <strong>der</strong> Unterbr<strong>in</strong>gung <strong>in</strong> Lagern, über Zwangssterilisationen<br />
bis zur Tötung <strong>der</strong> Betroffenen. Die Erb- und Rassenpolitik wirkte sich direkt<br />
auf die staatliche <strong>Für</strong>sorge aus. Familien, die dem <strong>NS</strong>-Ideal entsprachen, bekamen<br />
unterschiedlichste Formen <strong>der</strong> Unterstützung wie Ehestandsdarlehen und Beihilfen<br />
für K<strong>in</strong><strong>der</strong>. Häufig war die politische Ges<strong>in</strong>nung <strong>der</strong> Antragsteller ausschlaggebend<br />
für die Gewährung <strong>der</strong> Zahlungen. Ab 1939 lag die Zuständigkeit dafür bei<br />
den Kreisdienststellen. Somit wurden auch vor Ort <strong>in</strong> Altona diese Entscheidungen<br />
getroffen. Menschen, die von <strong>der</strong> nationalsozialistischen Ideologie als negativ gesehen<br />
wurden, waren von staatlichen Zwangsmaßnahmen betroffen. 84 Mitarbeiter<br />
<strong>der</strong> Sozialbehörde entschieden, wer „zur Verh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung erbkranken Nachwuchses“<br />
zwangssterilisiert wurde. Ab Ende <strong>der</strong> 1930er Jahre wurden dazu verstärkt die Familienfürsorger<strong>in</strong>nen<br />
e<strong>in</strong>bezogen, sie wurden angehalten, während ihrer Besuche<br />
<strong>in</strong> den Familien Fragen nach Erbkrankheiten zu stellen und dem Gesundheitsamt darüber<br />
zu berichten. 85 In Groß-Hamburg wurden diese Operationen <strong>in</strong> <strong>in</strong>sgesamt elf<br />
Krankenhäusern durchgeführt, darunter auch im Allgeme<strong>in</strong>en Krankenhaus Altona<br />
und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Frauenkl<strong>in</strong>ik Altona. 86<br />
______________________________<br />
81 McElligott, Kommunalpolitische Entwicklungen <strong>in</strong> Altona.<br />
82 McElligott, Contested City, S. 220ff.<br />
83 Lohalm, Völkische Wohlfahrtsdiktatur, S. 422.<br />
84 Lohalm, Völkische Wohlfahrtsdiktatur, S. 257ff.<br />
85 Lohalm, Völkische Wohlfahrtsdiktatur, S. 299.<br />
86 Lohalm, Völkische Wohlfahrtsdiktatur, S. 289.<br />
Bei Kriegsende waren über 90 % <strong>der</strong> Hamburger Beamten Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>NS</strong>DAP. 87<br />
Unklar ist, ob Parteie<strong>in</strong>tritte o<strong>der</strong> die Mitgliedschaft <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en <strong>NS</strong>-Vere<strong>in</strong>igungen<br />
re<strong>in</strong> äußerliche Loyalitätsbekundungen waren o<strong>der</strong> ob sie aus <strong>in</strong>nerer Überzeugung<br />
erfolgten. Es ist unmöglich, dies im E<strong>in</strong>zelfall, also auch für die Bediensteten<br />
<strong>in</strong> Altona, nachzuweisen. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die meisten im Zuge<br />
<strong>der</strong> Entnazifizierung erklärt, dass Parteibeitritte re<strong>in</strong> aus dem äußeren Anpassungsdruck<br />
erfolgten.<br />
Er<strong>in</strong>nerung an die <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> <strong>in</strong> Altona<br />
Die Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> des Nationalsozialismus <strong>in</strong> Hamburg setzte erst<br />
<strong>in</strong> den 1980ern <strong>in</strong> größerem Umfang e<strong>in</strong>. Die zeitliche Distanz ermöglichte e<strong>in</strong>en unbefangeneren<br />
Blick auf die Vergangenheit. 88<br />
In <strong>der</strong> Geschichte des <strong>Altonaer</strong> <strong>Rathaus</strong>es ist sie bisher e<strong>in</strong> weißer Fleck. So fehlt<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> zum 100jährigen <strong>Rathaus</strong>jubiläum 1998 erschienenen Publikation dieses Kapitel<br />
völlig. 89 Dabei s<strong>in</strong>d am Gebäude bis heute die Folgen <strong>der</strong> nationalsozialistischen<br />
Herrschaft sichtbar. <strong>Das</strong> <strong>Rathaus</strong> wurde bei den Bombenangriffen 1943 beschädigt,<br />
vor allem <strong>der</strong> Nordflügel war getroffen. Stark zerstört wurde <strong>der</strong> ehemals prachtvolle<br />
Kollegiensaal, hier verbrannten Decke, Dach und die Möbel. Der eher schmucklose<br />
Wie<strong>der</strong>aufbau des Saals sorgte für Kontroversen, genauso wie die Ende <strong>der</strong> 1960er<br />
Jahre angebrachte Holzverkleidung und die Abhängung <strong>der</strong> Decke. 2005 wurde <strong>der</strong><br />
Kollegiensaal nochmals umgebaut. Seitdem s<strong>in</strong>d die vier Gemälde von Ludwig Dettmann,<br />
die entscheidende Szenen <strong>der</strong> <strong>Altonaer</strong> Geschichte zeigen, 90 wie<strong>der</strong> im Saal<br />
zu sehen, die seit dem Krieg im <strong>Altonaer</strong> Museum lagerten.<br />
Im <strong>Rathaus</strong>gebäude wurde 1983 neben <strong>der</strong> Pförtnerloge e<strong>in</strong>e Gedenktafel für die von<br />
den Nationalsozialisten ermordeten <strong>Altonaer</strong> Reichstagsabgeordneten, den ehemaligen<br />
<strong>Altonaer</strong> Polizeipräsidenten Otto Eggerstedt (SPD) und den KPD-Vorsitzenden<br />
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87 Lohalm, „…anständig und aufopferungsbereit“, S. 58ff.<br />
88 E<strong>in</strong>e Übersicht zum Forschungsstand bis Ende <strong>der</strong> 1980er Jahre f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> Hempel-Küter,<br />
Christa/Krause, Eckart. Hamburg und das Erbe des „Dritten Reichs“. Versuch e<strong>in</strong>er Bestandsaufnahme.<br />
Hamburg 1989.<br />
89 Hornauer, Uwe/Kaufmann, Gerhard. <strong>Das</strong> <strong>Altonaer</strong> <strong>Rathaus</strong> 1898 <strong>–</strong>˘1998. Hamburg 1998.<br />
90 Zu sehen s<strong>in</strong>d „Die E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ung nie<strong>der</strong>ländischer Glaubensflüchtl<strong>in</strong>ge im 16. Jahrhun<strong>der</strong>t“,<br />
„Der Schwedenbrand 1713“, „Die Aufnahme <strong>der</strong> vertriebenen Hamburger 1813“ und „Der<br />
Empfang <strong>der</strong> Bundestruppen <strong>in</strong> Altona am 24. Dezember 1863“.<br />
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